S 18 KA 52/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 18 KA 52/16
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze

Die in § 106a Abs. 2 SGB V a. F. (nunmehr in § 106d Abs. 2 SGB V) geregelte Plausibilitätsprüfung erfasst sowohl die zeitbezogene als auch die patientenbezogene Plausibilitätsprüfung und stellt ein einheitliches, auf dasselbe Ziel gerichtetes Verfahren dar.

Die Kassenärztliche Vereinigung verbraucht ihr Prüfungsrecht für eine weitere Plausibilitätsprüfung, wenn sie in dem zuvor ergangenen Honorarrückforderungsbescheid aufgrund einer Plausibilitätsprüfung weder einen neuen Vorläufigkeitsvorbehalt aufnimmt noch darauf hinweist, dass weitere Plausibilitätsprüfungen erfolgen werden. 

Der Vertragsarzt, der einen abschließenden Korrekturbescheid aufgrund einer Plausibilitätsprüfung erhält, kann grundsätzlich darauf vertrauen, dass das Verfahren der Plausibilitätsprüfung für die geprüften Quartale insgesamt abgeschlossen ist und keine weiteren Honorarrückforderungen aufgrund von Plausibilitätsprüfungen ergehen werden. Etwas anderes gilt nur, wenn sich die Kassenärztliche Vereinigung weitere Korrekturen vorbehält.  
 

1. Der Bescheid der Beklagten vom 05.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2016 wird hinsichtlich der sich aus der patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung ergebenen Honorarrückforderung für die Quartale I/06 bis I/07 aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 
3. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu 75 % und die Beklagte zu 25% zu tragen.  
4. Der Streitwert wird endgültig auf 36.056,38 € festgesetzt.
 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten sich um eine Honorarrückforderung aufgrund patientenbezogener Plausibilitätsprüfungen in den Quartalen IV/05 bis IV/07 und I/08 bis IV/10.

Der Kläger ist als hausärztlich niedergelassener Internist in einer Einzelpraxis in A-Stadt tätig.

In den Quartalen IV/05 bis IV/07 setzte die Beklagte durch Honorarbescheid das Honorar des Klägers wie folgt fest:

Quartal         Honorarbescheid vom Nettohonorar gesamt in €
IV/05 06.08.2007 43.331,99
I/06 21.01.2007 44.686,73
II/06 04.02.2007 46.172,81
III/06 17.03.2007 40.966,52
IV/06 18.04.2007 43.008,21
I/07 08.03.2008 48.238,68
II/07 17.10.2007 44.002,62
III/07 17.01.2008 45.063,60
IV/07 09.05.2008 45.308,91


Mit Schreiben vom 26.02.2008 informierte die Beklagte den Kläger über eine Plausibilitätsprüfung nach Zeitprofilen für die Quartale I/05 bis I/07.

Anschließend hob sie mit Bescheid vom 04.11.2008 über die zeitbezogene Plausibilitätsprüfung die Honorarbescheide für die Quartale I/06 bis I/07 auf und setzte die unter Prüfungsvorbehalt gezahlte Vergütung neu fest. Dabei errechnete sie eine Honorarrückforderung von insgesamt 5.430,26 €, die sich wie folgt auf die einzelnen Quartale aufteilte:
 

Quartal      Rückforderung in €
I/06 1.278,04
II/06 1.057,36
III/06    364,60
IV/06    516,10
I/07 2.214,16


Der Kläger legte gegen den Bescheid vom 04.11.2008 am 02.12.2008 Widerspruch ein. Im Folgenden bat er wiederholt um Fristverlängerung zur Einreichung einer Widerspruchsbegründung.

Mit Schreiben vom 18.10.2010 informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass für die Quartale IV/05 bis IV/07 eine Plausibilitätsprüfung im Hinblick auf den Anteil identischer Patienten durchgeführt werde. Die Praxis des Klägers sei mit der Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) der Drs. B./C./D. in A-Stadt verglichen worden, mit der er eine Praxisgemeinschaft bilden würde.

Dabei hätten sich folgende Werte ergeben:

 

Quartal             Fallzahl Gemeinsame Patienten Anteil in Prozent
IV/05     868 477 54,95
I/06     848 411 48,47
II/06   1007 548 54,42
III/06   809 383 47,34
IV/06    807 462 57,25
I/07   948 458 48,31
II/07   895 429 47,93
III/07  889 373 41,96
IV/07   949 505 53,21


Dem Schreiben war eine Patientenliste der beispielhaft aufgeführten Patienten, die dem Überschneidungsprozentsatz zuzuordnen seien, beigefügt.

Der Kläger nahm hierzu Stellung und teilte mit, dass Patienten der Gemeinschaftspraxis im Urlaubsfall bzw. Krankheitsfall eines Kollegen von ihm behandelt würden, da wegen der hohen Patientenzahl eine Behandlung in der Gemeinschaftspraxis oft nicht möglich sei. Im Falle seines Urlaubes oder bei Erkrankung würden die Kollegen ihn vertreten. Da freie Arztwahl gelte, würden die Patienten selbst entscheiden, von welchem Arzt sie behandelt würden. Eine Besonderheit würde ferner darin bestehen, dass die Gemeinschaftspraxis ein Heim mit 180 schwerstbehinderten Menschen und das Berufsbildungswerk Nordhessen mit 247 geistig- und körperbehinderten Auszubildenden hausärztlich betreue.

Die Beklagte hob mit Bescheid vom 05.01.2011 (Bl. 117 bis 126 der Verwaltungsakte) die Honorarbescheide für die Quartale IV/05 bis IV/07 auf und setzte die Vergütung neu fest. Dabei errechnete sie eine Honorarrückforderung von insgesamt 50.952,56 €, die sich wie folgt auf die einzelnen Quartale aufteilte:

Quartal     Rückforderung in €
IV/05     6.019,65
I/06   5.431,00
II/06   6.331,50
III/06   4.905,86
IV/06   6.205,96
I/07   5.873,28
II/07   5.324,55
III/07   4.757,48
IV/07    6.103,28


Hinsichtlich der Honorarrückforderung wies die Beklagte darauf hin, dass wegen der Zeitprofilüberschreitung im Rahmen der zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung der Quartale I/06 bis I/07 dem Kläger bereits mit Bescheid vom 04.11.2008 mitgeteilt worden sei, dass sich hier eine Honorarrückforderung in Höhe von 5.430,26 € ergeben hätte. Unter summarischer Berücksichtigung dessen und unter Ermittlung der Differenz ergebe sich nunmehr ein weiterer Korrekturbetrag von 45.522,30 €. 

