S 45 KR 998/20

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 45 KR 998/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (u. a. Urt. v. 10. November 2021 – B 1 KR 16/21 R) wird die Reichweite einer möglichen Präklusion für den Vortrag von Tatsachen mit Relevanz für die Krankenhaushausvergütung nach § 7 Abs. 2 Satz 4 bis 9 PrüfvVbg vom 03.02.2016 durch den Prüfgegenstand des Prüfverfahrens und die Anforderung konkret durch den MDK bezeichneter Unterlagen bestimmt (sog. Ermittlungstiefe).

2. Jedenfalls soweit sich aus den vorgelegten Unterlagen die Voraussetzungen der Durchführung der entgeltrelevanten Prozedur eindeutig ermitteln lassen, ist kein Raum für eine weitergehende Mitwirkungsobliegenheit des Krankenhauses zur Vorlage weiterer Unterlagen.

3. Insbesondere ist die Vorlage eines Operationsberichts nicht erforderlich, wenn sich aus der einzig konkret durch den MDK angeforderten und durch das Krankenhaus vorgelegten Epikrise bereits die Durchführung der abgerechneten Prozedur mit ihren Merkmalen ergibt.

Bemerkung

Krankenversicherung – Reichweite der Mitwirkungsobliegenheit des Krankenhauses – Bestimmung der Ermittlungstiefe durch den MDK – Nachweis einer Prozedur mittels Epikrise

      1. Die Beklagte wird verpflichtet, an die Klägerin eine weitere Vergütung i. H. v. EUR 35.686,38 nebst Zinsen i. H. v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23. September 2020 zu zahlen.
         
      2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
         
      3. Der Streitwert wird auf EUR 35.686,38 festgesetzt.
         

 

 

T a t b e s t a n d :

 

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer Krankenhausbehandlung hinsichtlich der Kodierung des Einsetzens einer vierfach gebranchten Stentprothese und des entsprechenden Zusatzentgelts (ZE).

 

Die Klägerin, Trägerin eines für die Behandlung Versicherter nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (im Folgenden: SGB V) zugelassenen Krankenhauses, behandelte dort den 1937 geborenen und bei der Beklagten gesetzlich Versicherten G. K. (im Folgenden: Versicherter) vom 21. Februar bis zum 19. März 2018 vollstationär. Die Aufnahme erfolgte geplant aufgrund einer Verordnung der Fachärztin für Allgemeinmedizin/Naturheilverfahren Dipl.-Med. R. vom 13. Februar 2018, in der als Diagnose ein abdominales Aortenaneurysma (I71.4) angegeben war. Am 22. Februar 2018 wurde der Versicherte operiert. In einem auf den 8. März 2018 datierten und an die Klinik K. adressierten vorläufigen Verlegungsbericht wurde dazu ausgeführt:

"Am 22. Februar 2018 erfolgte der geplante Eingriff als Implantation einer vierfach gebranchten aortobiiliakalen Stentprothese (c[u]stom-made, Fa. Bolton) mit selektiver Stentung des Truncus coeliacus, Aa. renales und A. mesenterica superior in unkomplizierter Allgemeinanästhesie. Der operative Zugang erfolgte bifemoral sowie axillär links. Der intraoperative Blutverlust betrug etwa 400 ml und war nicht transfusionspflichtig."

Am Ende enthielt dieser Bericht folgenden Zusatz:

"Dieser Verlegungsbericht dient der Informationsübergabe zur Weiterbehandlung, er ist kein Beleg zur Entgeltabrechnung nach DRG."

