Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 Al 794/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 39/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 85/99 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein auf §§ 48 Abs.1 Satz 2 Nr.3 SGB X, 152 Abs.3 AFG gestütztzer Aufhebungsbescheid kann nicht in einen solchen nach §§ 45 Abs.2 Satz 3 SGB X, 152 Abs.2 AFG umgedeutet werden, weil der nunmehr zusätzlich erhobene Schuldvorwurf eine unzulässige Wesensveränderung i.S. des § 43 Abs.2 Satz 1 SGB X darstellt.
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 06.11.1995 und der Bescheid der Beklagten vom 08.06.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.08.1994 aufgehoben, soweit in diesen Entscheidungen nicht nur die Nachzahlung von Erziehungsrente berücksichtigt wurde.
II. Die Beklagte trägt 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und die Erstattung der von der Aufhebung erfassten Leistungen streitig.
Der 1953 geborene Kläger war verheiratet. Die geschiedene Ehefrau ist verstorben. Aus der Ehe stammen die Kinder: M.geb. 1975 und A.geb.1977.
Der Kläger bezog Arbeitslosengeld (Alg) bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 27.06.1992. Für den erschöpften Alg-Anspruch hatte die Beklagte ein Bemessungsentgelt in Höhe von wöchentlich 580,-- DM ermittelt.
Auf dem Formblattantrag für Anschluss-Alhi vom 28.07.1992 gab der Kläger die Lohnsteuerklasse I ohne die Eintragung eines Kinderfreibetrages an und verneinte den Bezug von laufenden oder gelegentlichen Einkünften, obwohl er ein laufendes Einkommen aus Erziehungsrente in Höhe von mtl 711,76 DM hatte.
Auch in dem Alhi-Formblattantrag vom 10.02.1993 für den nächsten Bewilligungsabschnitt von Alhi verneinte der Kläger die Frage nach laufenden Einkommen, obwohl er weiterhin Erziehungsrente bezog. In der geänderten Lohnsteuerkarte 1993 des Klägers waren die Steuerklasse II und zwei Kinderfreibeträge vermerkt. In der Lohnsteuerkarte 1994 waren die Steuerklasse I und ein Kinderfreibetrag von 0,5 angegeben.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger antragsgemäß Alhi ab 29.06.1992 in Höhe von 220,80 DM wöchentlich (Bescheid vom 28.08.1992). Dabei legte sie ein Bemessungsentgelt von wöchentlich 580,-- DM, die Leistungsgruppe A und den allgemeinen Leistungssatz (56 vH) der Leistungstabelle 1992 zugrunde.
Für den Leistungszeitraum vom 01.01.1993 bis 28.02.1993 bewilligte die Beklagte nachträglich (Bescheid vom 13.05.1993) einen wöchentlichen Alhi-Leistungssatz von 244,80 DM (Bemessungsentgelt 580,-- DM, Leistungsgruppe B, erhöhter Leistungssatz [58 vH]).
Für die Zeiten nach der Dynamisierungsanpassung (Bemessungsentgelt danach 620,-- DM), ab 01.03.1993, betrug der wöchentliche Leistungssatz 259,20 DM.
Ab 01.01.1994 bis 28.02.1994 wurde ein Leistungssatz von 250,20 DM bewilligt (Bemessungsentgelt 620,-- DM, Leistungsgruppe B, erhöhter Leistungssatz der Leistungstabelle 1994).
Im Alhi-Formblatt Leistungsantrag vom 08.02.1994 für 1994 vermerkte der Kläger als laufende Rentenleistung "Erziehungsgeld".
Die Beklage ermittelte daraufhin, dass der Kläger laufend Erziehungsrente in Höhe von 711,76 DM mtl erhielt. Die Beklagte errechnete aus der Erziehungsrente einen wöchentlichen Anrechnungsbetrag von 164,25 DM (711,76 DM x 3: 13 = 164,25 DM). Außerdem bestimmte sie das Bemessungsentgelt für den Kläger für den Zeitraum ab 01.03.1994 neu (Herabbemessung auf 590,-- DM mtl) und gewährte dem Kläger ab 01.03.1994 Alhi in Höhe von wöchentlich 61,32 DM (Leistungstabelle 1994, Bemessungsentgelt 590,-- DM, erhöhter Leistungssatz, Leistungsgruppe A, Anrechnungsbetrag 164,25 DM). Der Leistungsbezug endete am 21.05.1994.
Mit Bescheid der Landesversicherungsanstalt Unterfranken (LVA Ufr) vom 15.04.1994 wurde die ursprüngliche Erziehungsrente des Klägers von mtl 711,76 DM für den hier relevanten Alhi-Bezugszeitraum ab 01.06.1992 auf netto 1067,59 DM mtl, ab 01.07.1992 auf netto 1.096,49 DM mtl, ab 01.07.1993 auf netto 1.138,84 DM mtl nachträglich erhöht. Es ergab sich ein Rentennachzahlungsbetrag von insgesamt 11.449,62 DM für den Zeitraum vom 01.01.1992 bis 31.05.1994. Dies wurde der Beklagten am 16.05.1994 von der LVA Ufr mitgeteilt.
