L 1 U 2978/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 1280/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 2978/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. Mai 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht noch die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 19. März 2006 für die Zeit vom 8. April bis 22. November 2006.

Der Kläger ist 1979 geboren und als Arbeiter in der Produktion eines Reifenherstellers tätig. Am 19. März 2006 erlitt er einen Arbeitsunfall, als ein Mischungsfell, das am Überkopflader eines Mischers befestigt war, beim Transport in zwei Teile riss und ein Ende des Fells ihm ins Gesicht schlug. Dabei wurde sein rechtes Auge verletzt (Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 28. März 2006). Im Augenarztbericht von Dr. A., Direktor der Augenklinik im Städtischen Klinikum K., vom 27. April 2006 wurden als Diagnosen eine Contusio bulbi rechts, Erosio corneae und Vorderkammerhämorrhagie aufgeführt und der Kläger bis 21. März 2006 stationär behandelt. Mit Augenarztbericht vom 9. Mai 2006 teilte Dr. M. der Beklagten mit, als Unfallfolge bestehe eine Contusio-Caract der Linse, eine posttraumatische Pupillenstarre und HH-Narben. Dadurch sei eine extreme Blendungsempfindlichkeit entstanden. Daher habe dem Kläger eine Brille mit 85% Absorption verordnet werden müssen. Der Kläger beantragte die Kostenübernahme. Die Beklagte übernahm ein Teil der veranschlagten Kosten (Bescheid vom 26. Mai 2006).

Im Juni 2006 teilte der Kläger mit, er habe durch den Unfall bleibende Schäden und bitte um Aufklärung über Entschädigungsmöglichkeiten. Beigefügt war der Arztbrief des Dr. M. vom 12. Juni 2006.

Die Beklagte zog das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse bei und gab bei Prof. Dr. J., Augenklinik im Klinikum M., ein augenfachärztliches Gutachten in Auftrag. In seinem Gutachten vom 25. Oktober 2006 führte er als unfallabhängige Veränderungen mittelperiphere, subepitheliale Hornhautnarben, eine traumatische mittelgradige Mydriasis (Pupillenerweiterung), eine zentrale anteriore subkapsuläre Trübung der Linse im Sinne einer Kontusionskatarakt (Trübung der Augenlinse), ein leicht pathologisches Dämmerungssehvermögen und erhöhte Blendempfindlichkeit sowie eine leicht eingeschränkte Akkomodationsfähigkeit/Naheinstellungsmiosis fest. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) belaufe sich nach den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und des Berufsverbands der Augenärzte (BVA) von 2002 auf 5 v.H.

Mit Bescheid vom 16. November 2006 erkannte die Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall an und lehnte einen Anspruch auf Rente wegen des Arbeitsunfalls ab, gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. J ...

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, unter erheblichen Folgen des Unfalls noch immer zu leiden. So sei die Sehkraft erheblich reduziert, er könne in die Ferne und Nähe nicht mehr klar sehen. Auch könne er wegen der Unfallfolgen an seinem ursprünglichen Arbeitsplatz nicht mehr arbeiten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2007 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Als Unfallfolgen lägen vor eine mittelgradige Pupillenerweiterung, Hornhautnarben, eine zentrale Trübung der Linse, Einschränkung des Dämmerungssehvermögens und erhöhte Blendungsempfindlichkeit, leicht eingeschränkte Fähigkeit des Auges zur Scharfeinstellung. Zusammen mit der geringen Reduzierung der Sehkraft am rechten Auge bedingten die Unfallfolgen keine rentenrelevante MdE. Für die Höhe der MdE spiele es keine Rolle, ob die vor dem Unfall ausgeübte Tätigkeit wieder aufgenommen werde, da nur die funktionellen Einschränkungen maßgeblich seien.

Dagegen hat der Kläger am 12. März 2007 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Das SG hat Prof. Dr. L., Arzt für Augenheilkunde, von Amts wegen mit der Erstellung eines augenärztlichen Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 6. Juli 2007 kommt dieser zum Schluss, es liege eine posttraumatische Pupillenerweiterung mit Behinderung der Pupillenreaktion, eine posttraumatische Trübung der Linse im Sinne eines Prellungsstares, eine erhöhte Blendempfindlichkeit, eine Vertiefung der Kammerbucht unten, eine geringgradige Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,8 und eine geringgradig erhöhte Blendempfindlichkeit des rechten Auges vor. Dabei handle es sich um Unfallfolgen. Aus der größeren Pupillenweite des rechten Auges ergebe sich eine gesteigerte Blendungsempfindlichkeit. Der Kläger trage deshalb eine Lichtschutzbrille im Freien. In Zukunft könne die Linsentrübung fortschreiten, was zu einer weiteren Herabsetzung der Sehschärfe führe. Im gegenwärtigen Verletzungsfolgezustand am rechten Auge seien die bestehenden Funktionseinschränkungen mit einer MdE um 10 v.H. zu bewerten.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat Dr. M. unter dem 26. November 2007 ein augenfachärztliches Gutachten erstellt. Dieser hat als unfallbedingte Veränderungen rechts subepitheliale Hornhauttrübungen, Narben, wurmartig verzögerte Pupillenreaktion und Trübung der vorderen Linsenkapsel, pathologisches Dämmerungssehen und extrem erhöhte Blendungsempfindlichkeit des rechten Auges, leichte Störung der Nahakkomodation, geringgradige Visusminderung rechts auf 80% beschrieben. Die unfallbedingte MdE belaufe sich vom 8. April 2006 (Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit) bis 22. November 2006 (Eintritt von Beschwerdefreiheit) auf 20 v.H., danach auf 10 v.H.

