S 18 SB 665/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 18 SB 665/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Feststellung der ge-sundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" (Hilfslosigkeit).

Bei der am 00.00.0000 geborenen Klägerin wurde im November 2004 erstmals die Diagnose einer juvenilen Oligoarthritis gestellt (Kinder und Jugendrheumatologie St. K Stift T). Mit Bescheid vom 26.01.2005 stelle der Beklagte bei der Klägerin einen Grad der Behin-derung (GdB) von 70 fest sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" (Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), "B" (Berechtigung für eine ständige Begleitung), und "H": Ausschlaggebend dafür war eine Funktionsstörung der Gelenke bei kindlichem Rheuma (juvenile Oligoarthritis Typ 1; Befall der Kniegelenke; eingeschränktes Gangbild; seinerzeit akuter Verlauf mit häufigem, mehrfach täglichem Therapiebedarf und hohem Einsatz der Eltern).

Im Rahmen einer Überprüfung von Amts wegen senkte der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 07.06.2006 den festgestellten GdB auf 50 (Kindliches Rheuma: Einzel-GdB: 50; Funktionsstörung der Augen (Einzel-GdB 10) und entzog die Nachteilsausgleiche "G" und "B". Eine weitere Feststellung zum Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens "H" erfolgte nicht.

Zuletzt am 25.09.2012 beantragte die Klägerin, vertreten durch ihre Mutter, die Feststellung eines höheren GdB sowie die erneute Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "G" und "B", ferner der Nachteilsausgleiche "RF" (Ermäßigung der Rundfunkgebühr) und "Bl" (Blindheit). Zur Begründung wurde eine Verschlimmerung der zwischenzeitlich im Rahmen der Grunderkrankung der juvenilen Oligoarthritis entstandenen Uveitis trotz intensiver Therapie bei zum Teil stark vermindertem Sehvermögen angeführt. Trotz Basismedikation (MTX) seien ferner Hinweise auf ein entzündliches Geschehen in den beiden Kniegelenken vorhanden. Es bestehe eine verdickte Schleimhaut im linken Knie sowie eine vermehrte Morgensteifigkeit der Klägerin.

Der Beklagte holte mehrere Berichte des St. K Stiftes T – Orthopädisches Zentrum, Abteilung für Kinder- und Jugendrheumatologie (Zeitraum 11/10 - 09/12) ein, ferner ein Pflegegutachten des MDK Nordrhein (3/12) und mehrere Berichte des St.-Fhospitals N – Klinik für Kinder- und Jugendmedizin (Zeitraum 7-12/12) ein. Die Versorgungsärztin T bewertete anhand dieser Unterlagen die Sehminderung bei einer nunmehr beidseits implantierter Kunstlinse mit einem Einzel-GdB von 60 und die Funktionsstörung der Gelenke bei kindlichem Rheuma mit einem Einzel-GdB von 30. Der Gesamt-GdB betrage 70, die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" seien gegeben, weitere Merkzeichen seien nicht (mehr) anzuerkennen.

Unter dem 23.04.2013 hörte der Beklagte die Klägerin zu einer Entziehung des Nachteilsausgleiches "H" bei gleichzeitiger Absicht der Erhöhung des festgestellten GdB von 50 auf 70 und der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merk-zeichen "RF" an. Im Rahmen der Entziehung des Nachteilsausgleiches "H" sei entscheidend, dass sich die Funktionsstörung der Gelenke im Vergleich zu den Feststellungen vom 07.06.2006 gebessert habe. Unter Medikation lägen Gelenkbeschwerden nicht mehr vor.

Die Mutter der Klägerin teilte unter dem 10.05.2013 mit, der Gelenkstatus der Klägerin sei zwar tatsächlich zufriedenstellend. Dies bedeute aber nicht, dass keine ständige Überwachung der Gelenke sowie Hilfestellung erforderlich sei. Sie sehe die Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" deswegen weiterhin als gegeben. In Bezug auf die Augenbeteiligung werde auf eine extreme Lichtempfindlichkeit der Klägerin hingewiesen. Sie legte ein Schreiben der Rheuma-Liga bei.

Nach nochmaliger Auswertung der vorhandenen Befunde gelangte der Versorgungsarzt Dr. S zu dem Ergebnis, dass unter MTX-Therapie seit drei Jahren keine Gelenkbe-schwerden mehr dokumentiert seien, die Klägerin sportlich aktiv sei und an allen alltägli-chen Aktivitäten uneingeschränkt teilnehmen könne.

