Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 326/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 6093/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.10.2006 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 21.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2004 und des Bescheides vom 27.05.2005 verurteilt, der Klägerin ab dem 07.04.2005 Verletztenrente nach einer MdE um 50 v. H. zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, nach welcher Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) der Klägerin eine Verletztenrente zu gewähren ist.
Die 1949 in K. geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie erlitt am 14.10.2002 bei einem Autounfall in Italien, wo sie für ihren Arbeitgeber unterwegs war, ein abdominales Trauma mit mehrfachen Leberrissen und ein Schädeltrauma mit Riss- und Quetschwunden an der Stirn. Nach ihrem Rücktransport nach Deutschland, dem sich keine weitere stationäre Behandlung anschloss, beklagte die Klägerin Beschwerden (Schmerzen im Bereich des Kopfes, des Bauches, der Schulter und Kniegelenke, Parästhesien im linken Arm, Angstzustände, innere Unruhe und Schlafstörungen), die als Folgen eines Polytraumas und akute Belastungsreaktion (Fachärztin für Neurologie Dr. S.-K. und Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. M. ) bzw. als depressive Anpassungsstörung (Prof. Dr. W. , BG-Klinik T. ) gewertet wurden.
Nach Einholung eines Gutachtens beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. (Untersuchung der Klägerin am 11.03.2004: MdE von 40 v. H. ab dem 12.04.2004 bei Verdacht auf Commotio cerebri ohne neurologische Folge¬erscheinungen und bei inzwischen chronifizierter Anpassungsstörung mit Schmerzen, depressiver Entwicklung und Angststörung, Verdacht auf analgetika-induzierten Kopfschmerz) stellte die Beklagte als Unfallfolgen eine Anpassungsstörung mit ängstlich-depressiver Symptomatik nach Polytrauma mit Commotio cerebri, einen posttraumatischen Kopfschmerz, ohne wesentliche Folgen verheilte Leberrisse nach stumpfen Bauchtrauma sowie ohne wesentliche Folgen verheilte Riss-, Quetschwunden an der Stirn fest und gewährte ab dem 12.04.2004 eine Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 v. H. (Bescheid vom 21.07.2004). Ein Sulcus-ulnaris-Syndrom links mit Sensibilitätsstörungen des 4. und 5. Fingers und des Kleinfingerballens und Gefühlsstörungen des linken Unterarmes schloss sie ausdrücklich als Unfallfolgen aus.
Den auf die Anerkennung des Sulcus-ulnaris-Syndroms als Unfallfolge und Gewährung einer höheren Verletztenrente gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 19.08.2004 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2004 zurück.
Mit ihrer am 18.01.2005 zum Sozialgericht Stuttgart erhobenen Klage hat die Klägerin die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von zuletzt 60 v. H. geltend gemacht und ein für die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) erstelltes Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. P. vorgelegt (bei Untersuchung am 12.01.2005 Zustand nach Commotio cerebri im Rahmen eines Polytrauma, chronischer Spannungskopfschmerz, larvierte Depression nach protrahierter Belastungsreaktion, Sulcus-ulnaris-Syndrom links).
In einem für die Beklagte zur Feststellung einer Rente auf Dauer erstatteten Gutachten hat Dr. R. nach Untersuchung der Klägerin am 07.04.2005 eine deutliche Verschlechterung des Befundes im Vergleich zur Vorbegutachtung am 11.03.2004 angegeben. Die Symptome der chronischen Anpassungsstörung seien deutlich schwerer ausgeprägt, als psychiatrische Befunde fänden sich eine deutliche depressive Verstimmung und eine Angststörung. Zusätzlich bestünden multiple Schmerzen (Bauch, Brustbein, linker Arm, Kopf, linkes Knie) und weitere somatische Störungen wie Schlafstörung, Wortfindungsstörungen und eine Verschlechterung des Sehens. Mitursächlich für die angegebenen täglich auftretenden Kopfschmerzen sei ein fortgesetzter Analgetika-Mißbrauch. Auf neurologischen Fachgebiet liege weiterhin eine unfallunabhängige Ulnarisschädigung durch Kompression des Nerven im Sulcus links vor, die inzwischen zu einer Schwäche der kleinen Handmuskulatur und in Überbewertung des Befundes zu einem Mindergebrauch des gesamten linken Armes geführt habe. Für die unfallabhängigen Störungen sei für die Zeit nach dem 12.04.2004 eine MdE von 70 v. H. anzunehmen.
Mit Bescheid vom 27.07.2005 hat die Beklagte der Klägerin eine Verletztenrente auf Dauer nach einer MdE von 40 v.H. bewilligt, nachdem der beratende Arzt Dr. Ma. ausgeführt hatte, das Gutachten von Dr. R. sei nicht schlüssig, weil eine Anpassungsstörung längstens bis zwei Jahre nach dem Trauma vorliege und daher von einer MdE von weiterhin 40 v. H. auszugehen sei.
Mit Urteil vom 26.10.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine MdE von 40 v. H. sei auf Grund der übereinstimmend von den gehörten Ärzten gestellten Diagnosen und des Eindrucks von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung unter Berücksichtigung der in der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannten MdE-Sätze nicht zu beanstanden. Die von Dr. R. zur Begründung seiner MdE-Einschätzung von 70 v. H. angeführte Verschlechterung der psychischen Befunde bei der Klägerin sei nicht überzeugend im Gutachten belegt und überschreite den MdE-Maximalwert von 40 v. H. für eine Depression sogar schweren Ausmaßes mit ausgeprägter Antriebsminderung und stark allgemein verminderter Konzentrations- und Belastungsfähigkeit mit Angstanfällen. Weitere Gesundheitsstörungen, insbesondere das Ulcus-sulnaris-Syndrom der Klägerin oder eine posttraumatische Belastungsstörung bzw. eine protrahierte Belastungsreaktion, seien nicht als Unfallfolgen festzustellen.
