S 1 U 42/08

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 42/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 91/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung einer beim Kläger bestehenden Gonarthrose als Berufskrankheit, jetzt Nr. 2112 der Anlage zu Berufskrankheiten-Verordnung (BKV), und Gewährung der gesetzlichen Entschädigungsleistungen.

Der 1952 geborene Kläger ist selbstständiger Installateurmeister und in dieser Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der Gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Ursprünglich hatte er bei der Beklagten die Annerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage zu BKV (beruflichbedingte Meniskusschäden) beantragt. Nach ablehnenden Verwaltungsentscheidungen erhob er Klage vor dem damals örtlich zuständigen Sozialgericht Wiesbaden (Az.: S 13 U 10/03). Aufgrund eines in diesem Rechtsstreit eingeholten Gutachtens schlossen die Beteiligten am 18. Januar 2006 einen Vergleich, wonach sich die Beklagte verpflichtete, ein neues Verwaltungsverfahren wegen einer beruflich bedingten Gonarthrose im Verfahren nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) durchzuführen. Der Rechtsstreit wurde gleichzeitig durch diesen Vergleich beendet.

Im daraufhin eingeleiteten Verwaltungsverfahren zog die Beklagte umfangreiche Krankenunterlagen auch aus dem zuvor durchgeführten Verwaltungsverfahren bei. Sie beauftragte ihren Technischen Aufsichtsdienst (TAD) mit der Ermittlung der sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen. Der TAD kam in seiner Stellungnahme vom 29.12.2006 zu dem Ergebnis, dass während des bisher geleisteten Arbeitslebens eine Einwirkungsdauer von 16.799 Stunden festgestellt werden könne; diese Gesamteinwirkungsdauer hat der TAD für die einzelnen Berufsjahre gleichzeitig spezifiziert. Die gesamten Unterlagen leitete die Beklagte ihrem Beratungsarzt H. zu. Dieser kam in seiner Stellungnahme vom 30.01.2007 zu dem Ergebnis, die Krankheit könne nicht wie eine Berufskrankheit anerkannt werden. Die Gonarthrose sei erstmals 1990 in ärztlichen Unterlagen dokumentiert, damals habe aber nur eine Einwirkungsdauer von 9.485 Stunden bestanden. Die Grenze der Mindesteinwirkung sei nach derzeitiger wissenschaftlicher Ansicht bei 13.000 Stunden anzusiedeln. Mit Bescheid vom 04.04.2007 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Gonarthrose als "Wie - Berufskrankheit" mit der Begründung ab, die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Im weiteren Verfahren ging bei der Beklagten eine Stellungnahme des Landesgewerbearztes vom 16. April 2007 ein, mit der dieser vorschlug, die Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen. Gegen den Bescheid legte der Kläger am 24.04.2007 Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren wurde noch das Ergebnis einer MRT-Untersuchung des Universitätsklinikums Gießen Marburg beigezogen. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 20.02.2008 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage. Nach Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung mit Wirkung vom 01.07.2009 hat der Kläger sein Begehren dahingehend umgestellt, dass er die Anerkennung einer Listen-Berufskrankheit nach Nr. 2112 begehrt. Der Kläger ist der Ansicht, die bei ihm nachgewiesenen Gonarthrosen seien auf seine berufliche Tätigkeit als selbstständiger Installateurmeister zurückzuführen.

Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids vom 04.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 07.02.2008 die Beklagte zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen und ihm deswegen Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen. Ergänzend weist sie darauf hin, dass bei Beurteilung der Erkrankung im Verwaltungsverfahren als "Wie - Berufskrankheit" dieselben Voraussetzungen zugrunde gelegt worden seien, die nunmehr in die Listen Berufskrankheit nach Nr. 2112 durch den Gesetzgeber eingeflossen seien.

Das Gericht hat von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Zusammenhangsgutachtens bei Dr. C., Universitätsklinikum Gießen Marburg (Gutachten vom 02.01.2009 und ergänzende Stellungnahme vom 14.04.2009). Dr. C. kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, eine Berufskrankheit sei nicht anzuerkennen. Zusammenfassend würden bei dem Kläger zwei mögliche Ursachen seiner Kniegelenkserkrankungen konkurrieren. Einmal die berufliche Belastung und eine vormalige endogene Gelenkentzündung. Weitere Arthrosen an beiden Fußwurzeln und am linken Daumensattelgelenk seien nicht als Berufskrankheiten anerkennungsfähig. Eine über eine allgemeine Möglichkeit hinausgehende konkrete Wahrscheinlichkeit, dass die beruflichen Einflüsse die Krankheitsgeschichte maßgeblich bestimmt hätten, vermöge er nicht mit hinreichender Sicherheit und überzeugender Begründung abzugrenzen. Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht ein weiteres orthopädisches Zusammenhangsgutachten bei Prof. D., Institut für medizinische Begutachtung in Frankfurt eingeholt. Prof. D. kommt in seinem Gutachten vom 01.02.2010 zu dem Ergebnis, eine Berufskrankheit können diskutiert werden. In der bisher durchgeführten Diagnostik sei wiederholt ein Rheumaleiden diskutiert worden. Eine klare Diagnosestellung sei bisher jedoch nicht gelungen. Ein Rheumaleiden sei nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu bestätigen, könne aber auch nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Weitere konkurrierende Faktoren seien nicht anzunehmen. Im Falle einer Anerkennung sei eine MdE von 30 v. H. festzustellen. Zu den Ausführungen des Sachverständigen Prof. D. hat das Gericht nochmals Dr. C. gehört. Dieser führt in seiner Stellungnahme vom 28.06.2010 aus, er sehe keinen Anlass zu Änderung seiner bisher geäußerten Ansicht. Die einzig offene Frage sei in diesem Fall das Bestehen einer Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis als Auslöser der Arthrose. Es seien jedoch in der Vergangenheit erhebliche entzündliche Prozesse beim Kläger festgestellt worden.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere wegen des Inhalts der medizinischen Gutachten, wird auf die Klage- und Verwaltungsakte der Beklagten über den Kläger Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 28.01.2011 gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.

