L 6 AS 487/13

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 12 AS 484/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 487/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
In das vom Gesetzgeber als Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums festgelegte Anspruchsniveau darf ohne gesetzliche Grundlage nicht eingegriffen werden.

Eine analoge Anwendung der Sanktionsbestimmung des § 31 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung auf ein Zuwiderhandeln gegen einen eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt scheidet aus.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 28. Februar 2013 aufgehoben. Der Bescheid des Beklagten vom 28. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2010 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits in beiden Instanzen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines gegen die Klägerin gerichteten Sanktionsbescheides nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Die 1968 geborene Klägerin, türkische Staatsangehörige, lebt seit 1. Juli 2000 in A-Stadt. Sie bezieht als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft vom Beklagten seit dem Jahr 2005 (aufstockend) Leistungen nach dem SGB II. Die zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Kinder der Klägerin sind in den Jahren 1992, 1993, 1999 und 2004 geboren. Die Klägerin arbeitete im Jahr 2009 12,5 Stunden wöchentlich abends als Reinigungskraft. Zuletzt waren ihr auf den Antrag vom 28. September 2009 mit Bescheid vom 15. Oktober 2009 Leistungen ab 1. November 2009 bis 30. April 2010 bewilligt worden. Nachfolgend ergingen einige Änderungsbescheide betreffend diesen Bewilligungsabschnitt.

Am 18. November 2009 nahm die Klägerin in Begleitung ihres Ehemannes ein Beratungsgespräch beim Beklagten wahr. Bei diesem Gespräch wurde der Versuch unternommen, eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Ziel abzuschließen, dass die Klägerin ca. dreimal pro Woche vormittags an einem Integrationssprachkurs an der Volkshochschule (VHS) in B-Stadt teilnehmen sollte. Das Zustandekommen einer entsprechenden Vereinbarung scheiterte jedoch. Der Ehemann der Klägerin machte geltend, seine Frau sei zu alt, um eine Sprache zu lernen. Zum weiteren Inhalt der über die Vorsprache angefertigten Gesprächsvermerke wird auf die Verwaltungsakte verwiesen (Blatt 839, 840).

Mit Bescheid vom 18. November 2009 erließ der Beklagte einen Verwaltungsakt, der die beabsichtigte Eingliederungsvereinbarung inhaltsgleich ersetzte. Der Bescheid enthält eine ausführliche Rechtsfolgenbelehrung zu den Folgen einer Verletzung von Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung und den möglichen Sanktionen.

Gegen diesen Verwaltungsakt legte die Klägerin am 3. Dezember 2009 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 2. März 2010 zurückgewiesen wurde. Hiergegen erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden (Aktenzeichen: S 12 AS 306/10). In der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 2013 erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit bezüglich des Bescheides vom 18. November 2009 in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt. Da die Klägerin nicht, wie ihr durch den Bescheid vom 18. November 2009 aufgegeben worden war, dem Beklagten bis zum 15. Dezember 2009 eine Anmeldebestätigung zum VHS Sprachkurs im Januar 2010 vorlegte, erließ der Beklagte am 28. Januar 2010 einen Sanktionsbescheid gemäß § 31 SGB II, mit welchem der der Klägerin zustehende Anteil des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 1. Februar 2010 bis 30. April 2010 monatlich um 30 v. H. der maßgeblichen Regelleistung (96,90 EUR) abgesenkt wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin habe sich bis zum 20. Januar 2010 nicht bei der Volkshochschule gemeldet. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und trug vor, sie sei vor Erlass des Sanktionsbescheids nicht angehört worden und eine Teilnahme an einem Integrationssprachkurs sei ihr nicht zumutbar. Der Widerspruch wurde von dem Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2010 als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 4. Oktober 2010 Klage beim Sozialgericht Wiesbaden erhoben und vorgetragen, eine Sanktionierung nach § 31 Abs. 1 Nr. 1b) SGB II komme nicht in Betracht, weil sie keine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen habe, die Anknüpfungspunkt der Bestimmung sei. Eine erweiternde Auslegung der Bestimmung komme nicht in Betracht. Auch sei der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt vom 18. November 2009 nicht rechtmäßig, weil die Teilnahme an dem Integrationssprachkurs ihr nicht zumutbar sei, da sie drei nicht volljährige Kinder zu versorgen habe. Auch enthalte der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt keine Angabe, weshalb eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande gekommen sei und habe ersetzt werden müssen. Der Beklagte hat sich auf seine Ausführungen im angegriffenen Widerspruchsbescheid zum Vorliegen eines Pflichtenverstoßes und zur Anwendbarkeit des § 31 Abs. 1 Nr. 1b) SGB II bezogen.

