Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 12 VG 9/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 VE 5/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 17. Dezember 2010 wird aufgehoben und der Bescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2007 abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 1. Juli 2004 eine Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 30 vom Hundert zu zahlen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG).
Die am ... 1966 geborene Klägerin beantragte bei dem Beklagten am 14. Juli 2004 die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, am 25. Juni 2002 um 1:00 Uhr Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein. Auf dem Weg nachhause nach einem Besuch bei einem Freund habe ein maskierter Mann sie in ein Gebüsch gezogen, an einen Baum gedrückt und sei anal in sie eingedrungen. Nach der Tat habe er von ihr abgelassen und sei verschwunden. Sie sei nachhause gegangen und habe sich geduscht, um alles weg zu waschen. Am Morgen habe sie dann ihre Frauenärztin aufgesucht, die die Polizei verständigt habe. Das Strafverfahren sei eingestellt worden, da der Täter bei der Tat maskiert gewesen sei und sie ihn nicht habe identifizieren können. Seit der Tat könne sie Alltagssituationen schlechter bewältigen als früher. Sie sei in psychiatrischer Behandlung und habe die Tat bis heute nicht verarbeitet.
Der Beklagte zog zunächst die Schwerbehindertenakte der Klägerin mit dem Bescheid vom 4. Januar 2001 bei, mit dem bei der Klägerin ein Grad der Behinderung von 40 und eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit festgestellt und folgende Behinderungen bezeichnet worden waren: Wirbelsäulenschaden mit zervikalem, thorakalem und lumbalem Wirbelsäulensyndrom, Bandscheibenschaden, Osteoporose; Kreislaufstörungen bei Hypotonie; Magen- und Speiseröhrenfunktionsstörungen bei Ösophagusentzündung. Des Weiteren holte der Beklagte von der Frauenärztin Dipl.-Med. B. einen Befundbericht vom 23. August 2004 ein, die angab, die Klägerin habe sich bei ihr am 25. Juni 2002 wegen einer Vergewaltigung zur Untersuchung vorgestellt. Es seien aber keine Verletzungen festzustellen gewesen. Es seien verschiedene Abstriche entnommen und von der Polizei zur Spurensicherung mitgenommen worden; man habe sie über das Ergebnis nicht unterrichtet. Einen weiteren Befundbericht holte der Beklagte von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. F. vom 14. Oktober 2004 ein. Dieser gab an, die Klägerin seit Mai 2001 wegen Dysthymie (depressive Verstimmung), Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung und somatoforme Schmerzstörung zu behandeln. Die Beschwerden der Klägerin hätten anamnestisch während der zweiten Ehe vor zehn etwa Jahren begonnen. Seitdem habe sie vor allem im Wirbelsäulenbereich ständig Schmerzen. Die zweite Ehe sei seit 1997 geschieden. Diesen zweiten (letzten) Ehemann habe sie wegen Handgreiflichkeiten, auch gegen die Kinder, angezeigt. Im Sommer 1997 habe er sie bei einem Angelausflug vor den Augen der drei Kinder sogar mit einem Messer bedroht. Das könne sie ihm bis heute nicht verzeihen. Manchmal wache sie in der Nacht auf. Sie sei schnell reizbar und wütend, die Stimmungslage sei wechselnd und gedrückt. Zur Beurteilung der gesundheitlichen Situation der Klägerin gab Dr. F. an, es habe sich bei Therapiebeginn 2001 zunächst um eine bereits länger bestehende depressive Störung gehandelt. Für diese seien die erwähnten traumatischen Ereignisse in ihrer Biografie sowie ihre unzureichenden Fähigkeiten im Umgang mit Konflikten und sozialen Problemen ursächlich gewesen. Die geschilderte Schmerzsymptomatik sei auf ein multifaktorielles Geschehen, bestehend aus nachgewiesenen organischen Schäden an der Wirbelsäule und psychisch bedingter Schmerzverstärkung zurückzuführen. Differenzialdiagnostisch käme auch eine sog. somatoforme Schmerzstörung infrage. Die psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung habe zwischenzeitlich Fortschritte erkennen lassen. Die Stimmung sei gebessert worden, die Schmerzsymptome reduziert. Die Klägerin sei etwas selbstsicherer geworden und habe eine Verbesserung ihrer sozialen Kompetenzen sowie einen konstruktiveren Umgang mit den negativen Erinnerungen erreicht. Die angebotene Medikation habe sie aber nie toleriert. Im Juni 2002 habe die Klägerin jedoch ein erhebliches Trauma erlitten, als sie offenbar nachts in einer Grünanlage vergewaltigt worden sei. Für die Folgezeit müsse deswegen eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert werden, da sie ständig unter den wiederkehrenden Erinnerungen leide. Dies habe sie im therapeutischen Prozess zurückgeworfen, die depressive Symptomatik und die Schmerzen hätten sich wieder verstärkt. Nach Beiziehung und Auswertung der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft H. (Aktenzeichen ... ) lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 14. Februar 2005 ab, da hinsichtlich des Tatgeschehens eine objektive Beweislosigkeit bestehe. Eine vorsätzliche rechtswidrige Gewalttat sei nicht nachgewiesen und nach Lage der Dinge auch nicht nachweisbar. Nach dem Inhalt der Ermittlungsakten habe sich die Klägerin nach ihren Angaben am 25. Juni 2002 gegen 1:00 Uhr auf dem Heimweg von ihrem Freund befunden und sei in H.-N. von einem unbekannten Mann mit Gewalt ins Gebüsch gezogen worden. Dieser maskierte Mann habe sie bedroht und sie gezwungen, sich zu entkleiden. Anschließend habe er mit ihr gewaltsamen Analverkehr durchgeführt. Die Untersuchung bei der Frauenärztin habe aber trotz des geschilderten gewaltsamen Vorgehens keine Verletzungsfolgen im Analbereich ergeben. Die Klägerin sei bei den polizeilichen Vernehmungen nicht bereit gewesen, den Namen des Freundes, bei dem sie sich vor dem schädigenden Ereignis aufgehalten habe, zu nennen. Sie habe sogar mit der Rücknahme der Anzeige gedroht, falls sie gezwungen werde, den Namen des Freundes zu nennen. In einer weiteren Vernehmung am 27. Juni 2002 habe sie dann ausgesagt, sie sei nicht von ihrem Freund, sondern nur von einem Kumpel gekommen. Insgesamt seien die Aussagen bei der Polizei widersprüchlich gewesen. Zeugen für das schädigende Ereignis am 25. Juni 2002 habe es auch nicht gegeben. Eine objektive Beweislosigkeit sei danach anzunehmen.
Der hiergegen gerichtete Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Im Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2005 gab der Beklagte zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung an, auch bei Anwendung der Beweiserleichterung im Sinne der Glaubhaftmachung der Aussagen nach § 6 Abs. 3 OEG i.V. mit § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) seien die Voraussetzungen bei der gegebenen Sachlage nicht erfüllt. Nach § 15 KOVVfG sei die Glaubhaftmachung von Tatsachen möglich, wenn nach den Umständen die Überzeugung der Behörde zu gewinnen ist, dass die Angaben des Antragstellers den Tatsachen entsprechen. Die Angaben der Klägerin seien jedoch nur allgemein gehalten und nicht überzeugend. Unverständlicherweise sei sie stets darauf bedacht gewesen, dass niemand etwas von der Tat erfahre. In der Gesamtschau der Umstände erfüllten die Aussagen der Klägerin nicht die strengen Anforderungen an eine Glaubhaftmachung von Tatsachen.
Auf die hiergegen gerichtete Klage der Klägerin vom 22. Juni 2005 vor dem Sozialgericht (SG) H. hat das SG in der mündlichen Verhandlung am 10. Oktober 2005 die folgende Erklärung der Vertreterin des Beklagten zu Protokoll genommen: "der Beklagte verpflichtet sich für den Fall, dass rechtskräftig festgestellt wird, dass die Klägerin am 25. Juni 2002 gegen 1:00 Uhr in H.-N. Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffs im Sinne des OEG geworden ist, nach dem OEG die Feststellungen zur Schädigungsfolge und der sich daraus ergebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit festzustellen". Mit Urteil vom 10. Oktober 2005 hat das SG sodann den Bescheid des Beklagten vom 14. Februar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2005 aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin am 25. Juni 2002 gegen 1:00 Uhr in H.-N. Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG geworden ist.
In Ausführung des Urteils vom 10. Oktober 2005 nahm der Beklagte medizinische Ermittlungen zu den schädigungsbedingten Folgen auf und holte zunächst einen Befundbericht von Dr. F. vom 18. Januar 2006 ein. Dr. F. gab an, seine im letzten Befundbericht getroffenen Aussagen über die bestehenden psychischen Störungen bei der Klägerin träfen weiterhin zu. Er habe die posttraumatische Belastungsstörung im Anschluss an das bekannte Trauma der Klägerin im Juni 2002 festgestellt und im Wesentlichen versucht, die Klägerin zu stützen und den Einfluss der psychischen Beeinträchtigungen, die durch die Vergewaltigung aufgetreten gewesen seien, im Alltag zurückzudrängen. Die Klägerin habe in den Folgemonaten jedoch immer wieder von Bildern von diesem Ereignis in ihrem Kopf berichtet, die ihre Lebensqualität beeinträchtigten. Ihr Zustand habe sich bezüglich der Belastungsstörung in den Jahren 2004/2005 durchaus gebessert. Sie habe immer weniger von Beeinträchtigungen berichtet. Im Vordergrund der Probleme hätten erhebliche Defizite bei der Bewältigung zwischenmenschlicher Konflikte gestanden. So sei auch ihre letzte Beziehung zum Kindesvater des jüngsten Kindes gescheitert. Im Zusammenhang mit der Trennung seien erneut depressive Symptome aufgetreten. In der letzten Sitzung im November 2005 habe sie dann auch von wiederkehrenden Bildern des dramatischen Ereignisses aus dem Jahre 2002 berichtet. Insofern liege die posttraumatische Belastungsstörung aktuell noch vor. Diese sei aber nicht die vorherrschende Störung bei der Klägerin. Es handele sich bei ihr um eine Persönlichkeit mit selbstunsicheren, dependenten (abhängigen), zum Teil histrionischen (übertriebene Emotionalität, übermäßiges Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Bestätigung, Anerkennung und Lob) und vor allem unreifen Zügen. Die Therapie sei vor allem durch die geringe Introspektionsfähigkeit der Klägerin erschwert worden. Aus orthopädischer Sicht leide sie weiterhin unter einem Morbus Bechterew, der offenbar einen großen Einfluss auf das berichtete Schmerzniveau habe. Die chronischen depressiven Verstimmungen, die angegebene Schmerzsymptomatik sowie die beschriebene Persönlichkeitsfehlentwicklung seien nicht auf das Trauma 2002 zurückzuführen. Psychiatrische Medikamente nehme die Klägerin aktuell nicht ein.
Sodann holte der Beklagte von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. B. einen Befundbericht vom 6. Juli 2006 ein, wonach sich das Leben der Klägerin nach eigenen Angaben infolge der Vergewaltigung sehr geändert habe. Sie kommen mit Stresssituationen nicht mehr klar, fühle sich schnell überfordert, kriege schnell Druck, kriege dass "einfach nicht mehr gebacken". Sie sei sehr ängstlich geworden, gehe abends nicht mehr weg, tagsüber leide sie unter Verfolgungsängsten, auf der Straße drehe sie sich öfter um und gucke, ob jemand hinter ihr geht. Sie habe Probleme im Sexualbereich, Probleme mit dem Partner, habe Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, den sie nach Möglichkeit vermeide. Unmittelbar nach der Tat sei sie nur deshalb zur Frauenärztin gegangen, weil sie Angst vor einer Schwangerschaft und vor Krankheiten gehabt habe. Aus Scham habe sie das Ereignis damals gar nicht melden wollen. Die Gynäkologin habe dann die Polizei gerufen, die alles aufgenommen habe. Vorher sei sie noch zu ihrem damaligen Therapeuten Dr. F. gegangen, bei dem sie auch schon vor der Tat in Behandlung gewesen sei. Später habe sie versucht, das Geschehen zu verdrängen, was ihr auch ganz gut gelungen sei. Sie habe einen neuen Partner gefunden, von dem sie schwanger geworden sei. Ihr viertes Kind, eine Tochter, sei am ... 2003 geboren worden. Nach der Geburt der Tochter hätten die Grübeleien angefangen. Als die Tochter dann in die Kindereinrichtung gekommen und sie nicht mehr so viel mit der Kinderbetreuung beschäftigt gewesen sei, habe die Symptomatik zugenommen. Wenn sie z. B. im Fernsehen ähnliche Situationen sehe, komme die Tat hoch, als ob es gestern gewesen sei. Sie sei dann aufgewühlt, bekomme Beklemmungen in der Brust, könne nicht richtig atmen, kriege Angst, Wut, Hass, Herzrasen, Zittern, sie "kippe dann komplett ab". Vor kurzem sei es so schlimm gewesen, dass sie plötzlich nichts mehr habe hören können, es sei ein Gefühl gewesen, als habe sie einen Pfropfen im Ohr, der HNO-Arzt habe einen Hörsturz diagnostiziert. Sie habe Prednisolon und Trental einnehmen und sich täglich in der Arztpraxis vorstellen müssen. Seitdem leide sie zusätzlich unter Ohrgeräuschen, die besonders in der Nacht sehr störend seien. Sie leide auch unter Einschlafstörungen und Grübeleien, habe immer Angst, dass der Ehemann Sex von ihr erwartet. Immer wieder erlebe sie auch den gleichen Traum, es sei ein riesiges Haus, wie ein Schloss oder ein Turm, alles sei dunkel, sie gehe da rein, falle runter in ein Loch, wache dann auf, weil sie mit den Beinen anfange zu treten, um sich abzufangen oder rauszukommen aus dem Loch. Zeitweise leide sie regelrecht unter Todesängsten. Sie habe nach der Schule eine Lehre als Friseurin abgeschlossen, das sei ihr Traumberuf gewesen. Sie könne diesen Beruf jedoch wegen der Bechterew`schen Krankheit nicht mehr ausüben, da sie nicht lange im Stehen arbeiten könne. Sie beziehe deshalb eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Bis 1991 habe sie mit Unterbrechungen durch die Geburt dreier Kinder im Januar 1986, Januar 1987 und November 1989 als Friseurin gearbeitet. Sie habe mit 19 Jahren geheiratet und sei zu ihrem Mann aufs Dorf gezogen, mit dem sie 4 bis 5 Jahre zusammen gewesen sei. Dann habe sie sich scheiden lassen, weil die Partnerschaft nicht harmoniert habe, sie habe nicht auf dem Dorf leben wollen, er nicht in der Stadt. Später habe sie den Vater ihres dritten Kindes kennen gelernt, der noch ein eigenes Kind gewollt habe und ihr als der ideale Mann für das weitere Leben erschienen sei. Bis zum Tag der Hochzeit sei alles gut gegangen, dann habe die Hölle angefangen. Er habe sich als ganz anderer Mensch entpuppt, wegen Skrupel vor einer erneuten Scheidung sei sie aber zwölf Jahre mit ihm zusammen gewesen. Er habe sie geschlagen, sei handgreiflich und zudringlich geworden, es habe schlimme Szenen gegeben. Er habe ihren Willen völlig missachtet und sei häufig gewalttätig geworden. Die Scheidung sei schmutzig verlaufen, was sie dann zu Dr. F. in die Therapie gebracht habe. Seit vier Jahren lebe sie in einer neuen Partnerschaft mit dem Vater ihres vierten Kindes, diesmal sei sie nicht verheiratet, die Beziehung sei gut. Zu ihren Erkrankungen habe die Klägerin anamnestisch angegeben, unter Magenproblemen zu leiden, die Speiseröhre sei völlig entzündet, Sie habe schon zwei Magenspiegelungen hinter sich, diese Symptomatik bestehe bereits seit dem 15. Lebensjahr. Außerdem leide sie ständig unter Rückenschmerzen, Osteoporose schon seit einem jüngeren Lebensalter, sie habe auch einen Bandscheibenvorfall im unteren Wirbelsäulenbereich und einen Wirbelbruch im Bereich der Lendenwirbelsäule nach einem Sturz. Die Schmerzen und Bewegungseinschränkungen sehe man ihr nicht an, deshalb fühle sie sich häufig ungerecht beurteilt. Sie nehme ständig Schmerzmittel. Weiter gab Dipl.-Med. B. an, bei der neurologischen Untersuchung der sehr zierlichen und untergewichtigen Patientin keinen pathologischen Befund erhoben zu haben. Der Beschwerde- und Verhaltensfragebogen nach Hoeck und Hess habe Hinweise auf eine neurotische Entwicklung erbracht. Erforderlich sei eine Beurteilung durch einen psychotherapeutisch-psychodynamisch ausgebildeten Kollegen, möglicherweise auch noch eine umfassendere Persönlichkeitsdiagnostik. Im Anschluss an diesen Befundbericht erklärte es MR Dr. H. vom versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten für erforderlich, die Schädigungen von den Nichtschädigungsfolgen abzugrenzen und die Situation vor dem Ereignis 2002 möglichst umfassend aufzuklären.
