L 4 SO 91/20 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 17 SO 191/19 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 91/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 30. März 2020 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Antragstellerin zu 1) wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. B., B-Straße, B-Stadt, Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt.

Die Prozesskostenhilfeanträge der Antragsteller zu 2) bis 4) werden abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller streiten über die Gewährung von laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt vorrangig nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) für die Zeit von Oktober 2019 bis Juni 2020 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Die 1973 geborene Antragstellerin zu 1) reiste am 1. März 2010 mit ihrem damaligen Ehemann, F. A. (geb. 1974), sowie ihren Kindern G., H. (geb. 1994), J. (geb. 1995), K. (geb. 1998), L. (geb. 2001), E. - Antragsteller zu 4) - (geb. 2002) und C. - Antragsteller zu 2) - (geb. 2005) aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihr Sohn D. Antragsteller zu 3) - wurde 2010 in Deutschland geboren. Die Antragsteller zu 1) bis 4) sind nach der eingeholten Einwohnermeldeamtsauskunft seit dem 1. März 2010 bzw. seit Geburt durchgehend in Deutschland gemeldet und besitzen nur die rumänische Staatsbürgerschaft. Einer Erwerbstätigkeit ist die Antragstellerin bislang nicht nachgegangen. Ihr damaliger Ehemann meldete am 8. April 2010 bei der Stadtverwaltung B-Stadt ein Gewerbe "Stahl- und Eisenschrott – einschließl. der verzinkten und verzinnten Batterien" an. Am 9. Februar 2012 erfolgte die Gewerbeabmeldung.

Erstmals am 19. November 2012 beantragten die Antragsteller - zusammen mit weiteren Familienmitgliedern einschließlich des damaligen Ehemanns der Antragstellerin zu 1) - Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), die ihnen die Beigeladene mit Bescheid vom 13. Dezember 2012 bewilligte. Seither bezogen sie ununterbrochen Leistungen bis 31. Mai 2018. Am 1. Mai 2013 zog der damalige Ehemann der Antragstellerin aus der gemeinsamen Wohnung aus; im Jahr 2014 oder 2015 erfolgte nach Angaben der Antragstellerin die Scheidung in Rumänien.

Bei K. stellte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales Frankfurt mit Bescheid vom 24. Februar 2013 einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen "G", "B" und "H" fest aufgrund Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit. Seit dem 1. Februar 2018 wird er in der Werkstatt für behinderte Menschen, Werkstätten M., betreut (Träger der Maßnahme: Agentur für Arbeit B-Stadt) und erhält dort ein Taschengeld von 50 EUR/Monat. Für ihn ist ein gesetzlicher Betreuer bestellt, der für K. keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) oder SGB XII beantragt hat.

Die Antragsteller zu 2) und 4) besuchen seit dem 12. August 2014 die N-Schule, N-Stadt (Förderschule mit Förderschwerpunkt Lernen), der Antragsteller zu 2) voraussichtlich bis zum 31. Juli 2022 (Schulbescheinigung vom 14. Februar 2019) und der Antragsteller zu 4) voraussichtlich bis zum 31. Juli 2020 (Schulbescheinigung vom 10. April 2019), er nahm seit dem 14. Oktober 2019 nicht mehr am Unterricht teil (Bescheinigung vom 27. November 2019).

Der Antragsteller zu 3) besucht seit dem 1. August 2018 bis voraussichtlich 31. Juli 2022 die O-schule (Grundschule) (Schulbescheinigung vom 27. November 2019).

Zum 1. Januar 2018 mietete die "Familie A." von der Katholischen Pfarrgemeinde P., A Stadt, eine Wohnung (Haus) von 110 qm an für 650 Euro Kaltmiete, zzgl. 250 Euro Vorauszahlung für Betriebskosten. Dort wohnen aktuell die Antragsteller zu 1) bis 4), K. sowie H. mit seiner Ehefrau und ihren drei Kleinkindern.

Mit Bescheid vom 23. Januar 2018 bewilligte die Beigeladene für die Zeit vom 1. Februar 2018 bis 31. Januar 2019 Leistungen nach dem SGB II für die Antragstellerin zu 1), die Antragsteller zu 2) und 4) sowie die Söhne J., K. und L. in Höhe von monatlich insgesamt 1.995,68 Euro. Der Berechnung lag ein Gesamtbedarf von 3.403,68 Euro zugrunde, der sich zusammensetzte aus dem Hilfebedarf der Antragstellerin von 747,22 Euro (Regelbedarf: 416,00 Euro; Zuschlag für Alleinerziehende: 199,66 Euro; anteilige Miete: 92,86 Euro; anteilige Betriebskosten: 17,86 Euro; anteilige Heizkosten: 17,86 Euro). Für den Antragsteller zu 2) wurde ein Hilfebedarf von 424,58 Euro zugrunde gelegt (Regelbedarf: 256,00 Euro; anteilige Miete: 92,66 Euro; anteilige Betriebskosten: 17,86 Euro; anteilige Heizkosten: 17,86 Euro); für den Antragsteller zu 3) von 424,52 Euro (Regelbedarf: 296,00 Euro; anteilige Miete: 92,84 Euro; anteilige Betriebskosten: 17,84 Euro; anteilige Heizkosten: 17,84 Euro) und für den Antragsteller zu 4) von 444,58 EUR (Regelbedarf: 316,00 Euro; anteilige Miete: 92,86 Euro; anteilige Betriebskosten: 17,85 Euro; anteilige Heizkosten: 17,85 Euro). Dem stand anrechenbares Einkommen in Höhe von insgesamt 1.408 Euro gegenüber (Kindergeld für sechs Kinder (insgesamt 1263 Euro), Unterhaltsvorschuss für den Antragsteller zu 3) in Höhe von 205 Euro, abzüglich zweier Versicherungspauschalen von jeweils 30 Euro). Der Antragsteller zu 3) konnte seinen Bedarf aufgrund des Unterhaltsvorschusses sowie des Kindergeldes decken und erhielt deshalb keine Leistungen.

Mit Bescheid vom 14. März 2018 stellte die Ausländerbehörde des Antragsgegners gegenüber der Antragstellerin zu 1) den Verlust der Freizügigkeitsberechtigung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG fest. Dagegen erhob die Antragstellerin zu 1) am 18. April 2018 Klage vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt (Az.: 6 K 919/18.DA), über die das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden hat. Mit weiteren Bescheiden vom 14. März 2018 stellte die Ausländerbehörde des Antragsgegners auch gegenüber den Antragstellern zu 2) bis 4) jeweils den Verlust der Freizügigkeitsberechtigung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG fest. Diese erhoben ebenfalls Klagen gegen die Verlustfeststellung vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt, die aktuell noch anhängig sind (Az.: 6 K 926/18.DA, 6 K 927/18.DA, 6 K 932/18.DA). Auch hinsichtlich der übrigen Kinder der Antragstellerin sowie des geschiedenen Ehemannes erfolgte eine entsprechende Verlustfeststellung durch die Ausländerbehörde des Antragsgegners.

