S 5 KR 144/09 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 5 KR 144/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 B 11/09 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragsgegnerin die über den Festbetrag hinausgehenden Mehrkosten für das Arzneimittel Alvesco der Antragsstellerin zu erstatten hat.

Die am 00.00.1954 geborene Antragstellerin leidet unter einem Asthma Bronchiale. Bei ihr besteht ausweislich des Berichtes des Klinikums S vom 02.04.2009, wo sie sich in der Zeit vom 28.03. bis 02.04.2009 in stationärer Behandlung befunden hat, eine Allergie gegen den Wirkstoff Beclometason. Sie ist jedoch auf ein glucocorticoidhaltiges Medikament zur Behandlung des Asthma Bronchiale angewiesen ist. Entsprechende Verordnungen erfolgen durch den sie behandelnden Arzt Dr. L. Unter der Einnahme von Alvesco® werden die Beschwerden auf gut verträgliche Weise gelindert. Hierbei handelt es sich um ein Medikament mit dem Wirkstoff Ciclesonid. Dieses Medikament gehört zur Festbetragsgruppe der Stufe 2 der Gruppe der Glucocortikoide (inhalativ, oral). Andere Wirkstoffe dieser Gruppe sind Beclometason, Budenosid, Fluticason und Mometason. Laut Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 21.06.2007 wird die Gruppe beschrieben als Glucocorticoide zur Anwendung bei Atemwegserkrankungen, orale Darlegungsform, ggf. mit apparativen Zusätzen auf Antrag des Herstellers.

Am 23.04.2009 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Übernahme der Mehrkosten für das Medikament Alvesco®, das nicht zum Festbetrag abgegeben wird. Sie machte geltend, sie habe bei der Einnahme von Beclometason nach 3 Tagen kleine Pusteln am ganzen Körper und einen starken Juckreiz. Dieser sei verbunden mit leichtem Fieber. Sie sei täglich dreimal auf einen Hub (160 mg) Alvesco® angewiesen. Behandlungsalternativen gebe es für sie nicht. Die Festbetragsregelung des § 35 Sozialgesetzbuch, 5. Buch könne für sie nicht geltend, da sie auf das Medikament Alvesco® angewiesen sei und die Krankenkasse daher verpflichtet sei, auch die Mehrkosten zu übernehmen.

Mit Bescheid vom 24.04.2009 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Übernahme der Kosten mit der Begründung ab, für die Wirkstoffgruppe sei nach den Arzneimittelrichtlinien ein Festbetrag festgelegt worden. Die Krankenkasse dürfe daher nur die Kosten bis zur Höhe dieses Betrages übernehmen.

Die Antragstellerin legte Widerspruch ein und berief sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Krankenkassen verpflichtet seien, eine ausreichende und notwendige medizinische Behandlung zu gewährleisten.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.2009 zurückgewiesen. Da das Arzneimittel Alvesco® unter die Festbetragsregelung falle, könne der Differenzbetrag nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Vielmehr seien diese Mehrkosten von dem Versicherten zu tragen. Eine Kulanzregelung sei deshalb nicht möglich, da ein Ermessensspielraum der Krankenkasse nicht zustehe.

Mit Fax vom 31.05.2009 begehrt die Antragstellerin nunmehr die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Gleichzeitig hat sie gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid Klage erhoben. Sie begehrt einerseits die Übernahme der bereits geleisteten Zuzahlung im Wege der Erstattung und darüber hinaus die Feststellung, dass die Entscheidung der Krankenkasse gegen das Sachleistungsprinzip und gegen die Grundrechte der Antragstellerin verstößt.

Die Festbetragsdifferenz beträgt nach Angabe der Klägerin 35,50 Euro, so dass ihr für die Einnahme des Medikamentes Alvesco® unter Berücksichtigung der gesetzlichen Zuzahlung nach § 61 SGB V Mehrkosten von ca. 82,00 Euro pro Jahr bei der bisherigen Dosierung entstehen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig zu verpflichten, die über den Festbetrag hinausgehenden Mehrkosten für das Arzneimittel Alvesco® zu übernehmen und die bereits geleistete Zahlung der Mehrkosten zu erstatten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Es liege weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund vor. Insbesondere sei eine Verletzung von Grundrechten nicht gegeben. Schwere und unzumutbare Nachteile entstünden der Antragstellerin nicht.