Sodann holte der Beklagte von dem Arzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie/Psychoanalyse, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Dr. T., ein nervenärztlich-psychotherapeutisches Fachgutachten vom 17. November 2006 ein. Dieser teilte zu den anamnestischen Angaben der Klägerin mit, sie lebe seit vier Jahren mit ihrem Freund zusammen. Seit der Schwangerschaft drücke sie sich vor normaler Sexualität, empfinde schon Berührungen als bedrängend, weil sie dann befürchte, dass es zur Sexualität kommen könnte und dass es dabei auch zum Analverkehr komme. Manchmal habe sie das Gefühl, es laufe jemand hinter ihr her. Das mache sie wahnsinnig. Sie gehe aber am Tage allein aus der Wohnung, mache ihre Einkäufe. Zum Sexualleben habe die Klägerin mitgeteilt, vor der Schwangerschaft fast jeden Tag sexuell mit dem Partner zusammen gewesen zu sein, weil beide das so gewollt hätten. Nach der Schwangerschaft seien die sexuellen Kontakte seltener geworden, dass sei bis heute so. Sie liebe ihren Partner, Trennungsabsichten bestünden nicht. Seit der Vergewaltigung achte sie auf unauffälligere Kleidung und schminke sich dezenter. Kontakte zu alten Bekannten bestünden noch so wie früher. Gegenüber neuen Bekanntschaften sei sie misstrauischer als früher, nicht mehr so vorbehaltlos und überlege sich genauer, was sie sage. Sie gehe aber den Menschen nicht aus dem Weg. Immer wieder habe sie zwei Albträume: "ich werde im Schlaf munter, habe das Gefühl, ohne Boden in ein schwarzes Loch zu fallen. Dann sitze ich im Bett, habe Angst und bin schweißgebadet bzw. ich sehe im Traum einen großen schwarzen Turm, habe Angst und werde dabei munter. Solche Träume habe ich manchmal mehrfach in der Woche zwei bis dreimal pro Monat. Die Träume sind immer gleich geblieben. Wenn ich allein zuhause bin, dann heule ich mitunter los, lasse die Anspannung ganz heraus. Die Anspannung über die Vergewaltigung, über die ständigen Schmerzen, über das schlechte Behandeltwerden, die Schläge von meinem früheren Mann." Insgesamt habe sie sich dank der Behandlung bei Dr. F. aber besser im Griff. Den Antrag auf Beschädigtenversorgung habe sie vor zwei Jahren gestellt, dabei aber Angst gehabt, dass alles wieder aufgewühlt werde. Auf die Frage, warum sie diesen Antrag so spät gestellt habe, habe die Klägerin keine konkrete Antwort gegeben. Bei Gesprächen mit dem Partner sei die Vergewaltigung nur selten ein Thema. Sie leide immer wieder unter starken Rückenschmerzen, die sich vor allem beim Sitzen und Stehen entwickelten und unter seelischer Anspannung heftiger würden. Mitunter könnte sie wahnsinnig werden, wenn sie sich zum Beispiel an die alten Konflikte mit ihrem Ex-Mann erinnere oder wenn es zu sexuellen Problemen mit dem jetzigen Mann komme. Dann, wenn sie sich klarmache, dass sie abends nicht allein das Haus verlassen könne. Sie habe ihre Freiheit verloren. Die Arbeit im Haushalt erledige sie ohne schwere Arbeiten. Sie teile sich alles ein. Sauberkeit sei ihr wichtig und sporne sie immer wieder an. Sie sei schon früher ein Ordnung liebendes Kind gewesen. Sie habe viele persönliche Kontakte, die sie aber in Begleitung aufsuche. Um eine Psychotherapie habe sie sich jetzt nicht mehr bemüht, das solle das Landesverwaltungsamt übernehmen. Zum psychischen Untersuchungsbefund gab Dr. T. an, die Klägerin sei in allen Bereichen vollkommen orientiert und bewusstseinsklar. Es bestehe kein Anhalt für psychotische Wahrnehmungs-, Antriebs-, Affekt-, Gemüts- und Denkstörungen sowie kein Hinweis auf hirnorganisch bedingte mnestische und kognitive Leistungsstörungen. Sie sei affektiv gut schwingungsfähig, freundlich und sich bereitwillig mitteilend. Mitunter habe sie sich in der Schilderung von Nebensächlichkeiten verloren und sich an Daten nicht korrekt erinnert. Hinsichtlich der eigenen Lebensgeschichte seien die Mitteilungen eher undifferenziert und wenig kritisch gewesen. Insgesamt habe sich bei ihr eine eher abhängige Beziehungsgestaltung angedeutet. In der Untersuchungssituation sei sie nicht krankheitswertig depressiv oder angstvoll erschienen. Bei der testpsychologischen Diagnostik seien überdurchschnittliche Werte hinsichtlich "wenig leistungsorientiert/wenig ehrgeizig konkurrierend", "Empfindlichkeit/Erregbarkeit", "psychosomatische Störungen", "gesundheitlich unbekümmert/robust" sowie wenig überdurchschnittliche Werte hinsichtlich "Zurückhaltung", "emotionale Labilität", "Selbstbezogenheit" gemessen worden. Die Angaben der Klägerin hätten Hinweise zu mangelnder Selbstkritik und mangelnder Offenheit geliefert; die Untersuchungsergebnisse ließen auf mangelnde Mitarbeit bei der Untersuchung schließen. Unter Berücksichtigung der anamnestischen Angaben und Beurteilungen, des psychischen Befundes und der Testergebnisse sei nach persönlichkeitsdiagnostischer Einschätzung von einer eher selbstunsicheren, emotional wenig stabilen und abwehrenden, eher aggressiv gehemmten Persönlichkeitsentwicklung mit Tendenzen zur psychosomatischen Störung auszugehen. Nach tiefenpsychologischem Verständnis lasse sich unter Berücksichtigung der anamnestischen Mitteilungen auf ein nach der Tat bestehendes deutliches psychisches Leiden schließen, wobei es zu einem Ineinandergreifen von posttraumatischer Belastungsstörung, bestehenden somatischen Störungen im Muskel-Skelett-System und zur Mobilisierung dem Trauma vorausgegangener lebensgeschichtlich begründeter psychischer Belastungen als komplexes Krankheitsgeschehen im Sinne einer Verschlimmerung gekommen sei. Es sei davon auszugehen, dass das traumatische Erlebnis der Gewalttat bei der Klägerin eine krankheitswertige psychische Symptomatik als Ausdruck einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgelöst hat, die auch unter Berücksichtigung der in Anspruch genommenen ambulanten Psychotherapie bislang nicht optimal bewältigt worden sei.
Dr. T. benannte als Diagnosen:
Dysthymia,
anhaltende somatoforme Schmerzstörung,
nichtorganisch bedingte sexuelle Funktionsstörungen,
länger dauernde posttraumatische Belastungsstörung nach Vergewaltigung 2002,
kombinierte Persönlichkeitsstörung (selbstunsichere, aggressiv gehemmte, abhängige Persönlichkeitsstruktur),
Morbus Bechterew
Die posttraumatische Belastungsstörung stehe in kausalem Zusammenhang mit der Gewalttat und sei Schädigungsfolge. Eine Aggravation oder Simulation sei nicht nachweisbar. Die Störung des Sexuallebens sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Gewalttat zurückzuführen, da kein hinreichender zeitlicher Zusammenhang bestehe. Nicht schädigungsbedingt seien die primären Beschwerden und Beeinträchtigungen infolge des Morbus Bechterew, der Dysthymia und der kombinierten Persönlichkeitsstörung. Durch das Weiterwirken der Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung komme es wiederkehrend zu einer Verschlimmerung der primären persönlichkeitsbedingten psychischen und psychosomatischen Gesundheitsstörungen mit beeinträchtigenden Auswirkungen auf die aktuelle Konfliktbewältigung und die interpersonellen Kompetenzen im Sinne von Störungen der Anpassung, der Umstellung, der Stressbewältigung. Eine differenzierte Abgrenzung der posttraumatischen Belastungsstörung von der primären Persönlichkeitsentwicklung und den resultierenden funktionellen Defiziten lasse sich wissenschaftlich aufgrund des komplexen Prozesses nicht präzise vornehmen. Es sei von einer richtungsgebenden Verschlimmerung der Störungen des fortbestehenden Leidens im Sinne einer Chronifizierung des komplexen Krankheitsgeschehens auszugehen, und zwar solange wie von der Klägerin keine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie in Anspruch genommen werde. Als Schädigungsfolgen ab Leistungsbeginn Juli 2004 seien die länger andauernde posttraumatische Belastungsstörung und ein Verschlimmerungsanteil an Gesundheitsstörungen infolge fortbestehender persönlichkeitsspezifischer dispositioneller Störungen einzuschätzen. Die schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei auf nervenärztlich-psychotherapeutischem Fachgebiet ab Juli 2004 mit 30 vom 100 einzuschätzen.
Mit prüfärztlicher Stellungnahme vom 29. November 2006 führte die ärztliche Gutachterin des Beklagten S.-S. zu dem Gutachten von Dr. T. aus, das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung sei nicht gegeben, weil die Klägerin zwar bestimmte Aktivitäten vermeide, die sie an den Überfall erinnern könnten, ansonsten aber kein Vermeidungsverhalten zeige. Da das Vollbild der Erkrankung nicht gegeben sei, werde lediglich die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsreaktion mit einer MdE um 20 vom 100 empfohlen. Hinsichtlich der kombinierten Persönlichkeitsstörung sei keine schädigungsbedingte richtungsweisende Verschlimmerung der vorbestehenden Gesundheitsstörungen zu erkennen. Die Klägerin bewältige ihren Haushalt und die Kindererziehung, führe eine stabile und tragfähige Beziehung und pflege soziale Kontakte, so dass keine Hinweise auf eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit infolge der früheren Straftat bestünden.
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2006 in Ausführung des Urteils des SG vom 10. Oktober 2005 stellte der Beklagte fest, dass die Klägerin am 25. Juni 2002 das Opfer einer Gewalttat im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG geworden sei. Als Schädigungsfolge erkannte der Beklagte ab 1. Juli 2004 eine posttraumatische Belastungsreaktion, entstanden durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 Absatz 1 OEG an. Die MdE erreiche keine rentenberechtigende Höhe um mindestens 25 vom 100. Rentenleistungen stünden der Klägerin daher nicht zu. Die anerkannte Schädigungsfolge begründe einen Anspruch auf Heilbehandlung ab dem Antragsmonat Juli 2004. Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch vom 23. Januar 2007 machte die Klägerin geltend, dass die Feststellung einer MdE von weniger als 25 vom 100 im krassen Widerspruch zu dem Gutachten des Dr. T. vom 17. November 2006 stehe. Dieser habe seine Bewertung einer MdE um 30 vom 100 ausdrücklich auf die posttraumatische Belastungsstörung und einen Verschlimmerungsanteil an den Gesundheitsstörungen infolge fortbestehender persönlichkeitsspezifischer dispositioneller Störungen gestützt. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2007 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung gab er im Wesentlichen an, dass nach Auswertung der medizinischen Befundunterlagen und unter Berücksichtigung des Gutachtens des Dr. T. vom 17. November 2006 bei der Klägerin das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung zumindest ab dem Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr angenommen werden könne. Eine posttraumatische Belastungsstörung entstehe als verzögerte Reaktion u. a. auf ein belastendes Ereignis mit außergewöhnlicher Bedrohung, dass bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Typische Merkmale seien das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Dumpfheit aufträten. Ferner fänden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist trete ein Zustand von vegetativer Übererregtheit, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depressionen seien häufig in den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert. Diese Beeinträchtigungen folgten dem Trauma mit einer Latenz von wenigen Wochen oder Monaten. Die Einschätzung einer MdE um 20 vom 100 stehe auch im Einklang mit den Einschätzungen des Dr. F., der im Januar 2006 mitgeteilt habe, dass sich die posttraumatische Symptomatik seit 2004 gebessert habe und die schädigungsunabhängige primäre Persönlichkeitsstörung die psychische Symptomatik der Klägerin beherrsche. Auch könne in Übereinstimmung mit der versorgungsärztlichen Auffassung nicht festgestellt werden, dass schädigungsbedingt eine richtungsgebende Verschlimmerung der schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen, sprich der Dysthymia, der somatoformen Schmerzstörung und der kombinierten Persönlichkeitsstörung eingetreten sei. Symptome einer chronisch-depressiven Verstimmung (Dysthymia) seien von Dr. T. im Rahmen der Begutachtung nicht festgestellt worden. Er habe die Klägerin bei der Untersuchung weder angstvoll noch krankheitswertig depressiv erlebt. Insofern sei sein Vorschlag, einen schädigungsbedingten Verschlimmerungsanteil anzuerkennen, nicht plausibel. Unstreitig dürfte sein, dass bei der Klägerin ein ständig fortschreitendes chronisches orthopädisches Krankheitsbild vorliege. Dieses Krankheitsbild bilde zugleich die wesentliche Ursache für die Schmerzzustände, die, wie dem Befundbericht des Dr. F. vom 14. Oktober 2004 zu entnehmen sei, schon immer, zumindest seit Therapiebeginn im Jahre 2001, und damit bereits vor der Gewalttat im Sinne des OEG, psychogen überlagert gewesen seien. Aus welchen Tatsachen heraus Dr. T. meine, dass sich die somatoforme Schmerzstörung schädigungsbedingt verstärkt habe, könne aus seinem Gutachten nicht erschlossen werden. Gleiches gelte für die seinerseits angenommene schädigungsbedingte Verschlimmerung der Symptomatik der kombinierten Persönlichkeitsstörung. Er habe ausgeführt, dass eine differenzierte Abgrenzung der posttraumatischen Symptomatik von der primären Persönlichkeitsentwicklung und den resultierenden funktionellen Defiziten sich wissenschaftlich aufgrund des komplexen Prozesses nicht präzise vornehmen lasse. Davon ausgehend sei es nicht nachvollziehbar, wenn er meine, dass die schädigungsbedingte posttraumatische Symptomatik wesentliche Bedeutung für eine seinerseits angenommene Verschlimmerung der primären persönlichkeitsbedingten psychischen und psychosomatischen Gesundheitsstörungen habe. Eine solche Einschätzung stehe auch der Einschätzung des Dr. F. entgegen, der die primäre Persönlichkeitsstörung als vorherrschend und damit bestimmend bezeichnet habe.
Mit der am 31. Mai 2007 vor dem SG H. erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und vorgetragen, der Beklagte habe in den angefochtenen Bescheiden zu Unrecht nicht die Bewertung der MdE von Dr. T. zugrunde gelegt. Der Beklagte hat seine Bescheide unter Hinweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse zur posttraumatischen Belastungsstörung verteidigt und vorgetragen, in der versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 29. November 2006 dargelegt zu haben, dass die diagnostischen Leitlinien einer posttraumatischen Belastungsstörung insbesondere hinsichtlich des C-Kriteriums nicht vollständig erfüllt seien und daher vom Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht ausgegangen werden könne. Durch die Anerkennung der posttraumatischen Belastungsreaktion mit einer MdE um 20 vom 100 sei den vorliegenden Beeinträchtigungen der Klägerin ausreichend Rechnung getragen worden. Hinzuweisen sei auch auf das durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. F. im Auftrag des Rentenversicherungsträgers erstellte Gutachten vom 25. August 2006, wonach im Rahmen der dortigen Untersuchung die Feststellung getroffen worden sei, dass die diagnostischen Leitlinien einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht erfüllt seien. Dr. F. habe eine richtungsweisende Verschlimmerung des persönlichkeitsbedingten Störungsbildes durch die posttraumatische Symptomatik nicht bestätigt, sondern einen Ursachenzusammenhang verneint und eingeschätzt, dass wesentlich bestimmend für das vorhandene Krankheitsbild der Klägerin das persönlichkeitsbedingte Störungsbild sei. Auch aus dem Rentengutachten der Frau Dr. L. vom 13. August 2008 sei kein Ursachenzusammenhang zwischen dem Leidensbild und der Vergewaltigung im Jahre 2002 zu schließen.
Das SG hat aus dem Rentenverfahren vor dem SG H. S 5 RA 887/06 das Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Dr. L. vom 13. August 2008 mit folgenden Diagnosen beigezogen: anhaltende somatoforme Schmerzstörung, depressive und Angstsymptomatik gemischt, infantil-abhängig-zwanghafte Persönlichkeitsstruktur. Bei der Klägerin bestünden multiple, im depressiven und Angstsymptomkreis angesiedelte Beschwerden auf dem Boden einer deutlich akzentuierten Persönlichkeit bis hin zur Persönlichkeitsstörung und einer langjährigen Fehlentwicklung in Bezug auf die Persönlichkeit, die soziale Integration, die Reifung und Lebensgestaltung. Die Klägerin zeige sich deutlich infantil-abhängig strukturiert in ihren Abwehr- und Bewältigungsmechanismen und in ihren ich-strukturellen Funktionen nicht altersadäquat erwachsen. Sie bedürfe der ständigen Bestätigung und Spiegelung des Halts und der Strukturierung durch Bezugspersonen, vorwiegend Partner, im Moment der Kinder, und nehme dafür auch destruktives Verhalten und erniedrigende und belastende Lebenssituationen in Kauf. In der Selbstdarstellung finde sich eine weitgehend unauffällige Kindheit, weshalb davon ausgegangen werden müsse, dass der Schritt in das Erwachsenenleben nicht gelungen sei. Dies zeige sich zum einen an der deutlich gestörten Gestaltung von Beziehungen und Partnerschaften, andererseits aber auch an der Unfähigkeit, im Arbeitsleben Fuß zu fassen. Auf dem Boden der wiederholten traumatischen Situationen, Fehlschläge, Verluste, Enttäuschungen und Niederlagen habe sich eine multiple psychische und psychosomatische Symptomatik aufgepfropft, die früh zu einem ausgeprägten Vermeidungs- und Rückzugsverhalten mit der Folge weiterer Verstärkung der Fehlentwicklung und Symptombildung geführt habe. Hierfür spreche das frühe Rentenbegehren, die starke Rentenfixierung und der Wunsch nach umfassender Versorgung. Insgesamt sei von einer schwerwiegenden psychischen Störung mit multipler Symptomatik auszugehen, die die Leistungsfähigkeit, Lebensqualität und Erwerbsfähigkeit der Klägerin deutlich beeinflusse.
