Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 30 R 2056/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 R 1083/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. November 2014 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 12. April 2016 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Verfahren vor dem Landessozialgericht nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem die Bewilligung von Witwenrente für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 31. August 2012 aufgehoben und ein Betrag von 4.830,28 Euro zurückgefordert wurde. Nach Teilanerkenntnis während des Berufungsverfahrens wird jetzt nur noch ein Betrag von 4.575,88 Euro zurückgefordert.
Die 1945 geborene, also jetzt 71 Jahre alte Klägerin ist die Witwe des 1941 geborenen und 2008 verstorbenen K (im Folgenden: der Versicherte). Mit Eingang bei der Beklagten am 4. September 2008 stellte die Klägerin einen Antrag auf Bewilligung einer großen Witwenrente. Darin gab sie unter anderem an, dass sie eine Rente aus eigener Versicherung aus der Ärzteversorgung i.H.v. 1.817,90 Euro beziehe. Auf die Anfrage der Beklagten bestätigte die Ärztekammer Berlin, Berliner Ärzteversorgung, unter dem 22. September 2008 die laufende Rentenzahlung ab 1. Januar 2008 in der genannten Höhe. Mit Bescheid vom 19. November 2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin große Witwenrente ab dem 1. Juli 2008. Darin wurde unter der Überschrift "Mitteilungspflichten und Mitwirkungspflichten" darauf hingewiesen, dass Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen Einfluss auf die Rentenhöhe haben könne. Die Klägerin sei daher verpflichtet, der Beklagten jeden Bezug und jede Veränderung von Erwerbseinkommen oder Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen. Als Erwerbsersatzeinkommen wurde auch eine "Rente von öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtungen oder Versorgungseinrichtungen" aufgelistet. Unter der Überschrift "Weitere Hinweise" wurde mitgeteilt, dass Bestandteil des Bescheides unter anderem die Anlagen 1 und 8 seien. Weiter wurde ausgeführt, dass sich aus der Anlage 1 ergebe, dass die Rente wegen des Zusammentreffens mit anderen Leistungen nur teilweise zu zahlen sei. Die Klägerin wurde gebeten, die Beklagte zu informieren, wenn die anderen Leistungen sich minderten oder wegfielen. Treffe eine Witwenrente oder Witwerrente mit Erwerbseinkommen oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten zusammen, so sei auf die Rente Einkommen i.H.v. 40 Prozent des Betrages anzurechnen, um den das monatliche Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteige. In der Anlage 1 wurde dargestellt, dass die Rente mit Einkommen zusammentreffe und daher zu mindern sei. Aus Anlage 8 ergibt sich die Ermittlung des auf die Rente anzurechnenden Einkommens. Zum Zeitpunkt 1. Oktober 2008 betrug das anzurechnende Einkommen 275,28 Euro monatlich, es wurde eine Rente in Höhe von 22,86 Euro gezahlt. Angerechnet wurde neben der Rente aus der Ärzteversorgung auch die von der Klägerin bezogene Rente aus der lettischen gesetzlichen Rentenversicherung.
Im Laufe des gegen diesen Bescheid geführten Widerspruchsverfahrens bestellte sich der Rentenberater und Rechtsbeistand W unter Vorlage einer Vollmacht zum Bevollmächtigten der Klägerin.
Mit Bescheid vom 23. Dezember 2009 hat die Beklagte die große Witwenrente ab dem 1. Juli 2009 neu berechnet. Auch hierbei wurde die eigene Rente, die die Klägerin von der Ärztekammer bezieht, i.H.v. 1817,90 Euro auf die große Witwenrente angerechnet.
Mit Bescheid vom 17. Januar 2011 wurde die große Witwenrente ab dem 1. Juli 2009 neu berechnet, weil eine Rentenanpassung durchzuführen war und sich das auf die Rente anzurechnende Einkommen geändert hatte. Auch hierbei erfolgte eine Anrechnung der Rente aus der Ärzteversorgung, der lettischen Rente und - neu hinzugekommen - der eigenen Rente der Klägerin aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Es wurde die vorherige Bewilligung gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) teilweise aufgehoben und ein Erstattungsbetrag geltend gemacht, weil Einkommen hinzugekommen war.
Mit Bescheid vom 4. Februar 2011 wurde die große Witwenrente ab dem 1. Juli 2008 neu berechnet, weil ein Zuschuss zur privaten Krankenversicherung zu zahlen war. Der Zahlbetrag belief sich jetzt auf 45,66 Euro (29,37 Euro Rente und 16,29 Euro Zuschuss zur privaten Krankenversicherung). Auch in diesem Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen, unter anderem auch Rente aus Versorgungseinrichtungen, Einfluss auf die Höhe der Rente habe.
Mit Bescheid vom 9. Mai 2011 hat die Beklagte die große Witwenrente ab dem 1. Juli 2011 neu berechnet. Dabei wurden die eigene Versichertenrente der Klägerin aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung und die lettische Rente angerechnet, nicht jedoch die Rente aus der Ärzteversorgung. Der Bescheid wurde Rechtsbeistand W übersandt.
Nachdem die Berliner Ärzteversorgung mit Schreiben vom 4. Mai 2012 für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2011 den Bezug einer Bruttorente von 1.826,99 Euro und für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2012 von 1.836,12 Euro bestätigt hatte, hörte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 16. Mai 2012, das an die Klägerin selbst und nicht an Rechtsbeistand Wgeschickt wurde, dahingehend an, dass sie festgestellt habe, dass der Anspruch auf Witwenrente kraft Gesetzes zu kürzen sei, weil die Rente aus der berufsständischen Versorgung anzurechnen sei. Sie beabsichtige, den Bescheid vom 9. Mai 2011 mit Wirkung ab dem 1. Juli 2011 nach § 45 SGB X zurückzunehmen und die Überzahlung für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 30. Juni 2012 i.H.v. 4.140,24 Euro nach § 50 Abs. 1 SGB X zurückzufordern.
Am 1. Juni 2012 bat Rechtsbeistand Wille telefonisch um Akteneinsicht, die ihm auch gewährt wurde. Mit Schreiben vom 12. Juni 2012 erinnerte die Beklagte Rechtsbeistand W an die Stellungnahme zur Anhörung.
Nachdem die Klägerin bzw. ihr Rentenberater auf die Anhörung keine Stellungnahme abgegeben hatten, berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 9. August 2012 die große Witwenrente ab dem 1. Juli 2011 neu. Für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 31. August 2012 ergebe sich eine Überzahlung von 4.830,28 Euro. Der Rentenbescheid vom 9. Mai 2011 werde hinsichtlich der Rentenhöhe nach § 45 SGB X zurückgenommen, die entstandene Überzahlung sei gemäß § 50 SGB X zu erstatten. Die Rücknahme des Rentenbescheides sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft sei zulässig, weil die Klägerin sich zum einen auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides nicht berufen könne und zum anderen die Fristen des § 45 Abs. 3 bzw. Abs. 4 SGB X nicht abgelaufen seien. Auch die vorzunehmende Ermessensausübung führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Gelegenheit zur Stellungnahme auf die Anhörung habe die Klägerin ohne Reaktion verstreichen lassen. Bei der Vertrauensschutzprüfung sowie bei der Ausübung ihres Ermessens seien sämtliche bekannten Umstände beachtet worden, um eine Bescheidrücknahme zu Ungunsten der Klägerin zu vermeiden. Diese seien jedoch nicht geeignet, von der Bescheidrücknahme abzusehen. Auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides könne sich die Klägerin nicht berufen, weil ihr durch die bis zum 30. Juni 2011 vorgenommene Anrechnung der berufsständischen Versorgung im Rahmen der Einkommensanrechnung bekannt gewesen sei, dass diese auf die Witwenrente anzurechnen sei. Zusätzlich sei sie in früheren Bescheiden über die Anrechnung von berufsständischen Renten als Erwerbsersatzeinkommen informiert worden. Auch im Wege des Ermessens halte die Beklagte die Bescheidrücknahme für gerechtfertigt, weil ein überwiegendes öffentliches Interesse an der zweckmäßigen Verwendung der Mittel der Rentenversicherung, der Einstellung von nicht zustehenden Zahlungen und der Rückforderung von nicht zustehenden Leistungen bestünde.
Der am 20. August 2012 von Rechtsbeistand W eingelegte Widerspruch wurde nicht begründet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 2013 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. Sie hat sich erneut auf § 45 SGB X berufen. Bei der Vertrauensschutzabwägung nach § 45 Abs. 2 SGB X komme es entscheidend darauf an, ob das Vertrauen des Begünstigten unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses schutzwürdig sei. Das öffentliche Interesse verlange regelmäßig die Beseitigung rechtswidriger Verwaltungsakte. Dies folge aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Verpflichtung zur zweckentsprechenden Verwendung der Mittel. Hierdurch solle verhindert werden, dass Leistungen ohne ausreichende gesetzliche Grundlage erbracht würden. Vorliegend habe die Klägerin um die unterbliebene Anrechnung von Einkünften gewusst, da diese auch vor Erteilung des Bescheides vom 9. Mai 2011 erzielt worden und zur Anrechnung und damit verringerten Rente geführt hätten. Die rechtsgrundlose Divergenz hätte der Klägerin beim Bescheidstudium auffallen können und müssen. Die Fristen zur Rücknahme des Bescheides seien eingehalten. Sofern von der Rücknahme im Wege des Ermessens abgesehen werden solle, müssten besondere Umstände vorliegen, da § 45 SGB X die Interessen des Betroffenen und der Verwaltung bereits innerhalb der Rücknahmevoraussetzungen sorgfältig abwäge. Da die Klägerin sich weder zur Anhörung noch im Widerspruchsverfahren geäußert habe, erfolge die Ausübung des Ermessens nach Lage der Akten. Die finanzielle Situation mit Bezug von Rentenleistungen aus eigener Versicherung, Hinterbliebenenrente und Versorgungsleistungen der Ärzteversorgung erreiche eine Höhe, die die Grenzen des § 850c Zivilprozessordnung (ZPO) übersteige und damit eine Bedürftigkeit oder besondere Härte bei Tilgung der Forderung – ggfs. in Ratenzahlung – nicht erwarten lasse. Auch über die persönlichen Verhältnisse sei aktenkundig nichts bekannt, was von einer Rücknahme bzw. Rückforderung absehen ließe.