Das Sozialgericht hat der Klägerin antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt und die Klage mit Urteil vom 28. Februar 2013 als zulässig, aber unbegründet abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, Rechtsgrundlage für den Sanktionsbescheid sei § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a SGB II a.F. Danach werde das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlages nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 v. H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigere, eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Zwar sei zwischen den Beteiligten eine Vereinbarung in diesem Sinne nicht zustande gekommen. Wie sich aus den in der Behördenakte befindlichen Gesprächsvermerken ergebe, habe sich die Klägerin auf Drängen ihres Ehemannes geweigert, eine entsprechende Eingliederungsvereinbarung zu unterzeichnen. Daraufhin habe der Beklagte einen inhaltsgleichen Verwaltungsakt erlassen, was nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II grundsätzlich möglich sei. Unter der Geltung der hier maßgeblichen alten Fassung des SGB II sei streitig gewesen, ob eine analoge Anwendung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a SGB II auf den Fall, dass eine Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt ersetzt wurde, zulässig gewesen sei (siehe zum Meinungsstand Berlit in LPK-SGB II § 31 Rz. 18). Die Kammer schließe sich der Auffassung an, dass eine Sanktion auch nach der früheren Rechtslage aufgrund eines sogenannten Eingliederungsverwaltungsaktes habe ergehen dürfen (vgl. Bay. LSG, Beschluss vom 28. Januar 2013, Aktenzeichen: L 7 AS 431/12 NZB unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, Aktenzeichen: B 4 AS 20/09 R). Ausschlaggebend für die Entscheidung sei der Umstand, dass der Gesetzgeber nunmehr (seit 1. April 2011) den Wortlaut der Norm geändert habe und in § 31 Abs. 1 Nr. 1 die Formulierung: " ... oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt ..." aufgenommen habe. Damit sei klargestellt worden, dass bei Verstößen auch schon nach alter Rechtslage beide Fallgruppen mit einer Sanktion belegt werden konnten.

Die Voraussetzungen für eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II um 30 v. H. der für die Klägerin maßgeblichen Regelleistung lägen vor. Die Klägerin sei vor Erlass des Sanktionsbescheides ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen der Absenkung des Arbeitslosengeldes II belehrt worden. Die Belehrung sei schriftlich erfolgt und mit dem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt vom 18. November 2009 verbunden worden. Zwar sei die Klägerin der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig, sie hätte sich aber den Wortlaut der Rechtsfolgenbelehrung durch ihre älteren Kinder, die in Deutschland die Schule besuchten, übersetzen lassen können, um sich über die Konsequenzen ihrer Weigerungshaltung Klarheit zu verschaffen.

Nach Aktenlage fehle es allerdings an der vor Erlass des Sanktionsbescheides erforderlichen Anhörung i. S. d. § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch –Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Dieser Verfahrensfehler sei jedoch nach § 41 Nr. 3 SGB X geheilt worden, indem der Klägerin im Widerspruchsverfahren Gelegenheit gegeben worden sei, sich zur Sache zu äußern. Damit erweise sich die fehlende Anhörung in rechtlicher Hinsicht als unbeachtlich.