Des Weiteren hat das SG einen Befundbericht von Dipl.-Psych. L. vom 8. Februar 2010 über Behandlungen der Klägerin seit 4. Februar 2008 eingeholt. Dieser hat angegeben, die Klägerin habe im Jahr 2008 berichtet, zunehmend unter Angstzuständen, Panikattacken, Depressionen und Schlafstörungen zu leiden. Sie sehe sich inzwischen kaum noch in der Lage, alltägliche Situationen zu meistern. Dies mache ihr Angst, da sie Verantwortung für ihre jüngste Tochter trage. Das Kind sei durch den ehemaligen Partner sexuell missbraucht worden, worauf hin die Klägerin umgehend aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen sei. Die Klägerin sei selbst vor fünf Jahren vergewaltigt worden. Seitdem habe sich die anfangs harmonische Beziehung zum Lebensgefährten stetig verschlechtert, bis hin zu den Übergriffen des Partners auf die Tochter. Die Klägerin benötige dringend professionelle Unterstützung, da sie alleine nicht mehr weiter wisse. Dipl.-Psych. L. hat weiter angegeben, dass die sexuellen Übergriffe des Vaters auf die jüngste Tochter im Jahre 2007 zu einer Re-Traumatisierung der Klägerin geführt hätten. Im Laufe der bisherigen Therapie sei eine allgemeine Verbesserung des psychischen Befindens erreicht worden. Die grundlegende Traumatisierung durch die Vergewaltigung und ihre funktionellen Auswirkungen seien aber im Kern noch nicht erreicht worden. Die Klägerin habe Probleme im Kontakt mit Menschen, Bedrängnis auf öffentlichen Plätzen, Straßenbahn, Einkaufsmärkten. Sie vermeide es, im Dunkeln aus dem Haus zu gehen. Als Diagnosen benannte Dipl.-Psych. L. eine Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt mit Zügen einer aktualisierten posttraumatischen Belastungsstörung vor dem Hintergrund einer abhängigen Neurosenstruktur, ergänzend das Residuum einer unbehandelten posttraumatischen Belastungsstörung infolge einer Vergewaltigung. Deren Symptome seien: häufige ungebetene Erinnerungen an die Vergewaltigung mit starken Ekelgefühlen; gelegentliche unerklärliche depressive Einbrüche, wenn die Klägerin mit ähnlichen Situationen oder Personen konfrontiert sei; Ängste, wenn sie sich mit ungewissen Orten oder Situationen konfrontiert sehe, die in dieser Ausprägung vor der Vergewaltigung nicht vorhanden gewesen seien. Während der Behandlung seien die Befunde gleich geblieben bzw. hätten sich durch die Re-Traumatisierung zum Teil verschlimmert. Infolge der Situation durch die Vergewaltigung und den Missbrauch habe sich der Freundeskreis der Klägerin verkleinert. Ihre Eltern könnten ihre Lage nicht verstehen. Die Klägerin habe den Kontakt zu den Eltern abgebrochen.
Mit Urteil vom 17. Dezember 2010 hat das SG die auf Zahlung einer Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) in Höhe von mindestens 25 vom 100 ab 1. Juli 2004 gerichtete Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt: Auf der Grundlage der medizinischen Befunde lasse sich ein schädigungsbedingter Anteil der psychischen Erkrankung von mindestens 25 vom 100 nicht feststellen. Es fehle bereits an der hinreichenden Abgrenzbarkeit von Vorschaden und schädigungsbedingtem Verschlimmerungsanteil im Sinne der Rechtsprechung des BSG. Es lasse sich nicht konkret feststellen, inwieweit die bestehende Gesundheitsstörung auf das schädigende Ereignis zurückzuführen und daher als Versorgungsgrund anzuerkennen sei. Wie dem Bericht von Dr. F. vom 14. Oktober 2004 zu entnehmen sei, habe bei der Klägerin bereits bei Therapiebeginn im Jahre 2001 eine depressive Störung vorgelegen, die durch das Trauma im Juni 2002 verstärkt worden sei, ohne dass eine psychiatrische Medikation erforderlich gewesen sei. Dieser Arzt habe eingeschätzt, dass nicht die posttraumatische Symptomatik, sondern eine Persönlichkeitsfehlentwicklung die hauptsächliche Störung sei. Die chronischen depressiven Verstimmungen, die angegebene Schmerzsymptomatik sowie die beschriebene Persönlichkeitsfehlentwicklung seien nach dieser ärztlichen Beurteilung nicht auf das Trauma von 2002 zurückzuführen. Im Rahmen der durch Dr. L. im Rentenverfahren im Gutachten vom 13. August 2008 erhobenen Eigenanamnese sei zudem festgestellt worden, dass die Klägerin seit 1997 psychische Probleme gehabt habe. Daher sei im Hinblick auf die Persönlichkeit von einer langjährigen Fehlentwicklung auszugehen. Auf der Grundlage der medizinischen Befunde sei davon auszugehen, dass die Klägerin bereits vor dem schädigenden Ereignis vom 25. Juni 2002 an psychischen Störungen gelitten habe, die einen nicht schädigungsbedingten Behinderungsgrad von 20 bis 30 bedingt hätten. Eine wesentliche Verstärkung des psychischen Leidens mit einem schädigungsbedingten Anteil von 30 vom 1000 sei für die Zeit ab Juli 2004 nicht festzustellen.
Dieses Urteil greift die Klägerin mit der am 17. Januar 2011 vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegten Berufung an und macht weiterhin geltend, Anspruch auf eine Beschädigtenrente nach einem GdS von mindestens 25 vom 100 zu haben. Da der Beklagte seine Zweifel an den Feststellungen im Gutachten des Dr. T. vom 17. November 2006 nicht überzeugend begründet habe, müsse den Einschätzungen des Sachverständigen gefolgt werden. Im Übrigen sei auch keine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Befundbericht des Dipl.-Psych. L. vom 8. Februar 2010 erfolgt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 17. Dezember 2010 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2007 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr ab 1. Juli 2004 eine Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 25 vom 100 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil und seine Bescheide für zutreffend.
Das Gericht hat von Dipl.-Psych. L. einen Befundbericht vom 8. November 2011 eingeholt. Dieser hat über einen Behandlungszeitraum vom 4. Februar 2008 bis 8. November 2011 berichtet und zu den von der Klägerin geklagten Beschwerden angegeben, sie habe Angst, abends allein auf die Straße zu gehen, empfinde in der Straßenbahn erheblichen Druck, Angst und Panikzustände sowie Herzrasen. Sie vermeide größere Menschenmengen und habe immer wieder intensive Angst, dass jemand auf sie zukommt und "sie schnappt". Wenn sie auf der Straße laufe und jemand hinter ihr sei, müssen sie ständig kontrollieren, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Sie zeige ein starkes Vermeidungsverhalten, wenn es um irgendwelche Aspekte der Vergewaltigung geht. Ferner habe sie starke Albträume, die sich auf den maskierten Täter bezögen und mit Schweißausbrüchen sowie plötzlichen Bildern vom Täter mit Maske verbunden seien. Als Diagnosen benannte Dipl.-Psych. L. das Residuum einer unbehandelten posttraumatischen Belastungsstörung infolge einer Vergewaltigung sowie eine Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt mit Zügen einer reaktualisierten posttraumatischen Belastungsstörung vor dem Hintergrund einer abhängigen Neurosenstruktur. Durch eine Konfrontation mit dem Tatort in vivo (außerhalb der Behandlungsstätte, Konfrontationstherapie) sei es aktuell zu einer Verschlechterung mit häufigen Intrusionen gekommen, die für die Klägerin sehr beeindruckend seien. Es handele sich bei der Klägerin um stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Diese äußerten sich vegetativ in Schweißausbrüchen, Herzrasen, Schwindel, Übelkeit bis zum Erbrechen und Beklemmungen in der Brust. Die Klägerin habe immer das Gefühl, sie werde verfolgt, müsse sich ständig umdrehen und kontrollieren, wer hinter ihr läuft. Spontane Treffen mit Freunden seien ihr ohne Begleitung nicht möglich. Sie könne auch nicht bei Dunkelheit allein auf die Straße gehen. Ständig müsse sie aufräumen und putzen. Gegenstände in der Wohnung dürften nicht verändert werden, alles müsse akkurat auf seinen Plätzen sein. Sei das nicht der Fall, fühle sie sich unwohl, werde nervös und unruhig. Auswirkungen der psychischen Störung seien die Vermeidung von großen Menschenansammlungen. Fahrten in vollen Bussen oder Bahnen seien nicht möglich, ebenso keine abendlichen Treffen mit Freunden. Einige Freunde habe sie dadurch verloren. Sie sei auch heute noch nicht in der Lage, bestimmte Geschehnisse aus dieser Nacht zu erzählen. Sie werde seitdem auch von einem immer wiederkehrenden Albtraum verfolgt. Die beschriebenen Symptome (Intrusionen usw.) und auch die jetzige Verschlimmerung seien eindeutig auf die Vergewaltigung zurückzuführen und die wesentliche Bedingung für eine Weiterführung der Heilbehandlung. Einen weiteren Befundbericht hat Dipl.-Psych. L. am 27. November 2013 erstattet und angegeben, mit der Klägerin zwischen 8. November 2011 und 19. Februar 2013 19 Sitzungen durchgeführt zu haben. Nach wie vor leide sie unter häufigen Erinnerungen an die Vergewaltigung mit starken Ekelgefühlen und gelegentlichen unerklärlichen depressiven Einbrüchen, wenn sie mit ähnlichen Situationen oder Personen konfrontiert werde. Die Störungen, die auf die Vergewaltigung zurückzuführen seien, seien gleich geblieben. Die Medikation bestehe in Zymbalta zweimal täglich.
Sodann hat das Gericht ein Sachverständigengutachten des Direktors der Universitätsklinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie M., Prof. Dr. F., vom 28. Februar 2014 mit Zusatzgutachten der Dipl.-Psych. J. Dr. D. vom 4. März 2014 eingeholt. Prof. Dr. F. hat zum psychischen Befund der Klägerin ausgeführt, ihr inhaltliches Denken sei vom Wunsch nach weiterer psychotherapeutischer Behandlung sowie durch die durch die posttraumatische Belastungsstörung entstandenen Defizite im alltäglichen Leben geprägt. Zwangshandlungen bezögen sich auf die korrekte Anordnung und Stellung von Objekten in der Wohnung. Ihre Konzentration und Merkfähigkeit sei unauffällig. Bezüglich des Schlafrhythmus habe die Klägerin angegeben, nicht durchschlafen zu können. Oft wache sie nach Albträumen schweißgebadet auf. Im Laufe des Tages sei sie oft rasch erschöpft, zunehmend schmerzbeeinträchtigt und müsse viele Pausen machen. Im Gespräch sei die Klägerin anfangs zurückhaltend und vorsichtig erschienen, später sei sie mehr zugewandt und zu einer guten Kommunikation fähig gewesen. Im Zusammenhang mit der Erhebung der biografischen Anamnese sei eine stark erhöhte Anspannung und Erregbarkeit beim Bericht des Tathergangs sowie bei der Beschreibung des für die Klägerin notwendigen Vermeidungsverhaltens auffällig gewesen. Der Sachverständige hat folgende Diagnosen benannt: posttraumatische Belastungsstörung (F 42.1), sekundär: Angst und Depression gemischt (F 41.2); chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F 45.41); schädlicher Gebrauch von nicht abhängigkeitserzeugenden Substanzen (Analgetika) F 55.2; psychische und Verhaltensstörungen durch Opioide: Abhängigkeitssyndrom, iatrogen (F 11.2); kombinierte Persönlichkeitsstörung (selbstunsichere, aggressiv gehemmte, abhängige Persönlichkeitsstruktur) F 61.0; Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) mit ISG-Befall (M 45.08); Zustand nach Fraktur 12. Brustwirbelkörper nach Trauma 1987; rezidivierendes Zervikobrachialsyndrom C2-7 rechts M 53.1; rezidivierendes pseudoradikuläres Syndrom L4-S1 beidseits M 47.2; Struma multinodosa E 04.2; Refluxösophagitis (K 21); hypertensive Entgleisung; Zustand nach Arthroskopie linkes Kniegelenk bei retropatellarer Chondromalazie beidseits. Es handele sich bei der angegebenen Symptomatik der Klägerin um eine posttraumatische Belastungsstörung nach Vergewaltigung im Jahre 2002. Hinsichtlich der offiziellen Kriterien zur Diagnosestellung einer solchen Erkrankung seien klinisch alle Kriterien des ICD-10-GM als erfüllt anzusehen. Das C-Kriterium sei erfüllt, da sich ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten bei der Klägerin habe eruieren lassen. Kriterium D beinhalte entweder eine teilweise oder vollständige Amnesie bezüglich wichtiger Aspekte des traumatischen Ereignisses oder eine anhaltende psychische Erregbarkeit. Ersteres habe anamnestisch sowie auch testpsychologisch nicht festgestellt werden können. Zur Beschreibung einer anhaltenden psychischen Erregung seien mindestens zwei Merkmale gefordert, die bei der Klägerin mit vorhandenen Ein- oder Durchschlafstörungen, Reizbarkeit und Wutausbrüchen, Hypervigilanz und Konzentrationsschwierigkeiten erfüllt seien. Das E-Kriterium sei in Anbetracht der Befundberichte von Dr. F. von 2006 und 2010 ebenfalls als erfüllt anzusehen. Die Schmerzsymptomatik sei nicht ausschließlich psychisch bedingt, sondern habe wegen der Erkrankung an Morbus Bechterew und der Wirbelkörperfraktur nach Treppensturz auch somatische Ursachen. Allerdings trügen psychische Faktoren maßgeblich zum Schweregrad, den Exazerbationen und der Aufrechterhaltung der Symptomatik bei. Aktuell sei anamnestisch vom Fortbestehen einer chronischen Schmerzstörung auszugehen. Bei der Schmerzsymptomatik handele es sich insgesamt um eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Hinsichtlich der schmerztherapeutischen Maßnahmen müsse angesichts der hoch dosierten Verschreibung opiathaltiger und nicht opiathaltiger Schmerzmittel von einer psychischen Abhängigkeit ausgegangen werden. Auch scheine die Dosierung der Medikamente in Anbetracht des aktuellen Stadiums der Morbus Bechterew-Erkrankung ungewöhnlich hoch zu sein.
Die bei der Klägerin festgestellte Persönlichkeitsstörung (selbstunsichere, aggressiv gehemmte, abhängige Persönlichkeitsstruktur) sei in Anbetracht der Aktenlage sowie der biografischen Anamnese rückblickend nachvollziehbar. Sie scheine bisher nur konflikthafte Beziehungen eingegangen zu sein. Es scheine trotz häuslicher Gewalt und Unterdrückung eine übergroße Abhängigkeit zur Bezugsperson zu bestehen und dem jeweils aktuellen Lebenspartner bestanden zu haben. Dabei scheine es, dass die Klägerin auch Gewalt und aggressive Ablehnung gegenüber sich selbst lange Zeit passiv toleriert habe. Hinsichtlich der zentralen Frage nach der Abgrenzung der durch die Vergewaltigung entstandenen Schädigungsfolgen zu den bereits vorhandenen psychischen Belastungen der Klägerin sei davon auszugehen, dass das damalige Erleben der Vergewaltigung ursächlich für die aktuelle Symptomatik der Klägerin ist. Ebenso sei deutlich geworden, dass die Klägerin keine Hilfe und Unterstützung benötigen würde, wenn die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht vorhanden bzw. entstanden wären. Nach neueren Studien sei belegt, dass das Risiko der Erkrankung an einer posttraumatischen Belastungsstörung infolge einer durchschnittlichen Vergewaltigung sehr hoch sei und zu 42,9 Prozent zu einem Vollbild dieser Erkrankung führe. Diese Werte gälten gleichwohl für Frauen mit und ohne psychische Vorbelastung. Nach allem liege eine posttraumatische Belastungsstörung vor, die die Kriterien nach ICD-10 GM vollständig erfülle. Im Gegensatz zur prüfärztlichen Stellungnahme vom 29. November 2006 sei nicht lediglich von einer posttraumatischen Belastungsreaktion auszugehen. Soweit darin beschrieben worden sei, dass es sich bei der Vergewaltigung "weder um eine lang andauernde Belastung noch um eine tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende Störung gehandelt habe", sei diese Sichtweise nicht nachzuvollziehen. Aufgrund der Ausprägung der durch die Vergewaltigung entstandenen Funktionseinschränkungen sei unter Berücksichtigung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze von einer stärker behindernden Störung auszugehen. Vorzuschlagen sei daher ein Grad der Schädigungsfolgen von 30 vom 100.