In dem streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 08.06.1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 17.08.1994 gab die Beklagte im "Betreff" an: "Aufhebung des Bescheides vom 26.08.1992 über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe; Rücknahme der Entscheidung vom 22.01.1992, 17.02.1993 und 23.03.1994 über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe".
In der Begründung des Bescheides wird ausgeführt, dass die oben genannten Bescheide "ab 29.06.1992 aufgehoben und zurückgenommen" werden, weil die Voraussetzungen für die Leistungen weggefallen seien. Nach § 138 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) sei im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung der Alhi das eigene Einkommen des Klägers in voller Höhe auf die Alhi anzurechnen. Der anzurechnende Betrag der Erziehungsrente übersteige die ohne Anrechnung zustehende Alhi. Der Kläger sei deshalb nicht bedürftig gewesen und habe keinen Anspruch auf Alhi gehabt. Die Entscheidung beruhe auf §§ 134, 138 AFG und § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Der Kläger habe Alhi in Höhe von 21.960,-- DM im Zeitraum vom 29.06.1992 bis 21.05.1994 zu Unrecht bezogen. Dieser Betrag sei nach § 50 SGB X zu erstatten. Ein Erstattungsbetrag in Höhe von 8.708,28 DM sei von der LVA Ufr aus der Nachzahlung der Erziehungsrentenerhöhung angefordert worden. Der Restbetrag in Höhe von 13.207,94 DM (21.916,22 DM - 8.708,28 DM = 13.207,94 DM) sei vom Kläger zu zahlen.
Die vom Kläger vor dem Sozialgericht Würzburg erhobene Klage ist erfolglos geblieben (Urteil vom 06.11.1995). Das SG hat zur Begründung seines Urteils die Entscheidungsbegründung des Widerspruchsbescheides der Beklagten in Bezug genommen.
Im Berufungsverfahren macht der Kläger geltend: Nach der Bewilligung von Alhi sei keine Änderung seiner Einkommensverhältnisse eingetreten. Das Arbeitsamt sei bereits am 07.08.1991 vom Rentenbezug durch die LVA Ufr in Kenntnis gesetzt worden. Dem Arbeitsamt Würzburg sei jeweils angegeben worden, dass er Erziehungsrente bekomme, was Frau bezeugen könne. Er sei davon ausgegangen, dass er neben der Erziehungsrente im gewissen Umfang Alhi beziehen könne und dass eine Abstimmung zwischen den Leistungsträgern erfolge und ihm die jeweils zutreffenden Beträge ausgezahlt würden. Die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X lägen nicht vor. Es sei zu prüfen, ob die Rücknahmefrist nach § 45 Abs 3 SGB X eingehalten worden sei.
Die Beklagte wies mit Schreiben vom 24.10.1998 darauf hin, dass dem Kläger schon 1990 auf seine damalige Alhi Erziehungsrente angerechnet worden sei und ein entsprechender Änderungsbescheid ergangen sei. Da der Kläger in der Zeit vom 29.06.1992 bis 28.02.1994 die Erziehungsrente laufend bezogen habe, ohne dass diese bei der Bewilligung der Alhi berücksichtigt worden sei, seien die im angefochtenen Bescheid angeführten Bewilligungsentscheidungen von Anfang an teilweise rechtswidrig gewesen. Demzufolge hätten die mit dem angefochtenen Bescheid aufgehobenen Alg-Bewilligungen nur insoweit nach Maßgabe des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X aufgehoben werden können, wie dem Kläger für die Alhi-Bezugszeiträume die im Rentenneuberechnungsbescheid der LVA Ufr vom 15.04.1994 aufgeführten Differenz(erhöhungs)beträge zuerkannt worden seien und zur Nachzahlung anstanden. Das seien insgesamt 8708,28 DM gewesen. Der Kläger habe jedoch in den Leistungsanträgen vom 28.07.1992 und 10.02.1993 für den streitigen Zeitraum trotz laufenden Rentenbezugs die unter Zff 6 und 7 des Vordrucks gestellten Fragen nach anderweitigen Leistungen bzw Einnahmen verneint. Dies werfe die Frage auf, ob der streitgegenständliche Bescheid, soweit § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X nicht greife, dadurch gerechtfertigt sei, dass hinsichtlich der (teilweise) rechtswidrigen Bewilligungsentscheidungen die Voraussetzungen für eine Rücknahme gem § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 und/ oder 3 SGB X erfüllt seien.
