L 2 U 515/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 3560/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 U 515/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. Januar 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Verletztenrente streitig.

Der im Jahr 1941 geborene Kläger, der bei der Firma F. S., Internationale Spedition, Niederlassung W., beschäftigt war, erlitt am 15.10.1999 gegen 10:00 Uhr beim Abladen des von ihm gefahrenen LKW einen Unfall. Nach seinen Angaben im Unfallfragebogen ist er, als er rückwärts eine schwere Palette mit dem Hubwagen aus dem LKW zog, über das Ladeblech (Überfahrblech der Rampe), das sich unbemerkt selbständig angehoben hatte, gestolpert und mit dem Steißbein auf dessen Kante und dann (ca. aus 1,2 m – 1,5 m Höhe) auf den Betonboden gefallen. Trotz Schmerzen arbeitete der Kläger weiter (Unfallanzeige v. 18.04.2000) und beendete seine Tour - nach seinen Angaben - gegen ca. 18:00 Uhr. Am 16.10.1999 suchte er den Chirurgen und Durchgangsarzt Dr. S. auf, der in seinem Durchgangsarztbericht vom 16.10.1999 nach Röntgenuntersuchung der LWS eine Steißbeinfraktur diagnostizierte. Nach erneuter Vorstellung des Klägers am 07.01.2000 veranlasste Dr. S. eine kernspintomographische Untersuchung. Radiologe Dr. F. führte in seinem Bericht über die Kernspintomographie vom 12.01.2000 u. a. aus, es sei kein Nachweis einer Steißbeinfraktur und auch kein Anhalt für ein pathologisches Knochenmarködem oder chronisches Hämatom gluteal gegeben. Der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. D. konnte bei der Untersuchung vom 18.02.2000 keine neurologischen Ausfälle feststellen, die Kernspintomographie habe keinen Nachweis einer Steißbeinfraktur und keinen Anhalt für ein chronisches Hämatom erbracht. Der behandelnde Orthopäde und Leitende Arzt des Krankenhauses für Sportverletzte H., Dr. S., L., diagnostizierte nach den vorgelegten Berichten vom 01.03. und 22.03., 17.05., 16.08. und 04.12.2000 einen Zustand nach Steißbeinfraktur sowie eine Coccygodynie. In seinem Zusammenhangsgutachten vom 15.01.2001 führte Prof. Dr. G. aus, der Kläger habe sich durch das Unfallgeschehen am 15.10.1999 eindeutig eine Steißbeinfraktur zugezogen, welche im Weiteren eine chronisch persistierende Beschwerdesymptomatik verursacht habe; die MRT-Bilder seien falsch diagnostiziert worden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei mit 30 v.H. festzustellen. Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 09.04.2001 die Einstellung der Zahlung von Verletztengeld verfügte (ab 13.04.2001), prüfte sie einen Anspruchs des Klägers auf Verletztenrente. Im Ersten Rentengutachten vom 25.05.2001 diagnostizierte Prof. Dr. W. als Unfallfolge eine Steißbeinfraktur mit Verdacht auf eine Pseudarthrosenbildung. Die MdE sei mit 10 v.H. zu bewerten. Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. M. verneinte im neurologisch-psychiatrischen Fachgutachten mit psychologischer Zusatzuntersuchung vom 02.11.2001 Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet; die Schmerzsymptomatik sei durch die unvollständig verheilte Steißbeinfraktur im Sinne einer Coccygodynie nachvollziehbar und bereits im chirurgischem Gutachten bewertet worden. Prof. Dr. C., Ärztlicher Direktor der Abteilung für Diagnostische Radiologie der Universität T., beurteilte die Röntgenaufnahmen des Os sacrum vom 16.10.1999 und 05.11.1999, die Kernspintomographie der caudalen LWS und des Os sacrum vom 12.01.2000, die Röntgenaufnahmen des Os sacrum vom 05.07.2001 und die Kernspintomographie des Os sacrum vom 05.11.2001 dahingehend, dass es fraglich sei, ob es sich tatsächlich um eine frische Fraktur des Os coccygi handle. Die Bildqualität der initialen Röntgenaufnahmen (seitliche Projektion) sei so