L 3 U 60/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 U 55/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 60/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des Vor- und Klageverfahrens. Eine weitergehende Kostenerstattung findet nicht statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer höheren Verletztenrente wegen der Folgen der dem Kläger anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) und um die Anerkennung dieser Berufskrankheit schon zu einem früheren Zeitpunkt.

Der 1938 geborene Kläger erlernte von 1953 bis 1956 den Beruf des Bergmannes und war – ausgenommen die Zeiträume vom 24. Juni bis zum 26. Oktober 1957 und vom 17. August 1959 bis zum 13. Mai 1961 – bis zum 27. September 1963 in diesem Beruf tätig. Ab Juni 1964 war er bis April 1974 als KFZ-Prüfer beschäftigt. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit absolvierte er von Februar 1977 bis Januar 1979 eine Umschulung zum Reproduktionsfotografen und war in diesem Beruf bis 1984 tätig. Anschließend war er bis 2007 selbständiger Kunsthändler.

Aufgrund der "Ärztlichen Anzeige" des Praktischen Arztes S vom 10. Mai 1982 "über eine Berufskrankheit" wegen "rezidivierender Luftnotanfälle" seit 1972, in der auf einen Röntgenbefund vom 15. März 1982 sowie "Silikose I. Grades" verwiesen wurde, leitete die Bergbau-Berufsgenossenschaft Bochum ein Feststellungsverfahren hinsichtlich des Vorliegens einer Berufskrankheit nach Nr. 4101 der BKV vom 10. Mai 1982, Quarzstaublungenerkrankung (Silikose), ein. Im Rahmen der Ermittlungen übersandte der Arzt S den besagten Röntgenbefund des Radiologen Dr. G. Nach Einholung einer gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 10. August 1982 (ILO-Klassifikation pq 1/1, "eben leichte Quarzstaublungenveränderung"), die auf Auswertung der Röntgenaufnahme vom 15. März 1982, aber auch der Aufnahmen vom 28. Juni 1972, 29. August 1972 und 01. März 1974 des Dr. G basierte, lehnte die Bergbau-Berufsgenossenschaft die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit dem Bescheid vom 23. August 1982 ab. Beim Kläger bestehe keine entschädigungspflichtige Berufskrankheit nach Nr. 4101 (Quarzstaublungenerkrankung/Silikose) oder 4102 (Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose/Siliko-Tuberkulose) der BKV.

Zur Begründung seines dagegen eingelegten Widerspruchs verwies der Kläger u. a. auf den Befund der Universitätsklinik K vom 14. September 1982 über eine Lungenfunktionsprüfung (deutlich vermehrtes Residualvolumen, leichtgradig eingeschränkte Vitalkapazität, mäßiggradige obstruktive Ventilationsstörung im Bereich der großen Atemwege) und zwei ärztliche Atteste der Fachärztin für Innere Krankheiten Dr. S vom März 1970. Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungahme vom 05. Oktober 1982 wies die v.g. Berufsgenossenschaft den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 1982 mit dem Verweis als unbegründet zurück, dass die Lungenfunktionstests für eine asthmoide obstruktive Lungenerkrankung sprächen, die als schicksalhaft aufzufassen und in keinem Zusammenhang mit der eben leichten Silikose zu bringen sei.

Seit dem 01. November 2003 bezieht der Kläger von der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See Regelaltersrente.

Am 26. März 2010 stellte der Kläger bei der Beklagten einen "Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X sowie Verschlimmerungsantrag nach § 48 SGB X" im Hinblick auf die bei ihm "vorliegende Silikose im Sinne der BK 4101" und mit Verweis auf den ärztlichen Befund des Facharztes für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dipl. Med. J vom 24. September 2009. Im Rahmen ihrer Ermittlungen holte die Beklagte den Befund zum Bronchospasmolysetest vom 09. Juni 2010 von Dipl. Med. J sowie Röntgenfilme und CT-Aufnahmen ein.