Im Zusatzgutachten hat Dipl.-Psych. J. Dr. D. ausgeführt, dass die Klägerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Diagnosekriterien einer klinisch-relevanten posttraumatischen Belastungsstörung aufweise. Sie erfülle die Kriterien A, B, C, D, E. Die der Belastung zu Grunde liegende Symptomatik entspreche den Diagnosekriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung (Kriterium B), wobei eine sehr starke Symptombelastung in den Bereichen Intrusionen und Hyperarousal bestehe. Sowohl das klinische Interview als auch die testpsychologische Untersuchung hätten bei der Klägerin übereinstimmend eine signifikante posttraumatische Belastung mit pathologischer Symptomschwere indiziert. Dabei sei die berichtete Symptomatik inhaltlich an die vor zwölf Jahren erlebte Vergewaltigung gekoppelt. Es hätten sich zudem keine Hinweise auf Traumatisierungen im Kindes- und Jugendalter gefunden. Die Klägerin habe nur von minimaler peritraumatische Dissoziation während des Traumaherganges berichtet, die sich vor allem auf den Bereich der emotionalen Selbstwahrnehmung und der Zeitwahrnehmung bezogen hätten. Es lägen jedoch keine dissoziativen Amnesien vor. In der Zusammenschau erscheine es deswegen als sehr wahrscheinlich, dass die aktuell vorliegende Belastung auf die Vergewaltigung zurückzuführen ist.
Der Beklagte hat nach Auswertung des Gutachtens mit Stellungnahme vom 22. Juli 2014 an seiner Auffassung festgehalten und erneut vorgetragen, dass anknüpfend an die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil und an die Stellungnahme der Versorgungsärztin vom 14. Juli 2014 weiterhin davon auszugehen sei, dass bei der Klägerin eine Vorschädigung im Sinne einer Persönlichkeitsfehlentwicklung bestanden habe. Bei der auf die Vergewaltigung zurückzuführenden Schädigung handele es sich um eine posttraumatische Belastungsreaktion, die als Schädigungsfolge nach dem OEG zutreffend mit einem GdS von 20 bewertet sei. Es müsse beachtet werden, dass sich aus den Angaben der Klägerin eine Vielzahl von schädigungsfolgenunabhängigen relevanten Belastungen/Veränderungen und Konflikten ergebe (z. B. konfliktbelastete Ehe, Scheidung, Rechtsstreitigkeiten um Unterhaltszahlungen, Missbrauch der Tochter durch deren Vater = damaliger Ehemann der Klägern), die nach der Schädigung aufgetreten seien. Soweit Prof. Dr. F. diesen schädigungsunabhängigen lebensgeschichtlichen Belastungen keine Bedeutung im Rahmen seiner Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung im Vollbild beimisst, sei dies nicht nachvollziehbar. Es sei normal, wenn man sich an eine Schädigung der bei der Klägerin zur Diskussion stehenden Art noch jahrelang erinnert und diese Erinnerung mit einem mehr oder weniger ausgeprägten Unwohlsein verbunden ist. Es könne aber nicht plausibel begründet werden, dass nach diesem Ereignis mit einer Latenz von mehreren Jahren die Bedeutung einer wesentlichen Ursache für die jetzt festgestellte Beschwerdeausprägung zukommt. Die Versorgungsärztin S.-S. hat mit Stellungnahme vom 14. Juli 2014 ausgeführt, dass nach den Befunden und Gutachten bis 2010 stets nur von einer Teilsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen sei. Im Januar 2014 sei nun das Vollbild einer Erkrankung dokumentiert worden. Dies sei allerdings sei zweifelhaft, da sich die Beurteilung der Erkrankung im Vollbild wesentlich auf die Angaben der Klägerin bei der Anamneseerhebung stütze. Solche Angaben entzögen sich einer Objektivierung, ebenso die testpsychologischen Befunde, die die Selbsteinschätzung der Klägerin spiegelten. Nicht unerwähnt bleiben dürfe, dass die Klägerin in einer mehr als 150 Stunden umfassenden Psychotherapie Gelegenheit gehabt habe, alle Aspekte der posttraumatischen Belastungsstörung ausführlich zu diskutieren und zu verinnerlichen. Eine Verschlechterung nach 2010 infolge der geltend gemachten Vergewaltigung sei schon allein aufgrund des großen Zeitabstandes von acht Jahren oder länger nicht mehr plausibel, zumal in der Zwischenzeit weitere Belastungen hinzugetreten seien. Diese seien jedoch von Prof. Dr. F. völlig außer Acht gelassen worden, weil die Klägerin, ebenfalls in einem Selbsteinschätzungsfragebogen, die geltend gemachte Vergewaltigung als schlimmstes Lebensereignis eingestuft habe.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Des Weiteren haben die Schwerbehindertenakte und ein Auszug aus dem medizinischen Beiheft aus der Rentenakte des Rentenversicherungsträgers vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt dieser Akten ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 1 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]). Diese hat Anspruch auf eine Beschädigtenrente nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i. V. mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der Folgen einer Vergewaltigung im Jahre 2002.
Streitbefangen ist die Frage, ob und in welcher Höhe der Klägerin eine Beschädigtenrente ab 1. Juli 2004 zusteht.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält auf Antrag wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG Versorgung, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Dabei genügt gemäß §§ 1 Abs. 1 OEG, 1 Abs. 3 BVG zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung oder einer Verschlimmerung einer anerkannten Schädigungsfolge die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, die dann gegeben ist, wenn mehr für als gegen den Zusammenhang spricht, d.h. wenn die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens deutlich überwiegen. Dagegen müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen wie "schädigender Vorgang" einschließlich der Rechtswidrigkeit des Angriffs, "gesundheitliche Schädigung", "gesundheitliche bzw. wirtschaftliche Folgen" selbst erwiesen sein, wofür eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit genügen kann, die ernste, vernünftige Zweifel ausschließt. Der GdS ist nach § 30 Abs. 1 BVG nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen sind. Maßgebend ist, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Schädigungsfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt ist. Dabei werden vorübergehende Gesundheitsstörungen allerdings nicht berücksichtigt. Im Interesse einer einheitlichen und gleichmäßigen Behandlung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aufgrund der Ermächtigung in §§ 69 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX), § 1 Abs. 1 KOVVfG, 30 Abs. 16 BVG nach § 2 Satz 1 Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (VersMedV, BGBl. I S. 2412) in den "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen", Ausgabe 2008 (Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008) die Grundsätze für die medizinische Bewertung des GdS festgelegt, die fortlaufend auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft fortentwickelt werden (§ 2 Satz 2 VersMedV). Die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" ersetzen die bis zum 31.12.2008 anzuwendenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (letzte Ausgabe 2008) und stellen eine verbindliche Rechtsquelle für die Feststellung einer Schädigungsfolge und des GdS dar (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.2009, A.: B 9 SB 4/08 R, juris).
In Anwendung dieser Grundsätze war zunächst davon auszugehen, dass die Klägerin am 25. Juni 2002 Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist. Diese Feststellung hat das SG H. mit rechtskräftigem Feststellungsurteil vom 10. Oktober 2005 für beide Beteiligten mit bindender Wirkung getroffen. Gemäß § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Der Senat ist deshalb an das Urteil des SG gebunden, soweit er den Streitgegenstand des damaligen Prozesses im Rahmen seiner eigenen Entscheidung erneut zu prüfen hat (Präjudizialität, vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2008, XII ZR 216/05, NJW 2008, S. 1227; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, Rn. 6d zu § 141). Hieran ändert es nichts, dass das BSG mit Urteil vom 16. Dezember 2014 (B 9 V 1/13 R, juris) entschieden hat, die isolierte Feststellung, ob eine Person Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist, sei unzulässig. Denn auch unrichtige Urteile erwachsen in materielle Rechtskraft; lediglich nichtige und Scheinurteile entfalten keine Wirkungen (Keller, a.a.O., Rn. 3 und 5 zu § 141 m.w.N.).
Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen steht auch fest, dass die Klägerin infolge der Vergewaltigung eine gesundheitliche Schädigung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung erlitten hat. Der Senat folgt insoweit zunächst dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. F. vom 28. Februar 2014, wonach die Klägerin unter einer posttraumatischen Belastungsstörung infolge der damaligen Vergewaltigung leidet. Wie der Sachverständige anhand eigener Untersuchung mit überzeugender Begründung festgestellt hat, kann sich die Klägerin bei Dunkelheit nicht allein außerhalb der Wohnung aufhalten und leitet auch generell unter der Angst, sie könnte verfolgt und bedroht werden. Die entsprechenden Symptome hat der Sachverständige nicht nur aufgrund eigener Untersuchung und der anamnestischen Angaben der Klägerin festgestellt, sondern sich hierbei auch auf die Feststellungen anderer Ärzte gestützt. Bereits im Befundbericht vom 18. Januar 2006 hat Dr. F. angegeben, bei der Klägerin im Juni 2002 im Anschluss an "das bekannte Trauma" eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt zu haben. Auch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. B. hat in ihrem Befundbericht vom 6. Juli 2006 angegeben, das Leben der Klägerin habe sich infolge der Vergewaltigung stark verändert. Sie sei sehr ängstlich geworden, gehe abends nicht mehr weg, leide tagsüber unter Verfolgungsängsten und sehe sich auf der Straße öfter um und schaue, ob jemand hinter ihr geht. Auch der vom Beklagten mit einem Gutachten beauftragte Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. T. hat am 17. November 2006 eine "länger dauernde posttraumatische Belastungsstörung nach Vergewaltigung 2002" festgestellt. Dipl.-Psych. L. hat schließlich in seinem Befundbericht vom 8. November 2011 über den Behandlungszeitraum vom 4. Februar 2008 bis 8. November 2011 vom "Residuum einer unbehandelten posttraumatischen Belastungsstörung infolge einer Vergewaltigung" gesprochen, so dass unter Berücksichtigung dieser älteren Befunde und der aktuellen Untersuchung und Diagnose durch Prof. Dr. F. die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung als gesichert angesehen werden muss. Diese Feststellung steht auch in Einklang mit der Klassifikation nach Abschnitt F43.1 ICD - 10 (Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - 10. Revision, German Modification Version 2005), wonach eine posttraumatische Belastungsstörung wie folgt beschrieben wird: "Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über."
Diese Merkmale, insbesondere vegetative Übererregbarkeit, übermäßige Schreckhaftigkeit, Angst, Depression und Schlafstörungen (Albträume) wurden bei der Klägerin mit Bezug zum damaligen Trauma festgestellt und unterstreichen das Vorhandensein einer posttraumatischen Belastungsstörung mit chronischem Verlauf. Angesichts der Fülle der entsprechenden ärztlichen Feststellungen dringt der Beklagte mit seiner Bewertung der vorhandenen Unterlagen, es sei lediglich eine posttraumatische Belastungsreaktion aufgetreten, nicht durch.
Der Klägerin steht auch gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i.V. mit §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 1 BVG eine Grundrente nach einem GdS von 30 zu. Der GdS ist – wie bereits ausgeführt (S. 23 f.) – nach § 30 Abs. 1 BVG nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen sind. Ihr Leidenszustand ist ab Antragstellung am 1. Juli 2004 mit einem GdS von 30 zu bewerten. Dafür sind folgende Erwägungen maßgebend:
Bei der entschädigungsrechtlichen Bewertung von traumatischen Ereignissen finden die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 1996" (AHP 1996) ebenso wie die nach den 2004 und 2008 herausgegebenen Neufassungen Anwendung. Diese gelten auch nach Einführung der VersMedV ab dem 1. Januar 2009 noch fort. Hiernach ist entsprechend den Festlegungen in Ziff. 71 der AHP 1996 (S. 251 ff.); AHP 2004/2008 (S. 205 ff.) von Folgendem auszugehen:
(1) Durch psychische Traumen bedingte Störungen kommen sowohl nach langdauernden psychischen Belastungen (z.B. in Kriegsgefangenschaft, in rechtsstaatwidriger Haft in der DDR) als auch nach relativ kurz dauernden Belastungen (z. B. Bei Geiselnahme, Vergewaltigung) in Betracht, sofern die Belastungen ausgeprägt und mit dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren. Bei der Würdigung der Art und des Umfangs der Belastungen ist also nicht nur zu beachten, was der Betroffene erlebt hat, sondern auch, wie sich die Belastungen bei ihm nach seiner individuellen Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit ausgewirkt haben. Die Störungen sind nach ihrer Art, Ausprägung, Auswirkung und Dauer verschieden: Sie können kurzfristigen reaktiven Störungen mit krankheitswertigen (häufig depressiven) Beschwerden entsprechen; bei einer Dauer von mehreren Monaten bis zu ein bis zwei Jahren sind sie in der Regel durch typische Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung charakterisiert, ohne diagnostisch auf diese begrenzt zu sein; sie treten gelegentlich auch nach einer Latenzzeit auf. Anhaltend kann sich eine Chronifizierung der vorgenannten Störungen oder eine Persönlichkeitsveränderung (früher: erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel) mit Misstrauen, Rückzug, Motivationsverlust, Gefühl der Leere und Entfremdung ergeben. Anhaltende Störungen setzen tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende und in der Regel langdauernde Belastungen voraus.
(2) Bei länger anhaltenden Störungen und chronisch verlaufenden (auch "neurotisch" genannten) Entwicklungen ist zu prüfen, ob die Schädigungsfaktoren fortwirken oder schädigungsunabhängige Faktoren für die Chronifizierung verantwortlich sind ("Verschiebung der Wesensgrundlage" [ ]). Gleiches gilt für psychogene Symptomverstärkungen oder Symptomfixierungen, die im Gefolge schädigungsbedingter organischer Gesundheitsstörungen auftreten.
(3) Auch die Auswirkungen psychischer Traumen im Kindesalter (z. B. Sexueller Missbrauch, häufige Misshandlungen) sind nach Art und Intensität sehr unterschiedlich. Sie können ebenso zu Neurosen ( ) wie zu vorübergehenden oder chronifizierte Reaktionen ( ) führen.
In Anwendung dieser Grundsätze ist festzustellen, dass die chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung der Klägerin nach den AHP 1996 Ziff. 26.3 S. 60 f., (AHP 2004/2008 S. 48, VMG Teil B Nr. 3.7) zu den "Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen" zu zählen ist, die mit stärker behindernden Störungen in Form einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einhergeht, wofür ein GdS-Rahme von 30 bis 40 eröffnet ist, der hier aber nicht ausgeschöpft werden kann. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Der beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales gebildete "Ärztliche Sachverständigenbeirat Medizin" hat 1998 (Beiratssitzung vom 18./19.03.1998) Abgrenzungskriterien für die gutachtliche Beurteilung sozialer Anpassungsschwierigkeiten definiert:
"Leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen z.B. vor, wenn die Berufstätigkeit trotz Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich ist. Eine wesentliche Beeinträchtigung der familiären Situation oder bei Freundschaften ist nicht erforderlich. Eine mittelgradige Anpassungsschwierigkeit ist dann gegeben, wenn in den meisten Berufen auswirkende psychische Veränderungen vorliegen, die zwar weitere Tätigkeiten grundsätzlich noch erlauben, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingen und eine Gefährdung der beruflichen Tätigkeit einschließt. Außerdem liegt eine mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeit vor, wenn erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung bestehen. Erforderlich ist aber noch keine Isolierung und noch kein sozialer Rückzug in einem solchen Umfang, der z.B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte. Eine schwere soziale Anpassungsschwierigkeit ist dann anzunehmen, wenn eine weitere berufliche Tätigkeit stark gefährdet oder ausgeschlossen ist, außerdem bei schwerwiegenden Problemen in der Familie oder im Freundes- bzw. Bekanntenkreis bis zur Trennung von der Familie, vom Partner oder Bekanntenkreis."
Die Klägerin wird im Wesentlichen durch ihr Vermeidungsverhalten beeinträchtigt, abends und bei Dunkelheit das Haus nicht allein verlassen zu können und auch durch ihre Angst, sie könnte verfolgt werden, wenn Menschen hinter ihr gehen. Sie ist aber in der Familie und im Freundeskreis noch weitgehend integriert und hat keinen nennenswerten Kontaktverlust erlitten. Daher ist es gerechtfertigt, ihre Beeinträchtigungen zwar als stärker behindernde Störung, aber noch als leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten im vorgenannten Sinne zu qualifizieren, sodass ein GdS von 30 festgestellt werden kann. Für ein Ausschöpfen des Bewertungsrahmens mit einem GdS von 40 liegen aber keine zureichenden Gründe vor, erst recht keine Hinweise darauf, dass das Ausmaß der Störungen bereits zu mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten (GdS 50 bis 70) geführt hat. Der Senat stützt sich bei seiner Bewertung nicht nur auf das Gutachten von Prof. Dr. F., sondern auch auf die Feststellungen der behandelnden Ärzte (z. B. Dipl.-Psych. B. im Befundbericht vom 6. Juli 2006), die hiermit in Einklang stehende Beeinträchtigungen (Verfolgungsängste, Klägerin gehe abends nicht mehr weg) angegeben haben.
Diese Bewertung steht auch nicht im Widerspruch zu der Tatsache, dass bei der Klägerin zum Zeitpunkt der Vergewaltigung bereits eine seelische Erkrankung bestanden hat. Es kann offen bleiben, ob es sich dabei um eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (Dr. T.; Prof. Dr. F.), infantil-abhängige Persönlichkeitsstruktur mit depressiver und Angstsymptomatik (Dr. L.) oder Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt (Dipl.-Psych. L.) handelt. Denn alle Ärzte und Psychologen stimmen darin überein, dass bei der Klägerin jedenfalls auch eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge des Traumas im Jahre 2002 eingetreten ist, die zu anderen Erkrankungen hinzugetreten und &8722; für sich genommen &8722; mit einem GdS von 30 zu bewerten ist. Vor diesem Hintergrund des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Trauma, Schädigung und Ausmaß der Schädigung bestehen an dem rentenberechtigendem Grad der Schädigung keine ernstlichen Zweifel, sodass die Frage, ob die Klägerin durch weitere schädigungsunabhängige seelische und somatische Erkrankungen noch stärker beeinträchtigt ist, für die Bewertung nach dem OEG nicht bedeutsam ist.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 1. Juli 2004 eine Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 30 vom Hundert zu zahlen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG).