Auf dieser Grundlage hob der Beklagte mit Bescheid vom 20.08.2013 die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "H" auf und stellte zugleich einen GdB von 70 sowie die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" fest. Die Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "B", "Bl" lehnte er ab. Die Gelenksituation der Klägerin bedürfe keiner ständigen Überwachung oder andauernden Hilfestellung beim Gebrauch der betroffenen Gliedmaßen sowie Anleitung zu Bewegungsübungen.

Die Klägerin legte dagegen über ihren Bevollmächtigten am 25.11.2013 Widerspruch ein und erklärte, der Ausgangsbescheid sei erst am 18.11.2013 zugegangen. Im Januar 2014 wurde widerspruchsbegründend ausgeführt, im Hinblick auf die besonders schwere Au-gensymptomatik sei der Entzug des Merkzeichens "H" nicht nachvollziehbar. Unzutreffend sei, dass die Klägerin in ihren Aktivitäten nicht eingeschränkt sei. Vorgelegt wurde ergänzend eine Ärztliche Bescheidung des Facharztes für Kinderheilkunde Schein und ein Schreiben des Prof. Dr. I. (St. G-Hospital N).

Der Beklagte holte zudem einen Befundbericht des Augenarztes Dr. K (3/14) mit Arztbriefen des Prof. Dr. I (2/14 und 3/13) ein, um die aktuellen Visuswerte nochmals zu prüfen. Nach einer weiteren versorgungsärztlichen Wertung wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch mit Bescheid vom 24.06.2014 durch eine Sachentscheidung zurück.

Hiergegen hat die Klägerin über ihren Bevollmächtigten am 19.07.2014 Klage erhoben. Es bestehe keine wesentliche Änderung im Ausmaß der Behinderung. Vorgelegt werden aktuelle Befundberichte des Dr. G und des G-hospitals N aus der zweiten Jahreshälfte 2014. Die Arthritis habe sich aktuell verschlimmert. Die Mutter der Klägerin erklärt im Rahmen der mündlichen Verhandlung, der krankheitsbedingt zu betreibende Aufwand - etwa durch Bewegungsübungen, die sie mit ihrer Tochter durchführe – sei ständig hoch. Einen wesentlichen Unterschied zwischen Schubphasen der Krankheit und übrigen Zeiten könne sie diesbezüglich nicht ausmachen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt, den Bescheid vom 20.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2014 aufzuheben, soweit er die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" aufhebt.

Der Vertreter des Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich auf die umfangreichen medizinischen Ermittlungen im Verwaltungsverfahren und die vom Beklagten eingeholten gutachterlichen versorgungsärztlichen Stellungnahmen sowie auf das Ergebnis der Beweisaufnahme. Neben dem Streitgegenstand liegend habe sich überdies die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches "RF" im Rahmen des Gerichtsverfahrens als unzutreffend herausgestellt.

Zur Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes hat das Gericht jeweils einen Befundbericht des Krankenhauses E mit diversen Arztbriefen, des Facharztes für Kinder- und Ju-gendmedizin/ Rheumatologe Dr. G, der Augenärzte Prof. Dr. I und Dr. T mit Arztbrief des St. - K Stiftes (aus 9/114) sowie des Dr. K eingeholt. eingeholt. Außerdem hat das Gericht gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein fachinternistisch-rheumatologisches Sach-verständigengutachten durch Herrn Dr. C vom 13.01.2015 erstellen lassen, dem ein Pflegegutachten für den MDK Nordrhein aus dem Juli 2014 beigefügt worden ist.

Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die genannten Unterlagen verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die der Kammer vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Statthafte Klageart ist die isolierte Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Denn der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 20.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2014 ist von der Klägerin nur insoweit angegriffen worden, wie er die Feststellung des Bescheides vom 26.01.2005 bezüglich des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H" aufhebt.

Die Anfechtungsklage, die auch im Übrigen zulässig ist, ist jedoch unbegründet. Denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Maßgeblicher Prüfungszeitpunkt ist insoweit der Zeit-punkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens, hier also der Zeitpunkt, zu dem der Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 24.06.2014 erlassen hat. (vgl. hierzu z. B. Bundessozialgericht, Urteil vom 11. November 1996 – 9 RVs 5/95, juris; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03. März 2011 – L 11 SB 155/09, juris, Rn. 24)

Der Bescheid ist formell rechtmäßig; insbesondere hat der Beklagte die Klägerin nach § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und So-zialdatenschutz (SGB X) mit Schreiben vom 23.04.2013 zu der beabsichtigten Entziehung des Merzeichens "H" angehört.