Nach beratungsärztlicher Stellungnahme von Dr. S vom 18. September 2010 erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 12. November 2010 die Berufskrankheit – Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) mit obstruktiver Ventilationsstörung - nach Nr. 4101 der Anlage zur BKV an und gewährte dem Kläger eine Teilrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 30 vom Hundert (v. H.) ab dem 03. September 2009.

Mit seinem dagegen am 17. Dezember 2010 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, ihm sei schon "ab einem früheren Zeitpunkt die Verletztenrente aus Anlass der Silikose zu zahlen und überdies nach einer höheren MdE; mindestens nach einer solchen von 50%."

Vom 04. Januar 2011 bis zum 01. Februar 2011 hielt sich der Kläger zur stationären Behandlung der Atemwegserkrankung in der Berufsgenossenschaftlichen (BG) Klinik für Berufskrankheiten in F auf.

Auf Basis der mit dem Entlassungsbericht der BG-Klinik vom 09. Februar 2011 an die Beklagte gelangten – gegenüber September 2009 gebesserten - Befunde über den Lungenfunktionstest vom 27. Januar 2011 hielt der Beratungsarzt der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 12. März 2011 noch eine MdE in Höhe von 30 v. H. für gerechtfertigt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Mit seiner hiergegen am 16. Juni 2011 vor dem Sozialgericht (SG) Neuruppin erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren, gerichtet auf eine höhere Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von mindestens 50 v. H. und dies auch für die Zeit vor dem 03. September 2009, weiterverfolgt.

Das SG hat im Juli 2012 um Klarstellung des Klagebegehrens gebeten: Gegen den Bescheid vom 11. Oktober 1982 sei keine Klage erhoben worden. Zum Antrag des Klägers nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei ein Verwaltungsakt von der Beklagten nicht erlassen worden; der "Verschlimmerungsantrag" des Klägers sei hingegen von der Beklagten als Antrag auf Einleitung eines Feststellungsverfahrens ausgelegt worden.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 07. August 2012 dieser Interpretation des SG grundsätzlich zugestimmt und angeregt, das Verfahren auszusetzen - sollte der Kläger eine Überprüfung nach § 44 SGB X begehren. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 20. August 2012 mitgeteilt, dass das Klagebegehren sowohl auf Überprüfung als auch auf Verschlimmerung gerichtet sei.

Das SG hat sodann Beweis erhoben durch Einholung des vom Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie und Umweltmedizin Karel G erstellten lungenfachärztlichen Gutachtens vom 22. Mai 2013. Der Sachverständige gelangte zu der Einschätzung, dass die beim Kläger vorliegende Einschränkung der Lungenfunktion, Belastungsatemnot und Husten zu einem Drittel Folge der silikotischen Veränderung sei und zu zwei Dritteln Folge asthmatischer Hyperreagibilität aufgrund allergisch bedingter chronischer Inflammation infolge Pollinosis sowie eines früheren Nikotinabusus. Die röntgenologisch belegte Silikose wirke sich lungenfunktionell nicht eindeutig aus. Eine hierfür typische restriktive Ventilationsstörung habe nicht belegt werden können. Die Beklagte habe aber die Berufskrankheit bereits anerkannt, woran er gebunden sei. Die MdE betrage 30 v. H. seit 2009.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem SG beantragt:

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2011 zu verurteilen, ihm eine höhere Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE in Höhe von mindestens 50 v. H. auch für die Zeit vor dem 03. September 2009 zu gewähren.

Mit Urteil vom 26. Februar 2015 hat das SG die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Der Kläger habe auch nach dem Ergebnis der gerichtlichen Beweiserhebung keinen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung für die Zeit vor dem 03. September 2009. Die Quarzstaublungenerkrankung verlaufe meist chronisch progredient, so dass zur Überzeugung der Kammer auch im Ergebnis der Beweiserhebung ein früherer Rentenbeginn nicht festgestellt werden könne. Es sei am 02. September 2009 durch den den Kläger behandelnden Arzt eine Röntgenuntersuchung erfolgt mit dem Ergebnis silikotischer Veränderungen und einer obstruktiven Ventilationsstörung sowie der Einschätzung einer MdE in Höhe von 30 v. H. ab dem 02. September 2009. Dies habe auch der Bronchosplasmolysetest vom 02. September 2009 bestätigt. Die MdE-Bemessung hänge von zwei Faktoren ab: Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend sei nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust. Zur Überzeugung der Kammer sei im Ergebnis der Begutachtung des Klägers im Verwaltungsverfahren und insbesondere auch nach der im Klageverfahren durchgeführten Begutachtung zweifelsfrei festzustellen, dass auf Grund der bei dem Kläger festgestellten gesundheitlichen Anomalien und der sonach von der Beklagten anerkannten Berufskrankheit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in der Höhe von mehr als 30 v. H. nicht vorliege.