Die materiellen Voraussetzungen für eine Sanktion lägen ebenfalls vor. Die Klägerin habe sich vorsätzlich geweigert, den im Verwaltungsakt vom 18. November 2009 festgelegten Pflichten nachzukommen und sich spätestens bis zum 15. Dezember 2009 bei der VHS B-Stadt zur Teilnahme an einem Integrationssprachkurs anzumelden. Die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Deutsch-Sprachkurs sei hinreichend konkret festgelegt worden. Der zeitliche Rahmen des Sprachkurses habe nicht in dem eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt genannt werden müssen, da es sich um eine allgemein zugängliche Information gehandelt habe und nähere Einzelheiten über den Kursverlauf bei der Kreis Volkshochschule hätten erfragt werden können. Sollten die Deutschkenntnisse der Klägerin nicht ausgereicht haben, so hätte sie ihr Ehemann, der deutscher Staatsbürger sei, bei den Formalitäten der Anmeldung unterstützen können. Es sei für die Klägerin erkennbar gewesen, welche Eigenbemühungen hätten erbracht werden müssen. Eine Sanktionierung entfalle auch nicht deshalb, weil die Klägerin einen wichtigen Grund für ihr Verhalten nachgewiesen habe (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II a. F.). Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt einen rechtswidrigen Inhalt gehabt habe. Das SGB II beruhe auf dem Prinzip des "Förderns und Forderns". Der Grundsatz des Förderns besage dabei, dass der erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen müssten. Eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person müsse aktiv an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung in Arbeit mitwirken, insbesondere eine Eingliederungsvereinbarung abschließen (§ 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB II). Unabdingbare Voraussetzung für eine dauerhafte Eingliederung in Arbeit sei die Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift. Diese Voraussetzung liege bei der Klägerin jedoch unstreitig nicht vor. Der Bevollmächtigte der Klägerin habe in der mündlichen Verhandlung bestätigt (vgl. Protokoll vom 28. Februar 2013, Aktenzeichen S 12 AS 306/10), dass die Klägerin nach wie vor nicht über ausreichende Deutsch-Sprachkenntnisse verfüge. Damit sei die vorgesehene Eingliederungsmaßnahme (Besuch eines Integrationssprachkurses) als rechtmäßig im Sinne der Umsetzung der Ziele des SGB II anzusehen. Auch ansonsten sei nicht erkennbar, dass die Teilnahme an dem Sprachkurs für die Klägerin unzumutbar gewesen wäre. Weder wäre es zu einer Kollision mit der damaligen Teilzeittätigkeit der Klägerin gekommen noch könne die Klägerin mit dem Argument gehört werden, dass sie bei einer Teilnahme an dem Integrationssprachkurs nicht mehr genügend Zeit für ihre Familie gehabt hätte. Hier sei zu berücksichtigen, dass die Kinder der Klägerin damals (im Jahre 2010) 18, 16, 11 und 6 Jahre alt gewesen seien. Einer zeitweisen Betreuung hätten nur die drei minderjährigen Kinder bedurft. Diese Betreuung hätte jedoch für die Zeit der Abwesenheit der Klägerin ohne weiteres vom Ehemann der Klägerin wahrgenommen werden können. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Ehemann der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen wäre, seiner Betreuungspflicht nachzukommen. Zwar habe er ein ärztliches Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin D. mit Datum vom 1. Juni 2010 vorgelegt, wonach er aufgrund seelischer Probleme nicht in der Lage sei, ganztägig auf seine Kinder aufzupassen. Nach Überzeugung der Kammer handele es sich bei diesem Attest jedoch um ein reines Gefälligkeitsattest, dem keine Bedeutung beizumessen sei. Im Übrigen gehe es auch nicht darum, dass Herr A. ganztägig auf seine Kinder aufpassen müsse bzw. habe aufpassen müssen. Vielmehr sei es nur darum gegangen, eine stundenweise Betreuung für die Zeit der Abwesenheit der Mutter zu übernehmen. Dass insoweit Hinderungsgründe aus medizinischer Sicht vorgelegen hätten, sei jedoch nicht dargelegt worden.

Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen. Das Urteil ist der Klägerin am 13. März 2013 zugestellt worden. Auf die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 2. Juli 2013 zugelassen (L 6 AS 187/13 NZB).

Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Berufung vor, der angefochtene Sanktionsbescheid sei rechtswidrig, die Teilnahme an dem Integrationssprachkurs sei ihr nicht zumutbar gewesen. Insbesondere hätte der Sprachkurs sie zeitlich zu sehr in Anspruch genommen (7 Module zu je 6 Wochen). Der zeitliche Rahmen des Sprachkurses hätte sich auch aus der Eingliederungsvereinbarung selbst ergeben müssen. Auch die der Sanktion zugrundeliegende Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt sei nicht zu Recht erfolgt.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 28. Februar 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 28. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2010 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er sieht den streitgegenständlichen Sanktionsbescheid nach wie vor als rechtmäßig an.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte des beigezogenen Verfahrens mit dem Aktenzeichen S 12 AS 306/10 sowie auf die beigezogenen Behördenakten (acht Originalbände, ein Band fotokopierte Akten) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 28. Februar 2013 hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der angegriffene Bescheid vom 28. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Es kann dahin stehen, ob die Anhörung der Klägerin vor Erlass des streitgegenständlichen Sanktionsbescheides wirksam nachgeholt wurde. Ebenso kann dahin stehen, ob der Beklagte von der Klägerin in dem eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt vom 18. November 2009 zulässigerweise eine Teilnahme an dem Integrationssprachkurs bei der VHS verlangen konnte und das von ihr verlangte Handeln hinreichend bestimmt festgelegt war. Denn selbst dann, wenn man beide Fragen bejaht und auch keinen wichtigen Grund der Klägerin gegeben sieht, an dem Sprachkurs nicht teilzunehmen, war der Sanktionsbescheid vom 28. Januar 2010 rechtswidrig, weil das Gesetz keine Rechtsgrundlage für die Sanktionsentscheidung enthielt. Denn eine Sanktionierung des Leistungsberechtigten bei einem Verstoß gegen einen eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt sah das Gesetz im Jahr 2010 nicht vor.

§ 31 SGB II in der vom 1. Oktober 2007 bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung vom 24. Oktober 2010 lautete:

"(1) Das Arbeitslosengeld II wird unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn
1.der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert,
[ ...] b)in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen,
[ ...] Dies gilt nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist. [ ...]
(6) Absenkung und Wegfall treten mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt, folgt; in den Fällen von Absatz 4 Nr. 3 Buchstabe a treten Absenkung und Wegfall mit Beginn der Sperrzeit oder dem Erlöschen des Anspruchs nach dem Dritten Buch ein. Absenkung und Wegfall dauern drei Monate. Bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 15. Lebensjahr, jedoch noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, kann der Träger die Absenkung und den Wegfall der Regelleistung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf sechs Wochen verkürzen. Während der Absenkung oder des Wegfalls der Leistung besteht kein Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vorschriften des Zwölften Buches."

Auch § 31 SGB II in der vom 1. Januar 2011 bis 31. März 2010 geltenden Fassung vom 9. Dezember 2010 strich nur die Passagen über den befristeten Zuschlag. Erst die Neufassung der Sanktionsbestimmungen durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 und der Bekanntmachung der Neufassung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 13. Mai 2011 erwähnt auch den eine Eingliederungsvereinbarung ersetzen Verwaltungsakt. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGB II in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung lautet:

"Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis 1.sich weigern, in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Absatz 1 Satz 6 festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen, [ ...] Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen."

Eine erweiternde Auslegung des § 31 Abs. 1 Nr. 1b) SGB II a.F. auf ein anderes Handlungsinstrument, den ersetzenden Verwaltungsakt im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II, scheidet aus. Auch wenn § 31 SGB II keine Strafvorschrift im eigentlichen Sinne darstellt und daher das Verbot strafbegründender oder strafverschärfender Analogien nicht unmittelbar gilt, ist die Vorschrift als Sanktionsnorm, die für den Hilfesuchenden gravierende Folgen hat, eng und am Wortlaut der Regelung orientiert auszulegen (Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 9. Februar 2007, L 7 AS 288/06 ER, juris Rn. 32). Der Wortlaut der Bestimmung ist eindeutig. Der eine Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt ist in § 31 Abs. 1 Nr. 1 b) SGB II a.F. nicht genannt.