 

Die Klägerin rechnete den stationären Aufenthalt gegenüber der Beklagten mit Rechnung vom 24. April 2018 in Höhe von EUR 82.704,58 mit der DRG-Fallpauschale (sog. Diagnosis Related Groups) DRG A13A (Beatmung > 95 Std. mit hochkompl. Eingr. od. mit kompl. OR-Proz. u. int. Komplexbeh. > 1176 / 1380 / 1656 P. od. mit kompl. OR-Proz. u. int. Komplexbeh. > - / 1104 / 1104 P. od. b. Lymphom und Leukämie, m. kompliz. Konst. u. best. OR-Proz., Alter < 16 J.) und dem Zusatzentgelt "ZE2018-53.0" für Stentgraft-Prothesen an der Aorta, mit Fenestrierung oder Seitenarm ab. Als Operations-und Prozedurenschlüssel (OPS) war 5-38a.8f für die endovaskuläre Implantation einer Stentprothese mit vier oder mehr Öffnungen im Rahmen der Operation an Blutgefäßen an der Aorta thoracoabdominalis angegeben. Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (im Folgenden: MDK) dann u. a. mit der Prüfung der vorgenommenen Prozedur 5-38a.8f und des abgerechneten Zusatzentgelts (ZE 2018-53). Der MDK forderte mit Prüfanzeige vom 11. Mai 2018 wie folgt bei der Klägerin an:

"Bitte senden Sie uns die Epikrise sowie alle weiteren für die Beurteilung der zur Prüfung angezeigten Aspekte erforderlichen Unterlagen fristgerecht […] zu."

 

Mit Schreiben vom 16. Mai 2018 übersandte die Klägerin an den MDK die Daten-CD der Intensivstation, auf der sich der vorläufige Verlegungsbericht mit dem Datum vom 8. März 2018 befand. In seinem Gutachten vom 10. Dezember 2018 gelangte der MDK (Gutachterin Dr. med. C.) u. a. auf der Grundlage dieses Berichts zu der Einschätzung, dass eine endovaskuläre lmplantation einer Stent-Prothese in die Aorta, mit 4 oder mehr Öffnungen, ohne Vorlage des lnterventionsberichtes bzw. des Materialverbrauches so nicht feststellbar gewesen sei. Der OPS 5-38a.8f und das ZE2018-53 seien gutachtlich nicht nachvollziehbar. Das Prüfergebnis teilte die Beklagte der Klägerin am 25. Februar 2019 mit. Die Beklagte ging nach dieser Begutachtung davon aus, dass der DRG F36B (Intensivmedizinische Komplexbeh. bei Krankh. und Störungen des Kreislaufsystems mit kompliz. Faktoren, > 588 / 828 / - P. od. > - / - / 1104 P. mit best. OR-Proz. oder > - / - / 552 P. mit best. Aortenstent oder minimalinv. Eingr. an mehreren Herzklappen) zur Anwendung gelangen müsse. Daraus ergebe sich ein um EUR 35.686,38 geringerer Abrechnungsbetrag. Die Beklagte führte daraufhin eine dieser Höhe entsprechende Verrechnung durch.

 

Mit ihrer am 23. September 2020 beim Sozialgericht Dresden eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin die Abrechnung des Differenzbetrages weiter. Mit der Vorlage des auf den 8. März 2018 datierten vorläufigen Verlegungsberichts habe sie alle nach der Prüfanzeige erforderlichen Informationen an den von der Beklagten eingeschalteten MDK übermittelt. Die Voraussetzungen des strittigen OPS und des Zusatzentgelts seien mit diesem Bericht nachvollziehbar.

 

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, an die Klägerin eine weitere Vergütung i. H. v. EUR 35.686,38 nebst Zinsen i. H. v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23. September 2020 zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Aus Sicht der Beklagten seien die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen nach § 7 Abs. 5 Satz 3 der Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V gemäß § 17c Abs. 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz (im Folgenden: KHG) vom 3. Februar 2016 (im Folgenden: PrüfvV 2016) unzureichend. Der Klägerin habe oblegen, nähere Informationen wie den Operationsbericht bereits auf die Prüfanzeige vom 11. Mai 2018 vorzulegen. Der Abrechnung des Differenzbetrages stehe nunmehr wegen nicht fristgerechter Vorlage materielle Präklusion entgegen. Der vorgelegte vorläufige Verlegungsbericht reiche nicht aus. Ferner ergebe sich aus dem Zusatz an dessen Ende, dass er im Rahmen von Kodierprüfungen nicht herangezogen werden dürfe. Zudem sei gegen das Gebot zeitnaher Dokumentation aus § 630f Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (im Folgenden: BGB) verstoßen worden. Auch ein Nachverfahren gemäß § 9 PrüfvV 2016 sei durch die Klägerin nicht angestrengt worden.