Das Gericht hat zur medizinischen Aufklärung des Sachverhalts Befund- und Behandlungsberichte von Dr. L und von Dr. I beigezogen. Auf Inhalt und Ergebnisse der am 12.06. bzw. 16.06.2009 eingegangenen Berichte wird verwiesen.

II. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung).

Im vorliegenden Fall kommt eine Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher, bei Zuwarten des Hauptsacheverfahrens nicht mehr abwendbarer Nachteile nicht in Betracht.

Eine solche Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Zivilprozessordnung - ZP0) glaubhaft macht.

Das Gericht hat im Rahmen einer summarischen Überprüfung festzustellen, ob der Antragstellerin ein Anordnungsanspruch im materiell-rechtlichen Sinne zusteht. Erst wenn die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs glaubhaft dargetan sind, stellt sich die Frage nach der Dringlichkeit. Grundsätzlich darf dabei im Wege einer einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Hierbei hat das Gericht zwischen dem Interesse der Antragstellerin an einer vorläufigen Leistung zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen und dem Interesse der Antragsgegnerin, eine möglicherweise unberechtigte Leistung zu verweigern, abzuwägen. Nur ausnahmsweise kann es im Interesse der Effektivität einstweiligen Rechtsschutzes ausnahmsweise erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, besonders wenn sonst Rechtsschutz nicht erreichbar und für den Antragsteller unzumutbar wäre (vgl.Mayer-Ladewig, SGG, § 86 b Randnr. 31). Nach der insoweit gebotenen summarischen Prüfung steht der Antragstellerin jedoch weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund zur Seite.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes jedenfalls nicht die Erstattung bereits gezahlter Mehrkosten für die Vergangenheit geltend machen kann. Insoweit liegt es auf der Hand, dass eine Dringlichkeit für die Durchsetzung dieses Erstattungsanspruchs nicht besteht. Der Antragstellerin ist zuzumuten, das Hauptsacheverfahren für die bereits geleisteten Mehrkosten abzuwarten.

Gleiches gilt im Wesentlichen für die Übernahmeverpflichtung der Antragsgegnerin im Hinblick auf zukünftige Verordnungen. Denn ob ein Anordnungsanspruch dergestalt besteht, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, den Differenzbetrag, der über den Festbetrag hinaus geht, der Antragstellerin zu erstatten bzw. die vollständigen Kosten für das Arzneimittel Alvesco® zu übernehmen, ist bereits fraglich.

Nach § 27 Abs. 1 Nr. 3 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, wobei dieser Anspruch auch die Versorgung von Arzneimitteln umfasst. So haben Versicherte nach § 31 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. § 31 Abs. 2 SGB V regelt darüber hinaus, dass für ein Arzneimittel, für das ein Festbetrag nach § 35 oder 35 a SGB V festgesetzt ist, die Krankenkasse nur die Kosten bis zur Höhe diesen Betrages trägt.

Das Arzneimittel Alvesco® enthält den Wirkstoff Ciclesonid und unterfällt damit der vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegten Festbetragsgruppe (Beschluss vom 21.06.2007).

Nach § 35 Abs. 1 SGB V bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden können. Nach Satz 2 sollen in den Gruppen Arzneimittel mit demselben Wirkstoff, mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen und mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung, insbesondere Arzneimittelkombinationen zusammengefasst werden. Die Festbetragsfestsetzung erfolgt durch den Spitzenverband Bund (bis zum 30.06.2008 die Spitzenverbände der Krankenkassen) nach § 35 Abs.3 SGB V. Die Festbeträge sind dabei so festzusetzen, dass im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirschaftliche sowie die Qualität sicherstellende Versorgung gewährleistet ist.

Mit dem o.g. Beschluss vom 21.06.2007 wurden die glucocorticoidhaltigen Arzneimittel zusammengefasst, so dass für Arzneimittel, die diese Wirkstoffe beinhalten, von den Krankenkassen der Festbetrag zu entrichten ist. Da für das Arzneimittel Alvesco® vom G-BA eine Ausnahme nicht vorgesehen ist, hat die Antragstellerin die Mehrkosten für das Arzneimittel zu tragen, auch wenn eine Umstellung der medikamentösen Behandlung auf ein anderes Präparat nicht möglich ist.