Mit Bescheid vom 18. Mai 2018 stellte die Beigeladene die Zahlung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II mit sofortiger Wirkung auf der Grundlage des § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i. V. m. § 331 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) vorläufig ein. Seit dem 14. März 2018 bestehe kein Leistungsanspruch mehr. Mit dem Verlust des Freizügigkeitsrechts seien die Antragstellerin und ihre Kinder gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz SGB II nicht mehr leistungsberechtigt.

Am 11. Juni 2018 beantragte die Antragstellerin zu 1) für sich und ihre Kinder (mit Ausnahme von J.) Leistungen nach dem SGB XII bei dem Antragsgegner. Mit Bescheid vom 27. August 2018 lehnte der Antragsgegner Leistungen nach dem SGB XII für die Antragstellerin zu 1), die Antragsteller zu 2) bis 4) und K. ab. Zur Begründung führte er aus, dass seit dem 29. Dezember 2016 in § 23 Abs. 3 SGB XII Leistungsausschlüsse entsprechend § 7 SGB II normiert worden seien, nach denen die dort erfassten Personengruppen keine Leistungen nach Abs. 1 oder dem Vierten Kapitel SGB XII erhielten. Darüber hinaus habe der Gesetzgeber in § 23 Abs. 3 Satz 3 SGBX II einen eigenen Anspruch für die betroffenen Personen geschaffen. Leistungen seien danach aber grundsätzlich nur als Überbrückungsleistungen bis zur Ausreise zu erbringen und außerdem auf die Dauer von einem Monat begrenzt. Ausgehend von der Gesetzesbegründung wäre daher eine Bewilligung von Leistungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes hier ausgeschlossen. In Betracht käme daher, ob für die Antragstellerin und deren Kinder vorübergehend bis zur Ausreise Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Frage kommen könnten. Nach dem SGBX II kämen lediglich Überbrückungsleistungen (ein Monat gekürzter Regelbedarf) sowie eine Kostenerstattung für die Fahrkosten nach Rumänien in Betracht. Dieser Bescheid wurde bestandkräftig.

Einen am 20. Februar 2019 gestellten Antrag der Antragstellerin auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II lehnte die Beigeladene mit Bescheid vom 12. April 2019 bestandskräftig ab.

Am 12. April 2019 beantragte die Antragstellerin zu 1) erneut Sozialhilfe nach dem SGB XII für sich und ihre Kinder und erklärte, dass die Antragsteller zu 1) bis 4) abgesehen von dem Unterhaltsvorschuss des Antragstellers zu 3) über kein Einkommen und Vermögen verfügten.

Mit Bescheid vom 3. Juli 2019 lehnte der Antragsgegner die Gewährung von laufenden Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt) für die Antragstellerin sowie den Antragsteller zu 2) und 3) ab. Mit Bescheid vom 6. Januar 2020 erfolgte die Ablehnung dieser Leistungen für den Antragsteller zu 4). Zur Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, dass nach der Feststellung des Verlustes der Freizügigkeit die Antragsteller zu 1) bis 4) nach § 23 Abs. 3 SGB XII von Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII ausgeschlossen sei. Es kämen lediglich Überbrückungsleistungen (ein Monat gekürzter Regelbedarf) sowie Kostenerstattung für die Fahrtkosten nach Rumänien in Betracht.

Dagegen legten die Antragsteller am 15. August 2019 bzw. 14. Januar 2020 Widerspruch ein. Am 21. Oktober 2019 gingen bei dem Antragsgegner u. a. eine Bestätigung des katholischen Pfarramts Q., Q-Stadt, vom 7. März 2019 ein. Danach würde die Gemeinde "dann und wann Geld (geben) - vor allem aber Lebensmittel. Wir helfen auch beim Kauf von Kleidung - auch für Schulkosten von C., E. und L. kommen wir auf. L. bekommt zusätzlich Nachhilfe und dann und wann etwas zu essen. E. wird 2020 seinen Hauptschulabschluss und L. seinen Realschulabschluss haben - dann werden sie eine Ausbildung beginnen und finanziell selbständig sein und etwas beitragen können." Des Weiteren wurde neben dem unbefristeten Wohnungsmietvertrag die Kündigung vom 27. September 2019 dieser Wohnung durch die Katholische Pfarrgemeinde P. vorgelegt. Zur Begründung heißt es in der Kündigung, dass seit Juli 2018 keine Miete mehr gezahlt worden sei, so dass ein Rückstand von 14.400,00 Euro entstanden sei. Aufgrund dieses Betrages werde das Mietverhältnis außerordentlich und fristlos gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gekündigt. Vorsorglich werde das Mietverhältnis hilfsweise auch ordentlich nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB gekündigt. Gleichzeitig wurden die Antragsteller zu Räumung der Wohnung innerhalb von zwei Wochen aufgefordert.

Am 21. Oktober 2019 haben die Antragsteller zu 1) bis 3) und am 27. November 2019 der Antragsteller zu 4) den Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf die vorläufige Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII beim Sozialgericht Darmstadt beantragt. Im November 2019 hat der Vermieter der Antragsteller Räumungsklage beim Amtsgericht Langen, Az. 58 C 193/19 (70) erhoben. Die Antragsteller haben eine Duldung nach § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) bei der Ausländerbehörde des Antragsgegners beantragt. Diese hat am 12. November 2019 eine Bescheinigung darüber ausgestellt, dass für die Dauer des Verwaltungsgerichtsverfahrens keine Abschiebung stattfinde. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit sei gestattet. Mit Beschluss vom 11. Dezember 2019 hat das Gericht die ProArbeit - Kreis Offenbach, Kommunales Jobcenter, AöR, zum Verfahren beigeladen. Mit Versäumnisurteil vom 9. Januar 2020 hat das Amtsgericht Langen u.a. die Antragstellerin zu 1) zur Wohnungsräumung verurteilt.

Mit Beschluss vom 14. Januar 2020 hat das Sozialgericht das Verfahren ausgesetzt und nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Mit Beschluss vom 26. Februar 2020 hat die 1. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts, Az. 1 BvL 1/20, die Vorlage als unzulässig verworfen.