Inhaltlich begründete sie die Honorarrückforderung damit, dass die Praxis des Klägers mit der BAG der Drs. B./C./D. in A-Stadt verglichen worden sei, mit der er eine Praxisgemeinschaft bilden würde.
Nach Auffassung der Beklagten führe allein die Anzahl an identischen Patienten den Nachweis einer rechnerisch-sachlich nicht vollständig plausiblen Abrechnung im Prüfzeitraum. Es seien die folgenden Auffälligkeiten festzuhalten:
-    Die Einlesetage der Krankenversichertenkarte seien fast ausschließlich unterschiedlich und die Diagnosen seien überwiegend abweichend.
-    An vielen Tagen seien in der Praxis C./D./B. teilweise über mehrere Stunden (bis zu 30) ärztliche Leistungen abgerechnet worden, obwohl der Kläger die BAG offiziell vertreten hätte. Im umgekehrten Fall sei der Kläger jedoch, wenn er von den Dres. C./D./B. vertreten worden sei, tatsächlich nicht in der Praxis gewesen und hätte öfters mehrere Tage zusammenhängenden Urlaub gehabt.
-    Die Höhe der Zahl von gleichen Patienten (teilweise über 500 Patienten) sei nicht nachvollziehbar und erscheine nicht plausibel.
-    
Im Ergebnis lasse sich ein Gestaltungsmissbrauch mit dem Ziel der Fallzahlmehrung vermuten. Die ärztliche Kooperation zwischen dem Kläger und der Praxis der Dres. C./D./B. sei über den üblichen Betrieb einer Praxisgemeinschaft als reine Organisationsgemeinschaft zur Kostenminimierung hinausgegangen. Die Beklagte vertrete die Auffassung, dass eine so regelhafte gegenseitige Vertretung der Gestaltungs- und Rechtsform einer Gemeinschaftspraxis, aber nicht einer Praxisgemeinschaft entsprechen würde. Gleiches gelte für den Arztwechsel bei laufender Behandlung. Eine Praxisgemeinschaft bestehe aus selbstständigen Einzelpraxen. Jeder in der Praxisgemeinschaft tätige Arzt müsse seine Patienten grundsätzlich selbst versorgen. Wenn die Patienten in einer Praxisgemeinschaft regelmäßig von mehreren Ärzten betreut würden, so führe dies zu einer unzulässigen Fallzahlvermehrung und stelle letztlich einen Missbrauch der Gestaltungsform der Praxisgemeinschaft dar; der prozentuale Anteil an Vertretungsfällen liege hessenweit bei unter 10 %.

Bezüglich der erhöhten Anzahl an Patienten seien doppelt eingelesene Krankenversichertenkarten, Vertreterfälle gemäß Muster 19 der Vordruckvereinbarung, Notfälle und Überweisungen zur Auftragsleistung dahingehend berücksichtigt, dass bei der Berechnung der Honorarkorrektur im Einklang mit der gängigen Sozialgerichtsrechtsprechung 30 % der gemeinsamen Patienten als plausibel eingestuft und daher bei der Korrekturberechnung zugunsten des Klägers berücksichtigt worden sei. Auch die Tatsache, dass die Vertretungen durch die BAG im Falle ihrer Abwesenheit korrekt gewesen sei, sei bei der Berechnung der Honorarminderung mit nochmals 30 % anerkannt worden. Die Korrektur pro Behandlungsfall errechne sich dabei aus dem quotierten Nettofalldurchschnittswert aus allen Behandlungsfällen der klägerischen Praxis, multipliziert mit der Gesamtzahl der implausiblen Behandlungsfälle. Dies ergebe die folgende Berechnung:

Quartal                                    Honorar gesamt Fallzahl Fallwert Gem. Fälle Unplau. Fälle -30%  Verbleibende unpl. Fälle 50 % Summe Kürzung in €
IV/05         44.656,99 868 51,45 477 333 99 234 117   6.019,65
I/06        46.052,44  848 54,31 411 287 86 201 100   5.431,00
II/06         47.583,97 1007 47,25 548 383 114 269 134   6.331,50
III/06        42.218,47  809 52,19 383 2688 80 188 94   4.905,86
IV/06        
 
44.322,59 807 54,92 462 323 96 227 113   6.205,96
I/07        
 
49.713,71 948 52,44 458 320 96 224 112   5.873,28
II/07         45.381,52 895 50,71 429 300 90 210 105   5.324,55
III/07         46.475,05 889 52,28 373 261 78 183 91   4.757,48
IV/07         46.710,24 94 49,22 505 353 105 248 124   6.103,28
                  50.952,56


Im Übrigen wird auf den Bescheid vom 05.01.2011 vollinhaltlich Bezug genommen.

Am 31.01.2011 legte der Kläger Widerspruch gegen Bescheid vom 05.01.2011 ein.

Mit Schreiben vom 03.06.2011 wies die Beklagte hinsichtlich des Widerspruchs vom 02.12.2008 gegen die zeitbezogene Plausibilitätsprüfung darauf hin, dass die patientenbezogene Plausibilitätsprüfung für die Quartale IV/05 bis IV/07 Gegenstand eines gesonderten Verfahrens sei und deshalb anderen Fristen unterliege.

