Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 (6) KR 66/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der seit August 2005 durch die Selbstbeschaffung des Arzneimittels Canusal® entstandenen Kosten in Höhe von 164,60 EUR sowie die Leistung dieses Arzneimittels in Zukunft als Auslandsimport.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin leidet an einem hereditären angioneurotischen Ödem (HANE). Diese Krankheit ist durch einen C1-Estrase-Inhibitor-Mangel gekennzeichnet. Um diesen Mangel auszugleichen, erhält die Klägerin etwa alle 6 Wochen, gegebenenfalls auch bei akutem Bedarf ein Konzentrat (Berinert®), das intravenös verabreicht wird. Zu diesem Zweck wurde der Klägerin 1998 ein so genanntes Titan-Portkathetersystem (auch Port, Portkatheter oder Portsystem genannt) in den rechten Brustkorb implantiert. Zur Pflege des Portsystems sind regelmäßige Spülungen mit einer Kochsalzlösung erforderlich. Nach Angabe des Herstellers des Portsystems muss dieses bei Nichtbenutzen des Katheters zusätzlich heparinisiert werden; mit der Heparinlösung werde der Katheter verschlossen und eine Verstopfung verhindert. Dementsprechend wurde und wird auch bei der Klägerin verfahren.
Die Heparinisierung des Portsystems der Klägerin geschieht mit dem Arzneimittel Canusal®; dieses enthält den Wirkstoff Heparin sodium. Canusal® ist derzeit in Großbritanniern zum Spülen von intravenösen Kathetern und Portsystemen zugelassen; eine Zulassung in Deutschland oder europaweit durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMEA) besteht nicht. Canusal® ist ein verscheibungspflichtiges, gemäß § 73 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG) importfähiges Arzneimittel; es steht in Deutschland auf der Liste der häufigstens Medikamentenimporte an 4. Stelle. Die Kosten für 10 Ampullen Canusal® betragen ca. 27,- EUR (2,70 EUR je Ampulle); die Kosten für eine in der Apotheke zubereitete Heparin-Spritze belaufen sich auf ca. 60,- EUR.
Bis August 2005 übernahm die Beklagte die Kosten für das aus dem Ausland importierte Canusal®. Auf Hinweis der bis dahin importierenden und abgebenden Apotheke, dass die Kosten nicht mehr von der Krankenkasse übernommen würden, verordneten die behandelnden Ärzte des Universitätsklinikum G. am 18.08.2005 30 Ampullen Heparin sodium. Am 30.08.2005 beantragte die Klägerin die Genehmigung der Verordnung als Einzelimport gemäß § 73 Abs. 3 AMG.
In einer von der Beklagten eingeholten Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 16.09.2005 stellte Dr. U. fest, das Spülen von venösen Verweilkathetern und Port-Systemen werde zwar in der Praxis häufig angewandt, sei allerdings nicht zwingend erforderlich; es könnten dazu auch isotonische Kochsalzlösungen verwendet werden.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Kostenübernahmeantrag durch Bescheid vom 21.09.2005 ab.
Dagegen legte die Klägerin am 13.10.2005 Widerspruch ein. Sie wies auf die Angaben des Herstellers des Port-Systems hin, nach denen die Heparinisierung als "Muss" beschrieben werde; sie legte eine Stellungnahme des Uniklinikums Frankfurt vor, wonach die Heparinisierung des Portkatheter-Systems notwendig sei.
In einer ergänzenden MDK-Stellungnahme vom 16.11.2005 erklärte Dr. Moeller, es handele sich nicht um eine extrem seltene Fallgestellung, bei der ausnahmsweise eine Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung trotz fehlender deutscher oder europaweiter Arzneimittelzulassung in Betracht komme.
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 22.02.2006 zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 14.03.2006 Klage erhoben.
Von August 2005 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind der Klägerin durch die Selbstbeschaffung des Arzneimittels Canusal® Kosten in Höhe von 164,60 EUR entstanden.