Mit Bescheid des Arbeitsamtes Aschaffenburg vom 04.12.1998 bestimmte die Beklagte, dass es im Umfange der lt Bescheides der LVA Ufr vom 15.04.1994 errechneten Nachzahlungsbeträge der Erziehungsrente beim Aufhebungsbescheid vom 08.06.1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 17.08.1994 mit der dort angegebenen Begründung verbleibe. Im Übrigen würden die Entscheidungen vom 26.08.1992, 22.01.1993 und 17.02.1993 über die Bewilligung von Alhi gem § 45 Abs 2 Satz 2 und 3 SGB X in jeweils vollem Umfang zurückgenommen. Dieser Bescheid werde gemäß § 96 Abs 1 und 153 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des laufenden Berufungsverfahrens.
Die Beklagte hat den Bescheid vom 04.12.1998 im Hinblick auf die Ausführungen des Senats im Prozesskostenhilfebeschluss vom 04.03.1999 in der Sitzung vom 29.04.1998 zurückgenommen.
Der Kläger hat seine Berufung dahingehend beschränkt, dass er die Berufung, soweit sie die Aufhebung der Alhi-Bewilligung wegen der nachträglichen Erhöhung der Erziehungsrente durch Bescheid der LVA Unterfranken vom 15.04.1994 (nachträglicher Erzielung von Einkommen) betrifft, zurückgenommen hat.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Arbeitsamtes Aschaffenburg vom 08.06.1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 17.08.1994 sowie das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 06.11.1995 insoweit aufzuheben, als damit die Arbeitslosenhilfe-Bewilligung des Klägers in Höhe von 13.207,94 DM aufgehoben und deren Erstattung gefordert wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung, soweit diese nicht bereits erledigt ist, zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten (Stammnr: ...) und die Akte der LVA Unterfranken, die Verfahrensakte des SG und des Senats, deren Inhalte zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Am Ende des Berufungsverfahrens war zwischen den Beteiligten nur noch streitig, ob die Beklagte ihre Alhi-Bewilligungen für den Zeitraum vom 29.06.1992 bis 28.02.1994 mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 08.06.1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 17.08.1994 auch insoweit wirksam aufgehoben hat und deshalb der Kläger die von der Aufhebung erfassten Leistungen zu erstatten hat, soweit der Kläger in der streitrelevanten Zeit durchgehend Erziehungsrente in Höhe von mtl 711,76 DM erhalten hat.
Auf den Alhi-Anspruch war - wie die Beklagte richtig festgestellt hat - laufendes Einkommen aus der Erziehungsrente in vollem Umfange anzurechnen (§§ 134 Abs 1 Nr 3, 137, 138 AFG, in der hier anzuwendenden insoweit bis 31.12.1997 gültigen Fassung). Die Beklagte hatte deshalb dem Kläger in dem genannten Zeitraum mtl 711,76 DM bzw im Juni 1992 werktäglich anteilig zuviel Alhi bewilligt.
Die Beklagte hat nun in den streitgegenständlichen Bescheiden zwar richtig dargetan, dass die Erziehungsrente grundsätzlich auf die Alhi anzurechnen ist und in Höhe des Zahlbetrages der Erziehungsrente die Arbeitslosenhilfe wegfällt. Sie hat aber die besonderen Voraussetzungen, unter denen von Anfang an fehlerhafte Leistungsbewilligungen nur zurückgenommen werden dürfen, nicht beachtet. Insoweit hat sie die Aufhebung (Rücknahme) auf eine nicht ausreichende Begründung gestützt.
Ein mit einer Anfechtungsklage angegriffener Verwaltungsakt ist jedoch grundsätzlich nicht allein wegen einer unrichtigen oder unvollständigen Begründung aufzuheben. Die Gerichte sind vielmehr verpflichtet, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes unter allen denkbaren Gesichtspunkten zu prüfen und hierbei alle Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte, auch die von der Verwaltungsbehörde ihrer Entscheidung nicht zugrunde gelegten, zu berücksichtigen (hM und stRsp vgl BSG SozR 4100 § 119 Nr 12 S 54; SozR 3-1300 § 48 Nr 25 S 41; Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 6. Aufl, § 54 RdNr 35). Die Gerichte und die Verwaltung dürfen darüber hinaus sogar in einem bestimmten Umfang fehlerhafte Verwaltungsakte (§ 43 SGB X) in andere fehlerfreie Verwaltungsakte umdeuten, soweit der ursprüngliche Verwaltungsakt durch eine andere Begründung nicht aufrecht erhalten werden kann. Das Nachholen oder das Nachschieben einer Begründung ist allerdings nur zulässig, wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt durch die neue Begründung nach Voraussetzungen, Inhalt und Wirkungen nicht in seinem Wesen verändert und die Rechtsverteidigung des Betroffenen nicht in einer unzulässigen Weise beeinträchtigt wird (hM vgl zB Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 6.Aufl, § 54 Anm 35a; BSG E 29, 132; BSG SozR 4100 § 119 Nr 12 S 54). Bei einer Erhöhung der Belastung für den Betroffenen ist auch eine Umdeutung unzulässig (§ 43 Abs 2 Satz 1 SGB X).