Mit der am 12. April 2013 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Es liege eine Verletzung der §§ 24, 44 ff SGB X insoweit vor, als die Beklagte vor Bekanntgabe der genannten Bescheide versäumt habe, pflichtgemäßes Ermessen zu üben. Zwar könne gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X von der Anhörung abgesehen werden, wenn einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollten, jedoch unterfalle die von der Verwaltung beabsichtigte Eingriffshandlung dann immer noch ihrer Ermessenspflicht. Es handele sich bei dieser Vorschrift um eine Ausnahmeregelung. In jedem Fall sei bei der Anwendung des § 24 Abs. 2 SGB X als Rechtsfrage zu prüfen, ob die Voraussetzungen nach den Nummern 1 – 6 gegeben seien. Sei keine dieser Voraussetzungen erfüllt, so sei die Behörde zur Anhörung nach Abs. 1 verpflichtet. Die Ermessensfrage stelle sich dann überhaupt nicht. Ergebe dagegen die Prüfung, dass eine der Ausnahmeregelungen nach den Nummern 1 – 6 vorliege, so müsse die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob gleichwohl eine Anhörung stattfinden solle oder ob sie davon absehen dürfe. Eine Nichtprüfung dieser Frage sei ein Ermessensmangel und mache das Verfahren fehlerhaft. Die benannten Bescheide unterfielen daher in den Teilen erklärter Rückforderung der Aufhebung, weil es an der zwingend vorgeschriebenen Ermessensübung mangele. Die Ermessenserwägungen enthielten schlichthin neben Floskeln überhaupt keine Ausführungen oder solche, die tatsachenfern lägen. Damit fehle ihnen die vom Gesetz geforderte Begründung. Der Verwaltungsakt sei hinsichtlich der Erstattung auch nicht hinreichend bestimmt. Auch stelle die Beklagte auf § 45 SGB X ab, obwohl § 48 SGB X treffe. Es liege ein Ermessenszwang nach § 48 SGB X vor, da ein atypischer Fall gegeben sei. Die Beklagte habe an der Überzahlung ein Mitverschulden. Sie habe von Anfang an vom Bezug der berufsständischen Versorgung Kenntnis gehabt. Die Rückforderungstatbestände des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder 4 SGB X seien nicht erfüllt. Bösgläubigkeit im Sinne dieser Vorschrift habe nicht vorgelegen. Es sei kein eklatanter Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht (grobe Fahrlässigkeit) der Klägerin gegeben, da nach Bekanntgabe des Bescheides vom 9. Mai 2011 keine ausdrücklichen Hinweise der Beklagten gegeben worden seien.
Die Beklagte hat ihre Bescheide verteidigt.
Mit Urteil vom 19. November 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Rechtsgrundlage für den Rücknahme- und Erstattungsbescheid sei § 45 SGB X i.V.m. § 50 SGB X. Der Rentenbescheid vom 9. Mai 2011 sei bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe bereits festgestanden, dass die Klägerin eine Leistung aus der Ärzteversorgung im Bewilligungszeitraum erhalten würde. Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides vom 9. Mai 2011 berufen. Sie sei gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X bösgläubig, denn sie hätte die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheides vom 9. Mai 2011 ohne weiteres erkennen können. Schon allein die Steigerung der Höhe der monatlichen Rente um das Siebeneinhalbfache ohne Änderung der Sachlage lege nahe, dass der Rentenbescheid vom 9. Mai 2011 rechtsfehlerhaft hätte sein können. Den bestehenden Rechtsfehler hätte die Klägerin bei Durchsicht der vorangegangenen Rentenbescheide ohne weiteres erkennen können. Denn während in den vorangegangenen Rentenbescheiden die Rente aus der Ärzteversorgung auf die große Witwenrente angerechnet worden sei, sei dies bei dem Rentenbescheid vom 9. Mai 2011 nicht der Fall. Zudem werde in den vorangegangenen Rentenbescheiden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Erwerbsersatzeinkommen Einfluss auf die Höhe der Rente haben könne und dass es sich bei Renten von öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtungen oder Versorgungseinrichtungen um anzurechnendes Erwerbsersatzeinkommen handele. Auch sei der Klägerin nach einer Beratung nach der erstmaligen Gewährung der Hinterbliebenenrente bekannt gewesen, dass die Einnahmen aus der Ärzteversorgung angerechnet würden.
Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei eingehalten. Die Frist beginne mit Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigten. Dies sei in der Regel mit der Anhörung. Diese Frist sei hier gewahrt, denn zwischen Anhörung und Rücknahmeentscheidung hätten rund drei Monate gelegen.
Die Beklagte habe zweifelsfrei erkannt, dass ihr ein Rücknahmeermessen zustehe und habe dieses pflichtgemäß ausgeübt. Sachfremde Erwägungen habe sie nicht angestellt. Vielmehr habe sie jedenfalls im Widerspruchsbescheid die finanzielle Situation der Klägerin hinreichend und rechtsfehlerfrei in die Ermessenserwägungen einbezogen. Es sei unerheblich, dass die Beklagte ihr Mitverschulden an der Überzahlung nicht in die Ermessenserwägungen eingestellt habe. Bei Unredlichkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X liege ein Absehen von der Rücknahme im Ermessenswege fern. Dies entspreche jedenfalls im Hinblick auf ein etwaiges Mitverschulden der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Hiernach liege ein Ermessens- bzw. Abwägungsdefizit nicht vor, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Verwaltungsakts gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe und die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens in Bezug auf die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts einen eigenen Fehler in die Interessenabwägung nicht mit einstelle. Verschulden sei nur dann zwingend im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, wenn ein Verschulden der Behörde gegeben sei, ohne dass ein Verschulden des Betroffenen vorliege. Zudem müsse, wer die unterlassene Abwägung rüge, berücksichtigungsfähige Tatsachen vortragen, und zwar vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens. Später könne er sich nicht auf die Nichtberücksichtigung dieser Tatsachen berufen.
Gegen das am 28. November 2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17. Dezember 2014 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Sie verwahre sich gegen die gerichtliche Beurteilung, sie sei bösgläubig gewesen. Richtig sei, dass sie auf die Richtigkeit des Rentenbescheides vom 9. Mai 2011 vertraut habe. Dieses Vertrauen sei darin begründet, dass sie sich ja gerade wegen fehlender Kenntnisse des deutschen Renten- und Verfahrensrechts eines Rentenberaters bedient habe. Vielmehr sei sie von Anfang an verwundert gewesen, dass die Witwenrente zunächst so niedrig ausgefallen sei, und habe gedacht, dies sei nun entsprechend korrigiert. Sie selbst habe überhaupt keine Veranlassung gesehen, den Rentenbescheid mit seinen diversen, nur für entsprechend vorgebildete Adressaten verständlichen Anlagen näher zu überprüfen. Allenfalls hätte der damalige Bevollmächtigte den Fehler aufgrund seiner Fachkenntnis erkennen können, sodass allenfalls nur ihm grobe Fahrlässigkeit unterstellt werden könne. Dies sei weder ersichtlich noch müsse sich die Klägerin dies ggfs. zurechnen lassen. Die Klägerin genieße daher Vertrauensschutz und habe in der Folge die Leistungen verbrauchen dürfen.
Die Ausschlussfrist von einem Jahr nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei durch die Beklagte nicht gewahrt. Ihr sei von Anfang an bekannt gewesen, dass die Klägerin eine Rentenzahlung durch das Versorgungswerk der Ärzte erhalte. Diese Tatsache hätte ohne weiteres in dem Rentenbescheid vom 9. Mai 2011 berücksichtigt werden können. Da sie dies erst mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 9. August 2012 und damit 15 Monate nach Erlass des Rentenbescheides vom 9. Mai 2011 getan habe, sei sie wegen Fristversäumnis ausgeschlossen. Anders als in den Ausführungen des Sozialgerichts dargelegt, setze der Beginn der Jahresfrist keine Anhörung voraus; maßgeblich sei allein, wann die Anhörung hätte eingeleitet werden können. Dies hätte noch vor der Bescheiderteilung 2011 erfolgen müssen, da die Beklagte lediglich Kenntnis von der Höhe der Ärzteversorgung für das Jahr 2010 durch Mitteilung vom 27. Juli 2010 gehabt habe, nicht jedoch für das Jahr 2011.
Das private Bestandsinteresse der Klägerin überwiege das öffentliche Rücknahmeinteresse. Das Mitverschulden der Beklagten habe in die Ermessenserwägungen eingestellt werden müssen, dies sei nicht erfolgt. Es seien allenfalls Aspekte berücksichtigt worden, die zu Gunsten der Beklagten sprächen, nicht aber zu Gunsten der Klägerin. Die Klägerin sei auch nicht ausgeschlossen, dies erst im Klageverfahren zu rügen, denn die Beklagte habe die ihr aus der eigenen Akte bekannten Umstände von Amts wegen in den Bescheiden berücksichtigen müssen. Auch reiche eine bloß formelhafte Feststellung eines ausgeübten Ermessens nicht aus.
Auch werde die Höhe der mit den streitgegenständlichen Bescheiden erhobenen Rückforderung i.H.v. 4.830,26 Euro bestritten. Nach einer dem damaligen Bevollmächtigten übermittelten Leistungsaufstellung der Beklagten von Ende 2014 solle sich der tatsächlich gezahlte Betrag lediglich auf 2.739,60 Euro belaufen haben. Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. November 2014 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 9. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2013 und den Bescheid vom 12. April 2016 insoweit aufzuheben, als die große Witwenrente für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 31. August 2012 neu berechnet wurde und eine Erstattung von 4.575,88 Euro gefordert wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Eine Bösgläubigkeit der Klägerin sei gegeben. Etwaige Fehler des Bevollmächtigten müsse sich die Klägerin zurechnen lassen. Im Übrigen habe die Klägerin diverse Bescheide erhalten und gegen diese Widerspruch erhoben und sich anwaltlich vertreten lassen. Insoweit sei ersichtlich, dass sie sich durchaus mit den jeweiligen Bescheiden detailliert beschäftigt habe und durch das Fachwissen ihres Bevollmächtigten in der Lage gewesen sei, durch einfachste und naheliegende Überlegungen die Rechtswidrigkeit des Bescheides zu erkennen.
Die Jahresfrist sei gewahrt. Diese beginne mit der Anhörung.
Die Rücknahme sei auch ermessenskonform. Allein ein Mitverschulden der Beklagten bedeute nicht zwangsläufig, dass der Umfang der Bescheidrücknahme und damit die Höhe der Überzahlung zu reduzieren sei. Denn auch bei einem Mitverschulden könnten andere Ermessensgründe – insbesondere das öffentliche Interesse – so schwer wiegen, dass es sachgerecht sei, von der vollumfänglichen Bescheidrücknahme nicht abzusehen. Das Ermessen sei auch von der Beklagten in Anlage 10 zu dem Bescheid vom 9. August 2012 ausgeübt worden.
Auch die Höhe der Überzahlung sei zutreffend berechnet worden.