Rechtsgrundlage für die angefochtene Regelung ist § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Nach dieser Vor-schrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrades um wenigstens 10 ergibt oder die Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche für behinderte Menschen erfüllt werden bzw. entfallen (vgl. Teil A Nr. 7 lit. a) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG), die in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 niedergelegt sind). Die Änderung der Behinderungsbezeichnung oder das Hinzutreten weiterer Teil-Behinderungen ohne Auswirkung auf den Gesamtbehinde-rungsgrad allein stellen noch keine wesentliche Änderung dar (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998, B 9 SB 18/97 R, zitiert nach juris). Für die wesentliche Änderung kommt es weder auf den Inhalt des Vergleichsbescheides noch auf die von der Behörde bei der Bewilligung oder später angenommenen Verhältnisse, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse und deren objektive Änderung an (KassKomm-Steinwedel, SGB X, § 48 Rn. 14 m.w.N.).

Eine wesentliche Änderung in diesem Sinne ist zur Überzeugung der Kammer insoweit eingetreten, als die bei der Klägerin nach wie vor vorliegende juvenile ideopathische Oligoarthritis zwar zum Zeitpunkt des Bescheides vom 26.01.2005, mit dem die Voraussetzungen des Merkzeichens "H" festgestellt wurden, den streitigen Nachteilsausgleich rechtfertigten, nicht aber (mehr) im Zeitpunkt des Widerspruchsbe-scheides vom 24.06.2014. Auch die in der Zwischenzeit im Rahmen der Grunderkran-kung hinzugetretene chronisch rezidivierende Iridozyklitis bds. erfüllte die Vorausset-zungen des Merkzeichens "H" nicht.

Grundlage für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" sind § 69 Abs. 4 SGB IX in Verbindung mit § 33 b Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV). Gemäß § 33 b Abs. 6 Satz 2 EStG in der seit dem 1. Januar 1995 geltenden Fassung ist eine Person hilflos, wenn sie infolge von Gesundheitsstörungen für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 2 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33 b Abs. 6 Satz 3 EStG). Diese Fassung des Begriffs der Hilflosigkeit geht auf Umschreibungen zurück, die von der Rechtsprechung im Schwerbehindertenrecht bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleich lautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 Bundesversorgungsgesetz (BVG) entwickelt worden sind. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 14, 15 des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) angelehnt (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 1, und Urteil vom 24. November 2005 – B 9 SB 1/05 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 3, jeweils m. w. N.).

Bei den gemäß § 33 b Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung (vgl. § 14 Abs. 4 SGB XI) erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche werden unter dem Begriff der so genannten Grundpflege zusammengefasst (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 3 SGB XI; § 37 Abs. 1 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch). Hinzu kommen jene Verrichtungen, die in den Bereichen der notwendigen körperlichen Bewegung, psychischen Erholung, geistigen Anregung und der Kommunikation (insbesondere Sehen, Hören, Sprechen, Fähigkeit zu Interaktionen) anfallen. Bei psychisch oder geistig Behinderten liegt Hilflosigkeit auch dann vor, wenn sie bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens zwar keiner Handreichungen bedürfen, sie diese Verrichtungen aber infolge einer Antriebsschwäche ohne ständige Überwachung nicht vornehmen. Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen (zu Vorstehendem vgl. z. B. BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R –, Urteil vom 24. November 2005 – B 9 SB 1/05 R –, jeweils a. a. O., Urteil vom 2. Juli 1997 – 9 RV 19/95 –, SozR 3-3100 § 35 Nr. 6; AHP 1996, Nummer 21 Abs. 3, Seite 37).

Die tatbestandlich vorausgesetzte "Reihe von Verrichtungen" kann regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen. Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Menschen mit Behinderung nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. In der Regel wird dabei neben der Zahl der Verrichtungen auf den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein, wobei Maßstab für die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie der tägliche Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen ist. Gemessen an diesem Maßstab ist nicht hilflos, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Daraus ergibt sich jedoch nicht schon, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist. Typisierend ist vielmehr Hilflosigkeit grundsätzlich erst dann anzunehmen, wenn der tägliche Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen mindestens zwei Stunden erreicht. Dies entspricht dem Grundpflegeerfordernis für die Pflegestufe II der Pflegeversicherung entspricht (vgl. § 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI). Da die Begriffe der Pflegebedürftigkeit (vgl. §§ 14, 15 SGB XI) und der Hilflosigkeit (vgl. § 35 BVG, § 33b EStG) sich nicht gänzlich decken (vgl. dazu BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 12), können im vorliegenden Zusammenhang die zeitlichen Grenzwerte der sozialen Pflegeversicherung zwar nicht unmittelbar übernommen werden, sie lassen sich jedoch als gewisse Orientierungspunkte nutzen. Denn jedenfalls stimmen die von beiden Begriffen erfassten Verrichtungsbereiche insoweit überein, als es die sog. Grundpflege (Körperpflege, Ernährung und Mobilität) betrifft. Im Rahmen der § 33b EStG (bzw. § 35 BVG) sind - wie dargelegt - zusätzlich noch der Bereich der geistigen Anregung und Kommunikation und - ebenfalls anders als grundsätzlich in der Pflegeversicherung (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 8) - Anleitung, Überwachung und Bereitschaft zu berücksich-tigen. Da im Hinblick auf den insoweit erweiterten Maßstab bei der Prüfung von Hilflosigkeit leichter ein größerer Zeitaufwand für fremde Betreuungsleistungen erreicht wird als im Bereich der Grundpflege bei der Pflegeversicherung, liegt es nahe, hier von einer Zwei-Stunden-Grenze auszugehen. Ein weiteres Argument für eine solche Grenzziehung lässt sich aus § 33b EStG selbst gewinnen. Die Höhe des durch diese Vorschrift dem steuerpflichtigen behinderten Menschen gewährten Pauschbetrages von 3.700,00 EUR hebt sich deutlich von dem Pauschbetrag ab, der behinderten Menschen mit einem GdB von 100 zusteht (1.420,00 EUR). Dieser Begünstigungssprung ist nur bei Erforderlichkeit zeitaufwändiger und deshalb entsprechend teurer Hilfeleistungen erklärbar und gerechtfertigt. (Thüringer LSG, Urteil vom 05. April 2012 – L 5 SB 249/09, juris, Rn. 30)

