L 7 AS 326/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 41 AS 1809/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 326/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AS 131/22 AR
Datum
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.12.2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme für eine Büroausstattung zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit streitig.

Der Kläger, geboren am 00.00.1971, ist gelernter Büro- und Versicherungskaufmann und war früher Versicherungsvertreter der Z. Er bezog jedenfalls in der Vergangenheit ab 2005 – mit Unterbrechungen – Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bereits zuvor stand er nach eigenen Angaben seit 2000/2001 im Sozialleistungsbezug. Er ist unverheiratet und hat eine am 00.00.2000 geborene Tochter, für die er in der Vergangenheit unterhaltspflichtig war.

Am 24.08.2006 meldete der Kläger ein Gewerbe für „An- und Verkauf von Kraftwagen, Wohnmobilen; EH mit Kraftwagen und Wohnmobilen; Vermittlung von Kraftfahrzeugen; Versicherungs-, Börsen- und Immobilienmakler, Vermittlung Versicherung von Bausparverträgen, An- und Verkauf von Immobilien“ an. Ziel des Klägers war es u.a. aufgrund seiner Kundenkontakte aus seiner früheren Tätigkeit Zuführungsvereinbarungen gegen Provision für andere Versicherungsvertreter zu treffen („Tippgeber“). Eine Erlaubnis als Versicherungsvermittler/-berater nach § 34d GewO holte der Kläger nicht ein.

Ab 2010 beantragte der Kläger wiederholt beim Beklagten Eingliederungsleistungen für Selbständige zum Erwerb von Büromaterial (PC, Scanner, Fax, Drucker). Er habe aufgrund einer früheren Geschäftsinsolvenz Schulden iHv rund 65.000 € und benötige nach der vom Beklagten verschuldeten Pfändung seiner Büroeinrichtung neue Büroarbeitsmittel. Das von ihm konzipierte Versicherungszuführungsgewerbe sei tragfähig. Er stütze sich dabei auf eine Einschätzung des Herrn Ing. Y vom Verein „G“ vom 23.01.2010, der eine Tragfähigkeit der selbständigen Tätigkeit innerhalb eines Jahres nach dem Beratungsgespräch für möglich hielt.

Mit Bescheid vom 16.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2010 lehnte der Beklagte den Leistungsantrag des Klägers auf „Ausstattung Homeoffice“ über 4.400 € ab. Im anschließenden Klage- und einstweiligen Rechtsschutzverfahren (S 3 AS 2522/10; S 3 AS 3364/10 ER) hat der Beklagte zugesichert, dass er vier Wochen nach Vorlage eines neuen Berichts des Vereins „G“ erneut über den Antrag des Klägers mit rechtsmittelfähigen Bescheid entscheiden werde. Der Kläger hat hierauf in einem Erörterungstermin vom 17.09.2010 seine Klage und seinen Eilantrag zurückgenommen.

Am 24.01.2011 erstellte der Beklagte einen Vermerk über eine fernmündliche Besprechung mit einem Mitarbeiter des Vereins „G“. Darin heißt es u.a.:

„Herr Dr. D. bestätigt, dass eine konstruktive Zusammenarbeit mit Herrn S. (Anm.: der Kläger) nicht möglich gewesen sei. Herr S. habe ihn intensiv beschimpft und unter Druck gesetzt. Eine objektive Beurteilung war nicht möglich.“

Einen Antrag auf Büroausstattung iHv 4.000 € vom 22.04.2014 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 23.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015 ab.

Hiergegen hat der Kläger am 20.05.2015 Klage beim Sozialgericht Düsseldorf erhoben und schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 23.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015 zu verurteilen, ihm Leistungen zur Förderung der selbständigen Tätigkeit in Form einer Büroausstattung zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 10.12.2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zu der mündlichen Verhandlung ist der Kläger nicht erschienen. Das Urteil wurde dem Kläger zugestellt, weil die frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 30.12.2019 aufgrund Aufgabe ihrer Rechtsanwaltszulassung zum 31.12.2019 das Mandat niedergelegt hatte.