Mit Bescheid vom 12. April 2016 hat die Beklagte die große Witwenrente ab dem 1. Dezember 2010 neu berechnet. Dabei ergab sich für den hier in Rede stehenden Zeitraum vom 1. Juli 2011 bis 31. August 2012 wieder ein Zahlungsanspruch, und zwar für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 30. Juni 2012 in Höhe von insgesamt 16,81 Euro monatlich (11,48 Euro Witwenrente und 5,33 Euro Zuschuss zur privaten Krankenversicherung) und für Juli und August 2012 in Höhe von 26,34 Euro monatlich (20,18 Euro Rente und 6,16 Euro Zuschuss zur privaten Krankenversicherung), insgesamt also 254,40 Euro. Die sich diesbezüglich ergebende Nachzahlung hat die Beklagte einbehalten. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 13. April 2017 hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass die große Witwenrente für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis 31. August 2012 gemäß Bescheid vom 12. April 2016 zu berechnen und eine Erstattung von lediglich 4.575,88 Euro zu fordern ist. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 13. April 2017 hat die Klägerin vorgetragen, sich nicht erinnern zu können, eine Witwenrente in Höhe von 345 Euro im hier in Rede stehenden Zeitraum erhalten zu haben. Sie verstehe nicht, dass sie zurückzahlen solle, was sie nicht erhalten habe. Daraufhin hat die Vertreterin der Beklagten auf den in ihren Akten befindlichen Zahlungsauftrag vom 9. Mai 2011 (Bl. 430 der Verwaltungsakten) und die Zahlungsunterbrechung vom 9. August 2012 (Bl. 492 der Verwaltungsakten) hingewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen. Die den Versicherten betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, aber nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. November 2014 und der Bescheid der Beklagten vom 9. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2013 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, soweit die Beklagte nicht mit dem gemäß §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen und als mit Klage angefochten geltenden Bescheid vom 12. April 2016 und Teilanerkenntnis vom 13. April 2017 abgeholfen hat. Die Beklagte hat die Bewilligung einer großen Witwenrente für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 31. August 2012 zu Recht teilweise zurückgenommen, denn der Klägerin stand eine Witwenrente für den genannten Zeitraum in der bewilligten Höhe nicht zu.
Die Beklagte und das Sozialgericht haben zutreffend als Rechtsgrundlage für die Rücknahme § 45 SGB X angenommen. Diese Vorschrift lautet:
(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
1.und 2. ( ...)
3. die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. ( )
(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.
Da es sich um eine Rücknahmeentscheidung handelt, war die Klägerin vor Erlass des Rücknahme- und Erstattungsbescheides gemäß § 24 Abs. 1 SGB X anzuhören. Diese Vorschrift lautet:
Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
Eine Anhörung ist zwar erfolgt, diese wurde laut Aktenlage jedoch nicht an den Bevollmächtigten, sondern an die Klägerin selbst geschickt. Es wurde damit die Vorschrift des § 13 Abs. 3 SGB X verletzt, wonach, wenn für das Verfahren ein Bevollmächtigter bestellt ist, sich die Behörde an ihn wenden muss, dies steht nicht in ihrem Ermessen (vgl. für einen ähnlich gelagerten Fall das Urteil des BSG vom 26. Juli 2016, - B 4 AS 47/15 R, juris Rn. 21 und 22 = SozR 4-1500 § 114 Nr. 2). Auf Grund der erteilten Prozessvollmacht konnte die Klägerin darauf vertrauen, dass alle prozessrelevanten Erklärungen und Verfügungen an ihren Bevollmächtigten gerichtet werden und von ihr keine Kenntnis bzw. Reaktion erwartet werden konnte. Die Beklagte durfte, weil schon keine Mitwirkungspflicht der Klägerin bestand, das Anhörungsschreiben auch nicht nach § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB X an die Klägerin adressieren, wonach sich eine Behörde, soweit ein Beteiligter zur Mitwirkung verpflichtet ist, an diesen selbst wenden kann (BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R –, aaO., juris Rn. 22).
Der Mangel der Anhörung ist jedoch geheilt worden, und zwar nach Auffassung des Senats bereits im Verwaltungsverfahren selbst. Das Anhörungsschreiben war zwar nicht an den bestellten Bevollmächtigten versandt worden, dieser meldete sich aber telefonisch bei der Beklagten und beantragte Akteneinsicht, die ihm auch gewährt wurde. Der Grund für die Einsichtnahme ist zwar nicht benannt bzw. nicht aktenkundig, es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Klägerin mit dem Anhörungsschreiben an ihn gewandt hatte und er deshalb die Akteneinsicht beantragte. Zumindest ist ein anderer Grund für eine Akteneinsicht nicht erkennbar, das vorangegangene Widerspruchsverfahren (in dem es - zuletzt noch - um die Anrechnung der lettischen Rente gegangen war) war mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2012 abgeschlossen worden. Der Bevollmächtigte hatte auch seine Kostenrechnung bereits eingereicht. Spätestens durch die Akteneinsicht müsste ihm aber das Anhörungsschreiben zur Kenntnis gelangt sein, so dass er auch Gelegenheit hatte, hierzu Stellung zu nehmen. Auch hatte die Beklage ihn mit Schreiben vom 28. Juni 2012 an die Stellungnahme zur Anhörung erinnert. Allerdings liest sich seine Einlassung im erstinstanzlichen Verfahren (Schriftsatz vom 21. Mai 2013) so, als sei ihm ein Anhörungsschreiben nicht zur Kenntnis gelangt, da er sich darüber auslässt, unter welchen Umständen von einer Anhörung abgesehen werden kann.
Letztendlich kann jedoch dahinstehen, ob der Mangel der Anhörung bereits im Verwaltungsverfahren geheilt wurde, da er spätestens im Widerspruchsverfahren nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X durch Nachholung geheilt worden ist (vgl. zur Möglichkeit der Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren das Urteil des BSG vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 9/11 R –, juris Rn. 14 = SozR 4-2600 § 77 Nr. 10). Erfolgt die Nachholung im Widerspruchsverfahren, ist es ausreichend, wenn dem Beteiligten in dem angefochtenen Bescheid die wesentlichen entscheidungserheblichen Gesichtspunkte mitgeteilt werden und er Gelegenheit zur sachgerechten Äußerung im Widerspruchsverfahren erhält. Die Behörde dokumentiert dann durch Erlass des Widerspruchsbescheides (oder Abhilfebescheides), ob und inwiefern sie an ihrer Entscheidung festhält. Wichtig ist hierbei, dass dem Beteiligten alle entscheidungserheblichen Tatsachen auch im Bescheid genannt werden (Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, Stand Februar 2015, § 24 SGB X, Rn. 64; Mutschler in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2016, § 24 SGB X, Rn. 34a, beide mit weiteren Nachweisen). Die Beklagte hatte in dem angefochtenen Bescheid vom 9. August 2012 auch die entscheidungserheblichen Tatsachen für die Rücknahme des Rentenbescheides vom 9. Mai 2011 angegeben. Dem Bescheid war die zutreffende Rechtsgrundlage zu entnehmen und auch, aus welchen Gründen die Beklagte hier einen Ausschluss des Vertrauensschutzes annahm und damit die Möglichkeit der Rücknahme für die Vergangenheit. Die Klägerin hatte somit im Rahmen des Widerspruchsverfahrens Gelegenheit, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Auch hatte die Beklagte im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebracht, dass Ermessen auszuüben sei, sie aber hier ein überwiegendes öffentliches Interesse, das die Bescheidrücknahme rechtfertige, sehe.
Auch die Voraussetzungen des § 45 SGB X zur Rücknahme sind erfüllt. Zunächst ist hier § 45 SGB X und nicht § 48 SGB X die richtige Rechtsgrundlage, da der Bescheid vom 9. Mai 2011 schon bei seiner Bekanntgabe rechtswidrig war. Anfänglich rechtswidrig ist ein Bescheid, wenn er schon bei seinem Erlass mit dem anzuwendenden Recht nicht im Einklang steht. Dies war hier der Fall. Die Klägerin bezog schon seit mehreren Jahren laufend eine Rente aus der Ärzteversorgung, die damit bereits laufend auf die Witwenrente anzurechnen war.
Die Klägerin war auch bösgläubig, d.h. sie wusste oder wusste nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht, dass der Bescheid vom 9. Mai 2011 rechtswidrig war, weil er eine Witwenrente in einer Höhe bewilligte, wie sie drei Jahre lang, und das bei im Wesentlichen unveränderter Sachlage, nicht gewährt worden war. Grobe Fahrlässigkeit ist nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen - subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff - (BSG, Urteil vom 08. Februar 2001 – B 11 AL 21/00 R –, juris Rn. 23 = SozR 3-1300 § 45 Nr. 45). Bis zum 30. Juni 2011 hatte die Klägerin eine Rente von 29,37 Euro zuzüglich eines Zuschusses zur Krankenversicherung in Höhe von 16,29 Euro, insgesamt also 45,66 Euro erhalten. Es hätte ihr daher auffallen müssen, dass die Rente sich stark erhöhte. Da die Klägerin Ärztin ist, war sie auch intellektuell in der Lage, die früheren Rentenbescheide zu verstehen sowie die ihr darin gegebenen Erläuterungen zur Anrechnung. Es war ihr mehrfach in gut verständlichen Erläuterungen deutlich gemacht worden, dass bestimmte Einkünfte die Höhe der Witwenrente beeinflussen können. Ihre Einlassung, sie hätte darauf vertraut, dass durch die Einschaltung eines Rentenberaters die Sache geklärt worden wäre und die Rente (erst) jetzt zutreffend berechnet worden sei, ist schon deshalb nicht schlüssig, weil dann auch eine Korrektur der früheren Rentenbescheide hätte erfolgen müssen, was jedoch nicht der Fall war. Das einzige, was der Klägerin nicht unbedingt hätte klar sein müssen, ist der Umfang der Überzahlung. Da sie bis zum 30. Juni 2011 immerhin einen Betrag von 45,66 Euro ausgezahlt bekommen hatte, hätte sie nicht erkennen müssen, dass der Anspruch auf eine Witwenrente gänzlich entfallen war, weil der anzurechnende Betrag die Höhe der errechneten Rente ab Juli 2011 überstieg. Hierzu wiederum sind die Anrechnungsvorschriften zu kompliziert, auch für jemanden der, wie die Klägerin, in der Lage ist, auch komplizierte Sachverhalte zu verstehen.
