L 5 R 5010/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 240/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 5010/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24.8.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1956 geborene (zum dritten Mal verheiratete) Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er war (u. a.) als Werkzeugmacher und als Messtechniker sowie (von 1994 bis 1997) als Ko. in der Gastwirtschaft seiner damaligen Ehefrau beschäftigt. Nach einem Auslandsaufenthalt arbeitete er kurze Zeit als Kraftfahrer und war sodann arbeitsunfähig erkrankt bzw. arbeitslos. Schließlich übte er (zuletzt) von März bis November 2000 eine Anlerntätigkeit im Fluggastkontrolldienst am Flughafen Söllingen aus (Verwaltungsakte S. 221).

Am 25.3.2002 (Verwaltungsakte S. 155) beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Zuvor hatte er vom 2. bis 30.3. 1999 sowie vom 29.5. bis 26.6.2001 stationäre Rehabilitationsbehandlungen absolviert. Im Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Sonnhalde, Donaueschingen, vom 9.4.1999 sind die Diagnosen Wurzelirritation C 5 und C 6 rechts bei kleinem Bandscheibenprolaps C 4/5 und älterem Prolaps C 5/6, chronische Raucherbronchitis bei Nikotinabusus, Hyperlipidämie und Verdacht auf psychosoziale Fehlentwicklung mit zunehmender Minderung der Leistungsmotivation festgehalten. Der 42-jährige Kläger stehe nach schwieriger persönlicher Entwicklung (früher Verlust des Vaters, unstete berufliche Entwicklung, Zerrüttung der Ehe und Auslandsaufenthalt ohne soziale Absicherung) in Gefahr, anhaltend soziale Sicherungssysteme in Anspruch zu nehmen. Er könne weiterhin vollschichtig arbeiten. In der Ziegelfeldklinik St. Bl. fand man ein Schulter-Arm-Syndrom rechts bei 1998 kernspintomographisch nachgewiesenem kleinem Bandscheibenvorfall C 4/5 und C 5/6; eine innerbetriebliche Umsetzung sei anzustreben. Der Kläger solle das Heben und Tragen schwerer Lasten über 10 Kilogramm sowie Überkopfarbeiten mit dem rechten Arm vermeiden (Entlassungsbericht vom 4.7.2001).

Die Beklagte erhob die Gutachten des Orthopäden Dipl.-med. M. vom 5.8.2002 und des Nervenarztes Dr. St. vom 14.9.2002.

Dipl.-med. M. diagnostizierte ein rechtsbetontes Schulter-Arm-Syndrom, psychogene Überlagerung, Nikotinbelastung, Hyperurikämie und Hyperlipidämie. Der Kläger könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) vollschichtig verrichten, als Fluggastkontrolleur jedoch nur noch unter sechs Stunden täglich arbeiten. Dr. St. fand auf neurologischem und psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachgebiet keine Störungen von Krankheitswert; psychomotorische Auffälligkeiten oder eine depressive Stimmung waren nicht festzustellen, jedoch zeigten sich deutliches Aggravationsverhalten und eine Tendenz zur Simulation. Der Kläger habe erhebliches Kranksein bezüglich des rechten Arms demonstriert. Die Angaben des Klägers zu Gefühlsstörungen in der Mittellinie des Körpers würden an sich so nur im Rahmen einer bewussten Vortäuschung beobachtet. Hinweise auf eine Schädigung von Nervenwurzeln gebe es nicht. Die Beschwerdedarstellung entspreche nicht einmal ansatzweise dem von Wurzelreizungen bekannten Krankheitsbild. Objektive Funktionsstörungen lägen ebenso wenig vor wie psychische Störungen von Krankheitswert. Der Kläger zeige eine vorwurfsvoll-aggressive Grundhaltung gegenüber dem Rentenversicherungsträger und sei missmutig. Auch bei den Zusatzuntersuchungen seien keine weiteren Auffälligkeiten hinsichtlich der peripheren Nerven festgestellt worden. Möglicherweise sei es vorübergehend zu leichteren Wurzelreizungen gekommen, die jetzt stark ausgestaltet dargestellt würden mit dem Ziel, weitere Arbeitsunfähigkeit zu untermauern. Trotz möglicherweise tatsächlich vorhandener leichterer Schmerzen könne er einer Erwerbstätigkeit nachgehen, zumal er in der Lage sei, täglich über viele Stunden mit seinen beiden Schäferhunden spazieren zu gehen und sich an der Hausarbeit zu beteiligen.