eingeschränkt, dass eine eindeutige Beurteilung erschwert sei. Auf der nachfolgenden Seitaufnahme 3 Wochen später sei dann bereits eine eindeutig erkennbare vollständige glatt konturierte Abriegelung des zwischen dem Os sacrum und Os coccygis gelegenen Spaltes zu sehen. Dies spreche jedoch eher für eine bereits vorbestehende Situation im Sinne einer anatomischen Normvariante. Die auch bis dato etwas unregelmäßige Struktur des proximalen Coccygius-Segmentes lasse zwar die Möglichkeit einer geringgradigen, zusätzlichen Infraktion nicht ausschließen. Jedoch auch die fehlenden posttraumatischen reaktiven Veränderungen im weiteren Verlauf sprächen gegen ein gravierendes Frakturgeschehen. Unabhängig hiervon ergebe sich aus der aktuellen MRT-Aufnahme keinerlei Hinweis auf ein aktives Geschehen. Ein morphologisches Substrat für die beklagte Beschwerdesymptomatik liege somit nicht vor oder liege unterhalb der Nachweisschwelle dieser sensitiven Methode. In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 25.12.2001 hielt Dr. T. nach dem radiologischen Gutachten von Prof. Dr. C. eine Steißbeinfraktur für fraglich. Für die in dem Zusammenhangsgutachten festgestellte "posttraumatische Coccygodynie" ergäben sich keine objektiven Befunde. Als Unfallfolgen seien anhaltende Beschwerden im Steißbeinbereich vorhanden. In seiner abschließenden Stellungnahme vom 06.03.2002 führte Prof. Dr. W. in Kenntnis des radiologischen Gutachtens von Prof. Dr. Dr. C. aus, es sei fraglich, ob es sich bei dem radiologischen Befund um Unfallfolgen handle. In dem vorliegenden Fall habe das Ereignis vom 15.10.1999 eine vorübergehende Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens verursacht. Die ab 13.04.2001 geschätzte MdE von 10 v.H. sollte demgemäß auf 6 Monate begrenzt werden. Bereits mit Bescheid vom 28.01.2002 anerkannte die Beklagte das Ereignis vom 15.10.1999 als Arbeitsunfall, lehnte jedoch die Gewährung einer Rente ab. Als Folgen des Arbeitsunfalls bestehe eine Prellung im Bereich des Steißbeines mit einer MdE unter 20 v.H. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte nach Einholung der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. T. vom 23.05.2002 mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2002 zurück.

Am 29.07.2002 hat der Kläger zum Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und das Attest des Dr. Steinacker vom 12.09.2002 vorgelegt, nach dem es infolge der Steißbeinfraktur zu einer chronischen Coccygodynie gekommen sei. Das SG veranlasste die Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch den Chefarzt der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Heidenheim, Prof. Dr. M.-F., der im Gutachten vom 20.07.2004 eine MdE von 20 v.H. damit begründet hat, dass eine chronische posttraumatische Coccygodynie durch eine Fraktur bzw. Prellung des Os coccygeum verursacht worden sei und auf Grund des subjektiven Schmerzenempfindens des Klägers in der genannten Höhe zu bewerten sei. Auf die Kritik der Beklagten, eine Fraktur des Steißbeins sei nicht nachgewiesen, ebenso wenig seien objektive Folgen einer Prellung festzustellen, hat Prof. Dr. M.-F. an seiner Einschätzung festgehalten (ergänzende Stellungnahme vom 23.10.2004). Mit Urteil vom 19.01.2005 hat das SG den angefochtenen Bescheid abgeändert und die Beklagte verurteilt, eine Steißbeinfraktur und eine chronische, posttraumatische Coccygodynie als Unfallfolgen anzuerkennen und dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. ab 13.04.2001 zu gewähren. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat es u. a. ausgeführt, das Schmerzsyndrom in Form einer sogenannten chronischen Coccygodynie sei durch das Unfallereignis entstanden. Insofern werde den Sachverständigen Prof. Dr. G. und Prof. Dr. M.-F. gefolgt.