Dem früheren Bevollmächtigten der Klägerin war es jedoch möglich, die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 9. Mai 2011 in vollem Umfang zu erkennen. Dieses Wissen bzw. grob fahrlässige Nichtwissen ihres Bevollmächtigten muss sich die Klägerin analog §§ 278, 166 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zurechnen lassen. Die Vorschriften des § 278 Satz 1 BGB, wonach der Schuldner ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang wie eigenes Verschulden zu vertreten hat, und des § 166 Abs. 1 BGB, wonach nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht kommt, soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden, wonach also das Verhalten bzw. die Kenntnis oder das Kennenmüssen einer dritten Person als eigenes Verhalten bzw. eigene Kenntnis oder eigenes Kennenmüssen zugerechnet wird, finden jedenfalls im Fall einer gesetzlichen Vertretung oder rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung entsprechende Anwendung im öffentlichen Recht. Denn dieser Grundgedanke des bürgerlichen Rechts lässt, da er auf einem allgemeinen Rechtsgedanken beruht, eine entsprechende Anwendung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zu, da die Interessenlage, aus der die Verpflichtung des Vertretenen hergeleitet wird, sich von der entsprechenden Sachlage im bürgerlichen Recht nicht wesentlich unterscheidet. Demjenigen, der sich eines Dritten bedient (oder kraft Gesetzes eines Dritten bedienen muss), soll es gerade bei rechtsgeschäftlicher Bevollmächtigung nicht gestattet werden, einerseits die tatsächlich oder vermeintlich besseren Fähigkeiten und Kenntnisse dieses Dritten zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen, ohne die möglicherweise gleichzeitig daraus resultierenden Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Wer zur Erledigung eigener Angelegenheiten einen Dritten einschaltet, übernimmt damit zugleich die Verantwortung für dessen Verhalten bzw. dessen Kenntnis oder Kennenmüssen, ohne dass es darauf ankommt, ob ihm selbst dieses Verhalten bzw. dessen Kenntnis oder Kennenmüssen bekannt ist. Dieser grundsätzlichen Verantwortlichkeit des gerade rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten entspricht, dass sich die Behörde nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB X an den Bevollmächtigen wenden muss und gemäß § 37 Satz 2 SGB X diesem gegenüber die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes vornehmen kann (vgl. Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. Februar 2014 - L 22 R 443/12 -, juris Rn. 54 unter Hinweis auf die Urteile des BSG vom 18. August 2005 - B 7a AL 4/05 R -, dokumentiert in juris und in SozR 4-1500 § 95 Nr. 1; vom 22. Oktober 1968 - 9 RV 418/65 -, dokumentiert in juris und in SozR Nr. 24 zu § 47 VerwVG, und vom 13. Dezember 1984 - 9a RV 40/83 -, dokumentiert in juris und in SozR 1300 § 48 Nr. 11).
Dem früheren Vertreter der Klägerin als Rentenberater und - dem Senat aus zahlreichen Verfahren bekannten - Prozessbevollmächtigten hätte ohne weiteres auffallen müssen, dass die Anrechnung der Rente aus der Ärzteversorgung von der Beklagten nicht mehr vorgenommen worden war. Für jemanden, der wie der frühere Bevollmächtigte der Klägerin mit Rentenbescheiden vertraut ist, ist es auch nicht schwierig, eine unterbliebene Anrechnung zu erkennen. Der frühere Bevollmächtigte war auch verpflichtet, den Bescheid vom 9. Mai 2011, der ihm zugeschickt worden war, zu lesen, da er die Interessen der Klägerin zu vertreten und damit zu überprüfen hatte, ob alle ihr zustehenden Ansprüche berücksichtigt worden waren.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 3 SGB X für eine Rücknahme sind damit erfüllt. Auf Vertrauen kann sich die Klägerin somit nicht berufen.
Die Beklagte hat auch ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Sie hat erkannt, dass ihr ein Rücknahmeermessen zustand und hat dieses auch ausdrücklich betätigt; diese Ermessensbetätigung ist gerichtlich auf Ermessensfehler hin zu kontrollieren. Insbesondere ist dabei zu prüfen, ob die Beklagte für die zur Ausschöpfung ihres Ermessensspielraums notwendige Interessenabwägung alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen (öffentlichen und privaten) Abwägungsbelange ermittelt, in diese Abwägung eingestellt, mit dem ihnen zukommenden objektiven Gewicht bewertet und bei widerstreitenden (öffentlichen und privaten) Belangen einen angemessenen Ausgleich hergestellt hat. Dabei steht es der Behörde - in den gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens - grundsätzlich frei zu entscheiden, auf welche der abwägungsrelevanten Umstände sie die zu treffende Ermessensentscheidung im Ergebnis stützen möchte (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 R 14/11 R –, juris Rn. 30 = SozR 4-1300 § 45 Nr. 15). Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 9. August 2012 und auch im Widerspruchsbescheid vom 9. April 2013 bei der Einbeziehung abwägungsrelevanter Belange öffentliche und private Interessen geprüft. Hinsichtlich der individuellen Interessen der Klägerin hat sie in ihre Abwägung die nach Aktenlage erkennbaren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse eingestellt und diese so bewertet, dass sie eine Bescheidrücknahme für die Vergangenheit zuließen. Das Entstehen einer unbilligen (wirtschaftlichen) Härte als Folge der Rücknahme der Zuschussbewilligung hat sie verneint, weil die Klägerin ausreichende Einkünfte aus eigener Versicherung aus der Ärzteversorgung und aus der Hinterbliebenenversorgung habe und nach Aktenlage keine Verhältnisse bekannt seien, die von einer Rücknahme absehen ließen. Als - widerstreitende - öffentliche Belange ermittelte und berücksichtigte die Beklagte, dass sie zu einer zweckmäßigen Verwendung der Mittel der Rentenversicherung verpflichtet sei.
Entgegen der Auffassung der Klägerin hätte die Beklagte auch ihr – eindeutig vorliegendes – Mitverschulden an der Entstehung der Überzahlung nicht in ihre Ermessensabwägung einstellen müssen. Es war der Beklagten bekannt, dass eine Rente aus der Ärzteversorgung bezogen wurde, sie hatte diese bei den vorangegangenen Berechnungen auch jeweils berücksichtigt. Die Nichtbeachtung dieser Rente bei der Bescheiderteilung vom 9. Mai 2011 ist daher als fahrlässig anzusehen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist der Verwaltungsträger im Rahmen seiner Ermessensabwägung aber nicht verpflichtet, eigene Fehler in das Ermessen zugunsten des Betroffenen einzustellen (vgl. BSG, Urteile vom 21. März 1990 - 7 RAr 112/88 - juris Rn. 27 = SozR 3-1300 § 45 Nr. 2; vom 21. Juni 2001 - B 7 AL 6/00 R - juris Rn. 27; vom 30. Oktober 2013 - B 12 R 14/11 R, aaO., juris Rn. 32ff; Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 45 SGB X, Rn. 120.1). Begründet liegt dies darin, dass (grobe) Fehler der Verwaltung bei der Vertrauensschutzprüfung nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie das Vertrauen des Begünstigten im Sinne der Fehlerperpetuierung nachhaltig und zusätzlich gestärkt haben. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn Versäumnisse, die dem Machtbereich der Behörde zuzurechnen sind, nunmehr zugunsten des ursprünglich Begünstigten in die Ermessensentscheidung einfließen würden.
Vorliegend handelt es sich um einen normalen Fehler der Beklagten, einer ihrer Mitarbeiter hat die vorzunehmende Einkommensanrechnung übersehen. Es wurde damit auch kein Vertrauen der Klägerin perpetuiert, aus vorausgegangenen Bescheiden und auch aus sonstigen Gründen konnte sie nicht darauf vertrauen, dass das Einkommen aus der Ärzteversorgung nicht angerechnet werden würde.
Auch die maßgebenden Fristen sind gewahrt, das gilt entgegen der Auffassung der Klägerin auch für die Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X. Bei einer Rücknahmeentscheidung, die sich auf den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit bzw. Kenntnis der Rechtswidrigkeit stützt, beginnt die Jahresfrist dann zu laufen, wenn die Beklagte Kenntnis davon hatte, dass der Kläger oder die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Maßgeblich ist damit der Zeitpunkt, zu dem die Behörde aufgrund des ermittelten Sachverhalts Kenntnis von der Bösgläubigkeit hatte. Die Frage, wann die Behörde die Tatsachen, die eine abschließende Prüfung der Rücknahmevoraussetzungen erlauben, kennt, ist weder ausschließlich anhand objektiver Kriterien noch allein aufgrund der subjektiven Einschätzung der Behörde zu beantworten. Die zeitliche Begrenzung der Rücknahmebefugnis für die Vergangenheit dient der Rechtssicherheit. Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes ist die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bzgl. sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht (vgl. Urteil des BSG vom 27. Juli 2000, - B 7 AL 88/99 R -, juris Rn-Nr. 23 = SozR 3-1300 § 45 Nr. 42 mit weiteren Nachweisen).
Wenn, wie vorliegend, grobe Fahrlässigkeit der Begünstigten im Raume steht, ist nicht ein objektiver Maßstab anzulegen, sondern auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten der Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falles abzustellen. Die Behörde kann deshalb nicht allein auf den Akteninhalt abstellen. Ansonsten wäre sie jeweils gezwungen, einen Verwaltungsakt vorsorglich, sozusagen "auf Verdacht" zu erlassen. Sie muss vielmehr vor einer Rücknahme- bzw. Aufhebungsentscheidung dem Betroffenen zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu den entscheidungserheblichen Tatsachen geben. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X kann daher regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen beginnen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juli 2000, aaO., Rn. 24 mit weiteren Nachweisen; Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 45 SGB X, Rn. 109). Maßgeblich ist der Ablauf der für die Anhörung gesetzten Frist. Die Jahresfrist begann daher hier mit Ablauf der Anhörungsfrist von drei Wochen, also am 8. Juni 2012. Innerhalb eines Jahres seit diesem Zeitpunkt ist der Bescheid vom 9. August 2012 auch ergangen.
Die Rücknahme ist auch hinsichtlich der Höhe zutreffend. Die im Berufungsverfahren eingereichte Aufstellung der Rentenzahlungen berücksichtigt ersichtlich die Überzahlung für die Zeit von Juli 2011 bis August 2012 nicht. Es ist angegeben, dass bzgl. dieser Zeit keine Rentenzahlung erfolgte. Tatsächlich erfolgte diese aber, und zwar in Höhe von 14 mal 345,02 Euro, was den - zunächst - geforderten Betrag von 4.830,28 Euro ergibt. Bezüglich des Betrages von 254,40 Euro, der sich aus der Neuberechnung mit Bescheid vom 12. April 2016 ergibt, hat die Beklagte durch Teilanerkenntnis vom 13. April 2017 abgeholfen.
Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beträge, die - jetzt noch -zurückgefordert werden, der Klägerin nicht ausgezahlt worden sind. Sie hat zwar in der mündlichen Verhandlung vom 13. April 2017 - erstmals - angegeben, Zahlungen in Höhe von 345,02 Euro im hier in Rede stehenden Zeitraum nicht erhalten zu haben. Der Senat ist jedoch davon überzeugt, dass die Klägerin die Zahlungen erhalten hat. Dies ergibt sich aus der in den Akten der Beklagten befindlichen Zahlungsanweisung und der Zahlungsunterbrechung. Sofern die Zahlungen, z.B. wegen eines neuen Kontos, ihren Empfänger, hier die Klägerin, nicht erreicht hätten, so wären sie zurückgelaufen. Dies war jedoch nicht der Fall.
