Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 VG 3608/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 3911/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 5. Juni 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin Beschädigtenversorgung wegen eines tätlichen Angriffs zusteht.
Die 1959 geborene Klägerin, bei der ein Grad der Behinderung von 40 seit 2004 anerkannt ist (Bescheid des Landratsamtes E. vom 30.06.2004) und die seit 01.01.2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht (Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 17.11.2005), zeigte am 22.12.2003 ihren Vater wegen sich in ihrem damaligen Wohnort A. im Bundesland Sachsen zugetragener sexueller Übergriffe in der Zeit von 1965 bis 1977 bei der Polizeidirektion E. an. Sie schilderte die Vorgänge in ihrem Schreiben vom 23.12.2003 und in ihrer Zeugen-Vernehmung vom 30.12.2003. Sie berichtete dabei über das Befummeln ihres nackten Körpers, insbesondere ihrer Genitalien, sowie über Oralverkehr. Ob es auch zum Geschlechtsverkehr gekommen sei, könne sie nicht mehr sagen. Durch den Missbrauch habe sie Tics im Mund- und Schulterbereich entwickelt. Ferner leide sie an Ängsten und schmerzhaften Erinnerungen. Am 09.03.2004 unternahm der Beschuldigte einen erfolglosen Selbstmordversuch und gab in einem Brief vom selben Tage zu, Körper und Geschlechtsteil der Klägerin mehrmals gestreichelt zu haben (Bl. 37 ff.). Mit Verfügung vom 29.04.2004 stellte die Staatsanwaltschaft G. das gegen den Beschuldigten eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Verfolgungsverjährung ein. Bereits am 23.01.2004 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf massive Tics im Mund- und Schulterbereich, Depressionen und eine posttraumatische Belastungsstörung Beschädigtenversorgung. Das Versorgungsamt Ch. holte bei der KKH R. das Vorerkrankungsverzeichnis der Klägerin ein. Die Klägerin legte ihre Ausweise für Arbeit und Sozialversicherung, in denen Angaben zu diversen in der DDR durchgeführten Krankenbehandlungsmaßnahmen enthalten sind, den ärztlichen Entlassungsbericht der Baar-Klinik D. vom 18.08.2003 (stationäre Maßnahme vom 30.06.2003 bis zum 01.08.2003; Diagnosen: Dysthymia, Nikotinabusus; die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung seien nicht erfüllt; Klägerin sei in Vollzeit als Industriekauffrau beschäftigt und voll leistungsfähig auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt) mit Stellungnahme zu ihren Einwendungen und die Bescheinigung der Dipl.-Psych. W. vom 15.12.2003 (durch Stress mitbedingte und die Situation am Arbeitsplatz verstärkte Störung) vor. Das Versorgungsamt holte den Befundbericht des Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. G. vom 20.08.2004 (Diagnosen: posttraumatische Belastungsstörung, durch eine Tic-Störung ausgelöste oder verstärkte rezidivierende depressive Störung) ein, zog die Krankenakte der Kreispoliklinik A. sowie weitere Krankenunterlagen bei und holte den Befundbericht der Dipl.-Psych. W. vom 29.08.2004 (Behandlung seit 26.02.2002; Diagnosen: rezidivierende depressive Episoden, emotional instabile Persönlichkeit aufgrund von Missbrauchserfahrungen, nervöse Tics; Behandlung eines posttraumatischen Belastungssyndroms) ein.