Die Antragsteller haben vorgetragen, sie seien auf Almosen der Kirche und von anderen Menschen angewiesen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie bekämen etwa 50 Euro im Monat von der Kirchengemeinde geschenkt sowie Lebensmittel- und Kleiderspenden. Dieses Geld hätten sie zusätzlich zu den 50 Euro, die K. bekomme, monatlich zur Verfügung. Der Antragsteller zu 3) erhalte weiterhin einen Unterhaltsvorschuss, der im Jahr 2019 bei 212 Euro monatlich gelegen habe. Die Antragstellerin zu 1) sei noch nie zur Schule gegangen und könne dementsprechend auch nicht lesen oder schreiben. Im Prinzip sei der Ehemann das "Oberhaupt" der Familie. Dieser habe die Familie aber verlassen, sodass die Antragstellerin, auch wenn sie in Rumänien wäre, nicht in der Lage wäre, die erforderlichen Anträge auf eine etwaige staatliche Unterstützung zu stellen. Dies ginge auch dort nur mit Unterstützung ihrer Kinder. Es sei allerdings zweifelhaft, ob tatsächlich ihre volljährigen Kinder wieder nach Rumänien zurückgehen würden. Selbst bei E. sei davon auszugehen, dass er nicht zurück nach Rumänien gehen würde, sondern die Schule abbrechen und eine Helfertätigkeit aufnehmen würde. Die Antragstellerin zu 1) wäre dann im Prinzip mit ihren beiden jüngsten Kindern und ggf. ihrem schwerbehinderten Sohn dort auf sich alleine gestellt und es sei zu erwarten, dass sie dort obdachlos wären. Die Zwangsräumung werde nach Mitteilung des Vermieters wegen der Corona-Lage bis Ende Mai 2020 verschoben.

Die Antragstellerin zu 1) hat weiter vorgetragen, dass ihr damaliger Ehemann in Rumänien mit seiner Tätigkeit (Altmetall sammeln) nicht genug Einkommen habe erzielen können, um die gesamte Familie zu ernähren. Dieser Tätigkeit sei ihr damaliger Ehemann auch zunächst in Deutschland nachgegangen.

Der Antragsteller zu 4) hat ergänzt, dass es immer wieder Tage gegeben habe, an denen sie gar nichts zu essen gehabt hätten. Man habe gehofft, in Deutschland mit dem Sammeln von Altmetall in der Lage zu sein, die Familie zu ernähren. Er werde noch ein paar Monate die Förderschule besuchen und anschließend auf eine andere Schule wechseln, um dort seinen Hauptschulabschluss zu machen. Dies werde noch ein Jahr und vier Monate dauern.

Der Antragsgegner hat ausgeführt, dass die Antragsteller aufgrund der Verfügung der Ausländerbehörde vom 14. März 2018 kein Aufenthaltsrecht in Deutschland mehr hätten. Obwohl der Aufenthalt der Antragsteller rechtswidrig sei und diese zur Ausreise verpflichtet seien, sei eine Abschiebung aufgrund des anhängigen Verwaltungsstreitverfahrens beim Verwaltungsgericht zur Zeit nicht möglich. Damit unterfielen die Antragsteller dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 SGBX II. Lediglich kurzfristige Überbrückungsleistungen nach Satz 3 der Vorschrift könnten erbracht werden. Dies sei allerdings nur für maximal einen Monat unmittelbar vor der (freiwilligen) Ausreise möglich. Die Antragsteller hätten aber nicht glaubhaft gemacht, dass demnächst eine freiwillige Ausreise erfolge. Nach seiner Kenntnis dauerten verwaltungsgerichtliche Verfahren allein erstinstanzlich zwei bis drei Jahre.

Mit Beschluss vom 30. März 2020 hat das Sozialgericht verpflichtet, Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 626,64 Euro monatlich für die Antragstellerin zu 1) für die Monate Oktober bis Dezember 2019, für die Monate Januar bis März 2020 in Höhe von 637,52 Euro monatlich und von April bis Juni 2020 in Höhe von 687,52 Euro monatlich, für den Antragsteller zu 2) für die Monate Oktober bis Dezember 2019 in Höhe von 402 Euro monatlich, für Januar in Höhe von 408 Euro, für Februar in Höhe von 458 Euro sowie für März bis Juni 2020 in Höhe von 408 Euro monatlich, für den Antragsteller zu 3) für die Monate Oktober bis Dezember 2019 in Höhe von 190,00 Euro monatlich, für Januar 2020 in Höhe von 196 Euro, für Februar 2020 in Höhe von 246 Euro sowie von März bis Juni 2020 in Höhe von 196 Euro monatlich und für den Antragsteller zu 4) für die Monate Oktober bis Dezember 2019 in Höhe von 422 Euro monatlich, für Januar 2020 in Höhe von 428 Euro, für Februar 2020 in Höhe von 478 Euro sowie für März bis Juni 2020 in Höhe von 428 Euro monatlich zu erbringen. Im Übrigen hat es den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Antragsteller hätten unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 (1 BvL 1/20) einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht. Es sei nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht denknotwendig ausgeschlossen, dass ein Härtefall vorliegen könnte. Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen sei den Antragstellern zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes im Hinblick auf die andernfalls ggf. drohende Grundrechtsverletzung einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren. Die Antragsteller hätten einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund aber lediglich hinsichtlich der Regelleistungen glaubhaft gemacht. Hinsichtlich der Höhe der tenorierten Leistungen werde auf die Ausführungen des Gerichts im Beschluss vom 14. Januar 2020 Bezug genommen. Bezüglich der Kosten der Unterkunft bestehe kein Anordnungsgrund, da durch die Übernahme der (ggf. anteiligen) Mietrückstände für die Antragsteller die Sicherung der gegenwärtigen Wohnung nicht mehr erreicht werden könne, da der Vermieter nicht bereit sei, auf die Zwangsräumung zu verzichten.

Gegen den ihm am 30. März 2020 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 14. April 2020 Beschwerde eingelegt.