Der (Rest-) Betrag von 4.575,88 Euro ist gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X von der Klägerin zu erstatten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch von einer Entscheidung eines Obergerichts abgewichen wird (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem die Bewilligung von Witwenrente für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 31. August 2012 aufgehoben und ein Betrag von 4.830,28 Euro zurückgefordert wurde. Nach Teilanerkenntnis während des Berufungsverfahrens wird jetzt nur noch ein Betrag von 4.575,88 Euro zurückgefordert.
Die 1945 geborene, also jetzt 71 Jahre alte Klägerin ist die Witwe des 1941 geborenen und 2008 verstorbenen K (im Folgenden: der Versicherte). Mit Eingang bei der Beklagten am 4. September 2008 stellte die Klägerin einen Antrag auf Bewilligung einer großen Witwenrente. Darin gab sie unter anderem an, dass sie eine Rente aus eigener Versicherung aus der Ärzteversorgung i.H.v. 1.817,90 Euro beziehe. Auf die Anfrage der Beklagten bestätigte die Ärztekammer Berlin, Berliner Ärzteversorgung, unter dem 22. September 2008 die laufende Rentenzahlung ab 1. Januar 2008 in der genannten Höhe. Mit Bescheid vom 19. November 2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin große Witwenrente ab dem 1. Juli 2008. Darin wurde unter der Überschrift "Mitteilungspflichten und Mitwirkungspflichten" darauf hingewiesen, dass Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen Einfluss auf die Rentenhöhe haben könne. Die Klägerin sei daher verpflichtet, der Beklagten jeden Bezug und jede Veränderung von Erwerbseinkommen oder Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen. Als Erwerbsersatzeinkommen wurde auch eine "Rente von öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtungen oder Versorgungseinrichtungen" aufgelistet. Unter der Überschrift "Weitere Hinweise" wurde mitgeteilt, dass Bestandteil des Bescheides unter anderem die Anlagen 1 und 8 seien. Weiter wurde ausgeführt, dass sich aus der Anlage 1 ergebe, dass die Rente wegen des Zusammentreffens mit anderen Leistungen nur teilweise zu zahlen sei. Die Klägerin wurde gebeten, die Beklagte zu informieren, wenn die anderen Leistungen sich minderten oder wegfielen. Treffe eine Witwenrente oder Witwerrente mit Erwerbseinkommen oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten zusammen, so sei auf die Rente Einkommen i.H.v. 40 Prozent des Betrages anzurechnen, um den das monatliche Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteige. In der Anlage 1 wurde dargestellt, dass die Rente mit Einkommen zusammentreffe und daher zu mindern sei. Aus Anlage 8 ergibt sich die Ermittlung des auf die Rente anzurechnenden Einkommens. Zum Zeitpunkt 1. Oktober 2008 betrug das anzurechnende Einkommen 275,28 Euro monatlich, es wurde eine Rente in Höhe von 22,86 Euro gezahlt. Angerechnet wurde neben der Rente aus der Ärzteversorgung auch die von der Klägerin bezogene Rente aus der lettischen gesetzlichen Rentenversicherung.
Im Laufe des gegen diesen Bescheid geführten Widerspruchsverfahrens bestellte sich der Rentenberater und Rechtsbeistand W unter Vorlage einer Vollmacht zum Bevollmächtigten der Klägerin.
Mit Bescheid vom 23. Dezember 2009 hat die Beklagte die große Witwenrente ab dem 1. Juli 2009 neu berechnet. Auch hierbei wurde die eigene Rente, die die Klägerin von der Ärztekammer bezieht, i.H.v. 1817,90 Euro auf die große Witwenrente angerechnet.
Mit Bescheid vom 17. Januar 2011 wurde die große Witwenrente ab dem 1. Juli 2009 neu berechnet, weil eine Rentenanpassung durchzuführen war und sich das auf die Rente anzurechnende Einkommen geändert hatte. Auch hierbei erfolgte eine Anrechnung der Rente aus der Ärzteversorgung, der lettischen Rente und - neu hinzugekommen - der eigenen Rente der Klägerin aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Es wurde die vorherige Bewilligung gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) teilweise aufgehoben und ein Erstattungsbetrag geltend gemacht, weil Einkommen hinzugekommen war.
Mit Bescheid vom 4. Februar 2011 wurde die große Witwenrente ab dem 1. Juli 2008 neu berechnet, weil ein Zuschuss zur privaten Krankenversicherung zu zahlen war. Der Zahlbetrag belief sich jetzt auf 45,66 Euro (29,37 Euro Rente und 16,29 Euro Zuschuss zur privaten Krankenversicherung). Auch in diesem Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen, unter anderem auch Rente aus Versorgungseinrichtungen, Einfluss auf die Höhe der Rente habe.
Mit Bescheid vom 9. Mai 2011 hat die Beklagte die große Witwenrente ab dem 1. Juli 2011 neu berechnet. Dabei wurden die eigene Versichertenrente der Klägerin aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung und die lettische Rente angerechnet, nicht jedoch die Rente aus der Ärzteversorgung. Der Bescheid wurde Rechtsbeistand W übersandt.
Nachdem die Berliner Ärzteversorgung mit Schreiben vom 4. Mai 2012 für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2011 den Bezug einer Bruttorente von 1.826,99 Euro und für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2012 von 1.836,12 Euro bestätigt hatte, hörte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 16. Mai 2012, das an die Klägerin selbst und nicht an Rechtsbeistand Wgeschickt wurde, dahingehend an, dass sie festgestellt habe, dass der Anspruch auf Witwenrente kraft Gesetzes zu kürzen sei, weil die Rente aus der berufsständischen Versorgung anzurechnen sei. Sie beabsichtige, den Bescheid vom 9. Mai 2011 mit Wirkung ab dem 1. Juli 2011 nach § 45 SGB X zurückzunehmen und die Überzahlung für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 30. Juni 2012 i.H.v. 4.140,24 Euro nach § 50 Abs. 1 SGB X zurückzufordern.
Am 1. Juni 2012 bat Rechtsbeistand Wille telefonisch um Akteneinsicht, die ihm auch gewährt wurde. Mit Schreiben vom 12. Juni 2012 erinnerte die Beklagte Rechtsbeistand W an die Stellungnahme zur Anhörung.
Nachdem die Klägerin bzw. ihr Rentenberater auf die Anhörung keine Stellungnahme abgegeben hatten, berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 9. August 2012 die große Witwenrente ab dem 1. Juli 2011 neu. Für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 31. August 2012 ergebe sich eine Überzahlung von 4.830,28 Euro. Der Rentenbescheid vom 9. Mai 2011 werde hinsichtlich der Rentenhöhe nach § 45 SGB X zurückgenommen, die entstandene Überzahlung sei gemäß § 50 SGB X zu erstatten. Die Rücknahme des Rentenbescheides sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft sei zulässig, weil die Klägerin sich zum einen auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides nicht berufen könne und zum anderen die Fristen des § 45 Abs. 3 bzw. Abs. 4 SGB X nicht abgelaufen seien. Auch die vorzunehmende Ermessensausübung führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Gelegenheit zur Stellungnahme auf die Anhörung habe die Klägerin ohne Reaktion verstreichen lassen. Bei der Vertrauensschutzprüfung sowie bei der Ausübung ihres Ermessens seien sämtliche bekannten Umstände beachtet worden, um eine Bescheidrücknahme zu Ungunsten der Klägerin zu vermeiden. Diese seien jedoch nicht geeignet, von der Bescheidrücknahme abzusehen. Auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides könne sich die Klägerin nicht berufen, weil ihr durch die bis zum 30. Juni 2011 vorgenommene Anrechnung der berufsständischen Versorgung im Rahmen der Einkommensanrechnung bekannt gewesen sei, dass diese auf die Witwenrente anzurechnen sei. Zusätzlich sei sie in früheren Bescheiden über die Anrechnung von berufsständischen Renten als Erwerbsersatzeinkommen informiert worden. Auch im Wege des Ermessens halte die Beklagte die Bescheidrücknahme für gerechtfertigt, weil ein überwiegendes öffentliches Interesse an der zweckmäßigen Verwendung der Mittel der Rentenversicherung, der Einstellung von nicht zustehenden Zahlungen und der Rückforderung von nicht zustehenden Leistungen bestünde.
Der am 20. August 2012 von Rechtsbeistand W eingelegte Widerspruch wurde nicht begründet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 2013 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. Sie hat sich erneut auf § 45 SGB X berufen. Bei der Vertrauensschutzabwägung nach § 45 Abs. 2 SGB X komme es entscheidend darauf an, ob das Vertrauen des Begünstigten unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses schutzwürdig sei. Das öffentliche Interesse verlange regelmäßig die Beseitigung rechtswidriger Verwaltungsakte. Dies folge aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Verpflichtung zur zweckentsprechenden Verwendung der Mittel. Hierdurch solle verhindert werden, dass Leistungen ohne ausreichende gesetzliche Grundlage erbracht würden. Vorliegend habe die Klägerin um die unterbliebene Anrechnung von Einkünften gewusst, da diese auch vor Erteilung des Bescheides vom 9. Mai 2011 erzielt worden und zur Anrechnung und damit verringerten Rente geführt hätten. Die rechtsgrundlose Divergenz hätte der Klägerin beim Bescheidstudium auffallen können und müssen. Die Fristen zur Rücknahme des Bescheides seien eingehalten. Sofern von der Rücknahme im Wege des Ermessens abgesehen werden solle, müssten besondere Umstände vorliegen, da § 45 SGB X die Interessen des Betroffenen und der Verwaltung bereits innerhalb der Rücknahmevoraussetzungen sorgfältig abwäge. Da die Klägerin sich weder zur Anhörung noch im Widerspruchsverfahren geäußert habe, erfolge die Ausübung des Ermessens nach Lage der Akten. Die finanzielle Situation mit Bezug von Rentenleistungen aus eigener Versicherung, Hinterbliebenenrente und Versorgungsleistungen der Ärzteversorgung erreiche eine Höhe, die die Grenzen des § 850c Zivilprozessordnung (ZPO) übersteige und damit eine Bedürftigkeit oder besondere Härte bei Tilgung der Forderung – ggfs. in Ratenzahlung – nicht erwarten lasse. Auch über die persönlichen Verhältnisse sei aktenkundig nichts bekannt, was von einer Rücknahme bzw. Rückforderung absehen ließe.
