L 9 AS 3190/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AS 1514/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 3190/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Der Kostenausspruch im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10.Oktober 2022 wird wie folgt geändert:
Dem Kläger werden Verschuldenskosten in Höhe von 150,00 EUR auferlegt.



Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die vom Sozialgericht (SG) Karlsruhe als unzulässig abgewiesene Klage.

Der 1965 geborene, alleinstehende Kläger beantragte am 31.01.2022 über das Onlineportal des Beklagten die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem 01.01.2022 unter Angabe seiner Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Er gab ferner an, die „N Web-Solutions - Freiberufliche Entwicklung von WebSoftware-Lösungen“ seit dem 01.01.2004 zu betreiben und Einkommen aus dieser selbstständigen Tätigkeit zu erzielen. Es ist vermerkt, dass weitere Antragsunterlagen nicht hochgeladen wurden.

Mit Schreiben vom 01.02.2022 forderte der Beklagte den Kläger unter Fristsetzung bis zum 18.02.2022 auf, die Anlage EKS für die selbstständige Tätigkeit mit vorläufigen Angaben zu Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben sowie Kontoauszügen für den Monat Januar 2022 vorzulegen. Das Schreiben enthielt folgenden Hinweis: „Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind und Änderungen in den Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen (§ 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I). Haben Sie bis zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen ganz versagt werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen (§§ 60, 66, 67 SGB I). Dies bedeutet, dass Sie keine Leistungen erhalten.“ Ferner war ein zur Rücksendung vorbereitetes Formular, ein Auszug von Gesetzestexten aus dem SGB I sowie die Anlage zur vorläufigen oder abschließenden Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft im Bewilligungszeitraum (Anlage EKS) beigefügt.

Der Kläger bat mit E-Mail vom 20.02.2022 um Fristverlängerung um „zwei Wochen bis zum 04.02.2022“.

Mit Bescheid vom 17.03.2022 versagte der Beklagte die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 01.01.2022 vollständig. Trotz Aufforderung habe der Kläger die Anlage EKS für jede selbstständige Tätigkeit mit vorläufigen Angaben zur Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben nicht vorgelegt. Die Leistungen würden versagt, da der Kläger seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei. Es seien keine Gründe mitgeteilt worden, die im Rahmen der Ermessensentscheidung hätten berücksichtigt werden können. Der Kläger sei der Aufforderung, die genannten Unterlagen einzureichen und damit seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Daher habe der Anspruch nicht geprüft werden können. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Beklagten enthielt Hinweise zur Erhebung des Widerspruchs schriftlich
oder zur Niederschrift oder auf elektronischem Weg (durch E-Mail mit qualifizierter elektronischer Signatur an die im Briefkopf genannte Stelle, durch DE-Mail in der Sendevariante mit bestätigter sicherer Anmeldung, durch Übermittlung mittels elektronischem Dokuments, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sei, über ein EGVP-Postfach, oder das besondere Anwaltspostfach (beA), an das im SAFE-Verzeichnis (sichere Verzeichnisdienste) gelistete besondere Behördenpostfach (beBPo) der im Briefkopf genannten Stelle oder über das Kundenportal der Bundesagentur für Arbeit). Zu letzterem war angegeben worden, dass hierfür ein neuer elektronischer Personalausweis (nPA) oder eine elD-Karte oder ein elektronischer Aufenthaltstitel (eAT) benötigt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2022 verwarf der Beklagte den „Widerspruch … vom 20. April 2022 eingegangen am 20. April 2022“ als unzulässig. Die Widerspruchsfrist habe am 20.04.2022 geendet, da der Bescheid vom 17.03.2022 am selben Tag bei der Post aufgegeben worden sei und am 20.03.2022 als bekannt gegeben gelte. Der Bescheid habe eine vollständige Belehrung über die Form und Frist des Widerspruchs enthalten. Der vom Kläger am 20.04.2022 über das digitale Postfach des Beklagten eingegangene Widerspruch sei unzulässig. Dieser sogenannten „Postfachnachricht“ mit dem Betreff „Widerspruch“ sei ein eingescanntes Schreiben beigefügt gewesen, mit welchem der Kläger erklärt habe, dass er die geforderten Unterlagen zu seinem Weiterbewilligungsantrag vom 31.01.2022 in den nächsten Tagen beibringen wolle, spätestens am 30.04.2022, weshalb der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift oder auf elektronischem Weg hätte eingelegt werden müssen. Sein Widerspruch erfülle nicht die Formvoraussetzungen, sondern sei lediglich über die Onlineplattform des Beklagten ohne die nötige Identifikationsmöglichkeit abgesetzt worden.

