Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 Kr 284/72
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 21. Februar 1972 aufgehoben.
Die Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin die Kosten der Heilbehandlung des J. T. auch über den 20. Juli 1969 hinaus zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, welche Krankenkasse für die Erkrankung des 1924 geborenen J. T. zuständig ist.
Der beigeladene T. war bei der Beklagten vom 29. April bis 7. Juli 1969 pflichtversichert und am 3. Juli 1969 bis 12. Juli 1969 wegen Tbc arbeitsunfähig erkrankt. Er war bei der Klägerin ab 21. Juli 1969 erneut versichert und erkrankte ab 11. August 1969 erneut an Tbc. Ab 13. August 1969 war er in Heilstättenbehandlung.
Der behandelnde Arzt Dr. L. teilte auf Antrage der Klägerin am 4. Oktober 1969 mit, daß der Beigeladene am 3. Juli 1969 ihm angegeben habe, er sei zur Röntgenkontrolle beim Gesundheitsamt W. gewesen, und man habe ihn zu einer Heilstättenbehandlung einberufen. Nach einigen Tagen habe er sich wieder gesundschreiben lassen, da das Heilstättenverfahren zunächst zurückgestellt worden sei. Man habe ihm gesagt, er könne wieder arbeiten. Daraufhin habe der Arzt ihn wieder gesundgeschrieben. Am 11. August 1969 sei der Beigeladene von der Mutter des Dr. L., Frau Dr. M. L., stationär eingewiesen worden.
Dr. S. von der Vertrauensärztlichen Dienststelle der LVA Hessen in R. teilte der Klägerin am 3. Dezember 1969 mit, daß die Lungen-Tbc des Beigeladenen seit 1957 bekannt sei. Es hätten mehrfach Heilstättenbehandlungen stattgefunden. Aus dem Bericht der Tbc-Fürsorgesprechstunde am 9. Juli 1969 in W. habe sich ergeben, daß eine infiltrative Herdbildung der Prod. Tuberkulose des linken Obergeschosses vorgelegen habe. Eine Blutsenkung habe 18/40 betragen. Auf diesen Befund hin mußten Behandlungsmaßnahmen wieder eingeleitet werden und außerdem Heilstättenbehandlung stattfinden. Nach diesem Befund sei es unverständlich, daß anschließend die Arbeit wieder aufgenommen worden sei. Seit dem Zeitpunkt der Röntgenuntersuchungen in W. sei eine durchgehende Erkrankung gegeben. Eine Arbeitsaufnahme als Bauarbeiter sei nicht gerechtfertigt gewesen.
Aufgrund dieses Sachverhalts forderte die Klägerin die Beklagte am 16. Februar 1970 auf, die Kosten für die Behandlung des Beigeladenen zu übernehmen, da es sich bei der Tätigkeit des Beigeladenen ab 21. Juli 1969 um einen mißglückten Arbeitsversuch gehandelt habe. Die Beklagte lehnte die Übernahme der Behandlungskosten am 23. Februar 1970 ab. Am 23. März 1970 wies die Klägerin erneut auf den mißglückten Arbeitsversuch hin. Die Beklagte lehnte am 20. Mai 1970 die Kostenübernahme erneut ab. Am 26. Juni 1970 wurde die Klägerin erneut bei der Beklagten vorstellig. Herr Dr. W. vom Vertrauensärztlichen Dienst der LVA in F. kam am 17. August 1970 zu dem Ergebnis, daß der Beigeladene ab 3. Juli 1969 dringend hätte krankgeschrieben bleiben müssen und am 11. Juli 1970 nicht hätte gesundgeschrieben werden dürfen. Er habe auch keinerlei Arbeit übernehmen dürfen, da eine Behandlung wegen Lungen-Tbc erforderlich war, bei der außerdem eine Eileinweisung für die Heilstättenkur lungenfachärztlich für notwendig erachtet wurde. Die Arbeit sei eindeutig nur unter der Gefahr der Verschlechterung des Leidens aufgenommen worden. Aus der Tatsache, daß der Beigeladene darum gebeten habe, den ersten Einberufungstermin zu verschieben, gehe ganz klar hervor, daß bei Übernahme der Arbeit bereits festgestanden habe, daß sie in kürzester Zeit wieder aufgegeben werden müsse.