Gegen das ihm am 27. März 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. April 2015 Berufung eingelegt, mit der er an seinem erstinstanzlichen Begehren festhält. Aus der CT-Aufnahme des Thorax vom 18. März 2015 ergebe sich eine Silikose Grad I. Seit fünf Jahren erfolge eine Cortison-Medikation.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 26. Februar 2015 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. November 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2011 zu ändern und festzustellen, dass bei ihm bereits ab 01. Januar 2005 eine Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung besteht, die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit ab 01. Januar 2005 wegen der Folgen der Berufskrankheit eine Verletztenrente und für die Zeit ab dem 03. September 2009 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf das erstinstanzliche Urteil, welches zutreffend sei.

Der Senat hat sowohl zum erst- als auch zum zweitinstanzlichen Vorbringen des Klägers gegen das Sachverständigengutachten die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen G vom 30. November 2015 eingeholt. Der Sachverständige hat vorgetragen, dass in der Kausalitätsbetrachtung beim Kläger zu beachten gewesen sei, dass offensichtlich eine allergisch bedingte Vorerkrankung bestanden habe und hierzu eine zusätzliche Einschränkung der pulmonalen Widerstandskräfte infolge inhalativen Rauchens getreten sei. Diese beiden Belastungen seien in erster Linie Ursache einer, wenn auch objektiv nur geringen, bronchialen Obstruktion. Im Rahmen seiner gutachterlichen Untersuchung des Klägers am 22. Mai 2013 habe er das Vorliegen einer " Lungenversteifung und Lungenstarre ", welche für eine Silikose typisch sei, ausgeschlossen. Die röntgenologischen Veränderungen seien nur geringfügig und würden auch ein größeres Ausmaß an lungenfibrotischer, funktionsbehindernder Veränderung des Lungengewebes nicht verursachen können. Auch der mit Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 06. Mai 2015 übersandte CT-Thorax-Befund der Radiologin Dr. G vom 19. März 2015 beschreibe in Übereinstimmung mit den im Gutachten erfolgten genauen Beschreibungen des Röntgenbefundes lediglich kleine bis minimale Veränderungen in Form "kleinster" nodulärer Strukturverdichtungen bzw. "kleiner" Silikofibrose in S 10 links bei Silikose I. Zur MdE-Einschätzung hat er darauf verwiesen, dass angesichts des beruflichen Werdegangs des Klägers nicht zu erkennen sein, dass er sich aufgrund einer körperlichen Einschränkung bezüglich seiner Erwerbsmöglichkeiten verschlechtert hätte. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung ergebe sich auch nicht aus dem von der Radiologin Dr. G mitgeteilten Befund "diffuse Demineralisation des Stammskelettes nach fünf Jahren Cortison-Medikation", wobei die Radiologin wohl irrtümlich davon ausgegangen sei, dass der Kläger eine derartige Medikation erhalten habe. Tatsächlich jedoch habe die vom Kläger durchgeführte inhalative Therapie mit dem Präparat "Foster" keine systemischen Nebenwirkungen auf die Knochen; dies sei nur dann eine mögliche Nebenwirkung, wenn Cortisonpräparate oral eingenommen würden. Art und Ausmaß der "lediglich geringen silikoformen Veränderungen" seien nicht geeignet, in meßbarer Form eine Einschränkung der pulmonalen Leistungsfähigkeit zu verursachen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltliche Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 12. November 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2011 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht. Streitgegenstand ist hingegen nicht der Bescheid vom 23. August 1982 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 1982. Zwar hatte der Kläger auf gerichtliche Anfrage des SG hin noch die Ansicht vertreten, seine Ansprüche auch nach § 44 SGB X im hiesigen Gerichtsverfahren verfolgen zu wollen. Seine Antragstellung vor dem SG offenbart jedoch, dass er dieses Ziel unter verständiger Würdigung seines Gesamtvorbringens letztendlich aufgegeben hatte (§§ 123, 92 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte, ihm für die Zeit ab 01. Januar 2005 wegen der Folgen der Berufskrankheit eine Verletztenrente und für die Zeit ab dem 03. September 2009 eine höhere Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 v. H. zu gewähren.