Um den individuellen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, ist aber nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen; vielmehr sind auch die weiteren Umstände der Hilfeleistung, insbesondere der wirtschaftliche Wert der Leistung oder die körperliche und psychische Belastung der Pflegeperson, zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 1994 – 3 RK 14/94 –, SozR 3-2500 § 53 Nr. 8, Urteil vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R –, Urteil vom 24. November 2005 – B 9 SB 1/05 R –, jeweils a. a. O.).

Diese Definition des Begriffs des Hilflosigkeit ist auch bei Kindern maßgebend (vgl. BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Allerdings sind bei der Beurteilung der Hilflosigkeit von Kindern und Jugendlichen nicht nur die bei der Hilflosigkeit genannten "Verrichtungen" zu beachten. Auch die Anleitung zu diesen "Verrichtungen", die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung (z.B. durch Anleitung im Gebrauch der Gliedmaßen oder durch Hilfen zum Erfassen der Umwelt oder zum Erlernen der Sprache) sowie die notwendige Überwachung gehören zu den Hilfeleistungen, die für die Frage der Hilflosigkeit von Bedeutung sind (vgl. Teil A Nr. 5 Buchstabe a) VG). Bei der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern ist stets nur der Teil der Hilflosigkeit zu berücksichtigen, der wegen der Behinderung den Umfang der Hilflosigkeit eines gesunden gleichaltrigen Kindes überschreitet. Der Umfang der wegen der Behinderungen zusätzlichen notwendigen Hilfeleistungen muss erheblich sein (vgl. Teil A Nr. 5 Buchstabe b) VMG).

Bei sehbehinderten Kindern und Jugendlichen mit Einschränkung des Sehvermögens, die für sich allein einen GdB von wenigstens 80 bedingen kann bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Hilflosigkeit angenommen werden (vgl. Teil A Nr. 5 lit d) dd) VMG i.V.m. § 69 Abs. 1 S. 4, 4 i.V.m. § 30 Abs. 17 (16) BVG). Bei einer juvenilen Polyarthritis werden die Voraussetzungen des Merkzeichens angenommen, solange die Gelenksituation eine ständige Überwachung oder andauernde Hilfestellungen beim Gebrauch der betroffenen Gliedmaßen sowie Anleitungen zu Bewegungsübungen erfordert, in der Regel bis zum 16. Lebensjahr. Bei systemischen Verlaufsformen (Still-Syndrom) ist für die Dauer des aktiven Stadiums Hilflosigkeit anzunehmen. (vgl. Teil A Nr. 5 lit. d) pp) VMG i.V.m. § 69 Abs. 1 S. 4, 4 i.V.m. § 30 Abs. 17 (16) BVG).

Gemessen an diesen Kriterien war die Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides nicht (mehr) hilflos.

