L 1 JVEG 1051/18

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 JVEG 1051/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zum Fahrtkostenersatz ehrenamtlicher Richter bei Anreise von einem anderen Ort und ohne vorherige Mitteilung.
Die Entschädigung der Erinnerungsführerin anlässlich ihrer Teilnahme als ehrenamtliche Richterin an der Sitzung des 5. Senates am 12. April 2018 wird auf 173,70 Euro festgesetzt. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

Die Erinnerungsführerin war am 12. April 2018 ehrenamtliche Richterin der Sitzung des 5. Senats. Hierfür machte sie unter dem 20. April 2018 eine Entschädigung geltend und gab dabei unter anderem an, dass die Reise nicht vom Wohn- oder Arbeitsort angetreten worden sei. Wegen der Pflege ihres Vaters sei sie von J. angereist und habe die Reise am Dienstort in E. beendet. Insgesamt habe sie eine Wegstrecke von 59 Kilometern (km) zurückgelegt. Die Reise habe sie um 8:20 Uhr angetreten und um 13:10 Uhr beendet. Der Verdienstausfall betreffe 5 Stunden mit je 27,00 Euro.

Unter dem 30. Juli 2018 teilte ihr die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) mit, Fahrtkosten würden nur für eine Gesamtwegstrecke von 4 km i.H.v. 1,20 Euro anerkannt. Mangels vorherigen Antrages bzgl. des Reiseantritts von einem anderen Ort könne nur die geringere Wegstrecke vom Wohnort in E. zum Heranziehungsort (3,1 km) und schließlich von da die Strecke zum Dienstort (0,9 km) entschädigt werden. Die Entschädigung für den Verdienstausfall werde für 5 Stunden zum Höchstbetrag von je 24,00 Euro gewährt. Die Entschädigung für die Zeitversäumnis betrage - unter Außerachtlassung der Anreise von J. - bei 5 Stunden je 6,00 Euro.

Am 24. August 2018 hat die Erinnerungsführerin einen Antrag auf richterliche Festsetzung gestellt. Weder sei sie auf die Einreichung eines Antrages hingewiesen worden noch würde das Entschädigungsformular dies erläutern. Auch dem Gesetz könne ein entsprechendes An-tragserfordernis nicht entnommen werden. In der Vergangenheit sei die Entschädigung immer ohne Beanstandung erfolgt. Die Pflege ihres Vaters erfolge in besonderen Fällen auf Abruf und sei nicht planbar. Am 12. April 2018 habe sie die Pflege übernommen, da ihre Mutter aufgrund eigener Erkrankung verhindert gewesen sei.

Die Erinnerungsführerin beantragt sinngemäß,

die Entschädigung für ihre Tätigkeit als ehrenamtliche Richterin des 5. Senates am 12. April 2018 auf 173,70 Euro festzusetzen.

Der Erinnerungsgegner beantragt,

die Entschädigung der Erinnerungsführerin für ihre Tätigkeit als ehrenamtliche Richterin des 5. Senates am 12. April 2018 auf 151,20 Euro festzusetzen.

Hinsichtlich der Fahrtkosten sei die Tätigkeit als ehrenamtliche Richterin nicht ursächlich für die weitere Anreise aus J ... Wegen der Pflege des Vaters sei davon auszugehen, dass die Anreise zur Arbeitsstelle in E. auch an sitzungsfreien Tagen regelmäßig von J. aus erfolge. Besondere Umstände, die eine Fahrt von J. rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Entsprechende Betreuungsaufwendungen seien vom Pflegegeld des Vaters zu bestreiten.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Senat zugeleitet.

Mit Beschluss vom 8. Januar 2019 hat der Berichterstatter das Verfahren auf den Senat übertragen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

II.

Auf die Erinnerung war die Entschädigung auf 173,70 Euro festzusetzen.

Nach § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtli-chen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergü-tungs- und -entschädigungsgesetz - JVEG) erfolgt die Festsetzung der Vergütung, der Entschädigung oder des Vorschusses durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Feststellung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält (Satz 1). Nachdem der Berichterstatter das Verfahren nach § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG übertragen hat, ist der Senat zuständig.

Ehrenamtliche Richter erhalten eine Entschädigung nach dem JVEG (§§ 19 Abs. 2 i.V.m. 35 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). Nach § 15 Abs. 1 JVEG erhalten sie als Entschädigung Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG), Entschädigung für sonstige Aufwendungen (§ 7 JVEG), Entschädigung für Zeitversäumnis (§ 16 JVEG), Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung (§ 17 JVEG) sowie Entschädigung für Verdienstausfall (§ 18 JVEG). Soweit die Entschädigung nach Stunden zu bemessen ist, wird sie nach § 15 Abs. 2 JVEG für die gesamte Dauer der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten, jedoch für nicht mehr als zehn Stunden je Tag, gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet (Satz 2).

Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen worden sind. Bei der Festsetzung ist der Senat weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz oder an die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch den UdG oder den Antrag der Beteiligten gebunden; er kann nur nicht mehr festsetzen, als beantragt ist (Senatsbeschluss vom 28. Februar 2018 – L 1 JVEG 867/15, juris).