Mit Schreiben vom 29.08.2011 informierte die Beklagte den Kläger über eine Plausibilitätsprüfung nach Zeitprofilen für die Quartale II/07 bis IV/07.
Anschließend hob sie mit Bescheid vom 17.01.2012 über die zeitbezogene Plausibilitätsprüfung die Honorarbescheide für die Quartale II/07 bis IV/07 auf und setzte die unter Prüfungsvorbehalt gezahlte Vergütung neu fest. Dabei errechnete sie eine Honorarrückforderung von insgesamt 5.533,96 €, die sich wie folgt auf die einzelnen Quartale aufteilte:

Quartal     Rückforderung in €
II/07     2.009,81
III/07    1.304,05
IV/07 2.220,10


Mit Schreiben vom 30.05.2012 informierte die Beklagte den Kläger über eine weitere patientenbezogene Plausibilitätsprüfung für die Quartale I/08 bis IV/10. Die Praxis des Klägers sei erneut mit der Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) der Drs. B./C./D. in A-Stadt verglichen worden, mit der er eine Praxisgemeinschaft bilden würde.

Dabei hätten sich folgende Werte ergeben:

Quartal             Fallzahl Gemeinsame Patienten Anteil in Prozent
I/08   779 306 39,28
II/08   760 334 43,95
III/08  787 339 43,07
IV/08   755 329 43,58
I/09   807 394 48,82
II/09  743 338 45,49
III/09  781 346 44,30
IV/09  822 391 47,57
I/10 755 329 43,58
II/10  871 383 45,54
III/10   926 422 45,57
IV/10  810 404 49,88


Eine Stellungnahme brachte der Kläger nicht bei, wohingegen die Dres. C./D. eine persönliche Anhörung beantragten, die anschließend durchgeführt wurde.

Mit Bescheid vom 23.08.2012 hob die Beklagte die Honorarbescheide für die Quartale I/08 bis IV/10 auf und setzte die Vergütung neu fest. Sie errechnete auch hier eine Honorarrückforderung in Höhe von insgesamt 25.146,98 €.

Am 22.09.2012 legte der Kläger gegen diesen Bescheid ebenfalls Widerspruch ein.

Über die Widersprüche hinsichtlich der zeitbezogenen Plausibilitätsprüfungen der Quartale I/06 bis I/07 und II/07 bis IV/07 entschied die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.2015.

Die Beklagte gab den Widersprüchen hinsichtlich der patientenbezogenen Plausibilitätsprüfungen mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2016 (Bl. 133 bis 144 der Verwaltungsakte) insoweit statt, als die Honorarrückforderung für die Quartale IV/05 bis IV/07 auf 10.909,40 € reduziert wurde. Im Übrigen wies sie die Widersprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung trug sie vor, die Plausibilitätsprüfungen der Abrechnungen des Klägers aus den Quartalen IV/05 bis IV/07 sowie I/08 bis IV/10 habe zu dem Ergebnis geführt, dass die Abrechnungen implausibel und fehlerhaft seien. Der Kläger habe gegen seine vertragsärztlichen Pflichten verstoßen, indem er die mit der Praxis Dres. B./C./D. bestehende Praxisgemeinschaft missbräuchlich genutzt hätte, um Patienten in beiden Praxen zu behandeln. Er führe mit der BAG Dres. B./C./D. eine versorgungsbereichsidentische Praxisgemeinschaft, so dass ab einer Quote von 20 % die Abrechnung als auffällig betrachtet werde. Wie in den Ausgangsbescheiden festgestellt worden sei, hätten in den verfahrensgegenständlichen Quartalen Patientenidentitäten zwischen 39,28 % und 57,25 % bestanden. Die Patientenidentitäten würden im Wesentlichen auf gegenseitige Vertretungen beruhen. So seien etwa im Quartal I/08 60%, im Quartal III/08 64 %, im Quartal I/10 69% und im Quartal III/10 53% der Vertretungsscheine (SUG 42) der BAG Dres. B./C./D. vom Kläger angelegt worden. Die Vertretungsscheine in der klägerischen Praxis würden wiederum in 95 % (Quartal I/08), 90 % (III/08 und I/10) und 94 % (III/10) einen Arzt der BAG Dres. B./C./D. als weiterbehandelnden Arzt nennen, wobei der Kläger in jedem der Prüfquartale an 8 bis 15 Wochentagen abwesend gewesen sei. Viele Vertretungsfälle würden mit der Heimbetreuung zusammenhängen. Hier stelle sich die Frage, warum es dem Kläger als in Einzelpraxis tätigem Arzt leichter gefallen sein soll als drei einer BAG praktizierenden Ärzten, seinen eigenen Sprechstundenablauf mit einer Heimbetreuung im Vertretungsfall zu vereinbaren. Die parallele Mitbehandlung der Patienten durch zwei eigenständige Hausarztpraxen habe auf organisatorischen Gründen beruht, um den eigenen Praxisbetrieb in vollem Umfang weiterführen zu können. Wenn ein Arzt die Heimbetreuung übernehme, müsse er jedoch die notwendigen zeitlichen Kapazitäten freihalten. Durch die praktizierte Zusammenarbeit sei eine Fallzahlsteigerung eingetreten. Unterschiedliche Leistungsspektren der Vergleichspraxen könnten die Mehrzahl der identischen Patienten nicht rechtfertigen, da sowohl der Kläger als auch die Praxis Dres. B./C./D. hausärztlich tätig gewesen sei. Teilweise seien Überweisungen für Leistungen vorgenommen worden, die der Kläger selbst hätte erbringen können. Dies sei rechtswidrig. Ein weiteres Indiz für die fehlende Praxistrennung sei der Umgang mit den Krankenversichertenkarten. Zum einen würden sich in den Abrechnungen des Klägers Versichertenkarten von Heimbewohnern finden, die erkennbar in jedem Quartal an bestimmten Tagen gesammelt eingelesen worden seien, auch wenn nicht immer an diesem Tag tatsächlich eine Behandlung stattgefunden hätte. Die vorsorgliche Einlesung der Versichertenkarten in beiden Praxen betreffe aber nicht nur die Heimpatienten. Hierzu werde auf eine Auflistung von Beispielsfällen verwiesen, die in dem Bescheid aufgenommen worden seien.
Insgesamt könnten dem Kläger Abrechnungsverstöße in jedem Quartal nachgewiesen werden, wodurch die Abrechnungen implausibel seien. Der Kläger habe dabei auch grob fahrlässig gehandelt. Hinsichtlich des Prüfungsmaßstabes sei Folgendes auszuführen: Im vorliegenden Plausibilitätsverfahren für die Quartale IV/05 bis IV/07 sei für jedes Quartal von 30 % plausibler Fälle ausgegangen worden und von der Zahl der Doppelfälle abgezogen worden. Von den verbleibenden, unplausiblen Doppelfällen seien nochmals 30 % zu Gunsten der Praxis anerkannt worden. Die restlichen unplausiblen Doppelfälle seien erneut um 50 % reduziert worden. Da jedoch im Bescheid für die Folgequartale ab I/08 bei gleicher Sachlage nach einer Ermessensentscheidung nur 30 % der Doppelfälle als implausibel bewertet worden seien, könne die abweichende Ermessensentscheidung im Bescheid vom 05.01.2011 (Bewertung von 70 % der Doppelfälle als implausibel) unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten nicht aufrechterhalten werden. Aus diesem Grund werde die Honorarrückforderungsberechnung für die Quartale IV/05 bis IV/07 aufgehoben. Die Honorarrückforderung für diese Quartale sei nach der im Bescheid vom 23.08.2012 angewandten Berechnungsmethode neu zu berechnen, indem 30 % der Doppelfälle als unplausible Fälle zu Grunde zu legen seien. Daraus ergebe sich eine Honorarkürzungssumme in Höhe von nur noch 16.443,36 € (21.873,66 € abzüglich der Kürzung zur zeitbezogenen Prüfung von 5.430,26 €). Hiervon müsse noch die mit Bescheid vom 17.01.2012 festgesetzte Honorarkürzung für eine zeitbezogene Plausibilitätsprüfung der Quartale II/07 bis IV/07 in Höhe von 5.533,96 € abgezogen werden, um eine Doppelbelastung zu vermeiden. Im Ergebnis verbleibe somit für die Quartale IV/05 bis IV/07 eine Honorarkürzung im Rahmen der patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung von 10.909,40 €. Nach der Neuberechnung würden im Ergebnis nur zwischen 40 bis 60 Fälle je Quartal verbleiben. Angesichts der Feststellung, dass etwa die Hälfte der Doppelpatienten Heimpatienten seien (dies entspräche ca. 200 bis 250 Patienten je Quartal), falle die Rückforderungsberechnung sehr moderat aus.

