S 1 U 2020/24

Sozialgericht
SG Konstanz (BWB)
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 2020/24
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
 
Leitsätze

Die Zusammenfassung der Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung und der Zimmerer in einer Gefahrklasse im 4. Gefahrtarif der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft ist rechtmäßig.

Die Klage wird abgewiesen.

 

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Der Streitwert wird endgültig auf 204.408,03 € festgesetzt.

 

 

Tatbestand

 

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Veranlagung zur gesetzlichen Unfallversicherung und die hieraus folgenden Beiträge.

 

Die Klägerin ist als Unternehmen des „Holzsystembaus“ (Selbstbezeichnung) im Bereich der seriellen Fertigung von Holzteilen für Bauwerke tätig. Sie ist als Unternehmen zur Beklagten zugehörig (Zuständigkeitsbescheid vom 31. März 2021). Zunächst war sie - bis auf den hier nicht streitigen Büroteil - zur Gefahrtarifstelle 200 (Bauausbau und Fertigteilherstellung) nach 3. Gefahrtarif der Beklagten veranlagt (Veranlagungsbescheid vom 31. März 2021). Der Gefahrtarif war, soweit hier von Bedeutung, wie folgt gefasst:

 

Tarifstellenziffer

Tarifstellen/Gewerbezweige

Gefahr-klassen

100

Bauwerksbau

(Hoch-, Tief- und Brückenbau, Tunnel-, Stollenbau und bemannte Durchpressungen, Dacharbeiten aller Art, Gerüstbau, Fassadenbau, Holz- und Bautenschutz, Bauwerksanierung u.a.)

12,58

110

Zimmerarbeiten

18,12

200

Bauausbau und Fertigteilherstellung

(Ausbau von Bauwerken, insbesondere Maler-, Spachtel- und Verfug-, Verputz-, Stuck-, Glaser-, Wand- und Bodenbelags-, Einbau-, Setz- und Trockenbauarbeiten, Steinmetzarbeiten, Dekorationsarbeiten, Sanitär-, Heizung-und Klimatechnik, Ofen und Luft Heizungsbau, Herstellung von Fertigteilen und Betonwaren, Wärme-, Kälte, Schall- und Brandisolierung u.a.)

6,89

 

Mit Veranlagungsbescheid vom 3. November 2023 veranlagte die Beklagte die Klägerin - bis auf den Büroteil - nach Tarifstelle 110 (Zimmerarbeiten) nach dem ab 1. Januar 2024 geltenden 4. Gefahrtarif. Der Gefahrtarif ist, soweit hier von Bedeutung, wie folgt gefasst:

 

Tarifstellenziffer

Tarifstellen/Gewerbezweige

Gefahr-klassen

100

Bauwerksbau

(Hoch-, Tief- und Brückenbau, Herstellung und Montage von Bauwerken, Fertigteilen oder Konstruktionselementen (ausgenommen aus Holz), soweit nicht die eigenständige Herstellung von Fertigteilen in stationären Betriebsstätten nach der Tarifstelle 200 betrieben wird, Tunnel-, Stollenbau und bemannte Durchpressungen, Dacharbeiten aller Art, Gerüstbau, Fassadenbau, Holz- und Bautenschutz, Bauwerkssanierung u. a.)

11,84

110

Zimmerarbeiten

14,59

200

Bauausbau und Fertigteilherstellung

(Ausbau von Bauwerken, insbesondere Maler-, Spachtel- und Verfug-, Verputz-, Stuck-, Glaser-, Wand- und Bodenbelags-, Einbau-, Setz- und Trockenbauarbeiten, Steinmetzarbeiten, Dekorationsarbeiten, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Ofen und Luftheizungsbau, Wärme-, Kälte-, Schall- und Brandisolierung, eigenständige, in stationären Betriebsstätten erfolgende Herstellung von Fertigteilen, Konstruktionselementen und Betonwaren, die keine statisch/tragende Funktion für ein Bauwerk haben, mit Ausnahme von Treppen und Treppenelementen u. a.)

7,01

 

Am 24. April 2024 ergingen, ausgehend von der Veranlagung, der Beitragsvorschussbescheid für 2024 (Gesamtvorschuss: 139.124,46 €) sowie der Beitragsvorschussbescheid für die Vorschussteilbeträge 2025 (Vorschuss am 15. Mai 2025: 23.187,40 €, Vorschuss am 17. März 2025: 23.187,37 €). Außerdem ergingen an diesem Tag der Beitragsbescheid 2023 (Gesamtbetrag: 73.076,91 €) sowie der Beitragsbescheid zum ASD (Arbeitsmedizinischer-Sicherheitstechnischer Dienst) 2023 (Gesamtbetrag: 1341,32 €).

 

Die Klägerin legte gegen den Veranlagungsbescheid und die genannten Beitragsbescheide sowie Beitragsvorschussbescheide jeweils Widerspruch ein. Eine Begründung erfolgte nicht, nachdem die Beteiligten zunächst über den Umfang der Akteneinsicht der Klägerin in die Unterlagen zur Aufstellung des 4. Gefahrtarif gestritten hatten.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2024 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Die Veranlagung ab Januar 2024 sei zutreffend erfolgt und bei den Beitrags- und Beitragsvorschussbescheiden seien die zutreffenden Gefahrklassen zugrunde gelegt worden. Die angegriffene Veranlagung zum 4. Gefahrtarif habe keinen Einfluss auf die Beitragserhebung für 2023. Auch der Beitragsbescheid zum ASD für das Jahr 2023 sei dem Grunde nach zu Recht erhoben worden und man habe bei der Berechnung die ermittelten Lohnsummen zugrunde gelegt.