Mit Bescheid vom 26.9.2002 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, er leide unter ständigen Schmerzen im Bereich der rechten Schulter und könne ohne Medikamente nicht auskommen. Wegen der Medikamente werde er sehr müde. Er habe oft keine Kraft in der rechten Hand und könne den rechten Arm nicht hochheben. Auch das Autofahren falle ihm immer schwerer.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.1.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, worauf der Kläger am 4.2.2003 Klage beim Sozialgericht Reutlingen erhob. Zur Begründung legte er ein (von ihm in Auftrag gegebenes) Gutachten des Dr. Dr. H.R. B., vom 2.10.2003 (SG-Akte S. 25), von dem er neben dessen Sohn, Dr. Dr. N. B., behandelt wurde, vor. Danach könne er aus Sicht des neurologisch-psychiatrischen Fachgebiets nur noch weniger als drei Stunden täglich arbeiten; eine Umschulung sei jetzt dringend erforderlich, wobei eine sitzende Tätigkeit (Computerarbeit) in Betracht käme.

Die Beklagte legte hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Schw. vom 15.1.2004 (SG-Akte S. 92) vor. Darin ist ausgeführt, Dr. Dr. H.R. B. hätten die Rentenakten nicht vorgelegen. Dieser habe auch die Auswirkungen der behaupteten Depressionen auf Alltagsleben und Tagesablauf nicht eruiert. Außerdem würden depressive Störungen offenbar nicht behandelt. Dr. St. habe im Übrigen das Vorliegen depressiver Störungen ausdrücklich ausgeschlossen. Auch die vom Vorgutachter klar konstatierten Aggravationstendenzen spreche Dr. Dr. H.R. B. nicht an. Widersprüchlich sei das Erfordernis einer Umschulung bei zugleich festgestellter Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden täglich. Offenbar stütze sich Dr. Dr. H.R. B. einseitig auf das Vorbringen des Klägers. Gegen das Vorliegen einer Depressionen spreche, dass der Kläger zum dritten Mal geheiratet, den gesamten Hausstand verlegt, ein völlig neues Leben begonnen und eine Umschulung geplant habe. Eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit sei nicht erkennbar.

Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte und erhob (von Amts wegen) die Gutachten des Dr. Dr. H.R. B. vom 7.12.2005 und des Orthopäden Dr. B. vom 22.3.2006.

Dr. Dr. N. B. teilte im Bericht vom 24.8.2004 mit, der Kläger habe sich am 4.6., 7.7. und 2.9.2003 sowie zuletzt am 4.6.2004 vorgestellt, zwischenzeitlich aber offenbar auch bei seinem (nicht mehr praktizierenden) Vater - Dr. Dr. H.R. B. - im Rahmen der Urlaubsvertretung. Beim Kläger liege (u. a.) ein radikuläres Schmerzsyndrom und ein geringfügig sensibles Ausfallsyndrom L5/S1 links vor. Außerdem leide er an deutlicher depressiver Herabgestimmtheit; eine medikamentöse oder psychotherapeutische Behandlung sei nicht unternommen worden. Der Allgemeinarzt K. vertrat im Bericht vom 16.9.2004 die Auffassung, der Kläger könne einer regelmäßigen Tätigkeit von mehr als sechs Stunden täglich nicht nachgehen und nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten. Im Bericht vom 9.8.2005 (SG-Akte S. 102) gab er eine kontinuierliche Verschlechterung des psychischen Zustands und einen Progress des Cervicobrachialsyndroms an. Im Bericht vom 10.7.2006 (SG-Akte S. 191) werden im Wesentlichen keine gravierenden Veränderungen mitgeteilt außer schwerem Husten mit Erstickungsanfällen, weswegen eine pulmologische Mitbehandlung stattfinde; etwa seit September 2005 sei die Diagnose eines obstruktiven Schlafapnoesyndroms gestellt worden. Das Städtische Klinikum Karlsruhe (Schmerzambulanz) führte im Bericht vom 17.9.2004 aus, der Kläger habe sich dreimal vorgestellt (erstmals am 26.7.2004, letztmals am 16.8.2004); der Leistungseinschätzung in den Verwaltungsgutachten werde zugestimmt. Der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde H. teilte dem Sozialgericht am 21.8.2006 (telefonisch, SG-Akte II S. 212) mit, seit 2.6.2006 (SG-Akte S. 193) fänden keine weiteren Behandlungen statt. Der Kläger stehe nicht unter Medikation; die Anwendung eines Sprays sei abgesetzt worden. Auch zu einer Protrusionsschiene (im Mund) als zahnärztliches Hilfsmittel zur Behandlung von Schlafapnoe sei nichts Neues bekannt. Hinsichtlich einer - nach Befunden vom 25.8.2005 leichtgradigen - Lungenerkrankung sei keine weitere Behandlung erfolgt.

