L 3 RJ 73/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 31 RJ 749/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 RJ 73/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 07. April 2004 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an die Klägerin.

Die 1964 in der Türkei geborene Klägerin kam im Februar 1981 in die Bundesrepublik Deutschland und war hier ab März 1990 mit Unterbrechungen bis zu ihrer dauerhaften Erkrankung ab 11. Januar 2001 als Reinigungskraft bei der Firma G B tätig.

Sie beantragte am 23. März 2001 bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung unter Vorlage eines Attestes von Dr. med. V, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 20. März 2001, der u.a. einen Zustand nach ausgedehntem ischämischem Infarkt im Mediastromgebiet rechts (10/96 und 02/97), ein depressives Syndrom, hirnorganisches Psychosyndrom, Migräne ohne Aura, Hepatitis C, chronisches Halswirbelsäulensyndrom, chronisches Nierenleiden, rezidivierende Magenschleimhautentzündung und Sehbehinderung bescheinigte. Es wurde weiterhin ein Bescheid des Versorgungsamtes Berlin vom 28. Februar 2000 über die Anerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50, ein Bericht des V-Klinikum vom 13. Februar 1997 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin wegen eines Infarktes (Schlaganfall) im Stromgebiet der Arteria cerebri media rechts, sowie ein Bericht des J Krankenhauses B 21. April 1997 über einen stationären Aufenthalt wegen Reinsult bei Zustand nach ausgedehntem ischämischem Infarkt sowie ein Bericht des D H B vom 26. März 2001 über den Verdacht auf ein persistierendes Foramen ovale vorgelegt,.

Die Beklagte veranlasste ein internistisches Gutachten von Dr. M T vom 30. Mai 2001, der unter Zugrundelegung der Diagnosen: 1. Hemiparese links, hirnorganisches Psychosyndrom, depressive Entwicklung bei rechtshemisphärischem Hirninfarkt Oktober 1996 und Rezidiv Februar 1997 2. chronische Hepatitis C 3. degeneratives Wirbelsäulensyndrom zu der sozialmedizinischen Einschätzung gelangte, die Klägerin könne aus orthopädisch-internistischer Sicht ohne Berücksichtigung der neurologischen Defektsymptomatik vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten ohne häufiges Heben und Tragen schwerer Lasten verrichten.

Die Beklagte veranlasste zur weiteren Aufklärung die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens von Frau Dr. A. S-B vom 04. Juli 2001, die ein depressives Syndrom- teils organisch bedingt, teils reaktiv auf schwere Belastung- und eine Hemiplegie sowie Zustand nach Hirninfarkt 1996 feststellte. In der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung führte sie aus, die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei in ihrer letzten Tätigkeit als Reinigungskraft auf Dauer erloschen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei sie für leichte Tätigkeiten ohne Nachtschicht, ohne Zeitdruck, ohne Überkopfarbeit und ohne häufiges Klettern und Steigen sechs Stunden und mehr leistungsfähig.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 23. Juli 2001 ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung vorliege. Nach ärztlicher Feststellung könne die Klägerin noch mindestens sechs Stunden je Arbeitstag unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Bei diesem Leistungsvermögen liege auch eine teilweise Erwerbsminderung nicht vor.

Hiergegen erhob die Klägerin unter Vorlage eines Attestes von Dr. V vom 07. November 2001 Widerspruch und machte geltend, ihre behandelnden Ärzte teilten die Auffassung der Gutachter über ihre Einsatzfähigkeit nicht. Eine den Einschränkungen von Frau Dr. S-B entsprechende Arbeit existiere allenfalls in einer Behindertenwerkstatt, nicht jedoch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin sei nach ihrem beruflichen Werdegang auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes zu verweisen, sodass es nicht entscheidungserheblich sei, ob sie die bisherige Tätigkeit als Reinigungskraft noch ausüben könne. Die Tatsache, dass sie arbeitsunfähig im Sinne der Vorschriften der Krankenversicherung sei, lasse nicht den Schluss zu, dass sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sei.