Der Kläger hat anschließend mit Schreiben vom 12.02.2016 (Eingangsdatum bei Gericht: 15.02.2016) Klage am Sozialgericht Marburg erhoben. Er trägt vor, die Beklagte sei für die Quartale I/06 bis I/07 und II/07 bis IV/07 nicht mehr zu einer sachlich-rechnerischen Berichtigung auf der Grundlage des § 45 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä, § 34 Abs. 4 Satz 1 und 2 EKV-Ä berechtigt gewesen. Sie hätte bereits mit Bescheiden vom 04.11.2008 bzw. 17.01.2012 für diese Quartale Honorarrückforderungen in Höhe von 5.430,26 € bzw. 5.533,96 € nach den vorgenannten Vorschriften aufgrund im Rahmen zeitbezogener Plausibilitätsprüfungen festgestellter Zeitprofilüberschreitungen vorgenommen und damit ihr Berichtigungsrecht „verbraucht“. Dies zeige sich auch daran, dass in dem Korrekturbescheid vom 04.11.2008 kein weiterer Prüfungsvorbehalt enthalten gewesen sei. Der Rückforderungsbetrag für das allein verbleibende Quartal IV/05 sei entsprechend der Berechnungsmethode auf Seiten 8 und 9 des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2016 zu berechnen.
Weiterhin gebe er zu bedenken, dass er keine weitergehende Klage als für die Quartale I/06 bis IV/07 erhoben hätte, er bitte insoweit zu berücksichtigen, dass er juristischer Laie sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 05.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2016 für die Quartale I/06 bis IV/07 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, der Kläger habe die Implausibilität nicht streitig gestellt. Seine Ausführung, dass das Berichtigungsrecht verbraucht worden sei, sei unzutreffend. Bei der zeitlichen Plausibilitätsprüfung und der patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung handele es sich schlicht um verschiedene Prüfungen. Darüber hinaus gebe es noch weitere Prüfungen, die ebenfalls selbstverständlich unabhängig voneinander durchgeführt werden könnten. Mit einem Schreiben vom 03.06.2011 sei dem Kläger auch erklärt worden, dass die ebenfalls für die Quartale IV/05 bis IV/07 durchgeführte patientenbezogene Plausibilitätsprüfung Gegenstand eines gesonderten Verfahrens sei, sodass auch bereits deshalb Vertrauensschutz des Klägers nicht gegeben sei.

Mit Verfügung vom 17.02.2022 hat das Gericht die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.


Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden. Die Sache weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt. Die Beteiligten wurden mit richterlicher Verfügung vom 17.02.2022 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Einwände wurden nicht erhoben.

I. Bei Klageerhebung wandte sich der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid vom 13.01.2016. Weitere Angaben machte er zunächst nicht, sodass sein Klagebegehren im Wege der Auslegung zu ermitteln war. Da sich der angegriffene Widerspruchsbescheid vom 13.01.2016 mit einer Honorarrückforderung für die Quartale IV/05 bis IV/07 sowie I/08 bis IV/10 aufgrund einer patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung beschäftigte, war das Klagebegehren im Hinblick auf das Meistbegünstigungsprinzip auf die Honorarrückforderung für den gesamten Zeitraum zu erstrecken. 

Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger in seiner später beigebrachten Klagebegründung zu erkennen gegeben hat, dass er sich nicht (mehr) gegen die Honorarrückforderung für sämtliche Quartale wendet, sondern nur (noch) gegen die Honorarrückforderung für die Quartale I/06 bis IV/07. Zwar trägt der Kläger vor, dass von ihm alleine die Aufhebung des Bescheides vom 05.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2016 für die Quartale I/06 bis IV/07 beabsichtigt gewesen sei und er eine weitergehende Klage nicht erhoben hätte, jedoch finden sich für diesen Willen keine Anhaltspunkte in der Klageschrift. Eine Beschränkung auf einen Teil des angegriffenen Bescheides bzw. auf einzelne Quartale muss ausdrücklich erfolgen (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 23.02.2005, B 6 KA 77/03 R, Rn. 15, 17 Juris). Dies gilt auch bei einem nicht anwaltlich vertretenen Kläger. Zwar ist eine solche Klarstellung auch noch nach Klageerhebung möglich, sie muss aber zeitnah erfolgen, damit für das Gericht und den Beklagten klar ist, was Gegenstand des Verfahrens ist. Die Klagebegründung, die erst nach wiederholter Erinnerung und einem Zeitablauf von fast zwei Jahren beigebracht wurde, stellt keine Klarstellung des ursprünglichen Klageantrages mehr dar, sondern ist als konkludente Klagerücknahme für die übrigen Quartale auszulegen.

Durch die teilweise Klagerücknahme beschränkt sich der Klagegegenstand nunmehr auf die patientenbezogene Plausibilitätsprüfung im Bescheid vom 05.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2016 für die Quartale I/06 bis IV/07.

II. Die so verstandene Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang auch begründet.

III. Ein Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 05.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2016 besteht nur hinsichtlich der patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung für die Quartale I/06 bis I/07, nicht jedoch für die Quartale II/07 bis IV/07.

1. Rechtsgrundlage des angefochtenen Berichtigungsbescheides ist § 106a Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in der hier noch anzuwendenden und bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14.11.2003, BGBl I 2003, 2190 (§ 106a SGB V a.F.; aktuell § 106d Abs. 2 Satz 1 SGB V). Dabei löst eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil-) Aufhebung des Honorarbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), der Grundnorm des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs für den gesamten Bereich des Sozialrechts, eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Leistungsempfängers aus (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2005 – B 6 KA 17/05 RBSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 22, zitiert nach Juris Rn. 11 m. w. N.).

2. Die Beklagte war grundsätzlich zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.
Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertragsärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Die Kassenärztliche Vereinigung stellt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V a. F.).

3. Der Bescheid über die Honorarrückforderung aufgrund einer patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung ist jedoch nur hinsichtlich der Quartale II/07 bis IV/07 rechtmäßig. Im Hinblick auf die Quartale I/06 bis I/07 ist der Bescheid rechtswidrig, da einer Honorarrückforderung der Vertrauensschutz des Klägers entgegensteht.

Honorarbescheide im Vertragsarztrecht ergehen - ungeachtet ihres Charakters als Verwaltungsakte im Sinne des § 31 SGB X - unter dem Vorbehalt späterer Überprüfung auf ihre Rechtmäßigkeit, mithin als vorläufige Regelungen (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2001, B 6 KA 3/01 R, Rn. 25 Juris; BSG Urteil vom 31.10.2001, B 6 KA 16/00 R zitiert nach Juris). Hiermit verknüpft ist die Befugnis zu Richtigstellungen für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). Sie bedeutet dann im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheids. Die vertragsärztlichen Bestimmungen zur Korrektur der Honorarbescheide stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 SGB X verdrängen (vgl. BSG, Urteil vom 13.02.2019, B 6 KA 58/17 R, Rn. 14 Juris).

Auch die Beklagte hat für die streitgegenständlichen Quartale jeweils Honorarbescheide, die mit einem Vorläufigkeitsvorbehalt bzw. Prüfungsvorbehalt versehen waren, erlassen. Anschließend hat sie für die Quartale I/06 bis I/07 mit Bescheid vom 04.11.2008 eine nachträgliche Korrektur des Honorarbescheides im Rahmen einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung vorgenommen.
Der Bescheid vom 04.11.2008 enthält eine Neufestsetzung der unter Prüfvorbehalt gezahlten Vergütung nach Durchführung einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung mit dem Ergebnis einer Honorarrückforderung in Höhe von insgesamt 5.430,26 €, wobei dem Bescheid weder ein neuer Prüfungsvorbehalt zu entnehmen ist, noch ein anderweitiger Hinweis auf weitere laufende (Plausibilitäts-)Prüfungen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Widerspruch erhoben, den daraufhin ergangenen Widerspruchsbescheid vom 11.02.2015 hat er hingegen nicht weiter angegriffen, sodass der Bescheid bestandskräftig geworden ist.

Nach Erlass des Bescheides vom 04.11.2008 hat die Beklagte mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 05.01.2011 eine weitere Plausibilitätsprüfung für die Quartale IV/05 bis IV/07 vorgenommen und eine Honorarrückforderung in Höhe von insgesamt 50.952,56 € festgesetzt. 
Hierzu war sie jedoch nur für die Quartale IV/05 und II/07 bis IV/07 berechtigt. In den restlichen Quartalen I/06 bis I/07 steht der erneuten Plausibilitätsprüfung und Festsetzung einer Honorarrückforderung Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegen.

Im Grundsatz besteht bei Honorarkorrekturen kein Vertrauensschutz, da die Bestimmungen über die Befugnis der Kassenärztlichen Vereinigungen, vertragsärztliche Honorarforderungen und –bescheide wegen sachlich-rechnerischer Fehler nachträglich zu korrigieren, die Regelung des § 45 SGB X verdrängen (vgl. BSG, a.a.O., B 6 KA 3/01 R, Rn. 26 Juris). Im Hinblick auf die Besonderheiten der Honorarverteilung kann ein Vertragsarzt nicht auf den Bestand eines Honorarbescheides, der vor einer endgültigen Prüfung auf Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit erteilt wurde, vertrauen (vgl. BSG, a.a.O., B 6 KA 3/01 R, Rn. 28 Juris).

