L 8 AL 258/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 8 AL 493/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 AL 258/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 24. Januar 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Konkursausfallgeld beziehungsweise Insolvenzgeld. Der 1949 geborene Kläger war seit 1. Juni 1996 bei der Firma B S GmbH in P als Meister abhängig beschäftigt; vorher arbeitete er bei der Firma "R Elektrik". Die Einzelfirma befand sich, ebenso wie seit September 1991 die Stammeinlage der B-S GmbH, im alleinigen Besitz des Herrn A R. Das vereinbarte Brutto-Arbeitsentgelt des Klägers bei der B-S GmbH betrug 3.500,- DM monatlich zuzüglich 78,- DM Arbeitgeberanteil für vermögenswirksame Leistungen. Das Arbeitsverhältnis endete nach Angaben des Klägers durch mündliche Kündigung zum 11. November 1998 (letzte Gehaltsabrechnung: Brutto 1.283,33 DM + 78,- vermögenswirksame Leistungen). Der letzte in das Handelsregister eingetragene Geschäftsführer der B-S GmbH, Dr. H, legte sein Amt zum 31. August 1994 nieder. Das Registergericht versuchte daraufhin mehrfach vergeblich, die GmbH beziehungsweise deren Gesellschafter R zur formgerechten Anmeldung des Endes der Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers Dr. H sowie zur Bestellung eines neuen Geschäftsführers zu veranlassen. Auf Antrag des Dr. H hin bestellte das Amtsgericht P mit Wirkung ab dem 1. September 1997 den Mitarbeiter der B-S GmbH Herrn A D zum alleinvertretungsberechtigten Notgeschäftsführer. Dieser legte das Amt wiederum ab 1. April 1998 nieder und teilte dem Amtsgericht mit, dass es sich mit der GmbH in Verbindung setzen solle, um einen neuen Notgeschäftsführer zu bestellen. Der Ansprechpartner dort sei der Kläger. Im Rahmen des Bestellungsverfahrens war der Gesellschafter R unter der letzten dem Amtsgericht bekannten Anschrift nicht erreichbar, der unter der Anschrift der B-S GmbH angeschriebene Kläger äußerte sich nicht. Der vom Amtsgericht als Notgeschäftsführer in Aussicht genommene (jedoch nicht beauftragte) Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Diplom-Kaufmann G B, B, teilte dem Amtsgericht mit Schreiben vom 16. September 1998 mit, dass aus seiner Sicht kein Anlass für eine Notgeschäftsführung bestehe. Im Dezember 1998 wurde dem Amtsgericht bekannt, dass Arbeitnehmer der B-S GmbH Anträge auf Konkursausfallgeld gestellt hatten. Im Februar 1999 wies der Bevollmächtigte eines Gläubigers der GmbH, das Amtsgericht darauf hin, dass nunmehr "offensichtlich" auch die Belegschaft ihre Arbeit eingestellt habe und beantragte die Löschung der Gesellschaft. Der Löschung wurde wiederum zunächst von Prozessbevollmächtigten widersprochen, die zugunsten der B-S GmbH ein zivilrechtliches Vollstreckungsverfahren betrieben und darauf hinwiesen, dass die GmbH weitere Aktivprozesse betreibe. Nach Aktenlage erstritt die GmbH zuletzt am 20. Oktober 2000 ein Urteil auf Zahlung von 15.286,46 DM vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht. Tatsächlich wurde die B-S GmbH erst am 23. September 2003 von Amts wegen im Handelsregister gelöscht. In der Handwerksrolle der Handwerkskammer P war die GmbH dagegen bereits am 20. Juni 1999 gelöscht worden, ferner meldete die Stadtverwaltung P am 6. Februar 2001 rückwirkend zum 22. Juni 1999 von Amts wegen das angemeldete Gewerbe ab; eine tatsächliche Tätigkeit habe sich seither nicht nachweisen lassen. Zu einem unbekannten Zeitpunkt hatte schließlich die Krankenkasse KKH ein Gesamtvollstreckungsverfahren beantragt, das nach ihrer Angabe am Fehlen eines gesetzlichen Vertreters scheiterte. Der Kläger beantragte erstmals am 6. November 1998 die Gewährung von Konkursausfallgeld. Er gab an, dass er seit Oktober 1997 kein Arbeitsentgelt mehr erhalten habe. Seit Dezember 1998 sei in der Firma kein Arbeitnehmer mehr tätig. Zu dem Antrag legte er auch das von ihm erwirkte Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 14. Dezember 1998 (Az. 4 Ca 4080/98) vor (titulierte Bruttoforderung 46.514,00 DM = 13 x 3.500,- DM + 13 x 78,- DM für Oktober 1997 bis einschließlich Oktober 1998). Im Rahmen der Ermittlungen zur Feststellung eines Insolvenzereignisses erhielt die Beklagte von der Innungskrankenkasse Brandenburg und Berlin, Regionaldirektion Potsdam, im Oktober beziehungsweise Dezember 1999 die Information, dass die B-S G offene Beiträge über eine Zahlungsvereinbarung tilge und der Kläger vom Gesellschafter der GmbH mit einer Vollmacht vom 15. Juni 1999 ausgestattet sei, um die monatlichen Ratenzahlungen