 

Im gerichtlichen Verfahren hat die Klägerin einen auf den 6. Juni 2018 datierten Operationsbericht und ein Nachtragsprotokoll zur Operation am 22. Februar 2018 vorgelegt. Im Operationsbericht hat die Klägerin u. a. nähere Einzelheiten zum Verlauf der Implantation einer 4-fach gebranchten Prothese aufgeführt, im Nachtragsprotokoll u. a. die Implantation einer vierfach gebranchten aortobiiliakalen Stentprothese. Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme des Medizinischen Dienstes Sachsen (im Folgenden: MD) vom 1. März 2022 (Gutachterin Dr. med. C.) mit folgendem Inhalt eingeholt:

"lm Rahmen des Sozialgerichtsverfahrens wurde nun die annehmbar vollständig vorliegende Patientenakte aus dem Zeitraum 21. Februar 2018 bis 19. März 2018 auf 3 Daten-CD[s] beigebracht, worin unter anderem erstmals ein detaillierter Operationsbericht vom 22. Februar 2018 über den 7-stündigen Eingriff mit diversen Checklisten, Protokollen und auch dem Materialverbrauch enthalten und einsehbar sind.

Hieraus ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass am 22. Februar 2018 die elektive operative Sanierung des asymptomatischen Aortenaneurysmas mit Maximaldurchmesser 53 mm mittels lmplantation einer 4-fach gebranchten, aortothorakalen Stentprothese (c[u]stom-made, Fa. Bolton) mit selektiver Stentung des Abganges von Truncus coeliacus, der beiden Nierenarterienabgänge und des Abganges der Arteria mesenterica superior erfolgte. Die beiden Beckenarterien wurden separat operativ versorgt. Somit ist nun nach erstmaliger Vorlage des aussagefähigen Operationsberichtes im Rahmen des Sozialgerichtsverfahrens die Kodierrelevanz des OPS 5-83a.8f valide beurteilbar und zweifelsfrei belegt und somit auch das generierte Zusatzentgelt 2018-53-11 sachgerecht ermittelt.

Es handelt sich nach Dokumentationslage um eine patientenindividuelle Gefäßprothese. Die lndikation zur Operation ergibt sich aus dem Durchmesser, dem Größenwachstum pro Jahr und der Symptomatik. Nach gefäßchirurgischer Analyse besteht für Bauchaortenaneurysmen mit einem Durchmesser von ≥ 50 mm und/oder rascher Größenzunahme die lndikation zur operativen Sanierung – auch bei bis dato ggf. asymptomatischem Aneurysma. Somit ist der indikationsgerechte Einsatz bei einem angegebenen Durchmesser von 53 mm nachvollziehbar."

 

Im Übrigen wird wegen des Inhalts der Berichte und medizinischen Unterlagen, des Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand auf die Gerichtsakte, die Patientenakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

Die zulässige Klage ist begründet. Die von der Klägerin erhobene echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (im Folgenden: SGG) ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis statthaft (BSG, Urt. v. 16. Dezember 2008 – B 1 KN 1/07
KR R –, Rn. 9, juris, ständige Rechtsprechung). Die Klage ist begründet, weil der Klägerin auch ein Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von EUR 35.686,38 als weitere Vergütung für die Krankenhausbehandlung
nach der DRG-Fallpauschale A13A mit dem Zusatzentgelt ZE2018-53 unter Berücksichtigung des OPS 5-38a.8f und mithin auch die geltend gemachten Zinsen zustehen. Die Beklagte war insoweit nicht zur Aufrechnung berechtigt. Ihr stand kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch über diesen Differenzbetrag zu, denn in dieser Höhe hatte sie zuvor die stationäre Behandlung der Versicherten mit Rechtsgrund vergütet. Die Klägerin kann den von ihr geltend gemachten Anspruch auf die von ihr vorgenommene Abrechnung stützen.