Dennoch wird nach der Rechtsprechung des BSG die Befugnis zu sachlich-rechnerischen Richtigstellungen aus Gründen des Vertrauensschutzes in einzelnen Fallkonstellationen begrenzt (vgl. BSG, a.a.O., B 6 KA 17/05 R, Rn. 14 Juris). Unter diese Fallkonstellationen fällt der Ablauf der Frist von vier Jahren seit Erlass des Quartalshonorarbescheides (BSG, a.a.O., B 6 KA 17/05 R, Rn. 14 Juris), der Verbrauch des Berichtigungsrechtes (BSG, a.a.O., B 6 KA 17/05 R, Rn. 15 Juris), das Unterlassen der Kassenärztlichen Vereinigung auf ihr bekannte Ungewissheiten hinzuweisen (BSG, a.a.O., B 6 KA 17/05 R, Rn. 16 Juris), die Duldung der Abrechnung fachfremder Leistungen durch die Kassenärztlichen Vereinigung, sowie die Konstellation, dass die Fehlerhaftigkeit des Bescheides aus Umständen herrührt, die außerhalb des eigentlichen Bereichs einer sachlich-rechnerisch korrekten Honorarabrechnung und –verteilung liegen (BSG, a.a.O., B 6 KA 17/05 R, Rn. 17 Juris).

a) In den Quartalen I/06 bis I/07 leitet sich der Vertrauensschutz des Klägers aus dem Verbrauch des Berichtigungsrechtes der Beklagten ab, da diese im Vorfeld des hier streitgegenständlichen Berichtigungsbescheides vom 05.01.2011 bereits mit Bescheid vom 04.11.2008 eine Abrechnungsprüfung durchgeführt hat.

Nach § 106a Abs. 1 SGB V a. F. prüfen die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen die Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnungen in der vertragsärztlichen Versorgung.
Gemäß Absatz 2 stellt die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten. 

Die in § 106a Abs. 2 SGB V a. F. (nunmehr in § 106d Abs. 2 SGB V) geregelte Plausibilitätsprüfung erfasst danach sowohl die zeitbezogene als auch die patientenbezogene Plausibilitätsprüfung. Als klassische Abrechnungsprüfung stellt sie ein Verfahren dar, um aufgrund bestimmter Anhaltspunkte und vergleichender Betrachtungen im Ergebnis die Fehlerhaftigkeit ärztlicher Abrechnungen aufzudecken (vgl. BSG, Urteil vom 13.02.2019, B 6 KA 58/17 R, Rn. 26 Juris). Hieraus folgt nach Auffassung der Kammer, dass die Kassenärztliche Vereinigung ihr Prüfungsrecht verbraucht, wenn sie zwar eine Plausibilitätsprüfung einleitet und daraufhin eine Neufestsetzung samt Honorarrückforderung erlässt, in diesem neuen Bescheid aber nicht darauf hinweist, dass eine weitere Plausibilitätsprüfung erfolgen wird bzw. sich eine solche nicht vorbehält. Denn der Vertragsarzt geht grundsätzlich davon aus, dass, wenn die Abrechnung auf ihre Plausibilität hin untersucht wird und anschließend eine Neufestsetzung erfolgt, die Kassenärztliche Vereinigung damit die Abrechnung abschließend auf ihre Plausibilität hin untersucht hat. Eine Differenzierung nach den einzelnen Unterarten der Plausibilitätsprüfung (zeitbezogen, patientenbezogen) ist für den Vertragsarzt nicht ohne weiteres erkennbar, sondern muss von der Kassenärztlichen Vereinigung kenntlich gemacht werden. Hierzu reicht es aber nicht aus, dass die Prüfung als zeitbezogene Plausibilitätsprüfung ergeht, sondern notwendig ist, dass die Kassenärztliche Vereinigung in ihrer Prüfung oder spätestens im Bescheid über die Neufestsetzung und Honorarrückforderung darauf hinweist, dass eine weitere Prüfung der Abrechnung auf ihre (patientenbezogene) Plausibilität erfolgen wird bzw. dass eine solche Überprüfung bislang nicht abschließend erfolgt ist und die Neufestsetzung insoweit weiterhin unter Vorbehalt erfolgt.
Da die Beklagte einen solchen Hinweis erst im Schreiben vom 03.06.2011 aufgenommen hat und nicht bereits – wie es notwendig gewesen wäre – im Bescheid vom 04.11.2008, konnte der Kläger darauf vertrauen, dass für die überprüften Quartale I/06 bis I/07 keine weitere Abrechnungskorrektur aufgrund einer Plausibilitätsprüfung erfolgen würde. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 05.01.2011 hatte die Beklagte daher ihr Prüfungsrecht für eine Plausibilitätsprüfung für die Quartale I/06 bis I/07 verbraucht. 

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Abrechnungsprüfungsrichtlinie, da auch nach den dortigen Bestimmungen die Plausibilitätsprüfung ein einheitliches Verfahren mit derselben Zielsetzung darstellt.
Gemäß § 106a Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz SGB V a. F. vereinbaren die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Prüfungen nach den Absätzen 2 und 3 (Abrechnungsprüfungsrichtlinie < APRL >).

§ 1 Absatz 1 Satz 1 APRL formuliert den Anwendungsbereich der Richtlinie dahingehend, dass sie Anwendung auf die Prüfung der Abrechnung der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Psychotherapeuten (zugelassene und ermächtigte Ärzte und Psychotherapeuten) sowie der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden ärztlich geleiteten Einrichtungen (zugelassene Medizinische Versorgungszentren, zugelassene Einrichtungen nach § 311 SGB V, zugelassene Krankenhäuser, ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen) findet.

§ 2 Abs. 1 APRL begrenzt die Zuständigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung auf die in § 106a Abs. 2 SGB V vorgesehene Durchführung der Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit und die darauf bezogene Plausibilitätsprüfung.

§ 3 Abs. 1 APRL beschreibt als Gegenstand der Abrechnungsprüfung die Rechtmäßigkeit der Abrechnungen. Dies umfasst die rechtlich ordnungsgemäße Leistungserbringung und die formal richtige Abrechnung der erbrachten Leistungen und der geltend gemachten Sachkosten.
Nach Abs. 2 wird die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Abrechnung bei der Kassenärztlichen Vereinigung im Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung durchgeführt (§ 4). Bestandteil dieser Prüfung ist die Plausibilitätsprüfung in dem in § 7 geregelten Umfang.