 

Die Klägerin hat am 18. November 2024 Klage erhoben und sich damit gegen den Veranlagungsbescheid und die Beitragsbescheide sowie Beitragsvorschussbescheide gewandt. Hinsichtlich des Beitragsbescheides 2023 und des Beitragsbescheides zum ASD für 2023 hat sie die Klage nach einem entsprechenden gerichtlichen Hinweis am 26. Juni 2025 wieder zurückgenommen.

 

Zur Begründung trägt die Klägerin insbesondere vor, sie halte den 4. Gefahrtarif wegen zahlreicher Rechtsfehler für rechtswidrig. Die Verlegung der Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung in die Tarifstelle 110 verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), da dadurch Ungleiches gleichbehandelt werde. Das der Vertreterversammlung vorgelegte Zahlenmaterial sei lückenhaft und nicht belastbar. Es sei kein Vergleich der Belastungsziffern von Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung und Zimmerern (unter Einschluss der Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung) erfolgt, hingegen auf zahlreiche unerhebliche Gesichtspunkte, wie die Tausenderpersonenquote, die Entwicklung der Aufwendungen und Arbeitsentgelte, Wegeunfälle und Berufskrankheiten abgestellt worden. Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung und Zimmerarbeiten seien verschiedene Gewerbezweige, ohne technologische Artverwandtschaft. Die von der Beklagten vorgenommene risikoorientierte Betrachtung sei unzutreffend. Ausführlich legt sie dar, dass sie sich nach ihren Arbeitsabläufen deutlich von anderen Unternehmen von Zimmerern unterscheide. Sei der Veranlagungsbescheid rechtswidrig, gelte dies auch für den angefochtenen Beitragsbescheid für 2024 sowie den Beitragsvorschussbescheid für 2025.

 

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Auf Anfrage des Gerichts hat sie Stellung zur Erstellung des Gefahrtarifs und den zugrundeliegenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen genommen.

 

Am 4. Februar 2025 hat die Beklagte den geänderten Beitragsbescheid für 2023 (Gesamtbeitrag 75.155,15 €) erlassen. Am 24. April 2025 sind der Beitragsbescheid für 2024 (Gesamtbetrag: 129.009,90 €) sowie der Beitragsvorschussbescheid für 2025 (Gesamtvorschuss: 128.160,22 €) ergangen.

 

Die Klägerin beantragt (noch),

 

den Veranlagungsbescheid vom 3. November 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2024, den Beitragsbescheid 2024 vom 24. Oktober 2025 und den Beitragsvorschussbescheid für 2025 vom 24. April 2025 aufzuheben.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hält ihre Entscheidung für zutreffend und verweist zur Begründung insbesondere auf den Widerspruchsbescheid. Der Gefahrtarif sei rechtmäßig, was im Einzelnen dargelegt wird. Auch durch die technologische Entwicklung mit einer zunehmenden Automatisierung sei das Unfallrisiko im Bereich der Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung demjenigen der Zimmerer vergleichbar. Nach dem Gesamtbild und aufgrund eigener Wertung sei keine gesonderte Veranlagung der Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung geboten. Dadurch würden Abgrenzungsprobleme wegfallen und Fragen der gerechten Veranlagung großer Unternehmen gegenüber kleineren vermieten.

 

Der Vorsitzende hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 10. Juli 2025 erörtert. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll Bezug genommen.

 

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

I. Die Klage ist zulässig.

 

Streitgegenstand ist zunächst der angefochtene Veranlagungsbescheid vom 3. November 2023. Nachdem am 24. April 2025 der Beitragsbescheid für 2024 ergangen ist, hat sich der Beitragsvorschussbescheide für 2024 vom 24. April 2024 nach § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erledigt und der Beitragsbescheid für 2024 vom 24. April 2025 ist nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden. In gleicher Weise hat sich der Beitragsvorschussbescheid für die Vorschussteilbeträge 2025 vom 24. April 2024 durch Erlass des Beitragsvorschussbescheides vom 24. April 2025 für den Gesamtvorschuss erledigt und letzterer ist Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden. Noch nicht erlassen ist der Beitragsvorschussbescheid für 2026, der aber auch nicht Gegenstand des Verfahrens wäre (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. August 2005, L 2 U 38/04; Thüringer LSG, Urteil vom 28. Februar 2007, L 1 U 364/06). Hinsichtlich des Beitragsbescheides 2023 vom 24. April 2024, ersetzt durch den geänderten Beitragsbescheid vom 4. Februar 2025, sowie des Beitragsbescheides zum ASD 2023 vom 24. April 2024 ist der Rechtsstreit nach teilweiser Klagerücknahme nach § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG in der Hauptsache erledigt.

