L 10 R 3984/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 3932/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3984/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28.06.2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am 1963 geborene Kläger war von Juni 1979 bis Juni 1991 als Arbeiter in der Stückzahlkontrolle und von Juli 1991 bis August 1999 als LKW-Fahrer und Lagerarbeiter beschäftigt. Seitdem ist er arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Von Juni 2000 bis Dezember 2001 wurde er auf Veranlassung der Bundesagentur für Arbeit zur Logistikfachkraft ausgebildet. Derzeit bezieht er Arbeitslosengeld II.

Den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 30.06.2005 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08.09.2005 und Widerspruchsbescheid vom 29.11.2005 ab. Dem lag ein Entlassungsbericht über ein stationäres Heilverfahren in der F klinik Bad B. im August 2004 (Fibromyalgiesyndrom, Hörsturz rechts mit Tinnitus, Verdacht auf Neuronitis vestibularis, somatoforme Schmerzstörung und Vaskulitis; vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen und fixierte Körperhaltungen sowie unter Vermeidung von Arbeiten in Nachtschicht und unter Zeitdruck) und ein Gutachten des Internisten Dr. M. (somatoforme Schmerzstörung, Hörminderung rechts mehr als links, länger zurückliegend Ohrgeräusche beidseits, Fehlhaltung und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Plattfüße, Fersensporn und beginnende Hüftarthrose beidseits, Periarthropathie beider Schultergelenke, Diabetes mellitus, obstruktives Schnarchen, Nikotinabusus ohne relevante obstruktive Ventilationsstörung, Leukozytose, Schilddrüsenunterfunktion; Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich für leichte, zeitweise mittelschwere Tätigkeiten ohne einseitige Körperhaltung, ohne häufige Überkopfarbeiten sowie ohne Eigen- und Fremdgefährdung) zu Grunde.

Der Kläger hat am 08.12.2005 zum Sozialgericht Ulm Klage erhoben und geltend gemacht, ihm sei vom Landratsamt H. ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 zuerkannt worden. Infolge der sehr erheblichen Einschränkungen aus unterschiedlichsten Bereichen sei er außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Das Sozialgericht hat die behandelnden Ärzte, u.a. Dr. Br. und Dr. D. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und ein nervenärztliches Gutachten von Dr. A. sowie auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein fachorthopädisches Gutachten von Dr. Schr. eingeholt. Der behandelnde Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Br. hat angegeben, der Kläger zeige ein buntes Beschwerdebild mit allgemeinen Beschwerden des ganzen Bewegungsapparates mit deutlicher psychischer Überlagerung. Er sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zu vermitteln. Bei etwas länger dauerndem Gehen (zehn Minuten) würden erhebliche Verspannungszustände der LWS-Muskulatur auftreten, die den Kläger erheblich schmerzhaft beeinträchtigten. Der behandelnde Chirurg Dr. D. hat angegeben, der Kläger leide an einem myalgieformen Schmerzsyndrom und einer Somatisierung, er könne leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht sechs Stunden täglich verrichten. Die gerichtliche Sachverständige Dr. A., Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, hat eine somatoforme Schmerzstörung festgestellt. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen ohne Zwangshaltungen, ohne regelmäßiges Heben und Tragen von Lasten über 15 kg und ohne Tätigkeiten mit besonderer Anforderung an die nervliche Belastungsfähigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben, die Gehfähigkeit sei nicht eingeschränkt. Der auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr. Schr., Orthopäde, hat degenerative Veränderungen im Bereich der gesamten Wirbelsäule, beider Knie und beider Sprunggelenke festgestellt, die den Befund eines vergleichbaren Patienten gleichen Alters nicht wesentlich übersteigen würden. Leichte körperliche Arbeiten im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben, er sei außerdem in der Lage, viermal täglich mehr als 500 m zu Fuß zurückzulegen.

Mit Urteil vom 28.06.2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), weil er noch in der Lage sei, eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Hierbei hat sich das Sozialgericht auf die Gutachten von Dr. M. , Dr. A. und Dr. Schr. gestützt.