Mit der am 12. April 2013 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Es liege eine Verletzung der §§ 24, 44 ff SGB X insoweit vor, als die Beklagte vor Bekanntgabe der genannten Bescheide versäumt habe, pflichtgemäßes Ermessen zu üben. Zwar könne gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X von der Anhörung abgesehen werden, wenn einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollten, jedoch unterfalle die von der Verwaltung beabsichtigte Eingriffshandlung dann immer noch ihrer Ermessenspflicht. Es handele sich bei dieser Vorschrift um eine Ausnahmeregelung. In jedem Fall sei bei der Anwendung des § 24 Abs. 2 SGB X als Rechtsfrage zu prüfen, ob die Voraussetzungen nach den Nummern 1 – 6 gegeben seien. Sei keine dieser Voraussetzungen erfüllt, so sei die Behörde zur Anhörung nach Abs. 1 verpflichtet. Die Ermessensfrage stelle sich dann überhaupt nicht. Ergebe dagegen die Prüfung, dass eine der Ausnahmeregelungen nach den Nummern 1 – 6 vorliege, so müsse die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob gleichwohl eine Anhörung stattfinden solle oder ob sie davon absehen dürfe. Eine Nichtprüfung dieser Frage sei ein Ermessensmangel und mache das Verfahren fehlerhaft. Die benannten Bescheide unterfielen daher in den Teilen erklärter Rückforderung der Aufhebung, weil es an der zwingend vorgeschriebenen Ermessensübung mangele. Die Ermessenserwägungen enthielten schlichthin neben Floskeln überhaupt keine Ausführungen oder solche, die tatsachenfern lägen. Damit fehle ihnen die vom Gesetz geforderte Begründung. Der Verwaltungsakt sei hinsichtlich der Erstattung auch nicht hinreichend bestimmt. Auch stelle die Beklagte auf § 45 SGB X ab, obwohl § 48 SGB X treffe. Es liege ein Ermessenszwang nach § 48 SGB X vor, da ein atypischer Fall gegeben sei. Die Beklagte habe an der Überzahlung ein Mitverschulden. Sie habe von Anfang an vom Bezug der berufsständischen Versorgung Kenntnis gehabt. Die Rückforderungstatbestände des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder 4 SGB X seien nicht erfüllt. Bösgläubigkeit im Sinne dieser Vorschrift habe nicht vorgelegen. Es sei kein eklatanter Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht (grobe Fahrlässigkeit) der Klägerin gegeben, da nach Bekanntgabe des Bescheides vom 9. Mai 2011 keine ausdrücklichen Hinweise der Beklagten gegeben worden seien.
Die Beklagte hat ihre Bescheide verteidigt.
Mit Urteil vom 19. November 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Rechtsgrundlage für den Rücknahme- und Erstattungsbescheid sei § 45 SGB X i.V.m. § 50 SGB X. Der Rentenbescheid vom 9. Mai 2011 sei bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe bereits festgestanden, dass die Klägerin eine Leistung aus der Ärzteversorgung im Bewilligungszeitraum erhalten würde. Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides vom 9. Mai 2011 berufen. Sie sei gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X bösgläubig, denn sie hätte die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheides vom 9. Mai 2011 ohne weiteres erkennen können. Schon allein die Steigerung der Höhe der monatlichen Rente um das Siebeneinhalbfache ohne Änderung der Sachlage lege nahe, dass der Rentenbescheid vom 9. Mai 2011 rechtsfehlerhaft hätte sein können. Den bestehenden Rechtsfehler hätte die Klägerin bei Durchsicht der vorangegangenen Rentenbescheide ohne weiteres erkennen können. Denn während in den vorangegangenen Rentenbescheiden die Rente aus der Ärzteversorgung auf die große Witwenrente angerechnet worden sei, sei dies bei dem Rentenbescheid vom 9. Mai 2011 nicht der Fall. Zudem werde in den vorangegangenen Rentenbescheiden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Erwerbsersatzeinkommen Einfluss auf die Höhe der Rente haben könne und dass es sich bei Renten von öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtungen oder Versorgungseinrichtungen um anzurechnendes Erwerbsersatzeinkommen handele. Auch sei der Klägerin nach einer Beratung nach der erstmaligen Gewährung der Hinterbliebenenrente bekannt gewesen, dass die Einnahmen aus der Ärzteversorgung angerechnet würden.
Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei eingehalten. Die Frist beginne mit Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigten. Dies sei in der Regel mit der Anhörung. Diese Frist sei hier gewahrt, denn zwischen Anhörung und Rücknahmeentscheidung hätten rund drei Monate gelegen.
Die Beklagte habe zweifelsfrei erkannt, dass ihr ein Rücknahmeermessen zustehe und habe dieses pflichtgemäß ausgeübt. Sachfremde Erwägungen habe sie nicht angestellt. Vielmehr habe sie jedenfalls im Widerspruchsbescheid die finanzielle Situation der Klägerin hinreichend und rechtsfehlerfrei in die Ermessenserwägungen einbezogen. Es sei unerheblich, dass die Beklagte ihr Mitverschulden an der Überzahlung nicht in die Ermessenserwägungen eingestellt habe. Bei Unredlichkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X liege ein Absehen von der Rücknahme im Ermessenswege fern. Dies entspreche jedenfalls im Hinblick auf ein etwaiges Mitverschulden der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Hiernach liege ein Ermessens- bzw. Abwägungsdefizit nicht vor, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Verwaltungsakts gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe und die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens in Bezug auf die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts einen eigenen Fehler in die Interessenabwägung nicht mit einstelle. Verschulden sei nur dann zwingend im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, wenn ein Verschulden der Behörde gegeben sei, ohne dass ein Verschulden des Betroffenen vorliege. Zudem müsse, wer die unterlassene Abwägung rüge, berücksichtigungsfähige Tatsachen vortragen, und zwar vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens. Später könne er sich nicht auf die Nichtberücksichtigung dieser Tatsachen berufen.
Gegen das am 28. November 2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17. Dezember 2014 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Sie verwahre sich gegen die gerichtliche Beurteilung, sie sei bösgläubig gewesen. Richtig sei, dass sie auf die Richtigkeit des Rentenbescheides vom 9. Mai 2011 vertraut habe. Dieses Vertrauen sei darin begründet, dass sie sich ja gerade wegen fehlender Kenntnisse des deutschen Renten- und Verfahrensrechts eines Rentenberaters bedient habe. Vielmehr sei sie von Anfang an verwundert gewesen, dass die Witwenrente zunächst so niedrig ausgefallen sei, und habe gedacht, dies sei nun entsprechend korrigiert. Sie selbst habe überhaupt keine Veranlassung gesehen, den Rentenbescheid mit seinen diversen, nur für entsprechend vorgebildete Adressaten verständlichen Anlagen näher zu überprüfen. Allenfalls hätte der damalige Bevollmächtigte den Fehler aufgrund seiner Fachkenntnis erkennen können, sodass allenfalls nur ihm grobe Fahrlässigkeit unterstellt werden könne. Dies sei weder ersichtlich noch müsse sich die Klägerin dies ggfs. zurechnen lassen. Die Klägerin genieße daher Vertrauensschutz und habe in der Folge die Leistungen verbrauchen dürfen.
Die Ausschlussfrist von einem Jahr nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei durch die Beklagte nicht gewahrt. Ihr sei von Anfang an bekannt gewesen, dass die Klägerin eine Rentenzahlung durch das Versorgungswerk der Ärzte erhalte. Diese Tatsache hätte ohne weiteres in dem Rentenbescheid vom 9. Mai 2011 berücksichtigt werden können. Da sie dies erst mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 9. August 2012 und damit 15 Monate nach Erlass des Rentenbescheides vom 9. Mai 2011 getan habe, sei sie wegen Fristversäumnis ausgeschlossen. Anders als in den Ausführungen des Sozialgerichts dargelegt, setze der Beginn der Jahresfrist keine Anhörung voraus; maßgeblich sei allein, wann die Anhörung hätte eingeleitet werden können. Dies hätte noch vor der Bescheiderteilung 2011 erfolgen müssen, da die Beklagte lediglich Kenntnis von der Höhe der Ärzteversorgung für das Jahr 2010 durch Mitteilung vom 27. Juli 2010 gehabt habe, nicht jedoch für das Jahr 2011.
Das private Bestandsinteresse der Klägerin überwiege das öffentliche Rücknahmeinteresse. Das Mitverschulden der Beklagten habe in die Ermessenserwägungen eingestellt werden müssen, dies sei nicht erfolgt. Es seien allenfalls Aspekte berücksichtigt worden, die zu Gunsten der Beklagten sprächen, nicht aber zu Gunsten der Klägerin. Die Klägerin sei auch nicht ausgeschlossen, dies erst im Klageverfahren zu rügen, denn die Beklagte habe die ihr aus der eigenen Akte bekannten Umstände von Amts wegen in den Bescheiden berücksichtigen müssen. Auch reiche eine bloß formelhafte Feststellung eines ausgeübten Ermessens nicht aus.
Auch werde die Höhe der mit den streitgegenständlichen Bescheiden erhobenen Rückforderung i.H.v. 4.830,26 Euro bestritten. Nach einer dem damaligen Bevollmächtigten übermittelten Leistungsaufstellung der Beklagten von Ende 2014 solle sich der tatsächlich gezahlte Betrag lediglich auf 2.739,60 Euro belaufen haben. Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. November 2014 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 9. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2013 und den Bescheid vom 12. April 2016 insoweit aufzuheben, als die große Witwenrente für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 31. August 2012 neu berechnet wurde und eine Erstattung von 4.575,88 Euro gefordert wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Eine Bösgläubigkeit der Klägerin sei gegeben. Etwaige Fehler des Bevollmächtigten müsse sich die Klägerin zurechnen lassen. Im Übrigen habe die Klägerin diverse Bescheide erhalten und gegen diese Widerspruch erhoben und sich anwaltlich vertreten lassen. Insoweit sei ersichtlich, dass sie sich durchaus mit den jeweiligen Bescheiden detailliert beschäftigt habe und durch das Fachwissen ihres Bevollmächtigten in der Lage gewesen sei, durch einfachste und naheliegende Überlegungen die Rechtswidrigkeit des Bescheides zu erkennen.
Die Jahresfrist sei gewahrt. Diese beginne mit der Anhörung.
Die Rücknahme sei auch ermessenskonform. Allein ein Mitverschulden der Beklagten bedeute nicht zwangsläufig, dass der Umfang der Bescheidrücknahme und damit die Höhe der Überzahlung zu reduzieren sei. Denn auch bei einem Mitverschulden könnten andere Ermessensgründe – insbesondere das öffentliche Interesse – so schwer wiegen, dass es sachgerecht sei, von der vollumfänglichen Bescheidrücknahme nicht abzusehen. Das Ermessen sei auch von der Beklagten in Anlage 10 zu dem Bescheid vom 9. August 2012 ausgeübt worden.
Auch die Höhe der Überzahlung sei zutreffend berechnet worden.