In der Akte findet sich insoweit eine „Postfachnachricht“ vom 20.04.2022, gesendet um 23:01:51 Uhr unter der Kundennummer, der Nummer der Bedarfsgemeinschaft, des Namens und des Geburtstages des Klägers mit der „Anliegensart: Sonstige JC-Anfrage“ und einem „Betreff: Widerspruch“. Unter „Nachricht“ ist „siehe Schreiben im Nachrichten-Anhang“ und als „Anhänge << 20220420 An Jobcenter Widerspruch – XXXXXBGXXXXXX.pdf>>“ vermerkt.
Das Schreiben mit dem im Widerspruchsbescheid beschriebenen Inhalt findet sich ausgedruckt und zur Akte genommen auf Blatt 23 der Akten. Es enthält eine handschriftliche Unterschrift. In diesem kündigte der Kläger die Vorlage von Unterlagen bis 30.04.2022 an.

Gegen den ihm am 30.04.2022 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am Mittwoch, den 01.06.2022 Klage zum SG Karlsruhe erhoben. Er hat geltend gemacht, der unterschriebene Widerspruch sei per PDF-Dokument über das Onlineportal des Beklagten abgesetzt worden. Die Mitarbeiterin des Beklagten L habe ihm in der Vergangenheit mitgeteilt, bei der Einlegung eines Widerspruches reiche ein unterschriebenes Schreiben mit elektronischer Zustellung aus. Er habe die Klage aus gesundheitlichen Gründen erst jetzt einreichen können. Gleiches gelte für die vom Beklagten geforderten Unterlagen, die er noch nachreichen werde.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Das SG hat den Kläger mit Schreiben vom 24.08.2022 auf § 84 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und § 36a Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hingewiesen und dass der per PDF mit Unterschrift über die seitens des Beklagten bereitgestellte Empfangseinrichtung abgesetzte Widerspruch vom 20.04.2022 diesen Formanforderungen nicht genügen dürfte. Weil es an einem formwirksamen Widerspruch fehlen dürfte, dürfte auch das Widerspruchsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt sein, was die Unzulässigkeit der Klage nach sich ziehen dürfte. Sofern an der unzulässigen Klage festgehalten werde, dürfte die Fortführung des Rechtsstreits rechtsmissbräuchlich sein, was möglicherweise die Auferlegung von Missbrauchskosten in Höhe von mindestens 150,00 € nach sich ziehe (mit Verweis auf § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG). Der Hinweis war verbunden mit der Mitteilung der Absicht, durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen.

Hierauf hat der Kläger unter dem 15.09.2022 nochmals Stellung genommen.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.10.2022 hat das SG die Klage abgewiesen und verfügt, dass dem Kläger Verschuldenskosten in Höhe von 400,00 € auferlegt werden. Die Klage sei unzulässig. Der Kläger habe keinen formgerechten Widerspruch erhoben. Gemäß § 84 SGG sei der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden sei, schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a Abs. 2 SGB I oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen habe. Gemäß § 36a Abs. 1 SGB I sei die Übermittlung elektronischer Dokumente zulässig, soweit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet habe. Die Schriftform könne auch ersetzt werden durch unmittelbare Abgabe der Erklärung in einem elektronischen Formular, das von der Behörde in einem Eingabegerät oder über öffentlich zugängliche Netze zur Verfügung gestellt werde. In den Fällen des § 36a Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 SGB I müsse bei einer Eingabe über öffentlich zugängliche Netze ein elektronischer Identitätsnachweis nach § 18 des Personalausweisgesetzes, nach § 12 des eIDKarte-Gesetzes oder nach § 78 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes erfolgen (§ 36a Abs. 2 Satz 5 SGB I). In Anwendung dieser gesetzlichen Vorgaben sei für die formwirksame Erhebung eines Widerspruches über das Kundenportal der Bundesagentur für Arbeit die Nutzung eines der soeben genannten Identifikationsmöglichkeiten vorgeschrieben. Der per PDF mit Unterschrift über die seitens des Beklagten bereitgestellte Empfangseinrichtung abgesetzte Widerspruch vom 20.04.2022 genüge diesen Formanforderungen in Ermangelung eines zwingend vorgesehenen Identitätsnachweises schlechterdings nicht. Soweit der Kläger darauf rekurriere, die Mitarbeiterin des Beklagten habe ihn in der Vergangenheit darauf hingewiesen, für die Einlegung eines Widerspruches reiche ein unterschriebenes Schreiben mit elektronischer Zustellung aus, handele es sich um eine unsubstantiierte und pauschale Behauptung des Klägers, der das erkennende Gericht nicht weiter nachzugehen brauche.
Zudem sei die Klage nicht fristgerecht erhoben worden. Ausgehend von dem seitens des Klägers behaupteten Zugang des Widerspruchsbescheids am Samstag, den 30.04.2024 habe er nicht innerhalb der Monatsfrist bis zum Montag, den 30.05.2022, sondern erst am 01.06.2022 Klage erhoben.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG komme nicht in Betracht. Denn der Kläger sei zur Überzeugung des Gerichts nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist gehindert gewesen. Eine Krankheit könne das Verschulden einer Fristversäumnis entfallen lassen. Jedoch sei dies nur dann der Fall, wenn die Erkrankung in verfahrensrelevanter Form Einfluss auf die Entschluss-, Urteils- und Handlungsfähigkeit des Beteiligten habe. Die Erkrankung müsse demnach so schwer sein, dass der Beteiligte selbst nicht handeln könne und auch zur Beauftragung eines Dritten nicht in der Lage sei (mit Verweis auf BSG, Beschluss vom 12.04.2018 - B 12 KR 10/17 R -). Derartige gravierende Umstände seien für das Gericht nicht durch entsprechende Befunde belegt. Vielmehr habe der Kläger lediglich pauschal auf seinen angeblich unzureichenden Gesundheitszustand verwiesen.