Die Klägerin erhob Klage auf Feststellung, daß die Beklagte über den 20. Juli 1969 hinaus die für die Krankenversicherung des Beigeladenen zuständige Krankenkasse sei. Sie war weiterhin der Auffassung, daß die Arbeitsaufnahme am 21. Juli 1969 lediglich einen mißglückten Arbeitsversuch dargestellt habe.
Das SG Kassel lud J. T. zum Verfahren bei und wies die Klage mit Urteil vom 21. Februar 1972 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß die Klägerin seit dem 21. Juli 1969 zuständiger Krankenversicherungsträger für den Beigeladenen gewesen sei. Es habe sich nicht um einen mißglückten Arbeitsversuch gehandelt. Dieser Begriff sei nur mit äußerster Zurückhaltung anzuwenden, da er im Gesetz nicht enthalten sei. Er komme nur in Betracht, wenn objektiv keine Arbeitsleistung von wirtschaftlichem Wert vorgelegen habe und die Arbeit bereits vor Ablauf einer wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Zeit aus oben genannten Gründen wieder habe aufgegeben werden müssen. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht gegeben. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Beigeladene von vornherein unter Gefährdung seiner Gesundheit die Arbeit aufgenommen habe und ob von vornherein feststand, daß er sie spätestens nach dem 8. August 1969 wieder habe aufgeben müssen. Jedenfalls habe der Beigeladene volle drei Arbeitswochen mit einer Mindestarbeitszeit von 42. Stunden Bauarbeiten persönlich abhängig verrichtet und dafür einen Arbeitslohn von insgesamt 800,– DM erhalten. Damit sei der Beigeladene versicherungspflichtig beschäftigt gewesen.
Gegen dieses der Klägerin am 1. März 1972 zugestellte Urteil richtet sich deren am 15. März 1972 schriftlich bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung, mit der die Klägerin nunmehr geltend macht, daß die Beklagte DM 8.064,61 und weitere Kosten zu erstatten habe. Sie bezieht sich weiterhin darauf, daß ein mißglückter Arbeitsversuch vorgelegen habe und beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 21. Februar 1972 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, DM 8.064,61 sowie weitere verauslagte Beträge zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen, der Verwaltungsakten der Klägerin und der Tbc-Fürsorge-Akten des Landkreises W. Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Berufung der Klägerin ist auch statthaft (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG).
Der Senat konnte in Abwesenheit der Beklagten auf Antrag der Klägerin nach Lage der Akten gemäß § 126 SGG entscheiden, da die Beteiligten bei der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden waren (§ 110 SGG).
Obwohl die Klägerin zunächst eine Feststellungsklage erhoben hat, über die das angefochtene Urteil sich entschied, ist in der Berufungsinstanz nunmehr ein Leistungsantrag gestellt worden. Hierin liegt eine Klageänderung, die auch in der Berufungsinstanz noch möglich ist (vgl. Peters-Sautter-Wolff, Komm. z. SGG, Anm. 1 zu § 99 SGG). Da sich die Beklagte auf die geänderte Klage eingelassen und damit in die Änderung eingewilligt hat (§ 99 Abs. 2 SGG) ist darüber hinaus die Änderung auch sachdienlich, weil ein Teil des Anspruchs der Klägerin ziffernmäßig feststeht, ist die Klagänderung zulässig (§ 99 Abs. 1 SGG).
Sachlich ist die Berufung auch begründet.