Mit Bescheid vom 12. April 2016 hat die Beklagte die große Witwenrente ab dem 1. Dezember 2010 neu berechnet. Dabei ergab sich für den hier in Rede stehenden Zeitraum vom 1. Juli 2011 bis 31. August 2012 wieder ein Zahlungsanspruch, und zwar für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 30. Juni 2012 in Höhe von insgesamt 16,81 Euro monatlich (11,48 Euro Witwenrente und 5,33 Euro Zuschuss zur privaten Krankenversicherung) und für Juli und August 2012 in Höhe von 26,34 Euro monatlich (20,18 Euro Rente und 6,16 Euro Zuschuss zur privaten Krankenversicherung), insgesamt also 254,40 Euro. Die sich diesbezüglich ergebende Nachzahlung hat die Beklagte einbehalten. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 13. April 2017 hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass die große Witwenrente für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis 31. August 2012 gemäß Bescheid vom 12. April 2016 zu berechnen und eine Erstattung von lediglich 4.575,88 Euro zu fordern ist. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 13. April 2017 hat die Klägerin vorgetragen, sich nicht erinnern zu können, eine Witwenrente in Höhe von 345 Euro im hier in Rede stehenden Zeitraum erhalten zu haben. Sie verstehe nicht, dass sie zurückzahlen solle, was sie nicht erhalten habe. Daraufhin hat die Vertreterin der Beklagten auf den in ihren Akten befindlichen Zahlungsauftrag vom 9. Mai 2011 (Bl. 430 der Verwaltungsakten) und die Zahlungsunterbrechung vom 9. August 2012 (Bl. 492 der Verwaltungsakten) hingewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen. Die den Versicherten betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, aber nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. November 2014 und der Bescheid der Beklagten vom 9. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2013 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, soweit die Beklagte nicht mit dem gemäß §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen und als mit Klage angefochten geltenden Bescheid vom 12. April 2016 und Teilanerkenntnis vom 13. April 2017 abgeholfen hat. Die Beklagte hat die Bewilligung einer großen Witwenrente für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 31. August 2012 zu Recht teilweise zurückgenommen, denn der Klägerin stand eine Witwenrente für den genannten Zeitraum in der bewilligten Höhe nicht zu.
Die Beklagte und das Sozialgericht haben zutreffend als Rechtsgrundlage für die Rücknahme § 45 SGB X angenommen. Diese Vorschrift lautet:
(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
1.und 2. ( ...)
3. die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. ( )
(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.
Da es sich um eine Rücknahmeentscheidung handelt, war die Klägerin vor Erlass des Rücknahme- und Erstattungsbescheides gemäß § 24 Abs. 1 SGB X anzuhören. Diese Vorschrift lautet:
Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
Eine Anhörung ist zwar erfolgt, diese wurde laut Aktenlage jedoch nicht an den Bevollmächtigten, sondern an die Klägerin selbst geschickt. Es wurde damit die Vorschrift des § 13 Abs. 3 SGB X verletzt, wonach, wenn für das Verfahren ein Bevollmächtigter bestellt ist, sich die Behörde an ihn wenden muss, dies steht nicht in ihrem Ermessen (vgl. für einen ähnlich gelagerten Fall das Urteil des BSG vom 26. Juli 2016, - B 4 AS 47/15 R, juris Rn. 21 und 22 = SozR 4-1500 § 114 Nr. 2). Auf Grund der erteilten Prozessvollmacht konnte die Klägerin darauf vertrauen, dass alle prozessrelevanten Erklärungen und Verfügungen an ihren Bevollmächtigten gerichtet werden und von ihr keine Kenntnis bzw. Reaktion erwartet werden konnte. Die Beklagte durfte, weil schon keine Mitwirkungspflicht der Klägerin bestand, das Anhörungsschreiben auch nicht nach § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB X an die Klägerin adressieren, wonach sich eine Behörde, soweit ein Beteiligter zur Mitwirkung verpflichtet ist, an diesen selbst wenden kann (BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R –, aaO., juris Rn. 22).
Der Mangel der Anhörung ist jedoch geheilt worden, und zwar nach Auffassung des Senats bereits im Verwaltungsverfahren selbst. Das Anhörungsschreiben war zwar nicht an den bestellten Bevollmächtigten versandt worden, dieser meldete sich aber telefonisch bei der Beklagten und beantragte Akteneinsicht, die ihm auch gewährt wurde. Der Grund für die Einsichtnahme ist zwar nicht benannt bzw. nicht aktenkundig, es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Klägerin mit dem Anhörungsschreiben an ihn gewandt hatte und er deshalb die Akteneinsicht beantragte. Zumindest ist ein anderer Grund für eine Akteneinsicht nicht erkennbar, das vorangegangene Widerspruchsverfahren (in dem es - zuletzt noch - um die Anrechnung der lettischen Rente gegangen war) war mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2012 abgeschlossen worden. Der Bevollmächtigte hatte auch seine Kostenrechnung bereits eingereicht. Spätestens durch die Akteneinsicht müsste ihm aber das Anhörungsschreiben zur Kenntnis gelangt sein, so dass er auch Gelegenheit hatte, hierzu Stellung zu nehmen. Auch hatte die Beklage ihn mit Schreiben vom 28. Juni 2012 an die Stellungnahme zur Anhörung erinnert. Allerdings liest sich seine Einlassung im erstinstanzlichen Verfahren (Schriftsatz vom 21. Mai 2013) so, als sei ihm ein Anhörungsschreiben nicht zur Kenntnis gelangt, da er sich darüber auslässt, unter welchen Umständen von einer Anhörung abgesehen werden kann.
Letztendlich kann jedoch dahinstehen, ob der Mangel der Anhörung bereits im Verwaltungsverfahren geheilt wurde, da er spätestens im Widerspruchsverfahren nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X durch Nachholung geheilt worden ist (vgl. zur Möglichkeit der Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren das Urteil des BSG vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 9/11 R –, juris Rn. 14 = SozR 4-2600 § 77 Nr. 10). Erfolgt die Nachholung im Widerspruchsverfahren, ist es ausreichend, wenn dem Beteiligten in dem angefochtenen Bescheid die wesentlichen entscheidungserheblichen Gesichtspunkte mitgeteilt werden und er Gelegenheit zur sachgerechten Äußerung im Widerspruchsverfahren erhält. Die Behörde dokumentiert dann durch Erlass des Widerspruchsbescheides (oder Abhilfebescheides), ob und inwiefern sie an ihrer Entscheidung festhält. Wichtig ist hierbei, dass dem Beteiligten alle entscheidungserheblichen Tatsachen auch im Bescheid genannt werden (Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, Stand Februar 2015, § 24 SGB X, Rn. 64; Mutschler in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2016, § 24 SGB X, Rn. 34a, beide mit weiteren Nachweisen). Die Beklagte hatte in dem angefochtenen Bescheid vom 9. August 2012 auch die entscheidungserheblichen Tatsachen für die Rücknahme des Rentenbescheides vom 9. Mai 2011 angegeben. Dem Bescheid war die zutreffende Rechtsgrundlage zu entnehmen und auch, aus welchen Gründen die Beklagte hier einen Ausschluss des Vertrauensschutzes annahm und damit die Möglichkeit der Rücknahme für die Vergangenheit. Die Klägerin hatte somit im Rahmen des Widerspruchsverfahrens Gelegenheit, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Auch hatte die Beklagte im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebracht, dass Ermessen auszuüben sei, sie aber hier ein überwiegendes öffentliches Interesse, das die Bescheidrücknahme rechtfertige, sehe.
Auch die Voraussetzungen des § 45 SGB X zur Rücknahme sind erfüllt. Zunächst ist hier § 45 SGB X und nicht § 48 SGB X die richtige Rechtsgrundlage, da der Bescheid vom 9. Mai 2011 schon bei seiner Bekanntgabe rechtswidrig war. Anfänglich rechtswidrig ist ein Bescheid, wenn er schon bei seinem Erlass mit dem anzuwendenden Recht nicht im Einklang steht. Dies war hier der Fall. Die Klägerin bezog schon seit mehreren Jahren laufend eine Rente aus der Ärzteversorgung, die damit bereits laufend auf die Witwenrente anzurechnen war.
Die Klägerin war auch bösgläubig, d.h. sie wusste oder wusste nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht, dass der Bescheid vom 9. Mai 2011 rechtswidrig war, weil er eine Witwenrente in einer Höhe bewilligte, wie sie drei Jahre lang, und das bei im Wesentlichen unveränderter Sachlage, nicht gewährt worden war. Grobe Fahrlässigkeit ist nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen - subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff - (BSG, Urteil vom 08. Februar 2001 – B 11 AL 21/00 R –, juris Rn. 23 = SozR 3-1300 § 45 Nr. 45). Bis zum 30. Juni 2011 hatte die Klägerin eine Rente von 29,37 Euro zuzüglich eines Zuschusses zur Krankenversicherung in Höhe von 16,29 Euro, insgesamt also 45,66 Euro erhalten. Es hätte ihr daher auffallen müssen, dass die Rente sich stark erhöhte. Da die Klägerin Ärztin ist, war sie auch intellektuell in der Lage, die früheren Rentenbescheide zu verstehen sowie die ihr darin gegebenen Erläuterungen zur Anrechnung. Es war ihr mehrfach in gut verständlichen Erläuterungen deutlich gemacht worden, dass bestimmte Einkünfte die Höhe der Witwenrente beeinflussen können. Ihre Einlassung, sie hätte darauf vertraut, dass durch die Einschaltung eines Rentenberaters die Sache geklärt worden wäre und die Rente (erst) jetzt zutreffend berechnet worden sei, ist schon deshalb nicht schlüssig, weil dann auch eine Korrektur der früheren Rentenbescheide hätte erfolgen müssen, was jedoch nicht der Fall war. Das einzige, was der Klägerin nicht unbedingt hätte klar sein müssen, ist der Umfang der Überzahlung. Da sie bis zum 30. Juni 2011 immerhin einen Betrag von 45,66 Euro ausgezahlt bekommen hatte, hätte sie nicht erkennen müssen, dass der Anspruch auf eine Witwenrente gänzlich entfallen war, weil der anzurechnende Betrag die Höhe der errechneten Rente ab Juli 2011 überstieg. Hierzu wiederum sind die Anrechnungsvorschriften zu kompliziert, auch für jemanden der, wie die Klägerin, in der Lage ist, auch komplizierte Sachverhalte zu verstehen.