Die Erinnerungsführerin hat Anspruch auf Fahrtkostenersatz (hierzu unter 1.), Entschädigung für Zeitversäumnis (hierzu unter 2.) sowie Entschädigung für Verdienstausfall (hierzu unter 3.).

1. Der Fahrtkostenersatz beträgt 17,70 Euro für den Hinweg von J. und den Rückweg zur Arbeitsstätte in E. (59 km).

Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JVEG werden ehrenamtlichen Richtern bei Benutzung eines eigenen oder unentgeltlich zur Nutzung überlassenen Kraftfahrzeugs zur Abgeltung der An-schaffungs-, Unterhaltungs- und Betriebskosten sowie zur Abgeltung der Abnutzung des Kraftfahrzeugs 0,30 Euro für jeden gefahrenen Kilometer ersetzt zuzüglich der durch die Benutzung des Kraftfahrzeugs aus Anlass der Reise regelmäßig anfallenden baren Auslagen, insbesondere der Parkentgelte. Nach der ständigen Rechtsprechung des vormaligen Kosten-senats des Thüringer Landessozialgerichts, der sich der Senat anschließt, werden bei der Nutzung eines Kraftfahrzeugs angesichts der im gesamten Kostenrecht geltenden Kostenminimierungspflicht, wonach die Kosten eines Rechtsstreits so gering wie möglich zu halten sind, grundsätzlich die Kosten der kürzesten Reiseroute erstattet (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschlüsse vom 29. November 2012 - L 6 SF 1257/12 E, 10. Mai 2010 - Az.: L 6 B 30/10 SF und 23. März 2006 - Az.: L 6 B 70/05 SF, jeweils nach juris), sofern sie zumutbar ist.

Vorliegend ist für die Entschädigung entsprechend § 5 Abs. 5 JVEG auf die Strecke von J. nach E. zum Heranziehungsort (Thüringer Landessozialgericht) und von da zur Arbeitsstätte der Erinnerungsführerin in E. abzustellen. Diese Strecke hat sie mit 59 km angegeben. Weder hat der Senat Anlass, diese Länge anzuzweifeln noch hat der Erinnerungsgegner widersprochen.

Nach 5 Abs. 5 JVEG werden, wenn die Reise zum Ort des Termins - wie hier - von einem anderen als dem in der Ladung oder Terminsmitteilung bezeichneten oder der zuständigen Stelle unverzüglich angezeigten Ort angetreten oder zu einem anderen als diesem Ort zurückgefahren wird, Mehrkosten nach billigem Ermessen nur dann ersetzt, wenn der Berechtigte zu diesen Fahrten durch besondere Umstände genötigt war. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 12. April 2018 - L 1 JVEG 480/16, juris) folgt hieraus für Zeugen und Sachverständige sowie Beteiligte, deren persönlichen Erscheinens angeordnet ist, gegenüber dem Gericht eine Mitteilungspflicht bei einer Anreise von einem anderen Ort (vgl. auch Hartmann, Kostengesetze, 48. Auflage 2018, § 5 JVEG Rn. 22). So kann das Gericht prüfen, ob es - auch der allgemeinen Kostenminderungsverpflichtung folgend - von einer Ladung ganz absieht oder die Verhandlung auf einen andern Zeitpunkt umlädt (vgl. auch Hartmann, a.a.O.).

Eine solche Mitteilungspflicht kommt bei ehrenamtlichen Richtern jedoch nicht in Betracht. Eine Ab- oder Umladung eines Termins wegen eines längeren Entfernungsweges eines ehrenamtlichen Richters und entsprechenden Mehrkosten ist ausgeschlossen. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit werden mit Berufsrichtern und ehrenamtlichen Richtern besetzt (§ 3 SGG), die das Amt mit gleichen Rechten wie der Berufsrichter ausüben (§§ 19 Abs. 1 i.V.m. 35 Abs. 1 SGG). Insofern werden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit - mit Ausnahme der Beschlüsse außerhalb der mündlichen Verhandlung - mit den ehrenamtlichen Richtern tätig (vgl. §§ 12 Abs. 1 und 33 Abs. 1 SGG). Sofern eine Verhandlung allein wegen eines längeren Entfernungsweges eines ehrenamtlichen Richters abgeladen und neu terminiert werden würde, wäre in der Liste, welche die Reihenfolge festlegt, in der die ehrenamtlichen Richter zu den Verhandlungen heranzuziehen sind (vgl. 6 Nr. 1 SGG), der nächst positionierte ehrenamtliche Richter heranzuziehen. Das würde faktisch einer unzulässigen Entziehung des ursprünglich gesetzlichen Richters gleich kommen (vgl. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes sowie § 16 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Da auf eine etwaige Mitteilung des ehrenamtlichen Richters, dass er von einem anderen (weiter entfernteren) Ort anreist, letztlich keine rechtlichen Konsequenzen folgen (können), besteht diese Mitteilungspflicht als reine Förmelei bei ehrenamtlichen Richtern nicht.