Gegen das dem Bevollmächtigten des Klägers am 26.01.2005 und der Beklagten am 31.01.2005 zugestellte Urteil haben die Beklagte am 09.02.2005 und der Kläger am 24.02.2005 Berufung eingelegt. Die Beklagte hat zur Begründung ihrer Berufung vorgetragen, eine Steißbeinfraktur sei nicht nachgewiesen. Die Coccygodynie sei ebenfalls nicht als Folge des Unfalls eingetreten. Selbst wenn dies der Fall wäre, rechtfertigten allein die subjektiven Schmerzangaben des Klägers - ohne objektive Funktionsstörungen - keine MdE von 20 v.H ...

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgericht Stuttgart vom 19. Januar 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. Januar 2005 abzuändern, den Bescheid vom 28. Januar 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juli 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v.H. zu gewähren.

Der Kläger hält die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. für gerechtfertigt und stützt sich hierbei auf das Gutachten von Prof. Dr. G ... Die Auffassung der Beklagten widerspreche dem Gutachten von Prof. Dr. G. und Prof. Dr. M.-F ...

Der Senat hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. C ... Dieser hat in seinem Gutachten vom 17.02.2006 als Unfallfolge eine Prellung im Bereich des linken (gemeint wohl rechten) Gesäßes festgestellt. Eine Steißbeinfraktur hat der Sachverständige ausgeschlossen; wenn überhaupt, dann sei eine Verschiebung oder Auflockerung der physiologischerweise vorhandenen knorpeligen Verbindung zwischen Kreuzbein und Steißbein denkbar. Aber auch hierfür fehlten die radiologischen Nachweise. Ab dem 13.04.2001 sei eine messbare MdE nicht gegeben. Den Beurteilungen der Prof. Dres. G. und M.-F. könne nicht gefolgt werden. Prof. Dr. G. habe in seinem Gutachten eine komplette Signalintensität für den "Sacralwirbel" beschrieben. Bei diesem handle es sich jedoch um das Kreuzbein und nicht um das Steißbein. Eine mögliche kernspintomographisch erkennbare Änderung der Signalintensität des Kreuzbeines sei jedoch keine hinreichende Begründung für den von ihm beschriebenen lokalen Schmerzbefund am Steißbein. Prof. Dr. Müller-Färber habe die vorhandenen Kernspintomographiebefunde nicht gewürdigt und sein Ergebnis sei deshalb nicht nachvollziehbar. Es bestehe somit zwar eine Coccygodynie, diese sei aber nicht unfallbedingt. Nach Einwänden des Klägers hat Prof. Dr. C. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28.06.2006 an seiner Auffassung festgehalten. Der Senat hat weiter den Leitenden Arzt des Orthopädischen Forschungsinstituts S., Dr. H. zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. In seinem Gutachten vom 07.11.2006 hat er ausgeführt, als Unfallfolgen seien chronische Schmerzen in der Steißbeinregion gegeben. Eine Fraktur des Steißbeins sei fraglich. Die MdE sei ab 13.04.2001 auf Grund der subjektiven Schmerzangaben des Klägers mit einer MdE von 20 v.H. und ab Oktober 2002 mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten. Nach Einwänden der Beklagten ist Dr. H. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10.04.2007 bei seiner Auffassung geblieben. Es sei zwar eine strukturelle Schädigung des Steißbein nicht nachweisbar, die vom Kläger geschilderten Schmerzen seien jedoch unfallbedingt, da eine innere Ursache nicht erkennbar sei.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Orthopäde Dr. Scherg das Gutachten vom 12.09.2007 erstattet. Darin hat er eine "chronische Coccygodynie posttraumatisch nach Steißbeinfraktur" diagnostiziert. Die MdE sei mit 20 v.H. zu bewerten. Unabhängig davon, ob tatsächlich eine Steißbeinfraktur vorgelegen habe, sei jedenfalls die Coccygodynie unfallbedingt. An seiner Auffassung hat er auch nach Einwänden der Beklagten in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.12.2007 festgehalten.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Die statthaften (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) sowie frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegten Berufungen sind zulässig. Die Berufung der Beklagten ist begründet, die des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, unter Feststellung einer Steißbeinfraktur und einer chronischen, posttraumatischen Coccygodynie eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. ab 13.04.2001 zu gewähren.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 28.01.