L 39 SF 1/17 B E ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
39
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 165 SF 1004/16 E ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 39 SF 1/17 B E ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Vollstreckungsanordnungen sind auch in der Sozialgerichtbarkeit nicht mit der Beschwerde anfechtbar, das sie vom erlassenden Gericht jederzeit abgeändert werden können (anderer Ansicht: LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 09. Januar 2017, L 3 KA 87/16 B ER)
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Dezember 2016 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Antragsteller – ein Jobcenter - wendet sich im Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht Berlin (S 165 SF 1003/16 E WA) im Wege einer Vollstreckungsabwehrklage gegen einen im Erinnerungsverfahren ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 2014 (S 165 SF 8600/13 E) und trägt dort vor, die Zwangsvollstreckung aus diesem Beschluss sei für unzulässig zu erklären, da er gegen den dort festgesetzten Gebührenanspruch mit Erstattungsforderungen gegen den Leistungsempfänger mit Schreiben vom 3. Februar 2014 aufgerechnet habe. Gleichzeitig hat der Antragsteller beantragt, die Vollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss einstweilen ohne Sicherheitsleistung einzustellen.

Das Sozialgericht hat dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit dem angefochtenen Beschluss vom 20. Dezember 2016 entsprochen und die Zwangsvollstreckung bis zum Ausspruch des Urteils im Verfahren S 165 SF 1003/16 E WA einstweilen eingestellt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das einstweilige Rechtsschutzverfahren abgelehnt.

Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde vom 3. Januar 2017.

Die Beschwerde war als unzulässig zu verwerfen; sie ist nicht statthaft, da das Gesetz keine Beschwerdemöglichkeit vorsieht. Allerdings besteht für das erkennende Sozialgericht auf Antrag eines Beteiligten jederzeit die Möglichkeit, den angefochtenen Beschluss abzuändern. Die Rechtslage entspricht damit der in der Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Vollstreckungsabwehrklage ist auch im Sozialgerichtsverfahren nach § 767 Zivilprozessordnung i.V.m. §§ 198, 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 11. Auflage, § 141 Rn. 21)

Die Vollstreckungsabwehrklage im Hauptsacheverfahren (S 165 SF 1003/16 E WA) richtet sich auch gegen einen für diese Klageart in Betracht kommenden Vollstreckungstitel, hier den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28. Januar 2014 (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, Kommentar, 37. Auflage 2016, § 767 Rn. 10, 25).

Der einstweilige Rechtsschutz zur Vollstreckungsabwehrklage ist im Hinblick auf die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem angegriffenen Titel in § 769 ZPO i.V.m. §§ 198, 202 SGG geregelt. In der Zivilgerichtsbarkeit wird nach ganz herrschender Meinung angenommen, dass eine Beschwerdemöglichkeit gegen Beschlüsse auf der Grundlage des § 769 ZPO nicht besteht, weil die Interessenslage nicht anders sei, als bei der Einstellung der Zwangsvollstreckung aus vorläufig vollstreckbaren Urteilen (§§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 2 ZPO), die ebenfalls nicht anfechtbar sei. Andererseits wird die jederzeitige Möglichkeit der Abänderung durch das Prozessgericht bejaht, um der jeweiligen Prozesslage uneingeschränkt Rechnung tragen zu können (Thomas/Putzo, a.a.O., § 769, Rn. 18, 20; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Kommentar, 70. Auflage 2012, § 769 Rn. 13 – 15; Zöller, ZPO, Kommentar, 31. Auflage, 2016, § 769 Rn. 13).

Weder der Wortlaut des § 198 SGG noch Gesetzessystematik und Sinn und Zweck der Vollstreckungsanordnungen gebieten es, die Rechtslage in der Sozialgerichtbarkeit anders zu beurteilen (anders aber ohne überzeugende Begründung: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. Januar 2017, L 3 KA 87/16 B ER, zitiert nach juris).

§ 198 Abs. 1 SGG schreibt die Geltung des Achten Buches der ZPO vor, soweit das Sozialgerichtsgesetz nicht anderes regelt. Das SGG enthält weder Sonderregelungen für die Vollstreckungsabwehrklage noch den einstweiligen Rechtsschutz im Rahmen dieser Klageart. Abs. 3 der Vorschrift regelt lediglich, dass an die Stelle der sofortigen Beschwerde in der ZPO die Beschwerde nach §§ 172-177 SGG trete. Wie oben dargelegt, ist die sofortige Beschwerde gegen Beschlüsse nach § 769 ZPO aber gerade nicht gegeben, so dass die Beschwerdemöglichkeit nach §§ 172 SGG auch nicht an deren Stelle treten kann.

Von der Gesetzessystematik her regelt auch das SGG die Vollstreckung dahingehend, dass die Entscheidungen des Vorsitzenden nach § 199 Abs. 2 SGG jederzeit abänderbar sind (§ 199 Abs. 2 Satz 3, zweiter Halbsatz SGG). Nur dies ermöglicht es, die Vollstreckungsmöglichkeiten der Prozesslage soweit wie möglich anzupassen. Von der Systematik her kennt das SGG durchaus den Ausschluss der Beschwerde über die Verweisung auf die ZPO oder das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Kraft besonderer Regelung sind daher z.B. ein Verweisungsbeschluss (§ 98 SGG, § 202 Satz 1 i.V.m. § 17a Abs. 5 GVG) und Anfechtungen der Niederschrift (§ 122 i.V.m. 160 Abs. 4 Satz 3 ZPO) unanfechtbar (vgl. auch, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 172 Rn. 4).

Schließlich besteht kein einleuchtender Grund Vollstreckungsanordnungen in der Sozialgerichtbarkeit anders zu behandeln als in der Zivilgerichtsbarkeit. Unter Verweis auf die bereits zitierten Fundstellen ist es Sinn und Zweck der jederzeitigen Abänderbarkeit von Vollstreckungsanordnungen, die Vollstreckungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung eines effektiven Rechtsschutzes der materiellen Prozesslage anzupassen. Dieses Ziel kann auch in der Sozialgerichtsbarkeit Geltung beanspruchen. Es ist daher nicht einzusehen, warum die Beteiligten eines Sozialgerichtsprozesses im Hinblick auf eine Antragsbefugnis zur Abänderung schlechter gestellt sein sollten als Kläger in der Zivilgerichtsbarkeit. Allein der Umstand, dass der Vollstreckungsschuldner hier die öffentliche Hand ist und ein Insolvenzrisiko nicht besteht, ist kein ausreichender Grund die Vollstreckungsanordnungen nicht unverzüglich der materiellen Prozesslage anzupassen. Besonderheiten für die Vollstreckung zugunsten der öffentlichen Hand, um die es hier nicht geht, sind im Übrigen in § 200 SGG geregelt.

Der Antragsgegner kann sich daher unter Hinweis auf das Urteil des 31. Senats des Landessozialgerichts Berlin Brandenburg vom 13. Oktober 2016 (L 31 AS 1774/16, zitiert nach juris) erneut an das Sozialgericht wenden, mit dem Antrag den Beschluss vom 20. Dezember 2016 aufzuheben und den Antrag zurückzuweisen. Ob ein solcher Antrag Erfolg hätte, müsste das Sozialgericht entscheiden.

Der Kostenausspruch ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved