1. Ein Anspruch auf Vergütung besteht auch dann, wenn der Sachverständige das Gutachten aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht fertigstellen konnte. Vergütungsfähig sind alle erforderlichen Vorbereitungsarbeiten und erbrachten Teilleistungen.
2. Beim Zeitaufwand für die Aktendurchsicht sind im Rahmen der Akteneinsicht über das Akteneinsichtsportal doppelt eingestellte Akten nicht zweimal zu berücksichtigen. Erforderlich und ausreichend ist insoweit die Berücksichtigung des Zeitaufwands zum Bemerken und zur Kontrolle des Vorliegens einer tatsächlichen Doppelung.
Die Vergütung des Antragstellers für sein vorläufiges Gutachten vom 18.01.2025 wird auf 3.439,20 € festgesetzt.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
In dem beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg anhängig gewesenen Berufungsverfahren L 10 U 2937/23 begehrte die Klägerin die Feststellung weiterer Folgen des Unfalls vom 18.07.2016 sowie die Gewährung von Heilbehandlung. Der Antragsteller wurde von Amts wegen am 04.10.2024 zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Einen ersten Untersuchungstermin am 09.10.2024 sagte die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen ab. Der Antragsteller lud sie daraufhin erneut auf den 27.01.2025 zur Untersuchung ein. Auch diesen Termin sagte die Klägerin ab, kündigte per E-Mail gegenüber dem Antragsteller an, dass sie auch keine weiteren Termine wahrnehmen werde und sich entschieden habe, „sämtliche Klageverfahren fallen zu lassen“. Mit als „neurologisch-psychiatrisches Gutachten“ tituliertem Schreiben vom 18.01.2025 teilte der Antragsteller dies dem Gericht mit und verwies darauf, dass er zur Vorbereitung der Untersuchung die Akten (2.661 Seiten LSG-Akte und 159 Seiten SG-Akte) bereits ausgewertet und kommentiert habe. Die Beweisfragen beantworte er vorerst in Anbetracht der Klagerücknahme nicht, könne dies jedoch ohne weiteres nach Aktenlage nachholen. Das Ergebnis seiner bisherigen Tätigkeit übermittelte er im Rahmen der weiteren Ausführungen. Am 10.02.2025 nahm die Klägerin die Berufung zurück.
Für sein 13-seitiges „Gutachten“ vom 18.01.2025 (einschließlich Darstellung der o.g. Umstände) hat der Antragsteller einen Gesamtbetrag in Höhe von 4.160,34 € in Rechnung gestellt (18,8 Stunden Aktendurchsicht, 8,67 Stunden Beurteilung/Beantwortung, 1,08 Stunden Korrektur, insgesamt 28,55 Stunden nach Honorargruppe M3 à 120 €, 55,08 € Schreibgebühren und 15 € Porto zzgl. Umsatzsteuer).
Die Kostenbeamtin hat mit Vergütungsfestsetzung vom 18.02.2025 lediglich 2.118,30 € vergütet (gerundet 19 Stunden à 90 €, die übrigen Posten antragsgemäß). Dabei hat sie dargelegt, dass für die Aktendurchsicht nur ein Aktenumfang von 2.661 Seiten (entsprechend 17,7 Stunden) berücksichtigt werden könne. Vorliegend sei die Akte des Sozialgerichts (SG) mit einem Aktenumfang von 159 Seiten im Akteneinsichtsportal bereits in der LSG-Akte zur Verfügung gestellt und damit doppelt angezeigt worden. Es könne lediglich der einfache Akteninhalt berücksichtigt werden (LSG- und SG-Akte). Die Beweisfragen seien nicht beantwortet worden, weshalb der angesetzte Posten Beurteilung/Beantwortung nicht vergütet werden könne. Für die Korrektur hat sie 1,1 Stunden berücksichtigt. Die Vergütung erfolge mit einem Stundensatz von 90 € nach Honorargruppe M2.