Die Klägerin ist der Auffassung, eine wirksame Blockierung des Portsystems könne ausschließlich durch Heparinisierung erfolgen. Bei Verwendung von isotonischer Kochsalzlösung bestehe die Gefahr der Verstopfung; in einem solchen Fall müsse das Portsystem operativ entfernt und ein neues implantiert werden; dies sei nicht unbegrenzt möglich; ohne Heparinisierung handele es sich bei dem Portsystem in ihrem Fall nach Auffassung der behandelnden Ärzte um eine "Zeitbombe". Bei der zu behandelnden Erkrankung HANE handele es sich um eine seltene, einer systematischen Erforschung praktisch verschlossene Krankheit, für die keine andere Behandlungsalternative zur Verfügung stehe. In einem solchen Fall sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch für nur im Ausland zugelassene Arzneimittel eine Kostenübernahmepflicht gegeben.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.09.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2006 zu verurteilen, ihr die Kosten für das Arzneimittel Canusal®, die seit August 2005 in Höhe von 164,60 EUR entstanden sind, zu erstatten und künftig die Kosten für das Arzneimittel nach ärztlicher Verordnung als Auslandsimport zu übernehmen, jeweils unter Berücksichtigung der von ihr zu leistenden gesetzlichen Zuzahlungen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung. Zur Begründung verweist sie ergänzend auf weitere MDK-Stellungnahmen der Ärzte Dr. N. und Dr. U. vom 18.08.2006, 08.09.2006, 13.10.2006, 19.01.2007 und 26.02.2007 sowie Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut zur Prävention gefäßkatheterassoziierter Infektionen aus dem Jahre 2002.
Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Auskünfte und gutachterliche Stellungnahmen eingeholt vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 26.07.2006, der Medizinischen Klinik III des Universitätsklinikum G. vom 11.09.2006 und der Medizinischen Klinik IV des Universitätsklinikum B. vom 30.11.2006.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der in der Vergangenheit entstandenen Kosten für die Selbstbechaffung des Arzneimittels Canusal® und die künftige Gewährung dieses Arzneimittels zu Lasten der Beklagten.
Die Voraussetzungen des für die Kostenerstattung allein in Betracht kommenden Anspruchs aus § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist eine Krankenkasse zur Kostenerstattung verpflichtet, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Die Beklagte hat die Versorgung mit dem Arzneimittel Canusal® nicht zu Unrecht abgelehnt.
Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R - m.w.N.). Zu diesen Leistungen gehörte die Versorgung mit dem Arzneimittel Canusal® nicht. Denn Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V) von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V ausgeschlossen, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/04 R). Dies ist bei Canusal® der Fall.
Canusal® ist ein Fertigarzneimittel im Sinne von § 4 Abs. 1 AMG. Derartige Fertigarzneimittel dürfen gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen worden sind oder wenn für sie die Kommission der Europäischen Gemeinschaft oder der Rat der Europäischen Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat. Daran fehlt es.
Für das zulassungspflichtige Canusal® lag weder in Deutschland noch für den Bereich der Europäischen Union (EU) insgesamt eine solche Arzneimittelzulassung vor. Die in Großbritannien erteilte Arzneimittelzulassung von Canusal®entfaltet nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen für Deutschland. Weder das deutsche Recht noch das Europarecht sehen eine solche Erweiterung der Rechtswirkungen der nur von nationalen Behörden erteilten Zulassungen ohne ein entsprechend vom Hersteller eingeleitetes sowie positiv entschiedenes Antragsverfahren vor (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R unter Hinweis auf BSGE 93, 1). Ein Leistungsanspruch der Klägerin lässt sich auch nicht aus den Grundsätzen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 = NZS 2006, 84 = NJW 2006, 891) im Wege einer verfassungskonformen Auslegung derjenigen Normen des SGB V, die dem Anspruch entgegenstehen, herleiten. Das BVerfG hat in dieser Entscheidung festgestellt, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Diese Kriterien sind im Fall der Klägerin nicht erfüllt. Zum einen wird Canusal® nicht zur Behandlung von HANE eingesetzt, sondern zur Pflege des Portkatheter-Systems; Portsysteme wiederum werden, wie der MDK zuletzt in seiner Stellungnahme vom 26.02.2007 - von der Klägerin nicht bestritten - mitgeteilt hat, vieltausendfach und täglich auch im ambulanten Bereich genutzt. Zum anderen ist HANE keine lebensbedrohliche oder vorhersehbar tödlich verlaufende Krankheit, bei der allein die engen Ausnahmekriterien des BVerfG zur Anwendung kommen.