Gegen das am 16.07.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14.08.2007 Berufung eingelegt. Er macht geltend, das Sozialgericht habe sich keinesfalls auf das Gutachten von Dr. M. berufen dürfen, da dieses im Auftrag der Gegenseite erstellt worden sei und Dr. M. bereits aus diesem Grund keine objektive Beurteilung über seinen Gesundheitszustand abgeben könne. Durch Dr. A. sei keine ordnungsgemäße Untersuchung erfolgt, diese habe keine Aggravationstendenz feststellen dürfen. Das Sozialgericht habe sich auch nicht auf das Gutachten von Dr. Schr. stützen dürfen. Die Ärzte beider Fachrichtungen hätten keinesfalls die gesundheitlichen Einschränkungen in den jeweiligen anderen Fachgebieten gesehen, ansonsten wären sie zu einem anderen Ergebnis gekommen. Außerdem ergebe sich aus einem Attest des Bezirkskrankenhauses G. vom 21.06.2007, dass die wahrscheinliche Diagnose einer Myopathie gestellt worden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28.06.2007 und den Bescheid der Beklagten vom 08.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.07.2005 auf Dauer zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat den im Bezirkskrankenhaus G. behandelnden Arzt Prof. Dr. Dr. W. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört (chronische somatoforme Schmerzstörung mit Bezug zum Bewegungsapparat, chronisch generalisierte Muskelschmerzen bei Myopathie mit Verdacht auf zusätzliche Somatisierungstendenz bei passiver Krankheitsbewältigungsstrategie) und Befundberichte des F.-B.-Instituts M. (Ausschluss einer myotonen Dystrophie Typ I und II) beigezogen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 SGB VI ist.

Da der Kläger seinen Antrag im Berufungsverfahren ausdrücklich auf die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI beschränkt hat, hat der Senat über einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Sinne des § 240 SGB VI - der vorliegend bereits auf Grund des Alters des Klägers ausscheidet - nicht zu entscheiden.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 SGB VI. Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der Kläger leidet insgesamt an Erkrankungen auf internistischem, orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet. Ganz im Vordergrund stehen allerdings die Gesundheitsstörungen im psychiatrischem Bereich. Dies ergibt sich bereits aus der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Allgemeinarztes Dr. Br. (die Somatisierungsstörung stehe wesentlich im Vordergrund), der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Chirurgen Dr. D. (für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit sei das Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie maßgeblich) und der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Arztes Prof. Dr. Dr. W. (im Vordergrund stünden die Leiden auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet). Die Sachverständige Dr. A. hat auf psychiatrischem Fachgebiet eine somatoforme Schmerzstörung festgestellt. Diese äußert sich in - von dem Kläger als ständig vorhanden angegebenen - Schmerzen am gesamten Körper, die durch organpathologische Befunde nicht hinreichend erklärbar sind. Dr. A. hat hierbei insbesondere auch die auf orthopädischem Fachgebiet bestehenden degenerativen Veränderungen - u.a. ein kernspintomographisch nachgewiesener Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule - berücksichtigt.

Die somatoforme Schmerzstörung bedingt - so Dr. A. - zwar qualitative Einschränkungen (keine Zwangshaltungen, kein regelmäßiges Heben und Tragen von Lasten über 15 kg, keine besonderen Anforderungen an die nervliche Belastungsfähigkeit), eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in quantitativer Hinsicht lässt sich jedoch nicht rechtfertigen. Eine depressive Verstimmung liegt nicht vor, die mnestischen Funktionen sind intakt, es besteht kein Anhalt für Störungen der Aufmerksamkeit, Konzentration, Merkfähigkeit oder Gedächtnisleistung, auch die Sozialkontakte sind durchaus erhalten (so unterhält der Kläger nach eigenen Angaben regen Kontakt zu seinem Bruder und dessen Kindern). Der Kläger zeigt zwar ein weitgehendes Schon- und Vermeidungsverhalten; dies lässt jedoch - so nachvollziehbar Dr. A. - nicht den Schluss zu, dass der Kläger daran gehindert wäre, berufliche Tätigkeiten in dem oben beschriebenen Umfang auszuüben. Dr. A. hat insoweit nachvollziehbar auf eine bewusstseinsnahe Ausgestaltung des Beschwerdebildes hingewiesen. Diese hat sich im Rahmen der Untersuchung durch Dr. A. in Form von Diskrepanzen zwischen geäußerten und demonstrierten Beschwerden (z.B. Angabe, die Arme nicht heben zu können, hingegen die weiterhin erhaltene Fähigkeit zur eigenständigen Körperpflege, Gegenspannen bei der Untersuchung, relativ behändes Springen vom Untersuchungstisch) gezeigt, ist aber auch aus dem Entlassungsbericht über das stationäre Heilverfahren in der F klinik Bad B. (danach war das subjektiv geschilderte Beschwerdebild in der alltäglichen Beobachtung wiederholt diskrepant zur tatsächlichen Belastbarkeit und allgemeinen Aktivität) und den Schilderungen von Dr. M. über den Verlauf der Untersuchung (Angabe, wegen Schmerzen keine gerade Körperhaltung einnehmen zu können, dagegen bei Bewegung, z.B. beim An- und Auskleiden, keine auffällige Einschränkung) ersichtlich. Soweit der Kläger geltend macht, die Untersuchung durch Dr. A. sei nicht ordnungsgemäß gewesen, ist dies nicht nachvollziehbar. Aus dem von Dr. A. dargelegten Ablauf der Untersuchung sind für die Auffassung des Klägers keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich; ihre Auffassung, dass bei dem Kläger eine bewusstseinsnahe Ausgestaltung des Beschwerdebildes zu beobachten ist, hat Dr. A. schlüssig begründet.