Zur Begründung ihrer Berufung vom 07.12.2006 gegen das ihrem Bevollmächtigten am 14.11.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin weitere Gutachten von Dr. P. für die DRV Bund nach Untersuchungen am 23.10.2006 (kein gebessertes Leistungsvermögen bei unveränderten Diagnosen) und 26.11.2008 (ausgeprägte Müdigkeit, Desinteresse und Kraftlosigkeit, Tätigkeit als kaufmännische Angestellte nicht mehr zumutbar) vorgelegt und vorgetragen, ihr sei eine höhere MdE als 40 v. H. zuzuerkennen. Sie leide unfallbedingt an Kopfschmerzen nach schweren Kopfverletzungen, Schwindel, einer larvierten Depression nach posttraumatischer Belastungsstörung, einer chronischen Anpassungsstörung mit Schmerzen, einer Angststörung mit körperlichen Symptomen sowie einem Ulcus-sulnaris-Syndrom am linken Ellenbogen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.10.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 21.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2004 und des Bescheides vom 27.05.2005 zu verurteilen, ihr ab 07.04.2005 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise ein weiteres Gutachten auf nervenärztlichem Fachgebiet einzuholen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung sachverständiger Zeugenaussagen bei der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. E. (Behandlung einer organisch bedingten affektierten [agitierten] depressiven Störung mit Antidepressivum und Veranlassung einer Psychotherapie, nur minimale Besserung bis zum Ende der Behandlung am 08.12.2004) und bei der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. (Behandlung ab 26.06.2003 wegen einer chronifizierten rezidivierenden depressiven Störung leichter Ausprägung, einer Angststörung mit Agoraphobie und spezifischen Phobien ohne Panikattacken, einer dysfunktionalen Verarbeitung von traumatisierenden Lebensereignissen und einer Somatisierungsstörung) sowie eines Gutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Wi. Der Sachverständige hat nach Untersuchung der Klägerin am 10.03.2008 berichtet, Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestünden seit April 2004 nicht mehr. Der Unfall habe zu einer vorübergehenden ängstlich-depressiven Anpassungsstörung geführt. Darüber hinaus seien keine Gesundheitsstörungen zu erkennen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch das Ereignis vom 14.10.2002 verursacht oder verschlimmert worden seien. Eine posttraumatische Belastungsstörung liege nicht vor. Die somatoforme Schmerzstörung der Klägerin sei unfallunabhängig. Es bestehe der Verdacht auf eine Läsion des 1. Trigeminusastes rechts mit hierdurch bedingten neuropathischen Kopfschmerzen, der jedoch nicht abgeklärt werden könne, weil die Klägerin die erforderliche Prüfung des Kornealreflexes sowie die Durchführung von somatosensibel evozierten Potentialen des Nervus trigeminus ablehne. Die von Dr. R. angenommene drastische Verschlechterung widerspreche sämtlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen, wonach psychoreaktive Unfallfolgen sich in der Regel bis zum Ablauf von zwei Jahren nach dem Unfall zurückbildeten, wenn sie nicht durch gravierende körperliche Unfallschäden - die vorliegend nicht bestünden - unterhalten würden. Der mehr als fünfjährige Verlauf spreche damit für ein Überwiegen anderer Faktoren.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die vorgelegten Verwaltungsakten und die vom Senat beigezogenen Akten der DRV Bund, von der die Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer bezieht, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung ist teilweise begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 21.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2004 (Gewährung einer Verletztenrente als vorläufige Entschädigung) und der Bescheid vom 27.05.2005 (Gewährung einer Verletztenrente auf Dauer), dessen Anfechtung wegen seiner Einbeziehung ins Klageverfahren gem. § 96 SGG ohne Vorverfahren nach § 78 SGG zulässig ist, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin hat ab dem 07.04.2005 Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 50 v. H. statt der von der Beklagten gewährten MdE um 40 v. H. Soweit die Klägerin die Zuerkennung einer Verletztenrente nach einer höheren MdE begehrt, ist ihre Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.
Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger nach § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII die Verletztenrente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann. Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung nach § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE nach § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben. Dies bedeutet, dass für die Feststellung der MdE im Zusammenhang mit der Frage der Gewährung einer Dauerrente die im Zeitpunkt der Feststellung bestehende MdE unabhängig von der Frage einer wesentlichen Besserung oder Verschlechterung des Gesundheitszustandes gegenüber der vorläufigen Rentenbewilligung und damit unabhängig von § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) maßgeblich ist.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungs¬medizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Bei der MdE-Bemessung ist zunächst von den durch die Beklagte bestandskräftig und umfassend anerkannten Unfallfolgen auf nervenärztlichem Fachgebiet (Anpassungsstörung mit ängstlich-depressiver Symptomatik nach Polytrauma mit Commotio cerebri, posttraumatischer Kopfschmerz) auszugehen.
Weitere von der Klägerin beklagte Gesundheitsstörungen sind bei der MdE-Bemessung nicht zu berücksichtigen, weil sie nicht ursächlich auf den Unfall zurück zu führen sind. Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung.
Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Soweit die Klägerin wiederholt Missempfindungen im Bereich der Vernarbung der beim Unfall erlittenen Platzwunde an der Stirn beklagt hat (u.a. bei Dr. S.-K.: rezidivierende frontal und im Schläfenbereich lokalisierte drückende und ziehende Kopfschmerzen; in den Gutachten des Dr. R. vom 15.04.2004 und vom 12.05.2005 Angabe eines Brennens im Bereich der frontalen Schnittwunde und im Bereich der Nasenwurzel), die neurologisch nicht erklärbar sind (so PD Dr. S. , Oberarzt der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums T. nach einer neurologischen Konsiliaruntersuchung der Klägerin für BG-Klinik T. vom 28.04.2003 und Dr. R.: die beim Unfall von der Klägerin erlittene Gehirnerschütterung sei ohne neurologische Folgen verheilt sowie Dr. P.: Neurostatus ohne nennenswerte Normabweichungen bei den Untersuchungen am 12.01.2005, 23.10.2006 und 26.11.2008), begründet dies keine weitere Unfallfolge. Denn entweder handelt es sich um Beschwerden im Rahmen der bereits als Unfallfolge anerkannten Anpassungsstörung (so Dr. E.: Verschreibung von Amitriptylin zur Verbesserung der Stimmung und der Kopfschmerzen; Dr. S.-K.: Schmerzen im Rahmen einer emotionalen Belastungsreaktion) oder des posttraumatischen Kopfschmerzes (so Dr. R.: Verdacht auf analgetika-induzierten Kopfschmerz; PD Dr. S.: bei unauffälligem Schädel-CT am ehesten Spannungskopfschmerz) oder um die Folge einer Läsion des 1. Trigeminusastes rechts (so eine Vermutung von Prof. Dr. Wi ). Ob eine solche Läsion unfallbedingt ist, kann jedoch offen bleiben, da sie bereits als solche nicht nachgewiesen ist. Prof. Dr. Wi hat nur eine Verdachtsdiagnose gestellt, die nach seinen Angaben nicht abgeklärt werden könne, weil die Klägerin aus Angst vor Schmerzen die erforderliche Prüfung des Kornealreflexes sowie die Durchführung von somatosensibel evozierten Potentialen des Nervus trigeminus ablehne. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass diese Beschwerden bei der MdE-Einschätzung durch Dr. R. ohnehin Berücksichtigung gefunden haben, da er nicht zwischen verschiedenen Schmerzen im Bereich des Kopfes unterschieden hat.
Ein Unfallzusammenhang der Beschwerden der Klägerin im linken Arm ist ebenfalls nicht hinreichend wahrscheinlich. Dass es sich hierbei tatsächlich um ein Sulcus-ulnaris-Syndrom handelt, wie von Dr. P. und Dr. R. angenommen, ist bei Fehlen eines entsprechenden neurologischen Befundes zweifelhaft, worauf Prof. Dr. Wi überzeugend hinweist. Die genaue Diagnose der Beschwerden ist indes nicht relevant, weil bereits eine als Ursache in Betracht kommende Primärschädigung des linken Armes im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall nicht dokumentiert ist und auch kein Sachverständiger oder behandelnder Arzt einen Kausalzusammenhang mit dem Unfall bestätigt hat. Allein das in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall stehende Auftreten der Beschwerden begründet keine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines kausalen Zusammenhangs.
Auch was die von der Klägerin beklagten Bauchschmerzen und die Beschwerden im Bereich des Thorax, des linken Kniegelenks und der HWS anbelangt, ist eine organische Ursache nicht erkennbar. Das beim Unfall erlittene abdominelle Trauma mit Leberruptur und die multiplen Prellungen sind ohne Folgeerscheinungen verheilt. Dies ergibt sich für den Senat daraus, dass bereits vor Beginn des Rentenzeitraums der Facharzt für innere Medizin und Gastroenterologie Dr. Am. organpathologische Befunde auf internistischem Fachgebiet auf Grund einer Oberbauchsonographie vom 28.01.2003 ausgeschlossen, Prof. Dr. W. die Behandlung auf unfallchirurgischem Fachgebiet ohne Verletzungsfolgen beendet (Bericht der BG-Unfallklinik T. vom 02.06.2003) und der Facharzt für Orthopädie Dr. A. in seinem Gutachten vom 20.01.2005 für die DRV Bund auch von Seiten der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule einen unauffälligen Befund berichtet hatten. Dr. P. , Dr. R. und Prof. Dr. Wi haben ebenfalls eine folgenlose Ausheilung des Bauchtraumas und der Prellungen angenommen.
Die von der Klägerin angegebenen "brennenden Schmerzen" in verschiedenen Körperregionen sind von Dr. R. bei der von ihm vorgenommenen MdE-Bewertung mit 40 v. H. als unfallbedingt berücksichtigt.
Bei dieser MdE-Bewertung kann es jedoch nicht verbleiben, da der Senat auf Grund der Angaben von Dr. R. , Dr. P. und Dr. F. von einer - teilweisen - Verschlimmerung der psychoreaktiven Unfallfolgen überzeugt ist. Eine erhebliche Veränderung in der Schmerzdarstellung der Klägerin hinsichtlich Stärke, Häufigkeit und Lokalisation ist zwar im Vergleich zwischen den Angaben der behandelnden Ärzte Dr. M. , Dr. E. und Dr. F. einerseits und den Sachverständigen andererseits nicht erkennbar. Dr. R. hat bei der Untersuchung am 07.04.2005 jedoch einen im Vergleich zu der von ihm selbst durchgeführten Vorbegutachtung vom 11.03.2004 deutlich verschlechterten psychischen Befund berichtet. Während er damals eine gedrückte Stimmungslage mit geringer affektiver Schwingungsfähigkeit erhoben hatte, hat er nunmehr eine deutliche depressive Verstimmung (deutlich gedrückte Stimmung, aufgehobene affektive Schwingungsfähigkeit), neue somatische Symptome wie Schlafstörungen, Wortfindungs¬störungen und Sehstörungen, erstmals Hinweise für im Verlauf der mehrstündigen Untersuchung zunehmende Müdigkeit, für Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen und eine Chronifizierung der Anpassungsstörung aufgeführt. Hierbei handelt es sich nicht um eine vorübergehende Verschlimmerung, auch wenn Dr. F. bei der Klägerin eine chronifizierte, rezidivierende depressive Störung leichter Ausprägung mit in langen Wellen verlaufenden depressiven Episoden beschrieben hat. Denn auch Dr. P. hat im Verlauf der für die DRV Bund durchgeführten Untersuchungen der Klägerin eine im Vergleich zur Voruntersuchung jeweils "verdichtetere" Ausprägung und Gesamtauswirkung der Befunde auf die Persönlichkeitsentfaltung berichtet, die letztendlich zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung geführt hat. Insbesondere hat sich die Angststörung der Klägerin ausgeweitet. So hat die Klägerin im September 2005 gegenüber Dr. F. berichtet, neben ihrer Furcht vor dem Autofahren seien jetzt zunehmend mehr Bereiche ihres alltäglichen Lebens angstbesetzt, so fürchte sie sich jetzt auch davor, auf ihren Balkon zu gehen (während sie bei der Begutachtung durch Dr. R. am 28.08.2003 noch angegeben hatte, sie halte sich häufig auf ihrem Balkon auf und bei der Untersuchung am 11.03.2004 bereits nur noch, sie gehe mal auf den Balkon) und ihre sozialen Kontakte verlören sich mehr und mehr. Im Hinblick auf die insoweit übereinstimmenden ärztlichen Berichte begründen die Angaben von Dr. R. , einzelne körperliche Symptome seien von der Klägerin ausgestaltet worden und die - von der Klägerin bestrittenen - Ausführungen von Prof. Dr. Wi , sie habe nach dem Ende der zweistündigen Exploration nicht erschöpft gewirkt, sondern deutlich lebhafter und aufgelockerter, und die von der Klägerin als nahezu vollständig demonstrierte Gebrauchsunfähigkeit des linken Arms sei anhand der objektivierbaren Untersuchungsbefunde nicht nachzuvollziehen, keine erheblichen Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Beschwerdedarstellung der Klägerin. Denn im Ergebnis ist auch Prof. Dr. Wi bei seiner Begutachtung davon ausgegangen, dass eine deutliche Zunahme der Symptomatik in den mehr als fünf Jahren nach dem Unfall klar dokumentiert ist.