 

II. Die Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

 

1. Der Veranlagungsbescheid ist rechtmäßig.

 

a) In der gesetzlichen Unfallversicherung sind gemäß § 150 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) nur die Unternehmer beitragspflichtig. Die Beiträge der Unternehmer berechnen sich gemäß § 153 Abs. 1 SGB VII nach dem Finanzbedarf der Träger (Umlagesoll), den Arbeitsentgelten der Versicherten und den Gefahrklassen. Rechtsgrundlage für die Veranlagung der Unternehmer ist § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Danach werden die Unternehmen für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu Gefahrklassen veranlagt. Der Unfallversicherungsträger setzt nach § 157 Abs. 1 SGB VII, § 33 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) die Gefahrklassen in einem Gefahrtarif durch seine Vertreterversammlung als autonomes Recht fest. Der Gefahrtarif ergeht als autonome Satzung (BSG, Urteil vom 11. April 2013, B 2 U 8/12 R, BSGE 113, 192 = SozR 4-2700 § 157 Nr. 5). Nach § 157 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind in den Satzungsregelungen zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festzustellen. Der Gefahrtarif ist nach § 157 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach Tarifstellen zu gliedern, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet werden. Die Gefahrklassen werden nach § 157 Abs. 3 SGB VII aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet.

 

Der Gefahrtarif kann nur inzident, d.h. im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den Veranlagungsbescheid überprüft werden. Dabei ist der Gefahrtarif nur bezüglich der hinsichtlich des konkreten Unternehmers streitigen Gefahrtarifstelle zu überprüfen. Die Rechtmäßigkeit der Bildung anderer Gefahrtarifstellen im Gefahrtarif, denen der klagende Unternehmer nicht zuzuordnen ist oder die es im Rahmen der Klage gegen den Veranlagungsbescheid nicht angefochten hat, hat dabei keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit der für das Unternehmen einschlägigen und angegriffenen untergesetzlichen Normen (BSG, Urteil vom 21. März 2006, B 2 U 2/05 R, NZS 2006, 237; BSG, Urteil vom 11. April 2013, a.a.O.).

 

b) Formelle Fehler bei der Erstellung des 4. Gefahrtarifs der Beklagten vermag das Gericht nicht zu erkennen.

 

aa) Die in § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB IV geregelte Vertreterversammlung ist nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB IV für die Erstellung des Gefahrtarifs zuständig). Diese hat aufgrund der vom Vorstand der Beklagten vorgelegten Zahlen entschieden. Die Beklagte hat die gewährten Leistungen zu einzelnen Tarifstellen ausgewertet. Sie hat über ihren Präventionsdienst Kenntnisse der Arbeitsvorgänge und der daraus folgenden Unfallrisiken.

 

Nach den in den Akten befindlichen Niederschriften der Vertreterversammlung stand im Kern der Beratungen die Aufteilung nach Gewerbezweigen und die mögliche Zuordnung bzw. Verselbständigung einzelner Untergliederungen, ausgehend von deren Risiken. Die Vertreterversammlung war sich ihrer Entscheidungskompetenz bewusst, denn es wurden verschiedene Varianten der Gestaltung des Gefahrtarifs diskutiert. Bei den Vertretern handelt es sich um sachkundige Personen als Arbeitgeber, Versicherte sowie Interessenvertreter der Bauwirtschaft und baunaher Dienstleistungen, die mit der Thematik vertraut waren. Die Beklagte hatte umfangreich informiert, wie die in den Verwaltungsakten befindlichen Dokumente (Präsentationen) zeigen. Das Gericht traut der Vertreterversammlung zu, die im Einzelnen von der Beklagten übermittelnden Informationen, insbesondere das Zahlenmaterial, sachkundig einzuordnen und zu bewerten. Nicht jedes Foto einer Produktionsstätte oder Baustelle, welches in der Präsentation die Überlegungen des Vorstandes illustrieren sollte, hat danach Bedeutung für die Entscheidungsfindung.

 

Soweit die Klägerin die - teilweise auf statistischen Auswertungen, teilweise nur auf Stichproben beruhenden - tatsächlichen Grundlagen der Bewertung durch die Beklagte in Zweifel zieht, braucht das Gericht, dem nicht näher nachzugehen. Zwar muss die Bildung des Gefahrtarifs auf gesichertem Zahlenmaterial fußen und versicherungsmathematischen Grundsätzen entsprechen (BSG, Urteil vom 28. November 2006, a.a.O.). Die Berufsgenossenschaften sind aber den Unternehmern gegenüber insoweit nicht darlegungs- und nachweispflichtig. Die Bildung des Gefahrtarifs ist eine Maßnahme untergesetzlicher Normsetzung, die zwar einer Ermächtigungsgrundlage bedarf, für deren einzelne Regelungen der Normgeber dem Normunterworfenen aber nicht im Einzelnen begründungspflichtig ist (BSG, Urteil vom 11. April 2013, a.a.O.).

 

bb) Der 4. Gefahrtarif ist, auch soweit er die Fertigteilherstellung regelt, widerspruchsfrei und in sich verständlich. Ein Gefahrtarif ist wie jede andere Rechtsnorm nach den Grundsätzen der klassischen juristischen Methodenlehre auszulegen und anzuwenden. Die Bedeutung der jeweiligen Tarifstellen ist daher ausgehend vom Wortlaut und systematischen Zusammenhang unter Berücksichtigung des Willens des Satzungsgebers sowie des (objektiven) Zwecks der Regelung zu ermitteln (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. September 2021, L 6 U 207/21, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Tarifstelle 200 erfasst, unabhängig vom Werkstoff, die Herstellung von Fertigteilen, denen keine statische/tragende Funktion für das Bauwerk zukommt (Ausnahme: Treppen und Treppenelemente). Damit sind die Tarifstellen 100 und 110 für Fertigteile mit statischer/tragender Funktion vorgesehen, davon Tarifstelle 110 für solche aus Holz und Tarifstelle 100 für solche aus anderen Werkstoffen („ausgenommen aus Holz“). Ausreichend ist die technologische Nähe zu einem Gewerbezweig und bei der Zuordnung zu mehreren Gewerbezweigen gilt grundsätzlich die höchste in Betracht kommende Gefahrklasse (Teil II.1 des Gefahrtarifs).

