L 5 AS 390/14

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 20 AS 131/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 390/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 41/15 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Frage, ob der Beklagte einen Widerspruch zu Recht als unzulässig verworfen hat.

Die Kläger bezogen als Bedarfsgemeinschaft bis Juli 2012 ergänzende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Die Klägerin zu 1. stellte am 13. August 2012 formlos für die Bedarfsgemeinschaft einen Weiterbewilligungsantrag und legte am 17. August 2012 die ausgefüllten Formulare mit Unterlagen über die Einkünfte aus Berufstätigkeiten der Kläger zu 1. und 2. vor.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22. August 2012 den Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mangels Hilfebedürftigkeit ab. Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid enthält den handschriftlichen Vermerk "versendet". Nachdem die Kläger weitere Unterlagen vorgelegt hatten, übersendete der Beklagte unter dem 17. September 2012 den Berechnungsbogen für August 2012. Trotz weiterer Abzüge von den Einkommen der Kläger blieb es bei einem fehlenden Leistungsanspruch.

Die anwaltlich vertretenen Kläger legten am 26. September 2012 "Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.8.12" ein. Ergänzend führten sie unter dem 8. Oktober 2012 aus, der Widerspruch sei entgegen der Darstellung des Beklagten nicht verfristet. Unstreitig sei gemäß § 26 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) i.V.m. § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) der Tag der Zustellung bei der Widerspruchsfrist nicht mitzuzählen. Fristbeginn sei daher der 26. August 2012. Die Frist habe am 29. September 2012 geendet. Der Widerspruch werde "unter jeglichem rechtlichen Gesichtspunkt erhoben"; insbesondere werde die Einkommensbereinigung des Klägers zu 2. gerügt. Hilfsweise stellten die Kläger einen Antrag nach § 44 SGB X.

Die Beklagte verwarf den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2013 als unzulässig. Nach § 37 Satz 2 SGB X gelte der Bescheid am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, folglich am 25. August 2012, als bekannt gegeben. Die Widerspruchsfrist ende damit am 25. September 2012. Der Widerspruch sei erst nach Ablauf der Frist eingegangen. Wiedereinsetzungsgründe seien nicht erkennbar. Mit Bescheid nach § 44 SGB X vom 8. Januar 2013 hat der Beklagte dem Überprüfungsantrag "in voller Höhe entsprochen". In dem Bewilligungsbescheid vom gleichen Tag hat er der Bedarfsgemeinschaft für August 2012 Leistungen i.H.v. 78,98 EUR bewilligt.

Die Kläger haben am 17. Januar 2013 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. August 2012 sei aus den genannten Gründen nicht verfristet.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Juli 2014 abgewiesen. Zur Recht habe der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. August 2012 wegen Verfristung zurückgewiesen. Dessen Bekanntgabe sei - unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit der Zugangsfiktion nach § 37 Abs. 2 SGB X - am 25. August 2012 erfolgt. Dies ergebe sich aus dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 8. Oktober 2012. Die Monatsfrist habe gemäß § 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 25. September 2012 geendet. Der Widerspruch sei erst am 26. September 2012 eingegangen und damit verfristet. Der Gerichtsbescheid enthält den Hinweis auf die Zulässigkeit der Berufung.

Dagegen haben die Kläger am 4. August 2014 Berufung eingelegt. Sie machen geltend, die Bekanntgabe des Bescheids habe erst am 27. August 2012 stattgefunden. Der Bescheid vom 22. August 2012 gelte gemäß § 37 Abs. 2 SGB X am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Da dies ein Sonnabend gewesen sei, habe sich der Tag der Bekanntgabe auf Montag, den 27. August 2012 verlängert. Es werde vom Bundesfinanzhof (BFH) sowie den Rentenversicherungsträgern vertreten, dass die Dreitagesfrist des § 37 Abs. 2 SGB X keine Anwendung finde, wenn die vermutete Bekanntgabe auf einen Sonnabend, Sonntag oder Feiertag falle. § 26 Abs. 3 SGB X sei hier ergänzend anzuwenden. Der Widerspruch sei daher innerhalb der Monatsfrist eingelegt worden.

Die Kläger beantragen,

den Gerichtsbescheid vom 21. Juli 2014 und den Bescheid des Beklagten vom 22. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Januar 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihren Widerspruch vom 26. September 2012 sachlich zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und verweist ergänzend auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 6. Mai 2010 (B 14 AS 12/09 R). Danach gelte ein schriftlicher Verwaltungsakt auch dann am dritten Tag als bekannt gegeben, wenn dieser Tag auf einen Sonnabend, Sonntag oder Feiertag falle.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.1.
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat geht hier von der Statthaftigkeit der Berufung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG aus. Danach bedarf die Berufung der Zulassung in dem angefochtenen Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

Wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr stehen nicht im Streit. Ausweislich ihres Vorbringens im Klageverfahren zum Bescheid vom 8. Januar 2013 geht es den Klägern um Leistungen in einem Zeitraum von sechs Monaten, beginnend ab August 2012.