Die Klägerin konnte und kann Canusal®auch nicht nach den Grundsätzen des sogenannten Off-Label-Use beanspruchen. Die Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung für ein nicht zugelassenes Medikament kommt danach grundsätzlich nur in Betracht, wenn es (1) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn (2) keine anderer Therapie verfügbar ist und wenn (3) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit Letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann (BSG, Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R = BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8). Diese Voraussetzungen sind nicht sämtlich erfüllt. Zwar geht die Kammer aufgrund der gutachtlichen Stellungnahmen der Universitätkliniken G. und B. vom 11.09. und 30.11.2006 davon aus, dass bei der Klägerin eine schwerwiegende, weil die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung im Sinne der ersten Voraussetzung vorliegt. Ebenso geht die Kammer nach diesen fachlichen Auskünften davon aus, dass die Krankheit selten ist. Canusal® wird aber, wie oben bereits ausgeführt, nicht zur unmittelbaren Behandlung von HANE eingesetzt, sondern zum Spülen des implantierten Portkatheters, durch den das im Bedarfsfall benötigte Arzneimittel Berinert® gespritzt wird. Die Pflege und das Spülen von Portsystemen ist aber nicht nur im Zusammenhang mit der Behandlung von HANE, sondern auch in vielen anderen Fällen und bei anderen Krankheitsbildern erforderlich. In diesem Sinne liegt kein Seltenheitsfall vor und ist insbesondere auch eine systematische Erforschung von Canusal® hinsichtlich seines Einsatzes zur Spülung von Portsystemen durchaus möglich. Entscheidend aber spricht nach Auffassung der Kammer gegen eine Leistung von Canusal® zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung, dass für das Spülen von zentralen Venenkathetern Alternativen zur Verfügung stehen und Heparinspülungen wissenschaftlich nicht unumstritten sind. Aus den von der Beklagten vorgelegten Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (Bundesgesundheitsblatt 2002, 907 ff.) besteht bei zentralen Kathetersystemen die Gefahr einer Thrombusbildung, die mit einer erhöhten Rate katheterassoziierter Infektionen einhergeht. Die Verwendung von verdünntem Heparin zur Spülung von Kathetern ist jedoch nach Empfehlungen des Robert Koch-Instituts hinsichtlich der Vermeidung einer Kathederokklusion nicht effektiver als die Spülung mit physiologischer Kochsalzlösung. Aufgrund möglicher Blutungskomplikationen sollten Heparinspülungen daher vermieden werden (Empfehlungen, a.a.O., S. 910). Die Ärzte der Medizinischen Klinik IV des Universitätklinikums Aachen haben in der Stellungnahme vom 30.11.2006 erklärt für die Pflege des Portkatheters sei die Sterilität das oberste Gebot. Für die Spülung des Portkatheters sei der Einsatz von Heparin zum Blocken des Systems zwar weit verbreitet; allerdings gebe es bislang keine randomisierten Studien, bei denen Heparin mit Kochsalz allein verglichen wurden. Für beide Alternativen gebe es Pro- und Contra-Argumente; in einer wissenschaftlichen Arbeit werde sogar über die Entwicklung eines Heparin- induzierten Thrombozytenabfalls (sog. HIT-Sydrom) nach Portspülung mit Heparin berichtet. Deshalb - so die Ärzte des Universitätklinikum B. - sei die Routine-Spülung venöser Katheter mit Heparin nicht unumstritten.