1. Nach §§ 26 ff. Siebtes Sozialgesetzbuch (SGB VII) gewährt der Träger der Unfallversicherung einem Versicherten nach Eintritt eines Versicherungsfalls Leistungen aus der Unfallversicherung. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Nach Nr. 4101 der Anlage zur BKV (BKV vom 31. Oktober 1997, BGBl. I S. 2623, zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Berufskrankheitenverordnung vom 05. September 2002, BGBl. I S. 3541) gehört zu den BKen auch die Quarzstaublungenerkrankung (Silikose). Dabei handelt es sich um eine Erkrankung an Lungenfibrose durch Einatmung von Staub, welcher in unterschiedlichen Anteilen freie kristalline Kieselsäure enthält. Diese freie kristalline Kieselsäure kommt im Wesentlichen als Quarz, Cristobalit oder Tridymit an zahlreichen Arbeitsplätzen vor (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Anm. 17.2). Derartige Arbeitsplätze finden sich typischerweise im Steinkohlebergbau, in der Natursteinindustrie, im Gießereiwesen, in der Glasindustrie, in der Email- und keramischen Industrie sowie bei der Herstellung feuerfester Steine (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Anm. 17.2.1). Der Tatbestand der BK ist erfüllt, wenn diese so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, die genannte Krankheit (Silikose) vorliegt und wenn zwischen der beruflichen Belastung und der Krankheit ein Kausalzusammenhang besteht. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit – ausreicht (Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. August 2000 – B 2 U 34/99 R -, in SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2).

Die Anerkennung einer Krankheit als BK setzt hiernach zwingend voraus, dass der Vollbeweis für das Vorliegen einer Silikose erbracht worden sein muss. Die Krankheit als solche muss voll bewiesen sein, d.h. ihr Vorliegen muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen. Die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt nur für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (Urteil des BSG vom 31. Mai 2005 - B 2 U 12/04 R -, in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2). Lassen sich unter Berücksichtigung dieser Grundsätze die den Anspruch begründenden Tatsachen nicht nachweisen, gelingt insbesondere nicht der Nachweis des Vorliegens einer Krankheit im Sinne der geltend gemachten BK, so geht dies nach dem auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten, wenn er aus diesen Voraussetzungen eine für ihn günstige Rechtsfolge herleiten will (Urteile des BSG vom 27. Juni 1991 – 2 RU 31/90 – und vom 12. Mai 1992 – 2 RU 26/91 -, in SozR 3–2200 § 548 Nrn. 11 und 14).

Es kann hier dahinstehen, ob der Kläger an seinen Arbeitsplätzen als Hauer unter Tage überhaupt der Einwirkung von Quarzstäuben ausgesetzt war, denn dem Begehren des Klägers auf Anerkennung und Entschädigung einer BK nach Nr. 4101 der Anlage zur BKV auch schon für den Zeitraum ab 01. Januar 2005 steht bereits der fehlende Nachweis einer entsprechenden Krankheit entgegen. Hiernach ist der Senat bereits nicht im nach § 128 Abs. 1 S. 1 SGG gebotenen Maße überzeugt, dass beim Kläger auch schon für den Zeitraum ab 01. Januar 2005 (bis 03. September 2009) ein einschlägiges Erkrankungsbild i.S.d. BK 4101 der Anlage zur BKV im Sinne des Vollbeweises vorliegt.