Die Verschlimmerung ist auch unfallbedingt. Eine konkrete konkurrierende Ursache für die Verschlechterung der Gesundheitsstörungen der Klägerin auf nervenärztlichem Fachgebiet hat auch Prof. Dr. Wi nicht benannt, sondern - ebenso wie der beratende Arzt Dr. Ma. - einen Unfallzusammenhang der Verschlimmerung allein deswegen verneint, weil nach dem Diagnoseschlüssel des ICD 10 als anerkanntem Stand der Wissenschaft Anpassungsstörungen üblicherweise in einem Zeitraum von sechs Monaten abklingen und nur in seltenen Ausnahmefällen länger - allenfalls bis zwei Jahre - anhalten, wenn keine schweren körperlichen Unfallfolgen vorliegen, die geeignet sind, die Symptomatik aufrecht zu erhalten. Dabei verkennt er, dass nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung eine konkurrierende Ursache nicht nur konkret zu benennen ist, sondern auch erst dann berücksichtigt werden kann, wenn sie nachgewiesen ist (BSG, Urteil vom 20.01.1987, 2 RU 27/86). Damit unvereinbar ist, einen Kausalverlauf statt auf eine Betrachtung des Einzelfalls auf Erfahrungssätze zu gründen. Die Äußerung von Prof. Dr. Wi , mangels schwerer körperlicher Unfallschäden sei von einer "Übernahme der Symptomatik durch unfallunabhängige Mechanismen" auszugehen, stellt keine im Rahmen der Theorie der wesentlichen Bedingung in die Kausalitätsabwägung einzustellende Tatsache dar, sondern ist eine von ihm nicht konkret begründete Vermutung. Daher genügt auch die bloße Erwähnung einer "tief in der Persönlichkeit liegenden Konflikthaftigkeit" der Klägerin durch Dr. P. im Gutachten vom 23.10.2006 nicht, um eine den versicherten Unfall als wesentliche Ursache der Gesundheitsstörungen verdrängende konkurrierende Ursache anzunehmen. Im Übrigen war die Klägerin mit dieser Persönlichkeit im Zeitpunkt des Unfalls versichert.
Die Verschlimmerung hat zu einer Gesamt-MdE für die Unfallfolgen um 50 v. H. für den noch streitigen Zeitraum ab der Untersuchung der Klägerin durch Dr. R. am 07.04.2005 geführt. An die MdE-Bewertung von 70 v. H. durch Dr. R. ist der Senat nicht gebunden. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, stellen nur eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE dar, haben aber keine verbindliche Wirkung. Für eine Belastungsstörung mit emotionaler Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ist nach Mehrhoff, Meindl, Muhr (Unfallbegutachtung, 11. Aufl. 2005, S. 258) - auf dieses Werk hat sich bereits das Sozialgericht bezogen, allerdings zu Unrecht eine Obergrenze für die MdE von 40 v. H. angenommen - bei einem schweren Ausmaß, insbesondere bei Belastungsstörungen mit starker sozial-kommunikativer Beeinträchtigung, Angstzuständen und ausgeprägtem Vermeidungsverhalten, Antriebsminderung, vegetativer Übererregtheit eine MdE zwischen 30 und 50 v. H. anzusetzen. Bei der Anpassungsstörung der Klägerin mit ängstlich-depressiver Symptomatik handelt es sich um eine solche Belastungsstörung in schwerem Ausmaß. Dr. R. hat sowohl erhebliche soziale Anpassungsschwierigkeiten der Klägerin als auch eine erhebliche Antriebsminderung, Ängste und ein Vermeidungsverhalten dargestellt. Nachdem auf Grund der in den angefochtenen Bescheiden von einer von der Beklagten bestandskräftig anerkannten MdE um 40 v. H. auszugehen ist, hält der Senat im Hinblick auf die eingetretene Verschlimmerung der Unfallfolgen ab 07.04.2005 eine MdE um 50 v. H. für gerechtfertigt. Tatsächliche Anhaltspunkte für einen diese Obergrenze der gutachterlichen Erfahrungssätze für Belastungsstörungen überschreitenden MdE-Wert liegen nicht vor. Die Klägerin stützt im Übrigen die Höhe der von ihr beantragten MdE um 60 v. H. auch auf Gesundheitsstörungen, die - wie beispielsweise die Beschwerden im linken Arm - nicht Unfallfolge sind. Die Unfallfolgen und ihre Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin sind von den Sachverständigen und den behandelnden Nervenärzten umfassend beschrieben und bewertet worden. Eine weitere Sachaufklärung ist somit nicht erforderlich. Den Hilfsantrag der Beklagten, ein weiteres Gutachten auf nervenärztlichem Fachgebiet einzuholen, lehnt der Senat daher - auch im Hinblick auf die Höhe der MdE für die Unfallfolgen - ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, nach welcher Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) der Klägerin eine Verletztenrente zu gewähren ist.