Auf orthopädischem Fachgebiet bestehen bei dem Kläger degenerative Veränderungen vor allem der Lendenwirbelsäule, der Knie- und Sprunggelenke. Diese rechtfertigen - so nachvollziehbar Dr. M. - lediglich qualitative Einschränkungen (keine schweren körperlichen Tätigkeiten, keine einseitige Körperhaltung, keine Überkopfarbeiten), führen jedoch nicht zu einer Minderung der Leistungsfähigkeit des Klägers in quantitativer Hinsicht. Dies hat der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr. Schr. bestätigt. Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Gutachten von Dr. M. im gerichtlichen Verfahren - im Wege des Urkundenbeweises (vgl. BSG, Beschluss vom 26.05.2000, B 2 U 90/00 B m.w.N.) - verwertbar, obwohl das Gutachten im Verwaltungsverfahren durch die Beklagte veranlasst wurde. Allein die Tatsache, dass Dr. M. das Gutachten auf Veranlassung der Beklagten im Rahmen der nach § 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bestehenden Amtsermittlung erstattete, lässt nicht den Schluss auf dessen mangelnde Objektivität zu. Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass Dr. M. den Sachverhalt nicht objektiv beurteilt hätte, sind nicht ersichtlich und wurden von dem Kläger auch nicht vorgetragen.

Auf internistischem Fachgebiet bestehen nach den Feststellungen von Dr. M. zwar gewisse Auffälligkeiten (Diabetes mellitus, obstruktives Schnarchen, Nikotinabusus und Schilddrüsenunterfunktion), diese bedingen, wie Dr. M. schlüssig darlegte, auch unter Einbeziehung der Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem und orthopädischem Fachgebiet (somatoforme Schmerzstörung, Fehlhaltung und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Plattfüße, Fersensporn und beginnende Hüftarthrose beidseits, Periarthropathie beider Schultergelenke) keine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in quantitativer Hinsicht. Insbesondere liegt keine relevante obstruktive Ventilationsstörung vor, ggf. bestehende Auswirkungen durch das obstruktive Schnarchen können durch qualitative Einschränkungen (keine Tätigkeiten mit Eigen- und Fremdgefährdung) hinreichend berücksichtigt werden.

Die von dem behandelnden Chirurgen Dr. D. geäußerte Auffassung, der Kläger könne leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr sechs Stunden täglich verrichten, überzeugt den Senat nicht. Gesundheitsstörungen auf fachorthopädischem Gebiet hat Dr. D. nicht angegeben, vielmehr hat er ein myalgieformes Schmerzsyndrom und eine Somatisierung festgestellt und die Beschwerden auf psychiatrischem und neurologischem Fachgebiet im Vordergrund gesehen. Insofern handelt es sich um eine fachfremde Beurteilung. Darüber hinaus hat Dr. D. seine Einschätzung in keiner Form begründet und gleichzeitig angegeben, sich zu den psychischen Störungen mangels Fachkompetenz nicht äußern zu können.