Mit der hiergegen erhoben Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei aufgrund der Gesamtheit ihrer Krankheiten – insbesondere wegen des depressiven Syndroms, das teilweise hirnorganisch bedingt sei - , außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in gewisser Regelmäßigkeit mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. In dieser Auffassung werde sie durch ihre behandelnden Ärzte Dr. K sowie Dr. V, wie sich aus seinem ärztlichen Attest vom 07. November 2001 ergebe, unterstützt. Da ihre Fähigkeiten zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in spezifischer Weise – ohne Nachtschicht, Zeitdruck, Überkopfarbeit, Armvorhalt, Klettern oder Steigen – eingeschränkt seien, sei die Beklagte zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit verpflichtet gewesen. Auch im Widerspruchsbescheid habe sie keine Verweisungstätigkeiten genannt, sondern formelhaft auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes verwiesen.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Arztes H K vom 23. Mai 2002, dem eine Vielzahl ärztlicher Berichte beigefügt war, sowie einen Befundbericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Volsan vom 29. Juni 2002, der ebenso wie der Arzt Kutoglu keine körperlich leichten Arbeiten für zumutbar hielt, veranlasst.

Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Dr. Dr. A F, Gkrankenhaus H, mit der Erstellung eines internistisch-kardiologischen Gutachtens beauftragt. Dieser hat in dem Gutachten vom 05. Oktober 2002 folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: 1. Zustand nach ischämischem Hirninfarkt im Mediastromgebiet rechts 10/96 sowie Reinsult 2/97 mit verbleibender sensomotorischer Hemiparese links 2. reaktives depressives Syndrom 3. Zustand nach interventionellem Verschluss eines persitierenden Foramen ovale 10/01 4. chronische Hepatitis 5. degeneratives Wirbelsäulensyndrom 6. Cholecystolithiasis 7. Migräne. Zum Leistungsvermögen hat er ausgeführt, Funktionseinschränkungen bestünden nicht aus internistisch-kardiologischer, sondern aus neurologisch-psychiatrischer Sicht. Aufgrund dieser Funktionseinschränkungen könne die Klägerin nur körperlich leichte, vollschichtige Arbeiten mit weiteren qualitativen Einschränkungen verrichten. Es sollten insbesondere keine Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten erfolgen und auch keine Wechsel- und Nachtschichttätigkeiten. Die Fingergeschicklichkeit sei ebenso wie die Belastbarkeit des linken Armes und des linken Beines linksseitig deutlich eingeschränkt. Sowohl das Reaktionsvermögen als auch die Auffassungs- und Merkfähigkeit sowie Konzentrationsfähigkeit seien bei der Klägerin infolge der ischämischen Hirninsulte deutlich reduziert. Aufgrund der raschen Ermüdbarkeit sowie der Konzentrationsstörungen seien regelmäßige Pausen von fünf Minuten je Arbeitsstunde ratsam.

Die Beklagte hat sich dem Gutachtenergebnis unter Berufung auf die von ihr vorgelegte ärztliche Stellungnahme von Dr. F vom 22. Oktober 2002 nicht anzuschließen vermocht, mit der dieser eingewendet hat, der Sachverständige habe die qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens ausschließlich mit neurologisch-psychiatrischen Gesundheitsstörungen begründet und damit eine Beurteilung auf fachfremdem Gebiet vorgenommen.

Aufgrund eines von der Klägerin am 28. November 2002 erlittenen Reinfarktes, der laut Bericht des V H-Klinikum vom 10. März 2003 zu einem stationären Aufenthalt vom 28. November bis 09. Dezember 2002 geführt hatte, hat das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme von Dr. F vom 22. Mai 2003 veranlasst. Nach seiner Auffassung begründeten die übersandten Befunde aus internistisch-kardiologischer Sicht keine abweichende Einschätzung, doch erscheine auf Grund des erneuten Reinfarktes eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung sinnvoll.

Daraufhin hat das Sozialgericht ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. G vom 22. September 2003 veranlasst. Dieser hat aus der Sicht seines Fachgebietes eine ängstlich getönte Depression im Sinne einer Dysthymia sowie eine Migräne und eine verbliebene sensomotorische Hemiparese links festgestellt. Eine anhaltende Verschlechterung sei trotz des im November 2002 aufgetretenen erneuten Hirn-Reinfarktes nicht festzustellen. Die Klägerin könne in dem bereits von Dr. F festgestellten Umfang Tätigkeiten von sechs Stunden täglich mit den vorgenannten qualitativen Einschränkungen verrichten. Eine Einsatzfähigkeit von mehr als sechs Stunden sei aufgrund der vermehrten Ermüd- und Erschöpfbarkeit und eingeschränkten Konzentrationsfähigkeit nicht mehr ratsam.