Dabei wird die Silikose in erster Linie durch das Röntgenbild der Lunge definiert, wobei disseminierte, mehr oder minder rundliche Verschattungen unterschiedlicher Größe und Dichte eventuell mit zusätzlichen Schwielenbildungen charakteristisch sind (vgl. Empfehlung für die Begutachtung von Quarzstaublungenerkrankungen (Silikosen) "Bochumer Empfehlungen" in: Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, M 4101, Seite 9). Solche Knötchen, und infolge des lymphogenen Abtransportes auch die hilären oder mediastinalen Lymphknoten, können verkalken (Eierschalensilikose; vgl. hierzu das Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK Nr. 4101 unter II., Bekanntmachung des BMA vom 05. Februar 1998, BArbBl. 1998 Heft 4 S. 61). Diese röntgenologisch nachweisbaren Veränderungen werden nach der ILO 2000 beschrieben und klassifiziert (vgl. hierzu o. g. Merkblatt sowie Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Anm. 17.2.5). Für eine Silikose spricht das Vorliegen kleiner rundlicher Schatten vom Typ p, q oder r im Röntgenbild des Thorax mit einer gewissen Reichlichkeit und gleichmäßigen Verteilung im Sinne eines Streuungsgrades nach ILO 2000 von 1/1 oder höher (vgl. "Bochumer Empfehlungen", a.a.O., S. 13). Wegen der häufig bestehenden Unsicherheiten bei der Beurteilung der Röntgenaufnahmen, insbesondere bei geringgestreuter Silikose, ist im Rahmen der Erstbegutachtung der Nachweis der Diagnose im Vollbeweis aufgrund von Röntgenaufnahmen nur unter besonderen Voraussetzungen möglich. Grundsätzlich müssen mehrere Voraufnahmen vorliegen und der Röntgenbefund bedarf einer Zweitbeurteilung. Diese ist entbehrlich, wenn nach der Beurteilung eines erfahrenen Gutachters in der Gesamtschau aus Exposition, Röntgenverlauf und aktuellem Befund keine Zweifel an der Diagnose bestehen ("Bochumer Empfehlungen", a.a.O., S. 13; X. Baur u.a., Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101, Pneumologie 2008; 62: 659 (675)).

Eine diesen – heutigen und maßgebenden - Erkenntnis-Anforderungen gerecht werdende Diagnostik hat betreffend die Anerkennung der BK 4101 für den Zeitraum ab 01. Januar 2005 noch nicht stattgefunden. Zwar verweist der Praktische Arzt S zum Beleg seiner Diagnose einer Silikose I. Grades auf den Röntgenbefund vom 15. März 1982. In diesem wird vom Radiologen G jedoch keine sichere Silikose-Diagnose gestellt. Vielmehr beurteilte er die vorgefundene "geringgradige Vermehrung retikulärer Strukturen und Darstellung vereinzelter linearer Herdbildungen" als "Befunde im Grenzbereich der Norm, die bei vergleichender Betrachtung mit Voraufnahmen vom 01.03.74 keine Progredienz aufweisen. Unter Berücksichtigung der Anamnese (der Patient habe von 1958 bis 1963 vor Stein und vor Kohle gearbeitet) kann es sich durchaus um eine Silikose im Stadium I handeln." Abgesehen davon, dass der Radiologe den Befund noch im Grenzbereich der Norm sah, und sich daher nicht sicher zur Diagnose äußerte, fehlt es auch an der Benennung der Diagnose- und Klassifizierungskriterien, die in der Bochumer Empfehlung beschrieben sind und ohne die eine Silikose-Diagnose nicht verifizierbar und im Sinne des Vollbeweises sicher nachgewiesen ist.

Bindungswirkung (§ 77 SGG) entfaltet auch nicht der bestandskräftig gewordene Bescheid der Bergbau-Berufsgenossenschaft vom 23. August 1982, da er in dem der Bestandskraft unterliegenden Entscheidungssatz das Vorliegen der BK 4101 verneint hat (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG 11. Aufl. 2014, § 77 Rn. 5b m.w.N.).