Ein Weiterbestehen der Feststellung rechtfertigt sich weder aus der Schwere ihres Aus-genleidens, noch aufgrund der juvenilen Oligoarthritis bzw. beiden Funktionsstörungen gemeinsam. Die Klägerin leidet im Funktionssytem des Sehorgans nach den Feststellun-gen des Sachverständigen und der Diagnosen ihrer Augenärzte Dr. T und Prof Dr. I (St. B Hospital N) an einer chronischen Iridozyklitis (=anteriore Uveitis). Dabei handelt es sich nach den Darlegungen des Sachverständigen Dr. C nicht um eine eigenständige Erkrankung, sondern um eine extraartikuläre Manifestattion der Grunderkrankung der juvenilen Arthritis, einer krankheitstypischen Komplikation, die bei der früh einsetzenden juvenilen Arthritis in der Regel chronisch verläuft. Die Entzündungen der Regenbogenhaut verursachen dabei Verklebungen, die zu unregelmäßigen Verziehungen der Pupille führen. Häufig – so auch bei der Klägerin, bei der die juvenile Arthritis bereits vor dem zweiten Lebensjahr entstanden ist – kommt es dabei zu Linsentrübungen (Kartarakt). Die Kartaraktbildung wird durch die erforderliche Langzeitkortikosteroidanwendung gefördert. Ferner ist es bei der Klägerin zu bandförmigen Hornhautrübungen gekommen. Im bei der Klägerin durch zahlreiche Befundberichte beschrieben chronisch progredienten Verlauf hatte sich zudem eine Netzhautschwellung im Bereich der Makula entwickelt. Dadurch ist eine lokale und systemische Therapie zur Senkung des erhöhten Augendrucks notwendig geworden sowie die intraokuläre Anwendung von Kortikosteroidimplantaten. Operativ erfolgte im St. B Hospital eine beidseitige Staroperation von Kunstlinsen sowie eine linksseitige Entfernung der Regenbogenhaut. Die Katarakt-Operationen mit anschließender Implantation der Kunstlinse erfolgte linksseitig am 11.12.2012 und am rechten Auge am 19.03.2013. Bei einer Vorstellung im St. B Hospital am 16.06.2014 zeigte sich danach ein klinisch und in der optischen-Kohetenzr-Aufnahme beidseits reizfreier Befund der anterioren Uveitis. Unter der Ende 2012 eingesetzten Humira Gabe kam es (bis zur Widerspruchsentscheidung) zu einer vollständigen Beruhigung der Entzündungsaktivität. Im wechselhaften Verlauf der Einschränkung der Sehschärfe sind nach der zweiten Operation im März 2013 und der Widerspruchsentscheidung im Juni 2014 folgende korrigierte Visuswerte erhoben worden: Prof. Dr. I.: Datum rechts links 17.04.2013 0,4 0.16 21.08.2013 0,63 0,4 23.10.2013 0,5p 0,2 29.01.2014 0,5 0,2 26.02.2014 0,3 0,16 26.03.2014 0,32 0,16 16.06.2014 0,5 0,2

Dr. K: 13.03.2014 0,25 0,1 24.06.2014 0,4 0,1

Postoperative Komplikationen sind vom St. G-Hospital nicht berichtet worden. Der Reiz-zustand ist als zeitgerecht gering beschrieben worden. Nach Teil B Ziff. 4. 2 i.V.m. Ziff. 4.3 VMG betragen die sich ergebenden GbB-Werte im Schnittverlauf betrachtet danach einen GdB von knapp 30; auf den Sechsmonatszeitraum vor der Widerspruchsentscheidung nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX bezogen, einen "starken" GdB von 30. Der Sachverständige Dr. C bewertet den Einzel-GdB im relevanten Zeitpunkt unter Betrachtung des Befundberichts des Dr. K vom 25.03.2014 mit einem Einzel-GdB von 60. Dr. K selbst beziffert den GdB in seinem Befundbericht vom 12.08.2014 mit 40. Auch wenn die präzise Bestimmung des GdB für die Funktionsstörung der Augen danach nicht unproblematisch ist, steht für die Kammer zumindest fest, dass der Einzel-GdB im maßgeblichen Zeitpunkt der Wider-spruchsentscheidung unter Berücksichtigung des Sechsmonatszeitraumes aus § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX in keinem Fall über 50 hinausging. Gem. Teil B Ziff. 4 sind bei der Beurteilung des Sehvermögens in erster Linie die korrigierten Visuswerte maßgebend. Gleichwohl bleiben im Rahmen der Funktionsstörung des Sehorganes alle Störungen des Sehver-mögens beachtlich. Das von Prof Dr. I und Dr. K im August 2014 beschriebene (therapie-resistente) Makularödem sowie hintere Synechiven als weiterhin bestehende Folgen des Entzündungsreizes auf beiden Augen (bei reizfreiem Befund der anterioren Uveitis im Juni 2014), der medikamentöse Therapieaufwand sowie die von Seiten der Klägerin glaubhaft geschilderte Lichtempfindlichkeit bei Sonnenlicht bzw. hellem künstlichem Licht rechtfertigen eine deutliche, nicht jedoch über einen GdB von 50 hinausgehende Anhebung des allein für die korrigierte Sehschärfe anzusetzenden GdB von 30. Gesichtsfeldausfälle – etwa als Folge des chronischen Offenwinkelglaukoms – sind nicht aktenkundig. Ein Einzel-GdB von 80 für die Störungen des Sehorganes lassen sich danach deutlich nicht darlegen.