Der Antragsgegner meint, die Antragsteller unterfielen dem Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII. Das Ausgangsgericht sei zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nur berechtigt gewesen, weil es auf einfachgesetzlicher Grundlage zu der Beurteilung gelangt sei, dass ein Härtefall nicht vorliege. Ein Offensein dieses Prüfungspunktes könne rechtlich im Eilverfahren nie zum Erfolg einer eine Sozialleistung begehrenden Partei führen. Weiterhin könne nach ständiger Rechtsprechung und allgemeiner Kommentarauffassung eine Behinderung für sich keinen Härtefall begründen, denn das SGB XII sei per-se das "Behinderten-Schutzgesetz". Die Behinderung müsse also in ihren Folgen über die typischerweise mit einer Behinderung einhergehenden Belastungen weit hinaus gehen. Eine besondere Härte aufgrund von Behinderung sei aber von den Antragstellern nicht dargetan. Auch die fehlende Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht könne keine Härte begründen, da der Gesetzgeber die Ausreisepflicht im Blick gehabt habe. Eine entsprechende Auslegung verbiete sich nach den grundlegenden und anerkannten Auslegungsprinzipien, denn der Gesetzgeber habe mit § 23 Abs. 3 SGB XII ein komplettes und in sich geschlossenen Leistungsausschlusssystem geschaffen, dass nicht ausgehebelt werden dürfe. Alle Leistungsgesetze seien seit Ende 2016 bis heute kontinuierlich in Richtung Leistungseinschränkung ausgebaut worden. Speziell § 1a AsylbLG in der Fassung seit 21. August 2019 entziehe auf einfachgesetzlicher Ebene der Diskussion, ob die Frage der Ausreisepflicht eine Rolle spielen könne, den Boden: Es sei weder mit noch ohne Vollziehbarkeitsanordnung eine Härte. Das nationale System solle nicht überfordert werden, verfassungsrechtliche Rechtfertigung sei die Vorstellung, dass die EU-Binnenmigration der Steuerung bedürfe. Die Folgen dieser Steuerung, d. h. der Druck zur Ausreise, sehe der Gesetzgeber evident nicht als Härte im Sinne des § 23 SGB XII an. Er sei nach der Vorstellung des Gesetzgebers dadurch abgemildert, dass er für die Zeit der Ausreisevorbereitung sowie für die Kosten der Rückreise einstehe. Wenigstens müsse das Vorliegen einer besonderen Härte konkret festgestellt werden. Alles andere laufe darauf hinaus, dass der Sozialbehörde aufgrund der jahrelangen Hauptsacheverfahren vor den Verwaltungsgerichten im Ergebnis aufgegeben werde, ggf. Jahre im Voraus zu leisten. Dabei könne mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Antragsteller im Falle eines späteren Unterliegens in der Hauptsache nicht zur Rückzahlung in der Lage wären. Es sei unter Berücksichtigung des Beschlusses des LSG Nordrhein-Westfalen vom 20. Februar 2020, Az. L 19 AS 2035/19 B ER, mindestens klärungsbedürftig, ob die fehlende Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht zur Begründung einer besonderen Härte herangezogen werden könne. Es lägen ihm keine Erkenntnisse vor, dass das Herkunftsland für die Antragsteller unsicher sei.

Der Antragsgegner beantragt (sinngemäß),
den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 30. März 2020 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Die Antragsteller beantragen (sinngemäß),
die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie tragen vor, dass sie ihre Wohnung in A-Stadt, A-Straße verlassen müssten. Unter Vorlage einer Mietbescheinigung legen sie dar, sie hätten eine andere Wohnung gefunden. K. sei weiterhin in Rahmen einer teilstationären Maßnahme in den Werkstätten M. untergebracht, wegen seines ungeklärten Aufenthaltsstatus liege die Zusage für die weitere Finanzierung der Maßnahme nicht vor, er könne aber nach Klärung sofort weiterbeschäftigt werden. Die Antragstellerin zu 1) habe nie in Deutschland gearbeitet und nur rudimentäre Kenntnisse über den Schulbesuch und die Namen der Schulen ihrer Kinder. Der Antragsteller zu 2) habe die Grundschule in Q-Stadt besucht, anschließend bis heute die N-Schule in N-Stadt. Der Antragsteller zu 4) habe zunächst eine Grundschule in B-Stadt besucht, er habe auch die R-Schule in A-Stadt besucht, anschließend bis heute die N-Schule. Mit Schriftsatz vom 24. Juni 2020 tragen die Antragsteller vor, eine andere Unterkunft als die Wohnung bei der katholischen Kirchengemeinde habe die Antragstellerin zu 1) nicht, die Familie suche eine Wohnung.

Die Beigeladene schließt sich den Rechtsansichten des Antragsgegners an und nimmt auf ihren Bescheid vom 12. April 2019 Bezug, der bestandskräftig geworden sei. Er führt weiter aus, über den Umfang der gewerblichen Tätigkeit des früheren Ehemanns der Antragstellerin zu 1) bis Februar 2012 sei nichts bekannt; es ergebe sich aus den Akten kein Hinweis auf die reale Ausübung eines Gewerbes, insbesondere sei die Zahlung von Steuern nicht ersichtlich. Hinweise auf Zahlungsflüsse, evtl. Kunden, Endabnehmer und dergleichen fehlten ebenfalls.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen Akten des Verwaltungsgerichts Darmstadt (Az. 6 K 919/18.DA, 6 K 926/18.DA, 6 K 927/18.DA, 6 K 932/18.DA), des Antragsgegners und des Beigeladenen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, d.h. dass dem Antragsteller ohne eine entsprechende Regelung schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, sodass ihm das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Anordnungsgrund) und ihm aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen bei Prüfung der Rechtslage ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Handlung bzw. Unterlassung zusteht (Anordnungsanspruch). Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 13. Auflage 2020, § 86b Rdnrn. 16b, 16c).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen dabei nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sich beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Hessisches Landessozialgericht, Beschlüsse vom 21. Dezember 2009, L 4 KA 77/09 B ER - juris -; vom 21. März 2013, L 1 KR 32/13 B ER; vom 17. Januar 2018, L 1 KR 496/17 B ER; Keller, a.a.O., § 86b Rdnr. 27 und 29, 29a m.w.N.). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen solchen verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, hat das Gericht im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen zum Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben.

Die Antragsteller haben zunächst einen Anordnungsanspruch auf Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Sätze 3 bis 6 Zwölftes Sozialgesetzbuch (SGB XII) – Sozialhilfe glaubhaft gemacht.

Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII werden hilfebedürftigen Ausländern, die § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII unterfallen, bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII umfassen die Überbrückungsleistungen

(1.) Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
(2.) Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe, einschließlich der Bedarfe nach § 35 Abs. 4 und § 30 Abs. 7 SGB XII,
(3.) die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
(4.) Leistungen nach § 50 Nr. 1 bis 3 SGB XII (Hilfen bei Schwangerschaft und Mutterschaft).

Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII werden, soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Abs. 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist.