Die Beklagte hat unter Vorlage einer berufskundlichen Stellungnahme des Sachverständigen B A.W. S vom 20. September 1999 geltend gemacht, die Klägerin sei unter Berücksichtigung der Leistungseinschränkungen noch in der Lage, leichte Pack-, Montier- und Prüf- und Etikettiertätigkeiten zu verrichten.

Durch Urteil vom 07. April 2004 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung seit März 2001 zu gewähren. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, die Klägerin sei voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der seit dem 01. Januar 2001 geltenden Fassung, da sie nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne. Ihr sei eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen, da eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bei ihr vorliege. Für die Kammer sei kein Beruf ersichtlich, den die Klägerin mit ihrem verbliebenen Leistungsvermögen noch ausführen könne. Die Beklagte habe auch keinen solchen benannt. Die eingeführte berufskundliche Stellungnahme des Gutachters S nenne keine konkrete Tätigkeit sondern illustriere, welche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als leichte ungelernte Tätigkeiten anzusehen seien. Unter Berücksichtigung der eingeholten Gutachten von Dr. Dr. F und Dr. G sei die Klägerin nicht ohne weiteres in der Lage, die genannten körperlichen Verrichtungen uneingeschränkt vorzunehmen. So sei die Fingergeschicklichkeit der Klägerin nach den Hirninfarkten linksseitig deutlich eingeschränkt sowie die Belastbarkeit des linken Armes und des linken Beines. Darüber hinaus bestehe eine deutliche Einschränkung des geistigen Leistungsvermögens im Hinblick auf Reaktionsvermögen, Auffassungsgabe und Merkfähigkeit. Aufgrund der raschen Ermüdbarkeit würden vom Gutachter Dr. Dr. F fünfminütige Pausen je Arbeitsstunde für ratsam gehalten. Angesichts der Vielzahl der qualitativen Einschränkungen, die jeweils für sich nur einzelne Verrichtungen und Arbeitsbedingungen beträfen, ergebe sich auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt eine Summierung gewöhnlicher (richtig: ungewöhnlicher) Leistungseinschränkungen, die nach Auffassung der Kammer die von dem Sachverständigen S als typische Verrichtung der leichten ungelernten Tätigkeiten benannten Arbeiten nicht mehr ermöglichten.

Gegen das am 23. Juli 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 05. August 2004 eingelegte Berufung der Beklagten. Zur Begründung führt sie aus, das erstinstanzliche Gericht sei offenbar davon ausgegangen, dass es sich bei der deutlichen Einschränkung der Fingergeschicklichkeit links, dem Ausschluss von Schichtarbeit, der Einschränkung der Konzentrations-, Aufmerksamkeits- und Umstellungsfähigkeit und dem Erfordernis der fünfminütigen Pausen je Arbeitsstunde um ungewöhnliche Leistungseinschränkungen handele. Dieser Auffassung sei jedoch nicht zu folgen. Es liege der von dem Sachverständigen Dr. F festgestellten Einschränkung der Fingergeschicklichkeit kein entsprechender Befund zugrunde. Die von Dr. G in seinem Gutachten festgestellte "milde Hemiparese links" im Gliedmaßenbereich ohne extrapyramidal-motorisch relevante Ausfallzeichen vermöge jedenfalls eine derartige Leistungseinschränkung nicht zu begründen. Von der Rechtsprechung sowohl des Bundessozialgerichts (BSG) als auch des Landessozialgerichts Berlin sei bei wesentlich schwerwiegenderen Einschränkungen bezüglich der Arme, Hände oder Finger das Vorliegen einer ungewöhnlichen Leistungseinschränkung verneint worden. Auch die weiteren Einschränkungen der Konzentrations-, Aufmerksamkeits- und Umstellungsfähigkeit sowie der betriebsunüblichen Pausen würden durch entsprechende Befunderhebungen der Sachverständigen Dr. Fried und Dr. Götte nicht untermauert. Der Ausschluss von Schicht-, Fließband- und Akkordarbeit, größeren Temperaturschwankungen und die Vermeidung eines häufigen Wechsels der Haltungsarten stellten nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BSG keine Einschränkungen dar, die zu einer konkreten Benennungspflicht führen würden. Insgesamt liege bei der Klägerin keine einzige ungewöhnliche Leistungseinschränkung vor und damit erst recht keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, sodass keine konkreten Verweisungstätigkeiten zu benennen seien. Die erst 40 Jahre alte Klägerin sei mit ihrem verbliebenen Restleistungsvermögen nicht erwerbsgemindert.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Frau Dr. med. E P, vom 18. Juli 2005 eingeholt. Die Sachverständige hat folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: Anpassungsstörung, Dysthymia, Zustand nach Infarkt im Stromgebiet der Arteria cerebri media rechts, Hemihypästhesie links, Restparese linkes Bein, Nikotinabusus, Migräne ohne Aura. Zum Leistungsvermögen hat sie ausgeführt, die Klägerin könne unter Berücksichtigung der Funktionsbehinderung noch körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise auch im Gehen und Stehen, ohne zeitliche oder willkürliche Vorgabe für den Wechsel der Position, verrichten. Sie könne in geschlossenen Räumen arbeiten, ebenso wie im Freien oder unter Witterungsschutz im Freien. Arbeiten unter Zeitdruck und Wechsel- und Nachtschicht seien nicht günstig, Zwangs- und überwiegend einseitige Körperhaltung seien wegen der Schwäche im linken Bein nicht möglich. Wegen der Hemihypästhesie könne sie - auch nicht zeitweilig - auf Leitern und Gerüsten arbeiten. Einschränkungen der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit seien stark motivationsabhängig. Sie sei jedoch dazu in der Lage, wenn sie es möchte. Eine Einschränkung der Gehfähigkeit liege nicht vor. Sie könne mindestens sechs Stunden und mehr täglich erwerbstätig sein.