Hier ist in keiner Weise erkennbar, welchen wirtschaftlichen Wert die begehrte Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Bescheids vom 22. August 2012 haben soll. Die Kläger wenden sich allgemein gegen die Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II. In welchem Umfang ihnen jedoch Leistungen zustehen sollen, haben sie nicht ausgeführt und ist auch für den Senat nach ihrem Vorbringen nicht im geringsten ersichtlich. Lässt sich jedoch - wie hier - nicht feststellen, dass die Voraussetzungen für eine Beschränkung der Berufung gefüllt sind, ist diese als statthaft anzusehen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage, § 144, Rn. 15b).

2.
Der Senat konnte in der Sache entscheiden, obwohl kein Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits anwesend gewesen ist. Dieser ist am 17. Dezember 2014 gemäß § 110 Abs. 1 SGG ordnungsgemäß geladen und auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen worden.

II.
Die Berufung ist unbegründet, weil das Sozialgericht zu Recht die Klage gegen den Bescheid vom 22. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Januar 2013 zurückgewiesen hat. Der Beklagte hat in nicht zu beanstandender Weise den Widerspruch der Kläger vom 26. September 2012 gegen den Bescheid vom 22. August 2012 als unzulässig verworfen.

1.a.
Hinsichtlich des Beginns der Widerspruchsfrist sowie der Berechnung der Monatsfrist verweist der Senat auf die Ausführungen des angefochtenen Gerichtsbescheids und macht sich diese zu eigen (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Widerspruchsfrist von einem Monat gemäß § 84 Abs. 1 SGG beginnt grundsätzlich am Tag nach der - tatsächlichen oder gesetzlich vermuteten - Bekanntgabe des Bescheids, und sie endet mit Ablauf des gleichen Tags des Folgemonats (§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB).

b.
Der Bescheid vom 22. August 2012 ist den Klägern nach ihrem Bekunden am 25. August 2012 tatsächlich zugegangen. Dies ergibt sich schon aus ihren Ausführungen im Widerspruchsverfahren. Anders lässt sich die eindeutige Erklärung im Schriftsatz vom 8. Oktober 2012 nicht auffassen. Denn danach habe der Lauf der Frist am Tag nach der Zustellung, am 26. August 2012 begonnen. Diese Erklärung kann nur so verstanden werden, dass die Zustellung am Tag davor, also am 25. Augst 2012 erfolgt war. Abgesehen davon ist ein von dieser Erklärung abweichender - früherer oder späterer - tatsächlicher Zugang auch zu keinem Zeitpunkt behauptet worden.

c.
Die von den Klägern für sich in Anspruch genommene Zugangsfiktion gemäß § 37 Abs. 2 SGB X findet hier keine Anwendung. Denn hier ist von einem tatsächlichen Zugang am 25. August 2012 auszugehen.

Die Anwendung der Zugangsfiktion mit der Folge einer - behaupteten - Verschiebung des Zugangsdatums nach hinten kommt hier von vornherein nicht in Betracht. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der tatsächliche Zugang des Bescheids vor dem vermuteten Zugang nach der Zugangsfiktion läge. In diesen Fällen gilt als Zugang der Tag der Zugangsfiktion (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2010, B 14 AS 12/09 R (10)).

Dessen ungeachtet wäre auch bei Anwendung der Vermutungsregelung der Beginn der Widerspruchsfrist nicht gemäß § 26 Abs. 3 SGB X auf den folgenden Werktag, den 27. August 2012, zu verschieben gewesen, obwohl der 25. August 2012 ein Sonnabend war. Denn diese Regelung findet ausdrücklich nur Anwendung bei "gesetzlichen Fristen". Um solche handelt es sich aber nicht bei der Zugangsvermutung. Eine analoge Anwendung von § 26 Abs. 3 SGB X ist nicht angezeigt. Angesichts der eindeutigen gesetzlichen Bestimmung fehlt bereits eine Regelungslücke. Eine entsprechende Anwendung ergäbe sich aber auch nicht nach Sinn und Zweck der Zugangsfiktion. Denn dem Adressaten wird nicht zugemutet, innerhalb der dreitägigen Zugangsfiktion bestimmte Handlungen vorzunehmen. Geregelt wird vielmehr lediglich ein fiktiver Beginn der Monatsfrist. Daher kommt es auch auf die abweichende Rechtsprechung des BFH zu § 122 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) (zuletzt: Beschluss vom 5. Mai 2014, III B 85/13) nicht an (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 6. Mai 2010, B 14 AS 12/09 R (12), Urteil vom 9. Dezember 2008, B 8/9 SO 13/07 R (13) zur Zustellung nach § 4 Abs. 1 Verwaltungszustellungsgesetz).

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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