Dr. Dr. H.R. B. diagnostizierte in seinem Gutachten (bei leichterer funktioneller Überlagerung, insbesondere hinsichtlich der Funktionsprüfung der Muskulatur der rechten oberen Extremität sowie der Koordinationsprüfung ohne erkennbare bewusste Simulationstendenzen) ein depressives Syndrom mit Ressentimenteinstellung und latenten, intermittierend auftretenden Suizidideen, ein ausgeprägtes Schulter-Arm-Syndrom, cerebellare Koordinationsstörungen, neuralgieforme Beschwerden von Seiten des Nervus occipitalis minor rechts, ein Lumbalsyndrom, eine radikuläre Ischiasneuritis beidseits, radikuläre Reizerscheinungen der hinteren sensiblen Wurzeln S 2 bis S 5 beidseits und C 6 bis C 8 rechts, Hypästhesien und Dysästhesien des Nervus cutaneus femoris fibularis links, eine Extensionsschwäche der Zehen II bis IV links sowie einen früher röntgenologisch konstatierten Prolaps C 4/5 und C 5/6. Bei den vorliegenden neurologischen und psychopathologischen Ausfallerscheinungen könne der Kläger leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) nur noch drei bis vier Stunden täglich verrichten. Es lägen sowohl körperliche als auch seelisch-geistige Störungen in Form einer Depression vor. Aggravation und Simulation sei auch unter Anlegung eines strengen Maßstabs zweifelsfrei auszuschließen. Die festgestellten Gesundheitsstörungen hätten bereits seit 7.7.2003 bestanden. Nach Angaben des Klägers und seiner Ehefrau sei es zu einer wesentlichen Progression der psychopathologischen Ausfallerscheinungen seit 5.8. bzw. 14.9.2002 gekommen. Wahrscheinlich habe sich der Gesundheitszustand seit der Begutachtung im Verwaltungsverfahren verschlechtert; allerdings werde bezweifelt, dass seinerzeit überhaupt eine exakte Untersuchung erfolgt sei. Insbesondere könne an der Auffassung des Neurologen und Psychiaters Dr. St. gar nicht festgehalten werden. Sowohl er, der Gutachter, wie sein Sohn - Dr. Dr. N. B. - hätten eine ganze Reihe und Fülle neurologischer Ausfallerscheinungen gefunden.

Der Orthopäde Dr. B. führte in seinem Gutachten aus, der Kläger sei am 23.11.2000 bei der Arbeit als Luftsicherheitsassistent über eine Tasche gestolpert und auf ein Förderband gefallen; nach der deswegen in der Stadtklinik Baden-Baden durchgeführten Behandlung habe er nicht mehr gearbeitet. Der Kläger nehme Medikamente ein, Krankengymnastik oder Massagebehandlung finde nicht statt. Zum Tagesablauf befragt, habe er angegeben, er stehe gegen 8:00 Uhr auf, frühstücke, gehe sodann mit seinem Schäferhund etwa 30 bis 45 Minuten spazieren. Danach bereite er das Mittagessen vor und esse mit seiner Ehefrau (die als Altenpflegerin arbeite) zu Mittag. Es folgten ein weiterer Spaziergang mit dem Hund sowie Fernsehen. Gegen 23:00 Uhr bis 24 Uhr gehe er schlafen. Er, der Kläger, übe außer dem Hundesport (auch aktiv auf dem Hundplatz) keine weiteren Sportarten oder Hobbys aus. Der Kläger betreue das (der Ehefrau gehörende) Haus mit Hof ohne Garten und einer Grundstücksgröße von 335 qm. Er fahre selbst Auto und im Sommer häufiger Fahrrad (der Gutachter las diese Angaben dem Kläger noch einmal vor, worauf Vollständigkeit und Richtigkeit ausdrücklich bestätigt wurden).