Unstreitig ist der Beigeladene gemäß § 165 Abs. 1 Ziff. 1 RVO sowohl bei der Klägerin als auch bei der Beklagten versicherungspflichtiges Mitglied gewesen, wobei vorliegend lediglich zu entscheiden war, ob es sich bei einer Beschäftigung bei der Firma J. um einen sog. mißglückten Arbeitsversuch gehandelt hat und deshalb im Verhältnis zur Klägerin ein gültiges Versicherungsverhältnis nicht zustande gekommen ist.
Ein mißglückter Arbeitsversuch – ein Begriff, der zwar nicht im Gesetz enthalten, aber aus praktischen Erwägungen von der Rechtsprechung herausgearbeitet worden ist – liegt nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) vor, wenn die Beschäftigung zwar nicht schon in den ersten Tagen, jedoch noch vor Ablauf einer wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Zeit wieder aufgegeben wird, weil der Beschäftigte zu ihrer Verrichtung von vornherein nicht oder nur unter schwerwiegender Gefährdung seiner Gesundheit fähig war (vgl. Urteil vom 10. November 1970, SGb 1971 S. 362 mit Anm. von Schnorr v. Carolsfeld). Diese Rechtsprechung hat das BSG im Urteil vom 22. Februar 1974 (SozR. 2200 § 165 RVO Nr. 2) erneut bestätigt und hinzugefügt, daß die Versicherung nicht wirksam werde, wenn der Beschäftigte bis zu 3 Wochen gearbeitet hat, aber nicht sicher sein konnte, daß er für die Arbeit fähig war. So lagen die Dinge auch hier.
Danach nimmt der Senat im Gegensatz zu der Auffassung des Sozialgerichts einen mißglückten Arbeitsversuch an. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Beigeladene bereits bei der Aufnahme der Arbeit bei der Firma J. wußte, daß die Beschäftigung nur von kurzer Dauer sein konnte, da er an dringend behandlungsbedürftiger Tuberkulose erkrankt war. Dies war dem Beigeladenen seit der Röntgen-Untersuchung im Gesundheitsamt W. und der daraufhin sofort eingeleiteten Eilaufnahme in eine Heilstätte bekannt. Bei dieser Sachlage ist es völlig unglaubhaft, wenn der Beigeladene angibt, das Gesundheitsamt habe gegen eine Arbeitsaufnahme nichts einzuwenden gehabt und sich mit dieser Begründung wieder gesundschreiben ließ. Es ist dem Senat auch völlig unverständlich, wie Dr. L. den Beigeladenen wieder gesund schreiben konnte, nachdem ihm der massive Röntgen-Befund und die erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit bekannt sein mußte. Selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte er sich den Befund unschwer beschaffen können, ehe er den Beigeladenen gesundschrieb. Nur hierdurch ist es zu der erneuten Arbeitsaufnahme des Beigeladenen gekommen.
Obwohl der Beigeladene eine Zeit von etwa 3 Wochen – formell versichert bei der Klägerin – gearbeitet hat, liegt ein mißglückter Arbeitsversuch vor, da eine nur kurze Dauer der Arbeitsunfähigkeit bei diesem Sachverhalt abzusehen war. Auch das BSG hat in der zit. Entscheidung vom 22. Februar 1974 (a.a.O.) eine Tätigkeit von 3 Wochen noch nicht als versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis angesehen. Wenn eine Arbeit nur auf die Gefahr einer weiteren Verschlimmerung aufgenommen wird, kommt es nicht entscheidend darauf an, ob Arbeit von wirtschaftlichem Wert geleistet worden ist. Liegt somit ein mißglückter Arbeitsversuch vor, ist ein gültiges Versicherungsverhältnis zur Klägerin durch die Arbeitsaufnahme bei der Fa. J. nicht zustande gekommen. Hinsichtlich der medizinischen Beurteilung folgt der Senat vor allem der Auffassung des Dr. S. und des Dr. W., die die Sachlage objektiv auf Grund der vorliegenden Befunde beurteilt haben. Durch die Stellungnahme des Dr. G. werden ihre Feststellungen nicht erschüttert. Dies bedeutet, daß die Klägerin nicht leistungspflichtig gegenüber dem Beigeladenen war.