Mit seinem Antrag auf richterliche Festsetzung der Vergütung hat der Antragsteller geltend gemacht, er könne die Begründung für die Kürzung nicht nachvollziehen. Er habe auch erkannt, dass Teile der Akte doppelt übersandt worden seien, dies jedoch erst nach vollständiger Sichtung der Akte. Sicherlich werde nicht erwartet, dass ein Sachverständiger, sobald er auf die erste Seite treffe, die ihm bereits vorgelegen habe, die weitere Durchsicht beende und davon ausgehen könne, dass auch die weiteren Inhalte Duplikate seien. Gerade in sozialgerichtlichen Akten sei es die Regel, dass Aktenstücke mehrfach vorlägen. Er sei auch nicht damit einverstanden, dass die kritische Auswertung der Akten nicht vergütet werde, weil die Beweisfragen nicht beantwortet worden seien. Aus den übersandten vorbereitenden Arbeiten sei ohne weiteres zu ersehen, dass er die erhobenen Befunde kritisch bewertet und die Schlüssigkeit der Diagnosen beurteilt habe. Zudem habe es sich um eine hoch anspruchsvolle Tätigkeit gehandelt, nämlich die Klärung der Frage, welche der zahlreichen in der Akte aufscheinenden Diagnosen nach dem wissenschaftlichen Kenntnisstand nachzuvollziehen seien und ferner, wie der Ursachenzusammenhang zu dem Unfallereignis zu bewerten sei. Mitnichten habe es sich um ein einfaches Zustandsgutachten gehandelt, das nach Honorargruppe M2 zu vergüten wäre. Eine derartige kritische Aktendurchsicht sei notwendige Voraussetzung für eine zielführende Begutachtung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakten Bezug genommen.
II.
Gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergü-tungs- und -entschädigungsgesetz - JVEG) entscheidet der nach dem Geschäftsverteilungsplan für Kostensachen zuständige 10. Senat durch die Einzelrichterin. Gründe für eine Übertragung des Verfahrens auf den Senat liegen nicht vor.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG erfolgt die Festsetzung der Vergütung durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse dies beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.
Dabei ist dem Sachverständigen auch der Aufwand für vorbereitende Arbeiten zu vergüten, wenn die Begutachtung - wie hier - am Verhalten der Klägerin und damit an Gründen scheitert, die der Sachverständige nicht zu vertreten hat (LSG Hamburg 24.11.2023, L 3 VE 9/23 B D, juris Rn. 13; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof 15.01.2014, 15 C 12.2250). Für die Vergütung gelten insoweit dieselben Maßstäbe wie auch sonst. Vorliegend ist die bereits erfolgte kritische Aktendurchsicht mit schriftlicher Fixierung der hierbei angestellten Überlegungen daher grundsätzlich vergütungsfähig, da diese zu einer zielführenden Untersuchung zweckdienlich ist.
Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG erhält der Sachverständige als Vergütung ein Honorar für seine Leistungen, das nach Stundensätzen bemessen ist. Dementsprechend wird es gem. § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit gewährt, wobei die letzte bereits begonnene Stunde voll gerechnet wird, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war; anderenfalls beträgt das Honorar die Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrages.
Die Vergütung wird somit für die „erforderlichen“ Stunden und damit nicht unbedingt für die tatsächlich aufgewandte, von der individuellen Arbeitsweise und Erfahrung des Sachverständigen abhängige Zeit oder gar für eine vom Sachverständigen nach eigenen Kriterien für angemessen angesehene Anzahl von Stunden gewährt. Vielmehr ist die erforderliche Zeit nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen (Pannen/Simon in Schneider/Volpert/Fölsch, JVEG, 3. Aufl., § 8 Rn. 3; Weber in Toussaint, Kostenrecht, 54. Aufl., JVEG § 8 Rn. 23). Erforderlich ist die Zeit, die von erfahrenen, mit der Materie vertrauten Sachverständigen bei durchschnittlicher Arbeitsintensität benötigt wird. Die Differenzierung zwischen tatsächlich aufgewendeter und erforderlicher Zeit ist damit vom Gesetz vorgegeben und dient gerade dazu, eine einheitliche und damit transparente Vergütung zu gewährleisten. Die hierfür geltenden Grundsätze hat die Kostenbeamtin in ihrer Festsetzung ausführlich dargestellt, weshalb hierauf Bezug genommen wird.
