Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 48 VG 215/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VG 46/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juni 2014 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Folgen psychischer Traumen als Schädigungsfolgen nach B 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze anzuerkennen sind. Der Beklagte hat der Klägerin auch deren notwendige außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Beklagte wehrt sich mit seiner Berufung gegen die Verpflichtung zur Feststellung von Schädigungsfolgen und Versorgungsgewährung nach dem Opferentschädigungsgesetz.
Mit Urteil des Landgerichts Bonn vom 31. März 2008 wurde der aus Syrien stammende Vater der Klägerin wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Aus den Feststellungen des Gerichts ergibt sich folgendes: Der Vater der Klägerin hatte am 30. August 1993 die Schwester der Klägerin getötet, indem er sie mit einem Seil erdrosselte, weil er durch ihr Verhalten die Familienehre als verletzt ansah. Anschließend wurde die damals einundzwanzig Jahre alte Klägerin hinzugeholt und bestimmt, eines der noch um den Hals ihrer Schwester geschlungenen Seilenden zu ergreifen und daran zu ziehen. Dies war verbunden mit dem Hinweis, es werde ihr ähnlich ergehen, falls sie ebenfalls die Familienregeln missachte. Nach den weiteren Feststellungen des Urteils lebte die Klägerin in der Folgezeit in ständiger Angst um ihr Leben und vermochte sich erst aus der Familie zu lösen, als sie ihren jetzigen Ehemann kennenlernte. Sie litt unter Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Konzentrationsproblemen und Schlafstörungen, war zuweilen depressiv verstimmt und hatte Suizidgedanken, wodurch ihr Medizinstudium ins Stocken geriet. Die Ehe zerbrach 2004. Erstmals im Rahmen einer Therapie Ende 2002 habe sie ihrer damaligen Therapeutin von den Erlebnissen berichtet und später auch ihrem Psychologen. Ihre Erlebnisse schilderte sie in einem Brief, den sie drei Personen verschlossen gab mit der Anweisung, ihn im Falle ihres Ablebens zu öffnen. Von dessen Existenz informierte sie ihren Vater, um ihn so von befürchteten Übergriffen abzuhalten. 2004 berichtete die Klägerin der Polizei von der Tat und teilte zugleich mit, einer ihrer Cousins arbeite am Flughafen und könne ein "Schläfer" sein. In der Folgezeit unternahmen die Ermittlungsbehörden zahlreiche Anstrengungen, um die als Zeugin fungierende Klägerin, die noch immer in Angst um ihr Leben war, zu schützen. Sie lebte zeitweise im Ausland und konnte ihre Berufsausbildung nicht abschließen.
Im Juni 2008 stellte die Klägerin einen Antrag auf Beschädigtenversorgung. Der Beklagte holte Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte ein und zog einen Entlassungsbericht über einen Aufenthalt der Klägerin in einer Klinik für psychosomatische und psychotherapeutische Medizin im Herbst 2001 bei. Mit Bescheid vom 10. März 2009 lehnte der Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin sei zwar mittelbares Opfer einer Gewalttat geworden, doch sei die Zeitspanne zwischen der Tat und der erstmaligen Aufnahme einer Therapie wegen der geklagten Gesundheitsstörungen so lang, dass nicht festgestellt werden könne, welche Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit auf die Gewalttat zurückzuführen seien. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2009 zurück.
Mit der am 26. August 2009 beim Sozialgericht Köln erhobenen und von dort an das Sozialgericht Berlin verwiesenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat hierzu vorgebracht, zwar hätten sie auch ihre übrigen familiären Verhältnisse beeinträchtigt, doch seien diese im Verhältnis zur Tötung ihrer Schwester von untergeordneter Bedeutung. Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärztin und der sie behandelnden Psychotherapeuten eingeholt. Es hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H vom 11. September 2012 und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M vom 23. Oktober 2013. Dr. H ist zu der Einschätzung gelangt, die Klägerin leide als Folge der Tat an einer PTBS, wobei der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) 40 betrage. Dr. M ist zu der Einschätzung gelangt, als Schädigungsfolge seien Agoraphobie mit Panikstörung sowie eine mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom festzustellen. Der GdS betrage 50. Wegen der Einzelheiten wird auf die jeweiligen Gutachten Bezug genommen.
Mit Urteil vom 17. Juni 2014 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 10. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2009 verpflichtet, als Schädigungsfolgen eine Agoraphobie mit Panikstörung sowie eine mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom anzuerkennen und der Klägerin ab dem 1. Juni 2008 eine Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz nach einem medizinischen Grad der Schädigung von 50 zu gewähren.