Die am ... 1966 geborene Klägerin beantragte bei dem Beklagten am 14. Juli 2004 die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, am 25. Juni 2002 um 1:00 Uhr Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein. Auf dem Weg nachhause nach einem Besuch bei einem Freund habe ein maskierter Mann sie in ein Gebüsch gezogen, an einen Baum gedrückt und sei anal in sie eingedrungen. Nach der Tat habe er von ihr abgelassen und sei verschwunden. Sie sei nachhause gegangen und habe sich geduscht, um alles weg zu waschen. Am Morgen habe sie dann ihre Frauenärztin aufgesucht, die die Polizei verständigt habe. Das Strafverfahren sei eingestellt worden, da der Täter bei der Tat maskiert gewesen sei und sie ihn nicht habe identifizieren können. Seit der Tat könne sie Alltagssituationen schlechter bewältigen als früher. Sie sei in psychiatrischer Behandlung und habe die Tat bis heute nicht verarbeitet.
Der Beklagte zog zunächst die Schwerbehindertenakte der Klägerin mit dem Bescheid vom 4. Januar 2001 bei, mit dem bei der Klägerin ein Grad der Behinderung von 40 und eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit festgestellt und folgende Behinderungen bezeichnet worden waren: Wirbelsäulenschaden mit zervikalem, thorakalem und lumbalem Wirbelsäulensyndrom, Bandscheibenschaden, Osteoporose; Kreislaufstörungen bei Hypotonie; Magen- und Speiseröhrenfunktionsstörungen bei Ösophagusentzündung. Des Weiteren holte der Beklagte von der Frauenärztin Dipl.-Med. B. einen Befundbericht vom 23. August 2004 ein, die angab, die Klägerin habe sich bei ihr am 25. Juni 2002 wegen einer Vergewaltigung zur Untersuchung vorgestellt. Es seien aber keine Verletzungen festzustellen gewesen. Es seien verschiedene Abstriche entnommen und von der Polizei zur Spurensicherung mitgenommen worden; man habe sie über das Ergebnis nicht unterrichtet. Einen weiteren Befundbericht holte der Beklagte von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. F. vom 14. Oktober 2004 ein. Dieser gab an, die Klägerin seit Mai 2001 wegen Dysthymie (depressive Verstimmung), Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung und somatoforme Schmerzstörung zu behandeln. Die Beschwerden der Klägerin hätten anamnestisch während der zweiten Ehe vor zehn etwa Jahren begonnen. Seitdem habe sie vor allem im Wirbelsäulenbereich ständig Schmerzen. Die zweite Ehe sei seit 1997 geschieden. Diesen zweiten (letzten) Ehemann habe sie wegen Handgreiflichkeiten, auch gegen die Kinder, angezeigt. Im Sommer 1997 habe er sie bei einem Angelausflug vor den Augen der drei Kinder sogar mit einem Messer bedroht. Das könne sie ihm bis heute nicht verzeihen. Manchmal wache sie in der Nacht auf. Sie sei schnell reizbar und wütend, die Stimmungslage sei wechselnd und gedrückt. Zur Beurteilung der gesundheitlichen Situation der Klägerin gab Dr. F. an, es habe sich bei Therapiebeginn 2001 zunächst um eine bereits länger bestehende depressive Störung gehandelt. Für diese seien die erwähnten traumatischen Ereignisse in ihrer Biografie sowie ihre unzureichenden Fähigkeiten im Umgang mit Konflikten und sozialen Problemen ursächlich gewesen. Die geschilderte Schmerzsymptomatik sei auf ein multifaktorielles Geschehen, bestehend aus nachgewiesenen organischen Schäden an der Wirbelsäule und psychisch bedingter Schmerzverstärkung zurückzuführen. Differenzialdiagnostisch käme auch eine sog. somatoforme Schmerzstörung infrage. Die psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung habe zwischenzeitlich Fortschritte erkennen lassen. Die Stimmung sei gebessert worden, die Schmerzsymptome reduziert. Die Klägerin sei etwas selbstsicherer geworden und habe eine Verbesserung ihrer sozialen Kompetenzen sowie einen konstruktiveren Umgang mit den negativen Erinnerungen erreicht. Die angebotene Medikation habe sie aber nie toleriert. Im Juni 2002 habe die Klägerin jedoch ein erhebliches Trauma erlitten, als sie offenbar nachts in einer Grünanlage vergewaltigt worden sei. Für die Folgezeit müsse deswegen eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert werden, da sie ständig unter den wiederkehrenden Erinnerungen leide. Dies habe sie im therapeutischen Prozess zurückgeworfen, die depressive Symptomatik und die Schmerzen hätten sich wieder verstärkt. Nach Beiziehung und Auswertung der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft H. (Aktenzeichen ... ) lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 14. Februar 2005 ab, da hinsichtlich des Tatgeschehens eine objektive Beweislosigkeit bestehe. Eine vorsätzliche rechtswidrige Gewalttat sei nicht nachgewiesen und nach Lage der Dinge auch nicht nachweisbar. Nach dem Inhalt der Ermittlungsakten habe sich die Klägerin nach ihren Angaben am 25. Juni 2002 gegen 1:00 Uhr auf dem Heimweg von ihrem Freund befunden und sei in H.-N. von einem unbekannten Mann mit Gewalt ins Gebüsch gezogen worden. Dieser maskierte Mann habe sie bedroht und sie gezwungen, sich zu entkleiden. Anschließend habe er mit ihr gewaltsamen Analverkehr durchgeführt. Die Untersuchung bei der Frauenärztin habe aber trotz des geschilderten gewaltsamen Vorgehens keine Verletzungsfolgen im Analbereich ergeben. Die Klägerin sei bei den polizeilichen Vernehmungen nicht bereit gewesen, den Namen des Freundes, bei dem sie sich vor dem schädigenden Ereignis aufgehalten habe, zu nennen. Sie habe sogar mit der Rücknahme der Anzeige gedroht, falls sie gezwungen werde, den Namen des Freundes zu nennen. In einer weiteren Vernehmung am 27. Juni 2002 habe sie dann ausgesagt, sie sei nicht von ihrem Freund, sondern nur von einem Kumpel gekommen. Insgesamt seien die Aussagen bei der Polizei widersprüchlich gewesen. Zeugen für das schädigende Ereignis am 25. Juni 2002 habe es auch nicht gegeben. Eine objektive Beweislosigkeit sei danach anzunehmen.
Der hiergegen gerichtete Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Im Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2005 gab der Beklagte zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung an, auch bei Anwendung der Beweiserleichterung im Sinne der Glaubhaftmachung der Aussagen nach § 6 Abs. 3 OEG i.V. mit § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) seien die Voraussetzungen bei der gegebenen Sachlage nicht erfüllt. Nach § 15 KOVVfG sei die Glaubhaftmachung von Tatsachen möglich, wenn nach den Umständen die Überzeugung der Behörde zu gewinnen ist, dass die Angaben des Antragstellers den Tatsachen entsprechen. Die Angaben der Klägerin seien jedoch nur allgemein gehalten und nicht überzeugend. Unverständlicherweise sei sie stets darauf bedacht gewesen, dass niemand etwas von der Tat erfahre. In der Gesamtschau der Umstände erfüllten die Aussagen der Klägerin nicht die strengen Anforderungen an eine Glaubhaftmachung von Tatsachen.
Auf die hiergegen gerichtete Klage der Klägerin vom 22. Juni 2005 vor dem Sozialgericht (SG) H. hat das SG in der mündlichen Verhandlung am 10. Oktober 2005 die folgende Erklärung der Vertreterin des Beklagten zu Protokoll genommen: "der Beklagte verpflichtet sich für den Fall, dass rechtskräftig festgestellt wird, dass die Klägerin am 25. Juni 2002 gegen 1:00 Uhr in H.-N. Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffs im Sinne des OEG geworden ist, nach dem OEG die Feststellungen zur Schädigungsfolge und der sich daraus ergebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit festzustellen". Mit Urteil vom 10. Oktober 2005 hat das SG sodann den Bescheid des Beklagten vom 14. Februar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2005 aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin am 25. Juni 2002 gegen 1:00 Uhr in H.-N. Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG geworden ist.
In Ausführung des Urteils vom 10. Oktober 2005 nahm der Beklagte medizinische Ermittlungen zu den schädigungsbedingten Folgen auf und holte zunächst einen Befundbericht von Dr. F. vom 18. Januar 2006 ein. Dr. F. gab an, seine im letzten Befundbericht getroffenen Aussagen über die bestehenden psychischen Störungen bei der Klägerin träfen weiterhin zu. Er habe die posttraumatische Belastungsstörung im Anschluss an das bekannte Trauma der Klägerin im Juni 2002 festgestellt und im Wesentlichen versucht, die Klägerin zu stützen und den Einfluss der psychischen Beeinträchtigungen, die durch die Vergewaltigung aufgetreten gewesen seien, im Alltag zurückzudrängen. Die Klägerin habe in den Folgemonaten jedoch immer wieder von Bildern von diesem Ereignis in ihrem Kopf berichtet, die ihre Lebensqualität beeinträchtigten. Ihr Zustand habe sich bezüglich der Belastungsstörung in den Jahren 2004/2005 durchaus gebessert. Sie habe immer weniger von Beeinträchtigungen berichtet. Im Vordergrund der Probleme hätten erhebliche Defizite bei der Bewältigung zwischenmenschlicher Konflikte gestanden. So sei auch ihre letzte Beziehung zum Kindesvater des jüngsten Kindes gescheitert. Im Zusammenhang mit der Trennung seien erneut depressive Symptome aufgetreten. In der letzten Sitzung im November 2005 habe sie dann auch von wiederkehrenden Bildern des dramatischen Ereignisses aus dem Jahre 2002 berichtet. Insofern liege die posttraumatische Belastungsstörung aktuell noch vor. Diese sei aber nicht die vorherrschende Störung bei der Klägerin. Es handele sich bei ihr um eine Persönlichkeit mit selbstunsicheren, dependenten (abhängigen), zum Teil histrionischen (übertriebene Emotionalität, übermäßiges Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Bestätigung, Anerkennung und Lob) und vor allem unreifen Zügen. Die Therapie sei vor allem durch die geringe Introspektionsfähigkeit der Klägerin erschwert worden. Aus orthopädischer Sicht leide sie weiterhin unter einem Morbus Bechterew, der offenbar einen großen Einfluss auf das berichtete Schmerzniveau habe. Die chronischen depressiven Verstimmungen, die angegebene Schmerzsymptomatik sowie die beschriebene Persönlichkeitsfehlentwicklung seien nicht auf das Trauma 2002 zurückzuführen. Psychiatrische Medikamente nehme die Klägerin aktuell nicht ein.
Sodann holte der Beklagte von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. B. einen Befundbericht vom 6. Juli 2006 ein, wonach sich das Leben der Klägerin nach eigenen Angaben infolge der Vergewaltigung sehr geändert habe. Sie kommen mit Stresssituationen nicht mehr klar, fühle sich schnell überfordert, kriege schnell Druck, kriege dass "einfach nicht mehr gebacken". Sie sei sehr ängstlich geworden, gehe abends nicht mehr weg, tagsüber leide sie unter Verfolgungsängsten, auf der Straße drehe sie sich öfter um und gucke, ob jemand hinter ihr geht. Sie habe Probleme im Sexualbereich, Probleme mit dem Partner, habe Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, den sie nach Möglichkeit vermeide. Unmittelbar nach der Tat sei sie nur deshalb zur Frauenärztin gegangen, weil sie Angst vor einer Schwangerschaft und vor Krankheiten gehabt habe. Aus Scham habe sie das Ereignis damals gar nicht melden wollen. Die Gynäkologin habe dann die Polizei gerufen, die alles aufgenommen habe. Vorher sei sie noch zu ihrem damaligen Therapeuten Dr. F. gegangen, bei dem sie auch schon vor der Tat in Behandlung gewesen sei. Später habe sie versucht, das Geschehen zu verdrängen, was ihr auch ganz gut gelungen sei. Sie habe einen neuen Partner gefunden, von dem sie schwanger geworden sei. Ihr viertes Kind, eine Tochter, sei am ... 2003 geboren worden. Nach der Geburt der Tochter hätten die Grübeleien angefangen. Als die Tochter dann in die Kindereinrichtung gekommen und sie nicht mehr so viel mit der Kinderbetreuung beschäftigt gewesen sei, habe die Symptomatik zugenommen. Wenn sie z. B. im Fernsehen ähnliche Situationen sehe, komme die Tat hoch, als ob es gestern gewesen sei. Sie sei dann aufgewühlt, bekomme Beklemmungen in der Brust, könne nicht richtig atmen, kriege Angst, Wut, Hass, Herzrasen, Zittern, sie "kippe dann komplett ab". Vor kurzem sei es so schlimm gewesen, dass sie plötzlich nichts mehr habe hören können, es sei ein Gefühl gewesen, als habe sie einen Pfropfen im Ohr, der HNO-Arzt habe einen Hörsturz diagnostiziert. Sie habe Prednisolon und Trental einnehmen und sich täglich in der Arztpraxis vorstellen müssen. Seitdem leide sie zusätzlich unter Ohrgeräuschen, die besonders in der Nacht sehr störend seien. Sie leide auch unter Einschlafstörungen und Grübeleien, habe immer Angst, dass der Ehemann Sex von ihr erwartet. Immer wieder erlebe sie auch den gleichen Traum, es sei ein riesiges Haus, wie ein Schloss oder ein Turm, alles sei dunkel, sie gehe da rein, falle runter in ein Loch, wache dann auf, weil sie mit den Beinen anfange zu treten, um sich abzufangen oder rauszukommen aus dem Loch. Zeitweise leide sie regelrecht unter Todesängsten. Sie habe nach der Schule eine Lehre als Friseurin abgeschlossen, das sei ihr Traumberuf gewesen. Sie könne diesen Beruf jedoch wegen der Bechterew`schen Krankheit nicht mehr ausüben, da sie nicht lange im Stehen arbeiten könne. Sie beziehe deshalb eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Bis 1991 habe sie mit Unterbrechungen durch die Geburt dreier Kinder im Januar 1986, Januar 1987 und November 1989 als Friseurin gearbeitet. Sie habe mit 19 Jahren geheiratet und sei zu ihrem Mann aufs Dorf gezogen, mit dem sie 4 bis 5 Jahre zusammen gewesen sei. Dann habe sie sich scheiden lassen, weil die Partnerschaft nicht harmoniert habe, sie habe nicht auf dem Dorf leben wollen, er nicht in der Stadt. Später habe sie den Vater ihres dritten Kindes kennen gelernt, der noch ein eigenes Kind gewollt habe und ihr als der ideale Mann für das weitere Leben erschienen sei. Bis zum Tag der Hochzeit sei alles gut gegangen, dann habe die Hölle angefangen. Er habe sich als ganz anderer Mensch entpuppt, wegen Skrupel vor einer erneuten Scheidung sei sie aber zwölf Jahre mit ihm zusammen gewesen. Er habe sie geschlagen, sei handgreiflich und zudringlich geworden, es habe schlimme Szenen gegeben. Er habe ihren Willen völlig missachtet und sei häufig gewalttätig geworden. Die Scheidung sei schmutzig verlaufen, was sie dann zu Dr. F. in die Therapie gebracht habe. Seit vier Jahren lebe sie in einer neuen Partnerschaft mit dem Vater ihres vierten Kindes, diesmal sei sie nicht verheiratet, die Beziehung sei gut. Zu ihren Erkrankungen habe die Klägerin anamnestisch angegeben, unter Magenproblemen zu leiden, die Speiseröhre sei völlig entzündet, Sie habe schon zwei Magenspiegelungen hinter sich, diese Symptomatik bestehe bereits seit dem 15. Lebensjahr. Außerdem leide sie ständig unter Rückenschmerzen, Osteoporose schon seit einem jüngeren Lebensalter, sie habe auch einen Bandscheibenvorfall im unteren Wirbelsäulenbereich und einen Wirbelbruch im Bereich der Lendenwirbelsäule nach einem Sturz. Die Schmerzen und Bewegungseinschränkungen sehe man ihr nicht an, deshalb fühle sie sich häufig ungerecht beurteilt. Sie nehme ständig Schmerzmittel. Weiter gab Dipl.-Med. B. an, bei der neurologischen Untersuchung der sehr zierlichen und untergewichtigen Patientin keinen pathologischen Befund erhoben zu haben. Der Beschwerde- und Verhaltensfragebogen nach Hoeck und Hess habe Hinweise auf eine neurotische Entwicklung erbracht. Erforderlich sei eine Beurteilung durch einen psychotherapeutisch-psychodynamisch ausgebildeten Kollegen, möglicherweise auch noch eine umfassendere Persönlichkeitsdiagnostik. Im Anschluss an diesen Befundbericht erklärte es MR Dr. H. vom versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten für erforderlich, die Schädigungen von den Nichtschädigungsfolgen abzugrenzen und die Situation vor dem Ereignis 2002 möglichst umfassend aufzuklären.