Zunächst sind von dem "Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII" der Antragsteller auch Überbrückungsleistungen umfasst. Die umfassende Formulierung sowohl des an den Antragsgegner gerichteten Antrags vom 12. April 2019 wie auch des Antrags im gerichtlichen Verfahren ist unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Antragsteller auf die vorläufige Gewährung existenzsichernder Leistungen (gleich welcher Art) gerichtet, so dass auch dieser Anspruch von vornherein mitumfasst gewesen ist. Dabei stellen Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 SGB XII ein Minus gegenüber den Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII dar (siehe bereits Senatsbeschluss vom 20. Juni 2017 – L 4 SO 70/17 B ER -, juris Rn. 13 und 15; wie hier: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juli 2019 – L 15 SO 181/18, juris Rn. 62; Beschluss vom 2. Februar 2018 – L 26 AS 24/18 B ER –, juris Rn. 8; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. Mai 2019 – L 20 AY 15/19 B ER –, juris Rn. 43; Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 23 Rn. 100 f., 115; im Ergebnis auch (im Verhältnis zum Antrag auf Arbeitslosengeld II) LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. März 2018 – L 7 AS 115/18 B ER –, juris; (zum Antrag auf Eingliederungshilfe) LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. November 2018 – L 8 SO 134/18 B ER –, juris; prozessrechtlich differenzierend (zwar Aliud, aber Leistung i.S.d. § 75 Abs. 5 SGG) LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Januar 2018 – L 7 AS 2299/17 B –, juris, Rn. 15 a.A. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19 –, juris, Rn. 25; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2017, L 23 SO 30/17 B ER, Rn. 46; a.A. zum hier nicht zu prüfenden Verhältnis zum Antrag auf Arbeitslosengeld II: Hessisches LSG, Beschluss vom 27. März 2019 – L 7 AS 27/19 B –, juris Rn. 15; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. April 2017 - L 13 AS 113/17 B ER -, Rn. 30, beide m.w.N.).

Weiterhin ist die Anwendung des SGB XII nicht durch § 21 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen. Danach erhalten Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt.

Die Antragsteller sind aber nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung mit Wahrscheinlichkeit nicht Leistungsberechtigte nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) – Grundsicherung für Arbeitssuchende, denn nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sind von der Leistungsberechtigung nach dem SGB II ausgenommen

1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2. Ausländerinnen und Ausländer, a) die kein Aufenthaltsrecht haben, b) deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder c) die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22. April 2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten, und ihre Familienangehörigen,
3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Satz 2 Nr. 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten (Satz 3). Abweichend von Satz 2 Nr. 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde (Satz 4). Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde (Satz 5). Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet (Satz 6). Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt (Satz 7). Von der Leistungsberechtigung sind die Antragsteller nach §§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a SGB II ausgenommen, denn sie haben kein Aufenthaltsrecht. Ein Aufenthaltsrecht können sie insbesondere nicht als Staatsangehörige des anderen Mitgliedsstaats der Europäischen Union Rumänien (§ 1 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern – FreizügG/EU) aus materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU herleiten. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Sozialgerichts in seinem Beschluss vom 14. Januar 2020 wird entsprechend § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG Bezug genommen und von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit abgesehen. Lediglich ergänzend ist hierzu auszuführen, dass sich ursprünglich aus dem bis Februar 2012 angemeldeten Gewerbe des damaligen Ehemanns der Antragstellerin zu 1) und Vaters der Antragsteller zu 2) bis 4) eine nach §§ 2 Abs. 2 Nr. 2, 3 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung wegen einer selbständigen Tätigkeit ergeben haben mag, wenn auch die Antragsteller weder zum Umfang noch zu sonstigen Gegebenheiten der Tätigkeit etwas Substantielles vorgetragen haben. Diese Freizügigkeitsberechtigung endete jedoch jedenfalls nach der Aufgabe der Tätigkeit im Februar 2012 spätestens mit dem erstmaligen Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende aufgrund des Bescheids des Beigeladenen vom 13. Dezember 2012, da die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU i. V. m. § 4 FreizügG/EU weder in der Person des Vaters bzw. damaligen Ehemanns der Antragsteller noch in deren eigener Person (§ 3 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. §§ 2 Abs. 2 Nr. 5, 4 FreizügG/EU vorliegen. Die Antragsteller haben – ebenso wie ihr Vater bzw. geschiedener Ehemann – weder über ausreichenden Krankenversicherungsschutz noch über ausreichende Existenzmittel verfügt.

Die Antragsteller zu 2) bis 4) haben auch kein Aufenthaltsrecht aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27. Mai 2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22. Juni 2016, S. 1) geändert worden ist, als Kinder eines freizügigkeitsberechtigten Arbeitnehmers und damit kann auch die Antragstellerin zu 1) von ihnen als ihre Personensorgeberechtigte kein Aufenthaltsrecht ableiten.

Nach Art. 10 VO 492/2011/EU können Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedsstaats wohnen unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedsstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Die Antragsteller haben bereits nicht substantiiert dargelegt oder glaubhaft gemacht, dass die Antragsteller zu 2) bis 4) Kinder eines ehemaligen (Wander-)Arbeitnehmers sind. Zwar besuchen die Antragsteller zu 2) und 4) ausweislich der vorgelegten Schulbescheinigungen und ihres glaubhaften Vorbringens seit 2014 bis aktuell die N Schule in N-Stadt und der Antragsteller zu 3) seit 2018 bis laufend die Grundschule, allerdings haben sie nicht substantiiert vorgetragen, dass sie bereits zur einer Zeit den Unterricht besucht haben und damit in das Schulsystem eingegliedert waren, zu denen ihr Vater noch erwerbstätig war. Selbst wenn dies jedoch der Fall war, ergeben sich weder aus ihrem insoweit unsubstantiierten Vorbringen noch aus den vorliegenden Verwaltungsakten hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Vater der Antragsteller zu 2) bis 4) im Bundesgebiet je einer abhängigen Beschäftigung nachgegangen ist. Unabhängig davon, dass auch nicht erkennbar ist, dass es sich bei der Erwerbstätigkeit des Vaters der Antragsteller zu 2) bis 4) bis Februar 2012 nicht lediglich um eine völlig untergeordnete und unwesentliche Erwerbstätigkeit gehandelt hat, spricht doch bereits die bei den Akten des Beigeladenen befindliche Gewerbeabmeldung dafür, dass der Vater der Antragsteller zu 2) bis 4) selbständig erwerbstätig und nicht als Arbeitnehmer tätig war. Kinder eines Selbständigen werden jedoch von Art. 10 VO 492/2011/EU nicht erfasst (EuGH, Urteil vom 6. September 2012 – C-147/11 und C-148/11 –, Czop und Punakova, juris).

Auch die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II führt nicht ausnahmsweise zu einer Leistungsberechtigung nach dem SGB II. Danach erhalten abweichend von Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach dem SGB II, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde.