Zum Untersuchungsbefund führte der Gutachter (u. a.) aus, während der Anamnese habe der Kläger über 30 Minuten die Sitzposition nicht wesentlich verändert. Er habe beim Gehen beidseits ein stark wechselndes Unsicherheitsgefühl demonstriert mit Einknicken, ohne dass eine echte Sturzneigung oder Kraftminderung offensichtlich sei. Nach mehrfacher Übung sei sowohl der Einbeinstand wie der einbeinige Zehenspitzen- und Fersenstand gut und sicher möglich gewesen. Bei der Rumpfbeuge werde ein Finger-Boden-Abstand von 10 Zentimeter sicher erreicht, wobei beim Wiederaufrichten keinerlei Seitabweichung mehr auffalle. Hinsichtlich der HWS könnten trotz starker Schmerzangaben ruckartige Bewegungen durchgeführt werden; ein eigentliches Ausweichen vor dem Schmerz erfolge nicht. Beim Stehen und der Ansprache von links könne der Kläger den Kopf problemlos um ca. 50 Grad drehen und frei neigen ohne jegliche Ausweichbewegung oder Schmerzangabe. Eigentliche segmentale Bewegungsstörungen fänden sich nicht. Die Haut könne im paravertebralen Bereich praktisch nicht berührt werden, ohne dass der Kläger schmerzgepeinigt zusammensinke. Demgegenüber sei im weiteren Untersuchungsgang und bei der Untersuchung anderer Wirbelsäulenabschnitte mit zufälliger Berührung des genannten Gebiets eine Schmerzsymptomatik nicht mehr auffällig gewesen. Bei der Untersuchung der oberen Extremität werde massiv gegengespannt. Ein echter Anschlag oder eine echte Bewegungsstörung lasse sich jedoch nicht finden, wobei in Ablenkung ein deutlich besserer Bewegungsablauf und ein geringeres Gegenspannen festzustellen seien. Bei Ablenkung sei auch eine praktisch freie Beweglichkeit im rechten Schultergelenk vorhanden; beim Versuch der passiven Durchbewegung werde wiederum derart massiv gegengespannt, dass eine objektive Beurteilung unmöglich sei. In (vermeintlich) unbeobachteter Situation sei aufgefallen, dass sich der Kläger auf der Straße habe eine Zigarette anzünden können und dabei wegen des starken Windes beide Arme schützend hochgehoben habe. Dies sei problemlos bis 90 Grad möglich gewesen ohne Ausweichbewegung oder Schonhaltung. Im weiteren Verlauf der Untersuchung sei die zunächst als ausgeprägt erscheinende einseitige Bewegungsstörung der HWS verschwunden; beim Umhergehen habe der Kläger den Kopf in beide Richtungen frei und problemlos symmetrisch gedreht.