Sodann holte der Beklagte von dem Arzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie/Psychoanalyse, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Dr. T., ein nervenärztlich-psychotherapeutisches Fachgutachten vom 17. November 2006 ein. Dieser teilte zu den anamnestischen Angaben der Klägerin mit, sie lebe seit vier Jahren mit ihrem Freund zusammen. Seit der Schwangerschaft drücke sie sich vor normaler Sexualität, empfinde schon Berührungen als bedrängend, weil sie dann befürchte, dass es zur Sexualität kommen könnte und dass es dabei auch zum Analverkehr komme. Manchmal habe sie das Gefühl, es laufe jemand hinter ihr her. Das mache sie wahnsinnig. Sie gehe aber am Tage allein aus der Wohnung, mache ihre Einkäufe. Zum Sexualleben habe die Klägerin mitgeteilt, vor der Schwangerschaft fast jeden Tag sexuell mit dem Partner zusammen gewesen zu sein, weil beide das so gewollt hätten. Nach der Schwangerschaft seien die sexuellen Kontakte seltener geworden, dass sei bis heute so. Sie liebe ihren Partner, Trennungsabsichten bestünden nicht. Seit der Vergewaltigung achte sie auf unauffälligere Kleidung und schminke sich dezenter. Kontakte zu alten Bekannten bestünden noch so wie früher. Gegenüber neuen Bekanntschaften sei sie misstrauischer als früher, nicht mehr so vorbehaltlos und überlege sich genauer, was sie sage. Sie gehe aber den Menschen nicht aus dem Weg. Immer wieder habe sie zwei Albträume: "ich werde im Schlaf munter, habe das Gefühl, ohne Boden in ein schwarzes Loch zu fallen. Dann sitze ich im Bett, habe Angst und bin schweißgebadet bzw. ich sehe im Traum einen großen schwarzen Turm, habe Angst und werde dabei munter. Solche Träume habe ich manchmal mehrfach in der Woche zwei bis dreimal pro Monat. Die Träume sind immer gleich geblieben. Wenn ich allein zuhause bin, dann heule ich mitunter los, lasse die Anspannung ganz heraus. Die Anspannung über die Vergewaltigung, über die ständigen Schmerzen, über das schlechte Behandeltwerden, die Schläge von meinem früheren Mann." Insgesamt habe sie sich dank der Behandlung bei Dr. F. aber besser im Griff. Den Antrag auf Beschädigtenversorgung habe sie vor zwei Jahren gestellt, dabei aber Angst gehabt, dass alles wieder aufgewühlt werde. Auf die Frage, warum sie diesen Antrag so spät gestellt habe, habe die Klägerin keine konkrete Antwort gegeben. Bei Gesprächen mit dem Partner sei die Vergewaltigung nur selten ein Thema. Sie leide immer wieder unter starken Rückenschmerzen, die sich vor allem beim Sitzen und Stehen entwickelten und unter seelischer Anspannung heftiger würden. Mitunter könnte sie wahnsinnig werden, wenn sie sich zum Beispiel an die alten Konflikte mit ihrem Ex-Mann erinnere oder wenn es zu sexuellen Problemen mit dem jetzigen Mann komme. Dann, wenn sie sich klarmache, dass sie abends nicht allein das Haus verlassen könne. Sie habe ihre Freiheit verloren. Die Arbeit im Haushalt erledige sie ohne schwere Arbeiten. Sie teile sich alles ein. Sauberkeit sei ihr wichtig und sporne sie immer wieder an. Sie sei schon früher ein Ordnung liebendes Kind gewesen. Sie habe viele persönliche Kontakte, die sie aber in Begleitung aufsuche. Um eine Psychotherapie habe sie sich jetzt nicht mehr bemüht, das solle das Landesverwaltungsamt übernehmen. Zum psychischen Untersuchungsbefund gab Dr. T. an, die Klägerin sei in allen Bereichen vollkommen orientiert und bewusstseinsklar. Es bestehe kein Anhalt für psychotische Wahrnehmungs-, Antriebs-, Affekt-, Gemüts- und Denkstörungen sowie kein Hinweis auf hirnorganisch bedingte mnestische und kognitive Leistungsstörungen. Sie sei affektiv gut schwingungsfähig, freundlich und sich bereitwillig mitteilend. Mitunter habe sie sich in der Schilderung von Nebensächlichkeiten verloren und sich an Daten nicht korrekt erinnert. Hinsichtlich der eigenen Lebensgeschichte seien die Mitteilungen eher undifferenziert und wenig kritisch gewesen. Insgesamt habe sich bei ihr eine eher abhängige Beziehungsgestaltung angedeutet. In der Untersuchungssituation sei sie nicht krankheitswertig depressiv oder angstvoll erschienen. Bei der testpsychologischen Diagnostik seien überdurchschnittliche Werte hinsichtlich "wenig leistungsorientiert/wenig ehrgeizig konkurrierend", "Empfindlichkeit/Erregbarkeit", "psychosomatische Störungen", "gesundheitlich unbekümmert/robust" sowie wenig überdurchschnittliche Werte hinsichtlich "Zurückhaltung", "emotionale Labilität", "Selbstbezogenheit" gemessen worden. Die Angaben der Klägerin hätten Hinweise zu mangelnder Selbstkritik und mangelnder Offenheit geliefert; die Untersuchungsergebnisse ließen auf mangelnde Mitarbeit bei der Untersuchung schließen. Unter Berücksichtigung der anamnestischen Angaben und Beurteilungen, des psychischen Befundes und der Testergebnisse sei nach persönlichkeitsdiagnostischer Einschätzung von einer eher selbstunsicheren, emotional wenig stabilen und abwehrenden, eher aggressiv gehemmten Persönlichkeitsentwicklung mit Tendenzen zur psychosomatischen Störung auszugehen. Nach tiefenpsychologischem Verständnis lasse sich unter Berücksichtigung der anamnestischen Mitteilungen auf ein nach der Tat bestehendes deutliches psychisches Leiden schließen, wobei es zu einem Ineinandergreifen von posttraumatischer Belastungsstörung, bestehenden somatischen Störungen im Muskel-Skelett-System und zur Mobilisierung dem Trauma vorausgegangener lebensgeschichtlich begründeter psychischer Belastungen als komplexes Krankheitsgeschehen im Sinne einer Verschlimmerung gekommen sei. Es sei davon auszugehen, dass das traumatische Erlebnis der Gewalttat bei der Klägerin eine krankheitswertige psychische Symptomatik als Ausdruck einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgelöst hat, die auch unter Berücksichtigung der in Anspruch genommenen ambulanten Psychotherapie bislang nicht optimal bewältigt worden sei.
Dr. T. benannte als Diagnosen:
Dysthymia,
anhaltende somatoforme Schmerzstörung,
nichtorganisch bedingte sexuelle Funktionsstörungen,
länger dauernde posttraumatische Belastungsstörung nach Vergewaltigung 2002,
kombinierte Persönlichkeitsstörung (selbstunsichere, aggressiv gehemmte, abhängige Persönlichkeitsstruktur),
Morbus Bechterew
Die posttraumatische Belastungsstörung stehe in kausalem Zusammenhang mit der Gewalttat und sei Schädigungsfolge. Eine Aggravation oder Simulation sei nicht nachweisbar. Die Störung des Sexuallebens sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Gewalttat zurückzuführen, da kein hinreichender zeitlicher Zusammenhang bestehe. Nicht schädigungsbedingt seien die primären Beschwerden und Beeinträchtigungen infolge des Morbus Bechterew, der Dysthymia und der kombinierten Persönlichkeitsstörung. Durch das Weiterwirken der Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung komme es wiederkehrend zu einer Verschlimmerung der primären persönlichkeitsbedingten psychischen und psychosomatischen Gesundheitsstörungen mit beeinträchtigenden Auswirkungen auf die aktuelle Konfliktbewältigung und die interpersonellen Kompetenzen im Sinne von Störungen der Anpassung, der Umstellung, der Stressbewältigung. Eine differenzierte Abgrenzung der posttraumatischen Belastungsstörung von der primären Persönlichkeitsentwicklung und den resultierenden funktionellen Defiziten lasse sich wissenschaftlich aufgrund des komplexen Prozesses nicht präzise vornehmen. Es sei von einer richtungsgebenden Verschlimmerung der Störungen des fortbestehenden Leidens im Sinne einer Chronifizierung des komplexen Krankheitsgeschehens auszugehen, und zwar solange wie von der Klägerin keine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie in Anspruch genommen werde. Als Schädigungsfolgen ab Leistungsbeginn Juli 2004 seien die länger andauernde posttraumatische Belastungsstörung und ein Verschlimmerungsanteil an Gesundheitsstörungen infolge fortbestehender persönlichkeitsspezifischer dispositioneller Störungen einzuschätzen. Die schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei auf nervenärztlich-psychotherapeutischem Fachgebiet ab Juli 2004 mit 30 vom 100 einzuschätzen.
Mit prüfärztlicher Stellungnahme vom 29. November 2006 führte die ärztliche Gutachterin des Beklagten S.-S. zu dem Gutachten von Dr. T. aus, das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung sei nicht gegeben, weil die Klägerin zwar bestimmte Aktivitäten vermeide, die sie an den Überfall erinnern könnten, ansonsten aber kein Vermeidungsverhalten zeige. Da das Vollbild der Erkrankung nicht gegeben sei, werde lediglich die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsreaktion mit einer MdE um 20 vom 100 empfohlen. Hinsichtlich der kombinierten Persönlichkeitsstörung sei keine schädigungsbedingte richtungsweisende Verschlimmerung der vorbestehenden Gesundheitsstörungen zu erkennen. Die Klägerin bewältige ihren Haushalt und die Kindererziehung, führe eine stabile und tragfähige Beziehung und pflege soziale Kontakte, so dass keine Hinweise auf eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit infolge der früheren Straftat bestünden.
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2006 in Ausführung des Urteils des SG vom 10. Oktober 2005 stellte der Beklagte fest, dass die Klägerin am 25. Juni 2002 das Opfer einer Gewalttat im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG geworden sei. Als Schädigungsfolge erkannte der Beklagte ab 1. Juli 2004 eine posttraumatische Belastungsreaktion, entstanden durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 Absatz 1 OEG an. Die MdE erreiche keine rentenberechtigende Höhe um mindestens 25 vom 100. Rentenleistungen stünden der Klägerin daher nicht zu. Die anerkannte Schädigungsfolge begründe einen Anspruch auf Heilbehandlung ab dem Antragsmonat Juli 2004. Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch vom 23. Januar 2007 machte die Klägerin geltend, dass die Feststellung einer MdE von weniger als 25 vom 100 im krassen Widerspruch zu dem Gutachten des Dr. T. vom 17. November 2006 stehe. Dieser habe seine Bewertung einer MdE um 30 vom 100 ausdrücklich auf die posttraumatische Belastungsstörung und einen Verschlimmerungsanteil an den Gesundheitsstörungen infolge fortbestehender persönlichkeitsspezifischer dispositioneller Störungen gestützt. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2007 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung gab er im Wesentlichen an, dass nach Auswertung der medizinischen Befundunterlagen und unter Berücksichtigung des Gutachtens des Dr. T. vom 17. November 2006 bei der Klägerin das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung zumindest ab dem Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr angenommen werden könne. Eine posttraumatische Belastungsstörung entstehe als verzögerte Reaktion u. a. auf ein belastendes Ereignis mit außergewöhnlicher Bedrohung, dass bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Typische Merkmale seien das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Dumpfheit aufträten. Ferner fänden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist trete ein Zustand von vegetativer Übererregtheit, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depressionen seien häufig in den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert. Diese Beeinträchtigungen folgten dem Trauma mit einer Latenz von wenigen Wochen oder Monaten. Die Einschätzung einer MdE um 20 vom 100 stehe auch im Einklang mit den Einschätzungen des Dr. F., der im Januar 2006 mitgeteilt habe, dass sich die posttraumatische Symptomatik seit 2004 gebessert habe und die schädigungsunabhängige primäre Persönlichkeitsstörung die psychische Symptomatik der Klägerin beherrsche. Auch könne in Übereinstimmung mit der versorgungsärztlichen Auffassung nicht festgestellt werden, dass schädigungsbedingt eine richtungsgebende Verschlimmerung der schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen, sprich der Dysthymia, der somatoformen Schmerzstörung und der kombinierten Persönlichkeitsstörung eingetreten sei. Symptome einer chronisch-depressiven Verstimmung (Dysthymia) seien von Dr. T. im Rahmen der Begutachtung nicht festgestellt worden. Er habe die Klägerin bei der Untersuchung weder angstvoll noch krankheitswertig depressiv erlebt. Insofern sei sein Vorschlag, einen schädigungsbedingten Verschlimmerungsanteil anzuerkennen, nicht plausibel. Unstreitig dürfte sein, dass bei der Klägerin ein ständig fortschreitendes chronisches orthopädisches Krankheitsbild vorliege. Dieses Krankheitsbild bilde zugleich die wesentliche Ursache für die Schmerzzustände, die, wie dem Befundbericht des Dr. F. vom 14. Oktober 2004 zu entnehmen sei, schon immer, zumindest seit Therapiebeginn im Jahre 2001, und damit bereits vor der Gewalttat im Sinne des OEG, psychogen überlagert gewesen seien. Aus welchen Tatsachen heraus Dr. T. meine, dass sich die somatoforme Schmerzstörung schädigungsbedingt verstärkt habe, könne aus seinem Gutachten nicht erschlossen werden. Gleiches gelte für die seinerseits angenommene schädigungsbedingte Verschlimmerung der Symptomatik der kombinierten Persönlichkeitsstörung. Er habe ausgeführt, dass eine differenzierte Abgrenzung der posttraumatischen Symptomatik von der primären Persönlichkeitsentwicklung und den resultierenden funktionellen Defiziten sich wissenschaftlich aufgrund des komplexen Prozesses nicht präzise vornehmen lasse. Davon ausgehend sei es nicht nachvollziehbar, wenn er meine, dass die schädigungsbedingte posttraumatische Symptomatik wesentliche Bedeutung für eine seinerseits angenommene Verschlimmerung der primären persönlichkeitsbedingten psychischen und psychosomatischen Gesundheitsstörungen habe. Eine solche Einschätzung stehe auch der Einschätzung des Dr. F. entgegen, der die primäre Persönlichkeitsstörung als vorherrschend und damit bestimmend bezeichnet habe.
Mit der am 31. Mai 2007 vor dem SG H. erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und vorgetragen, der Beklagte habe in den angefochtenen Bescheiden zu Unrecht nicht die Bewertung der MdE von Dr. T. zugrunde gelegt. Der Beklagte hat seine Bescheide unter Hinweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse zur posttraumatischen Belastungsstörung verteidigt und vorgetragen, in der versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 29. November 2006 dargelegt zu haben, dass die diagnostischen Leitlinien einer posttraumatischen Belastungsstörung insbesondere hinsichtlich des C-Kriteriums nicht vollständig erfüllt seien und daher vom Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht ausgegangen werden könne. Durch die Anerkennung der posttraumatischen Belastungsreaktion mit einer MdE um 20 vom 100 sei den vorliegenden Beeinträchtigungen der Klägerin ausreichend Rechnung getragen worden. Hinzuweisen sei auch auf das durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. F. im Auftrag des Rentenversicherungsträgers erstellte Gutachten vom 25. August 2006, wonach im Rahmen der dortigen Untersuchung die Feststellung getroffen worden sei, dass die diagnostischen Leitlinien einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht erfüllt seien. Dr. F. habe eine richtungsweisende Verschlimmerung des persönlichkeitsbedingten Störungsbildes durch die posttraumatische Symptomatik nicht bestätigt, sondern einen Ursachenzusammenhang verneint und eingeschätzt, dass wesentlich bestimmend für das vorhandene Krankheitsbild der Klägerin das persönlichkeitsbedingte Störungsbild sei. Auch aus dem Rentengutachten der Frau Dr. L. vom 13. August 2008 sei kein Ursachenzusammenhang zwischen dem Leidensbild und der Vergewaltigung im Jahre 2002 zu schließen.
Das SG hat aus dem Rentenverfahren vor dem SG H. S 5 RA 887/06 das Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Dr. L. vom 13. August 2008 mit folgenden Diagnosen beigezogen: anhaltende somatoforme Schmerzstörung, depressive und Angstsymptomatik gemischt, infantil-abhängig-zwanghafte Persönlichkeitsstruktur. Bei der Klägerin bestünden multiple, im depressiven und Angstsymptomkreis angesiedelte Beschwerden auf dem Boden einer deutlich akzentuierten Persönlichkeit bis hin zur Persönlichkeitsstörung und einer langjährigen Fehlentwicklung in Bezug auf die Persönlichkeit, die soziale Integration, die Reifung und Lebensgestaltung. Die Klägerin zeige sich deutlich infantil-abhängig strukturiert in ihren Abwehr- und Bewältigungsmechanismen und in ihren ich-strukturellen Funktionen nicht altersadäquat erwachsen. Sie bedürfe der ständigen Bestätigung und Spiegelung des Halts und der Strukturierung durch Bezugspersonen, vorwiegend Partner, im Moment der Kinder, und nehme dafür auch destruktives Verhalten und erniedrigende und belastende Lebenssituationen in Kauf. In der Selbstdarstellung finde sich eine weitgehend unauffällige Kindheit, weshalb davon ausgegangen werden müsse, dass der Schritt in das Erwachsenenleben nicht gelungen sei. Dies zeige sich zum einen an der deutlich gestörten Gestaltung von Beziehungen und Partnerschaften, andererseits aber auch an der Unfähigkeit, im Arbeitsleben Fuß zu fassen. Auf dem Boden der wiederholten traumatischen Situationen, Fehlschläge, Verluste, Enttäuschungen und Niederlagen habe sich eine multiple psychische und psychosomatische Symptomatik aufgepfropft, die früh zu einem ausgeprägten Vermeidungs- und Rückzugsverhalten mit der Folge weiterer Verstärkung der Fehlentwicklung und Symptombildung geführt habe. Hierfür spreche das frühe Rentenbegehren, die starke Rentenfixierung und der Wunsch nach umfassender Versorgung. Insgesamt sei von einer schwerwiegenden psychischen Störung mit multipler Symptomatik auszugehen, die die Leistungsfähigkeit, Lebensqualität und Erwerbsfähigkeit der Klägerin deutlich beeinflusse.