Bei Prüfung des Zeitaufwands für die Aktendurchsicht ist zunächst anzumerken, dass dem Antragsteller über das Akteneinsichtsportal tatsächlich zwei Gesamtdokumente mit insgesamt 2.820 Seiten zugänglich gemacht worden sind. Dabei bestand ein Dokument aus der LSG-Akte, der Verwaltungsakte und der SG-Akte und ein Dokument nur aus der SG-Akte (159 Seiten). Letztere ist daher doppelt eingestellt worden. Zutreffend ist, dass dies für den Antragsteller zunächst nicht erkennbar war. Bei Öffnen und Durchsicht des zweiten Dokuments erschließt sich jedoch jedem verständigen Betrachter angesichts der völlig identischen Bezeichnungen und aufgedruckten Seitenzahlen nach kürzester Zeit, dass es sich um die doppelte Darstellung eines Aktenteils handelt. Dass der Antragsteller für die inhaltliche Erfassung die gleiche Zeit aufgewendet haben will, wie bei erstmaliger Durchsicht, erscheint fernliegend. Jedenfalls wäre ein solches Vorgehen nicht erforderlich. Zusätzlich zur nach der Plausibilitätsprüfung für die Aktendurchsicht ohne Berücksichtigung des doppelten Inhalts erforderlichen Zeit von 17,7 Stunden kann hier lediglich - dies großzügig bemessen - eine weitere halbe Stunde berücksichtigt werden für die Zeit zum Bemerken des Umstands der doppelten Inhalte und der entsprechenden Kontrolle, insgesamt also 18,2 Stunden.
Die reine Darstellung des Akteninhalts ist mit dem Zeitaufwand für die Aktendurchsicht bereits vergütet (vgl. LSG Baden-Württemberg 14.01.2014, L 12 KO 4491/12 B). Die vom Antragsteller vorgelegten vorbereitenden Arbeiten gehen indes darüber weit hinaus und enthalten mit den dargelegten „Anmerkungen“ Inhalte, die einer Beurteilung entsprechen. Der hierdurch entstandene Aufwand ist daher entsprechend der Maßstäbe für die Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen zu vergüten, auch wenn der Antragsteller - und dies völlig zu Recht - die Beantwortung der Beweisfragen selbst angesichts der angekündigten Rechtsmittelrücknahme zurückgestellt hat. Von den 13 Seiten des Gutachtens machen diese Anmerkungen etwa sechs Standardseiten aus, so dass nach den Grundsätzen der Plausibilitätsprüfung hier ein zusätzlicher Zeitaufwand von vier Stunden anzuerkennen ist. Soweit der Antragsteller den gesamten Inhalt seiner Ausführungen (13 Seiten) nach diesen Maßstäben bewertet wissen will, kann dem nicht entsprochen werden. Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass hier ein darüberhinausgehender Aufwand erforderlich gewesen wäre.
Für die Korrektur können, wie geltend gemacht, 1,1 Stunden berücksichtigt werden. Nach alledem sind damit insgesamt gerundet 23,5 Stunden zu vergüten. Die Vergütung für die vorbereitenden Arbeiten zu einem Gutachten auf dem Gebiet des Unfallversicherungsrechts mit hohem Schwierigkeitsgrad erfolgt nach Honorargruppe M3 der Anlage 1 des JVEG mit einem Stundensatz von 120 €, folglich mit einem Betrag von 2.820 € (23,5 x 120 €). Warum hier lediglich die Honorargruppe M2 Anwendung finden sollte, erschließt sich nicht ansatzweise.
Hinzukommen antragsgemäß die Schreibgebühren in der geltend gemachten Höhe von 55,08 € (§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 JVEG) und die Portopauschale, die sich nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 JVEG auf 15 € beläuft. Zuzüglich Umsatzsteuer i.H.v. 549,12 € (§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 JVEG) errechnet sich insgesamt ein Honorar i.H.v. 3.439,20 €, welches vorliegend festzusetzen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).