Mit der Berufung bringt der Beklagte vor, das Sozialgericht habe selbst das Gutachten der Dr. H für unzureichend gehalten im Hinblick auf eine fehlende Aussage zu Vor- bzw. Nachschäden. Auch das Gutachten des Dr. M setze sich nicht hinreichend damit auseinander, dass nach den Feststellungen des fachärztlichen Beraters des Beklagten jedenfalls ab dem 29. Mai 2008 keine Schädigungsfolge mehr feststellbar sei. Zuvor könne eine psychoreaktive Störung mit einem GdS von 20 angenommen werden. Auch sei von einer vorbestehenden Persönlichkeitsstörung auszugehen. Dr. M habe den sog. "Schockschaden" überdehnt und nicht hinreichend gewürdigt, dass die Belastungen durch das Zeugenschutzprogramm unabhängig von denen seien, die aus der Tat von 1993 resultierten. Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juni 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden, denn die Klägerin hat einen Anspruch auf die darin ausgesprochene Verpflichtung des Beklagten zur Anerkennung der betreffenden Schädigungsfolgen und Gewährung einer Versorgung.
Der Senat nimmt insoweit in vollem Umfang Bezug auf die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung, der er folgt, und sieht insoweit gem. § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer Darstellung der weiteren Entscheidungsgründe ab.
Soweit der Beklagte meint, das Sozialgericht habe sich zu Unrecht auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. M gestützt, weil dieser die Belastungen aus dem Zeugenschutzprogramm nicht von jenen aus der Tat von 1993 getrennt und darüber hinaus auch die Bedeutung des sog. Schockschadens verkannt habe, folgt dem der Senat nicht.
Bereits die ausführliche Darstellung des Strafgerichts belegt, dass eine Trennung nach Belastungen aus der Tat von 1993 und Belastungen aus dem Zeugenschutzprogramm nicht angängig ist, weil beide in enger Weise miteinander verwoben sind und daher hinsichtlich der hier relevanten psychischen Folgen nicht voneinander getrennt werden können. Das Tötungsdelikt von 1993 ist den Ermittlungsbehörden zusammen mit der Aussage der Klägerin bekannt geworden, die sie im Zusammenhang mit der gegen ihren Cousin ausgesprochenen Verdächtigung in Bezug auf einen terroristischen Hintergrund gemacht hat. Beide Aussagen haben sie aus ihrer eigenen Sicht und offenbar auch aus der Sicht der Ermittlungsbehörden in eine so konkrete von ihrer Familie ausgehende Gefahr für Leib und Leben gebracht, dass die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm erfolgt ist. Dergestalt ist also die bereits durchgängig seit 1993 völlig nachvollziehbar bestehende Angst der Klägerin vor Gewalttaten gegen sich durch unmittelbare Angehörige noch verstärkt und aktualisiert worden, ohne dass sich hier ein quantifizierbarer Anteil für die Terrorismusanzeige herausrechnen ließe.
Der Senat hat ferner keine Zweifel an der Richtigkeit des auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. M durch das Sozialgericht angenommenen Grades der Schädigungsfolgen (GdS). Die Einwände des Beklagten überzeugen bereits deshalb nicht, weil – wie der fachärztliche Berater des Beklagten in seiner Äußerung zum Gutachten der Dr. H bemerkt - seine Aufgabe nicht die Beurteilung der Klägerin gewesen sei, sondern nur eine Beurteilung des Gutachtens. Sowohl hinsichtlich einer Diagnose wie insbesondere auch hinsichtlich eines festzustellenden Ausmaßes der Gesundheitsschädigung misst der Senat regelmäßig fachkundigen Einschätzungen besondere Bedeutung bei, die aufgrund eigener Untersuchung und nicht nur im Rahmen einer Beurteilung anhand der Aktenlage gewonnen wurden. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – im Wesentlichen Übereinstimmung auch mit der Beurteilung der behandelnden Ärzte bzw. Therapeuten besteht. Darüber hinaus gehen die Einwände des Beklagten zum Schockschaden auch deshalb fehl, weil hier nicht nur ein solcher vorliegt. Die Klägerin ist nicht lediglich zur Zeugin des an ihrer Schwester verübten Tötungsdelikts gemacht worden. Zusätzlich ist ihr gegenüber die konkrete Drohung ausgesprochen worden, ihr werde es ebenso ergehen, wenn sie einen der Familie unangemessen erscheinende Lebensweise führe. Hierdurch ist sie in einer ihr weiteres Leben bestimmenden Weise verängstigt und eingeschüchtert worden. Zwar hat das Bundessozialgericht