Sodann holte das Versorgungsamt das Gutachten der Neurologin, Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. B. vom 30.11.2004 ein. Die Gutachterin führte aus, der Klägerin sei trotz ihrer schwierigen Ausgangsbedingungen und der Beeinträchtigung der kindlichen Entwicklung eine partiell gute Lebensbewältigung gelungen. Sie habe sich beruflich integrieren können und sei auch in der Lage gewesen, eine Partnerschaft einzugehen, bei der sie ihrem Partner auch beruflich zur Hand gehe und alle anfallenden Schreibarbeiten erledige. Sie erscheine eher übermäßig aktiv und sei auch in einem gestörten familiären Milieu aufgewachsen. Im partnerschaftlichen Bereich zeige sich ein Verhaltensmuster, wonach die Klägerin offensichtlich nicht in der Lage sei, alleine zu sein, sondern sich nach Scheitern einer Partnerschaft umgehend wieder an einen neuen Partner binde. Diagnostisch liege bei der Klägerin ein komplexes psychiatrisches Störungsbild mit Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentwicklung, rezidivierender depressiver Störung und Tic-Störung vor. Die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung seien nicht erfüllt, auch wenn einzelne Symptome wie Intrusionen, erhöhtes Erregungsniveau und Erinnerungslücken vorlägen. Der sexuelle Missbrauch sei aufgrund des hohen Schweregrades und der langjährigen Entwicklung als annähernd gleichwertig gegenüber den anderen schädigenden Faktoren wie dem gestörten familiären Milieu mit ständigen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern, dem jähzornigen Verhalten des Vaters und der gestörten Beziehung zur Mutter anzusehen. Es sei davon auszugehen, dass die aktuelle Symptomatik sämtlich Folge der Traumatisierung im Kindes- und Jugendalter sei. Die weiteren belastenden Faktoren im Erwachsenenalter wie die schwierigen Partnerbeziehungen hätten keinen dauerhaften Einfluss auf die Entwicklung des Krankheitsbildes im Sinne einer richtunggebenden Verschlimmerung gehabt. Die Ausgestaltung der Tic-Störung und ihr Beginn im Kindesalter ließen mit Wahrscheinlichkeit einen ursächlichen Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch annehmen. Die Gutachterin empfahl, als Schädigungsfolge eine psychoreaktive Störung anzuerkennen. Die Diagnosekriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung seien hingegen nicht erfüllt, auch wenn Intrusionen, erhöhtes Erregungsniveau und Erinnerungslücken vorlägen. Nach Ausprägungsgrad der Symptomatik und deren psychosozialen Auswirkungen handle es sich um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im oberen Bereich, die mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vom Hundert (v. H.) zu bewerten sei. Eine schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Auswirkungen liege angesichts des noch guten sozialen Funktionsniveaus nicht vor. Eine psychotherapeutische Behandlung sei dringend erforderlich. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Sch. schloss sich in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05.01.2005 dieser gutachtlichen Einschätzung an
Mit Bescheid vom 13.01.2005 lehnte das Versorgungsamt die Gewährung von Beschädigtenversorgung ab. Für Taten, die in der DDR vor dem 03.10.1990 begangen worden seien, sei Voraussetzung für die Gewährung von Beschädigtenversorgung, dass der Geschädigte allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sei, bedürftig sei und seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe. Nach Auswertung des Gutachtens sei festzustellen, dass die Schädigungsfolge psychoreaktive Störung nur eine MdE um 40 v. H. und mithin keine Schwerbeschädigung bedinge.
Hiergegen erhob die Klägerin am 19.01.2005 Widerspruch. Sie führte zur Begründung aus, bei ihr lägen mit den massiven Tics im Mund- und Schulterbereich, den Depressionen, den Einschlafstörungen, der Schreckhaftigkeit, der verminderten körperlichen Leistungsfähigkeit, der zeitweisen Gefühllosigkeit sowie den Muskelverspannungen und -schmerzen Schädigungen in vielfältiger Form vor. Das Versorgungsamt holte den Befundbericht des Neurochirurgen Dr. Sch. vom 30.03.2005 (Halswirbelsäulenbeschwerden bei degenerativen Veränderungen) mit Arztbrief vom 17.03.2005 ein. Die Klägerin legte den Arztbrief der Dr. W.-G., Oberärztin an der Medizinischen Hochschule Hannover, vom 20.04.2005 (Diagnose: Tourette-Syndrom als organisch bedingte Erkrankung erblicher Ursache) vor. Das Versorgungsamt holte den Befundbericht des PD Dr. T.-v. E., Oberarzt am Universitätsklinikum F., vom 14.06.2005 (Diagnosen: Tourette-Syndrom, rezidivierende depressive Phasen) ein.