 

cc) Eine Anhörung der betroffenen Unternehmer nach § 24 SGB X vor Erlass des neuen Gefahrtarifs war nicht erforderlich, weil mit dem neuen Gefahrtarif die aufgrund des vorherigen Gefahrtarifes eingeräumten Rechte oder Rechtspositionen, ähnlich wie bei einer Gesetzesänderung enden (BSG, Urteil vom 6. Mai 2003, B 2 U 7/02 R, SozR 4-2700 § 162 Nr. 1).

 

dd) Die Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde (§ 158 SGB VII) ist ebenfalls erfolgt. Der Gefahrtarif ist öffentlich bekannt gemacht worden.

 

c) Der Gefahrtarif ist auch materiell rechtmäßig.

 

aa) Prüfungsmaßstab für die materielle Rechtmäßigkeit des Gefahrtarifs ist allein, ob das autonom gesetzte Recht mit dem SGB VII, insbesondere mit der Ermächtigungsgrundlage in § 157 SGB VII sowie mit den tragenden Grundsätzen des Unfallversicherungsrechts und mit sonstigem höherrangigen Recht vereinbar ist. Den Unfallversicherungsträgern ist ein Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt, soweit sie innerhalb der ihnen erteilten gesetzlichen Ermächtigung autonomes Recht setzen (BSG, Urteil vom 11. April 2013, a.a.O.). Dagegen steht den Gerichten die Prüfung, ob der Gefahrtarif die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung trifft, nicht zu (BSG, Urteil vom 28. November 2006, B 2 U 10/05 R, BeckRS 2007, 40081; BSG, Urteil vom 11. April 2013, a.a.O.).

 

Tarifstellen werden in der Praxis nach Tätigkeiten gebildet, die die einzelnen Versicherten verrichten (sogenannter Tätigkeitstarif), oder - häufiger - die Unternehmen werden als Ganzes betrachtet und gleichartige Unternehmen zu Gruppen zusammengefasst (Gewerbezweigtarif) oder es werden beide Elemente kombiniert (BSG, Urteil vom 24. Juni 2003, B 2 U 21/02 R, BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr. 1; Brandenburg/K. Palsherm in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 157 SGB VII, Stand: 20.12.2024, Rn. 33).

 

Der 4. Gefahrtarif der Beklagten ist, jedenfalls soweit hier von Interesse, nach Gewerbezweigen gegliedert (vgl. Teil 1: Vorbemerkungen). Die hier maßgebliche Neuerung im 4. Gefahrtarif gegenüber dem vorangegangenen 3. Gefahrtarif ist, dass Unternehmen, die statische Fertigteile aus Holz für Bauwerke und bauliche Anlagen herstellen und montieren, zum Gewerbezweig „Zimmererarbeiten“ (= Tarifstelle 110 „Zimmererarbeiten“) und Unternehmen, die statische Fertigteile ausgenommen aus Holz (insbesondere aus Beton, Mauerwerk oder Metall) für Bauwerke und bauliche Anlagen herstellen und montieren, zum Gewerbezweig „Hoch-, Tief- und Brückenbau“ (= Tarifstelle 100 „Bauwerksbau“) zugeordnet werden (Information zum neuen Gefahrtarif, https://www.bgbau.de/fileadmin/Themen/mitgliedschaft_beitrag/Infoblatt_zum_4._Gefahrtarif_der_BG_BAU.pdf). Die zuvor bestehende gesonderte Tarifstelle für die serielle Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung ist aufgegeben worden.

 

Der Begriff „Gewerbezweig“ ist gesetzlich nicht definiert. Anknüpfend an die Zuständigkeitsregelung in § 122 Abs. 1 Satz 1 SGB VII werden Kriterien wie Art und Gegenstand des Unternehmens sowie die Prävention herangezogen. Der Begriff darf aber nicht zu eng verstanden werden. Maßgeblich ist, dass die einzelnen Gewerbezweige bzw. Gefahrengemeinschaft möglichst klar beschrieben und voneinander abgrenzbar sind, um Streitigkeiten zu vermeiden (BSG, Urteil vom 24. Juni 2003, a.a.O.; Brandenburg/K. Palsherm, a.a.O., Rn. 36).

 

bb) Hieran gemessen können Unternehmen der Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung nach Art und Gegenstand (Herstellung von Gebäuden und Gebäudeteilen mittels Verarbeitung von Holz) ohne weiteres dem Gewerbezweig „Zimmerarbeiten“ zugeordnet werden. Der Begriff „Zimmerer“ hat sich aus mittelhochdeutsch zimber und althochdeutsch zimbar gebildet, was „Bauholz“ und davon abgeleitet „Bau“ bedeutet. Er meint, etwas „aus Holz bauen, herstellen“ bzw. „eine Konstruktion aus Holz arbeiten“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/zimmern). Zimmerarbeiten stellen beim Hausbau einen eigenen Gewerbezweig dar.