Im vorliegenden Falle konnten die Alhi-Bewilligungsbescheide wegen der dem Kläger schon vor Erlass des ersten Bewilligungsbescheides laufend gewährten Erziehungsrente in Höhe von mtl 711,76 DM nur nach § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X iVm § 152 Abs 2 AFG (in der hier anzuwendenden ab 01.01.1994 bis 31.12.1997 gültigen Fassung (Aufl, § 152 RdNr 55)) zurückgenommen werden.
Einer Nachholung oder Nachschiebung der Begründung steht nicht entgegen, dass § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X - anders als § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X - grundsätzlich als Ermessensvorschrift ausgebildet ist. Denn § 152 Abs 2 SGB X, der hier zu berücksichtigen ist, setzt anstelle einer grundsätzlich gegebenen Ermessensentscheidung für den Bereich des AFG eine gebundene Entscheidung.
Eine Begründungsänderung mit dem hier notwendigen Inhalt ist jedoch dennoch nicht möglich. Denn die Begründungsänderung von § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X iVm § 152 Abs 3 AFG in eine solche der Tatbestände des § 45 Abs 2 Satz 3 iVm § 152 Abs 2 AFG wäre nur unter einer Wesensänderung des angegriffenen Verwaltungsaktes möglich. Damit würde eine Begründung, die keine Verschuldensprüfung des Betroffenen enthält, sondern lediglich auf den den Alhi-Anspruch vernichtenden nachträglichen Zufluss von Einkommen abhebt, in eine Begründung verwandelt werden, die eine Verschuldensprüfung voraussetzt (so auch BSG SozR 1300 § 43 Nr 1 S 4; auf die Problematik hinweisend BSG SozR 3-3660 § 1 Nr 1 S 4 oben). Dass das BSG diese Bewertung im Rahmen einer Umdeutung des angefochtenen Aufhebungsbescheides abgegeben hat, ist unwesentlich und ergibt sich aus der Natur der Sache. Durch eine unzulässige Nachbegründung verändert der zu überprüfende Verwaltungsakt sein Wesen. Er kann deshalb nur noch im Rahmen einer Umdeutung die getroffene Aufhebungsentscheidung stützen. So überrascht es nicht, dass das BSG mehrfach Begründungsauswechslungen zwischen § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X und § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X und umgekehrt im Rahmen der Umdeutung geprüft hat (vgl SozR 3-1300 § 48 Nr 25 S 42, SozR 1300 § 43 Nr 1, SozR 3-4100 § 63 Nr 2 S 14, SozR 3-1300 § 48 Nr 25 S 41, SozR 3-3660 Nr 1 S 3, BSG-Urteil vom 26.08.1994 Az 13 RJ 29/93, S 8).
Eine Wesensänderung bzw eine Mehrbelastung durch Begründungsänderung (§ 43 Abs 2 Satz 1 SGB X) von § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X in eine solche nach § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X wird wegen des damit verbundenen zusätzlichen Schuldvorwurfes an den Betroffenen auch in der Literatur als unzulässig abgelehnt (Schroeder-Printzen , SGB X Komm, 3. Aufl § 43 RdNr 6, 9; Krause in GK-SGB X, § 43 RdNr 21 mH auf BSG SozR 1300 § 43, Nr 1). Dem schließt sich der erkennende Senat an.
Eine unzulässige Wesensveränderung oder eine unzulässige Mehrbelastung iS des § 43 Abs 2 Satz 1 SGB X bei der notwendigen Umbegründung ist im vorliegenden Fall nicht nur schlechthin in dem zusätzlichen Unlauterkeitsvorwurf zu sehen, den alle Tatbestände des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X beinhalten, sondern der Kläger wurde konkret wegen der Nichtangabe des Erziehungsrentenbezuges in diesem Zusammenhang wegen des dringenden Verdachtes des Betruges bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Aschaffenburg mit Schreiben vom 26.09.1994 angezeigt. Dh die Beklagte sah bei dem Kläger die Vorsatzalternative des Tatbestandes in § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X verwirklicht.
Eine wirksame Rücknahme der Alhi-Bewilligungen durch den Bescheid vom 08.06.1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 17.08.1994 ist, wie die Beklagte bereits in ihrem Schreiben vom 26.10.1998 selbst festgestellt hat, in Höhe der ursprünglichen Erziehungsrente nicht erfolgt.
Gemessen an den wirtschaftlichen Zielen, die mit der Anfechtung der Aufhebungs-, Rücknahme- und Erstattungsbescheide verfolgt wurden, kann dem Kläger im Berufungsverfahren ein überwiegender Erfolg nicht abgesprochen werden. Es entspricht deshalb billigem Ermessen, die Beklagte mit 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu belasten.