 

1. Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund der stationären Krankenhausbehandlung eines anderen Versicherten gegen diese einen Anspruch auf Zahlung des hier geltend gemachten Differenzbetrages hatte; eine nähere Prüfung erübrigt sich insoweit (zur Zulässigkeit dieses Vorgehens: BSG, Urt. v. 19. Juni 2018 – B 1 KR 39/17 R – juris Rn. 29 m. w. N.; ständige Rechtsprechung). Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob dieser Zahlungsanspruch durch die Aufrechnung der Beklagten mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die stationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten in Höhe der geltend gemachten Forderung erloschen ist. Dass die Abrechnung DRG-Fallpauschale A13A mit dem Zusatzentgelt ZE2018-53 auf der Grundlage des OPS 5-38a.8f zum Bestehen des Anspruchs auf den klageweise geltend gemachten Differenzbetrag führt, ist ebenfalls unstreitig.

 

2. Rechtsgrundlage für die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zur Erfüllung von Vergütungsansprüchen der Krankenhäuser ist § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i. V. m. §§ 387 ff. BGB (vgl. BSG, Urt. v. 28. November 2013 – B 3 KR 33/12 R –, Rn. 13, juris). Auch außerhalb der besonderen Regelungen der §§ 51, 52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch über die Aufrechnung gegen Sozialleistungsansprüche besteht im Sozialrecht allgemein die Möglichkeit, einer öffentlich-rechtlichen Forderung im Wege der Aufrechnung – bei entsprechender Anwendung der §§ 387 ff. BGB – entgegenzutreten. Voraussetzung dieses einseitigen Rechtsgeschäfts, mit dem die wechselseitige Tilgung zweier Forderungen bewirkt wird, ist gemäß § 387 BGB, dass sich zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gegenseitige, gleichartige und fällige bzw. erfüllbare Forderungen gegenüberstehen, wobei die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung uneingeschränkt wirksam und fällig sein muss, die Hauptforderung dagegen nur erfüllbar zu sein braucht (BSG, a. a. O.). Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung und damit korrespondierend die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes. Die Aufrechnungsvoraussetzungen waren hier aber nicht erfüllt, denn die Klägerin hatte einen Anspruch auf Vergütung der in ihrer Einrichtung erbrachten Behandlungsleistungen als Leistungen der vollstationären Krankenhausbehandlung im Sinne des § 39 Abs. 1 SGB V. Ohne öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch war die Beklagte nicht zur Aufrechnung berechtigt.

 

3. Der Klägerin steht der geltend gemachte Vergütungsanspruch zu.

 

a) Rechtsgrundlage des von der Klägerin geltend gemachten Vergütungsanspruchs gegen die Beklagte für die stationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten in der Zeit vom 21. Februar bis zum 19. März 2018 ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i. V. m. § 7 Satz 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG), § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), § 1 Fallpauschalenvereinbarung 2018 (FPV 2018) sowie Anlage 1 der FPV 2018 (Fallpauschalenkatalog 2018). Das Gesetz regelt in diesen Vorschriften die Höhe der Vergütung der zugelassenen Krankenhäuser bei stationärer Behandlung gesetzlich Krankenversicherter und setzt das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht, erforderliche Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V zu gewähren (§ 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V), dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus (BSG, Urt. v. 19. März 2020 – B 1 KR 20/19 R –, Rn. 11; vgl. auch SächsLSG, Urt. v. vom 25. September 2019 – L 1 KR 142/14 –, Rn. 17; jeweils juris). Ferner galt zum Behandlungszeitpunkt der am 1. Januar 2015 in Kraft getretene Sächsische Landesvertrag zu den allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V, den der Krankenhausgesellschaft Sachsen e.V. und auch die Beklagte abgeschlossen haben. Nach § 4 Abs. 1 dieser Vereinbarung haben Krankenhäuser Anspruch auf Vergütung der erbrachten Leistungen, wenn und soweit der Sachleistungsanspruch des versicherten Patienten gegeben ist (§ 39 SGB V).