Dagegen lag eine Leistungsverpflichtung seitens der Beklagten vor, da der Beigeladene während der zu ihr bestehenden Versicherungspflicht am 3. Juli 1969 erkrankt ist und diese Erkrankung fortbestanden hat, wie sich insbesondere aus den gutachtlichen Stellungnahmen des Dr. S. und des Dr. W. ergibt. Wenn der Beigeladene, wie seine Ehefrau angegeben hat, vom 14. Juli 1969 bis 19. Februar 1970 Arbeitslosenhilfe bezogen hat, kommt außerdem § 214 RVO als Rechtsgrundlage in Betracht, weil im Falle eines mißglückten Arbeitsversuches der Eintritt des Versicherungsfalles mit Beginn des Arbeitsverhältnisses bei der Firma J. Söhne angenommen werden muß. Aufgrund der Arbeitslosigkeit bestand die Mitgliedschaft bei der Beklagten gemäß §§ 155/159 AFG im übrigen fort.
Nach allem ist die Beklagte auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs der Klägerin insoweit zur Erstattung verpflichtet, als sie Leistungen erbracht hat.
Dementsprechend war das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Kassel aufzuheben.
Der Senat konnte jedoch kein Leistungsurteil auf einen bestimmten Geldbetrag erlassen, da die Höhe der Forderung der Klägerin noch nicht feststeht. Sie bezeichnet in ihrem Berufungsantrag selbst das III. Quartal 1971 als noch nicht abgerechnet und hat dies auch später nicht nachgeholt. Es kam daher nur ein Grundurteil nach § 130 SGG in Betracht, da eine Leistung in Geld begehrt wird, deren Höhe noch nicht festzustellen war.
Eine Kostenentscheidung kam wegen § 193 Abs. 4 SGG nicht in Betracht, nach dem Aufwendungen von Behörden nicht erstattungsfähig sind.
Die Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin die Kosten der Heilbehandlung des J. T. auch über den 20. Juli 1969 hinaus zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, welche Krankenkasse für die Erkrankung des 1924 geborenen J. T. zuständig ist.
Der beigeladene T. war bei der Beklagten vom 29. April bis 7. Juli 1969 pflichtversichert und am 3. Juli 1969 bis 12. Juli 1969 wegen Tbc arbeitsunfähig erkrankt. Er war bei der Klägerin ab 21. Juli 1969 erneut versichert und erkrankte ab 11. August 1969 erneut an Tbc. Ab 13. August 1969 war er in Heilstättenbehandlung.
Der behandelnde Arzt Dr. L. teilte auf Antrage der Klägerin am 4. Oktober 1969 mit, daß der Beigeladene am 3. Juli 1969 ihm angegeben habe, er sei zur Röntgenkontrolle beim Gesundheitsamt W. gewesen, und man habe ihn zu einer Heilstättenbehandlung einberufen. Nach einigen Tagen habe er sich wieder gesundschreiben lassen, da das Heilstättenverfahren zunächst zurückgestellt worden sei. Man habe ihm gesagt, er könne wieder arbeiten. Daraufhin habe der Arzt ihn wieder gesundgeschrieben. Am 11. August 1969 sei der Beigeladene von der Mutter des Dr. L., Frau Dr. M. L., stationär eingewiesen worden.