Mit Urteil vom 7. Mai 2008 hat das SG die Klage abgewiesen, gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. L ... Weiter hat das SG ausgeführt, dass über den 27. Juli 2006 hinaus keine rentenrelevanten funktionellen Einschränkungen bestanden haben. Dies ergebe sich aus den ambulanten Untersuchungsberichten des Dr. M. und dem augenärztlichen Gutachten des Prof. Dr. J. vom 25. Oktober 2006, der in diesem Zeitpunkt den Fernvisus rechts ohne Korrektur mit 0,8 und mit Korrektur mit 1,0 angegeben und damit den Zustand beschrieben hat, den auch Prof. Dr. L. festgestellt habe. Nach der maßgeblichen unfallversicherungsrechtlichen Literatur sei bei einer Sehminderung von nur 0,8 einseitig selbst bei sonstigen posttraumatischen Beschwerden wie schlechtem Heilungsverlauf, rezidivierende Erosio corneae rechts keine MdE um wenigstens 20 v.H. gegeben. Maßgeblich für die Beurteilung der MdE sei nämlich in erster Linie die Sehschärfe.

Gegen das am 23. Mai 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23. Juni 2008 Berufung eingelegt, gestützt auf das Gutachten von Dr. M ...

Der Kläger beantragt, sinngemäß gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. Mai 2008 aufzuheben und den Bescheid vom 16. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Februar 2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, für die Zeit vom 8. April bis 22. November 2006 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Der Senat hat den Beteiligten mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit erhalten hatten, sich hierzu zu äußern und die Entscheidung einstimmig ergeht.

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet. Dem Kläger steht für den noch geltend gemachten Zeitraum kein Anspruch auf Verletztenrente zu.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten (versicherte Tätigkeiten). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 SGB VII).

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22). Als Folge eines Unfalls sind Gesundheitsstörungen nur zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis wie auch das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der hierbei eingetretenen Schädigung und der Gesundheitsstörung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, welcher nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit ausreicht (BSGE 58, 80, 82; 61, 127, 129; BSG, Urt. v. 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R - m.w.N.). Hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 45, 285, 286).

Beim Kläger liegen als verbleibende Unfallfolgen noch eine posttraumatische Pupillenerweiterung mit Behinderung der Pupillenreaktion, eine posttraumatische Trübung der Linse im Sinne eines Prellungsstares, eine erhöhte Blendempfindlichkeit, eine Vertiefung der Kammerbucht unten, eine geringgradige Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,8 und eine geringgradig erhöhte Blendempfindlichkeit des rechten Auges vor. Dies steht für den Senat fest im Wesentlichen aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. L., das sich insoweit aber auch mit den Ausführungen von Prof. Dr. J. im Widerspruchsverfahren und mit den Diagnosen des Dr. M. in dem Gutachten nach § 109 SGG deckt.

Zwischen den Beteiligten allein umstritten ist noch die Frage, ob für die Zeit vom Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 8. April 2008 bis zu dem von Dr. M. angenommenen Termin am 22. November 2006 eine rentenrelevante Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt.

Für die Bewertung einer unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urt. vom 26. Juni 1985 - 2 RU 60/84 -, in: SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.; BSG, Urt. vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 49/99 R -, in: HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22. August 1989, - 2 BU 101/89 -, in: HVBG-Info 1989 S. 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.

Das Sozialgericht hat im angefochtenen Urteil rechtsfehlerfrei auf Seite 9 und 10 die maßgebliche unfallversicherungsrechtliche Literatur aufgeführt. Weiter hat das SG ohne Rechtsfehler begründet, weshalb aufgrund der aktenkundigen Augenarztberichte und der Gutachten jedenfalls spätestens ab 25. Oktober 2006 von einem Sehvermögen von 0,8 rechts auszugehen ist, das nach den genannten Bewertungsmaßstäben eine Bewertung mit einer MdE um wenigstens 20 v.H. nicht rechtfertigt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat zur Begründung insoweit auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG).

Auch das weitere Vorbringen im Berufungsverfahren vermag eine abweichende Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Soweit vorgebracht wird, Dr. M. empfehle eine regelmäßige Nachuntersuchung und es sei auch von einer Verschlechterung der Sehfähigkeit durch eine zunehmende Linsentrübung auszugehen, ist dieser Vortrag zwar zutreffend und wird auch gleichermaßen von Prof. Dr. L. beurteilt. Allerdings können mögliche Verschlechterungen, deren Eintritt oder Zeitpunkt des Eintritts noch ungewiss ist, nicht zu einer Höherbewertung der MdE zum streitigen Zeitpunkt führen.

Für den Fall, dass die aufgeführten Verschlimmerungen tatsächlich eintreten und sich das Sehvermögen des Klägers verschlechtert, kann er jederzeit einen Antrag auf Neubewertung seiner Unfallfolgen bei der Beklagten stellen, die dann den jeweiligen Funktionszustand der Augen zu bewerten hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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