Des Weiteren hat das SG einen Befundbericht von Dipl.-Psych. L. vom 8. Februar 2010 über Behandlungen der Klägerin seit 4. Februar 2008 eingeholt. Dieser hat angegeben, die Klägerin habe im Jahr 2008 berichtet, zunehmend unter Angstzuständen, Panikattacken, Depressionen und Schlafstörungen zu leiden. Sie sehe sich inzwischen kaum noch in der Lage, alltägliche Situationen zu meistern. Dies mache ihr Angst, da sie Verantwortung für ihre jüngste Tochter trage. Das Kind sei durch den ehemaligen Partner sexuell missbraucht worden, worauf hin die Klägerin umgehend aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen sei. Die Klägerin sei selbst vor fünf Jahren vergewaltigt worden. Seitdem habe sich die anfangs harmonische Beziehung zum Lebensgefährten stetig verschlechtert, bis hin zu den Übergriffen des Partners auf die Tochter. Die Klägerin benötige dringend professionelle Unterstützung, da sie alleine nicht mehr weiter wisse. Dipl.-Psych. L. hat weiter angegeben, dass die sexuellen Übergriffe des Vaters auf die jüngste Tochter im Jahre 2007 zu einer Re-Traumatisierung der Klägerin geführt hätten. Im Laufe der bisherigen Therapie sei eine allgemeine Verbesserung des psychischen Befindens erreicht worden. Die grundlegende Traumatisierung durch die Vergewaltigung und ihre funktionellen Auswirkungen seien aber im Kern noch nicht erreicht worden. Die Klägerin habe Probleme im Kontakt mit Menschen, Bedrängnis auf öffentlichen Plätzen, Straßenbahn, Einkaufsmärkten. Sie vermeide es, im Dunkeln aus dem Haus zu gehen. Als Diagnosen benannte Dipl.-Psych. L. eine Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt mit Zügen einer aktualisierten posttraumatischen Belastungsstörung vor dem Hintergrund einer abhängigen Neurosenstruktur, ergänzend das Residuum einer unbehandelten posttraumatischen Belastungsstörung infolge einer Vergewaltigung. Deren Symptome seien: häufige ungebetene Erinnerungen an die Vergewaltigung mit starken Ekelgefühlen; gelegentliche unerklärliche depressive Einbrüche, wenn die Klägerin mit ähnlichen Situationen oder Personen konfrontiert sei; Ängste, wenn sie sich mit ungewissen Orten oder Situationen konfrontiert sehe, die in dieser Ausprägung vor der Vergewaltigung nicht vorhanden gewesen seien. Während der Behandlung seien die Befunde gleich geblieben bzw. hätten sich durch die Re-Traumatisierung zum Teil verschlimmert. Infolge der Situation durch die Vergewaltigung und den Missbrauch habe sich der Freundeskreis der Klägerin verkleinert. Ihre Eltern könnten ihre Lage nicht verstehen. Die Klägerin habe den Kontakt zu den Eltern abgebrochen.
Mit Urteil vom 17. Dezember 2010 hat das SG die auf Zahlung einer Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) in Höhe von mindestens 25 vom 100 ab 1. Juli 2004 gerichtete Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt: Auf der Grundlage der medizinischen Befunde lasse sich ein schädigungsbedingter Anteil der psychischen Erkrankung von mindestens 25 vom 100 nicht feststellen. Es fehle bereits an der hinreichenden Abgrenzbarkeit von Vorschaden und schädigungsbedingtem Verschlimmerungsanteil im Sinne der Rechtsprechung des BSG. Es lasse sich nicht konkret feststellen, inwieweit die bestehende Gesundheitsstörung auf das schädigende Ereignis zurückzuführen und daher als Versorgungsgrund anzuerkennen sei. Wie dem Bericht von Dr. F. vom 14. Oktober 2004 zu entnehmen sei, habe bei der Klägerin bereits bei Therapiebeginn im Jahre 2001 eine depressive Störung vorgelegen, die durch das Trauma im Juni 2002 verstärkt worden sei, ohne dass eine psychiatrische Medikation erforderlich gewesen sei. Dieser Arzt habe eingeschätzt, dass nicht die posttraumatische Symptomatik, sondern eine Persönlichkeitsfehlentwicklung die hauptsächliche Störung sei. Die chronischen depressiven Verstimmungen, die angegebene Schmerzsymptomatik sowie die beschriebene Persönlichkeitsfehlentwicklung seien nach dieser ärztlichen Beurteilung nicht auf das Trauma von 2002 zurückzuführen. Im Rahmen der durch Dr. L. im Rentenverfahren im Gutachten vom 13. August 2008 erhobenen Eigenanamnese sei zudem festgestellt worden, dass die Klägerin seit 1997 psychische Probleme gehabt habe. Daher sei im Hinblick auf die Persönlichkeit von einer langjährigen Fehlentwicklung auszugehen. Auf der Grundlage der medizinischen Befunde sei davon auszugehen, dass die Klägerin bereits vor dem schädigenden Ereignis vom 25. Juni 2002 an psychischen Störungen gelitten habe, die einen nicht schädigungsbedingten Behinderungsgrad von 20 bis 30 bedingt hätten. Eine wesentliche Verstärkung des psychischen Leidens mit einem schädigungsbedingten Anteil von 30 vom 1000 sei für die Zeit ab Juli 2004 nicht festzustellen.
Dieses Urteil greift die Klägerin mit der am 17. Januar 2011 vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegten Berufung an und macht weiterhin geltend, Anspruch auf eine Beschädigtenrente nach einem GdS von mindestens 25 vom 100 zu haben. Da der Beklagte seine Zweifel an den Feststellungen im Gutachten des Dr. T. vom 17. November 2006 nicht überzeugend begründet habe, müsse den Einschätzungen des Sachverständigen gefolgt werden. Im Übrigen sei auch keine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Befundbericht des Dipl.-Psych. L. vom 8. Februar 2010 erfolgt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 17. Dezember 2010 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2007 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr ab 1. Juli 2004 eine Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 25 vom 100 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil und seine Bescheide für zutreffend.
Das Gericht hat von Dipl.-Psych. L. einen Befundbericht vom 8. November 2011 eingeholt. Dieser hat über einen Behandlungszeitraum vom 4. Februar 2008 bis 8. November 2011 berichtet und zu den von der Klägerin geklagten Beschwerden angegeben, sie habe Angst, abends allein auf die Straße zu gehen, empfinde in der Straßenbahn erheblichen Druck, Angst und Panikzustände sowie Herzrasen. Sie vermeide größere Menschenmengen und habe immer wieder intensive Angst, dass jemand auf sie zukommt und "sie schnappt". Wenn sie auf der Straße laufe und jemand hinter ihr sei, müssen sie ständig kontrollieren, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Sie zeige ein starkes Vermeidungsverhalten, wenn es um irgendwelche Aspekte der Vergewaltigung geht. Ferner habe sie starke Albträume, die sich auf den maskierten Täter bezögen und mit Schweißausbrüchen sowie plötzlichen Bildern vom Täter mit Maske verbunden seien. Als Diagnosen benannte Dipl.-Psych. L. das Residuum einer unbehandelten posttraumatischen Belastungsstörung infolge einer Vergewaltigung sowie eine Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt mit Zügen einer reaktualisierten posttraumatischen Belastungsstörung vor dem Hintergrund einer abhängigen Neurosenstruktur. Durch eine Konfrontation mit dem Tatort in vivo (außerhalb der Behandlungsstätte, Konfrontationstherapie) sei es aktuell zu einer Verschlechterung mit häufigen Intrusionen gekommen, die für die Klägerin sehr beeindruckend seien. Es handele sich bei der Klägerin um stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Diese äußerten sich vegetativ in Schweißausbrüchen, Herzrasen, Schwindel, Übelkeit bis zum Erbrechen und Beklemmungen in der Brust. Die Klägerin habe immer das Gefühl, sie werde verfolgt, müsse sich ständig umdrehen und kontrollieren, wer hinter ihr läuft. Spontane Treffen mit Freunden seien ihr ohne Begleitung nicht möglich. Sie könne auch nicht bei Dunkelheit allein auf die Straße gehen. Ständig müsse sie aufräumen und putzen. Gegenstände in der Wohnung dürften nicht verändert werden, alles müsse akkurat auf seinen Plätzen sein. Sei das nicht der Fall, fühle sie sich unwohl, werde nervös und unruhig. Auswirkungen der psychischen Störung seien die Vermeidung von großen Menschenansammlungen. Fahrten in vollen Bussen oder Bahnen seien nicht möglich, ebenso keine abendlichen Treffen mit Freunden. Einige Freunde habe sie dadurch verloren. Sie sei auch heute noch nicht in der Lage, bestimmte Geschehnisse aus dieser Nacht zu erzählen. Sie werde seitdem auch von einem immer wiederkehrenden Albtraum verfolgt. Die beschriebenen Symptome (Intrusionen usw.) und auch die jetzige Verschlimmerung seien eindeutig auf die Vergewaltigung zurückzuführen und die wesentliche Bedingung für eine Weiterführung der Heilbehandlung. Einen weiteren Befundbericht hat Dipl.-Psych. L. am 27. November 2013 erstattet und angegeben, mit der Klägerin zwischen 8. November 2011 und 19. Februar 2013 19 Sitzungen durchgeführt zu haben. Nach wie vor leide sie unter häufigen Erinnerungen an die Vergewaltigung mit starken Ekelgefühlen und gelegentlichen unerklärlichen depressiven Einbrüchen, wenn sie mit ähnlichen Situationen oder Personen konfrontiert werde. Die Störungen, die auf die Vergewaltigung zurückzuführen seien, seien gleich geblieben. Die Medikation bestehe in Zymbalta zweimal täglich.
Sodann hat das Gericht ein Sachverständigengutachten des Direktors der Universitätsklinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie M., Prof. Dr. F., vom 28. Februar 2014 mit Zusatzgutachten der Dipl.-Psych. J. Dr. D. vom 4. März 2014 eingeholt. Prof. Dr. F. hat zum psychischen Befund der Klägerin ausgeführt, ihr inhaltliches Denken sei vom Wunsch nach weiterer psychotherapeutischer Behandlung sowie durch die durch die posttraumatische Belastungsstörung entstandenen Defizite im alltäglichen Leben geprägt. Zwangshandlungen bezögen sich auf die korrekte Anordnung und Stellung von Objekten in der Wohnung. Ihre Konzentration und Merkfähigkeit sei unauffällig. Bezüglich des Schlafrhythmus habe die Klägerin angegeben, nicht durchschlafen zu können. Oft wache sie nach Albträumen schweißgebadet auf. Im Laufe des Tages sei sie oft rasch erschöpft, zunehmend schmerzbeeinträchtigt und müsse viele Pausen machen. Im Gespräch sei die Klägerin anfangs zurückhaltend und vorsichtig erschienen, später sei sie mehr zugewandt und zu einer guten Kommunikation fähig gewesen. Im Zusammenhang mit der Erhebung der biografischen Anamnese sei eine stark erhöhte Anspannung und Erregbarkeit beim Bericht des Tathergangs sowie bei der Beschreibung des für die Klägerin notwendigen Vermeidungsverhaltens auffällig gewesen. Der Sachverständige hat folgende Diagnosen benannt: posttraumatische Belastungsstörung (F 42.1), sekundär: Angst und Depression gemischt (F 41.2); chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F 45.41); schädlicher Gebrauch von nicht abhängigkeitserzeugenden Substanzen (Analgetika) F 55.2; psychische und Verhaltensstörungen durch Opioide: Abhängigkeitssyndrom, iatrogen (F 11.2); kombinierte Persönlichkeitsstörung (selbstunsichere, aggressiv gehemmte, abhängige Persönlichkeitsstruktur) F 61.0; Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) mit ISG-Befall (M 45.08); Zustand nach Fraktur 12. Brustwirbelkörper nach Trauma 1987; rezidivierendes Zervikobrachialsyndrom C2-7 rechts M 53.1; rezidivierendes pseudoradikuläres Syndrom L4-S1 beidseits M 47.2; Struma multinodosa E 04.2; Refluxösophagitis (K 21); hypertensive Entgleisung; Zustand nach Arthroskopie linkes Kniegelenk bei retropatellarer Chondromalazie beidseits. Es handele sich bei der angegebenen Symptomatik der Klägerin um eine posttraumatische Belastungsstörung nach Vergewaltigung im Jahre 2002. Hinsichtlich der offiziellen Kriterien zur Diagnosestellung einer solchen Erkrankung seien klinisch alle Kriterien des ICD-10-GM als erfüllt anzusehen. Das C-Kriterium sei erfüllt, da sich ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten bei der Klägerin habe eruieren lassen. Kriterium D beinhalte entweder eine teilweise oder vollständige Amnesie bezüglich wichtiger Aspekte des traumatischen Ereignisses oder eine anhaltende psychische Erregbarkeit. Ersteres habe anamnestisch sowie auch testpsychologisch nicht festgestellt werden können. Zur Beschreibung einer anhaltenden psychischen Erregung seien mindestens zwei Merkmale gefordert, die bei der Klägerin mit vorhandenen Ein- oder Durchschlafstörungen, Reizbarkeit und Wutausbrüchen, Hypervigilanz und Konzentrationsschwierigkeiten erfüllt seien. Das E-Kriterium sei in Anbetracht der Befundberichte von Dr. F. von 2006 und 2010 ebenfalls als erfüllt anzusehen. Die Schmerzsymptomatik sei nicht ausschließlich psychisch bedingt, sondern habe wegen der Erkrankung an Morbus Bechterew und der Wirbelkörperfraktur nach Treppensturz auch somatische Ursachen. Allerdings trügen psychische Faktoren maßgeblich zum Schweregrad, den Exazerbationen und der Aufrechterhaltung der Symptomatik bei. Aktuell sei anamnestisch vom Fortbestehen einer chronischen Schmerzstörung auszugehen. Bei der Schmerzsymptomatik handele es sich insgesamt um eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Hinsichtlich der schmerztherapeutischen Maßnahmen müsse angesichts der hoch dosierten Verschreibung opiathaltiger und nicht opiathaltiger Schmerzmittel von einer psychischen Abhängigkeit ausgegangen werden. Auch scheine die Dosierung der Medikamente in Anbetracht des aktuellen Stadiums der Morbus Bechterew-Erkrankung ungewöhnlich hoch zu sein.
Die bei der Klägerin festgestellte Persönlichkeitsstörung (selbstunsichere, aggressiv gehemmte, abhängige Persönlichkeitsstruktur) sei in Anbetracht der Aktenlage sowie der biografischen Anamnese rückblickend nachvollziehbar. Sie scheine bisher nur konflikthafte Beziehungen eingegangen zu sein. Es scheine trotz häuslicher Gewalt und Unterdrückung eine übergroße Abhängigkeit zur Bezugsperson zu bestehen und dem jeweils aktuellen Lebenspartner bestanden zu haben. Dabei scheine es, dass die Klägerin auch Gewalt und aggressive Ablehnung gegenüber sich selbst lange Zeit passiv toleriert habe. Hinsichtlich der zentralen Frage nach der Abgrenzung der durch die Vergewaltigung entstandenen Schädigungsfolgen zu den bereits vorhandenen psychischen Belastungen der Klägerin sei davon auszugehen, dass das damalige Erleben der Vergewaltigung ursächlich für die aktuelle Symptomatik der Klägerin ist. Ebenso sei deutlich geworden, dass die Klägerin keine Hilfe und Unterstützung benötigen würde, wenn die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht vorhanden bzw. entstanden wären. Nach neueren Studien sei belegt, dass das Risiko der Erkrankung an einer posttraumatischen Belastungsstörung infolge einer durchschnittlichen Vergewaltigung sehr hoch sei und zu 42,9 Prozent zu einem Vollbild dieser Erkrankung führe. Diese Werte gälten gleichwohl für Frauen mit und ohne psychische Vorbelastung. Nach allem liege eine posttraumatische Belastungsstörung vor, die die Kriterien nach ICD-10 GM vollständig erfülle. Im Gegensatz zur prüfärztlichen Stellungnahme vom 29. November 2006 sei nicht lediglich von einer posttraumatischen Belastungsreaktion auszugehen. Soweit darin beschrieben worden sei, dass es sich bei der Vergewaltigung "weder um eine lang andauernde Belastung noch um eine tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende Störung gehandelt habe", sei diese Sichtweise nicht nachzuvollziehen. Aufgrund der Ausprägung der durch die Vergewaltigung entstandenen Funktionseinschränkungen sei unter Berücksichtigung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze von einer stärker behindernden Störung auszugehen. Vorzuschlagen sei daher ein Grad der Schädigungsfolgen von 30 vom 100.