Ferner veranlasste das Versorgungsamt ein weiteres nervenärztliches Gutachten nach Aktenlage. Der Neurologe und (Kinder- und Jugend-)Psychiater Dr. Sch. führte am 10.11.2005 aus, bei dem Tourette-Syndrom sei vermutlich von einem autosomal-dominanten Erbgang auszugehen. Dass psychische Faktoren die Ausgestaltung auch dieser organisch begründeten Symptomatik beeinflussen könnten, sei bekannt. Eine entscheidende Verursachung des Tourette-Syndroms durch psychische Faktoren sei jedoch nicht belegt und werde auch nicht diskutiert. Nicht zu verwechseln damit seien die rein psychogen bedingten Tics, die allerdings nicht die für ein Tourette-Syndrom relevante Symptomkonstellation aufwiesen. Die psychoanalytische Interpretation durch Dr. B. beziehe sich auf eine rein psychogene Verursachung. Andererseits seien vorliegend psychogene Modifikationen der organisch bedingten Tic-Symptomatik zu berücksichtigen. Eine posttraumatische Belastungsstörung liege nicht vor. Denn das entscheidende Diagnose-Kriterium, dass die Betroffenen einem anhaltenden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt seien, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde, sei vorliegend nicht ausreichend zu begründen. Inwieweit das nach den Angaben der Klägerin erlebte Anderssein ab etwa ihrem 10. Lebensjahr eingeordnet werden könne, sei nicht eindeutig zu entscheiden. Gehe man von einem organisch bedingten Tourette-Syndrom aus, könnte dies gleichfalls auch eine psychopathologische Begleiterscheinung dieses organisch begründbaren Syndroms beziehungsweise ein Mischbild reaktiver und organisch bedingter Ursaschen sein. Der Gesamtkomplex psychischer Funktionsbeeinträchtigungen im Sinne der Kausalität zum geltend gemachten Missbrauch sei von Dr. B. etwas global als psychoreaktive Störung benannt worden und umfasse offensichtlich auch die von ihr psychoanalytisch interpretierten psychischen Tic-Störungen. Die primär organisch verursachte Tourette-Symptomatik könne aber hinsichtlich ihrer Auswirkungen nicht im Sinne einer schädigungsabhängigen MdE beurteilt werden. Die teilweise auftretende psychogene Modifikation sei in die schädigungsabhängige MdE mit einzubeziehen, wobei eine MdE um 40 v. H. allerdings nicht überschritten werde. Andererseits spielten auch schädigungsunabhängige aktuelle psychosoziale Belastungskonstellationen eine Rolle. Die geltend gemachten Veränderungen an der Halswirbelsäule seien geringfügig und wären am ehesten der organischen Tic-Symptomatik zuzuordnen.