Dr. S. von der Vertrauensärztlichen Dienststelle der LVA Hessen in R. teilte der Klägerin am 3. Dezember 1969 mit, daß die Lungen-Tbc des Beigeladenen seit 1957 bekannt sei. Es hätten mehrfach Heilstättenbehandlungen stattgefunden. Aus dem Bericht der Tbc-Fürsorgesprechstunde am 9. Juli 1969 in W. habe sich ergeben, daß eine infiltrative Herdbildung der Prod. Tuberkulose des linken Obergeschosses vorgelegen habe. Eine Blutsenkung habe 18/40 betragen. Auf diesen Befund hin mußten Behandlungsmaßnahmen wieder eingeleitet werden und außerdem Heilstättenbehandlung stattfinden. Nach diesem Befund sei es unverständlich, daß anschließend die Arbeit wieder aufgenommen worden sei. Seit dem Zeitpunkt der Röntgenuntersuchungen in W. sei eine durchgehende Erkrankung gegeben. Eine Arbeitsaufnahme als Bauarbeiter sei nicht gerechtfertigt gewesen.
Aufgrund dieses Sachverhalts forderte die Klägerin die Beklagte am 16. Februar 1970 auf, die Kosten für die Behandlung des Beigeladenen zu übernehmen, da es sich bei der Tätigkeit des Beigeladenen ab 21. Juli 1969 um einen mißglückten Arbeitsversuch gehandelt habe. Die Beklagte lehnte die Übernahme der Behandlungskosten am 23. Februar 1970 ab. Am 23. März 1970 wies die Klägerin erneut auf den mißglückten Arbeitsversuch hin. Die Beklagte lehnte am 20. Mai 1970 die Kostenübernahme erneut ab. Am 26. Juni 1970 wurde die Klägerin erneut bei der Beklagten vorstellig. Herr Dr. W. vom Vertrauensärztlichen Dienst der LVA in F. kam am 17. August 1970 zu dem Ergebnis, daß der Beigeladene ab 3. Juli 1969 dringend hätte krankgeschrieben bleiben müssen und am 11. Juli 1970 nicht hätte gesundgeschrieben werden dürfen. Er habe auch keinerlei Arbeit übernehmen dürfen, da eine Behandlung wegen Lungen-Tbc erforderlich war, bei der außerdem eine Eileinweisung für die Heilstättenkur lungenfachärztlich für notwendig erachtet wurde. Die Arbeit sei eindeutig nur unter der Gefahr der Verschlechterung des Leidens aufgenommen worden. Aus der Tatsache, daß der Beigeladene darum gebeten habe, den ersten Einberufungstermin zu verschieben, gehe ganz klar hervor, daß bei Übernahme der Arbeit bereits festgestanden habe, daß sie in kürzester Zeit wieder aufgegeben werden müsse.
Die Klägerin erhob Klage auf Feststellung, daß die Beklagte über den 20. Juli 1969 hinaus die für die Krankenversicherung des Beigeladenen zuständige Krankenkasse sei. Sie war weiterhin der Auffassung, daß die Arbeitsaufnahme am 21. Juli 1969 lediglich einen mißglückten Arbeitsversuch dargestellt habe.
Das SG Kassel lud J. T. zum Verfahren bei und wies die Klage mit Urteil vom 21. Februar 1972 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß die Klägerin seit dem 21. Juli 1969 zuständiger Krankenversicherungsträger für den Beigeladenen gewesen sei. Es habe sich nicht um einen mißglückten Arbeitsversuch gehandelt. Dieser Begriff sei nur mit äußerster Zurückhaltung anzuwenden, da er im Gesetz nicht enthalten sei. Er komme nur in Betracht, wenn objektiv keine Arbeitsleistung von wirtschaftlichem Wert vorgelegen habe und die Arbeit bereits vor Ablauf einer wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Zeit aus oben genannten Gründen wieder habe aufgegeben werden müssen. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht gegeben. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Beigeladene von vornherein unter Gefährdung seiner Gesundheit die Arbeit aufgenommen habe und ob von vornherein feststand, daß er sie spätestens nach dem 8. August 1969 wieder habe aufgeben müssen. Jedenfalls habe der Beigeladene volle drei Arbeitswochen mit einer Mindestarbeitszeit von 42. Stunden Bauarbeiten persönlich abhängig verrichtet und dafür einen Arbeitslohn von insgesamt 800,– DM erhalten. Damit sei der Beigeladene versicherungspflichtig beschäftigt gewesen.