Gegen den ihm am 14.10.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14.11.2022 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben.

Er habe zwischenzeitlich beim Beklagten einen Antrag auf abschließende Leistungen gestellt. Nur wenn dieser Antrag Erfolg haben sollte, sei diese zur Berufung vorgelegte Klage hinfällig und könne zurückgezogen werden. Die Berufung richte sich dann ausschließlich gegen die auferlegten Verschuldenskosten. Er beantrage das Verfahren bis zur Gewährung abschließender Leistungen ruhen zu lassen.

Der Kläger beantragt, sachdienlich gefasst,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Oktober 2022 sowie den Bescheid vom 17. März 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2022 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung für zutreffend und weist darauf hin, dass die erforderlichen Nachweise für den streitgegenständlichen Zeitraum 01/22 bis 06/22 noch immer nicht vorlägen.

Der Kläger hat mit Fax vom 13.12.2022, das Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, nochmals zur Sache vorgetragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte trotz des Ausbleibens von Beteiligten in der mündlichen Verhandlung über die Sache verhandeln und entscheiden, da in der ordnungsgemäßen Ladung zum Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung bleibt ohne Erfolg.

Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil die Klage gegen den Bescheid vom 17.03.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.04.2022, der dem Kläger am 30.04.2022 förmlich zugestellt wurde, wie er selbst ausführt (Fax des Klägers vom 01.06.2022, Bl. 2 S 15 AS 1514/22), nicht innerhalb der Klagefrist (§ 87 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGG) eingegangen ist und die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorgelegen haben, da die Tatsachen zur Begründung des Antrages nicht glaubhaft gemacht sind (§ 67 Abs. 1 und Abs. 2 SGG). Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Die Berufung des Klägers konnte daher bereits aus diesem Grund keinen Erfolg haben und war daher mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Soweit das SG dem Kläger gemäß § 192 Abs. 1 SGG Kosten wegen missbräuchlicher Prozessführung auferlegt hat, unterliegt dies auch nach Prüfung durch den Senat keinen durchgreifenden Bedenken. Nachdem der Kläger die Berufung nicht nur isoliert gegen die Kostenentscheidung erhoben hat, steht § 144 Abs. 4 SGG einer Entscheidung im Rechtsmittelverfahren nicht entgegen. Vielmehr ist im Rahmen der Berufung gegen das Urteil in der Kostenentscheidung mit über die nach § 192 auferlegten Kosten zu entschieden (Schmidt in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 192 SGG [Auferlegung der Kosten], Rn. 13).

Rechtsgrundlage der Auferlegung solcher Kosten ist § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG, wonach das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen kann, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist. Dem Beteiligten steht gleich sein Vertreter oder Bevollmächtigter. Als verursachter Kostenbetrag gilt dabei mindestens der Betrag nach § 184 Abs. 2 SGG für die jeweilige Instanz (§ 192 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGG).