Aber auch dann, wenn das vollbeweisliche Vorliegen einer Silikose unterstellt werden würde, wäre keine valide MdE-Einschätzung für die Zeit ab 01. Januar 2005 möglich, da es für diesen Zeitraum – bis 03. September 2009 - an einer leitliniengerechten Befundung fehlt, welche zu einer MdE-Einschätzung berechtigen würde. Hierbei ist auch auf die nachfolgend im Einzelnen dargestellten Grundsätze der MdE-Bemessung bei Silikose zu verweisen.

2. Soweit die Beklagte das Vorliegen der BK 4101 sowie eine rentenberechtigende MdE in Höhe von 30 v. H. ab dem 03. September 2009 mit Bescheid vom Bescheid der Beklagten vom 12. November 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2011 festgestellt hat, ist dies bindend, da nicht insoweit vom Kläger angegriffen (§ 77 SGG). Nach den dargelegten Grundsätzen ergibt sich jedoch für den Kläger kein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von mehr als 30 v.H.

Die MdE richtet sich im Unfallversicherungsrecht nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. dem sogenannten allgemeinen Arbeitsmarkt (vgl. BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 1). Damit kommt es auf den bisherigen Beruf oder die bisherige berufliche Tätigkeit - von hier nicht vorliegenden Ausnahmen (§ 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII) abgesehen - nicht an (vgl. BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 7). Bei der Festsetzung der MdE sind nach der Rechtsprechung des BSG im Interesse der Gleichbehandlung aller Versicherter die im unfallrechtlichen und unfallmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Regel- oder Normalsätze als Anhaltspunkte unter Einbeziehung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu beachten (vgl. BSG, Urteil vom 13. September 2005 - B 2 U 4/04 R -, zitiert nach juris). Die MdE-Bewertung enthält weder ein Ermessen noch eine exakte Berechnung, sondern eine nur zu Annäherungswerten kommende Schätzung im Sinne einer Tatsachenfeststellung. Zur Mitwirkung ist regelmäßig ein fachkundiger Arzt berufen. Da aber die Höhe der MdE letztlich eine Rechtsfrage betrifft, sind die Gerichte und die Unfallversicherungsträger nicht an seine Schätzung gebunden (vgl. BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 1 und SozR 3-2200 § 581 Nr. 8); vielmehr haben sie die MdE aus der aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens gewonnenen Überzeugung in eigener Verantwortung zu prüfen und ggf. zu korrigieren (vgl. BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2, vom 13.09.2005 - B 2 U 4/04 R - und vom 30.06.2009 - B 2 U 3/08 R -, jeweils zitiert nach juris).

Bei Vorliegen einer Silikose – auch nur geringer Streuungskategorien – ist grundsätzlich eine qualitätsgesicherte standardisierte Diagnostik indiziert. Dabei sind die radiologischen Befunde, insbesondere aber auch das Beschwerdebild zu erfassen und das Ausmaß der Funktionsstörung (u a. Restriktion, Obstruktion, Gasaustauschstörung) zu ermitteln und zu objektivieren. Die Begutachtung, mittels derer der ärztliche Sachverständige die medizinisch-funktionellen Grundlagen der MdE-Einschätzung ermittelt, erfordert deshalb - nicht zuletzt auch aus differenzialdiagnostischen Gründen - eine umfassende Funktionsprüfung des kardiopulmonalen Systems einschließlich der Bestimmung der CO-Diffusionskapazität, des Gasaustausches unter Belastung sowie nach Möglichkeit auch eine Spiroergometrie. Letztlich ist der medizinisch-funktionelle Anteil der MdE integrativ aus dem Schweregrad des Erscheinungsbildes und der einzelnen funktionellen Einschränkungen zu quantifizieren (X. Baur et al., a.a.O., S. 677; Schönberger et al., a.a.O., S. 1015 ff. vgl. S. 1017; Reichenhaller Merkblatt).