Auch eine analoge Anwendung des § 31 Abs. 1 Nr. 1 b) SGB II a.F. auf ein Zuwiderhandeln gegen einen eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt, scheidet aus. Zwar lässt sich eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz bejahen, die der Gesetzgeber durch die Neufassung des Gesetzes zum 1. April 2011 für die Zukunft geschlossen hat. Eine analoge Anwendung der Sanktionsbestimmung des § 31 Abs. 1 Nr. 1 b) SGB II a.F. auf ein Zuwiderhandeln gegen einen eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt kommt gleichwohl nicht in Betracht.

§ 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I) bestimmt, dass Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden dürfen, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Schon der Vorbehalt des Gesetzes steht damit der Änderung des Leistungsanspruchs der Klägerin im Wege einer analogen Anwendung einer Sanktionsbestimmung entgegen. Dies gilt umso mehr, als es um die Einschränkung existenzsichernder Leistungen geht. Das SGB II regelt in seinem § 20 Leistungen, die der Existenzsicherung dienen, und setzt damit das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG, wie es das BVerfG in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) formuliert hat, um. Eine Absenkung vom Gesetzgeber als existenznotwendig festgelegter Leistungen kann von diesem selbst nur in engen Grenzen vorgesehen werden. Eine analoge Anwendung einer Gesetzesbestimmung, die gesetzlich bestimmte, existenzsichernde Leistungen absenkt, verbietet sich, weil hiermit in das vom Gesetzgeber selbst als Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums festgelegte Anspruchsniveau ohne gesetzliche Grundlage eingegriffen würde. Das ist mit dem Gewährleistungsrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar.

Diese Rechtsauffassung des Senats setzt sich auch nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Dieses hat nicht entschieden, dass nach der früheren Rechtslage auch aufgrund eines Eingliederungsverwaltungsaktes die gleichen Sanktionsmöglichkeiten wie bei einer Eingliederungsvereinbarung gegeben waren (so aber Bay. LSG, Beschluss vom 28. Januar 2013, Aktenzeichen: L 7 AS 431/12 NZB, juris Rn. 10). Das vom Bayerischen Landessozialgericht angeführte Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. Dezember 2009, Aktenzeichen B 4 AS 20/09 R, juris Rn. 17 beschäftigt sich nur obiter mit dieser Frage. Dort heißt es: "Die Vorinstanzen haben zu Recht die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst c SGB II i.d.F des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I, 1706) und § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II als nicht erfüllt angesehen. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst c SGB II in der genannten Fassung wird das Alg II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 vH der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, ein zumutbares Angebot nach § 15a oder eine sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen. Die Vorschrift setzt damit voraus, dass sämtliche in ihr aufgeführten Maßnahmen Gegenstand einer Eingliederungsvereinbarung sind. Eine solche wurde zwischen der Klägerin und der Beklagten jedoch nicht geschlossen. Auch einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 5 SGB II) hat die Beklagte nicht erteilt. [ ...]"

Aus der Erwähnung des Nichtvorliegens eines eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes kann nicht geschlossen werden, dass das Bundessozialgericht, wenn ein solcher Verwaltungsakt vorgelegen hätte, diesen gemäß der alten Fassung des § 31 SGB II als Rechtsgrundlage für eine Sanktionsentscheidung anerkannt hätte. Da ein eine Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt nicht vorlag, stellte sich die Frage, ob ein solcher als Grundlage für eine Sanktionsentscheidung nach alter Rechtslage taugte, für das Bundessozialgericht nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Revisionszulassungsgründe nicht vorliegen. Der Rechtstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG, weil der Gesetzgeber die hier streitige Rechtsfrage, ob § 31 Abs. 1 Nr. 1 b) SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung analog auf einen eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakte anwendbar ist, durch eine Neufassung des Gesetzes zum 1. April 2011 für die Zukunft obsolet gemacht hat.

Auch liegt keine Abweichung von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG vor. Denn die Frage, ob § 31 Abs. 1 Nr. 1 b) SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung analog auf Fälle eines eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt anzuwenden war, wurde vom Bundessozialgericht - wie dargelegt - nicht entschieden.

Für einen Revisionszulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist nichts vorgetragen und nichts ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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