Die Klägerin legte den Bericht des Dipl.-Psych. B. von der Universität B. vom 14.11.2005 (Diagnosen: posttraumatische Belastungsstörung, Sozialphobie, depressive Episode) und die Leitlinien vom August 2005 zum Tourette-Syndrom, wonach auch posttraumatische Tics als sekundäre Erkrankung auftreten könnten, vor. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Sch. und Dr. K.-G. hielten in ihren versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 01.12.2005 und 26.01.2006 an der bisherigen versorgungsärztlichen Beurteilung fest. Das Versorgungsamt zog die Akten der Deutschen Rentenversicherung Bund und die Schwerbehinderten-Akten, insbesondere die darin enthaltenen Befundberichte der PD Dr. M.-V., Medizinische Hochschule H., vom 10.08.2005 (gering- bis mittelgradige Ausprägung der organisch bedingten Tic-Erkrankung, gleichzeitig bestehende verschiedene Verhaltensauffälligkeiten, relevante Alltagsbeeinträchtigung) sowie des PD Dr. T.-v. E. vom 11.08.2005 (Tourette-Syndrom) und das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 23.08.2005 (Diagnosen: schwere depressive Episode bei rezidivierender Störung, organische affektive Störung) bei. Dr. K.-G. führte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 12.04.2006 aus, die in der von der Klägerin vorgelegten Leitlinie zum Tourette-Syndrom erwähnten sehr seltenen traumatisch bedingten Tics seien Tics nach organischer Verletzung des Zentralnervensystems oder peripherer Nerven. Beim Tourette-Syndrom handle es sich aber G.de nicht um sekundäre Tics.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2006 wies das Landesversorgungsamt Sachsen den Widerspruch zurück. Das Tourette-Syndrom könne mit dem schädigenden Ereignis nicht in Zusammenhang gebracht werden. Eine MdE um 50 v. H. werde nicht erreicht, da das geltend gemachte Tourette-Syndrom nicht auf das schädigende Ereignis zurückzuführen sei.
Hiergegen erhob die Klägerin am 23.05.2006 Klage beim Sozialgericht Ch., verwiesen durch Beschluss vom 04.07.2006 an das örtlich zuständige Sozialgericht Freiburg. Sie trug vor, es sei absolut unwahrscheinlich, dass das Tourette-Syndrom nicht posttraumatischer Art, sondern erblich bedingt sei. In Anbetracht der ausgeprägten psychoreaktiven Störungen und posttraumatischen Belastungsstörung betrage die MdE mindestens 50 v. H.
Das Sozialgericht Freiburg holte das Gutachten des Prof. Dr. T., Ärztlicher Direktor der Schwarzwaldklinik Neurologie in Bad K., vom 21.03.2007 ein. Der Sachverständige führte aus, die Klägerin habe eine Gilles-de-la-Tourette-Selbsthilfegruppe gegründet und sei auch im Bundesvorstand. Sie beschäftigt sich ca. 3 Stunden täglich am PC und versorge ein 160 m2 großes Haus. Eine Tochter sei noch zu Hause, die übrigen Kinder, auch die Söhne ihres Lebensgefährten, seien oft am Wochenende da. Die berichteten vegetativen Störungen und die Zappeligkeit hätten sich in der Untersuchungssituation nicht beobachten lassen. Es gebe von der Biochemie, der Bildgebung und der Neurophysiologie sowie von genetischen Untersuchungen Hinweise, dass das Tourette-Syndrom vererbt werde. Insofern sei vorliegend das Tourette-Syndrom nicht Folge der sexuellen Misshandlungen. Zu den Gutachten der Dr. B. und des Dr. Sch. sei anzumerken, dass psychische Faktoren, unter anderem Stress, allgemein zu einer Verstärkung von motorischen Symptomen bei Bewegungsstörungen führen könnten. Diese Auslösung dürfe nicht mit einer ursächlichen Erzeugung der Symptome verwechselt werden. Es gebe keine Hinweise in der aktuellen neurologischen Literatur, dass das Tourette-Syndrom durch eine fortdauernde psychische Traumatisierung verursacht werden könne.
Die Klägerin legte diverse veröffentliche Aufsätze über das Tourette-Syndrom sowie die Folgen traumatischer Kindheitserfahrungen für die weitere Hirnentwicklung vor und führte aus, es gebe keine eindeutigen Beweise dafür, dass das Tourette-Syndrom ausschließlich genetischer Herkunft sei und nicht auch kindliche Traumata zur Entstehung oder Auslösung führen könnten. So seien traumatische Erlebnisse geeignet, den Ausbruch von Tourette-Syndromen zu beeinflussen. Außerdem sei das posttraumatische Belastungssyndrom nicht in die MdE-Bewertung einberechnet worden. Hierzu führte Dr. K.-G. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26.04.2007 aus, das Tourette-Syndrom sei nicht schädigungsbedingt. Die schädigungsbedingten psychoreaktiven Störungen bedingten eine MdE um 40 v. H. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte die Klägerin die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie für Tics vor.