Auch die Grunderkrankung einer juvenilen ideopathischen Oligoarthritis der extended Form (ANA positiv, Rheumafaktoren und HLA-B 27 negativ) rechtfertigen – anders als zum Feststellungszeitpunkt Ende Januar 2005 – im Falle der Klägerin die Annahme der Hilflosigkeit nicht (mehr). Die juvenile ideopathische Arthritis stellt nach den Ausführun-gen des Rheumatogen Dr. C eine im Kindes- oder Jugendalter beginnende systemische Bindegewebserkrankung dar, die mit entzündlichen Veränderungen an Gelenken sowie Sehnenscheiden und Schleimbeuteln einhergeht. Die entzündlichen Gelenkverän-derungen können zu Gelenkzerstörungen mit Fehlstellungen, Funktionseinschränkungen und Einschränkungen von Alltagstätigkeiten führen. Die bei der Klägerin vorliegende Form, der extended Oligoarthritis (Typ 4/7 nach der Ilar-Klassifikation von 1997), beginnt häufig im Kleinkindalter mit asymmetrischem Gelenkbefall vorwiegend der großen Gelenke, Rheumafaktoren sind nicht nachweisbar. Antinukleäre Antikörper finden sich in einem hohen Prozentsatz der Fälle. Häufig entwickelt sich eine Iridozyklitis, die in der Regel chronisch verläuft.

