L 9 SO 62/22 B

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 15 SO 13/19 B
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 62/22 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Die Ablehnung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in die Klagefrist ist nicht im Beschlusswege möglich.

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts vom 17. Juni 2022 aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 

Gründe:

I.

Streitig ist im Rahmen des Beschwerdeverfahrens, ob dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu gewähren ist.

Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Zusicherung für die Übernahme von Umzugskosten und einer Mietkaution mit Bescheid vom 9. März 2018 ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 2019 zurück.

Der Kläger hat am 7. Februar 2019 bei dem Sozialgericht Schleswig die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten beantragt. Dem Antrag ist ein Klageentwurf beigefügt worden. Hiernach begehrt der Kläger die Erstattung von Umzugskosten in Höhe von 630,70 EUR sowie die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 100,00 EUR für die Mietkaution. Das Verfahren ist unter dem Az. S 15 SO 13/19 PKH geführt worden. Nachdem die seinerzeitige Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Gericht am 19. Oktober 2020 die Niederlegung des Mandates angezeigt hatte, hat seine aktuelle Prozessbevollmächtigte am 24. November 2020 erklärt, dass sie das Mandat übernommen habe. Sie hat sogleich Akteneinsicht, u.a. in die Gerichtsakte, beantragt. Das Sozialgericht hat Einsicht in die Verwaltungsakten des Beklagten gewährt. Ein Hinweis der Prozessbevollmächtigten darauf, dass die Gerichtsakte bisher nicht übersandt worden sei, ist nicht erfolgt.

Das Sozialgericht hat dem Kläger mit Beschluss vom 28. Mai 2021 Prozesskostenhilfe bewilligt und seine aktuelle Prozessbevollmächtigte beigeordnet. Der Beschluss ist der Prozessbevollmächtigten am 2. Juni 2021 zugegangen. Das Verfahren ist nachfolgend unter dem Az. S 15 SO 13/19 weitergeführt worden. Gleichwohl hat der Kläger über seine Bevollmächtigte zunächst keine unbedingte Klage erhoben. Auf einen rechtlichen Hinweis des Sozialgerichts vom 5. Januar 2022 unter Verweis auf die verstrichene Frist von § 67 SGG und Anhörung der Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit Verfügung vom 7. Januar 2022 hat die Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 18. Januar 2022 Stellung genommen. Sie habe aufgrund der fehlenden Akteneinsicht in die Gerichtsakte – trotz deren Beantragung – keine Kenntnis von einer bedingten PKH-Klageerhebung erhalten. Erst mit dem Hinweis des Gerichts vom 5. Januar 2022 habe sie Kenntnis hiervon erhalten.

Sie hat beantragt,

dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG zu gewähren und die Klage als unbedingt erhoben anzusehen.

Nachdem das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17. Februar 2022 wegen verfristeter Klageerhebung als unzulässig verworfen hatte, hat der Kläger die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2022 hat der Vorsitzende darauf hingewiesen, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG nicht im Rahmen des Gerichtsbescheides hätte konkludent abgelehnt werden dürfen. Es hätte vielmehr ein separater Beschluss ergehen müssen, gegen den auch das Rechtsmittel der Beschwerde bei Ablehnung zulässig sei.

Sodann hat das Sozialgericht den Wiedereinsetzungsantrag mit Beschluss vom 17. Juni 2022 abgelehnt. Hinsichtlich der Begründung wird auf die Gründe des Beschlusses verwiesen.

Der Kläger hat gegen diesen ihm am 20. Juni 2022 zugestellten Beschluss am 14. Juli 2022 Beschwerde erhoben und sein Vorbringen im Zusammenhang mit dem Wiedereinsetzungsantrag vom 18. Januar 2022 wiederholt.

Der Kläger beantragt,

dem Kläger unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG zu gewähren.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens und der Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 173 SGG). Sie ist statthaft, da die angegriffene Entscheidung weder nach § 172 Abs. 2 SGG als prozessleitende Verfügung unanfechtbar noch die Beschwerde nach § 172 Abs. 3 SGG ausgeschlossen ist.

Die Beschwerde ist insoweit begründet, als der Kläger die Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts begehrt. Soweit er darüber hinaus die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses hat zu erfolgen, da das Sozialgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unzulässig in der Entscheidungsform des Beschlusses abgelehnt hat. Es hat insofern verkannt, dass bei der Entscheidung über die Ablehnung der Wiedereinsetzung gemäß § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) die Vorschriften anzuwenden sind, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. März 2018 – L 20 AS 61/18 B – juris Rn. 16; zu § 60 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO] BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 1986 – 3 C 46/84 – juris Rn. 21; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Aufl. 2020, § 67 Rn. 17a; Senger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 67 Rn. 90; krit. hierzu Littmann in Berchtold, 6. Aufl. 2021, § 67 Rn. 14). So schreibt § 67 SGG selbst nicht vor, in welcher Form eine Ablehnungsentscheidung zu erfolgen hat. Für die Gewährung der Wiedereinsetzung ergibt sich aus § 67 Abs. 4 Satz 2 SGG mittelbar die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss. Hieraus kann indes nicht geschlossen werden, dass die Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag per se durch Beschluss möglich ist. Dabei ist für den Senat vor allem maßgeblich, dass mit einer ablehnenden Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag auch eine vorgelagerte Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage einhergeht. Diese hat allerdings – nachdem der Kläger vorliegend nach Erlass des Gerichtsbescheides vom 17. Februar 2022 mündliche Verhandlung beantragt hat – gemäß § 125 SGG durch Urteil und damit in der nach § 12 Abs. 1 Satz 1 maßgeblichen Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen Richtern als Beisitzern zu erfolgen. Im Hinblick auf diese gesetzgeberische Grundentscheidung bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung, an der es in der vorliegenden Konstellation fehlt. Mithin erweist es sich als rechtlich unzulässig, über die mit der Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags verbundene Zulässigkeitsfrage im Beschlusswege unter Ausschließung der ehrenamtlichen Richter zu befinden. Vielmehr ist bei einer ablehnenden Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 ZPO im verbundenen Verfahren und damit durch Endurteil gem. § 125 SGG bzw. unter den Voraussetzungen des § 105 SGG durch Gerichtsbescheid zu befinden. Zulässig ist darüber hinaus auch eine Vorabentscheidung durch Zwischenurteil (§ 130 Abs. 2 SGG).

Dem ist das Sozialgericht nicht nachgekommen. Es wäre auf der Grundlage der durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2022 verpflichtet gewesen, durch Urteil zu entscheiden.

In Anbetracht der durch das Sozialgericht unzulässig gewählten Entscheidungsform ist der Senat daran gehindert, im Beschwerdeverfahren eine Überprüfung der Sachentscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag vorzunehmen. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klage noch beim Sozialgericht Schleswig anhängig ist und eine ablehnende Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag nur durch Urteil erfolgen kann, ist eine Zuständigkeit des Landessozialgerichts derzeit nicht gegeben. Eine sachliche Überprüfung der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist einem etwaigen Rechtsmittelverfahren gegen das Urteil vorbehalten.

Eine Entscheidung über die Kosten bleibt der Kostenentscheidung in der Sache vorbehalten.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.

Rechtskraft
Aus
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