Die Klägerin hat unter Berufung auf ihren behandelnden Facharzt für Nervenkrankheiten R H geltend gemacht, die Beanstandungen der Sachverständigen hinsichtlich der von ihr geforderten Leistungen beruhten auf der Tatsache, dass sie nicht in der Lage sei, aufgrund ihrer psychischen Situation einen Arbeitsplatz auszufüllen. Der Senat hat dazu einen Befundbericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie R H vom 27. Februar 2006 eingeholt, auf den ebenso wie auf seine Ergänzung vom 9. Mai 2006 Bezug genommen wird.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 07. April 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält das Gutachten der Sachverständigen Dr. P für nicht verwertbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Rentenakten der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts steht der Klägerin ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu.

Da die Klägerin den Rentenantrag im März 2001 gestellt hat und Leistungen ab diesem Zeitraum begehrt, findet § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 01. Januar 2001 geltenden Fassung Anwendung.

Nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit geleistet haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die Klägerin erfüllt die allgemeine Wartezeit für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung von fünf Jahren und es läge, wie die Beklagte in dem Bescheid vom 23. Juli 2001 festgestellt hat, bei Antragstellung im März 2001 auch die weitere Voraussetzung – drei Jahre Pflichtbeitragszeiten in den letzten fünf Jahren – vor, die Klägerin ist jedoch seit Rentenantragstellung weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind die Versicherten voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind Versicherte teilweise erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Nach den im Rentenverfahren eingeholten Gutachten sowie insbesondere nach dem im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten von Frau Dr. med. P steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin seit Rentenantragstellung bis zum heutigen Tage durchgehend ein Leistungsvermögen für eine Erwerbstätigkeit von mindestens sechs Stunden und mehr arbeitstäglich besitzt.