Gegen dieses der Klägerin am 1. März 1972 zugestellte Urteil richtet sich deren am 15. März 1972 schriftlich bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung, mit der die Klägerin nunmehr geltend macht, daß die Beklagte DM 8.064,61 und weitere Kosten zu erstatten habe. Sie bezieht sich weiterhin darauf, daß ein mißglückter Arbeitsversuch vorgelegen habe und beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 21. Februar 1972 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, DM 8.064,61 sowie weitere verauslagte Beträge zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen, der Verwaltungsakten der Klägerin und der Tbc-Fürsorge-Akten des Landkreises W. Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Berufung der Klägerin ist auch statthaft (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG).
Der Senat konnte in Abwesenheit der Beklagten auf Antrag der Klägerin nach Lage der Akten gemäß § 126 SGG entscheiden, da die Beteiligten bei der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden waren (§ 110 SGG).
Obwohl die Klägerin zunächst eine Feststellungsklage erhoben hat, über die das angefochtene Urteil sich entschied, ist in der Berufungsinstanz nunmehr ein Leistungsantrag gestellt worden. Hierin liegt eine Klageänderung, die auch in der Berufungsinstanz noch möglich ist (vgl. Peters-Sautter-Wolff, Komm. z. SGG, Anm. 1 zu § 99 SGG). Da sich die Beklagte auf die geänderte Klage eingelassen und damit in die Änderung eingewilligt hat (§ 99 Abs. 2 SGG) ist darüber hinaus die Änderung auch sachdienlich, weil ein Teil des Anspruchs der Klägerin ziffernmäßig feststeht, ist die Klagänderung zulässig (§ 99 Abs. 1 SGG).
Sachlich ist die Berufung auch begründet.
Unstreitig ist der Beigeladene gemäß § 165 Abs. 1 Ziff. 1 RVO sowohl bei der Klägerin als auch bei der Beklagten versicherungspflichtiges Mitglied gewesen, wobei vorliegend lediglich zu entscheiden war, ob es sich bei einer Beschäftigung bei der Firma J. um einen sog. mißglückten Arbeitsversuch gehandelt hat und deshalb im Verhältnis zur Klägerin ein gültiges Versicherungsverhältnis nicht zustande gekommen ist.
Ein mißglückter Arbeitsversuch – ein Begriff, der zwar nicht im Gesetz enthalten, aber aus praktischen Erwägungen von der Rechtsprechung herausgearbeitet worden ist – liegt nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) vor, wenn die Beschäftigung zwar nicht schon in den ersten Tagen, jedoch noch vor Ablauf einer wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Zeit wieder aufgegeben wird, weil der Beschäftigte zu ihrer Verrichtung von vornherein nicht oder nur unter schwerwiegender Gefährdung seiner Gesundheit fähig war (vgl. Urteil vom 10. November 1970, SGb 1971 S. 362 mit Anm. von Schnorr v. Carolsfeld). Diese Rechtsprechung hat das BSG im Urteil vom 22. Februar 1974 (SozR. 2200 § 165 RVO Nr. 2) erneut bestätigt und hinzugefügt, daß die Versicherung nicht wirksam werde, wenn der Beschäftigte bis zu 3 Wochen gearbeitet hat, aber nicht sicher sein konnte, daß er für die Arbeit fähig war. So lagen die Dinge auch hier.