 

cc) Dafür, dass die Beklagte sich, anders als im 3. Gefahrtarif, strikter an den Gewerbezweigen orientiert, damit eine zuvor vorgenommene Differenzierung aufgibt bzw. anders vornimmt, gibt es sachliche Gründe.

 

Die Bildung der nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs (§ 157 Abs. 2 Satz 1 SGB VII) Gefahrklassen verlangt eine gewisse Gleichartigkeit der Unfallrisiken und Präventionserfordernisse, wie sie bei technologisch verwandten Betrieben in der jeweiligen Unternehmensart anzutreffenden Arbeitsbedingungen festzustellen ist („gewerbetypische“ Unfallgefahr). Das spricht, wenn auch nicht zwingend, für eine Zusammenfassung der Unternehmen nach sachlichen bzw. strukturellen (z.B. verwandte Maschinen, Betriebsweisen, technische Ausstattung, Produktionsverfahren, Arbeitsabläufe) und wirtschaftlichen („Verwandtschaft“ der Gewerbezweige, Mischunternehmen, Verzahnung zwischen Unternehmen) Gesichtspunkten. Dabei darf sich die Betrachtung nicht auf einzelne für oder gegen eine Vergleichbarkeit sprechende Gesichtspunkte beschränken; sie muss vielmehr alle das Gefährdungsrisiko beeinflussenden Faktoren einbeziehen (BSG, Urteil vom 28. November 2006, a.a.O.; Brandenburg/K. Palsherm, a.a.O., Rn. 38). Die Rechtsprechung lässt ausdrücklich auch heterogen zusammengesetzte Gewerbezweige zu, denen eine nach technologischen Gesichtspunkten vorgenommene Zuordnung und die daran geknüpfte Vermutung einer gemeinsamen „gewerbetypischen“ Unfallgefahr zugrunde liegt (BSG, Urteil vom 28. November 2006, a.a.O.). Denn der Bildung der Tarifstellen liegt kein reiner Rechenakt nach der Formel „Entschädigungsleistungen dividiert durch Arbeitsentgelte“ zugrunde, sondern ein Zusammenfluss rechnerischer und wertender bzw. gewichtender Faktoren - „nicht nachrechenbar, wohl aber nachvollziehbar“ (BSG, Urteil vom 24. Juni 2003, a.a.O.).

 

dd) Die Beklagte ist aufgrund der Beobachtung der Praxis und der Auswertung des Zahlenmaterials zu den Versicherungsfällen zu der Einschätzung gelangt, dass die im 3. Gefahrtarif enthaltene Zuordnung der Hersteller statischer Fertigteile zur Tarifstelle 200 nicht fortzuführen ist. Dabei ist zu beachten, dass nach dem 3. Gefahrtarif nicht der gesamte Bereich der Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung der Tarifstelle 200 unterworfen war, sondern nur die serielle Herstellung (Erläuterungen und Arbeitshilfen zum 3. Gefahrtarif, Seite 22). Die Beklagte hat, wie im gerichtlichen Verfahren im Einzelnen dargelegt worden ist, die für das Unfallrisiko maßgebliche Faktoren bei Herstellern von Fertigteilen stichprobenartig untersucht. Sie hat dabei auf die Kriterien der Unfallörtlichkeit (überwiegend den Baustellen und nicht in der Werkshalle), das Unfallgeschehen (hauptsächlich Verletzungen bei handwerklichen Tätigkeiten, ähnlich Zimmerern), die Tausendpersonenquote (Häufigkeit von Arbeitsunfällen auf 1000), die Kosten pro Arbeitsunfall (entspricht Schwere des Arbeitsunfalls; liegen in der Größenordnung von Zimmerern oder - so die Darstellung im Klageverfahren - sogar darüber), die Beobachtung der Unternehmen (Annäherung von klassischen Zimmerern zu Holzfertigteilherstellern durch zunehmende Automatisierung und Vorfertigung von Bauteilen) und die Aufwendungen pro Versicherungsfall (Risiko vergleichbar) abgestellt.

 

Zwar werden „klassische“ Zimmerer in der Regel eingesetzt, wenn Gebäude neu errichtet werden und sind damit anders als Beschäftigte in der Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung im Schwerpunkt auf Baustellen tätig. Werden jedoch Bestandsgebäude renoviert oder Gebäude ausgebaut, relativieren sich die Unterschiede bereits deutlich. Wie in der mündlichen Verhandlung dargestellt worden ist, müssen auch bei der Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung in der Werkshalle Leitern und Gerüste bestiegen werden. Hinzu kommt ein zunehmender, von der Beklagten ihre Verwaltungspraxis beobachteter technologischer Wandel. Auch im Bereich der Zimmerer wurden schon immer Vorfertigungen außerhalb der Baustelle vorgenommen. Dies hat zugenommen, es werden also Vorfertigungen in die Werkshalle verlagert. Typische Fertigkeiten der Fertigteilherstellung werden auch von einem Zimmermann verlangt, wie die entsprechenden Prüfungsanforderungen belegen. Ebenso finden sich dort zunehmend automatisierte und digitalisierte Arbeitsabläufe. Die Beklagte hat dies im Klageverfahren anhand konkreter Beispiele der verwendeten Maschinen illustriert. Es ist zwar nicht zwingend, aber zulässig auf den Grad der Automatisierung abzustellen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. September 2021, a.a.O.). Die zunehmende Automatisierung und Technisierung und damit eine wachsende Angleichung zwischen klassischen Unternehmen der Zimmerei und Fertigteilherstellern in der Praxis verschiebt nicht nur das Unfallrisiko. Sie bringt auch erhebliche Abgrenzungsprobleme mit sich.