Gegen das ihm am 29.01.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.02.2021 mittels einfacher E-Mail Berufung eingelegt. Er sei von seiner früheren Prozessbevollmächtigten zu keiner Zeit über die Mandatsniederlegung informiert worden. Am Dienstag, den 02.03.2021 ging beim Landessozialgericht ein vom Kläger unterschriebener Berufungsschriftsatz ein.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.12.2020 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 23.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015 Eingliederungsleistungen zum Erwerb einer Büroausstattung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Unter dem 05.05.2022 hat der Senat den Beteiligten mitgeteilt, dass die Berufung vom 27.02.2021 nicht formgerecht und die Berufung vom 02.03.2021 nicht fristgerecht eingelegt worden sei. Ferner hat der Senat mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die Berufung durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen (§ 158 Satz 1 und 2 SGG).

 

II.

Die Berufung ist unzulässig, weil sie nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden ist. Sie ist daher gemäß § 158 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann gemäß § 158 Satz 2 SGG durch Beschluss ergehen. Der Senat hat nach Anhörung (vgl. zu deren Notwendigkeit etwa BSG, Beschluss vom 24.04.2008 – B 9 SB 78/07 B) des Klägers von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, da die Rechtslage eindeutig ist und eine Entscheidung durch Urteil nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht nicht erforderlich ist (zur Notwendigkeit mindestens einer mündlichen Verhandlung: BSG, Beschluss vom 09.12.2008 – B 8 SO 13/08 B).

Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Nach § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Sowohl beim Landessozialgericht als auch beim Sozialgericht können schriftlich einzureichende Anträge überdies als elektronische Dokumente eingereicht werden (§ 65a Abs. 1 SGG), sofern die weiteren Voraussetzungen des § 65a Abs. 2 bis 6 SGG erfüllt sind.

Die mittels einfacher E-Mail eingereichte Berufung vom 27.02.2021 ist in diesem Sinne nicht formgerecht eingereicht worden, weil eine per einfacher E-Mail eingereichte Berufung weder der Schriftform (vgl. § 126 Abs. 1 BGB: Ist durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben, so muss die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigen Handzeichens unterzeichnet werden) genügt, noch „zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle“ eingelegt wurde (zur Unzulässigkeit einer per einfacher E-Mail versandten Berufung: BSG Beschluss vom 15.11.2010 – B 8 SO 71/10 B; Leitherer, in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl., § 151 Rn. 3f). Die einfache E-Mail erfüllt auch nicht die sich aus § 65a SGG ergebenden Voraussetzungen für die Einreichung als elektronisches Dokument. Danach muss das elektronische Dokument entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 65a Abs. 3 und Abs. 4 SGG). Diesen Anforderungen genügt die mit einer einfachen E-Mail eingereichte Berufung nicht (vgl. LSG Land Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 08.04.2021 – L 12 AS 311/21 B ER; LSG Hamburg Urteil vom 10.05.2021 – L 4 AS 20/21).

Die am Dienstag, den 02.03.2021 eingegangene schriftliche Berufung vom 25.02.2021 erfolgte zwar formgerecht, aber außerhalb der Monatsfrist nach § 151 Abs. 1 SGG und ist damit nicht fristgerecht eingelegt worden. Der Lauf einer Frist beginnt gemäß § 64 Abs. 1 SGG, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung. Eine nach Tagen bestimmte Frist endet gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG mit dem Ablauf ihres letzten Tages, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fehlt dem letzten Monat der entsprechende Tag, so endet die Frist nach § 64 Abs. 2 Satz 2 SGG mit dem Monat. Vorliegend ist dem Kläger das Urteil des Sozialgerichts vom 10.12.2020 per Postzustellungsurkunde am 29.01.2021 zugestellt worden. Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG endete die Frist damit eigentlich am „29.02.2021“. Da das Jahr 2021 kein Schaltjahr war, sodass es keinen 29.02.2021 gab, endete die Frist nach § 64 Abs. 2 Satz 2 SGG mit dem Ende des Monats Februar 2021, mithin am 28.02.2021. Da der 28.02.2021 ein Sonntag war, verschob sich das Fristende gemäß § 64 Abs. 3 SGG auf den „Ablauf des nächsten Werktags“, hier auf Montag, den 01.03.2021. D.h., dass die Berufung spätestens am Montag, den 01.03.2021 beim LSG oder SG Düsseldorf schriftlich (oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten) hätte eingehen müssen. Die am 02.03.2021 eingegangene Berufung erfolgte daher nicht fristgerecht.