Der Gutachter diagnostizierte ein geringeres degeneratives Cervikalsyndrom bei früher nachgewiesenen Bandscheibenvorfällen C 4/5 und C 5/6, myogene Lumbago sowie eine Bewegungsstörung des rechten Schultergelenks mit erheblicher funktioneller Überlagerung (nicht orthopädische Diagnosen: depressives Syndrom, multilokuläres Schmerzsyndrom). Im Vordergrund der Klagen stünden Beschwerden, die von der HWS auf den rechten Arm ausstrahlten. Hier werde eine starke Bewegungsstörung demonstriert, die bei Ablenkung und im Verlauf anderer Untersuchungsgänge stark rückläufig bzw. nicht mehr vorhanden sei. Werde der Kläger (vermeintlich) nicht beobachtet, bleibe nur ein Bruchteil der zuvor demonstrierten Störungen übrig. Dr. Dr. B. habe eine Reihe das orthopädische Fachgebiet betreffender Diagnosen angeführt, die bei der jetzigen Untersuchung nicht mehr vorhanden gewesen seien oder eher dem funktionellen Bereich zugehörten. Als einziger fassbarer orthopädischer Befund bleibe lediglich der einmalige radiologische Nachweis eines Bandscheibenvorfalls C 4/5 und C 5/6 übrig, freilich ohne dass hieraus tatsächlich eine funktionell wirksame, fassbare Störung resultiere. Der Kläger könne leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Verbesserungen seien etwa durch gezielte Krankengymnastik möglich.

Die Beklagte legte zum Gutachten des Dr. Dr. H.R. B. die beratungsärztliche Stellungnahme des Allgemein- und Sozialmediziners Dr. Hei. vom 7.3.2006 (SG-Akte S. 160) vor. Darin ist (u. a.) ausgeführt, die Leistungsbeurteilung des Dr. Dr. H.R. B. sei nicht nachzuvollziehen. Gut die Hälfte der aufgelisteten Diagnosen hätten nicht den geringsten Einfluss auf das Leistungsvermögen für leichte körperliche Arbeit.

Der Kläger trug abschließend vor, er werde hinsichtlich der Schlafapnoe deshalb nicht mit einer Protrusionsschiene behandelt, weil die Krankenkasse die Kosten nicht übernehme; außerdem müssten vorher die Zähne komplett saniert werden, was er ebenfalls nicht bezahlen könne. Die Lungenerkrankung werde vom Hausarzt behandelt.

Mit Urteil vom 24.8.2006 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, eine rentenberechtigende Leistungsminderung liege nicht vor, weshalb dem (auf den allgemeinen Arbeitsmarkt breit verweisbaren) Kläger Erwerbsminderungsrente nicht zustehe (§§ 43, 240 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI). Der Kläger könne leichte Arbeiten (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Das gehe aus den Gutachten des Dr. B., des Dipl.-med. M. und des Dr. St. überzeugend hervor. Der abweichenden Auffassung des Dr. Dr. H.R. B. sei nicht zu folgen, zumal dieser sich mit den von den Vorgutachtern klar beschriebenen Aggravationstendenzen des Klägers nicht auseinander gesetzt habe. Außerdem habe er bei der Beurteilung des Gesundheitszustandes auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet die persönlichen Verhältnisse des Klägers (wie dritte Eheschließung, Umzug und Planung einer Umschulung) und dessen Aktivitäten im privaten Lebensbereich und im Alltag nicht hinreichend gewürdigt. Schließlich fehle eine engmaschige psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung, die eine hinreichend schwere psychische Erkrankung belegen könnte. Auch auf lungenfachärztlichem Gebiet sei eine ins Gewicht fallende Leistungsminderung nicht feststellbar.