Die Frage, wieweit eine unzutreffende Aufhebungsbegründung nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X durch eine sachlich gebotene Begründung nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 oder Nr 3 SGB X im gerichtlichen Verfahren ausgewechselt werden kann, ist von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Die Revision war deshalb zuzulassen.
II. Die Beklagte trägt 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und die Erstattung der von der Aufhebung erfassten Leistungen streitig.
Der 1953 geborene Kläger war verheiratet. Die geschiedene Ehefrau ist verstorben. Aus der Ehe stammen die Kinder: M.geb. 1975 und A.geb.1977.
Der Kläger bezog Arbeitslosengeld (Alg) bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 27.06.1992. Für den erschöpften Alg-Anspruch hatte die Beklagte ein Bemessungsentgelt in Höhe von wöchentlich 580,-- DM ermittelt.
Auf dem Formblattantrag für Anschluss-Alhi vom 28.07.1992 gab der Kläger die Lohnsteuerklasse I ohne die Eintragung eines Kinderfreibetrages an und verneinte den Bezug von laufenden oder gelegentlichen Einkünften, obwohl er ein laufendes Einkommen aus Erziehungsrente in Höhe von mtl 711,76 DM hatte.
Auch in dem Alhi-Formblattantrag vom 10.02.1993 für den nächsten Bewilligungsabschnitt von Alhi verneinte der Kläger die Frage nach laufenden Einkommen, obwohl er weiterhin Erziehungsrente bezog. In der geänderten Lohnsteuerkarte 1993 des Klägers waren die Steuerklasse II und zwei Kinderfreibeträge vermerkt. In der Lohnsteuerkarte 1994 waren die Steuerklasse I und ein Kinderfreibetrag von 0,5 angegeben.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger antragsgemäß Alhi ab 29.06.1992 in Höhe von 220,80 DM wöchentlich (Bescheid vom 28.08.1992). Dabei legte sie ein Bemessungsentgelt von wöchentlich 580,-- DM, die Leistungsgruppe A und den allgemeinen Leistungssatz (56 vH) der Leistungstabelle 1992 zugrunde.
Für den Leistungszeitraum vom 01.01.1993 bis 28.02.1993 bewilligte die Beklagte nachträglich (Bescheid vom 13.05.1993) einen wöchentlichen Alhi-Leistungssatz von 244,80 DM (Bemessungsentgelt 580,-- DM, Leistungsgruppe B, erhöhter Leistungssatz [58 vH]).
Für die Zeiten nach der Dynamisierungsanpassung (Bemessungsentgelt danach 620,-- DM), ab 01.03.1993, betrug der wöchentliche Leistungssatz 259,20 DM.
Ab 01.01.1994 bis 28.02.1994 wurde ein Leistungssatz von 250,20 DM bewilligt (Bemessungsentgelt 620,-- DM, Leistungsgruppe B, erhöhter Leistungssatz der Leistungstabelle 1994).
Im Alhi-Formblatt Leistungsantrag vom 08.02.1994 für 1994 vermerkte der Kläger als laufende Rentenleistung "Erziehungsgeld".
Die Beklage ermittelte daraufhin, dass der Kläger laufend Erziehungsrente in Höhe von 711,76 DM mtl erhielt. Die Beklagte errechnete aus der Erziehungsrente einen wöchentlichen Anrechnungsbetrag von 164,25 DM (711,76 DM x 3: 13 = 164,25 DM). Außerdem bestimmte sie das Bemessungsentgelt für den Kläger für den Zeitraum ab 01.03.1994 neu (Herabbemessung auf 590,-- DM mtl) und gewährte dem Kläger ab 01.03.1994 Alhi in Höhe von wöchentlich 61,32 DM (Leistungstabelle 1994, Bemessungsentgelt 590,-- DM, erhöhter Leistungssatz, Leistungsgruppe A, Anrechnungsbetrag 164,25 DM). Der Leistungsbezug endete am 21.05.1994.
Mit Bescheid der Landesversicherungsanstalt Unterfranken (LVA Ufr) vom 15.04.1994 wurde die ursprüngliche Erziehungsrente des Klägers von mtl 711,76 DM für den hier relevanten Alhi-Bezugszeitraum ab 01.06.1992 auf netto 1067,59 DM mtl, ab 01.07.1992 auf netto 1.096,49 DM mtl, ab 01.07.1993 auf netto 1.138,84 DM mtl nachträglich erhöht. Es ergab sich ein Rentennachzahlungsbetrag von insgesamt 11.449,62 DM für den Zeitraum vom 01.01.1992 bis 31.05.1994. Dies wurde der Beklagten am 16.05.1994 von der LVA Ufr mitgeteilt.