Die 1949 in K. geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie erlitt am 14.10.2002 bei einem Autounfall in Italien, wo sie für ihren Arbeitgeber unterwegs war, ein abdominales Trauma mit mehrfachen Leberrissen und ein Schädeltrauma mit Riss- und Quetschwunden an der Stirn. Nach ihrem Rücktransport nach Deutschland, dem sich keine weitere stationäre Behandlung anschloss, beklagte die Klägerin Beschwerden (Schmerzen im Bereich des Kopfes, des Bauches, der Schulter und Kniegelenke, Parästhesien im linken Arm, Angstzustände, innere Unruhe und Schlafstörungen), die als Folgen eines Polytraumas und akute Belastungsreaktion (Fachärztin für Neurologie Dr. S.-K. und Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. M. ) bzw. als depressive Anpassungsstörung (Prof. Dr. W. , BG-Klinik T. ) gewertet wurden.
Nach Einholung eines Gutachtens beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. (Untersuchung der Klägerin am 11.03.2004: MdE von 40 v. H. ab dem 12.04.2004 bei Verdacht auf Commotio cerebri ohne neurologische Folge¬erscheinungen und bei inzwischen chronifizierter Anpassungsstörung mit Schmerzen, depressiver Entwicklung und Angststörung, Verdacht auf analgetika-induzierten Kopfschmerz) stellte die Beklagte als Unfallfolgen eine Anpassungsstörung mit ängstlich-depressiver Symptomatik nach Polytrauma mit Commotio cerebri, einen posttraumatischen Kopfschmerz, ohne wesentliche Folgen verheilte Leberrisse nach stumpfen Bauchtrauma sowie ohne wesentliche Folgen verheilte Riss-, Quetschwunden an der Stirn fest und gewährte ab dem 12.04.2004 eine Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 v. H. (Bescheid vom 21.07.2004). Ein Sulcus-ulnaris-Syndrom links mit Sensibilitätsstörungen des 4. und 5. Fingers und des Kleinfingerballens und Gefühlsstörungen des linken Unterarmes schloss sie ausdrücklich als Unfallfolgen aus.
Den auf die Anerkennung des Sulcus-ulnaris-Syndroms als Unfallfolge und Gewährung einer höheren Verletztenrente gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 19.08.2004 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2004 zurück.
Mit ihrer am 18.01.2005 zum Sozialgericht Stuttgart erhobenen Klage hat die Klägerin die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von zuletzt 60 v. H. geltend gemacht und ein für die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) erstelltes Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. P. vorgelegt (bei Untersuchung am 12.01.2005 Zustand nach Commotio cerebri im Rahmen eines Polytrauma, chronischer Spannungskopfschmerz, larvierte Depression nach protrahierter Belastungsreaktion, Sulcus-ulnaris-Syndrom links).
In einem für die Beklagte zur Feststellung einer Rente auf Dauer erstatteten Gutachten hat Dr. R. nach Untersuchung der Klägerin am 07.04.2005 eine deutliche Verschlechterung des Befundes im Vergleich zur Vorbegutachtung am 11.03.2004 angegeben. Die Symptome der chronischen Anpassungsstörung seien deutlich schwerer ausgeprägt, als psychiatrische Befunde fänden sich eine deutliche depressive Verstimmung und eine Angststörung. Zusätzlich bestünden multiple Schmerzen (Bauch, Brustbein, linker Arm, Kopf, linkes Knie) und weitere somatische Störungen wie Schlafstörung, Wortfindungsstörungen und eine Verschlechterung des Sehens. Mitursächlich für die angegebenen täglich auftretenden Kopfschmerzen sei ein fortgesetzter Analgetika-Mißbrauch. Auf neurologischen Fachgebiet liege weiterhin eine unfallunabhängige Ulnarisschädigung durch Kompression des Nerven im Sulcus links vor, die inzwischen zu einer Schwäche der kleinen Handmuskulatur und in Überbewertung des Befundes zu einem Mindergebrauch des gesamten linken Armes geführt habe. Für die unfallabhängigen Störungen sei für die Zeit nach dem 12.04.2004 eine MdE von 70 v. H. anzunehmen.
Mit Bescheid vom 27.07.2005 hat die Beklagte der Klägerin eine Verletztenrente auf Dauer nach einer MdE von 40 v.H. bewilligt, nachdem der beratende Arzt Dr. Ma. ausgeführt hatte, das Gutachten von Dr. R. sei nicht schlüssig, weil eine Anpassungsstörung längstens bis zwei Jahre nach dem Trauma vorliege und daher von einer MdE von weiterhin 40 v. H. auszugehen sei.
Mit Urteil vom 26.10.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine MdE von 40 v. H. sei auf Grund der übereinstimmend von den gehörten Ärzten gestellten Diagnosen und des Eindrucks von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung unter Berücksichtigung der in der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannten MdE-Sätze nicht zu beanstanden. Die von Dr. R. zur Begründung seiner MdE-Einschätzung von 70 v. H. angeführte Verschlechterung der psychischen Befunde bei der Klägerin sei nicht überzeugend im Gutachten belegt und überschreite den MdE-Maximalwert von 40 v. H. für eine Depression sogar schweren Ausmaßes mit ausgeprägter Antriebsminderung und stark allgemein verminderter Konzentrations- und Belastungsfähigkeit mit Angstanfällen. Weitere Gesundheitsstörungen, insbesondere das Ulcus-sulnaris-Syndrom der Klägerin oder eine posttraumatische Belastungsstörung bzw. eine protrahierte Belastungsreaktion, seien nicht als Unfallfolgen festzustellen.