Auf das ihm am 11.9.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5.10.2006 Berufung eingelegt. Man möge ein weiteres nervenärztliches und ggf. ein weiteres orthopädisches Gutachten erheben. Im Gutachten des Dr. B. sei eine gewisse Voreingenommenheit erkennbar, da ihm, dem Kläger, bewusste Verhaltensauffälligkeiten unterstellt würden und der Gutachter sich nicht ausreichend mit seiner andauernden Schmerzsymptomatik auseinandergesetzt habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24.8.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 26.9.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.1.2003 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Kläger hat zur weiteren Begründung seiner Berufung Bescheinigungen behandelnder Ärzte vorgelegt. Dr. Dr. N. B. hat unter dem 12.5.2007 mitgeteilt, diagnostisch gebe es im Wesentlichen keine neuen Aspekte außer der offensichtlich zusätzlichen Reiz- und Schmerzsymptomatik L 4 rechts und der ausgeprägten Periarthritis humeroscapularis rechts weniger als links bei offensichtlich insgesamt weiterer Zunahme der Schmerzsymptomatik. Zusätzlich liege eine vorwiegend reaktive Depression vor. Der Allgemeinarzt K. hat im Attest vom 21.6.2007 (u.a.) einen Progress der Halswirbelsäulenproblematik sowie der Periarthritis humeroscapularis rechts ausgeprägter als links, eine weitere Fixierung und Verschlechterung des chronischen Schmerzsyndroms und eine Zunahme der reaktiv depressiven Depression angegeben. Der Kläger sei in der Bewegungsfähigkeit in beiden Schultergelenken zunehmend beeinflusst. Der Orthopäde Dr. Kr hat im Bericht vom 22.5.2007 (Senatsakte S. 36) den Verdacht auf einen lumbalen Bandscheibenvorfall sowie ein lumbosakrales Facettensyndrom mit Blockierung geäußert und wegen der (geklagten) Beschwerdesymptomatik eine Überweisung zur Kernspintomografie ausgestellt. Ein MRT der LWS am 12.6.2007 hat keine Spinalkalanalstenose, keinen Bandscheibenprolaps und leichte allseitige Bandscheibenprotrusionen in den Segmenten L 4/5 und L 5/S 1, im Segment L 4/5 eine rechtsbetonte Bandscheibenprotrusion mit fraglicher Irritation der rechtsseitigen L-4-Wurzel, ergeben (Bericht Dr. W. vom 13.6.2007, Senatsakte S. 41).

Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme des Orthopäden Dr. Ko. vom 31.7.2007 vorgelegt. Dieser hat (u. a.) ausgeführt, die von Dr. Dr. N. B. angegebene Schmerzsymptomatik L 4 rechts sei ohne Auswirkung auf das quantitative Leistungsvermögen. Der Allgemeinarzt K. habe für seine Behauptungen keine Befunde angeführt. Der behandelnde Orthopäde Dr. Kr habe demgegenüber einen Progress der Halswirbelsäulenproblematik nicht nachweisen können, vielmehr nur die Verdachtsdiagnose eines lumbalen Bandscheibenvorfalls gestellt; im Rahmen der neurologischen Untersuchung habe er freilich keine wesentlichen pathologischen Auffälligkeiten gefunden und die Überweisung zur Kernspintomografie nur wegen geklagter ausgeprägter Beschwerdesymptomatik veranlasst. Wie nach den Befunden des Dr. Kr. auch zu erwarten gewesen sei, habe diese weder eine Spinalkanalstenose noch einen Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule ergeben. Eine leichte Bandscheibenvorbuckelung in den Segmenten L 4/5 und L 5/S 1 sei für das quantitative Leistungsvermögen bedeutungslos. Im Hinblick auf die im Tomografiebericht erwähnte fragliche Irritation der rechtsseitigen L-4-Wurzel sei auf den Befund im Arztbrief des Dr. Dr. N. B. vom 12.5.2007 zu verweisen, wonach lediglich eine geringe Hyperalgesie im Dermatom L5 links beklagt worden sei und noch weniger im Dermatom L 4 rechts; ein Befund, der ohne Auswirkungen auf das quantitative Leistungsvermögen sei. Die neu vorgelegten Arztberichte bestätigten insgesamt eindrucksvoll das Leistungsvermögen, wie es im Gutachten des Dr. B. vom 22.3.2006 dargestellt worden sei.

Der Kläger hat daraufhin einen weiteren Arztbrief des Radiologen Dr. W. vom 21.9.2007 (Senatsakte S. 49) über ein MRT des rechten Schultergelenks und der BWS vorgelegt. Dr. W. hat am rechten Schultergelenk eine leichtgradige AC-Gelenksarthrose, ein fragliches Impingement-Syndrom, leichtgradige Peritendinitis in der Umgebung der Supraspinatussehne sowie eine diskrete intraartikuläre Ergussbildung gefunden. Das MRT der BWS hat einen kleinen, mediolateral rechts gelegenen Bandscheibenprolaps im Segment BWK 4/5, Osteochondrose der mittleren BWS sowie vermutlich einen Zustand nach Morbus Scheuermann bei leicht ausgeprägtem Schmorl´schen Knötchen in der mittleren bis unteren BWS ergeben.