In dem streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 08.06.1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 17.08.1994 gab die Beklagte im "Betreff" an: "Aufhebung des Bescheides vom 26.08.1992 über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe; Rücknahme der Entscheidung vom 22.01.1992, 17.02.1993 und 23.03.1994 über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe".
In der Begründung des Bescheides wird ausgeführt, dass die oben genannten Bescheide "ab 29.06.1992 aufgehoben und zurückgenommen" werden, weil die Voraussetzungen für die Leistungen weggefallen seien. Nach § 138 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) sei im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung der Alhi das eigene Einkommen des Klägers in voller Höhe auf die Alhi anzurechnen. Der anzurechnende Betrag der Erziehungsrente übersteige die ohne Anrechnung zustehende Alhi. Der Kläger sei deshalb nicht bedürftig gewesen und habe keinen Anspruch auf Alhi gehabt. Die Entscheidung beruhe auf §§ 134, 138 AFG und § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Der Kläger habe Alhi in Höhe von 21.960,-- DM im Zeitraum vom 29.06.1992 bis 21.05.1994 zu Unrecht bezogen. Dieser Betrag sei nach § 50 SGB X zu erstatten. Ein Erstattungsbetrag in Höhe von 8.708,28 DM sei von der LVA Ufr aus der Nachzahlung der Erziehungsrentenerhöhung angefordert worden. Der Restbetrag in Höhe von 13.207,94 DM (21.916,22 DM - 8.708,28 DM = 13.207,94 DM) sei vom Kläger zu zahlen.
Die vom Kläger vor dem Sozialgericht Würzburg erhobene Klage ist erfolglos geblieben (Urteil vom 06.11.1995). Das SG hat zur Begründung seines Urteils die Entscheidungsbegründung des Widerspruchsbescheides der Beklagten in Bezug genommen.
Im Berufungsverfahren macht der Kläger geltend: Nach der Bewilligung von Alhi sei keine Änderung seiner Einkommensverhältnisse eingetreten. Das Arbeitsamt sei bereits am 07.08.1991 vom Rentenbezug durch die LVA Ufr in Kenntnis gesetzt worden. Dem Arbeitsamt Würzburg sei jeweils angegeben worden, dass er Erziehungsrente bekomme, was Frau bezeugen könne. Er sei davon ausgegangen, dass er neben der Erziehungsrente im gewissen Umfang Alhi beziehen könne und dass eine Abstimmung zwischen den Leistungsträgern erfolge und ihm die jeweils zutreffenden Beträge ausgezahlt würden. Die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X lägen nicht vor. Es sei zu prüfen, ob die Rücknahmefrist nach § 45 Abs 3 SGB X eingehalten worden sei.
Die Beklagte wies mit Schreiben vom 24.10.1998 darauf hin, dass dem Kläger schon 1990 auf seine damalige Alhi Erziehungsrente angerechnet worden sei und ein entsprechender Änderungsbescheid ergangen sei. Da der Kläger in der Zeit vom 29.06.1992 bis 28.02.1994 die Erziehungsrente laufend bezogen habe, ohne dass diese bei der Bewilligung der Alhi berücksichtigt worden sei, seien die im angefochtenen Bescheid angeführten Bewilligungsentscheidungen von Anfang an teilweise rechtswidrig gewesen. Demzufolge hätten die mit dem angefochtenen Bescheid aufgehobenen Alg-Bewilligungen nur insoweit nach Maßgabe des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X aufgehoben werden können, wie dem Kläger für die Alhi-Bezugszeiträume die im Rentenneuberechnungsbescheid der LVA Ufr vom 15.04.1994 aufgeführten Differenz(erhöhungs)beträge zuerkannt worden seien und zur Nachzahlung anstanden. Das seien insgesamt 8708,28 DM gewesen. Der Kläger habe jedoch in den Leistungsanträgen vom 28.07.1992 und 10.02.1993 für den streitigen Zeitraum trotz laufenden Rentenbezugs die unter Zff 6 und 7 des Vordrucks gestellten Fragen nach anderweitigen Leistungen bzw Einnahmen verneint. Dies werfe die Frage auf, ob der streitgegenständliche Bescheid, soweit § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X nicht greife, dadurch gerechtfertigt sei, dass hinsichtlich der (teilweise) rechtswidrigen Bewilligungsentscheidungen die Voraussetzungen für eine Rücknahme gem § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 und/ oder 3 SGB X erfüllt seien.
Mit Bescheid des Arbeitsamtes Aschaffenburg vom 04.12.1998 bestimmte die Beklagte, dass es im Umfange der lt Bescheides der LVA Ufr vom 15.04.1994 errechneten Nachzahlungsbeträge der Erziehungsrente beim Aufhebungsbescheid vom 08.06.1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 17.08.1994 mit der dort angegebenen Begründung verbleibe. Im Übrigen würden die Entscheidungen vom 26.08.1992, 22.01.1993 und 17.02.1993 über die Bewilligung von Alhi gem § 45 Abs 2 Satz 2 und 3 SGB X in jeweils vollem Umfang zurückgenommen. Dieser Bescheid werde gemäß § 96 Abs 1 und 153 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des laufenden Berufungsverfahrens.