entschieden, dass die psychische Einwirkung auf ein Opfer kein tätlicher Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) sei, sondern eine gewaltsame physische Einwirkung vorausgesetzt werde (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, B 9 V 1/13 R, juris), doch sind diese Voraussetzungen hier erfüllt. Der bei der Klägerin vorherzusehende Schockschaden durch das von ihr erlebte Tötungsdelikt an ihrer Schwester ist durch den Täter gerade zum Zweck der Einschüchterung der Klägerin gebraucht und instrumentalisiert worden. Um dem Nachdruck zu verleihen, ist dabei die Klägerin nicht lediglich dem Anblick der Gewalttat ausgesetzt worden, sondern quasi zur Teilnahme daran durch eine physische Einwirkung bestimmt worden, indem sie aus dem Bett geholt und dazu gebracht wurde, an einem Ende des Strangulierungswerkzeuges zu ziehen. Hierbei konnte die Klägerin naturgemäß nicht wissen, ob das Tötungsdelikt zu diesem Zeitpunkt bereits vollendet war. Auch das Strafgericht hat insoweit ausgeführt, das Opfer habe zu diesem Zeitpunkt möglicherweise noch gezuckt. Wer aber unter physischer Einwirkung dazu bestimmt wird, an einem Tötungsdelikt teilzunehmen, erleidet selbst einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG und wird nicht nur Zeuge des gegen einen Dritten verübten Angriffs. Dies hat im Übrigen auch der erstinstanzlich für den Beklagten tätig gewesene fachärztliche Berater ausdrücklich hervorgehoben.
Allerdings war die Berufung mit der klarstellenden Maßgabe zurückzuweisen, dass die festzustellende Gesundheitsstörung nicht im Sinne der konkreten medizinischen Diagnose zu bezeichnen ist. Die für die gem. § 1 Abs. 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) festzustellenden Gesundheitsstörungen und den Grad der Schädigungsfolgen anzuwendenden Grundsätze werden in der auf Grundlage des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) geregelt. Der Senat hält es daher für geboten, die in der Anlage zu § 2 VersMedV in Teil B enthaltenen Bezeichnungen der Gesundheitsstörungen zu verwenden. Damit war hier von Folgen psychischer Traumen gem. Teil B 3.7 auszugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Tatbestand:
Der Beklagte wehrt sich mit seiner Berufung gegen die Verpflichtung zur Feststellung von Schädigungsfolgen und Versorgungsgewährung nach dem Opferentschädigungsgesetz.
Mit Urteil des Landgerichts Bonn vom 31. März 2008 wurde der aus Syrien stammende Vater der Klägerin wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Aus den Feststellungen des Gerichts ergibt sich folgendes: Der Vater der Klägerin hatte am 30. August 1993 die Schwester der Klägerin getötet, indem er sie mit einem Seil erdrosselte, weil er durch ihr Verhalten die Familienehre als verletzt ansah. Anschließend wurde die damals einundzwanzig Jahre alte Klägerin hinzugeholt und bestimmt, eines der noch um den Hals ihrer Schwester geschlungenen Seilenden zu ergreifen und daran zu ziehen. Dies war verbunden mit dem Hinweis, es werde ihr ähnlich ergehen, falls sie ebenfalls die Familienregeln missachte. Nach den weiteren Feststellungen des Urteils lebte die Klägerin in der Folgezeit in ständiger Angst um ihr Leben und vermochte sich erst aus der Familie zu lösen, als sie ihren jetzigen Ehemann kennenlernte. Sie litt unter Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Konzentrationsproblemen und Schlafstörungen, war zuweilen depressiv verstimmt und hatte Suizidgedanken, wodurch ihr Medizinstudium ins Stocken geriet. Die Ehe zerbrach 2004. Erstmals im Rahmen einer Therapie Ende 2002 habe sie ihrer damaligen Therapeutin von den Erlebnissen berichtet und später auch ihrem Psychologen. Ihre Erlebnisse schilderte sie in einem Brief, den sie drei Personen verschlossen gab mit der Anweisung, ihn im Falle ihres Ablebens zu öffnen. Von dessen Existenz informierte sie ihren Vater, um ihn so von befürchteten Übergriffen abzuhalten. 2004 berichtete die Klägerin der Polizei von der Tat und teilte zugleich mit, einer ihrer Cousins arbeite am Flughafen und könne ein "Schläfer" sein. In der Folgezeit unternahmen die Ermittlungsbehörden zahlreiche Anstrengungen, um die als Zeugin fungierende Klägerin, die noch immer in Angst um ihr Leben war, zu schützen. Sie lebte zeitweise im Ausland und konnte ihre Berufsausbildung nicht abschließen.