Die Beklagte hat hierzu die abschließende beratungsärztliche Stellungnahme des Orthopäden Dr. Ko. vom 11.10.2007 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, aus dem am rechten Schultergelenk festgestellten Befund sei die qualitative Einschränkung "ohne überwiegende Überkopfarbeiten mit dem rechten Arm" abzuleiten; Auswirkungen auf das quantitative Leistungsvermögen folgten daraus nicht. Der Befund an der BWS bedinge die qualitative Einschränkung "ohne Tätigkeiten in überwiegender Wirbelsäulenzwangshaltung". Der Hinweis des Klägers auf eingenommene Medikamente rechtfertige eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens ebenfalls nicht. Weitere Gutachten auf orthopädischem oder nervenärztlichem Fachgebiet seien nicht notwendig, da neue Krankheitserscheinungen nicht vorgebracht würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihm Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren; er hat darauf keinen Anspruch.

Das Sozialgericht hat in seinem Urteil zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§§ 43, 240 SGB VI) das Rentenbegehren des Klägers zu beurteilen ist, und weshalb ihm danach Rente nicht zusteht. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten im Berufungsverfahren anzumerken:

Auch nach Auffassung des Senats geht aus den im Verwaltungsverfahren erhobenen Gutachten sowie aus dem vom Sozialgericht erhobenen Gutachten des Dr. B. bzw. den von der Beklagten vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahmen schlüssig und überzeugend hervor, dass eine rentenberechtigende Erwerbsminderung nicht vorliegt. Die Einwendungen des Klägers gegen das Gutachten des Dr. B. sind nicht berechtigt. Dieser hat vielmehr eine eingehende Untersuchung durchgeführt und die dabei getroffenen Feststellungen sorgfältig dokumentiert. Diese zeigen, dass der Kläger behauptete Beschwerden - zumindest - bewusst aggraviert, wenn nicht gar - was dahinstehen mag - simuliert; Tendenzen hierzu hatte bereits Dr. St. bei der Begutachtung des Klägers im Verwaltungsverfahren festgestellt. Auf diese Weise ist ein Rentenanspruch nicht zu erwirken. Dafür gibt auch das vom Sozialgericht erhobene Gutachten des Dr. Dr. H.R. B. nichts her. Es gründet sich im Kern offensichtlich auf die - wie die Erkenntnisse der Vorgutachter zeigen - zumindest aggravierten und deshalb unglaubhaften Behauptungen des Klägers. Die Leistungseinschätzung des Gutachters ist insgesamt nicht nachvollziehbar, wie der Beratungsarzt der Beklagten Dr. Hei. in seiner Stellungnahme vom 7.3.2006 zutreffend dargelegt hat; auch insoweit sei ergänzend auf die entsprechenden Darlegungen im angefochtenen Urteil (Entscheidungsabdruck S. 13) Bezug genommen. Angesichts des vom Gutachter Dr. B. eruierten Tagesablaufs ist für eine rentenrechtlich relevante Depressionserkrankung nichts erkennbar. Davon abgesehen wären Erkrankungen dieser Art - sofern sie vorliegen - grundsätzlich behandelbar; sie führen nicht unbesehen zur Berentung.

Die im Berufungsverfahren vorgelegten Arztbescheinigungen und Arztbriefe lassen eine rentenberechtigende Leistungsminderung ebenfalls nicht erkennen. Auch das hat der Beratungsarzt der Beklagten (Dr. Ko.) in den dazu abgegebenen Stellungnahmen überzeugend dargelegt. Gerechtfertigt sind lediglich qualitative Leistungseinschränkungen, was nichts daran ändert, dass der Kläger leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig verrichten kann. Die Gewährung von Erwerbsminderungsrente kommt danach nicht in Betracht.

Bei dieser Sachlage drängen sich dem Senat angesichts der vorliegenden ärztlichen Erkenntnisse weitere Ermittlungen, insbesondere weitere Begutachtungen auf orthopädischem oder nervenärztlichem Fachgebiet nicht auf; der Beratungsarzt Dr. Ko. hat insoweit ebenfalls überzeugend dargelegt, dass aus ärztlicher Hinsicht hierfür keine Notwendigkeit besteht (Stellungnahme vom 11.10.2007).

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung des Klägers erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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