 

Die Klägerin hat demgemäß detailliert Unterschiede hinsichtlich hergestellter Erzeugnisse, Produktionsweise, Betriebseinrichtungen, Arbeitsumgebung, Arbeitsorte, den Strukturen der Verbände und der Außendarstellung der Unternehmen aufgeführt, welche die Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung von „klassischen“ Zimmerern unterscheiden sollen. Zu den Arbeitsbedingungen hat sie auf die Hinweise zur Prävention („Gefährdungsprofil Zimmerer“ des Arbeitsmedizinischen Dienstes der Beklagten hingewiesen, deren Aussagekraft von den Beteiligten jedoch unterschiedlich bewertet wird. All diese Gesichtspunkte können zwar bei der Bildung der Tarifstellen berücksichtigt werden (vgl. Brosius-Gersdorf, SGb 2023, 461, 464). Es ist jedoch eine Wertungsfrage, ob man eine sicherlich in vielen Gewerbezweigen so mögliche Differenzierung nach Untergruppen vornimmt, oder aber die verbindenden technologischen Merkmale stärker gewichtet. Diese Wertung steht der Beklagten zu.

 

ee) Auch das Abgrenzungsmerkmal der „seriellen Herstellung“ verliert damit zunehmend an Aussagekraft. Die Regelungen vor dem 4. Gefahrtarif führten faktisch zu einer Privilegierung bestimmter Fertigteilhersteller, die das Merkmal des „Seriellen“ schon allein aufgrund einer höheren Stückzahl leichter erfüllen konnten, gegenüber Unternehmen, die diese Vorgaben (ggf. knapp) nicht erreichten. Das führte zu Diskussionen über eine sachgerechte Lastenverteilung. Auf der anderen Seite werden auch Fertighäuser zunehmend individuell nach den Vorstellungen der Kunden gestaltet, ohne dass es gerechtfertigt wäre, die entsprechenden Unternehmen nunmehr anders zu behandeln.

 

ff) Den somit festgestellten Schwierigkeiten einer hinreichend genauen und sachgerechten Abgrenzung zwischen der seriellen Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung einerseits und den „klassischen“ Zimmerern, wie sie die Tarifstelle 110 nach dem 3. Gefahrtarif erfasste, andererseits, rechtfertigen es, die bisherige Unterteilung aufzugeben. Dies gilt auch angesichts unterschiedlicher Gefährdungsrisiken.

 

Ein annähernd gleiches Gefährdungsrisiko ist vor allem dann zu verlangen, wenn mehrere technologisch unterschiedliche Gewerbezweige in einer Tarifstelle zusammengefasst werden (BSG, Urteil vom 24. Juni 2003, a.a.O., Rn. 28). Werden in einer Tarifstelle Unternehmen aus verschiedenen Gewerbezweigen zusammengefasst, dürfen die Belastungsziffern der einzelnen Zweige nicht auffällig (statistisch signifikant) von der durchschnittlichen Belastungsziffer der Tarifstelle abweichen. Dabei hängt der Grad der noch unschädlichen Abweichung auch von der Größe der einzelnen Gewerbezweige ab (BSG, Urteil vom 11. April 2013, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Mai 2018, a.a.O.). Hier werden jedoch keine technologisch unterschiedlichen Gewerbezweige zusammengefasst. Vielmehr handelt es sich um eine „Neujustierung“ innerhalb eines Gewerbezweigs.

 

Es zeichnet eine durch einen Gewerbezweig gebildeten Risikogemeinschaft aus, dass dort individuell unterschiedliche Risiken gebündelt werden. Das bezieht sich auf einzelne Unternehmen. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass innerhalb eines Gewerbezweiges durch unterschiedliche Betriebsstrukturen der Einzelunternehmen eine Risikostreuung zwischen den Unternehmen oder Unternehmensgruppen vorhanden ist. Daher kann aus dem individuellen Risiko der Klägerin für Versicherungsfälle nichts Entscheidendes für die Gestaltung des Gefahrtarifs abgeleitet werden. Der Gesichtspunkt der Risikogemeinschaft bezieht sich aber auch auf abgrenzbare Arten vergleichbarer Unternehmen innerhalb eines Gewerbezweigs, für die an sich eine Untergruppe gebildet werden könnte. Zwar ist der Unfallversicherungsträger bei insoweit bestehender höherer oder niedriger Unfalllast auf Grund der ihm zukommenden Gestaltungsfreiheit berechtigt, bei ansonsten gegebenen Voraussetzungen (hinreichend große Gruppe einer Gefahrengemeinschaft etc.) die danach abgrenzbaren Unternehmen innerhalb eines Gewerbezweiges einer besonderen Gefahrtarifstelle zuzuordnen. Verpflichtet ist er hierzu jedoch nur ausnahmsweise. Ein Anspruch auf Verselbstständigung und Bildung einer eigenen Tarifstelle wird angenommen, wenn eine bestimmte Art von Unternehmen ein vom Durchschnitt des Gewerbezweiges erheblich abweichendes Gefährdungsrisiko aufweist. Hierbei wird in der Rechtsprechung die Spreizungsobergrenze von 30 v.H. diskutiert (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 2006, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. September 2021, a.a.O.; Brosius-Gersdorf, SGb 2023, 461, 465f m.w.N.). Dies kann aber nicht schematisch und ausnahmslos gelten, insbesondere dann nicht, wenn dem andere erhebliche Gesichtspunkte entgegenstehen. Dann ist der Umstand, dass alle gewerbezugehörigen Betriebe und Einrichtungen trotz unterschiedlicher Gefährdungslagen zur selben Gefahrklasse veranlagt und deshalb einzelnen von ihnen stärker mit Beiträgen belastet werden, als es ihrem tatsächlichen Gefährdungsrisiko entsprechen würde, als Folge der bei der Tarifbildung notwendigen Typisierung hinzunehmen (BSG, Urteil vom 5. Juli 2005, B 2 U 32/03 R, BSGE 95, 47 = SozR 4-2700 § 157 Nr. 2; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Mai 2018, L 8 U 840/16).