Die gerichtliche Sachverständige Dr. med. P hat in ihrem Gutachten vom 18. Juli 2005 ausgeführt, das Leistungsvermögen der Klägerin werde durch eine Anpassungsstörung, Dysthymia, Zustand nach Infarkt im Stromgebiet der Arteria cerebri media rechts, eine Hemihypästhesie links, eine Restparese des linken Beines sowie eine Migräne ohne Aura beeinträchtigt. Diese Gesundheitsstörungen wirken sich auf die Erwerbsfähigkeit dahingehend aus, dass die Klägerin leichte bis mittelschwere Arbeiten überwiegend in sitzender Tätigkeit, zeitweise jedoch auch im Gehen und Stehen, ohne konkrete zeitliche oder willkürliche Vorgaben für den Wechsel der Positionen verrichten kann. Sie kann in geschlossenen Räumen ebenso wie im Freien oder unter Witterungsschutz im Freien arbeiten. Einschränkungen bestehen bei Arbeiten unter Zeitdruck wegen ihrer leichten Erregbarkeit sowie Arbeiten in Wechsel- oder Nachtschicht aufgrund der bestehenden Schlafstörung. Zwangs- bzw. überwiegend einseitige Körperhaltungen sind wegen der Schwäche im linken Bein, der Hemihypästhesie und koordinativen Unsicherheit im linken Bein und Arm ebenso wenig möglich wie Arbeiten auf Leitern, Gerüsten oder auf Regalleitern. Eine Gefährdung durch Kälte, Hitze, Zugluft, starken Temperaturschwankungen, Nässe und Lärm sollte vermieden werden. Eine Tätigkeit mit häufigem Publikumsverkehr wäre möglich. Die Fingergeschicklichkeit ist bei ihr nicht eingeschränkt für einfache Pack-, Montier- und Prüftätigkeiten. Sie hat in der linken Hand fast die gleiche grobe Kraft beim Faustschluss und kann die Finger strecken und beugen und das Handgelenk bewegen.

Die geistige Leistungsfähigkeit der Klägerin war nach Angaben der Sachverständigen schwer beurteilbar. Auf situative Fragestellungen und Aufforderungen konnte sie jedoch prompt und zuverlässig anworten. Sie sei aufmerksam und reaktionsfähig gewesen. Durch die dysthyme Stimmungslage sei sie in ihrer geistigen Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Die Einschränkungen der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeiten hänge stark von der Motivation der Klägerin ab. Eine Einschränkung des Gehvermögens, die sich auf die Fähigkeit der Klägerin auswirken könnte, Wegstrecken von 4 x 500 Metern täglich in 20 Minuten zurücklegen zu können, sei nicht gegeben.

Diese Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin durch die Sachverständige Frau Dr. med. Pist unter Berücksichtigung der erhobenen Befunde schlüssig und nachvollziehbar. Der Senat hat keine Bedenken, sich den durch die diagnostischen Feststellungen und Befunderhebungen belegten Schlussfolgerungen der Sachverständigen in vollem Umfang anzuschließen und sie seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen. Der Verwertbarkeit des Sachverständigengutachtens steht insbesondere nicht die Rüge des Prozessbevollmächtigten der Klägerin entgegen, zur ärztlichen Untersuchung durch den Sachverständigen nicht geladen worden und daher nicht anwesend gewesen zu sein. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin liegt in dem ohne anwaltliche Hilfe durchgeführten Untersuchungstermin nicht vor, weil es sich hierbei nicht um einen Beweisaufnahmetermin im Sinne des § 116 SGG gehandelt hat.

Zu einer vergleichbaren Beurteilung des Leistungsvermögens der Klägerin sind auch die im Rentenverfahren gehörten Gutachter Dr. med. T in seinem Gutachten vom 30. Mai 2001 und Frau Dr. S-B in ihrem Gutachten vom 04. Juli 2001 gelangt. Beide Gutachter schätzten das Leistungsvermögen der Klägerin auf körperlich zumindest leichte Tätigkeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Laufen, ohne Nachtschicht, ohne Zeitdruck, Überkopfarbeit und häufiges Klettern und Steigen auf sechs Stunden und mehr pro Arbeitstag ein.