Zusammenfassend sieht die Kammer keinen rechtlichen Ansatz für die Erstattung bzw. künftige Leistung von Canusal® zu Lasten der Beklagten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der seit August 2005 durch die Selbstbeschaffung des Arzneimittels Canusal® entstandenen Kosten in Höhe von 164,60 EUR sowie die Leistung dieses Arzneimittels in Zukunft als Auslandsimport.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin leidet an einem hereditären angioneurotischen Ödem (HANE). Diese Krankheit ist durch einen C1-Estrase-Inhibitor-Mangel gekennzeichnet. Um diesen Mangel auszugleichen, erhält die Klägerin etwa alle 6 Wochen, gegebenenfalls auch bei akutem Bedarf ein Konzentrat (Berinert®), das intravenös verabreicht wird. Zu diesem Zweck wurde der Klägerin 1998 ein so genanntes Titan-Portkathetersystem (auch Port, Portkatheter oder Portsystem genannt) in den rechten Brustkorb implantiert. Zur Pflege des Portsystems sind regelmäßige Spülungen mit einer Kochsalzlösung erforderlich. Nach Angabe des Herstellers des Portsystems muss dieses bei Nichtbenutzen des Katheters zusätzlich heparinisiert werden; mit der Heparinlösung werde der Katheter verschlossen und eine Verstopfung verhindert. Dementsprechend wurde und wird auch bei der Klägerin verfahren.
Die Heparinisierung des Portsystems der Klägerin geschieht mit dem Arzneimittel Canusal®; dieses enthält den Wirkstoff Heparin sodium. Canusal® ist derzeit in Großbritanniern zum Spülen von intravenösen Kathetern und Portsystemen zugelassen; eine Zulassung in Deutschland oder europaweit durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMEA) besteht nicht. Canusal® ist ein verscheibungspflichtiges, gemäß § 73 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG) importfähiges Arzneimittel; es steht in Deutschland auf der Liste der häufigstens Medikamentenimporte an 4. Stelle. Die Kosten für 10 Ampullen Canusal® betragen ca. 27,- EUR (2,70 EUR je Ampulle); die Kosten für eine in der Apotheke zubereitete Heparin-Spritze belaufen sich auf ca. 60,- EUR.
Bis August 2005 übernahm die Beklagte die Kosten für das aus dem Ausland importierte Canusal®. Auf Hinweis der bis dahin importierenden und abgebenden Apotheke, dass die Kosten nicht mehr von der Krankenkasse übernommen würden, verordneten die behandelnden Ärzte des Universitätsklinikum G. am 18.08.2005 30 Ampullen Heparin sodium. Am 30.08.2005 beantragte die Klägerin die Genehmigung der Verordnung als Einzelimport gemäß § 73 Abs. 3 AMG.
In einer von der Beklagten eingeholten Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 16.09.2005 stellte Dr. U. fest, das Spülen von venösen Verweilkathetern und Port-Systemen werde zwar in der Praxis häufig angewandt, sei allerdings nicht zwingend erforderlich; es könnten dazu auch isotonische Kochsalzlösungen verwendet werden.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Kostenübernahmeantrag durch Bescheid vom 21.09.2005 ab.
Dagegen legte die Klägerin am 13.10.2005 Widerspruch ein. Sie wies auf die Angaben des Herstellers des Port-Systems hin, nach denen die Heparinisierung als "Muss" beschrieben werde; sie legte eine Stellungnahme des Uniklinikums Frankfurt vor, wonach die Heparinisierung des Portkatheter-Systems notwendig sei.
In einer ergänzenden MDK-Stellungnahme vom 16.11.2005 erklärte Dr. Moeller, es handele sich nicht um eine extrem seltene Fallgestellung, bei der ausnahmsweise eine Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung trotz fehlender deutscher oder europaweiter Arzneimittelzulassung in Betracht komme.
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 22.02.2006 zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 14.03.2006 Klage erhoben.
Von August 2005 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind der Klägerin durch die Selbstbeschaffung des Arzneimittels Canusal® Kosten in Höhe von 164,60 EUR entstanden.