Die Beklagte hat den Bescheid vom 04.12.1998 im Hinblick auf die Ausführungen des Senats im Prozesskostenhilfebeschluss vom 04.03.1999 in der Sitzung vom 29.04.1998 zurückgenommen.
Der Kläger hat seine Berufung dahingehend beschränkt, dass er die Berufung, soweit sie die Aufhebung der Alhi-Bewilligung wegen der nachträglichen Erhöhung der Erziehungsrente durch Bescheid der LVA Unterfranken vom 15.04.1994 (nachträglicher Erzielung von Einkommen) betrifft, zurückgenommen hat.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Arbeitsamtes Aschaffenburg vom 08.06.1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 17.08.1994 sowie das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 06.11.1995 insoweit aufzuheben, als damit die Arbeitslosenhilfe-Bewilligung des Klägers in Höhe von 13.207,94 DM aufgehoben und deren Erstattung gefordert wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung, soweit diese nicht bereits erledigt ist, zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten (Stammnr: ...) und die Akte der LVA Unterfranken, die Verfahrensakte des SG und des Senats, deren Inhalte zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Am Ende des Berufungsverfahrens war zwischen den Beteiligten nur noch streitig, ob die Beklagte ihre Alhi-Bewilligungen für den Zeitraum vom 29.06.1992 bis 28.02.1994 mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 08.06.1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 17.08.1994 auch insoweit wirksam aufgehoben hat und deshalb der Kläger die von der Aufhebung erfassten Leistungen zu erstatten hat, soweit der Kläger in der streitrelevanten Zeit durchgehend Erziehungsrente in Höhe von mtl 711,76 DM erhalten hat.
Auf den Alhi-Anspruch war - wie die Beklagte richtig festgestellt hat - laufendes Einkommen aus der Erziehungsrente in vollem Umfange anzurechnen (§§ 134 Abs 1 Nr 3, 137, 138 AFG, in der hier anzuwendenden insoweit bis 31.12.1997 gültigen Fassung). Die Beklagte hatte deshalb dem Kläger in dem genannten Zeitraum mtl 711,76 DM bzw im Juni 1992 werktäglich anteilig zuviel Alhi bewilligt.
Die Beklagte hat nun in den streitgegenständlichen Bescheiden zwar richtig dargetan, dass die Erziehungsrente grundsätzlich auf die Alhi anzurechnen ist und in Höhe des Zahlbetrages der Erziehungsrente die Arbeitslosenhilfe wegfällt. Sie hat aber die besonderen Voraussetzungen, unter denen von Anfang an fehlerhafte Leistungsbewilligungen nur zurückgenommen werden dürfen, nicht beachtet. Insoweit hat sie die Aufhebung (Rücknahme) auf eine nicht ausreichende Begründung gestützt.
Ein mit einer Anfechtungsklage angegriffener Verwaltungsakt ist jedoch grundsätzlich nicht allein wegen einer unrichtigen oder unvollständigen Begründung aufzuheben. Die Gerichte sind vielmehr verpflichtet, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes unter allen denkbaren Gesichtspunkten zu prüfen und hierbei alle Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte, auch die von der Verwaltungsbehörde ihrer Entscheidung nicht zugrunde gelegten, zu berücksichtigen (hM und stRsp vgl BSG SozR 4100 § 119 Nr 12 S 54; SozR 3-1300 § 48 Nr 25 S 41; Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 6. Aufl, § 54 RdNr 35). Die Gerichte und die Verwaltung dürfen darüber hinaus sogar in einem bestimmten Umfang fehlerhafte Verwaltungsakte (§ 43 SGB X) in andere fehlerfreie Verwaltungsakte umdeuten, soweit der ursprüngliche Verwaltungsakt durch eine andere Begründung nicht aufrecht erhalten werden kann. Das Nachholen oder das Nachschieben einer Begründung ist allerdings nur zulässig, wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt durch die neue Begründung nach Voraussetzungen, Inhalt und Wirkungen nicht in seinem Wesen verändert und die Rechtsverteidigung des Betroffenen nicht in einer unzulässigen Weise beeinträchtigt wird (hM vgl zB Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 6.Aufl, § 54 Anm 35a; BSG E 29, 132; BSG SozR 4100 § 119 Nr 12 S 54). Bei einer Erhöhung der Belastung für den Betroffenen ist auch eine Umdeutung unzulässig (§ 43 Abs 2 Satz 1 SGB X).