 

Die Belastungsziffer der Unternehmen der Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung unterschritt diejenigen im Bereich der „klassischen“ Zimmerer deutlich. Im Beobachtungszeitraum 2018 bis 2022 wurde allein für die Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung statischer Art („Holz“) die Gefahrklasse 8,69 errechnet, wie die Beklagte auf Nachfrage des Gerichts dargelegt hat. Demgegenüber betrug die Gefahrklassen für Zimmerer (ohne die serielle Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung) 16,09.

 

Allerdings ist zu beachten, dass im Bereich der Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung tendenziell höhere Arbeitsentgelte gezahlt werden als im übrigen Bereich der Zimmerer. Da bei einem Versicherungsfall die Kosten der Heilbehandlung im Schnitt ähnlich sind, führt dies letztlich dazu, dass die Belastungsziffer geringer ausfällt und mit derjenigen im Bereich der übrigen Zimmerer nicht unmittelbar verglichen werden kann.

 

Vor allem nähern sich die Arbeitsverhältnisse an, wie dies bereits dargestellt worden ist. Die technologischen Veränderungen führen dazu, dass sich auch die Unfallrisiken angenähert haben und die begründete Erwartung besteht, dass sich dies zukünftig fortsetzen wird. Aus Sicht der Beklagten sind die Risiken der Unternehmen der „klassischen“ Zimmerer und der Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung vergleichbar. Die Unfallereignisse (Stürze) sind in der Häufigkeit ähnlich, wenn auch Abstürze bei Zimmerern signifikant häufiger (26,3 % gegenüber 15,3 %) auftreten. Die Einwirkungen von außen bzw. klimatische Faktoren als Unfallursache weisen keine wesentlichen Unterschiede auf. In der Vertreterversammlung vom 16. Dezember 2021 wurde darauf hingewiesen, dass 46 % des Unfallgeschehens im Bereich der Fertigteilherstellung auf Baustellen auftrete, obwohl man an sich erwarten müsste, dass der Schwerpunkt in der Herstellung der Fertigteile in einer Werkshalle liegen müsste. Im Klageverfahren hat die Beklagte diese Zahlen auf die Einwendung der Klägerin noch einmal erläutert (ca. die Hälfte der Unfälle erfolgen auf Baustellen) und ergänzt, dass bei den Betrieben, die bisher nicht der gesonderten Veranlagung der Holzhaus-/Holzfertigteilherstellung unterfielen, sich auch nicht 100 % der Unfälle auf Baustellen ereigneten.

 

Es liegt innerhalb des Ermessensspielraums der Beklagten den für ein vergleichbares Unfallrisiko sprechenden Umständen der verschiedenen Untergruppierungen innerhalb eines Gewerbezweigs, den absehbaren Abgrenzungsschwierigkeiten und der Wertung einer möglichst nicht zu stark von der Unternehmensgröße abhängigen Beitragsbemessung die maßgebliche Bedeutung beizumessen. Demgegenüber darf sie die für eine Verselbstständigung sprechenden Umstände zurückzustellen.

 

gg) Von einer unter technologischen Gesichtspunkten grundsätzlich möglichen Zusammenlegung der Zimmerer mit dem Bauwerksbau (Tarifstelle 200) hatte die Beklagte, wie bereits im vorangegangenen 3. Gefahrtarif, Abstand genommen. Sie hat dies im Gerichtsverfahren damit begründet, dass die Abweichung der Belastungsziffer der Zimmerer den Mittelwert des Gewerbezweigs um 30 v.H. überstiegen hätte. In den Vertreterversammlungen vom 16. Dezember 2021, 7. Juli 2022 und 8. Dezember 2022 sind ausweislich der in den Verwaltungsakten auszugsweise enthaltenen Protokolle weitere Varianten diskutiert worden, so die Zusammenfassung der Zimmerer mit den Dachdeckern oder die Schaffung einer einheitlichen Tarifstelle des Bauwerksbaus für sämtliche Bereiche, unter Einbeziehung der zuvor der Tarifstelle 200 erfassten Tätigkeiten des Holzfertigbaus. Bei all diesen denkbaren Varianten ist keine Lösung rechtlich zwingend, sondern es eröffnet sich gerade der von der Rechtsprechung respektierte Gestaltungsspielraum der Selbstverwaltung der Beklagten. Innerhalb dieses Gestaltungsspielraums bewegt sich der 4. Gefahrtarif. Indem sich die Beklagte möglichst konsequent am Gewerbezweig orientiert, handelt sie nachvollziehbar, auf sachliche Gründe gestützt und damit nicht willkürlich. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor.