Im Juni 2008 stellte die Klägerin einen Antrag auf Beschädigtenversorgung. Der Beklagte holte Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte ein und zog einen Entlassungsbericht über einen Aufenthalt der Klägerin in einer Klinik für psychosomatische und psychotherapeutische Medizin im Herbst 2001 bei. Mit Bescheid vom 10. März 2009 lehnte der Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin sei zwar mittelbares Opfer einer Gewalttat geworden, doch sei die Zeitspanne zwischen der Tat und der erstmaligen Aufnahme einer Therapie wegen der geklagten Gesundheitsstörungen so lang, dass nicht festgestellt werden könne, welche Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit auf die Gewalttat zurückzuführen seien. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2009 zurück.
Mit der am 26. August 2009 beim Sozialgericht Köln erhobenen und von dort an das Sozialgericht Berlin verwiesenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat hierzu vorgebracht, zwar hätten sie auch ihre übrigen familiären Verhältnisse beeinträchtigt, doch seien diese im Verhältnis zur Tötung ihrer Schwester von untergeordneter Bedeutung. Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärztin und der sie behandelnden Psychotherapeuten eingeholt. Es hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H vom 11. September 2012 und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M vom 23. Oktober 2013. Dr. H ist zu der Einschätzung gelangt, die Klägerin leide als Folge der Tat an einer PTBS, wobei der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) 40 betrage. Dr. M ist zu der Einschätzung gelangt, als Schädigungsfolge seien Agoraphobie mit Panikstörung sowie eine mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom festzustellen. Der GdS betrage 50. Wegen der Einzelheiten wird auf die jeweiligen Gutachten Bezug genommen.
Mit Urteil vom 17. Juni 2014 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 10. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2009 verpflichtet, als Schädigungsfolgen eine Agoraphobie mit Panikstörung sowie eine mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom anzuerkennen und der Klägerin ab dem 1. Juni 2008 eine Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz nach einem medizinischen Grad der Schädigung von 50 zu gewähren.
Mit der Berufung bringt der Beklagte vor, das Sozialgericht habe selbst das Gutachten der Dr. H für unzureichend gehalten im Hinblick auf eine fehlende Aussage zu Vor- bzw. Nachschäden. Auch das Gutachten des Dr. M setze sich nicht hinreichend damit auseinander, dass nach den Feststellungen des fachärztlichen Beraters des Beklagten jedenfalls ab dem 29. Mai 2008 keine Schädigungsfolge mehr feststellbar sei. Zuvor könne eine psychoreaktive Störung mit einem GdS von 20 angenommen werden. Auch sei von einer vorbestehenden Persönlichkeitsstörung auszugehen. Dr. M habe den sog. "Schockschaden" überdehnt und nicht hinreichend gewürdigt, dass die Belastungen durch das Zeugenschutzprogramm unabhängig von denen seien, die aus der Tat von 1993 resultierten. Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juni 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden, denn die Klägerin hat einen Anspruch auf die darin ausgesprochene Verpflichtung des Beklagten zur Anerkennung der betreffenden Schädigungsfolgen und Gewährung einer Versorgung.
Der Senat nimmt insoweit in vollem Umfang Bezug auf die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung, der er folgt, und sieht insoweit gem. § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer Darstellung der weiteren Entscheidungsgründe ab.
Soweit der Beklagte meint, das Sozialgericht habe sich zu Unrecht auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. M gestützt, weil dieser die Belastungen aus dem Zeugenschutzprogramm nicht von jenen aus der Tat von 1993 getrennt und darüber hinaus auch die Bedeutung des sog. Schockschadens verkannt habe, folgt dem der Senat nicht.
Bereits die ausführliche Darstellung des Strafgerichts belegt, dass eine Trennung nach Belastungen aus der Tat von 1993 und Belastungen aus dem Zeugenschutzprogramm nicht angängig ist, weil beide in enger Weise miteinander verwoben sind und daher hinsichtlich der hier relevanten psychischen Folgen nicht voneinander getrennt werden können. Das Tötungsdelikt von 1993 ist den Ermittlungsbehörden zusammen mit der Aussage der Klägerin bekannt geworden, die sie im Zusammenhang mit der gegen ihren Cousin ausgesprochenen Verdächtigung in Bezug auf einen terroristischen Hintergrund gemacht hat. Beide Aussagen haben sie aus ihrer eigenen Sicht und offenbar auch aus der Sicht der Ermittlungsbehörden in eine so konkrete von ihrer Familie ausgehende Gefahr für Leib und Leben gebracht, dass die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm erfolgt ist. Dergestalt ist also die bereits durchgängig seit 1993 völlig nachvollziehbar bestehende Angst der Klägerin vor Gewalttaten gegen sich durch unmittelbare Angehörige noch verstärkt und aktualisiert worden, ohne dass sich hier ein quantifizierbarer Anteil für die Terrorismusanzeige herausrechnen ließe.