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.07.2002, mit dem die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente abgelehnt hat. Auf diesen im Wege der Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG) geltend gemachten Anspruch sind die Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Siebtes Buch (SGB VII) anwendbar.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte Anspruch auf Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit in Folge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Gemäß § 72 SGB VII beginnt eine Rente nach dem Ende des Anspruchs auf Verletztengeld, das bis zum Ende der Arbeitsunfähigkeit bzw. Rehabilitation (s. § 46 SGB VII) gezahlt wird. Versicherungsfälle sind gem. § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die Anspruch begründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Unfallereignis), der Gesundheitsschaden (Gesundheits(erst-)schaden und Unfallfolgen, s. hierzu: Becker, Der Arbeitsunfall , SGb 12/07 S. 721), dessentwegen Entschädigungsleistungen begehrt werden, erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr. 84). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheits(erst-)schaden (haftungsbegründende Kausalität) und dem Gesundheits(erst-)schaden und den Unfallfolgen (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R = BSGE 96, 196 ff); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSGE 45, 285, 286 = SozR 2200 § 548 Nr. 38; BSG SozR 3-2200 § 551 Nr. 16 S. 81 f.). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91). Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben, was nach der Auffassung des praktischen Lebens abzuleiten ist (BSG, a.a.O.). "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat. Eine naturwissenschaftliche Ursache, die nicht als wesentlich anzusehen und damit keine Ursache i. S. der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als Gelegenheitsursache bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw. das Ereignis als solches, also Art und Ausmaß der Einwirkung, das Verhalten des Versicherten nach dem Unfall, der nach dem Unfall festgestellte Erstbefund sowie die konkurrierenden Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihrer Krankengeschichte.

In Anwendung dieser rechtlichen Kriterien erfüllt das Unfallereignis die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls (von außen auf den Körper einwirkendes schädigendes Ereignis, versicherte Tätigkeit, innerer Zusammenhang, Gesundheits(erst-)schaden); dies hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid/Widerspruchsbescheid zutreffend anerkannt. Entgegen der Auffassung des SG sind weitere Unfallfolgen nicht festzustellen, insbesondere nicht eine Fraktur des Steißbeins als Gesundheitserstschaden. Nachdem der Radiologe Dr. F. (Kernspintomographie vom 12.1.2000) und Prof. Dr. C. in dem radiologischen Gutachten vom 22.11.2001 eine Steißbeinfraktur verneint bzw. als äußerst fraglich dargestellt haben, haben die Sachverständigen Prof. Dr. W. (ergänzende Stellungnahme vom 06.03.2002), Prof. Dr. M.-F. (Gutachten vom 20.07.2004), Prof. Dr. Carstens (Gutachten vom 17.02.2006) und der Sachverständige Dr. H. (Gutachten vom 07.11.2006) eine Steißbeinfraktur als nicht sicher feststellbar bzw. fraglich bezeichnet. Soweit die Gutachter Dr. G. (Gutachten vom 15.01.2001) und Dr. S. (Gutachten nach § 109 SGG vom 12.09.2007) eine Steißbeinfraktur diagnostiziert haben, kann der Senat dieser Beurteilung angesichts der überwiegenden gegenteiligen Auffassung der anderen Gutachter nicht folgen. Der Sachverständige Prof. Dr. C. hat in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass anhand des Vergleichs der Röntgenaufnahmen vom 16.10.1999 und vom 10.05.2004 keine Spuren eines stattgehabten Steißbeinbruchs erkennbar sind, obwohl Frakturen im allgemeinen bei ihrer Abheilung Spuren im Röntgenbild in Form von Deformitäten, Kallusbildungen, etc. hinterlassen. Auch der Sachverständige Dr. H. hat in seinem Gutachten dargestellt, dass er nicht in der Lage ist, einen eindeutig auf das Unfallereignis zurückzuführenden Strukturschaden festzustellen. Als Gesundheitserstschaden kann, wie von der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid anerkannt, lediglich eine Prellung im Bereich des Steißbeines als nachgewiesen (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) festgestellt werden.

Nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme vermag der Senat - entgegen dem SG - auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit (haftungsausfüllende Kausalität) eine chronische Coccygodynie als Unfallfolge festzustellen. Der Senat stützt seine Beurteilung auf das Gutachten von Prof. Dr. C ... Zwar stimmen alle Sachverständigen darin überein, dass beim Kläger das Krankheitsbild einer Coccygodynie gegeben ist. Während Prof. Dr. M.-F. und Dr. H. in ihren Gutachten dargelegt haben, dass die geklagten Schmerzen in der Steißbeinregion zwar nicht nachweisbar auf eine Fraktur oder knöcherne Verletzung, jedoch auf die durch den Unfall erlittene Prellung des Steißbeins zurückzuführen seien, hat hiergegen Prof. Dr. C.gravierende - und den Senat überzeugende - Einwände erhoben. Er weist zu Recht darauf hin, dass objektive Befunde nicht vorliegen, die für eine unfallbedingte Ursache der Coccygodynie sprechen. Nachdem eine Fraktur des Steißbeins und des Kreuzbeins nach den vorliegenden radiologischen Befunden ausgeschlossen bzw. nicht belegt ist, verweist er darauf, dass lediglich zu diskutieren ist, ob der Unfall zu einer Verschiebung oder Lockerung der - physiologischer Weise vorhandenen - knorpeligen Verbindung zwischen Kreuzbein und Steißbein einerseits oder im Bereich der - ebenfalls physiologischer Weise vorhandenen - knorpeligen Verbindung der einzelnen Steißbeinknochen miteinander geführt hat. Eine solche Verschiebung ist auf Röntgenbildern nur bei ganz groben Verschiebungen erkennbar, die sich hier weder auf den Röntgenbildern vom 16.10.1999 noch auf denjenigen vom 10.05.2004 zeigen. In den Kernspintomographieaufnahmen haben sich ebenfalls weder frische, noch posttraumatische Veränderungen und auch kein pathologisches Knochenmarködem ergeben. Darüber hinaus hat der Radiologe Dr. F., knapp drei Monate nach dem Unfall, auch kein chronisches Hämatom im Bereich der Gesäßmuskulatur erkennen können. Im radiologischen Fachgutachten des Prof. Dr. C. vom 22.11.2001 wurde eine veränderte Signalintensität des Kreuzbeins nicht beschrieben, dagegen eine "Dehiszenz" (= das zu Spaltbildung führende Auseinanderweichen zweier angrenzender Strukturen) zwischen Os coccygis und den caudalen Sacralelementen von 2 mm Breite. Diese Dehiszens wird, so Prof. Dr. C., durch die knorpelige Verbindung zwischen Kreuz- und Steißbein verursacht, ist als physiologisch zu betrachten und somit keine Unfallfolge; dasselbe gilt für die von Prof. Dr. C. beschriebene "vermehrte Verfettung beidseits dieses Spaltes". Pathologische Veränderungen im Bereich der einzelnen knorpeligen Verbindungen zwischen den einzelnen Knochen sind von Prof. Dr. C. nicht beschrieben; dementsprechende Spuren im Röntgenbild sind nicht zu erkennen gewesen. Der von Prof. Dr. C. beschriebene Spalt zwischen Kreuzbein und Steißbein stellt eine (banale) anatomische Normvariante dar. Auch angesichts des vom Kläger vorgelegten Fotos (nach seinen Angaben vom Tag nach dem Unfall) überzeugen die Ausführungen von Prof. Dr. C ... Darauf ist eindeutig zu erkennen, dass die Prellung nicht unmittelbar im Bereich des Steißbeins, sondern in der unteren rechten Gesäßhälfte stattgefunden hat. Deswegen ist für den Senat auch nachvollziehbar, dass strukturelle Veränderungen, die die angegebenen Schmerzen erklären könnten, nicht festgestellt werden konnten. Damit fehlt es aber an einem objektiven Anknüpfungspunkt für eine traumatische Verursachung und es ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass die angegebenen Schmerzen des Klägers in der Steißbeinregion auf den Unfall vom 15.10.1999 zurückzuführen sind.