 

b) Der Vergütungsanspruch der Klägerin für die streitige Krankenhausbehandlung ist dem Grunde nach entstanden. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Der Vergütungs-anspruch für eine Krankenhausbehandlung und dazu korrespondierend die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entstehen unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (SächsLSG, Urt. v. 24. März 2021 – L 1 KR 19/17 –, Rn. 26, juris, m. w. N.). Welche konkrete DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich gemäß § 1 Abs. 6 FPV 2018 rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten – insbesondere von Diagnosen und Prozeduren – in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert (BSG, Urt. v. 8. November 2011 – B 1 KR 8/11 R –, Rn. 19 ff., juris).

 

Für das erkennende Gericht steht fest, dass – wie von der Klägerin begehrt – nach der DRG-Fallpauschale A13A mit dem Zusatzentgelt ZE2018-53 auf der Grundlage des OPS 5-38a.8f abzurechnen war, da eine endovaskuläre Implantation einer Stent-Prothese mit vier oder mehr Öffnungen an der Aorta thoracoabdominalis erfolgte. Der vorliegende vorläufige Verlegungsbericht, das Nachtragsprotokoll zur Operation und der Operationsbericht lassen hierauf eindeutig schließen. Auch nach dem vorliegenden Gutachten des MD vom 1. März 2022 sind unter medizinischen Aspekten die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. An der medizinischen Sachkunde und fachlichen Qualifikation der für den MD tätigen Gutachterin bestehen keine Zweifel. Das Gutachten ist nachvollziehbar begründet und weist insoweit keine Lücken auf. Auch die Beteiligten stellen nicht in Frage, dass – bei rein inhaltlicher Betrachtung – die Voraussetzungen für die Abrechnung in der von der Klägerin begehrten Höhe vorliegen.

 

c) Dem Anspruch der Klägerin steht keine materielle Präklusionswirkung nach § 7 Abs. 2 Satz 4 bis 9 PrüfvV 2016 entgegen. Insbesondere kann die Beklagte nicht einwenden, dass die Klägerin Operationsbericht und Nachtragsprotokoll erst im gerichtlichen Verfahren und damit weit nach Ablauf der für das Prüfverfahren geregelten Fristen zur Verfügung gestellt habe.

 

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich das erkennende Gericht nach eigener Prüfung anschließt, handelt es sich bei § 7 Abs. 2 Satz 4 bis 9 PrüfvV 2016 um eine materielle Präklusionsregelung mit der Rechtsfolge, dass Unterlagen, die der MDK bzw. MD im Rahmen eines ordnungsgemäßen Prüfverfahrens angefordert, das Krankenhaus aber nicht fristgerecht vorgelegt hat, auch in einem späteren Gerichtsverfahren nicht mehr zur Begründung des Vergütungsanspruchs berücksichtigt werden dürfen. Die präkludierten Unterlagen sind als Beweismittel endgültig ausgeschlossen (BSG, Urt. v. 10. November 2021 – B 1 KR 16/21 R, Rn. 10 bis 16, und Urt. v. 18. Mai 2021 – B 1 KR 24/20 R, Rn. 10 bis 33, jeweils juris).

 

bb) Die Reichweite einer möglichen Präklusion wird indes durch den Prüfgegenstand und die Anforderung konkret durch den MDK bzw. MD bezeichneter Unterlagen bestimmt. Nach dem Wortlaut von § 7 Abs. 2 Satz 2 und 3 PrüfvV 2016 kann der MDK bei einer Prüfung im schriftlichen Verfahren die Übersendung von Kopien der Unterlagen verlangen, die er zur Beurteilung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung sowie zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung benötigt. Dabei kann sowohl der MDK die angeforderten Unterlagen konkret benennen als auch das Krankenhaus die aus seiner Sicht zur Erfüllung des konkreten Prüfauftrages erforderlichen Unterlagen ergänzen. Auch an dieser Stelle schließt sich das erkennende Gericht nach eigener Prüfung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an (BSG, Urt. v. 10. November 2021 – B 1 KR 16/21 R, Rn. 17 bis 20, juris; Zitierweise angepasst), das dazu ausgeführt hat:

"Der MDK entscheidet selbst, welche konkreten Unterlagen er anfordert und bestimmt danach auch die Ermittlungstiefe. Es ist gerade der Zweck der Regelung, dass sich der MDK nicht in jedem einzelnen Prüffall mit sämtlichen Behandlungsunterlagen auseinandersetzen muss, sondern das Prüfverfahren durch die von ihm – auch nach Erfahrungswerten – getroffene Auswahl der Unterlagen straff ausgestalten und effizient am Prüfauftrag ausrichten kann. Das Krankenhaus unterstützt ihn dabei. Es muss deshalb wissen, welche ihrer Art nach konkret bestimmten Unterlagen der MDK benötigt. Nur die nicht fristgemäße Vorlage ihrer Art nach konkret bezeichneter Unterlagen rechtfertigt die nicht unerhebliche Sanktionsfolge. Ansonsten müsste das Krankenhaus zur Vermeidung von Rechtsnachteilen dem MDK immer sämtliche Unterlagen zur Verfügung stellen. Dies widerspräche aber gerade dem durch die PrüfvV 2014 intendierten schlanken und gleichwohl effizienten Prüfverfahren (vgl. BSG, Urt. v. 18. Mai 2021 – B 1 KR 24/20 R, Rn. 17; vgl. dazu auch BSG vom 10. November 2021 – B 1 KR 22/21 R, Rn. 14, jeweils juris).

Auch diese Erwägungen gelten in gleicher Weise für die PrüfvV 2016. Denn § 7 Abs. 2 Satz 2 PrüfvV 2016 ist gegenüber der Vorgängerregelung in der PrüfvV 2014 unverändert geblieben.

Dass der MDK die benötigten Unterlagen anfordern und konkret benennen 'kann' (§ 7 Abs. 2 Satz 2 und 3 PrüfvV 2016), er hierzu also nicht verpflichtet ist, ist insofern unerheblich. Es handelt sich um eine Obliegenheit des MDK, der eigenverantwortlich sowohl über das 'Ob', als auch ggf. über den Umfang und die Konkretisierung der Unterlagenanforderung entscheidet. Der insoweit eröffnete Entscheidungsspielraum des MDK ändert aber nichts daran, dass nur eine der Art nach konkrete Bezeichnung der angeforderten Unterlagen die Verpflichtung des Krankenhauses zur Übersendung gemäß § 7 Abs. 2 Satz 4 PrüfvV 2016 auslöst, die unabdingbare Voraussetzung für den Eintritt der Präklusionswirkung ist.

Das Krankenhaus trifft zwar grundsätzlich keine von der Anforderung des MDK unabhängige Obliegenheit zur Übersendung von Unterlagen. Es 'kann' aber akzessorisch – zu den Unterlagenanforderungen des MDK – nach § 7 Abs. 2 Satz 3 PrüfvV 2016 die aus seiner Sicht zur Erfüllung des konkreten Prüfauftrages erforderlichen Unterlagen 'ergänzen'. Aus diesem Satz und dem weiteren Satz 5 des § 7 Abs. 2 PrüfvV 2016 folgt die Obliegenheit des Krankenhauses, zusätzlich zu den vom MDK (ihrer Art nach konkret bezeichnet) angeforderten Unterlagen weitere Unterlagen zu übersenden, die aus seiner Sicht zur Erfüllung des konkreten Prüfauftrages erforderlich sind. […]"