Dem früheren Bevollmächtigten der Klägerin war es jedoch möglich, die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 9. Mai 2011 in vollem Umfang zu erkennen. Dieses Wissen bzw. grob fahrlässige Nichtwissen ihres Bevollmächtigten muss sich die Klägerin analog §§ 278, 166 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zurechnen lassen. Die Vorschriften des § 278 Satz 1 BGB, wonach der Schuldner ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang wie eigenes Verschulden zu vertreten hat, und des § 166 Abs. 1 BGB, wonach nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht kommt, soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden, wonach also das Verhalten bzw. die Kenntnis oder das Kennenmüssen einer dritten Person als eigenes Verhalten bzw. eigene Kenntnis oder eigenes Kennenmüssen zugerechnet wird, finden jedenfalls im Fall einer gesetzlichen Vertretung oder rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung entsprechende Anwendung im öffentlichen Recht. Denn dieser Grundgedanke des bürgerlichen Rechts lässt, da er auf einem allgemeinen Rechtsgedanken beruht, eine entsprechende Anwendung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zu, da die Interessenlage, aus der die Verpflichtung des Vertretenen hergeleitet wird, sich von der entsprechenden Sachlage im bürgerlichen Recht nicht wesentlich unterscheidet. Demjenigen, der sich eines Dritten bedient (oder kraft Gesetzes eines Dritten bedienen muss), soll es gerade bei rechtsgeschäftlicher Bevollmächtigung nicht gestattet werden, einerseits die tatsächlich oder vermeintlich besseren Fähigkeiten und Kenntnisse dieses Dritten zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen, ohne die möglicherweise gleichzeitig daraus resultierenden Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Wer zur Erledigung eigener Angelegenheiten einen Dritten einschaltet, übernimmt damit zugleich die Verantwortung für dessen Verhalten bzw. dessen Kenntnis oder Kennenmüssen, ohne dass es darauf ankommt, ob ihm selbst dieses Verhalten bzw. dessen Kenntnis oder Kennenmüssen bekannt ist. Dieser grundsätzlichen Verantwortlichkeit des gerade rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten entspricht, dass sich die Behörde nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB X an den Bevollmächtigen wenden muss und gemäß § 37 Satz 2 SGB X diesem gegenüber die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes vornehmen kann (vgl. Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. Februar 2014 - L 22 R 443/12 -, juris Rn. 54 unter Hinweis auf die Urteile des BSG vom 18. August 2005 - B 7a AL 4/05 R -, dokumentiert in juris und in SozR 4-1500 § 95 Nr. 1; vom 22. Oktober 1968 - 9 RV 418/65 -, dokumentiert in juris und in SozR Nr. 24 zu § 47 VerwVG, und vom 13. Dezember 1984 - 9a RV 40/83 -, dokumentiert in juris und in SozR 1300 § 48 Nr. 11).
Dem früheren Vertreter der Klägerin als Rentenberater und - dem Senat aus zahlreichen Verfahren bekannten - Prozessbevollmächtigten hätte ohne weiteres auffallen müssen, dass die Anrechnung der Rente aus der Ärzteversorgung von der Beklagten nicht mehr vorgenommen worden war. Für jemanden, der wie der frühere Bevollmächtigte der Klägerin mit Rentenbescheiden vertraut ist, ist es auch nicht schwierig, eine unterbliebene Anrechnung zu erkennen. Der frühere Bevollmächtigte war auch verpflichtet, den Bescheid vom 9. Mai 2011, der ihm zugeschickt worden war, zu lesen, da er die Interessen der Klägerin zu vertreten und damit zu überprüfen hatte, ob alle ihr zustehenden Ansprüche berücksichtigt worden waren.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 3 SGB X für eine Rücknahme sind damit erfüllt. Auf Vertrauen kann sich die Klägerin somit nicht berufen.
Die Beklagte hat auch ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Sie hat erkannt, dass ihr ein Rücknahmeermessen zustand und hat dieses auch ausdrücklich betätigt; diese Ermessensbetätigung ist gerichtlich auf Ermessensfehler hin zu kontrollieren. Insbesondere ist dabei zu prüfen, ob die Beklagte für die zur Ausschöpfung ihres Ermessensspielraums notwendige Interessenabwägung alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen (öffentlichen und privaten) Abwägungsbelange ermittelt, in diese Abwägung eingestellt, mit dem ihnen zukommenden objektiven Gewicht bewertet und bei widerstreitenden (öffentlichen und privaten) Belangen einen angemessenen Ausgleich hergestellt hat. Dabei steht es der Behörde - in den gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens - grundsätzlich frei zu entscheiden, auf welche der abwägungsrelevanten Umstände sie die zu treffende Ermessensentscheidung im Ergebnis stützen möchte (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 R 14/11 R –, juris Rn. 30 = SozR 4-1300 § 45 Nr. 15). Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 9. August 2012 und auch im Widerspruchsbescheid vom 9. April 2013 bei der Einbeziehung abwägungsrelevanter Belange öffentliche und private Interessen geprüft. Hinsichtlich der individuellen Interessen der Klägerin hat sie in ihre Abwägung die nach Aktenlage erkennbaren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse eingestellt und diese so bewertet, dass sie eine Bescheidrücknahme für die Vergangenheit zuließen. Das Entstehen einer unbilligen (wirtschaftlichen) Härte als Folge der Rücknahme der Zuschussbewilligung hat sie verneint, weil die Klägerin ausreichende Einkünfte aus eigener Versicherung aus der Ärzteversorgung und aus der Hinterbliebenenversorgung habe und nach Aktenlage keine Verhältnisse bekannt seien, die von einer Rücknahme absehen ließen. Als - widerstreitende - öffentliche Belange ermittelte und berücksichtigte die Beklagte, dass sie zu einer zweckmäßigen Verwendung der Mittel der Rentenversicherung verpflichtet sei.
Entgegen der Auffassung der Klägerin hätte die Beklagte auch ihr – eindeutig vorliegendes – Mitverschulden an der Entstehung der Überzahlung nicht in ihre Ermessensabwägung einstellen müssen. Es war der Beklagten bekannt, dass eine Rente aus der Ärzteversorgung bezogen wurde, sie hatte diese bei den vorangegangenen Berechnungen auch jeweils berücksichtigt. Die Nichtbeachtung dieser Rente bei der Bescheiderteilung vom 9. Mai 2011 ist daher als fahrlässig anzusehen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist der Verwaltungsträger im Rahmen seiner Ermessensabwägung aber nicht verpflichtet, eigene Fehler in das Ermessen zugunsten des Betroffenen einzustellen (vgl. BSG, Urteile vom 21. März 1990 - 7 RAr 112/88 - juris Rn. 27 = SozR 3-1300 § 45 Nr. 2; vom 21. Juni 2001 - B 7 AL 6/00 R - juris Rn. 27; vom 30. Oktober 2013 - B 12 R 14/11 R, aaO., juris Rn. 32ff; Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 45 SGB X, Rn. 120.1). Begründet liegt dies darin, dass (grobe) Fehler der Verwaltung bei der Vertrauensschutzprüfung nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie das Vertrauen des Begünstigten im Sinne der Fehlerperpetuierung nachhaltig und zusätzlich gestärkt haben. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn Versäumnisse, die dem Machtbereich der Behörde zuzurechnen sind, nunmehr zugunsten des ursprünglich Begünstigten in die Ermessensentscheidung einfließen würden.
Vorliegend handelt es sich um einen normalen Fehler der Beklagten, einer ihrer Mitarbeiter hat die vorzunehmende Einkommensanrechnung übersehen. Es wurde damit auch kein Vertrauen der Klägerin perpetuiert, aus vorausgegangenen Bescheiden und auch aus sonstigen Gründen konnte sie nicht darauf vertrauen, dass das Einkommen aus der Ärzteversorgung nicht angerechnet werden würde.
Auch die maßgebenden Fristen sind gewahrt, das gilt entgegen der Auffassung der Klägerin auch für die Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X. Bei einer Rücknahmeentscheidung, die sich auf den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit bzw. Kenntnis der Rechtswidrigkeit stützt, beginnt die Jahresfrist dann zu laufen, wenn die Beklagte Kenntnis davon hatte, dass der Kläger oder die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Maßgeblich ist damit der Zeitpunkt, zu dem die Behörde aufgrund des ermittelten Sachverhalts Kenntnis von der Bösgläubigkeit hatte. Die Frage, wann die Behörde die Tatsachen, die eine abschließende Prüfung der Rücknahmevoraussetzungen erlauben, kennt, ist weder ausschließlich anhand objektiver Kriterien noch allein aufgrund der subjektiven Einschätzung der Behörde zu beantworten. Die zeitliche Begrenzung der Rücknahmebefugnis für die Vergangenheit dient der Rechtssicherheit. Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes ist die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bzgl. sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht (vgl. Urteil des BSG vom 27. Juli 2000, - B 7 AL 88/99 R -, juris Rn-Nr. 23 = SozR 3-1300 § 45 Nr. 42 mit weiteren Nachweisen).
Wenn, wie vorliegend, grobe Fahrlässigkeit der Begünstigten im Raume steht, ist nicht ein objektiver Maßstab anzulegen, sondern auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten der Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falles abzustellen. Die Behörde kann deshalb nicht allein auf den Akteninhalt abstellen. Ansonsten wäre sie jeweils gezwungen, einen Verwaltungsakt vorsorglich, sozusagen "auf Verdacht" zu erlassen. Sie muss vielmehr vor einer Rücknahme- bzw. Aufhebungsentscheidung dem Betroffenen zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu den entscheidungserheblichen Tatsachen geben. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X kann daher regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen beginnen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juli 2000, aaO., Rn. 24 mit weiteren Nachweisen; Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 45 SGB X, Rn. 109). Maßgeblich ist der Ablauf der für die Anhörung gesetzten Frist. Die Jahresfrist begann daher hier mit Ablauf der Anhörungsfrist von drei Wochen, also am 8. Juni 2012. Innerhalb eines Jahres seit diesem Zeitpunkt ist der Bescheid vom 9. August 2012 auch ergangen.
Die Rücknahme ist auch hinsichtlich der Höhe zutreffend. Die im Berufungsverfahren eingereichte Aufstellung der Rentenzahlungen berücksichtigt ersichtlich die Überzahlung für die Zeit von Juli 2011 bis August 2012 nicht. Es ist angegeben, dass bzgl. dieser Zeit keine Rentenzahlung erfolgte. Tatsächlich erfolgte diese aber, und zwar in Höhe von 14 mal 345,02 Euro, was den - zunächst - geforderten Betrag von 4.830,28 Euro ergibt. Bezüglich des Betrages von 254,40 Euro, der sich aus der Neuberechnung mit Bescheid vom 12. April 2016 ergibt, hat die Beklagte durch Teilanerkenntnis vom 13. April 2017 abgeholfen.
Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beträge, die - jetzt noch -zurückgefordert werden, der Klägerin nicht ausgezahlt worden sind. Sie hat zwar in der mündlichen Verhandlung vom 13. April 2017 - erstmals - angegeben, Zahlungen in Höhe von 345,02 Euro im hier in Rede stehenden Zeitraum nicht erhalten zu haben. Der Senat ist jedoch davon überzeugt, dass die Klägerin die Zahlungen erhalten hat. Dies ergibt sich aus der in den Akten der Beklagten befindlichen Zahlungsanweisung und der Zahlungsunterbrechung. Sofern die Zahlungen, z.B. wegen eines neuen Kontos, ihren Empfänger, hier die Klägerin, nicht erreicht hätten, so wären sie zurückgelaufen. Dies war jedoch nicht der Fall.
Der (Rest-) Betrag von 4.575,88 Euro ist gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X von der Klägerin zu erstatten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch von einer Entscheidung eines Obergerichts abgewichen wird (§ 160 Abs. 2 SGG).
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