Den hiervon abweichenden Beurteilungen der Dres. Prof. G., Prof. M.-F., Steinacker und Hepp vermochte sich der Senat nicht anzuschließen. Der Beurteilung von Prof. Dr. G. liegt die Annahme eines Steißbeinbruchs zu Grunde; einen solchen hatte aber bereits Radiologe Dr. Fritz nicht erkennen können und auch die Mehrheit der nachfolgenden Gutachter (Prof. Dr. C., ihm folgend Prof. Dr. M.-F., Prof. Dr. C., Dr. H.,) haben - wie oben ausgeführt - eine Steißbeinfraktur nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen können. Soweit Prof. Dr. G. ausgeführt hat, die Kernspintomographieaufnahmen seien von Dr. F. nach hauseigener Auswertung falsch befundet worden, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar, da die hauseigene Auswertung dem Gutachten nicht beigefügt worden ist. Soweit Prof. Dr. G.eine "Signalintensität" für den Sacralwirbel beschrieben hat, hat Prof. Dr. C. darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um das Kreuz- und nicht um das Steißbein handelt, und diese möglicherweise erkennbare Änderung den lokalen Schmerzbefund am Steißbein nicht hinreichend begründen könne. Dass sich im Übrigen die Steißbeinfraktur in den konventionellen Aufnahmen vom 16.10.1999 und 05.11.1999 verifizieren lasse, wird durch die übereinstimmende nachfolgende Beurteilung von Prof. Dres. C. und C. sowie von Dr. H. und Dr. S. widerlegt. Eine Fraktur ist deshalb nicht nachgewiesen und kann nicht Grundlage der Beurteilung sein. Dasselbe gilt auch für die Beurteilung von Dr. S ... Der Beurteilung von Prof. Dr. M.-F. vermag der Senat nicht zu folgen. Einerseits hat er das erlittene Trauma für geeignet gehalten, eine Steißbeinfraktur herbeizuführen, andererseits hat er zur bildgebenden Diagnostik festgestellt, dass "sowohl für das Vorliegen einer Fraktur als auch für das Vorliegen einer bestehenden Normvariante keine sichere unumstößliche Aussage getroffen werden kann", um dann ohne jegliche weitere Begründung im Hinblick auf die "bleibende Schmerzsymptomatik" einen unfallbedingten Zusammenhang zu bejahen. Mangels nachvollziehbarer Begründung für die von ihm festgestellte traumatische Genese ist dieses Gutachten als Entscheidungsgrundlage des Senats nicht geeignet. Soweit der Sachverständige Dr. H. auf die (glaubhaften) Angaben des Klägers und die Tatsache hinweist, dass keinerlei Hinweise für eine Simulation oder Aggravation vorlägen, und deswegen hier die Coccygodynie auf den Unfall zurückführt, überzeugt dies den Senat angesichts der Ausführungen von Prof. Dr. C. nicht. Allein der zeitliche Zusammenhang und das Fehlen von Aggravation und Simulation reichen zur Feststellung eines unfallbedingten Zusammenhangs nicht aus. Auch aus der Tatsache, dass eine innere (idiopatische) Ursache vorliegend für den Sachverständigen nicht erkennbar ist, ist nicht zwingend auf eine Unfallursache zu schließen, denn - wie Dr. S. ausgeführt hat - lässt sich auch bei der idiopathischen Coccygodenie eine Ursache der Beschwerden meist nicht feststellen. Aus dem Fehlen (oder der Unkenntnis) einer inneren Ursache