Die Klägerin ist der Auffassung, eine wirksame Blockierung des Portsystems könne ausschließlich durch Heparinisierung erfolgen. Bei Verwendung von isotonischer Kochsalzlösung bestehe die Gefahr der Verstopfung; in einem solchen Fall müsse das Portsystem operativ entfernt und ein neues implantiert werden; dies sei nicht unbegrenzt möglich; ohne Heparinisierung handele es sich bei dem Portsystem in ihrem Fall nach Auffassung der behandelnden Ärzte um eine "Zeitbombe". Bei der zu behandelnden Erkrankung HANE handele es sich um eine seltene, einer systematischen Erforschung praktisch verschlossene Krankheit, für die keine andere Behandlungsalternative zur Verfügung stehe. In einem solchen Fall sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch für nur im Ausland zugelassene Arzneimittel eine Kostenübernahmepflicht gegeben.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.09.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2006 zu verurteilen, ihr die Kosten für das Arzneimittel Canusal®, die seit August 2005 in Höhe von 164,60 EUR entstanden sind, zu erstatten und künftig die Kosten für das Arzneimittel nach ärztlicher Verordnung als Auslandsimport zu übernehmen, jeweils unter Berücksichtigung der von ihr zu leistenden gesetzlichen Zuzahlungen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung. Zur Begründung verweist sie ergänzend auf weitere MDK-Stellungnahmen der Ärzte Dr. N. und Dr. U. vom 18.08.2006, 08.09.2006, 13.10.2006, 19.01.2007 und 26.02.2007 sowie Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut zur Prävention gefäßkatheterassoziierter Infektionen aus dem Jahre 2002.
Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Auskünfte und gutachterliche Stellungnahmen eingeholt vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 26.07.2006, der Medizinischen Klinik III des Universitätsklinikum G. vom 11.09.2006 und der Medizinischen Klinik IV des Universitätsklinikum B. vom 30.11.2006.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der in der Vergangenheit entstandenen Kosten für die Selbstbechaffung des Arzneimittels Canusal® und die künftige Gewährung dieses Arzneimittels zu Lasten der Beklagten.
Die Voraussetzungen des für die Kostenerstattung allein in Betracht kommenden Anspruchs aus § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist eine Krankenkasse zur Kostenerstattung verpflichtet, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Die Beklagte hat die Versorgung mit dem Arzneimittel Canusal® nicht zu Unrecht abgelehnt.
Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R - m.w.N.). Zu diesen Leistungen gehörte die Versorgung mit dem Arzneimittel Canusal® nicht. Denn Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V) von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V ausgeschlossen, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/04 R). Dies ist bei Canusal® der Fall.
Canusal® ist ein Fertigarzneimittel im Sinne von § 4 Abs. 1 AMG. Derartige Fertigarzneimittel dürfen gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen worden sind oder wenn für sie die Kommission der Europäischen Gemeinschaft oder der Rat der Europäischen Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat. Daran fehlt es.
Für das zulassungspflichtige Canusal® lag weder in Deutschland noch für den Bereich der Europäischen Union (EU) insgesamt eine solche Arzneimittelzulassung vor. Die in Großbritannien erteilte Arzneimittelzulassung von Canusal®entfaltet nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen für Deutschland. Weder das deutsche Recht noch das Europarecht sehen eine solche Erweiterung der Rechtswirkungen der nur von nationalen Behörden erteilten Zulassungen ohne ein entsprechend vom Hersteller eingeleitetes sowie positiv entschiedenes Antragsverfahren vor (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R unter Hinweis auf BSGE 93, 1). Ein Leistungsanspruch der Klägerin lässt sich auch nicht aus den Grundsätzen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 = NZS 2006, 84 = NJW 2006, 891) im Wege einer verfassungskonformen Auslegung derjenigen Normen des SGB V, die dem Anspruch entgegenstehen, herleiten. Das BVerfG hat in dieser Entscheidung festgestellt, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Diese Kriterien sind im Fall der Klägerin nicht erfüllt. Zum einen wird Canusal® nicht zur Behandlung von HANE eingesetzt, sondern zur Pflege des Portkatheter-Systems; Portsysteme wiederum werden, wie der MDK zuletzt in seiner Stellungnahme vom 26.02.2007 - von der Klägerin nicht bestritten - mitgeteilt hat, vieltausendfach und täglich auch im ambulanten Bereich genutzt. Zum anderen ist HANE keine lebensbedrohliche oder vorhersehbar tödlich verlaufende Krankheit, bei der allein die engen Ausnahmekriterien des BVerfG zur Anwendung kommen.