Die Antragsteller haben zwar ausgehend von der Anmeldung bei der Meldebehörde (§ 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II) am 1. März 2010 bzw. seit der Geburt des Antragstellers zu 3) seit mehr als fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet, erhebliche Unterbrechungen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Allerdings sperren die Bescheide der Ausländerbehörde vom 14. März 2018 die Anwendung der Rückausnahme des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II, denn nach der Rechtsprechung des Senats zu der Parallelnorm in § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII sperrt allein der Erlass der Feststellung und die bislang fehlende Aufhebung ex tunc den Leistungsanspruch (Senatsbeschluss vom 9. Oktober 2019, L 4 SO 160/10 B ER, juris Rn. 41, 48 ff; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. März 2018 - L 19 AS 133/18 B ER, L 19 AS 134/18 B - juris Rn. 9; LSG Hamburg, Beschluss vom 28. September 2017 - L 4 SO 55/17 B ER - juris Rn. 6; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Mai 2017 - L 15 AS 62/17 B ER - juris Rn. 11 f. und vom 25. November 2016 - L 11 AS 567/16 B ER - juris Rn. 17). Die Gegenauffassung, nach der die Rückausnahme eingreifen kann, wenn der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG festgestellt wurde, aber gegen die Feststellung Widerspruch erhoben worden ist und der Widerspruch aufschiebende Wirkung hat, der Verlustfeststellung also insoweit keine Tatbestandswirkung zukomme (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Mai 2019 – L 8 SO 109/19 B ER –, Rn. 9, juris Beschluss vom 6. November 2017 - L 8 SO 262/17 B ER - juris Rn. 29 f.; Hess. LSG, Beschluss vom 10. Juli 2018 - L 9 AS 142/18 B ER juris Rn. 12; Sächs. LSG, Beschluss vom 20. März 2018 - L 3 AS 73/18 B ER - juris Rn. 39 ff.; Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 7 [Stand: 22. Juni 2020), Rn. 164 m. w. N.; Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 23 SGB XII [Stand: 23. März 2020], Rn. 110), vermag nicht zu überzeugen. Der Senat hat hierzu ausgeführt (Beschluss vom 9. Oktober 2019, L 4 SO 160/10 B ER, juris Rn. 48 f):

"Ungeachtet dessen verpflichten die Leistungsausschlüsse des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XII die Sozialbehörden wie die Sozialgerichte im Bereich der Freizügigkeit der Unionsbürger zu einer materiellen Betrachtungsweise. Die Regelungen in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XII stellen nicht auf eine Freizügigkeitsberechtigung als solche ab, sondern vorrangig auf deren materiellen Grund; daher ist eine Prüfung aller in Betracht kommenden Aufenthaltsrechtstatbestände notwendig. Bereits das Vorhandensein der Voraussetzungen einer Freizügigkeitsberechtigung aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert die Feststellung, "kein Aufenthaltsrecht" zu haben, und die notwendige positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" i.S.d. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R, SGb 2013, 603, Rn. 23; BSG, Urteil vom 13. Juli 2017– B 4 AS 17/16 R, SozR 4-4200 § 7 Nr. 54, Rn. 18). Insbesondere mit der Schaffung des neuen Leistungsausschlusses für Personen, "die kein Aufenthaltsrecht" haben, wollte der Gesetzgeber klarstellen, "dass nicht erwerbstätige Personen ohne materielles Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht "erst recht" von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind" (BR-Drs. 587/16 S. 7 f.). Die Neufassung steht damit der zuvor verbreitet vertretenen Rechtsauffassung entgegen, die gegen einen "erst recht"-Schluss eingewandt hatte, dass bis zur Verlustfeststellung durch die Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU von der Freizügigkeitsvermutung auszugehen sei. Mithin sollte klargestellt werden, dass Sozialleistungsträger und die Sozialgerichte zur eigenständigen Prüfung der materiellen Rechtslage ermächtigt sind; sie sollten gerade nicht vom Erlass der Verlustfeststellung abhängig sein. Die gesetzlich angeordnete materielle Betrachtungsweise setzt sich in umgekehrter Richtung auch gegen eine rechtswidrig gewordene Verlustfeststellung durch, nämlich dort, wo das Gesetz nicht auf die Verlustfeststellung selbst – wie etwa in § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII – sondern allein auf das materielle Recht abstellt.

Diese Rechtsauffassung setzt sich nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung zur Tatbestandswirkung von Aufenthaltserlaubnissen (z.B. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 – B 14 AS 8/13 R –, juris Rn. 12). Denn soweit nach materiellem Sozialrecht ein bestimmter Aufenthaltstitel erforderlich ist, beruht dieses Erfordernis eines Titels auf dem Zusammenwirken von Sozial- und Aufenthaltsrecht: Soweit es dazu auf den "Besitz" eines bestimmten Aufenthaltstitels ankommt (z.B. § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG) oder darauf, dass ein entsprechender Aufenthaltstitel "erteilt worden ist" (vgl. § 1 Abs. 2 AsylbLG), ist für zusätzliche Entscheidungen der Leistungsträger zum Aufenthaltsgesetz (AufenthG) schon sprachlich kein Raum. Zudem entsteht nach § 4 Abs. 1 AufenthG – anders als nach § 2 FreizügG/EU – das Recht auf Einreise und Aufenthalt grundsätzlich erst mit der Erteilung des Titels. Mit dieser Wortwahl bedient sich der Gesetzgeber der im Sozialrecht verbreiteten Regelungsmethode, dem Besitz der jeweiligen Erlaubnis oder Entscheidung Tatbestandswirkung für den betreffenden Sozialleistungsanspruch derart beizumessen, dass er für Behörden und auch Gerichte ohne Rücksicht auf ihre materielle Richtigkeit bindende Wirkung entfaltet (BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 – B 14 AS 8/13 R –, juris Rn. 12). Einer solchen Regelungstechnik hat sich der Gesetzgeber aber bei den § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XII – die auch vorrangig auf Unionsbürger und damit die Rechtslage nach dem FreizügG/EU abzielen – gerade nicht bedient."

Schließlich lässt sich auch den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen, dass allein die bestandskräftige Feststellung des Verlusts des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU die Anwendbarkeit von § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II sperrt, denn der Gesetzgeber ging davon aus, dass der Aufenthalt nicht mehr verfestigt ist, wenn "die Ausländerbehörde allerdings feststellen [sollte], dass ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU nicht (mehr) besteht, ... Die Personen sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU zur Ausreise verpflichtet." (BT-Drucks. 18/10211, S. 14). Ausländerrechtlich entsteht die Ausreisepflicht jedoch nicht mehr erst dann, wenn die Ausländerbehörde unanfechtbar festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht, sondern grundsätzlich bereits mit der bloßen Feststellung (NK-AuslR/Florian Geyer, 2. Aufl. 2016 Rn. 3, Freizügigkeitsgesetz/EU § 7 Rn. 3).