Zum Gegenstand und zum Ziel der Plausibilitätsprüfung führt § 5 APRL wie folgt aus:
Absatz 1: Die Plausibilitätsprüfung stellt ein Verfahren dar, mit dessen Hilfe aufgrund bestimmter Anhaltspunkte und vergleichender Betrachtungen die rechtliche Fehlerhaftigkeit ärztlicher Abrechnungen vermutet werden kann. Anhaltspunkte für eine solche Vermutung sind Abrechnungsauffälligkeiten. Abrechnungsauffälligkeiten sind durch die Anwendung der Aufgreifkriterien mit sonstigen Erkenntnissen aus Art und Menge der abgerechneten ärztlichen Leistungen zu gewinnende Indizien, welche es wahrscheinlich machen, dass eine fehlerhafte Leistungserbringung im Sinne des § 6 zugrunde liegt.
Absatz 2: Die Plausibilitätsprüfung allein ersetzt nicht das Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigstellung. Erst wenn die Kassenärztliche Vereinigung aufgrund der Plausibilitätsprüfung allein oder in Verbindung mit weiteren Feststellungen zu dem Ergebnis kommt, dass die Leistungen fehlerhaft abgerechnet worden sind, führt die Kassenärztliche Vereinigung ein Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigstellung durch. Auch die Krankenkasse kann Folgerungen aus einer Plausibilitätsprüfung erst ziehen, wenn sich daraus die Fehlerhaftigkeit der Abrechnung ergibt.
Absatz 3: Ergibt die Plausibilitätsprüfung einen Anhaltspunkt dafür, dass der Arzt die Leistungen in einem unwirtschaftlichen Ausmaß erbracht hat, veranlasst die Kassenärztliche Vereinigung die Einleitung eines Verfahrens der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V. Bei der Regelung von Antragsfristen in Vereinbarungen nach § 106 Abs. 3 SGB V ist vorzusehen, dass diese nicht für Anträge nach Satz 1 gelten.

§ 7 Abs. 1 APRL regelt wiederum, dass Plausibilitätsprüfungen als regelhafte (Absatz 2), als ergänzende Plausibilitätsprüfungen (Absatz 3), als Stichprobenprüfungen (Absatz 4) und als anlassbezogene Prüfungen (Absatz 5) durchgeführt werden.

Nach Ansicht der Beklagten zeige sich aus der „und“-Aufzählung in § 7 APRL und dem Fehlen einer Ausschlussklausel, dass diese Prüfungen nebeneinander durchgeführt werden können.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich hieraus aber nicht, dass es sich um unterschiedliche Prüfungen mit unterschiedlichen Zielrichtungen und Ansatzpunkten handelt. Vielmehr zeigt bereits § 5 Abs. 1 APRL, dass die Plausibilitätsprüfung eine Prüfungsart ist, die darauf gerichtet ist durch Ermittlung bestimmter Anhaltspunkte und vergleichender Betrachtungen im Ergebnis die Fehlerhaftigkeit ärztlicher Abrechnungen aufzudecken. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Ausgestaltung der Plausibilitätsprüfung unterschiedlich erfolgen kann. Egal, ob es aber um eine regelhafte, ergänzende, stichprobenartige oder anlassbezogene Prüfung geht, im Ergebnis handelt es sich dabei immer um eine Plausibilitätsprüfung.
Die Kammer verlangt von der Beklagten auch nicht, eine „entweder oder“-Entscheidung zu treffen. Vielmehr bleibt es ihr unbenommen, eine zeit- und eine patientenbezogene Plausibilitätsprüfung vorzunehmen. Diese Arten der Plausibilitätsprüfung kann sie auch neben- oder hintereinander durchführen. Sie muss dies jedoch für den Vertragsarzt kenntlich machen, wenn sie das Entstehen von Vertrauensschutz verhindern will. Denn in der Außenwirkung handelt es sich bei den aufgezählten Prüfungsarten stets um die Plausibilitätsprüfung. Weitere Details muss der Vertragsarzt nicht kennen, vielmehr kann er grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Plausibilitätsprüfung abgeschlossen ist, wenn ihm gegenüber ein Korrekturbescheid aufgrund einer Plausibilitätsprüfung ergangen ist. Es ist hierfür nicht ausreichend, dass die Beklagte die Plausibilitätsprüfung als „zeitbezogen“ oder „patientenbezogen“ bezeichnet. Eine solche Bezeichnung zeigt dem Vertragsarzt zwar, was geprüft wurde, nicht jedoch, dass daneben noch weitere Untersuchungen hinsichtlich der Plausibilität seiner Abrechnung erfolgen werden bzw. können. Wie bereits zuvor dargelegt ist es notwendig, dass die Kassenärztliche Vereinigung in ihrer Prüfung oder spätestens im anschließenden Bescheid über die Neufestsetzung und Honorarrückforderung darauf hinweist, dass eine weitere Prüfung der Abrechnung auf ihre (patientenbezogene) Plausibilität erfolgen wird bzw. dass eine solche Überprüfung bislang nicht erfolgt ist und die Neufestsetzung insoweit weiter unter Vorbehalt erfolgt.

Da die Beklagte diesen Hinweis unterlassen und somit ihr Prüfungsrecht hinsichtlich der Plausibilitätsprüfung der Quartale I/06 bis I/07 verbraucht hat, ist für den Kläger Vertrauensschutz dergestalt entstanden, dass er davon ausgehen durfte, dass in den bereits geprüften Quartalen keine erneute Plausibilitätsprüfung erfolgen würde. Hinsichtlich dieses erst im Verfahren entstandenen Vertrauensschutzes greift auch kein Vertrauensausschlusstatbestand ein.

Der Bescheid vom 05.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2016 ist daher hinsichtlich der Honorarrückforderung für die Quartale I/06 bis I/07 rechtswidrig. Er verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist insoweit aufzuheben.

b) Anders stellt sich die Situation in den übrigen streitgegenständlichen Quartalen dar. Da die Beklagte für die Quartale II/07 bis IV/07 erstmals mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 05.01.2011 eine Plausibilitätsprüfung angestoßen hat, greift diesbezüglich kein Vertrauensschutz ein.