Bei der Klägerin findet sich das typische Bild der extended Form mit insbesondere in den ersten Krankheitsjahren rezidvierend verlaufender Gonitis, im Verlauf auch mit Beteiligung weiterer Gelenke mit Sprunggelenksarthritiden sowie der bereits beschriebenen chronisch progredient verlaufenden Iridozyklitis. Der Krankheitsverlauf ist vollständig dokumentiert und gekennzeichnet durch gehäufte Entzündungsschübe in den ersten Krankheitsjahren bis 2009. Im November 2004 berichtete der St. K Stift Sendenhorst bei der zu diesem Zeitpunkt knapp zweijährigen Klägerin erstmalig von der Diagnose der juvenilen ideopathischen Oligoarthritis. Zu diesem Zeitpunkt fanden sich Gelenkergüsse und –kontrakturen. Anfang August 2004 war eine Schwellung beider Kniegelenke mit eingeschränktem Gangbild aufgefallen. Die Bewegungsmaße der Kniegelenke waren auf Extension/Flexion rechts 0/20/100° und links auf 0/10/100° beschränkt. Nach kurzzeitiger Vorbehandlung mit Ibuprofen wurde im Dezember 2004 eine immunsuppressive Therapie mit Methotrexat (MTX) begonnen und es erfolgten mehrfach intraartikuläre Injektionen von Kniegelenken (erstmals am 29.10.2004), Sprunggelenken und Sehnenscheiden. Krankengymnastische Behandlungen waren zu Beginn passiv-assistiv 2 x pro Woche unter Anleitung und täglich 30 Minuten zu Hause indiziert. Es erfolgte eine Gangschulung sowie Kryotherapie. Eine Kältetherapie (Eis) gewährleisteten bei dem damaligen Kleinkind die Eltern 3 x 20 Minuten täglich auf betroffene Gelenke. Weiterhin hatte eine Gelenkentlastung durch Hilfsmittelanwendung zu erfolgen und wurde Wasserschwimmen empfohlen (Ende 2004). Aufgrund des hiernach erforderlichen häufigen, mehrfach täglichen Therapiebedarfes mit hohem Einsatz der Eltern der Klägerin war der Nachteilsausgleich "H" im Januar 2005 – bei anfänglich akuter, instabiler Verlaufsform im aktiven Stadium (Teil A Nr. 5 lit. d) pp) S. 2) VMG - gerechtfertigt. Unter der Ende 2004 begonnenen Basistherapie mit MTX blieb die Erkrankung bei unauffälligem Verlauf zunächst stabil. Im Januar bzw. Mai 2007 wurde ein Rezidiv mit erneuter Gonitis bzw. Sprunggelenksarthritis berichtet. Im weiteren Verlauf des Jahres 2007 und des Jahres 2008 wurde durch den St. K Stift T unter Anpassung der Medikation ein zufriedenstellender Verlauf ohne wesentliche Schübe im Gelenkstatus berichtet. Wesentliche Bewegungseinschränkungen wurden nicht vermerkt. Schmerzen oder Gelenkschwellungen traten zeitweilig in den Beinen, insbesondere bei sportlicher Betätigung, auf. Im März 2009 entwickelte sich eine erneute Schubsituation mit beidseitiger Gonitis. Mit Bericht vom 24.11.2011 wurde seitens des St.-K Stiftes nach 2009 wiederrum stabiler Verlauf in Bezug auf die Gelenke berichtet. Auch im September 2012 waren alle Gelenke weiterhin beschwerdefrei, frei beweglich und ohne floride entzündliche Veränderungen. Die differenzierten Gangarten waren bei flüssigem Gangbild durchführbar (Bericht vom 25.09.2012). Empfohlen wurde neben dem passiv-assistiven Bewegen betroffener Gelenke bei Bedarf die Anwendung physikalischer Therapieformen. Der Gebrauch von Hilfsmitteln war nicht erforderlich. Wegen einer Zunahme der Entzündungsaktivität an den Augen wurde zu dieser Zeit mit einer Adalimumab-Therapie (Humira) (subkutan alle 14 Tage) begonnen. Darunter kam es zu einer vollständigen Beruhigung der Entzündungsaktivität bis zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung. Erst nachdem im Juli 2014 (nach Erlass des Widerspruchsbescheides) die Humiratherapie wegen fehlender Kostenübernahme der Krankenkasse kurzzeitig ausgesetzt werden musste, kam es im Verlauf der zweiten Jahreshälfte 2014 zu einer Aktivierung des Krankheitsgeschehens mit ausgeprägten entzündlichen Veränderungen an beiden Kniegelenken und dem linken Sprunggelenk sowie ausgeprägter systemtischer Entzündungsaktivität im Labor (vgl. Bericht des Dr. G vom 13.08.2014, des St. K Stiftes vom 03.09.2014 und des Dr. T vom 02.10.2014 und). Nach Intensivierung der Therapie und Wiederaufnahme der Humira-Gabe zeigte sich in der Untersuchung Dr. C im Januar 2015 wieder ein weitgehender Rückgang der Ent-zündungsaktivität; wobei die Remission zum Zeitpunkt seiner Untersuchung nicht voll-ständig war, sich der Status insofern (noch), jedenfalls labormedizinisch (Entzündungsaktivität; C-reaktives Protein 1,5 mg/dl), negativer darstellte als in der Zeit von Ende 2009 bis zum Juni 2014. Für diesen Zeitraum ist nach der Einschätzung des Sachverständigen ein Einzel-GdB von 30 für die Funktionsstörung der Gelenke anzusetzten, für den Zeitpunkt seiner Begutachtung von 40, wobei allerdings die Beweglichkeit und Stellung der Gelenke selbst in der Untersuchung Dr. C vollständig unauffällig war. Insbesondere zeigten sich auch die Knie- und Sprunggelenke frei beweglich und ohne Schmerzen. Das Gangbild war auch im Barfußgang vollständig unauffällig. Hilfen – etwa beim An- und Auskleiden - wurden nicht benötigt. Die knöchernen Konturen waren ebenso unauffällig wie der Bandapparat. Gelenkschwellungen waren nicht festzustellen. Die Klägerin kann Schwimmen, Fahrrad fahren und nimmt an einer Tanz-AG der Schule teil. Auch wenn die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, lässt sich auf der Grundlage des dargelegten Krankheitsverlauf von jedenfalls Ende 2012 bis zum Juni 2014 das Fortbestehen der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichen "H" nicht rechtfertigen. Die Grunderkrankung der systemisch verlaufenden juvenilen ideopathischen Oligoarthritis (=Still-Syndrom) war in dieser Zeit frei von (Schüben der) Entzündungsaktivität an den Gelenken sowie Sehnenscheiden und Schleimbeuteln; außerhalb des aktiven Stadiums i. S. d. Teil A Nr. 5 lit. d) pp) S. 2 VMG. Für einen solchen inaktiven Zeitraum ist nach den Darlegungen des Sachverständigen entsprechend keine Hilfebedürftigkeit festzustellen. Eine ständige Überwachung und andauernde Hilfestellung beim Gebrauch betroffener Gliedmaßen i. S. d. Teil A Nr. 5 lit. d) pp) S. 1 VMG ist nachvollziehbar nicht erforderlich. Auch ist nach der sachverständigen Beurteilung keine regelmäßige Anleitung zu Bewegungsübungen erforderlich. Die täglich benötigten, d. h. objektiv erforderlichen Hilfen der Mutter für die Klägerin, beschränkten sich in der maßgeblichen Zeit – wie zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung – auf ein morgendliches "Durchbewegen" der Gelenke wegen ausgeprägter Morgensteifigkeit. Daneben war eine Begleitung der Klägerin zu wöchentlichen Arztbesuchen und einer zweimal wöchentlichen Physiotherapie erforderlich. Entsprechend wurde seitens der behandelnden Ärzte (Bericht St. K Stift vom 25.09.2012) lediglich noch eine regelmäßige Krankengymnastik sowie Kryotherapie nur bei Bedarf empfohlen. Anders als in Schubsituationen waren aber Hilfen bei der Körperpflege und beim An- und Auskleiden nicht nötig. Gleiches galt für die Zubereitung von Nahrung sowie das dreimal tägliche Anwenden von Kältepackungen und tägliche Gymnastikübungen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Kammer trotz der durch den behandelnden Kinderrheumatologen im St. K-Stift T (Bericht vom 03.09.2014) beobachteten zunehmenden Ängstlichkeit der Klägerin und deren Sehstörungen eine objektive Erforderlichkeit nicht für nachweisbar erachtet, kann das nach den Angaben der Mutter der Klägerin hierdurch bedingte tägliche Befördern und Abholen der Klägerin zur Schulbushaltestelle bzw. zur Schule nicht im Rahmen der Grundpflege berücksichtigt werden. Zur erfassten "Mobilität" der Sicherung der persönlichem Existenz nach § 33 b Abs. 6 S. 3 EStGB, 14 Abs. 1, 4 Nr. 3 SGB XI zählen das Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, nicht aber der Schulweg (vgl. BSG SozR 3-3300 § 15 Nr. 8 S 28 f.; BSG, Urteil vom 18. September 2008 – B 3 P 5/07 R –, SozR 4-3300 § 14 Nr 7, SozR 4-3300 § 15 Nr. 3, Rn. 11). Dieser lässt sich auch nicht den Verrichtungen in den Bereichen der notwendigen körperlichen Bewegung, psychischen Erholung, geistigen Anregung oder der Kommunikation zuordnen. Nicht mehr relevant ist daher, dass von der vermehrten Ängstlichkeit durch die erneute Schubsituation im Spät-sommer 2014 ohnedies erst nach der Widerspruchsentscheidung des Beklagten berichtet worden ist.