vorzunehmen. Ein an den Gesellschafter R unter der Anschrift seiner Mutter gesandter Fragebogen gelangte im Dezember 1999 an die Beklagte zurück. In dem Fragebogen war der 31. November 1998 als Tag der vollständigen Einstellung der Betriebstätigkeit angegeben. Die Frage, ob die Betriebseinstellung wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung erfolgt sei, wurde verneint; als Grund wurde "schlechte bzw. keine Zahlungsmoral" angegeben. Ein Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens sei nicht gestellt worden, da noch Klagen wegen offener Verbindlichkeiten anhängig seien. Ebenfalls im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Ermittlung eines Insolvenzereignisses fand – im März 2000 – ein Gespräch zwischen einem Mitarbeiter der Beklagten und dem Kläger statt. Ausweislich des von der Beklagten gefertigten Gesprächsvermerks teilte der Kläger dabei mit, dass er von Herrn R über dessen Mutter regelmäßig Geld erhalte, von dem er Raten an das Finanzamt, Krankenkassen und einen früheren Mitarbeiter der GmbH zahle sowie Schulden bei einem Elektrohändler begleiche. Die Herkunft des Geldes sei ihm nicht bekannt, den Aufenthaltsort des Herrn R wolle er nicht mitteilen. Den Antrag des Klägers vom 6. November 1998 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 6. Februar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2001 ab. Ein Insolvenzereignis sei nicht feststellbar. Eine gegen die Bescheide gerichtete Klage nahm er im Jahr 2002 zurück. Im Februar 2003 beantragte der Kläger die "Überprüfung" der ergangenen Bescheide und die Gewährung von Konkursausfallgeld. Die B-S GmbH sei nun von Amts wegen im Handelsregister gelöscht. Die Beklagte lehnte den Antrag, den sie als Neuantrag ansah, durch Bescheid vom 27. Januar 2004 ab. Zwar habe nun ein Insolvenztatbestand für den 22. Juni 1999 (vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit) festgestellt werden können. Jedoch habe der Kläger an verschiedene Gläubiger Zahlungen im Auftrag des Gesellschafters R geleistet. Es sei deshalb unglaubhaft, wenn er geltend mache, sein eigenes ausstehendes Arbeitsentgelt noch nicht erhalten zu haben. Gegen den Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Zwar seien die titulierten Lohnforderungen inzwischen teilweise befriedigt, da Maßnahmen der Zwangsvollstreckung erfolgreich gewesen seien und er auch Zahlungen des Herrn R bestimmungsgemäß zur Begleichung seiner Forderungen gegen die Firma verwandt habe. Noch immer seien aber Forderungen in Höhe von etwa 20.000,- DM offen. Ein Arbeitsrechtsstreit über die Lohnforderung für die Zeit vom 1. bis zum 11. November 1998 (Az. Arbeitsgericht Potsdam 4 Ca 189/99) habe nicht beendet werden können, da die Arbeitgeberin nicht habe geladen werden können. Dem Kläger sei der Aufenthaltsort des Herrn R nicht bekannt. Dieser sei 1996 oder 1997 mit für den Kläger unbekannten Aufenthalt aus P verzogen. Seither habe es nur telefonische Kontakte gegeben, zuletzt Anfang 2003. Durch Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2004 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung des Ausgangsbescheides zurück. Die Klage, mit der der Kläger sein Begehren weiter verfolgt hat, hat das Sozialgericht durch Urteil vom 24. Januar 2006 abgewiesen. Es sei nicht ersichtlich, dass er noch eine offene Gehaltsforderung gegen die B-S GmbH habe.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Er beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 24. Januar 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2004 aufzuheben und ihm für ausgefallenes Arbeitsentgelt aus dem Zeitraum 12. August 1998 bis 11. November 1998 Konkursausfallgeld beziehungsweise Insolvenzgeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Registerakten des Amtsgerichts Potsdam zu HRB 4283 lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung über die Berufung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Insolvenzgeld oder Konkursausfallgeld. Der Kläger hat unter der Geltung des Sozialgesetzbuches Drittes Buch (SGB III) einen Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld gestellt, was grundsätzlich zur Anwendung der Vorschriften dieses Gesetzes führt. Ausnahmsweise sind gemäß § 430 Abs. 5 SGB III jedoch dann noch die Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) über das Konkursausfallgeld anzuwenden, wenn das Insolvenzereignis vor dem 1. Januar 1999 eingetreten ist. Ob auf den geltend gemachten Anspruch noch das AFG oder bereits das SGB III anzuwenden ist, kann dahingestellt bleiben. Denn nach beiden