Im vorliegenden Falle konnten die Alhi-Bewilligungsbescheide wegen der dem Kläger schon vor Erlass des ersten Bewilligungsbescheides laufend gewährten Erziehungsrente in Höhe von mtl 711,76 DM nur nach § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X iVm § 152 Abs 2 AFG (in der hier anzuwendenden ab 01.01.1994 bis 31.12.1997 gültigen Fassung (Aufl, § 152 RdNr 55)) zurückgenommen werden.
Einer Nachholung oder Nachschiebung der Begründung steht nicht entgegen, dass § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X - anders als § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X - grundsätzlich als Ermessensvorschrift ausgebildet ist. Denn § 152 Abs 2 SGB X, der hier zu berücksichtigen ist, setzt anstelle einer grundsätzlich gegebenen Ermessensentscheidung für den Bereich des AFG eine gebundene Entscheidung.
Eine Begründungsänderung mit dem hier notwendigen Inhalt ist jedoch dennoch nicht möglich. Denn die Begründungsänderung von § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X iVm § 152 Abs 3 AFG in eine solche der Tatbestände des § 45 Abs 2 Satz 3 iVm § 152 Abs 2 AFG wäre nur unter einer Wesensänderung des angegriffenen Verwaltungsaktes möglich. Damit würde eine Begründung, die keine Verschuldensprüfung des Betroffenen enthält, sondern lediglich auf den den Alhi-Anspruch vernichtenden nachträglichen Zufluss von Einkommen abhebt, in eine Begründung verwandelt werden, die eine Verschuldensprüfung voraussetzt (so auch BSG SozR 1300 § 43 Nr 1 S 4; auf die Problematik hinweisend BSG SozR 3-3660 § 1 Nr 1 S 4 oben). Dass das BSG diese Bewertung im Rahmen einer Umdeutung des angefochtenen Aufhebungsbescheides abgegeben hat, ist unwesentlich und ergibt sich aus der Natur der Sache. Durch eine unzulässige Nachbegründung verändert der zu überprüfende Verwaltungsakt sein Wesen. Er kann deshalb nur noch im Rahmen einer Umdeutung die getroffene Aufhebungsentscheidung stützen. So überrascht es nicht, dass das BSG mehrfach Begründungsauswechslungen zwischen § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X und § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X und umgekehrt im Rahmen der Umdeutung geprüft hat (vgl SozR 3-1300 § 48 Nr 25 S 42, SozR 1300 § 43 Nr 1, SozR 3-4100 § 63 Nr 2 S 14, SozR 3-1300 § 48 Nr 25 S 41, SozR 3-3660 Nr 1 S 3, BSG-Urteil vom 26.08.1994 Az 13 RJ 29/93, S 8).
Eine Wesensänderung bzw eine Mehrbelastung durch Begründungsänderung (§ 43 Abs 2 Satz 1 SGB X) von § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X in eine solche nach § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X wird wegen des damit verbundenen zusätzlichen Schuldvorwurfes an den Betroffenen auch in der Literatur als unzulässig abgelehnt (Schroeder-Printzen , SGB X Komm, 3. Aufl § 43 RdNr 6, 9; Krause in GK-SGB X, § 43 RdNr 21 mH auf BSG SozR 1300 § 43, Nr 1). Dem schließt sich der erkennende Senat an.
Eine unzulässige Wesensveränderung oder eine unzulässige Mehrbelastung iS des § 43 Abs 2 Satz 1 SGB X bei der notwendigen Umbegründung ist im vorliegenden Fall nicht nur schlechthin in dem zusätzlichen Unlauterkeitsvorwurf zu sehen, den alle Tatbestände des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X beinhalten, sondern der Kläger wurde konkret wegen der Nichtangabe des Erziehungsrentenbezuges in diesem Zusammenhang wegen des dringenden Verdachtes des Betruges bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Aschaffenburg mit Schreiben vom 26.09.1994 angezeigt. Dh die Beklagte sah bei dem Kläger die Vorsatzalternative des Tatbestandes in § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X verwirklicht.
Eine wirksame Rücknahme der Alhi-Bewilligungen durch den Bescheid vom 08.06.1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 17.08.1994 ist, wie die Beklagte bereits in ihrem Schreiben vom 26.10.1998 selbst festgestellt hat, in Höhe der ursprünglichen Erziehungsrente nicht erfolgt.
Gemessen an den wirtschaftlichen Zielen, die mit der Anfechtung der Aufhebungs-, Rücknahme- und Erstattungsbescheide verfolgt wurden, kann dem Kläger im Berufungsverfahren ein überwiegender Erfolg nicht abgesprochen werden. Es entspricht deshalb billigem Ermessen, die Beklagte mit 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu belasten.
Die Frage, wieweit eine unzutreffende Aufhebungsbegründung nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X durch eine sachlich gebotene Begründung nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 oder Nr 3 SGB X im gerichtlichen Verfahren ausgewechselt werden kann, ist von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Die Revision war deshalb zuzulassen.
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