Deutlich gegen ein Weiterbestehen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H" im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung sprechen auch die Ergebnisse des Gutachtens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI des MDK Nordrhein aufgrund einer am 25.07.2014 durchgeführten Untersuchung. Nachdem im Juni 2014 das Weiterbestehen einer Pflegestufe (Vorgutachten vom 15.03.2012: Pflegestufe I) durch den MDK nicht festgestellt wurde, wird in dem "Widerspruchsgutachten" aus dem Juli bei der Klägerin (weiter) ein Pflegebedarf nach Stufe I gem. §§ 14, 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI erkannt. Der tägliche Zeitaufwand im Bereich der Grundpflege wird mit täglich 55 Minuten dabei unter einer Stunde eingeschätzt. Während dabei zwar das passiv-assistive morgentliche "Durchbewegen" der Gelenke keine Berücksichtigung findet, ist der Kammer vor dem Hintergrund der ihr vorliegenden medizinischen Befunde und den Feststellungen des Sachverständigen Dr. C andererseits der angesetzte Pflegebedarf in den Bereichen der Körperpflege (13 Minuten) und der Ernährung (2 Minuten) nicht verständlich. Ohne zu benennende Einschränkungen im Bewegungsapparat abseits der Zeiten einer Schubsituation ist bei freier Beweglichkeit der Arme und Hände, ohne Einschränkungen oder Schmerzhaftigkeit auch der Fingergelenke, nicht ersichtlich, weshalb die Klägerin etwa Hilfe bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung (Schneiden) oder beim Duschen und Kämmen der Haare benötigen könnte, zumal sie nach den Angaben des Pflegegutachtens andererseits in der Lage ist Keyboard zu spielen und nun das Klavierspiel erlernen möchte. Der ganz überwiegende Zeitaufwand liegt indes im Bereich der Mobilität (40 Minuten/ Tag). Dabei wurde mit 29 Minuten insbesondere auch der Zeitaufwand für die erforderlichen Arzt- und Physiotherapiebesuche inklusive Wartezeiten berücksichtigt. Der wirtschaftliche Wert bzw. die körperliche und psychische Belastung für den bloßen Transport bzw. die Beglei-tung zu Therapie- bzw. Arztbesuchen ist vergleichsweise gering zu bewerten. Selbst wenn der Hilfebedarf der Klägerin unter Einschluss des morgendlichen "Durchbewegens" der Gelenke danach überhaupt geringfügig über eine Stunde täglich betragen hätte, kam danach eine weitere Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H" zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung der Bezirksregierung Münster im Juni 2014 nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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