Die Klägerin konnte und kann Canusal®auch nicht nach den Grundsätzen des sogenannten Off-Label-Use beanspruchen. Die Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung für ein nicht zugelassenes Medikament kommt danach grundsätzlich nur in Betracht, wenn es (1) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn (2) keine anderer Therapie verfügbar ist und wenn (3) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit Letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann (BSG, Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R = BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8). Diese Voraussetzungen sind nicht sämtlich erfüllt. Zwar geht die Kammer aufgrund der gutachtlichen Stellungnahmen der Universitätkliniken G. und B. vom 11.09. und 30.11.2006 davon aus, dass bei der Klägerin eine schwerwiegende, weil die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung im Sinne der ersten Voraussetzung vorliegt. Ebenso geht die Kammer nach diesen fachlichen Auskünften davon aus, dass die Krankheit selten ist. Canusal® wird aber, wie oben bereits ausgeführt, nicht zur unmittelbaren Behandlung von HANE eingesetzt, sondern zum Spülen des implantierten Portkatheters, durch den das im Bedarfsfall benötigte Arzneimittel Berinert® gespritzt wird. Die Pflege und das Spülen von Portsystemen ist aber nicht nur im Zusammenhang mit der Behandlung von HANE, sondern auch in vielen anderen Fällen und bei anderen Krankheitsbildern erforderlich. In diesem Sinne liegt kein Seltenheitsfall vor und ist insbesondere auch eine systematische Erforschung von Canusal® hinsichtlich seines Einsatzes zur Spülung von Portsystemen durchaus möglich. Entscheidend aber spricht nach Auffassung der Kammer gegen eine Leistung von Canusal® zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung, dass für das Spülen von zentralen Venenkathetern Alternativen zur Verfügung stehen und Heparinspülungen wissenschaftlich nicht unumstritten sind. Aus den von der Beklagten vorgelegten Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (Bundesgesundheitsblatt 2002, 907 ff.) besteht bei zentralen Kathetersystemen die Gefahr einer Thrombusbildung, die mit einer erhöhten Rate katheterassoziierter Infektionen einhergeht. Die Verwendung von verdünntem Heparin zur Spülung von Kathetern ist jedoch nach Empfehlungen des Robert Koch-Instituts hinsichtlich der Vermeidung einer Kathederokklusion nicht effektiver als die Spülung mit physiologischer Kochsalzlösung. Aufgrund möglicher Blutungskomplikationen sollten Heparinspülungen daher vermieden werden (Empfehlungen, a.a.O., S. 910). Die Ärzte der Medizinischen Klinik IV des Universitätklinikums Aachen haben in der Stellungnahme vom 30.11.2006 erklärt für die Pflege des Portkatheters sei die Sterilität das oberste Gebot. Für die Spülung des Portkatheters sei der Einsatz von Heparin zum Blocken des Systems zwar weit verbreitet; allerdings gebe es bislang keine randomisierten Studien, bei denen Heparin mit Kochsalz allein verglichen wurden. Für beide Alternativen gebe es Pro- und Contra-Argumente; in einer wissenschaftlichen Arbeit werde sogar über die Entwicklung eines Heparin- induzierten Thrombozytenabfalls (sog. HIT-Sydrom) nach Portspülung mit Heparin berichtet. Deshalb - so die Ärzte des Universitätklinikum B. - sei die Routine-Spülung venöser Katheter mit Heparin nicht unumstritten.
Zusammenfassend sieht die Kammer keinen rechtlichen Ansatz für die Erstattung bzw. künftige Leistung von Canusal® zu Lasten der Beklagten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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