Auch die sachverständige Zeugenaussage des behandelnden Allgemeinarztes Dr. Br. ist nach Überzeugung des Senats nicht geeignet, eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Klägers in quantitativer Hinsicht zu begründen. Dr. Br. hat angegeben, dass die Somatisierungsstörung wesentlich im Vordergrund steht und insoweit eine adäquate, dem Kläger zumutbare, psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung bislang nicht stattgefunden hat. Den durch die Somatisierungsstörung verursachten Beschwerden kann allerdings - wie bereits dargelegt - durch die Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit hinreichend Rechnung getragen werden.

Soweit der Kläger die Anerkennung als Schwerbehinderter mit einem GdB von 70 hervorhebt, ist dies ebenfalls nicht geeignet, das Vorliegen von Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI zu begründen. Denn der Behinderungsgrad allein besitzt für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung keine anspruchsbegründende Bedeutung (BSG, Beschluss vom 09.12.1987, 5b BJ 156/87, veröffentlicht in juris). Soweit der Kläger auf den von Prof. Dr. Dr. W. erhobenen Verdacht auf das Vorliegen einer degenerativen Myopathie hingewiesen hat, ist zu bemerken, dass nach dem Befundbericht des F.-B.-Instituts M., Priv.-Doz. Dr. Wa., eine myotone Dystrohphie (genetisch bedingte degenerative Muskelerkrankung) ausgeschlossen werden konnte. Im Übrigen sind für die Frage, ob Erwerbsminderung vorliegt, nicht die genauen medizinischen Diagnosen, sondern die tatsächlich bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen entscheidend. Diese sind bei der Leistungsbeurteilung durch Dr. M. und Dr. A. umfassend gewürdigt worden, weshalb weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind.

Der Kläger kann daher zumindest noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen unter Berücksichtigung gewisser qualitativer Einschränkungen (keine Zwangshaltungen, keine Arbeit mit regelmäßigem Heben und Tragen von Lasten über 15 kg, keine häufigen Überkopfarbeiten, keine Tätigkeiten mit besonderer Anforderung an die nervliche Belastungsfähigkeit oder mit Eigen- und Fremdgefährdung) sechs Stunden täglich ausüben. Er ist daher nicht erwerbsgemindert. Dabei ist es unerheblich, ob ein dem Leistungsvermögen entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden kann, weil nach § 43 Abs. 3 zweiter Halbsatz SGB VI die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist in einem solchen Fall regelmäßig nicht erforderlich. Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist (BSG, Urteil vom 14.09.1995, 5 RJ 50/94 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 50).

Allerdings kann nur das Leistungspotenzial, das auf dem Arbeitsmarkt konkret einsetzbar ist, als Maßstab für die Fähigkeit eines Versicherten, Einkommen zu erzielen, herangezogen werden. Folglich gehört nach der Rechtsprechung des BSG zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R m.w.N.). Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Risikos, das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung.

Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach dem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (weniger als 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten (insbes. die zumutbare Benutzung eines vorhandenen Kraftfahrzeugs) zu berücksichtigen.

Nach Überzeugung des Senats ist der Kläger nicht gehindert, die üblichen Wegstrecken zu einem Arbeitsplatz zurückzulegen. Der behandelnde Allgemeinarzt Dr. Br. hat zwar angegeben, dass nach seiner Kenntnis bei länger dauerndem Gehen (zehn Minuten) erhebliche Verspannungszustände der LWS-Muskulatur mit schmerzhafter Beeinträchtigung auftreten würden; nachvollziehbare Gründe für diese Einschätzung hat er jedoch nicht angegeben. Der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr. Schr. hat hingegen - eben gerade unter Berücksichtigung auch der LWS-Beschwerden - eine relevante Einschränkung der Gehfähigkeit verneint. Des Weiteren hat die Sachverständige Dr. A. dargelegt, dass die Gehfähigkeit des Klägers aus neurologisch-psychiatrischer Sicht nicht eingeschränkt ist. Auch ansonsten sind Anhaltspunkte für eine Einschränkung der sozialversicherungsrechtlich relevanten Wegefähigkeit nicht ersichtlich. So hat der Kläger bei der Untersuchung durch Dr. A. angegeben, dass er anschließend mit der Bahn zurück zum Wohnort fahren werde, des Weiteren ist der Kläger - wenn auch nach seinen Angaben unter Zuhilfenahme einer Krücke - in der Lage, Treppen zu steigen und zu Fuß zu seinem im selben Ort wohnenden Bruder zu gehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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