Danach nimmt der Senat im Gegensatz zu der Auffassung des Sozialgerichts einen mißglückten Arbeitsversuch an. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Beigeladene bereits bei der Aufnahme der Arbeit bei der Firma J. wußte, daß die Beschäftigung nur von kurzer Dauer sein konnte, da er an dringend behandlungsbedürftiger Tuberkulose erkrankt war. Dies war dem Beigeladenen seit der Röntgen-Untersuchung im Gesundheitsamt W. und der daraufhin sofort eingeleiteten Eilaufnahme in eine Heilstätte bekannt. Bei dieser Sachlage ist es völlig unglaubhaft, wenn der Beigeladene angibt, das Gesundheitsamt habe gegen eine Arbeitsaufnahme nichts einzuwenden gehabt und sich mit dieser Begründung wieder gesundschreiben ließ. Es ist dem Senat auch völlig unverständlich, wie Dr. L. den Beigeladenen wieder gesund schreiben konnte, nachdem ihm der massive Röntgen-Befund und die erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit bekannt sein mußte. Selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte er sich den Befund unschwer beschaffen können, ehe er den Beigeladenen gesundschrieb. Nur hierdurch ist es zu der erneuten Arbeitsaufnahme des Beigeladenen gekommen.
Obwohl der Beigeladene eine Zeit von etwa 3 Wochen – formell versichert bei der Klägerin – gearbeitet hat, liegt ein mißglückter Arbeitsversuch vor, da eine nur kurze Dauer der Arbeitsunfähigkeit bei diesem Sachverhalt abzusehen war. Auch das BSG hat in der zit. Entscheidung vom 22. Februar 1974 (a.a.O.) eine Tätigkeit von 3 Wochen noch nicht als versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis angesehen. Wenn eine Arbeit nur auf die Gefahr einer weiteren Verschlimmerung aufgenommen wird, kommt es nicht entscheidend darauf an, ob Arbeit von wirtschaftlichem Wert geleistet worden ist. Liegt somit ein mißglückter Arbeitsversuch vor, ist ein gültiges Versicherungsverhältnis zur Klägerin durch die Arbeitsaufnahme bei der Fa. J. nicht zustande gekommen. Hinsichtlich der medizinischen Beurteilung folgt der Senat vor allem der Auffassung des Dr. S. und des Dr. W., die die Sachlage objektiv auf Grund der vorliegenden Befunde beurteilt haben. Durch die Stellungnahme des Dr. G. werden ihre Feststellungen nicht erschüttert. Dies bedeutet, daß die Klägerin nicht leistungspflichtig gegenüber dem Beigeladenen war.
Dagegen lag eine Leistungsverpflichtung seitens der Beklagten vor, da der Beigeladene während der zu ihr bestehenden Versicherungspflicht am 3. Juli 1969 erkrankt ist und diese Erkrankung fortbestanden hat, wie sich insbesondere aus den gutachtlichen Stellungnahmen des Dr. S. und des Dr. W. ergibt. Wenn der Beigeladene, wie seine Ehefrau angegeben hat, vom 14. Juli 1969 bis 19. Februar 1970 Arbeitslosenhilfe bezogen hat, kommt außerdem § 214 RVO als Rechtsgrundlage in Betracht, weil im Falle eines mißglückten Arbeitsversuches der Eintritt des Versicherungsfalles mit Beginn des Arbeitsverhältnisses bei der Firma J. Söhne angenommen werden muß. Aufgrund der Arbeitslosigkeit bestand die Mitgliedschaft bei der Beklagten gemäß §§ 155/159 AFG im übrigen fort.
Nach allem ist die Beklagte auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs der Klägerin insoweit zur Erstattung verpflichtet, als sie Leistungen erbracht hat.
Dementsprechend war das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Kassel aufzuheben.
Der Senat konnte jedoch kein Leistungsurteil auf einen bestimmten Geldbetrag erlassen, da die Höhe der Forderung der Klägerin noch nicht feststeht. Sie bezeichnet in ihrem Berufungsantrag selbst das III. Quartal 1971 als noch nicht abgerechnet und hat dies auch später nicht nachgeholt. Es kam daher nur ein Grundurteil nach § 130 SGG in Betracht, da eine Leistung in Geld begehrt wird, deren Höhe noch nicht festzustellen war.
Eine Kostenentscheidung kam wegen § 193 Abs. 4 SGG nicht in Betracht, nach dem Aufwendungen von Behörden nicht erstattungsfähig sind.
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