 

d) Auch die Veranlagung der Klägerin zur Tarifstelle 110 ist nicht zu beanstanden.

 

Wie bereits dargelegt, wird der Gefahrtarif ausgehend vom Wortlaut und systematischen Zusammenhang unter Berücksichtigung des Willens des Satzungsgebers sowie des (objektiven) Zwecks der Regelung ausgelegt.

 

Nach ihrer Tätigkeitsbeschreibung verrichtet die Klägerin nach Art und Gegenstand Zimmerarbeiten. Jedenfalls besteht eine technologische Nähe hierzu, was für die Veranlagung zur Tarifstelle 110 ausreicht (vgl. Teil II. 1 des Gefahrtarifs). In der Gewerbeanmeldung vom 3. Februar 2021 ist die Tätigkeit unspezifisch mit „Herstellung und Vertrieb von Raummodulen“ benannt. Die Klägerin verarbeitet dabei Holz zu etwas, was beim Hausbau Verwendung findet (siehe Internetauftritt der Klägerin: …). Ob diese im konkreten Fall der Klägerin auf der Baustelle oder in einer Werkshalle durchgeführt wird, spielt dabei nach dem Gefahrtarif keine Rolle. Das gilt ebenso für die bei der Klägerin erfassten zuschlagsrelevanten Arbeitsunfälle, auf welche die Beklagte abgestellt hat. Auch in welchem Umfang vorgefertigte Holzmodule verarbeitet werden (nach Angaben der Klägerin 95 %), ändert nichts daran, dass es sich um holzverarbeitende Tätigkeiten handelt, also um solche, die von Zimmerern verrichtet werden. Dass die Klägerin im Übrigen auch auf Baustellen arbeitet, ergibt sich bereits aus dem eigenen Vortrag der Klägerin, wonach eine klare Trennung zwischen festen Montagemitarbeitern, die für die Arbeiten auf der Baustelle zuständig seien, und festen Produktionsmitarbeitern, die für die Produktion verantwortlich seien, bestehe. Die Tarifstelle 200 kommt nicht infrage, da dort (mit Ausnahme von Treppen und Treppenelementen) nur Fertigteile erfasst werden, die keine statisch/tragende Funktion für das Bauwerk haben.

 

2. Da der Veranlagungsbescheid rechtmäßig ist, gilt dies auch für den hierauf beruhenden Beitragsbescheid für 2024 sowie den Beitragsvorschussbescheid für 2025.

 

Der auf Grundlage des Veranlagungsbescheides ergangene Beitragsbescheid beruht auf § 168 Abs. 1 SGB VII, der bestimmt, dass der Unfallversicherungsträger den Beitragspflichtigen die von ihnen zu zahlenden Beiträge schriftlich mitteilt. Die Beklagte hat, nachdem der Kläger die Entgeltmeldungen für die jeweiligen Jahre erstattet hat (§ 165 SGB VII - Nachweispflicht), die Beiträge entsprechend dem Veranlagungsbescheid zutreffend berechnet. Berechnungsfehler sind weder ersichtlich noch von der Klägerin geltend gemacht worden. Die Beklagte hat auch die Lohnsumme regelmäßig geprüft, wie die übermittelten Berichte zur Lohnsummenprüfung zeigen.

 

Damit hat die Klage keinen Erfolg haben können.

 

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 bzw. § 155 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

 

IV. Gemäß § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) ist die Höhe des Streitwerts nach der sich aus dem Antrag der Klägerin für sie ergebenden Bedeutung der Rechtssache nach Ermessen zu bestimmen. Maßgeblich ist das wirtschaftliche Interesse der Klägerin anhand der sich aus dem angefochtenen Veranlagungsbescheid mittelbar ergebenden Beitragsmehrbelastung (BSG, Urteil vom 11. April 2013, a.a.O.). Im Hinblick auf eine potentielle Zuordnung zur Tarifstelle 200, die als einzige infrage käme, ist die von der Beklagten auf Bitten des Gerichts errechnete Bitten nicht hypothetische Differenz beim Beitrag für 2024 (65.329,39 €) sowie beim Beitragsvorschuss für 2025 (62.588,17 €) heranzuziehen. Hinzu kommt der Beitrag aus dem zunächst mit angefochtenen geänderten Beitragsbescheid 2023 vom 4. Februar 2025 (75.155,15 €) und derjenige aus dem ebenfalls zunächst mit angefochtenen Beitragsbescheides zum ASD für 2023 vom 24. April 2024 (1341,32 €); insoweit müssen die Beiträge insgesamt und nicht nur eine Differenz berücksichtigt werden, da eine Aufhebung des Veranlagungsbescheides auf diese keine denkbaren Auswirkungen hätte. Somit ergibt sich eine Summe von 204.408,03 € (65.323,39 € + 62.588,17 € + 75.155,15 € + 1341,32 €).

Rechtskraft
Aus
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