Zur Begründung ihrer Berufung vom 07.12.2006 gegen das ihrem Bevollmächtigten am 14.11.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin weitere Gutachten von Dr. P. für die DRV Bund nach Untersuchungen am 23.10.2006 (kein gebessertes Leistungsvermögen bei unveränderten Diagnosen) und 26.11.2008 (ausgeprägte Müdigkeit, Desinteresse und Kraftlosigkeit, Tätigkeit als kaufmännische Angestellte nicht mehr zumutbar) vorgelegt und vorgetragen, ihr sei eine höhere MdE als 40 v. H. zuzuerkennen. Sie leide unfallbedingt an Kopfschmerzen nach schweren Kopfverletzungen, Schwindel, einer larvierten Depression nach posttraumatischer Belastungsstörung, einer chronischen Anpassungsstörung mit Schmerzen, einer Angststörung mit körperlichen Symptomen sowie einem Ulcus-sulnaris-Syndrom am linken Ellenbogen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.10.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 21.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2004 und des Bescheides vom 27.05.2005 zu verurteilen, ihr ab 07.04.2005 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise ein weiteres Gutachten auf nervenärztlichem Fachgebiet einzuholen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung sachverständiger Zeugenaussagen bei der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. E. (Behandlung einer organisch bedingten affektierten [agitierten] depressiven Störung mit Antidepressivum und Veranlassung einer Psychotherapie, nur minimale Besserung bis zum Ende der Behandlung am 08.12.2004) und bei der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. (Behandlung ab 26.06.2003 wegen einer chronifizierten rezidivierenden depressiven Störung leichter Ausprägung, einer Angststörung mit Agoraphobie und spezifischen Phobien ohne Panikattacken, einer dysfunktionalen Verarbeitung von traumatisierenden Lebensereignissen und einer Somatisierungsstörung) sowie eines Gutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Wi. Der Sachverständige hat nach Untersuchung der Klägerin am 10.03.2008 berichtet, Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestünden seit April 2004 nicht mehr. Der Unfall habe zu einer vorübergehenden ängstlich-depressiven Anpassungsstörung geführt. Darüber hinaus seien keine Gesundheitsstörungen zu erkennen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch das Ereignis vom 14.10.2002 verursacht oder verschlimmert worden seien. Eine posttraumatische Belastungsstörung liege nicht vor. Die somatoforme Schmerzstörung der Klägerin sei unfallunabhängig. Es bestehe der Verdacht auf eine Läsion des 1. Trigeminusastes rechts mit hierdurch bedingten neuropathischen Kopfschmerzen, der jedoch nicht abgeklärt werden könne, weil die Klägerin die erforderliche Prüfung des Kornealreflexes sowie die Durchführung von somatosensibel evozierten Potentialen des Nervus trigeminus ablehne. Die von Dr. R. angenommene drastische Verschlechterung widerspreche sämtlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen, wonach psychoreaktive Unfallfolgen sich in der Regel bis zum Ablauf von zwei Jahren nach dem Unfall zurückbildeten, wenn sie nicht durch gravierende körperliche Unfallschäden - die vorliegend nicht bestünden - unterhalten würden. Der mehr als fünfjährige Verlauf spreche damit für ein Überwiegen anderer Faktoren.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die vorgelegten Verwaltungsakten und die vom Senat beigezogenen Akten der DRV Bund, von der die Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer bezieht, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung ist teilweise begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 21.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2004 (Gewährung einer Verletztenrente als vorläufige Entschädigung) und der Bescheid vom 27.05.2005 (Gewährung einer Verletztenrente auf Dauer), dessen Anfechtung wegen seiner Einbeziehung ins Klageverfahren gem. § 96 SGG ohne Vorverfahren nach § 78 SGG zulässig ist, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin hat ab dem 07.04.2005 Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 50 v. H. statt der von der Beklagten gewährten MdE um 40 v. H. Soweit die Klägerin die Zuerkennung einer Verletztenrente nach einer höheren MdE begehrt, ist ihre Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.
Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger nach § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII die Verletztenrente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann. Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung nach § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE nach § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben. Dies bedeutet, dass für die Feststellung der MdE im Zusammenhang mit der Frage der Gewährung einer Dauerrente die im Zeitpunkt der Feststellung bestehende MdE unabhängig von der Frage einer wesentlichen Besserung oder Verschlechterung des Gesundheitszustandes gegenüber der vorläufigen Rentenbewilligung und damit unabhängig von § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) maßgeblich ist.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungs¬medizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Bei der MdE-Bemessung ist zunächst von den durch die Beklagte bestandskräftig und umfassend anerkannten Unfallfolgen auf nervenärztlichem Fachgebiet (Anpassungsstörung mit ängstlich-depressiver Symptomatik nach Polytrauma mit Commotio cerebri, posttraumatischer Kopfschmerz) auszugehen.
Weitere von der Klägerin beklagte Gesundheitsstörungen sind bei der MdE-Bemessung nicht zu berücksichtigen, weil sie nicht ursächlich auf den Unfall zurück zu führen sind. Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung.
Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Soweit die Klägerin wiederholt Missempfindungen im Bereich der Vernarbung der beim Unfall erlittenen Platzwunde an der Stirn beklagt hat (u.a. bei Dr. S.-K.: rezidivierende frontal und im Schläfenbereich lokalisierte drückende und ziehende Kopfschmerzen; in den Gutachten des Dr. R. vom 15.04.2004 und vom 12.05.2005 Angabe eines Brennens im Bereich der frontalen Schnittwunde und im Bereich der Nasenwurzel), die neurologisch nicht erklärbar sind (so PD Dr. S. , Oberarzt der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums T. nach einer neurologischen Konsiliaruntersuchung der Klägerin für BG-Klinik T. vom 28.04.2003 und Dr. R.: die beim Unfall von der Klägerin erlittene Gehirnerschütterung sei ohne neurologische Folgen verheilt sowie Dr. P.: Neurostatus ohne nennenswerte Normabweichungen bei den Untersuchungen am 12.01.2005, 23.10.2006 und 26.11.2008), begründet dies keine weitere Unfallfolge. Denn entweder handelt es sich um Beschwerden im Rahmen der bereits als Unfallfolge anerkannten Anpassungsstörung (so Dr. E.: Verschreibung von Amitriptylin zur Verbesserung der Stimmung und der Kopfschmerzen; Dr. S.-K.: Schmerzen im Rahmen einer emotionalen Belastungsreaktion) oder des posttraumatischen Kopfschmerzes (so Dr. R.: Verdacht auf analgetika-induzierten Kopfschmerz; PD Dr. S.: bei unauffälligem Schädel-CT am ehesten Spannungskopfschmerz) oder um die Folge einer Läsion des 1. Trigeminusastes rechts (so eine Vermutung von Prof. Dr. Wi ). Ob eine solche Läsion unfallbedingt ist, kann jedoch offen bleiben, da sie bereits als solche nicht nachgewiesen ist. Prof. Dr. Wi hat nur eine Verdachtsdiagnose gestellt, die nach seinen Angaben nicht abgeklärt werden könne, weil die Klägerin aus Angst vor Schmerzen die erforderliche Prüfung des Kornealreflexes sowie die Durchführung von somatosensibel evozierten Potentialen des Nervus trigeminus ablehne. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass diese Beschwerden bei der MdE-Einschätzung durch Dr. R. ohnehin Berücksichtigung gefunden haben, da er nicht zwischen verschiedenen Schmerzen im Bereich des Kopfes unterschieden hat.
Ein Unfallzusammenhang der Beschwerden der Klägerin im linken Arm ist ebenfalls nicht hinreichend wahrscheinlich. Dass es sich hierbei tatsächlich um ein Sulcus-ulnaris-Syndrom handelt, wie von Dr. P. und Dr. R. angenommen, ist bei Fehlen eines entsprechenden neurologischen Befundes zweifelhaft, worauf Prof. Dr. Wi überzeugend hinweist. Die genaue Diagnose der Beschwerden ist indes nicht relevant, weil bereits eine als Ursache in Betracht kommende Primärschädigung des linken Armes im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall nicht dokumentiert ist und auch kein Sachverständiger oder behandelnder Arzt einen Kausalzusammenhang mit dem Unfall bestätigt hat. Allein das in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall stehende Auftreten der Beschwerden begründet keine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines kausalen Zusammenhangs.
Auch was die von der Klägerin beklagten Bauchschmerzen und die Beschwerden im Bereich des Thorax, des linken Kniegelenks und der HWS anbelangt, ist eine organische Ursache nicht erkennbar. Das beim Unfall erlittene abdominelle Trauma mit Leberruptur und die multiplen Prellungen sind ohne Folgeerscheinungen verheilt. Dies ergibt sich für den Senat daraus, dass bereits vor Beginn des Rentenzeitraums der Facharzt für innere Medizin und Gastroenterologie Dr. Am. organpathologische Befunde auf internistischem Fachgebiet auf Grund einer Oberbauchsonographie vom 28.01.2003 ausgeschlossen, Prof. Dr. W. die Behandlung auf unfallchirurgischem Fachgebiet ohne Verletzungsfolgen beendet (Bericht der BG-Unfallklinik T. vom 02.06.2003) und der Facharzt für Orthopädie Dr. A. in seinem Gutachten vom 20.01.2005 für die DRV Bund auch von Seiten der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule einen unauffälligen Befund berichtet hatten. Dr. P. , Dr. R. und Prof. Dr. Wi haben ebenfalls eine folgenlose Ausheilung des Bauchtraumas und der Prellungen angenommen.
Die von der Klägerin angegebenen "brennenden Schmerzen" in verschiedenen Körperregionen sind von Dr. R. bei der von ihm vorgenommenen MdE-Bewertung mit 40 v. H. als unfallbedingt berücksichtigt.
Bei dieser MdE-Bewertung kann es jedoch nicht verbleiben, da der Senat auf Grund der Angaben von Dr. R. , Dr. P. und Dr. F. von einer - teilweisen - Verschlimmerung der psychoreaktiven Unfallfolgen überzeugt ist. Eine erhebliche Veränderung in der Schmerzdarstellung der Klägerin hinsichtlich Stärke, Häufigkeit und Lokalisation ist zwar im Vergleich zwischen den Angaben der behandelnden Ärzte Dr. M. , Dr. E. und Dr. F. einerseits und den Sachverständigen andererseits nicht erkennbar. Dr. R. hat bei der Untersuchung am 07.04.2005 jedoch einen im Vergleich zu der von ihm selbst durchgeführten Vorbegutachtung vom 11.03.2004 deutlich verschlechterten psychischen Befund berichtet. Während er damals eine gedrückte Stimmungslage mit geringer affektiver Schwingungsfähigkeit erhoben hatte, hat er nunmehr eine deutliche depressive Verstimmung (deutlich gedrückte Stimmung, aufgehobene affektive Schwingungsfähigkeit), neue somatische Symptome wie Schlafstörungen, Wortfindungs¬störungen und Sehstörungen, erstmals Hinweise für im Verlauf der mehrstündigen Untersuchung zunehmende Müdigkeit, für Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen und eine Chronifizierung der Anpassungsstörung aufgeführt. Hierbei handelt es sich nicht um eine vorübergehende Verschlimmerung, auch wenn Dr. F. bei der Klägerin eine chronifizierte, rezidivierende depressive Störung leichter Ausprägung mit in langen Wellen verlaufenden depressiven Episoden beschrieben hat. Denn auch Dr. P. hat im Verlauf der für die DRV Bund durchgeführten Untersuchungen der Klägerin eine im Vergleich zur Voruntersuchung jeweils "verdichtetere" Ausprägung und Gesamtauswirkung der Befunde auf die Persönlichkeitsentfaltung berichtet, die letztendlich zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung geführt hat. Insbesondere hat sich die Angststörung der Klägerin ausgeweitet. So hat die Klägerin im September 2005 gegenüber Dr. F. berichtet, neben ihrer Furcht vor dem Autofahren seien jetzt zunehmend mehr Bereiche ihres alltäglichen Lebens angstbesetzt, so fürchte sie sich jetzt auch davor, auf ihren Balkon zu gehen (während sie bei der Begutachtung durch Dr. R. am 28.08.2003 noch angegeben hatte, sie halte sich häufig auf ihrem Balkon auf und bei der Untersuchung am 11.03.2004 bereits nur noch, sie gehe mal auf den Balkon) und ihre sozialen Kontakte verlören sich mehr und mehr. Im Hinblick auf die insoweit übereinstimmenden ärztlichen Berichte begründen die Angaben von Dr. R. , einzelne körperliche Symptome seien von der Klägerin ausgestaltet worden und die - von der Klägerin bestrittenen - Ausführungen von Prof. Dr. Wi , sie habe nach dem Ende der zweistündigen Exploration nicht erschöpft gewirkt, sondern deutlich lebhafter und aufgelockerter, und die von der Klägerin als nahezu vollständig demonstrierte Gebrauchsunfähigkeit des linken Arms sei anhand der objektivierbaren Untersuchungsbefunde nicht nachzuvollziehen, keine erheblichen Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Beschwerdedarstellung der Klägerin. Denn im Ergebnis ist auch Prof. Dr. Wi bei seiner Begutachtung davon ausgegangen, dass eine deutliche Zunahme der Symptomatik in den mehr als fünf Jahren nach dem Unfall klar dokumentiert ist.