kann nicht zwingend auf eine äußere (traumatische) Ursache geschlossen werden. Auch die Beurteilung von Dr. S. überzeugt den Senat nicht. Seine Darlegungen auf S. 17 des Gutachtens, es müsse davon ausgegangen werden, dass zumindest eine Prellung des Coccygeums vorhanden gewesen sei, die dann konsekutiv zu einer Distorsion (= durch Drehung bedingte geschlossene Gelenkverletzung, s. Roche Lexikon Medizin, S. 392) geführt habe, stellt eine durch objektive Anhaltspunkte (Röntgenaufnahmen vom 16.10. und 05.11.1999, Kernspintomographie vom 12.01.2000) nicht belegte Vermutung dar. Letztlich hat er seiner Beurteilung - wie S. 22 des Gutachtens zeigt - doch eine Steißbeinfraktur, die die angegebenen Schmerzen erklärt, zu Grunde gelegt. Dem kann der Senat aus den bereits oben genannten Gründen nicht folgen. Des Weiteren hat Dr. Scherg auf Seite 11 seines Gutachtens Literatur (Baciu CL, Sgarbura I, Bradza A, s. (3) des Literaturverzeichnisses) zitiert, nach der ein Charakteristikum der traumatischen Coccygodenie eine Latenzzeit zwischen der Verletzung und dem Auftreten der typischen hartnäckigen Schmerzen sei, ohne dass er dieses Kriterium im vorliegenden Fall geprüft hätte. Wenn dieses Charakteristikum aber zutreffend sein sollte, dann ergäben sich im vorliegenden Fall jedenfalls Zweifel an einer traumatischen Ursache, weil der Kläger von Beginn an über dieselben Schmerzen geklagt hat und somit keine Latenzzeit gegeben gewesen wäre. Im Ergebnis kann der Senat daher eine unfallbedingte Coccygodynie nicht feststellen.

Ungeachtet dessen weist der Senat darauf hin, dass auch die Höhe der MdE, die von Dr. H., Dr. S. und Prof. Dres. M.-F. und G. angenommen worden ist, nicht nachvollzogen werden kann. Die Bemessung des Grades der MdE wird vom BSG in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 05.09.2006 - B2 U 25/05 R -, veröffentlicht in Juris m.w.N.) als Tatsachenfeststellung gewertet. Diese trifft das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr 5; Burchardt in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Juni 2006, § 56 RdNr 67 ff). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8). Objektive Funktionsstörungen werden von den Sachverständigen nicht beschrieben. Lediglich die subjektiven Schmerzangaben des Klägers werden von den genannten Sachverständigen als Maßstab für die Bewertung der MdE zu Grunde gelegt. Unabdingbare Voraussetzung für die Bestimmung der MdE ist jedoch, dass anhand der als Unfallfolgen festgestellten Befunde die Auswirkungen auf die körperlichen und geistigen Fähigkeiten beschrieben werden. Aus den Gutachten ist jedoch nicht ersichtlich, welche konkreten Funktionsstörungen auf Grund welcher Befunde bestehen. Die subjektiven Angaben des Klägers bezüglich seines Schmerzempfindens reichen hierzu nicht aus, sie rechtfertigen es nicht, eine messbare MdE oder gar eine solche in rentenberechtigender Höhe anzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 3 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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