Mit Urteil vom 05.06.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Das Tourette-Syndrom sei nicht schädigungsbedingt. Richtig sei zwar, dass eine medizinische Mindermeinung die Auffassung vertrete, auch Umweltfaktoren beeinflussten das Tourette-Syndrom. Die herrschende Meinung innerhalb der Medizin, der Prof. Dr. T., Dr. Sch., PD Dr. T.-v. E. und PD Dr. M.-V. folgten, gehe jedoch davon aus, dass es sich beim Tourette-Syndrom um eine genetisch-organische Erkrankung handle, so dass psychosoziale Entwicklungsbedingungen zumindest keine wesentliche Ursache für den Ausbruch der Krankheitszeichen seien. Im Gegenteil bestünden Zweifel, ob sämtliche vom Beklagten als Folgen des Missbrauchs anerkannten psychoreaktiven Störungen tatsächlich Schädigungsfolgen seien. Denn Prof. Dr. T. habe in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass das Tourette-Syndrom mit Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivität, Zwangsstörungen, Angst und Depression einhergehe. Es sei also so, dass diese genetisch bedingte organisch-neurologische Erkrankung psychisch erscheinende Auffälligkeiten mit sich bringe, an welchen die Klägerin leide und die bislang ohne weitere Diskussion den Folgen des Missbrauchs zugeschrieben worden seien. Ferner sei die MdE mit 40 v. H. nicht zu niedrig bemessen. So seien schwere Störungen, die eine höhere MdE bedingten, vorliegend nicht nachgewiesen und wären auch nicht sicher auf den Missbrauch zurückzuführen. Massive psychosoziale Anpassungsschwierigkeiten seien den aktenkundigen biographischen Daten nicht zu entnehmen. Ein posttraumatisches Belastungssyndrom, welches gegebenenfalls zu einer höheren MdE führen könnte, bestehe bei der Klägerin nicht. So sei der Einschätzung des Dipl.-Psych. B., der bei der Klägerin die anhaltenden Symptome des Wiedererlebens, der Vermeidung trauma-relevanter Reize und der Übererregbarkeit festgestellt und hieraus den Schluss gezogen habe, die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung lägen vor, nicht zu folgen. Denn Übererregbarkeit oder Hektik seien auch Symptome der Tourette-Erkrankung. Flashbacks seien gegenüber den anderen im Verfahren beteiligten Ärzten nicht beschrieben worden. Auch die Bewegungseinschränkungen an der Halswirbelsäule, welche geringfügiger Natur seien, seien Folge der unwillkürlichen Zuckungen im Rahmen des Tourette-Syndroms und könnten daher die MdE nicht erhöhen.
Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 27.07.2009 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat die Klägerin am 26.08.2009 Berufung eingelegt. Es sei so, dass sich gegenwärtig die Wissenschaft nicht darüber einig sei, ob erbliche Ursachen allein für das Tourette-Syndrom in Frage kämen oder ob nicht vielmehr traumatische Erfahrungen ein Tourette-Syndrom auslösen könnten. Zu berücksichtigen sei dabei, dass in ihrer Familie kein Tourette-Syndrom bekannt sei. Ferner sei das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung zu berücksichtigen. Gegenstand der Therapietermine bei Dr. G. sowie bei Dipl.-Psych. W. Flashbacks und Suizidabsichten gewesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 5. Juni 2009 und den Bescheid vom 13. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, Beschädigtenversorgung, insbesondere Heilbehandlung und Grundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 vom Hundert, zu gewähren, hilfsweise ein Gutachten bei PD Dr. F. nach § 109 Sozialgerichtsgesetz einzuholen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Z. vom 19.11.2009 vorgelegt, wonach es sich bei dem Tourette-Syndrom um eine genetisch bedingte organisch-neurologische Erkrankung handle, die sogar mit psychischen Störungen wie Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivität, Zwangsstörungen, Angst und Depression vergesellschaftet sein könne, so dass das Tourette-Syndrom nicht schädigungsbedingt sei.