Der Senat hat ferner keine Zweifel an der Richtigkeit des auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. M durch das Sozialgericht angenommenen Grades der Schädigungsfolgen (GdS). Die Einwände des Beklagten überzeugen bereits deshalb nicht, weil – wie der fachärztliche Berater des Beklagten in seiner Äußerung zum Gutachten der Dr. H bemerkt - seine Aufgabe nicht die Beurteilung der Klägerin gewesen sei, sondern nur eine Beurteilung des Gutachtens. Sowohl hinsichtlich einer Diagnose wie insbesondere auch hinsichtlich eines festzustellenden Ausmaßes der Gesundheitsschädigung misst der Senat regelmäßig fachkundigen Einschätzungen besondere Bedeutung bei, die aufgrund eigener Untersuchung und nicht nur im Rahmen einer Beurteilung anhand der Aktenlage gewonnen wurden. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – im Wesentlichen Übereinstimmung auch mit der Beurteilung der behandelnden Ärzte bzw. Therapeuten besteht. Darüber hinaus gehen die Einwände des Beklagten zum Schockschaden auch deshalb fehl, weil hier nicht nur ein solcher vorliegt. Die Klägerin ist nicht lediglich zur Zeugin des an ihrer Schwester verübten Tötungsdelikts gemacht worden. Zusätzlich ist ihr gegenüber die konkrete Drohung ausgesprochen worden, ihr werde es ebenso ergehen, wenn sie einen der Familie unangemessen erscheinende Lebensweise führe. Hierdurch ist sie in einer ihr weiteres Leben bestimmenden Weise verängstigt und eingeschüchtert worden. Zwar hat das Bundessozialgericht entschieden, dass die psychische Einwirkung auf ein Opfer kein tätlicher Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) sei, sondern eine gewaltsame physische Einwirkung vorausgesetzt werde (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, B 9 V 1/13 R, juris), doch sind diese Voraussetzungen hier erfüllt. Der bei der Klägerin vorherzusehende Schockschaden durch das von ihr erlebte Tötungsdelikt an ihrer Schwester ist durch den Täter gerade zum Zweck der Einschüchterung der Klägerin gebraucht und instrumentalisiert worden. Um dem Nachdruck zu verleihen, ist dabei die Klägerin nicht lediglich dem Anblick der Gewalttat ausgesetzt worden, sondern quasi zur Teilnahme daran durch eine physische Einwirkung bestimmt worden, indem sie aus dem Bett geholt und dazu gebracht wurde, an einem Ende des Strangulierungswerkzeuges zu ziehen. Hierbei konnte die Klägerin naturgemäß nicht wissen, ob das Tötungsdelikt zu diesem Zeitpunkt bereits vollendet war. Auch das Strafgericht hat insoweit ausgeführt, das Opfer habe zu diesem Zeitpunkt möglicherweise noch gezuckt. Wer aber unter physischer Einwirkung dazu bestimmt wird, an einem Tötungsdelikt teilzunehmen, erleidet selbst einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG und wird nicht nur Zeuge des gegen einen Dritten verübten Angriffs. Dies hat im Übrigen auch der erstinstanzlich für den Beklagten tätig gewesene fachärztliche Berater ausdrücklich hervorgehoben.
Allerdings war die Berufung mit der klarstellenden Maßgabe zurückzuweisen, dass die festzustellende Gesundheitsstörung nicht im Sinne der konkreten medizinischen Diagnose zu bezeichnen ist. Die für die gem. § 1 Abs. 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) festzustellenden Gesundheitsstörungen und den Grad der Schädigungsfolgen anzuwendenden Grundsätze werden in der auf Grundlage des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) geregelt. Der Senat hält es daher für geboten, die in der Anlage zu § 2 VersMedV in Teil B enthaltenen Bezeichnungen der Gesundheitsstörungen zu verwenden. Damit war hier von Folgen psychischer Traumen gem. Teil B 3.7 auszugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
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