Inhaltlich ist die patientenbezogene Plausibilitätsprüfung in den Quartalen II/07 bis IV/07 nicht zu beanstanden.

Die Beklagte hat erhebliche Patientenidentitäten festgestellt, sowie Auffälligkeiten beim Einlesen der Versichertenkarte. Die festgestellten Auffälligkeiten haben hinreichenden Anlass zu einer sachlich-rechnerischen Prüfung geboten. Im Einzelnen wird auf den angefochtenen Ausgangs- und Widerspruchsbescheid verwiesen (§ 136 Abs. 3 SGG).

Es ist in erster Linie Sache des Arztes, begründete Zweifel an der Richtigkeit der Abrechnung auszuräumen. Diese Obliegenheit ist umso ausgeprägter, je gravierender die Hinweise auf Abrechnungsfehler sind. Als Anspruchsteller trifft den Arzt grundsätzlich die Feststellungslast hinsichtlich der Voraussetzungen für seinen Vergütungsanspruch. Das gilt vor allem, wenn sich der Arzt auf für ihn günstige Tatsachen berufen will, die allein ihm bekannt sind oder nur durch seine Mithilfe aufgeklärt werden können. Die zur Begründung seines Anspruchs dienenden Tatsachen muss der Vertragsarzt in diesen Fällen so genau wie möglich angeben und belegen (vgl. BSG, Urteil vom 15.07.2020, B 6 KA 13/19 R, Rn. 32 Juris; BSG, Urteil vom 13.05.2020, B 6 KA 6/19 R, Rn. 27 f. Juris jeweils m. w. N.). Ein Vertragsarzt hat im Rahmen seiner Abrechnung die Voraussetzungen der beanspruchten Gebührenpositionen unter Beachtung des unmittelbar verpflichtenden Wirtschaftlichkeitsgebots jedenfalls nach Beanstandungen und Nachfragen der Kassenärztlichen Vereinigung nachzuweisen. Dies gilt auch für die besonderen Leistungsvoraussetzungen von qualifizierten, d. h. aufwändigeren und daher höher dotierten Leistungspositionen. Der Nachweispflicht unterfällt auch, dass die aufwändigere (und daher höher honorierte) Leistung gegenüber einer weniger aufwändigen (geringer honorierten) Leistung erforderlich war, d. h. die den höheren Aufwand bedingenden Umstände müssen ebf. nachgewiesen werden. Darlegungs-, Nachweis- und Dokumentationspflichten stellen Obliegenheiten des Vertragsarztes dar. Soweit diesen nicht hinreichend nachgekommen wird, wird der entsprechende Honoraranspruch verwirkt. Nicht hinreichend dargelegte, dokumentierte und nachgewiesene Leistungen sind als nicht erbracht bzw. als nicht erfüllt anzusehen und können nicht abgerechnet werden (vgl. LSG Hessen, Urteil vom 27.05.2015, L 4 KA 50/12, Rn. 166 ff. Juris, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschluss vom 17.03.2016, B 6 KA 60/15, Juris).

Der Kläger hat inhaltlich keine Einwände gegen die Feststellungen der Beklagten erhoben, sondern einzig mit bestehenden Vertrauensschutzaspekten aufgrund der wiederholten Plausibilitätsprüfung argumentiert. Davon abgesehen hat er die grundsätzliche Verpflichtung zur Honorarrückzahlung aufgrund der festgestellten Patientenidentitäten nicht in Abrede gestellt.

Angesichts der von der Beklagten festgestellten Verstöße gegen die Regeln des Vertragsarztrechts erweisen sich die von dem Kläger in den streitbefangenen Quartalen jeweils der Abrechnung beigefügten Abrechnungssammelerklärungen, in denen er die ordnungsgemäße Erbringung der abgerechneten Leistungen bestätigt hat, als falsch, mit der Folge, dass die Beklagte berechtigt war, die Honorarbescheide aufzuheben und die Honorare im Wege der Schätzung neu festzusetzen (vgl. BSG, Urteil vom 23.06.2010, B 6 KA 7/09 R, Rn. 69 Juris). Der Beklagten kommt dabei ein weites Schätzungsermessen zu.

4. Die Berechnung des Berichtigungsbetrages ist nicht zu beanstanden.

Keinesfalls steht dem Kläger mehr an Honorar zu, als ihm bei rechtmäßiger Abrechnung zu zahlen gewesen wäre (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006, B 6 KA 76/04 R, Rn. 22 Juris). Dies bedeutet jedoch nicht, dass den Ärzten auch tatsächlich das Honorar zu zahlen wäre, das sie erhalten hätten, wenn sie legal zusammengearbeitet hätten. Ausgehend hiervon ist die Berechnung des Berichtigungsbetrags nicht zu beanstanden. Vorliegend wurde dem Kläger in erheblichem Umfang Honorar für einen Anteil von Patientenidentitäten belassen, so dass Fehler bei der sachgerechten Ausübung des Schätzungsermessens nicht ersichtlich sind (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 30.11.2016, L 4 KA 22/14, Rn. 55 Juris). Dieser für den sog. Missbrauch der Kooperationsform entwickelte Maßstab kann hier angewandt werden, da es sich ebenfalls um auffällige Patientenidentitäten handelt. 

Auch der vom Kläger beanstandete Einbehalt der Verwaltungskosten ist von der Beklagten ordnungsgemäß vorgenommen worden.

Insgesamt war der Klage daher hinsichtlich der Quartale I/06 bis I/07 stattzugeben. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt das anteilige Obsiegen bzw. Unterliegen der Beteiligten sowie die teilweise Klagerücknahme. 

V. Die Streitwertfestsetzung erfolgt im Beschlusswege.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 € anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG). Der wirtschaftliche Wert folgt aus dem gesamten Rückforderungsbetrag, der im angegriffenen Bescheid vom 05.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2016 festgesetzt wurde. Dies ergab den festgesetzten Wert.
 

Rechtskraft
Aus
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