Sofern ein Zeuge, Sachverständiger oder - bei angeordneten persönlichem Erscheinen - ein Beteiligter seiner Mitteilungspflicht nicht nachgekommen ist, führt dies nach der Rechtspre-chung des Senats gleichwohl nicht zwangsläufig dazu, dass Kosten für einen anderen (länge-ren) Anreiseweg nicht entschädigt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2018 – L 1 JVEG 480/16, Rn. 16, juris). Vielmehr hat dann der Senat zu prüfen, ob die Mehrkosten trotzdem zu erstatten sind, weil der Antragsteller durch besondere, nicht zu vertretende Um-stände genötigt war, die Reise von einem anderen als dem in der Ladung bezeichneten Ort anzutreten. Diese Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Senats (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 28. November 2013 – L 6 SF 1212/13 E m.w.N., juris).

Eine solche Ermessensentscheidung ist grundsätzlich auch bei der Fahrtkostenentschädigung ehrenamtlicher Richter zu treffen. Ohne Berücksichtigung bleibt dabei jedoch, ob - wie von der Rechtsprechung bei der Entschädigung von Zeugen, Sachverständigen oder bei der Anordnung des persönlichen Erscheinens bei Beteiligten geprüft wird (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 12. April 2018 – L 1 JVEG 480/16, Rn. 16, juris) - der Vorsitzende die Verhandlung auch in Kenntnis des längeren Anfahrtsweges zum ursprünglichen Zeitpunkt durchgeführt hätte. Einer solchen individuellen Prüfung steht schon der grundsätzliche Anspruch der Beteiligten auf den gesetzlichen Richter entgegen, der dem Gericht grundsätzlich keine andere Wahl lässt (siehe hierzu bereits oben). Dieser verfassungsrechtliche Anspruch auf den gesetzlichen Richter ist hingegen bei der Ermessensentscheidung des Senates besonders zu gewichten und führt dazu, dass die Mehrkosten einer längeren An- und/oder Abreise bei ehrenamtlichen Richtern grundsätzlich zu entschädigen sind. Dies gilt jedenfalls solange kein Anhalt für mutwillig oder bewusst herbeigeführte unverhältnismäßige Mehrkosten gegeben ist oder die Mehrkosten ohne jeglichen vernünftigen und nachvollziehbaren Grund verursacht wurden oder ohne weiteres und unter Berücksichtigung der allgemeinen Kostenminderungspflicht vermeidbar waren. Vorliegend erfolgte die Anreise von J., weil die Erinnerungsführerin dort ihren Vater pflegte. Es gibt keinen Anhalt dafür, dass die Mehrkosten wegen des längeren Anreiseweges mutwillig herbeigeführt wurden oder vermeidbar waren. Vielmehr ist die Pflege des eigenen Vaters ein nachvollziehbarer Grund, der die Entschädigung entsprechender Mehrkosten rechtfertigt. Zweifel an der tatsächlich übernommenen Pflege des Vaters wurden nicht behauptet und sind nicht ersichtlich.

Ohne Belang ist, ob die Erinnerungsführerin Betreuungsaufwendungen aus dem Pflegegeld ihres Vaters geltend machen kann. Denn die Entschädigung nach § 5 JVEG erfolgt aus Anlass der Heranziehung als ehrenamtliche Richterin und entschädigt die hierdurch entstandenen Kosten. Die Fahrkosten sind nicht durch die Pflege, sondern die Heranziehung entstanden. Insoweit bleibt auch unbeachtlich, ob die Fahrtkosten (in gleicher Höhe) bei normalen Arbeits- oder Dienstantritt ebenfalls entstanden werden. § 5 JVEG entschädigt die durch die Heranziehung entstandenen Kosten ohne Berücksichtigung etwaiger anderweitiger Ersparnisse oder sonst anfallender Kosten.

2. Die Entschädigung für Zeitversäumnis wird auf 36,00 Euro festgesetzt. Nach §§ 15 Abs. 1 Nr. 4, 16 JVEG beträgt die Entschädigung für Zeitverlust 6,00 Euro je Stunde, maximal jedoch für zehn Stunden am Tag. Zu berücksichtigen war der Beginn der Reise in J. um 8:20 Uhr (siehe hierzu bereits unter 1.). Da die Reise nach den Verhandlungen um 13:10 Uhr endete, besteht ein Entschädigungsanspruch für 6 Stunden.

3. Die Entschädigung für Verdienstausfall wird auf 120,00 Euro festgesetzt. Nach §§ 15 Abs. 1 Nr. 6, 18 Satz 1 JVEG wird neben der Entschädigung nach § 16 JVEG (hierzu 2.) eine zusätzliche Entschädigung für Verdienstausfall gewährt. Diese beträgt höchstens 24,00 Euro je Stunde. Nach der Bescheinigung des Arbeitgebers hat die Erinnerungsführerin am Verhandlungstag einen Bruttoverdienstausfall für 5 Stunden zu je 27,00 Euro erlitten. Unter Berücksichtigung des Höchstbetrages von 24,00 Euro je Stunde ergibt sich der Entschädigungsanspruch i.H.v. 120,00 Euro.

Insgesamt ergibt sich daher eine Entschädigung i.H.v. 173,70 Euro.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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