Der Anordnungsanspruch ist auch nicht nach § 23 Abs. 2 SGB XII ausgeschlossen, denn die Antragsteller sind nicht Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG), die nach § 23 Abs. 2 SGB XII keine Leistungen der Sozialhilfe erhalten. Eine Leistungsberechtigung nach § 1 AsylbLG besteht nicht. Dabei folgt der Senat nicht der Auffassung, dass der Anwendungsbereich des AsylbLG teleologisch auf Bürger nicht der Europäischen Union angehörender Staaten, sog. Arbeitsstaaten, zu beschränken ist und daher Unionsbürger generell keine Ansprüche nach diesem Gesetz haben (wie hier: LSG NRW, Beschluss vom 16. März 2020 – L 19 AS 2035/19 B ER –, Rn. 67, juris; Cantzler, Asylbewerberleistungsgesetz, 2019, § 1 Rn. 34; a. A.: LSG NRW, Beschluss vom 30.05.2019 - L 20 AY 15/19 B ER; Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 1 AsylbLG (Stand: 18.11.2019) Rn. 43f;), denn nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Aufenhaltsgesetz (AufenthG) ist Ausländer jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ist, mithin auch EU-Ausländer wie die Antragsteller. Die Antragsteller halten sich zwar tatsächlich im Bundesgebiet auf (§ 1 Abs. 1 AsylbLG) und sind nach dem Wegfall der Freizügigkeitsvermutung (vgl. hierzu Dienelt in: Bergmann/Dienelt/, 13. Aufl. 2020, FreizügG/EU § 7 Rn. 8 m. w. N.) durch die Verlustfeststellung mit Bescheiden der Ausländerbehörde vom 14. März 2018 ausreisepflichtig. Die Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG erfüllen sie aber nicht, denn die Ausreisepflicht ist wegen der aufschiebenden Wirkung der eingelegten verwaltungsgerichtlichen Klagen nach § 80 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung nicht vollziehbar; die Durchsetzung der Ausreisepflicht durch eine Abschiebung ist damit unzulässig. Die Antragsteller erfüllen insbesondere auch nicht die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG, denn ihnen wurde von der Ausländerbehörde des Antragsgegners keine Duldung nach § 60a AufenthG erteilt. Da § 60a AufenthG eine vollziehbare Ausreisepflicht voraussetzt, dürften die Antragsteller auch keinen sich unmittelbar aus dieser Norm ergebenden Anspruch auf eine Duldung haben, wohl aber Anspruch auf eine Verfahrensduldung (Dienelt in: Bergmann/Dienelt, 13. Aufl. 2020, FreizügG/EU § 7 Rn. 23). Hierauf kommt es allerdings wegen der Tatbestandswirkung der (hier insoweit fehlenden) statusbegründenden Entscheidungen der Ausländerbehörde (vgl. Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 1 AsylbLG [Stand: 23. Juni 2020], Rn. 78) nicht an.

Die Antragsteller haben weiterhin glaubhaft gemacht, dass sie den Leistungseinschränkungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII unterliegen. Danach erhalten Ausländer und ihre Familienangehörige keine Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII oder nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, wenn

1. sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständiger noch auf Grund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2. sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt,
3. sie ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Nr. 2 aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, S.1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, S.1) geändert worden ist, ableiten oder
4. sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.

Die Antragsteller haben – wie bereits zur gleichlautenden Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 2 SGB II ausgeführt – kein materielles Aufenthaltsrecht, § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII.

Darüber hinaus ist kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Ausreisewillens oder der Bekundung eines solchen Ausreisewillens zu fordern (Senatsbeschlüsse vom 20. Juni 2017 – L 4 SO 70/17 B ER –, juris Rn. 15 und - L 4 SO 79/17 B ER -, juris Rn. 10; wie hier LSG Hamburg, Beschluss vom 21. Februar 2018 - L 4 SO 10/18 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Juni 2017 - L 15 SO 104/17 B ER; Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 23 Rn. 100 und 100.1; a.A. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19 –, juris, Rn. 49; Bayerisches LSG, Beschluss vom 24. April 2017 - L 8 SO 77/17 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2017 - L 23 SO 30/17 B ER). Allein aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber mit den Leistungsausschlüssen auf eine Ausreise hinwirken mit den Überbrückungsleistungen "den Lebensunterhalt bis zur Ausreise" "sichern" will (vgl. BT-Drs. 18/10211, S. 14 und 16) kann ein derartiges ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal nicht tragen, weil es der gesetzgeberischen Intention widerspräche, in der Rechtsfolge den Personenkreis so zu stellen wie nach § 1a AsylbLG (BT-Drs. 18/10211, S. 16). Dort kommt es auch nicht auf einen Ausreisewillen an. Zudem kann dem Gesetzgeber gerade wegen der beabsichtigten Parallele zu § 1a AsylbLG unterstellt werden, er wolle einen wesentlichen Teil des Adressatenkreises der Leistungsausschlüsse nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII gänzlich von existenzsichernden Leistungen ausschließen.

Weiterhin greift die Rückausnahme nach § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII nicht ein. Danach erhalten abweichend von § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Abs. 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde, was hier der Fall ist (s. o.)

Die Antragsteller haben aufgrund der Härtefallklausel gemäß § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII einen Anordnungsanspruch auf Überbrückungsleistungen über die Dauer eines Monats hinaus bis – entsprechend des streitgegenständlichen Zeitraums im Beschwerdeverfahren 30. Juni 2020.

Eine besondere Härte i. S. v. § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht für alle vom Leistungsausschluss betroffenen Personen typisch ist, also über die mit dem reduzierten Leistungsumfang typischerweise verbundenen Härten in der Person des Leistungsberechtigten individuelle Besonderheiten hinzutreten (Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 23 SGB XII [Stand: 23. März 2020], Rn. 106).

Nach der Rechtsprechung des Senats ist der in § 23 Abs. 3 SGB XII geregelte Ausschluss von Leistungen nach dem Dritten Kapitel und die Beschränkung auf Überbrückungsleistungen verfassungskonform, wenn die Härtefallregelung und die Rechtsfolge hinsichtlich der Leistungshöhe verfassungskonform ausgelegt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Juni 2017 – L 4 SO 70/17 B ER –, juris). Die Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG sind unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, Rn. 133) nur gewahrt, wenn die zur Deckung des gesamten existenznotwendigen Bedarfs erforderlichen Leistungen für Bedürftige jedenfalls bereitstehen und es in ihrer eigenen Verantwortung liegt, in zumutbarer Weise die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Leistung auch nach einer Minderung wieder zu erhalten. Die Rechtfertigung des Ausschlusses existenzsichernder Leistungen sind daher nicht dadurch gerechtfertigt, dass lediglich ein Verstoß gegen die Selbsthilfeobliegenheit in Gestalt der Ausreise aus dem Bundesgebiet sanktioniert wird. Denn eine Ausreise führte dazu, dass hierdurch die ursprünglich berechtigte Person den räumlichen Gewährleistungsbereich von Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG und den Anwendungsbereich des SGB XII verlässt; mithin ginge durch diese vermeintliche Mitwirkungshandlung der Anspruch gerade unter. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09BVerfGE 125, 175 (224); BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11BVerfGE 132, 134, 160 Rn. 65 mwN.); dies ist gleichbedeutend mit "in jedem Fall" und "zu jeder Zeit" (BVerfGE 132, 134 (172 Rn. 94)). Die bloße Heimkehrmöglichkeit bei tatsächlichem Inlandsaufenthalt ist für die Geltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ohne Bedeutung (Siefert, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 23 SGB XII Rn. 99; Schreiber, Soziales Recht 2018, 181 (190 f.)), da das Grundrecht während des Inlandsaufenthalts "stets" seine Wirkung entfaltet.