Wiedereinsetzungsgründe nach § 67 SGG hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Solche waren angesichts der korrekten Rechtsmittelbelehrung auch sonst nicht ersichtlich. Von dem gut ausgebildeten und geschäftserfahrenen Kläger kann erwartet werden, dass er die Rechtsmittelbelehrung liest und entsprechend verfährt. Soweit er behauptet, er sei von seiner früheren Prozessbevollmächtigten nicht über die Mandatsniederlegung informiert worden, so ist dies nicht glaubhaft, weil der Kläger ausweislich der Gerichtsakten seine frühere Prozessbevollmächtigte mit E-Mail vom 23.01.2020 angeschrieben und die Beendigung des Mandatsverhältnisses darin nicht akzeptiert hat. Letztlich ist dies unerheblich, da der Kläger jedenfalls in dem Urteil des Sozialgerichts vom 10.12.2020 über die Mandatsniederlegung informiert und ihm das Urteil nachweisbar persönlich zugestellt wurde.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil sich die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wegen des Formmangels aufgrund eines Verstoßes des Gerichts gegen die „prozessuale Fürsorgepflicht“ als unverschuldet darstellt (vgl. eingehend dazu etwa Hessisches LAG Urteil vom 23.03.2022 –
6 Sa 1248/20, juris, Rn. 38ff.). Die aus dem Gebot eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG) folgende gerichtliche Fürsorgepflicht kann es zwar gebieten, einen Prozessbeteiligten auf einen – leicht erkennbaren – Formmangel hinzuweisen und ihm ggf. Gelegenheit zu geben, den Fehler fristgerecht zu beheben (vgl. BGH Beschluss vom 14.10.2008 – VI ZB 37/08, juris, Rn. 10.). Ein solcher Hinweis des Senats war vorliegend jedoch nicht geboten bzw. möglich. Die E-Mail vom 27.02.2021, einem Samstag, ist – entsprechend dem üblichen (ordentlichen) Geschäftsgang – erst am darauffolgenden Montag, dem letzten Tag der laufenden Berufungsfrist, ausgedruckt und dem (seinerzeitigen) Senatsvorsitzenden erst am 02.03.2021 und damit nach Ablauf der Berufungsfrist vorgelegt worden. Der Kläger durfte bei dieser Sachlage weder darauf vertrauen (zu diesem Gesichtspunkt BGH Beschluss vom 14.10.2008 – VI ZB 37/08, juris, Rn. 11) noch konnte er damit rechnen, dass dem Gericht der Verstoß gegen das Erfordernis der Schriftform bei fristgerechter Bearbeitung der Sache im ordentlichen Geschäftsgang noch innerhalb der Berufungsfrist so zeitig auffallen würde, dass ihm auf einen entsprechenden Hinweis des Gerichts die Behebung des Mangels möglich gewesen wäre.

Da die Rechtsmittelbelehrung weder unterblieben noch unrichtig erteilt wurde, war auch § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG vorliegend nicht anzuwenden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Revisionszulassungsgründe iSv §§ 158 Satz 3, 160 Abs. 2 SGG nicht vorlagen.

 

Rechtskraft
Aus
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