Dem gegenüber vermag der Senat den im erstinstanzlichen Verfahren zum Leistungsvermögen getroffenen Feststellungen des Sachverständigen Dr. F in seinem Gutachten vom 05. Oktober 2002 sowie des Sachverständigen Dr. G in seinem Gutachten vom 22. September 2003 und den hieraus vom Sozialgericht gezogenen Schlussfolgerungen zur verbliebenen Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht zu folgen. Dr. Fried stützt die Funktions- und Leistungseinschränkungen der Klägerin in seinem kardiologischen-internistischen Gutachten nicht auf die in seinem Fachgebiet bestehenden Gesundheitsstörungen, sondern auf neurologisch-psychiatrische Diagnosen, obwohl sich die Befunderhebungen ausweislich seines Gutachtens auf internistische Untersuchungen (Ruhe-EKG, Belastungs-EKG, Lungenfunktion, Doppler-Sonographie der Halsgefäße, Farbdoppler-Echokardiographie) beschränkt haben. Nach seinen Darlegungen reicht das verbliebene Leistungsvermögen aus der Sicht seines Fachgebietes für eine Arbeitszeit von sechs Stunden und mehr für körperlich und geistig leichte Tätigkeiten durchaus aus. Aufgrund der neurologisch-psychiatrischen Funktionseinschränkungen sei jedoch eine Einschränkung der Arbeitszeit auf sechs Stunden täglich unter Einhaltung von fünfminütigen Pausen je Arbeitsstunde wegen einer raschen Ermüdbarkeit, Konzentrationsstörungen und der neurologischen Defektsymptomatik ratsam. Hierzu hat er jedoch keinen neurologischen Status erhoben, wie die Sachverständige Dr. med. P kritisch vermerkt. Anamnestisch spricht er von einer diskreten Restparese links, insbesondere eingeschränkter Fingerfeinmotorik und Hypalgesie der linken Körperhälfte. Diese Feststellungen beruhen jedoch objektiv auf keiner neurologischen Untersuchung. Hinsichtlich der psychiatrischen Symptomatik wie depressiver Verstimmung, Vergesslichkeit und reduziertem Antrieb stützt er sich auf die Feststellungen des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. V ohne eigene Befunderhebung, die im Übrigen auch fachfremd wäre. Deshalb vermag sich der Senat den von dem Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen bezüglich des Leistungsvermögens der Klägerin mangels schlüssiger und nachvollziehbarer Begründung nicht anzuschließen. Insbesondere das von Dr. Fried als "ratsam" empfohlene Erfordernis der regelmäßigen Einhaltung von fünfminütigen Pausen je Arbeitsstunde kann daher als therapeutische Maßnahme, nicht jedoch als zusätzliche Leistungseinschränkung verstanden werden.

Der Sachverständige Dr. G hat auf neurologischem Fachgebiet eine "milde sensomotorische Hemiparese links bei ischämischem Hirninfarktleiden" festgestellt. Hinsichtlich des psychopathologischen Befundes habe die Klägerin Beschwerden im Sinne von Nervosität und vermehrter Erschöpfung / Müdigkeit sowie Neigung zu Kopfdruck und zu kalten Beinen mitgeteilt. Es sei bei der Untersuchung kurzfristig zu Aufmerksamkeitsreduzierung und Beeinträchtigungen der Konzentrations- und Merkfähigkeit gekommen. Weder bei entsprechender Durchsicht der Gesamtakten noch bei Betrachtung des psychischen Befundes einschließlich ihrer Angaben zum Alltagsablauf und der nervenärztlicherseits verordneten Medikation sei von einer anhaltenden Schwergradigkeit der Psychopathologie auszugehen. Anfangs habe eine depressive Syndromatik im Sinne einer Anpassungsstörung vorgelegen und nunmehr bestehe eine anhaltend ängstlich getönte Depression im Sinne einer Dysthymia. Auch nach Ansicht von Dr. G reicht das verbliebene Leistungsvermögen für eine Arbeitzeit von sechs Stunden mit den genannten qualitativen Leistungseinschränkungen aus. Auch Dr. Ge hat – wie Frau Dr. P bestätigt– weder neurologisch noch psychiatrisch schwergradige pathologische Befunde festgestellt, die eine gravierende Einschränkung des Leistungsvermögens in quantitativer oder qualitativer Hinsicht rechtfertigen könnten. Hinsichtlich des quantitativen Umfangs ihrer Einsatzfähigkeit rechtfertigen auch sechs Stunden arbeitstäglich weder die Annahme einer vollen noch die einer teilweisen Erwerbsminderung. Auch die qualitativen Leistungseinschränkungen begründen - entgegen der Ansicht des Sozialgerichts - eine entsprechende Einschätzung nicht.