 

cc) Die Beklagte muss sich hier entgegenhalten lassen, dass der MDK bei der Unterlagenanforderung im Rahmen der Prüfanzeige vom 11. Mai 2018 lediglich die Epikrise konkret angefordert und damit die Ermittlungstiefe verbindlich bestimmt hat. Der auf den 8. März datierte vorläufige Verlegungsbericht, der an den MDK fristgerecht gelangte, stellt eine Epikrise in diesem Sinne dar. Eine Epikrise ist nach dem Wortsinn geprägt von der zusammenfassenden und kritischen Beurteilung des Krankheitsverlaufs durch die behandelnde Stelle, in der u. a. Anamnese, Diagnostik und Verlauf dargestellt werden (vgl. Wortbedeutung nach Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/Epikrise und Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Epikrise, jeweils Abruf zum Entscheidungszeitpunkt). Diese Anforderungen erfüllt der vorbezeichnete Bericht. Die Bezeichnung als "vorläufig" steht der Einordnung nicht entgegen, da es sich letztlich bei einer Epikrise vorwiegend um einen Zwischenstand der Behandlungsmaßnahmen handelt. Es begegnet ebenfalls keinen Bedenken, das die Datierung auf den 8. März 2018 offenbar ungenau vorgenommen wurde und es sich – wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung erörtert – eher um das erstmalige Speicherdatum des Dokuments handeln dürfte. Im Bericht sind Angaben zu einer Blutgasanalyse vom 19. März 2018 enthalten. Form und Inhalt des Berichts lassen keine Zweifel daran, dass die bis dahin vorgenommenen Behandlungsschritte umfassend und zutreffend wiedergegeben werden.

 

Auch die Formulierung am Ende des vorläufigen Verlegungsberichts, dass dieser kein Beleg zur Entgeltabrechnung nach DRG sei, steht seiner Beweiskraft hier nicht entgegen. Im Rahmen des Prüfverfahrens ist vielmehr in erster Linie entscheidend, welchen Unterlagen der MDK eine solche Beweiskraft als inhaltliche Quellen hinsichtlich der zu prüfenden Krankenhausbehandlung zuschreibt. Zu welchen Zwecken die Unterlagen ursprünglich von der Klinik erstellt worden sind, ist hier nicht ausschlaggebend, jedenfalls soweit keine Bedenken im Hinblick auf die inhaltliche Richtigkeit der Informationen bestehen. Auch dass im vorläufigen Verlegungsbericht der OPS 5-38a.8f nicht konkret vermerkt war, beeinträchtigt dessen Beweiswert nicht, da dieser Bericht nicht wegen der Abrechnung als solcher, sondern gerade wegen der Ausführungen zu den tatsächlich durchgeführten Behandlungsmaßnahmen auf Anforderung des MDK hier ins Prüfverfahren einbezogen wurde.

 

dd) Darüber hinaus bestanden keine Mitwirkungsobliegenheiten der klägerischen Klinik hinsichtlich der Vorlage eines Operationsberichts, wenngleich dieser inhaltlich ausführlichere Informationen als der vorläufige Verlegungsbericht enthielt. Alle Tatbestandsvoraussetzungen – nämlich endovaskuläre Implantation einer Stent-Prothese mit vier oder mehr Öffnungen an der Aorta thoracoabdominalis – konnten bereits mit dem vorläufigen Verlegungsbericht nachvollzogen werden. Die Vorlage des Operationsberichts ist dafür nicht erforderlich. Dass nach dem Prüfanlass und dem Charakter der hier in Prüfung stehenden Prozedur eine Operation durchgeführt worden sein musste, war offensichtlich. Dennoch hatte der MDK davon abgesehen, den Operationsbericht anzufordern.

 

Diese Betrachtungsweise steht auch mit dem Regelungszweck von § 7 Abs. 2 Satz 3 PrüfvV2106 im Einklang, wie er in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verstanden wird (BSG, Urt. v. 10. November 2021 – B 1 KR 16/21 R, Rn. 25, juris; Zitierweise und Abkürzungen angepasst):