Im Zusatzgutachten hat Dipl.-Psych. J. Dr. D. ausgeführt, dass die Klägerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Diagnosekriterien einer klinisch-relevanten posttraumatischen Belastungsstörung aufweise. Sie erfülle die Kriterien A, B, C, D, E. Die der Belastung zu Grunde liegende Symptomatik entspreche den Diagnosekriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung (Kriterium B), wobei eine sehr starke Symptombelastung in den Bereichen Intrusionen und Hyperarousal bestehe. Sowohl das klinische Interview als auch die testpsychologische Untersuchung hätten bei der Klägerin übereinstimmend eine signifikante posttraumatische Belastung mit pathologischer Symptomschwere indiziert. Dabei sei die berichtete Symptomatik inhaltlich an die vor zwölf Jahren erlebte Vergewaltigung gekoppelt. Es hätten sich zudem keine Hinweise auf Traumatisierungen im Kindes- und Jugendalter gefunden. Die Klägerin habe nur von minimaler peritraumatische Dissoziation während des Traumaherganges berichtet, die sich vor allem auf den Bereich der emotionalen Selbstwahrnehmung und der Zeitwahrnehmung bezogen hätten. Es lägen jedoch keine dissoziativen Amnesien vor. In der Zusammenschau erscheine es deswegen als sehr wahrscheinlich, dass die aktuell vorliegende Belastung auf die Vergewaltigung zurückzuführen ist.
Der Beklagte hat nach Auswertung des Gutachtens mit Stellungnahme vom 22. Juli 2014 an seiner Auffassung festgehalten und erneut vorgetragen, dass anknüpfend an die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil und an die Stellungnahme der Versorgungsärztin vom 14. Juli 2014 weiterhin davon auszugehen sei, dass bei der Klägerin eine Vorschädigung im Sinne einer Persönlichkeitsfehlentwicklung bestanden habe. Bei der auf die Vergewaltigung zurückzuführenden Schädigung handele es sich um eine posttraumatische Belastungsreaktion, die als Schädigungsfolge nach dem OEG zutreffend mit einem GdS von 20 bewertet sei. Es müsse beachtet werden, dass sich aus den Angaben der Klägerin eine Vielzahl von schädigungsfolgenunabhängigen relevanten Belastungen/Veränderungen und Konflikten ergebe (z. B. konfliktbelastete Ehe, Scheidung, Rechtsstreitigkeiten um Unterhaltszahlungen, Missbrauch der Tochter durch deren Vater = damaliger Ehemann der Klägern), die nach der Schädigung aufgetreten seien. Soweit Prof. Dr. F. diesen schädigungsunabhängigen lebensgeschichtlichen Belastungen keine Bedeutung im Rahmen seiner Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung im Vollbild beimisst, sei dies nicht nachvollziehbar. Es sei normal, wenn man sich an eine Schädigung der bei der Klägerin zur Diskussion stehenden Art noch jahrelang erinnert und diese Erinnerung mit einem mehr oder weniger ausgeprägten Unwohlsein verbunden ist. Es könne aber nicht plausibel begründet werden, dass nach diesem Ereignis mit einer Latenz von mehreren Jahren die Bedeutung einer wesentlichen Ursache für die jetzt festgestellte Beschwerdeausprägung zukommt. Die Versorgungsärztin S.-S. hat mit Stellungnahme vom 14. Juli 2014 ausgeführt, dass nach den Befunden und Gutachten bis 2010 stets nur von einer Teilsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen sei. Im Januar 2014 sei nun das Vollbild einer Erkrankung dokumentiert worden. Dies sei allerdings sei zweifelhaft, da sich die Beurteilung der Erkrankung im Vollbild wesentlich auf die Angaben der Klägerin bei der Anamneseerhebung stütze. Solche Angaben entzögen sich einer Objektivierung, ebenso die testpsychologischen Befunde, die die Selbsteinschätzung der Klägerin spiegelten. Nicht unerwähnt bleiben dürfe, dass die Klägerin in einer mehr als 150 Stunden umfassenden Psychotherapie Gelegenheit gehabt habe, alle Aspekte der posttraumatischen Belastungsstörung ausführlich zu diskutieren und zu verinnerlichen. Eine Verschlechterung nach 2010 infolge der geltend gemachten Vergewaltigung sei schon allein aufgrund des großen Zeitabstandes von acht Jahren oder länger nicht mehr plausibel, zumal in der Zwischenzeit weitere Belastungen hinzugetreten seien. Diese seien jedoch von Prof. Dr. F. völlig außer Acht gelassen worden, weil die Klägerin, ebenfalls in einem Selbsteinschätzungsfragebogen, die geltend gemachte Vergewaltigung als schlimmstes Lebensereignis eingestuft habe.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Des Weiteren haben die Schwerbehindertenakte und ein Auszug aus dem medizinischen Beiheft aus der Rentenakte des Rentenversicherungsträgers vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt dieser Akten ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 1 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]). Diese hat Anspruch auf eine Beschädigtenrente nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i. V. mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der Folgen einer Vergewaltigung im Jahre 2002.
Streitbefangen ist die Frage, ob und in welcher Höhe der Klägerin eine Beschädigtenrente ab 1. Juli 2004 zusteht.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält auf Antrag wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG Versorgung, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Dabei genügt gemäß §§ 1 Abs. 1 OEG, 1 Abs. 3 BVG zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung oder einer Verschlimmerung einer anerkannten Schädigungsfolge die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, die dann gegeben ist, wenn mehr für als gegen den Zusammenhang spricht, d.h. wenn die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens deutlich überwiegen. Dagegen müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen wie "schädigender Vorgang" einschließlich der Rechtswidrigkeit des Angriffs, "gesundheitliche Schädigung", "gesundheitliche bzw. wirtschaftliche Folgen" selbst erwiesen sein, wofür eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit genügen kann, die ernste, vernünftige Zweifel ausschließt. Der GdS ist nach § 30 Abs. 1 BVG nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen sind. Maßgebend ist, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Schädigungsfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt ist. Dabei werden vorübergehende Gesundheitsstörungen allerdings nicht berücksichtigt. Im Interesse einer einheitlichen und gleichmäßigen Behandlung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aufgrund der Ermächtigung in §§ 69 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX), § 1 Abs. 1 KOVVfG, 30 Abs. 16 BVG nach § 2 Satz 1 Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (VersMedV, BGBl. I S. 2412) in den "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen", Ausgabe 2008 (Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008) die Grundsätze für die medizinische Bewertung des GdS festgelegt, die fortlaufend auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft fortentwickelt werden (§ 2 Satz 2 VersMedV). Die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" ersetzen die bis zum 31.12.2008 anzuwendenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (letzte Ausgabe 2008) und stellen eine verbindliche Rechtsquelle für die Feststellung einer Schädigungsfolge und des GdS dar (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.2009, A.: B 9 SB 4/08 R, juris).
In Anwendung dieser Grundsätze war zunächst davon auszugehen, dass die Klägerin am 25. Juni 2002 Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist. Diese Feststellung hat das SG H. mit rechtskräftigem Feststellungsurteil vom 10. Oktober 2005 für beide Beteiligten mit bindender Wirkung getroffen. Gemäß § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Der Senat ist deshalb an das Urteil des SG gebunden, soweit er den Streitgegenstand des damaligen Prozesses im Rahmen seiner eigenen Entscheidung erneut zu prüfen hat (Präjudizialität, vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2008, XII ZR 216/05, NJW 2008, S. 1227; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, Rn. 6d zu § 141). Hieran ändert es nichts, dass das BSG mit Urteil vom 16. Dezember 2014 (B 9 V 1/13 R, juris) entschieden hat, die isolierte Feststellung, ob eine Person Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist, sei unzulässig. Denn auch unrichtige Urteile erwachsen in materielle Rechtskraft; lediglich nichtige und Scheinurteile entfalten keine Wirkungen (Keller, a.a.O., Rn. 3 und 5 zu § 141 m.w.N.).
Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen steht auch fest, dass die Klägerin infolge der Vergewaltigung eine gesundheitliche Schädigung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung erlitten hat. Der Senat folgt insoweit zunächst dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. F. vom 28. Februar 2014, wonach die Klägerin unter einer posttraumatischen Belastungsstörung infolge der damaligen Vergewaltigung leidet. Wie der Sachverständige anhand eigener Untersuchung mit überzeugender Begründung festgestellt hat, kann sich die Klägerin bei Dunkelheit nicht allein außerhalb der Wohnung aufhalten und leitet auch generell unter der Angst, sie könnte verfolgt und bedroht werden. Die entsprechenden Symptome hat der Sachverständige nicht nur aufgrund eigener Untersuchung und der anamnestischen Angaben der Klägerin festgestellt, sondern sich hierbei auch auf die Feststellungen anderer Ärzte gestützt. Bereits im Befundbericht vom 18. Januar 2006 hat Dr. F. angegeben, bei der Klägerin im Juni 2002 im Anschluss an "das bekannte Trauma" eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt zu haben. Auch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. B. hat in ihrem Befundbericht vom 6. Juli 2006 angegeben, das Leben der Klägerin habe sich infolge der Vergewaltigung stark verändert. Sie sei sehr ängstlich geworden, gehe abends nicht mehr weg, leide tagsüber unter Verfolgungsängsten und sehe sich auf der Straße öfter um und schaue, ob jemand hinter ihr geht. Auch der vom Beklagten mit einem Gutachten beauftragte Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. T. hat am 17. November 2006 eine "länger dauernde posttraumatische Belastungsstörung nach Vergewaltigung 2002" festgestellt. Dipl.-Psych. L. hat schließlich in seinem Befundbericht vom 8. November 2011 über den Behandlungszeitraum vom 4. Februar 2008 bis 8. November 2011 vom "Residuum einer unbehandelten posttraumatischen Belastungsstörung infolge einer Vergewaltigung" gesprochen, so dass unter Berücksichtigung dieser älteren Befunde und der aktuellen Untersuchung und Diagnose durch Prof. Dr. F. die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung als gesichert angesehen werden muss. Diese Feststellung steht auch in Einklang mit der Klassifikation nach Abschnitt F43.1 ICD - 10 (Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - 10. Revision, German Modification Version 2005), wonach eine posttraumatische Belastungsstörung wie folgt beschrieben wird: "Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über."
Diese Merkmale, insbesondere vegetative Übererregbarkeit, übermäßige Schreckhaftigkeit, Angst, Depression und Schlafstörungen (Albträume) wurden bei der Klägerin mit Bezug zum damaligen Trauma festgestellt und unterstreichen das Vorhandensein einer posttraumatischen Belastungsstörung mit chronischem Verlauf. Angesichts der Fülle der entsprechenden ärztlichen Feststellungen dringt der Beklagte mit seiner Bewertung der vorhandenen Unterlagen, es sei lediglich eine posttraumatische Belastungsreaktion aufgetreten, nicht durch.
Der Klägerin steht auch gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i.V. mit §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 1 BVG eine Grundrente nach einem GdS von 30 zu. Der GdS ist – wie bereits ausgeführt (S. 23 f.) – nach § 30 Abs. 1 BVG nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen sind. Ihr Leidenszustand ist ab Antragstellung am 1. Juli 2004 mit einem GdS von 30 zu bewerten. Dafür sind folgende Erwägungen maßgebend:
Bei der entschädigungsrechtlichen Bewertung von traumatischen Ereignissen finden die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 1996" (AHP 1996) ebenso wie die nach den 2004 und 2008 herausgegebenen Neufassungen Anwendung. Diese gelten auch nach Einführung der VersMedV ab dem 1. Januar 2009 noch fort. Hiernach ist entsprechend den Festlegungen in Ziff. 71 der AHP 1996 (S. 251 ff.); AHP 2004/2008 (S. 205 ff.) von Folgendem auszugehen:
(1) Durch psychische Traumen bedingte Störungen kommen sowohl nach langdauernden psychischen Belastungen (z.B. in Kriegsgefangenschaft, in rechtsstaatwidriger Haft in der DDR) als auch nach relativ kurz dauernden Belastungen (z. B. Bei Geiselnahme, Vergewaltigung) in Betracht, sofern die Belastungen ausgeprägt und mit dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren. Bei der Würdigung der Art und des Umfangs der Belastungen ist also nicht nur zu beachten, was der Betroffene erlebt hat, sondern auch, wie sich die Belastungen bei ihm nach seiner individuellen Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit ausgewirkt haben. Die Störungen sind nach ihrer Art, Ausprägung, Auswirkung und Dauer verschieden: Sie können kurzfristigen reaktiven Störungen mit krankheitswertigen (häufig depressiven) Beschwerden entsprechen; bei einer Dauer von mehreren Monaten bis zu ein bis zwei Jahren sind sie in der Regel durch typische Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung charakterisiert, ohne diagnostisch auf diese begrenzt zu sein; sie treten gelegentlich auch nach einer Latenzzeit auf. Anhaltend kann sich eine Chronifizierung der vorgenannten Störungen oder eine Persönlichkeitsveränderung (früher: erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel) mit Misstrauen, Rückzug, Motivationsverlust, Gefühl der Leere und Entfremdung ergeben. Anhaltende Störungen setzen tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende und in der Regel langdauernde Belastungen voraus.
(2) Bei länger anhaltenden Störungen und chronisch verlaufenden (auch "neurotisch" genannten) Entwicklungen ist zu prüfen, ob die Schädigungsfaktoren fortwirken oder schädigungsunabhängige Faktoren für die Chronifizierung verantwortlich sind ("Verschiebung der Wesensgrundlage" [ ]). Gleiches gilt für psychogene Symptomverstärkungen oder Symptomfixierungen, die im Gefolge schädigungsbedingter organischer Gesundheitsstörungen auftreten.
(3) Auch die Auswirkungen psychischer Traumen im Kindesalter (z. B. Sexueller Missbrauch, häufige Misshandlungen) sind nach Art und Intensität sehr unterschiedlich. Sie können ebenso zu Neurosen ( ) wie zu vorübergehenden oder chronifizierte Reaktionen ( ) führen.
In Anwendung dieser Grundsätze ist festzustellen, dass die chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung der Klägerin nach den AHP 1996 Ziff. 26.3 S. 60 f., (AHP 2004/2008 S. 48, VMG Teil B Nr. 3.7) zu den "Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen" zu zählen ist, die mit stärker behindernden Störungen in Form einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einhergeht, wofür ein GdS-Rahme von 30 bis 40 eröffnet ist, der hier aber nicht ausgeschöpft werden kann. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Der beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales gebildete "Ärztliche Sachverständigenbeirat Medizin" hat 1998 (Beiratssitzung vom 18./19.03.1998) Abgrenzungskriterien für die gutachtliche Beurteilung sozialer Anpassungsschwierigkeiten definiert:
"Leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen z.B. vor, wenn die Berufstätigkeit trotz Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich ist. Eine wesentliche Beeinträchtigung der familiären Situation oder bei Freundschaften ist nicht erforderlich. Eine mittelgradige Anpassungsschwierigkeit ist dann gegeben, wenn in den meisten Berufen auswirkende psychische Veränderungen vorliegen, die zwar weitere Tätigkeiten grundsätzlich noch erlauben, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingen und eine Gefährdung der beruflichen Tätigkeit einschließt. Außerdem liegt eine mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeit vor, wenn erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung bestehen. Erforderlich ist aber noch keine Isolierung und noch kein sozialer Rückzug in einem solchen Umfang, der z.B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte. Eine schwere soziale Anpassungsschwierigkeit ist dann anzunehmen, wenn eine weitere berufliche Tätigkeit stark gefährdet oder ausgeschlossen ist, außerdem bei schwerwiegenden Problemen in der Familie oder im Freundes- bzw. Bekanntenkreis bis zur Trennung von der Familie, vom Partner oder Bekanntenkreis."
Die Klägerin wird im Wesentlichen durch ihr Vermeidungsverhalten beeinträchtigt, abends und bei Dunkelheit das Haus nicht allein verlassen zu können und auch durch ihre Angst, sie könnte verfolgt werden, wenn Menschen hinter ihr gehen. Sie ist aber in der Familie und im Freundeskreis noch weitgehend integriert und hat keinen nennenswerten Kontaktverlust erlitten. Daher ist es gerechtfertigt, ihre Beeinträchtigungen zwar als stärker behindernde Störung, aber noch als leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten im vorgenannten Sinne zu qualifizieren, sodass ein GdS von 30 festgestellt werden kann. Für ein Ausschöpfen des Bewertungsrahmens mit einem GdS von 40 liegen aber keine zureichenden Gründe vor, erst recht keine Hinweise darauf, dass das Ausmaß der Störungen bereits zu mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten (GdS 50 bis 70) geführt hat. Der Senat stützt sich bei seiner Bewertung nicht nur auf das Gutachten von Prof. Dr. F., sondern auch auf die Feststellungen der behandelnden Ärzte (z. B. Dipl.-Psych. B. im Befundbericht vom 6. Juli 2006), die hiermit in Einklang stehende Beeinträchtigungen (Verfolgungsängste, Klägerin gehe abends nicht mehr weg) angegeben haben.
Diese Bewertung steht auch nicht im Widerspruch zu der Tatsache, dass bei der Klägerin zum Zeitpunkt der Vergewaltigung bereits eine seelische Erkrankung bestanden hat. Es kann offen bleiben, ob es sich dabei um eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (Dr. T.; Prof. Dr. F.), infantil-abhängige Persönlichkeitsstruktur mit depressiver und Angstsymptomatik (Dr. L.) oder Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt (Dipl.-Psych. L.) handelt. Denn alle Ärzte und Psychologen stimmen darin überein, dass bei der Klägerin jedenfalls auch eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge des Traumas im Jahre 2002 eingetreten ist, die zu anderen Erkrankungen hinzugetreten und &8722; für sich genommen &8722; mit einem GdS von 30 zu bewerten ist. Vor diesem Hintergrund des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Trauma, Schädigung und Ausmaß der Schädigung bestehen an dem rentenberechtigendem Grad der Schädigung keine ernstlichen Zweifel, sodass die Frage, ob die Klägerin durch weitere schädigungsunabhängige seelische und somatische Erkrankungen noch stärker beeinträchtigt ist, für die Bewertung nach dem OEG nicht bedeutsam ist.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
SAN
Saved