Abzustellen ist dabei auf die (objektivierte) Einsichtsfähigkeit eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten und damit auf den „Einsichtigen“ im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. hierzu stellvertretend BVerfG, Beschluss vom 11.10.2001 - 2 BvR 1271/01 - m.w.N.). Es kommt nicht auf die konkrete subjektive Sicht des betroffenen Beteiligten an. Anders als beim Begriff des „Mutwillens“, der bereits nach dem Wortlaut ein subjektives Element enthält, ist der Fassung des § 192 SGG zufolge, die er mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetztes vom 17.08.2001 erhalten hat, für den Missbrauch nicht mehr erforderlich, dass der Beteiligte subjektiv weiß, die Rechtsverfolgung sei aussichtslos und er führe nun entgegen besserer Einsicht den Prozess weiter. Dies ergibt sich aus der Intention des Gesetzgebers, wie sie im Gesetzgebungsverfahren zu dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes zum Ausdruck gekommen ist (BT-Drs. 14/5943, S. 28), der den § 192 SGG nach dem Vorbild des § 34 Abs. 2 BVerfGG gestalten wollte und für dessen Anwendung trotz seiner Überschrift im Fall des § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kein Verschulden des Betroffenen erforderlich ist (vgl. BeckOK SozR/Jungeblut, 66. Ed. 01.09.2022, SGG § 192 Rn. 13, Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, SGG § 192 Rn. 10, beck-online, BeckOK SozR/Jungeblut, 66. Ed. 01.09.2022, SGG § 192 Rn. 13, a.A. MKLS/B. Schmidt, 13. Aufl. 2020, SGG § 192 Rn. 9a).

Der Kläger ist vom Vorsitzenden des SG mit am 24.08.2022 zugestelltem Schreiben auf die Möglichkeit der Verhängung von Verschuldenskosten nach § 192 SGG hingewiesen worden. Ferner wurden ihm ausführlich die für die geforderte Schriftform (§ 84 SGG) einzuhaltenden Formvorschriften erläutert, auf die bereits der Beklagte in der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides hingewiesen hatte. Dass ein PDF-Dokument – auch mit Unterschrift – nicht ausreicht, vom Formerfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur auch nur ausnahmsweise abzuweichen, ist in der Rechtsprechung bereits geklärt, selbst wenn sich aus einer E-Mail oder begleitenden Umständen die Urheberschaft und der Wille, das elektronische Dokument in den Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergibt. Elektronische Dokumente zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur mittels Datenverarbeitung erstellt werden und auf einem Datenträger gespeichert werden können, sondern ausschließlich in elektronischer Form von einem Computer zum anderen über das Internet übertragen werden. Während die prozessuale Schriftform allein die Urheberschaft eines Dokuments gewährleisten soll, dienen die hohen Anforderungen an die Signatur elektronischer Dokumente zusätzlich dem Schutz vor nachträglichen Änderungen, also ihrer Integrität. Abstriche von den dafür normierten Sicherheitsanforderungen können nicht zugelassen werden
(Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 14.06.2022 – 1 M 43/22 OVG –, Rn. 24, juris, m.w.N.). Damit gilt auch nichts anderes für das hier vom Beklagten eröffnete Postfach unter Berücksichtigung der im Bescheid gemachten Erläuterungen. Ob der formunwirksame Widerspruch tatsächlich zur Unzulässigkeit der Klage führt oder zur Abweisung als unbegründet (streitig, vgl. zum Streitstand ausführlich Burkiczak, SGb 2016, 189 ff.) kann vorliegend dahinstehen, da der Erfolg der Klage hiervon nicht abhängt.

Im Rahmen der Ermessensausübung hätte das SG hingegen berücksichtigen müssen, dass es die Klage (auch) wegen des Versäumens der Klagefrist abgewiesen hat. Auf die Einhaltung der Schriftform des Widerspruches kam es daher nicht an, unabhängig davon, ob die Klage dann als unzulässig oder als unbegründet abzuweisen gewesen wäre. Die Abweisung aufgrund der nicht eingehaltenen Klagefrist hätte indes – nach entsprechender Anhörung – weit weniger an richterlichem Zeitaufwand bedurft. Unter Berücksichtigung dessen hält der Senat den Mindestbetrag nach § 184 Abs. 2 SGG in Höhe von 150 € für angemessen und ausreichend. Entsprechend war der Kostenausspruch im Gerichtsbescheid des SG vom 10.10.2022 abzuändern.


Die Kostenentscheidung (im Übrigen) beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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