Die Verschlimmerung ist auch unfallbedingt. Eine konkrete konkurrierende Ursache für die Verschlechterung der Gesundheitsstörungen der Klägerin auf nervenärztlichem Fachgebiet hat auch Prof. Dr. Wi nicht benannt, sondern - ebenso wie der beratende Arzt Dr. Ma. - einen Unfallzusammenhang der Verschlimmerung allein deswegen verneint, weil nach dem Diagnoseschlüssel des ICD 10 als anerkanntem Stand der Wissenschaft Anpassungsstörungen üblicherweise in einem Zeitraum von sechs Monaten abklingen und nur in seltenen Ausnahmefällen länger - allenfalls bis zwei Jahre - anhalten, wenn keine schweren körperlichen Unfallfolgen vorliegen, die geeignet sind, die Symptomatik aufrecht zu erhalten. Dabei verkennt er, dass nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung eine konkurrierende Ursache nicht nur konkret zu benennen ist, sondern auch erst dann berücksichtigt werden kann, wenn sie nachgewiesen ist (BSG, Urteil vom 20.01.1987, 2 RU 27/86). Damit unvereinbar ist, einen Kausalverlauf statt auf eine Betrachtung des Einzelfalls auf Erfahrungssätze zu gründen. Die Äußerung von Prof. Dr. Wi , mangels schwerer körperlicher Unfallschäden sei von einer "Übernahme der Symptomatik durch unfallunabhängige Mechanismen" auszugehen, stellt keine im Rahmen der Theorie der wesentlichen Bedingung in die Kausalitätsabwägung einzustellende Tatsache dar, sondern ist eine von ihm nicht konkret begründete Vermutung. Daher genügt auch die bloße Erwähnung einer "tief in der Persönlichkeit liegenden Konflikthaftigkeit" der Klägerin durch Dr. P. im Gutachten vom 23.10.2006 nicht, um eine den versicherten Unfall als wesentliche Ursache der Gesundheitsstörungen verdrängende konkurrierende Ursache anzunehmen. Im Übrigen war die Klägerin mit dieser Persönlichkeit im Zeitpunkt des Unfalls versichert.
Die Verschlimmerung hat zu einer Gesamt-MdE für die Unfallfolgen um 50 v. H. für den noch streitigen Zeitraum ab der Untersuchung der Klägerin durch Dr. R. am 07.04.2005 geführt. An die MdE-Bewertung von 70 v. H. durch Dr. R. ist der Senat nicht gebunden. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, stellen nur eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE dar, haben aber keine verbindliche Wirkung. Für eine Belastungsstörung mit emotionaler Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ist nach Mehrhoff, Meindl, Muhr (Unfallbegutachtung, 11. Aufl. 2005, S. 258) - auf dieses Werk hat sich bereits das Sozialgericht bezogen, allerdings zu Unrecht eine Obergrenze für die MdE von 40 v. H. angenommen - bei einem schweren Ausmaß, insbesondere bei Belastungsstörungen mit starker sozial-kommunikativer Beeinträchtigung, Angstzuständen und ausgeprägtem Vermeidungsverhalten, Antriebsminderung, vegetativer Übererregtheit eine MdE zwischen 30 und 50 v. H. anzusetzen. Bei der Anpassungsstörung der Klägerin mit ängstlich-depressiver Symptomatik handelt es sich um eine solche Belastungsstörung in schwerem Ausmaß. Dr. R. hat sowohl erhebliche soziale Anpassungsschwierigkeiten der Klägerin als auch eine erhebliche Antriebsminderung, Ängste und ein Vermeidungsverhalten dargestellt. Nachdem auf Grund der in den angefochtenen Bescheiden von einer von der Beklagten bestandskräftig anerkannten MdE um 40 v. H. auszugehen ist, hält der Senat im Hinblick auf die eingetretene Verschlimmerung der Unfallfolgen ab 07.04.2005 eine MdE um 50 v. H. für gerechtfertigt. Tatsächliche Anhaltspunkte für einen diese Obergrenze der gutachterlichen Erfahrungssätze für Belastungsstörungen überschreitenden MdE-Wert liegen nicht vor. Die Klägerin stützt im Übrigen die Höhe der von ihr beantragten MdE um 60 v. H. auch auf Gesundheitsstörungen, die - wie beispielsweise die Beschwerden im linken Arm - nicht Unfallfolge sind. Die Unfallfolgen und ihre Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin sind von den Sachverständigen und den behandelnden Nervenärzten umfassend beschrieben und bewertet worden. Eine weitere Sachaufklärung ist somit nicht erforderlich. Den Hilfsantrag der Beklagten, ein weiteres Gutachten auf nervenärztlichem Fachgebiet einzuholen, lehnt der Senat daher - auch im Hinblick auf die Höhe der MdE für die Unfallfolgen - ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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