Gesetzen erfüllt der Kläger nicht die Anspruchsvoraussetzungen. Anspruch auf Insolvenzgeld (§ 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III) beziehungsweise Konkursausfallgeld (§ 141b Abs. 1 Satz 1 AFG) haben Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt des sogenannten Insolvenzereignisses für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Selbst wenn zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass er noch offene Entgeltansprüche aus den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses hat, scheitert der Anspruch daran, dass ein Insolvenzereignis nicht nachgewiesen ist. Insolvenzereignisse sind die Eröffnung des Insolvenz- beziehungsweise Konkurs- beziehungsweise Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (§§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III, 141b Abs. 1 Satz 1 AFG), die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenz- beziehungsweise Konkurs- beziehungsweise Gesamtvollstreckungsverfahrens mangels Masse (§§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III, § 141 Abs. 3 Nr. 1) und die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit in Deutschland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenz- beziehungsweise Konkursverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenz- beziehungsweise Konkurs- beziehungsweise Gesamtvollstreckungsverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (§§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III, 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG). Maßgeblich ist stets das erste Insolvenzereignis, das gegenüber etwaigen späteren eine Sperrwirkung entfaltet (allgemeine Meinung, s. zusammenfassend Roeder in Niesel, SGB III, 3. Auflage 2005, § 183 Rz. 34). Als Insolvenzereignis kommt von vornherein nur das nach §§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III, 141 b Abs. 3 Nr. 2 AFG in Betracht. Denn ein Insolvenz- oder Gesamtvollstreckungsverfahren ist nicht eröffnet worden und auch das Insolvenzereignis der Abweisung des Antrags mangels Masse ist nicht eingetreten, weil kein Insolvenz- oder Gesamtvollstreckungsantrag mit dieser Begründung abgewiesen worden ist. Es ist nicht mit der für die Begründung eines Anspruchs notwendigen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellbar, dass das Insolvenzereignis der vollständigen Einstellung der Betriebstätigkeit bei offensichtlicher Masselosigkeit im Sinne der §§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III, 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG eingetreten ist. Dass die Beklagte selbst davon ausgeht, dass ein solches Insolvenzereignis am 22. Juni 1999 eingetreten ist, hat für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung. Das Gericht muss alle Anspruchsvoraussetzungen selbst prüfen. Im Gegensatz zum Verfahren vor den Zivil- und Arbeitsgerichten können die Beteiligten nicht einzelne Tatsachen, die eine Anspruchsvoraussetzung begründen, "unstreitig" stellen. Als nachgewiesen kann lediglich angesehen werden, dass die B-S GmbH spätestens in dem von der Beklagten angenommenen Zeitpunkt ihre Betriebstätigkeit im Inland vollständig eingestellt hatte. Für sie waren zu diesem Zeitpunkt keine Arbeitnehmer mehr tätig und Personen, die rechtswirksam für die GmbH hätten handeln können, waren nicht greifbar. Kein Nachweis ist dagegen für eine "offensichtliche Masselosigkeit" erbracht. Allein daraus, dass der Kläger ebenso wie andere Arbeitnehmer bei Einstellung der Betriebstätigkeit bereits seit geraumer Zeit keinen oder keinen vollständigen Lohn mehr erhalten hatten, kann dies nicht geschlossen werden. Vielmehr betrieb die B-S GmbH zu diesem Zeitpunkt noch Zivilprozesse zur Durchsetzung eigener Forderungen. Dass diese erfolgversprechend waren, wird dadurch belegt, dass die Prozessbevollmächtigten der GmbH in wenigstens einem dieser Prozesse der Löschung der GmbH widersprachen, um das Verfahren fortsetzen zu können. Der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Diplom-Kaufmann B konnte im September 1998 nach Einsicht in die – seit Jahren mangelhaft geführten – Bücher der GmbH ferner berichten, dass Lohn- und Umsatzsteuer im Wege von Voranmeldungen erklärt und abgeführt werden sowie dass die Sozialabgaben fristgerecht abgeführt werden. Schließlich beglich der Alleingesellschafter der GmbH, wie der Kläger selbst bekundet, jedenfalls auch Verbindlichkeiten der GmbH gegenüber verschiedenen Gläubigern. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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