"Ziel der PrüfvV ist ein effizientes und konsensorientiertes Prüfverfahren, bei dem die Krankenkassen, der MDK und die Krankenhäuser konstruktiv zusammenarbeiten (§ 1 PrüfvV 2016). § 7 Abs. 2 PrüfvV 2016 dient vorrangig, aber nicht allein der Beschleunigung und Verfahrenskonzentration. Die Regelung schafft einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Anspruch des Krankenhauses auf vollständige Vergütung der erbrachten erforderlichen Krankenhausbehandlungen und einem zügigen Abschluss des Prüfverfahrens und damit der Rechtssicherheit. Der Streitstoff für die Überprüfung der Abrechnung des Behandlungsfalls soll vollständig gebündelt und deren Abschluss insgesamt beschleunigt werden. Hierbei ist es grundsätzlich Aufgabe des MDK, die prüfrelevanten Begründungselemente durch die Unterlagenauswahl selbst so einzugrenzen, dass die Anspruchsprüfung konzentriert erfolgen kann, d. h. alle für die Anspruchsprüfung relevanten Gesichtspunkte erfasst werden können. Das Krankenhaus soll die aus Sicht des MDK für die Beantwortung der Prüffragen benötigten und konkret bezeichneten Unterlagen zeitnah vorlegen, damit das Prüfverfahren durch die Beantwortung der Prüffragen zügig seinen Abschluss finden kann. Versäumt der MDK die sachgerechte Eingrenzung der zur Abrechnungsprüfung benötigten Unterlagen, tritt das Interesse an der Überprüfung der Abrechnung hinter dem Interesse des Krankenhauses an vollständiger Vergütung der erbrachten Leistungen zurück (vgl. – zur PrüfvV 2014 – BSG, Urt. v. 18. Mai 2021 – B 1 KR 32/20 R, Rn. 24 m. w. N., juris)."

 

Aus den Regelungen in § 7 Abs. 2 PrüfvV 2016 folgt, dass an die Obliegenheit des Krankenhauses zur inhaltlichen Prüfung und zur Ergänzung der Unterlagen keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden dürfen (BSG, Urt. v. 10. November 2021 – B 1 KR 16/21 R, Rn. 28). Die Klägerin konnte aufgrund der Festlegung der Ermittlungstiefe durch den MDK im Rahmen der Unterlagenanforderung darauf vertrauen, dass mit dem vorläufigen Verlegungsbericht als Epikrise eine ausreichende Grundlage für die Prüfung zur Verfügung gestellt wurde.

 

ee) Auch die weiteren Einwände der Beklagten gegen die Abrechnung des Differenzbetrages gehen fehl. Ein Nachverfahren gemäß § 9 PrüfvV 2016, dessen Einleitung durch die Klinik die Beklagte für erforderlich gehalten hat, hätte gerade keine anderen Unterlagen als Tatsachengrundlage haben dürfen als die bis dahin übermittelten Nachweise. Allein über die Bewertung der Unterlagen bestand kein Streit. Inwieweit die Klägerin durch die erst nach mehreren Wochen erfolgte Erstellung des Operationsberichts gegen ihre Dokumentationspflichten nach dem Behandlungsvertrag verstoßen hat, ist hier nicht von streitentscheidender Bedeutung. Zwar kann die Dokumentation des Krankenhauses in Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit in die Feststellung des Sachverhalts einfließen (BSG, Urt. v. 19. November 2019 – B 1 KR 33/18 R, Rn. 18 f., juris). Über die Vorgaben aus § 7 Abs. 2 PrüfvV 2016 ist den Anforderungen an die Dokumentation gerade hinreichend über die Erstellung und Vorlage des vorläufigen Verlegungsberichts Rechnung getragen worden. Eine "Sanktionierung" von Dokumentationspflichten, die auf vertraglicher Grundlage zwischen Krankenhaus und Versichertem bestehen, über die Krankenhausabrechnung erscheint nach diesen Regelungen fernliegend.

 

4. Der Anspruch auf Prozesszinsen seit Eintritt der Rechtshängigkeit mit Eingang der Klage beim Gericht am 23. September 2020 ergibt sich in der geltend gemachten Höhe aus der entsprechenden Anwendung von § 291 und § 288 BGB (B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Aufl. 2020, § 94 Rn. 5a m. w. N.).

 

Der Klage war daher in vollem Umfang stattzugeben.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).

Rechtskraft
Aus
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