Nach den eingeholten Berichten der die Antragstellerin behandelnden Ärzte steht im Übrigen nur fest, dass bei der Einnahme von Beclometason eine allergische Reaktion auftritt. Bei dem Wirkstoff Budenosid ist dies nicht der Fall, so dass eine Linderung auch mit diesem Wirkstoff im Grundsatz zu erzielen ist. Insofern ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Antragstellerin eine eigenanteilsfreie Versorgung nicht zur Verfügung gestellt werden kann.

Die weitere Frage nach der Rechtmäßigkeit der Festsetzung des Festbetrages kann im Rahmen des von der Antragstellerin angestrengten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zunächst dahin stehen, zumal das Vorbringen der Antragstellerin insoweit keine berücksichtigungsfähigen Anhaltspunkte beinhaltet.

Auch wenn es zutrifft, dass der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag die Leistungspflicht der Krankenkasse dann nicht begrenzt, wenn dieser für den Ausgleich der konkreten Behinderung nicht ausreicht (BSG, Urt. v. 23.01.2003, B 3 KR 7/02 R) und diese Umstände im Rahmen einer Einzelfallprüfung von den Gerichten zu ermitteln sind (vgl. BverfG v. 17.12.2002, 1 BvL 28/95), so ergibt sich aus diesem Gesichtspunkt nicht der geltend gemachte Anspruch. Die Grundsätze können zwar im Bereich der Hörgeräteversorgung dazu führen, dass Versicherte unabhängig von der Festbetrags-festsetzung eigenanteilsfrei zu versorgen sind, eine Übertragbarkeit auf die Grundsätze im Bereich der Arzneimittelversorgung ist jedoch entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht gerechtfertigt. Dies liegt bereits darin begründet, dass die Einstufung und Festsetzung der Festbeträge für Arzneimittel anderen gesetzlichen Normen unterworfen ist. Eine wesentliche Differenzierung wurde von dem Gesetzgeber insbesondere durch die Einbindung des G-BA in das Festsetzungsverfahren getroffen.

Darüber hinaus fehlt es aber auch an dem Vorliegen eines Anordnungsgrundes.

Eine besondere Einbedürftigkeit für eine vorläufige Regelung ist nämlich nicht gegeben. Der Antragstellerin werden mit der Verpflichtung, die Mehrkosten des Arzneimittels Alvesco® zu tragen, keine unzumutbaren Nachteile auferlegt, die im Rahmen des Hauptsacheverfahrens nicht wieder rückgängig gemacht werden könnten. Sollte sich außerhalb der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung ergeben, dass die Grundlage für die Festbetragsfestsetzung rechtswidrig sein sollte, so bliebe nämlich zu prüfen, ob der Antragstellerin ein Erstattungsanspruch für die von ihr selbst getragenen Mehrkosten auf der Basis des § 13 Abs. 3 SGB V zustehen könnte. Da allerdings die jährlichen Mehrkosten nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin bei lediglich ca. 80,00 Euro liegen und die Antragstellerin auch nicht vorgetragen hat, dass durch die eigene Vorfinanzierung schwerwiegende und unzumutbare Nachteile hingenommen werden müssen, erscheint es unabhängig von der Frage des Vorliegens eines Anordnungsanspruchs nicht gerechtfertigt, eine vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin aufzuerlegen.

Auch die Grundsätze des BVerfG (Beschluss vom 06.12.2005, 1 BvR347/98) führen zu keiner anderen Einschätzung. Eine grundrechtsorientierende Auslegung der Vorschriften des Rechts der Gesetzlichen Krankenversicherung ist vorliegend bereits deshalb nicht erforderlich, weil der Antragstellerin einerseits die Einnahme des Arzneimittels nicht grundsätzlich verwehrt wird und andererseits die besondere Schwere der Erkrankung nicht nachgewiesen ist. Sicherlich führt das bei der Antragstellerin bestehende Asthma bronchiale zu nicht nur geringfügigen Beeinträchtigungen; dass das Leben der Antragstellerin hierdurch bedroht wäre, wird jedoch auch von dieser nicht vorgetragen. Im übrigen ist auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Einnahme von Alvesco® alternativlos ist.

Der Antrag war daher abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruft auf einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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