Sachlich ist die Klage unbegründet. Zu Recht hat die Beklagte mit Bescheid vom 04.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2008 die Anerkennung der beim Kläger bestehenden Gonarthrosen als Berufskrankheit abgelehnt, denn ein Zusammenhang dieser Erkrankung mit den beruflichen Einwirkungen ist nicht wahrscheinlich zu machen. Dabei war der Prüfung im Gerichtsverfahren die neue Listenberufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage zur BKV zugrunde zu legen, denn diese hat die im Verwaltungsverfahren schon vorhandenen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse (vgl. § 9 Abs. 2 SGB VII) mit Wirkung vom 01.07.2009 in die Berufskrankheitenverordnung als Listen – BK einfließen lassen.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird dabei nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übliche Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht sind, oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Die diesen Kriterien entsprechenden Berufskrankheiten sind in der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31.10.1997, zuletzt geändert durch Verordnung vom 11.06.2009 (BGBl. I Seite 1273), aufgeführt. Unter Nr. 2112 der Anlage zur BKV ist nunmehr mit Wirkung vom 01.07.2009 (vgl. Verordnung vom 11.06.2009, Bundesgesetzblatt BGBl. I S.1273) als Berufskrankheit eine "Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht" als Berufskrankheit erfasst.

Aus dem Verordnungstext geht hervor, dass zur Anerkennung dieser Berufskrankheit insbesondere zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen, nämlich • eine berufliche Belastung von mindestens 13.000 Stunden Tätigkeit im Knien oder vergleichbarer Kniebelastung (arbeitstechnische Voraussetzungen) und • der Nachweis mindestens einer Gonarthrose, die auf diese berufliche Belastung zurückzuführen ist.

In Anwendung dieser Grundsätze und in Auswertung der im Verfahren eingeholten medizinischen Gutachten kommt die Kammer in freier Beweiswürdigung (vgl. § 128 SGG) zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger keine Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage zu BKV festgestellt werden kann. Zu Recht hat die Beklagte mit ihrer angegriffenen Verwaltungsentscheidung darauf verwiesen, dass schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen zweifelhaft sind. Zwar hat der Kläger während seines gesamten Berufslebens bis zum Jahr 2006 eine Mindesteinwirkungsdauer von 16.799 Arbeitsstunden erfüllt und damit den in Berufskrankheiten recht geforderten Wert von 13.000 Arbeitsstunden überschritten. Allerdings ist die bei ihm bestehende Gonarthrose erstmals nach dem dokumentierten Krankenunterlagen 1990 diagnostiziert worden. Zu diesem Zeitpunkt war die Mindesteinwirkung von 13.000 Arbeitsstunden bei weitem noch nicht erfüllt. Allein deshalb bestehen erhebliche Zweifel, ob die streitige Berufskrankheit tatsächlich vorliegt.

Aber auch die medizinischen Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht erfüllt. Die Kammer schließt sich insoweit dem im Verfahren von Amts wegen bei Dr. C. eingeholten Gutachten an. Dieser hat überzeugend ausgeführt, dass zwar beim Kläger an beiden Kniegelenken eine Gonarthrose im Vollbeweis gesichert sei, dass aber medizinisch ein kausaler Zusammenhang dieser Erkrankung mit den beruflichen Einwirkungen nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden könne. Vielmehr geht Dr. C. davon aus, dass sich die Gonarthrosen durch einen entzündlichen Krankheitsprozess aufgrund eines Rheumaleidens des Klägers gebildet haben. Dies führt er näher und überzeugend für die Kammer anhand der dokumentierten Arztberichte und Befunde aus. Das Ergebnis ist für die Kammer überzeugend. Aber auch der auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Prof. D. konnte dieses Ergebnis nicht erschüttern. Zusammengefasst hat er selbst erhebliche Zweifel an der Feststellung der Berufskrankheit und kann einen Zusammenhang der diagnostizierten Gonarthrosen mit der beruflichen Tätigkeit nicht unter Anwendung des Beweismaßstabes der Wahrscheinlichkeit bestätigen. Er führt hierzu wörtlich aus: "Bei der Entstehung der Arthrose der Kniegelenke von Herrn A., sind aus Sicht der Unterzeichner, neben genetischen Veranlagungen auch berufliche Expositionen zu diskutieren." Daraus schließt die Kammer eindeutig, dass hier mehrere Ursachen für die Erkrankung verantwortlich seien können. Unter dem Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit, über dessen Inhalt der erfahrene Sachverständige Prof. D. nochmals mit der Beweisanordnung aufgeklärt worden ist, wird der Zusammenhang zwischen Erkrankung und beruflicher Einwirkung keinesfalls bestätigt; es besteht für Prof. D. wohl lediglich der Verdacht eines Zusammenhangs. Dies reicht in der Gesetzlichen Unfallversicherung nicht aus. Die Klage war deshalb abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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