Als überwiegende Ursachen der beim Kläger festzustellenden geringen bronchialen Obstruktion mit Belastungsatemnot und Husten benannte der Sachverständige eine allergisch bedingte Vorerkrankung des Klägers in Form einer langjährigen exogenallergischen Hypersensibilisierung gegen diverse Pollen sowie eine Vorschädigung durch Nikotinabusus. Der Sachverständige hat im Rahmen der Begutachtung des Klägers anamnestisch (nur) anfallsweise Atemnot festgestellt, was für eine asthmatoide obstruktive Lungenerkrankung spricht und nicht für eine durch Silikose verursachte, da dann anhaltende Atemnot adäquat wäre. Es zeigt sich beim Kläger ein Mischbild – zumindest gesichert auch mit chronisch obstruktiver Bronchitis, die ihrerseits mit Bronchialdillatatoren reversibel beeinflussbar ist, was bei der Begutachtung durch den Sachverständigen festgestellt wurde.

Angesichts dieser auf die Lungenfunktion einerseits einwirkenden konkurrierenden Verursachungsanteile und der andererseits röntgenologisch beim Kläger nur als gering feststellbaren silikofibrotischen Veränderungen, hat der Sachverständige leitliniengerecht den medizinisch-funktionellen Anteil der silikofibrotischen Veränderungen an der MdE als gering, mit einem Anteil von einem Drittel eingeschätzt.

Die vom Sachverständigen durchgeführten Lungenfunktionstests (Spirometrie, Bodyplethysmografie) waren wegen mangelnder Mitwirkung des Klägers teilweise nicht aussagekräftig, womit ein Nachweis überwiegend mittelgradiger Veränderungen, die – als Kriterium einzeln betrachtet – für eine MdE von mehr als 30 v. H. bis einschließlich 70 v. H. sprechen würden, nicht möglich ist. Mitarbeitsbedingt stellte der Sachverständige deutlich eingeschränkte exspiratorische Flussvolumina fest, wobei der Quotient aus FEV1/VK jedoch weitgehend normal war. Im Spasmolysetest mit Salbutamol fielen die spirometrischen Parameter auffällig erheblich besser, nahezu normal, aus, so dass dem Sachverständigen in der Einschätzung gefolgt wird, dass eine schwere, nicht beeinflussbare Ventilationsstörung nicht vorliegt.

Die Belastungsbestimmung in Ruhe ergab altersentsprechend normale Blutgaswerte und normale Sauerstoffsättigung. Eine signifikante Auswirkung der Silikose auf die Lungenfunktion kann mithin nicht bestätigt werde. Insbesondere ist eine restriktive Ventilationsstörung, wie sie für funktionell wirksame Silikosen typisch ist, beim Kläger nicht belegbar. Die festgestellte Obstruktion bezeichnet der Sachverständige wiederum als typisch für ein Asthma bronchiale oder eine COPD, wobei der lungenfunktionelle Unterschied darin besteht, dass die Obstruktion bei Asthma bronchiale medikamentös hoch reversibel ist, kaum jedoch bei der COPD.

Die anzunehmende funktionsbeeinträchtigende Atemwegserkrankung des Klägers stellt sich verursachungsbedingt dar als ein gut reversibles, gemischtförmiges Asthma bronchiale, hervorgetreten aufgrund langjähriger exogenallergischer Hypersensibilisierung gegen diverse Pollen bei gleichzeitiger zusätzlicher Vorschädigung durch früheren Nikotinabusus sowie als geringe silikofibrotische Veränderungen zu je etwa einem Drittel.

Dass die langjährige inhalative Medikation des Klägers mit dem Medikament Foster keine systemischen Nebenwirkungen auf die Knochen hat – anders als bei oral verabreichten Cortisonpräparaten - und somit ggf. auch nicht mittelbar MdE-erhöhend wirkt, hat der Sachverständige zur Überzeugung des Senates dargelegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Sie berücksichtigt zum einen den Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst und zum anderen - unter Veranlassungsgesichtspunkten - die Tatsache, dass die Beklagte es ihrerseits im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, eine sachgerecht erscheinende medizinisch-wissenschaftlichen Begutachtung des Klägers zu veranlassen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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