Der Senat lässt offen, ob Unionsbürger ohne objektiv bestehendes materielles Aufenthaltsrecht - bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift - stets solange Anspruch auf Überbrückungsleistungen haben, wie die Ausländerbehörde gegen sie keine bestandskräftige und weiterhin wirksame Ausweisungsverfügung erlassen hat, die mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verknüpft ist (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juli 2019 – L 15 SO 181/18 –, juris, Revision anhängig: BSG, B 8 SO 7/19 R). Denn bei den Antragstellern zu 2) bis 4) tritt zu der noch nicht bestandskräftig geklärten ausländerrechtlichen Situation, die die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht mit der Folge hemmt, dass ihr Aufenthalt im Bundesgebiet bis zur Bestandskraft der Bescheide vom 14. März 2018 aufenthaltsrechtlich jedenfalls in der Weise toleriert wird, dass keine Abschiebung erfolgt, hinzu, dass sie ihre schulische Ausbildung bereits seit mindestens zwei bzw. vier Jahren in Deutschland begonnen haben, so dass ihnen aufgrund der sich aus der Eingliederung in das hiesige Schulsystem ergebenden Bindung an das Bundesgebiet (a. A. SG Hildesheim, Beschluss vom 13. Februar 2017 – S 55 AS 4029/17 ER –, Rn. 26, juris) und ein wegen einer unmittelbar bevorstehenden Ausreise geminderter Bedarf während des laufenden Verwaltungsstreitverfahrens zur Klärung der Rechtmäßigkeit der Freizügigkeitsverlustfeststellung nicht unterstellt werden kann. Hieraus ergibt sich in der Folge auch eine besondere Härte für die Antragstellerin zu 1) als deren Mutter und Personensorgeberechtigter ihrer minderjährigen Kinder.

Ein Anordnungsanspruch besteht auch in Bezug auf andere als die in § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII genannten Leistungen. Auch insoweit ist nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII ein Härtefall zu bejahen. Denn bei verfassungskonformer Auslegung ergibt sich für die Antragsteller eine zeitlich befristete Bedarfslage, die es gebietet, über die in § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII genannten Leistungen hinaus Leistungen im Umfang nach dem Dritten Kapitel des SGB XII, also Hilfen zum Lebensunterhalt in Höhe der Regelsätze nach § 27a ff SGB XII zu gewähren. Dabei ist nach Auffassung des Senats die Dauer des bisherigen Aufenthalts der Antragsteller sowie die bisherige und zu erwartende weitere Dauer der verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren in Bezug auf die ausländerrechtlichen Verfügungen vom 14. März 2018, die vom Verwaltungsgericht Darmstadt nach dessen Mitteilung bei noch weiteren sechs Monaten liegt, und damit gerechnet ab dem Zeit Mai 2018 deutlich über zwei Jahre beträgt, ebenso zu berücksichtigen wie die gesetzgeberische Wertung in § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG, nach der nach einem Aufenthalt von 18 Monaten die Bedarfssituation zwischen Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG und dem SGB XII vergleichbar und Leistungsunterschiede nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BT-Drucks. 18/2592, S. 19). Der Gesetzgeber selbst hat damit unter Ausnutzung seines Spielraums zur leistungsrechtlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Gestaltungsspielraums nach Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 –, BVerfGE 132, 134-179, Rn. 62ff) die Festlegung getroffen, dass der existenznotwendige Bedarf bei einem mindestens 18 Monate dauernden Aufenthalt durch Leistungen in Höhe des SGB XII zu decken ist. Die in § 23 Abs. 3 SGB XII geregelte Leistungsabsenkung besteht deshalb darin, dass die bedürftige Person von dem pauschalierten Leistungsmodell des Dritten Kapitels auf die Anmeldung des individuellen Bedarfs insbesondere im Bereich der soziokulturellen Existenz verwiesen wird und im Falle der fehlenden Darlegung des Bedarfes auch nicht von der Pauschalierung profitieren kann (vgl. zur Parallelproblematik bei § 1a AsylbLG auch Senatsbeschluss vom 26. Februar 2020 – L 4 AY 14/19 B ER). Gemessen am Maßstab des einstweiligen Rechtsschutzes sind unter Berücksichtigung der familiären Verhältnisse und der nun schon langen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet indessen keine in der Regelleistung enthaltenen Bedarfe der Antragsteller ersichtlich, die in ihrem konkreten Fall nicht über das soziokulturelle Existenzminimum abzudecken wären. Ggf. wären hierzu im Hauptsacheverfahren Ermittlungen anzustellen.

Lediglich klarstellend weist der Senat darauf hin, dass es nicht darauf ankommt, dass die Antragsteller aktuelle Bedarfe für Unterkunft und Heizung durch die Vorlage des bereits gekündigten Mietvertrages nicht nachvollziehbar dargelegt oder glaubhaft gemacht haben, denn diese Bedarfe, die einen abtrennbaren Streitgegenstand darstellen, sind nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, weil die Antragsteller keine Beschwerde eingelegt haben, sondern nur der Antragsgegner. Zur Vermeidung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass in nachfolgenden Bewilligungsabschnitten bei unveränderten Verhältnissen ein nachgewiesener Bedarf nach alledem selbstverständlich zu decken wäre.

Schließlich fehlt es den Antragstellern nach Würdigung der beigezogenen Akten des Beklagten und des Beigeladenen zur hinreichenden Überzeugung des Senats an Einkommen und Vermögen.

Der Anordnungsgrund folgt bereits daraus, dass es sich bei den Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 SGB XII um Leistungen zur Sicherung des grundrechtlich (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 2 GG) gewährten Existenzminimums handelt.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Die Antragstellerin zu 1) war als Beschwerdegegnerin gemäß § 73a SGG i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen, ohne dass der Senat zu prüfen gehabt hätte, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint. Die prozesskostenhilferechtliche Bedürftigkeit ist ebenfalls zu bejahen, da die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, sozialhilferechtlich bedürftig zu sein.

Die Prozesskostenhilfeanträge der Antragsteller zu 2) bis 4) waren dagegen gem. § 73a SGG i. V. m. § 117 Abs. 2 ZPO abzulehnen, da sie trotz Hinweis der Berichterstatterin die Erklärungen über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vorgelegt haben.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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