Das Leistungsvermögen der Klägerin, die keinen Beruf erlernt und durchgehend ungelernte Tätigkeiten ausgeübt hat und deshalb auf alle Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar ist, reicht für eine nicht unerhebliche Anzahl von Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes aus. Die Möglichkeiten der Klägerin, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine ihrem Leistungsvermögen entsprechende Tätigkeit zu finden, sind zwar eingeschränkt, der Zugang zum Arbeitsmarkt ist ihr jedoch nicht verschlossen. Der Senat teilt – entgegen der Auffassung des Sozialgerichts – die von der Beklagten in der ersten Instanz vertretene Auffassung, dass die Klägerin noch Tätigkeiten wie Zureichen, Abnehmen, Maschinenbedienen und Verpacken leichter Gegenstände verrichten kann. Ihr sind leichte Pack-, Montier- und Produktionsarbeiten zumutbar. Hierbei handelt es sich, wie dem berufskundlichen Sachverständigengutachten von B A.W. S vom 29. Juni 1999 zu entnehmen ist, um leichte körperliche, überwiegend im Sitzen, mit der Möglichkeit zum Wechsel der Körperhaltung zu verrichtende Tätigkeiten ohne besonderen Zeitdruck und Stressbelastung, die nicht im Akkord oder in Nachtschicht verrichtet werden. Die von Herrn S beschriebenen Tätigkeiten gibt es in verschiedenen Wirtschaftszweigen. Sie stellen keine Anforderungen an das geistige Leistungsvermögen. Sie werden in Räumen verrichtet, in denen keine extremen Umwelteinflüsse wie Kälte, Staub oder Feuchtigkeit zu befürchten sind.

Grundsätzlich bedarf es bei Versicherten, die – wie im vorliegenden Fall die Klägerin – auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sind und noch körperlich leichte Arbeiten von mindestens sechsstündiger Dauer arbeitstäglich mit zusätzlichen qualitativen Einschränkungen verrichten können, nicht der konkreten Benennung (zumindest) einer Verweisungstätigkeit. Ausnahmsweise hält die Rechtsprechung die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit aber in solchen Fällen für erforderlich, in denen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl. dazu die Entscheidung des BSG vom 20. August 1997 – 13 RJ 39/96 in SozR 3-2600 § 43 Nr. 17 und vom 24. Februar 1999 – B 5 RJ 30/98 R in SozR 3-2600 § 44 Nr. 13).

Die Aufzählung der in den Entscheidungen genannten Fallkonstellationen sind dadurch gekennzeichnet, dass es sich um durch Gesundheitsstörungen (Krankheiten oder Behinderungen) hervorgerufene Beeinträchtigungen handelt, die aufgrund ihrer Art oder ihres Schweregrades ungewöhnliche oder spezifische Auswirkungen auf das Leistungsvermögen haben.

Zur Überzeugung des Senats liegen bei der Klägerin jedoch keine entsprechenden qualitativen Leistungseinschränkungen vor, die auch nur annähernd den in der Rechtsprechung genannten Beispielen für eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. schwerer spezifischer Leistungsbehinderungen vergleichbar sind. Zwar bestehen bei der Klägerin Einschränkungen hinsichtlich der Belastbarkeit des linken Armes, jedoch liegt weder eine Gebrauchsunfähigkeit einer bzw. beider Hände vor, noch eine Kombination der Einschränkung von Arm- und Handbewegung mit einem notwendigen halbstündigen Wechsel von Sitzen und Gehen. Das Erfordernis, in geschlossenen Räumen ohne Einfluss von Kälte, Feuchtigkeit und Zugluft oder Staub zu arbeiten, stellt ebenfalls keine spezifische Einschränkung dar, da nahezu jede Tätigkeit in geschlossenen beheizbaren Räumen dieser Forderung Rechnung tragen kann. Arbeiten, die Fingergeschicklichkeit voraussetzen, sind ihr uneingeschränkt möglich, so dass sie – wie bereits dargelegt wurde – leichte Pack- und Sortiertätigkeiten verrichten kann. Die Unzumutbarkeit von Arbeiten auf Leitern und Gerüsten stellt bei einer Vielzahl von Tätigkeiten, z.B. bei Pack- und Sortiertätigkeiten, kein einschränkendes Hindernis dar. Die festgestellten Leiden beschränken die Klägerin auch nicht in der Ausübung geistiger Arbeiten entsprechend ihrem Bildungsniveau. Die festgestellten situationsbezogenen Ängste und depressiven Verstimmungen sind Ausdruck einer Belastung aufgrund der familiären Situation. Da ein so genannter Summierungsfall nicht vorliegt, bedarf es auch nicht der Benennung einer Verweisungstätigkeit, die die Klägerin noch ausüben könnte. Nach alledem liegt bei der Klägerin weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung nach dem ab 01. Januar 2001 geltenden Recht vor.

Das Urteil des Sozialgerichts war deshalb auf die Berufung der Beklagten aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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