Der Berichterstatter hat die Klägerin mit Schreiben vom 28.01.2010 unter Fristsetzung darauf hingewiesen, dass kein Anlass bestehe, auf Staatskosten ein weiteres ärztliches Gutachten einzuholen, und auf die Möglichkeit der Einholung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen.
Der Senat hat die Akten der Deutschen Rentenversicherung Bund und die Schwerbehinderten-Akten, insbesondere die Befundberichte der Neurologin und Psychiaterin Dr. K. vom 17.07.1998 (Tic-Symptomatik), das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. H.-K. vom 29.08.2005 (Tourette-Syndrom, chronisches Schmerzsyndrom, anhaltende leichte bis mittelgradige depressive Episode) mit Arztbrief des Dr. Jacob, Leiter der Poliklinik des Universitätsklinikums W., vom 26.04.2005 (Verdacht auf eine Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung vom kombinierten Typ), des PD Dr. T.-v. E. vom 14.09.2005 (Tourette-Syndrom, organisch affektive Störung, bekannter Linksschenkelblock bei normaler linksventrikulärer Funktion) sowie des Universitätsklinikums F. vom 19.05.2005, 07.12.2005, 22.03.2006, 25.08.2006 und 21.09.2006 (Tourette-Syndrom, normogonadotrope Ovarialfunktion, Nikotinabusus) und das Gutachten des Neurologen, Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. K. vom 16.05.2007 (Tourette-Syndrom, anhaltende depressive Störung) beigezogen.
Nach dreimaliger Fristverlängerung hinsichtlich der Stellung eines Antrages nach § 109 SGG hat die Klägerin zunächst Prof. Dr. B. sowie dann PD Dr. F. als Gutachter benannt und darum gebeten, die Einholung des Gutachtens nicht von einem Kostenvorschuss abhängig zu machen. Nach zwischenzeitlichem Ruhen des Verfahrens (Beschluss vom 05.10.2010), um der Klägerin die Gelegenheit zu geben, den Kostenvorschuss aufzubringen, hat die Klägerin das Verfahren wiederangerufen, Prof. Dr. B. als Gutachter benannt und den Kostenvorschuss nach zuvor erfolgter weiterer Fristverlängerung sodann eingezahlt. Nach erfolgter Beauftragung des Prof. Dr. B. hat dieser jedoch mitteilen lassen, dass er keine Gutachten erstelle. Zur Benennung eines anderen Gutachters hat der Senat eine Frist bis zum 15.06.2011 gesetzt. Mit dem am 16.06.2011 beim Senat eingegangenen Schriftsatz vom 10.06.2011 hat die Klägerin sodann PD Dr. F. als Gutachter benannt. Ferner hat sie ausgeführt, PD Dr. F. habe eine generelle Bereitschaft signalisiert, könne aber erst nach Eingang des Begutachtungsauftrages durch das Gericht endgültig entscheiden. Daraufhin hat die Senatsvorsitzende ausgeführt, der Gutachter sei außerhalb der Frist benannt worden und stelle darüber hinaus kein bereites Beweismittel dar, da keinesfalls sicher sei, dass er das Gutachten auch in angemessener Zeit erstatten werde. Daher werde der nach § 109 SGG gestellte Antrag wegen Verspätung abgelehnt. Hierzu hat die Klägerin ausgeführt, es sei für sie nicht absehbar gewesen, dass die Beförderung ihres Schreibens vom 10.06.2011 drei Werktage in Anspruch nehmen und erst am 16.06.2011 bei Gericht eingehen würde. Ferner stelle PD Dr. F. ein bereites Beweismittel dar, da er das gewünschte Gutachten in absehbarer Zeit erstellen könne. Sie hat die E-Mail des PD Dr. F. vom 17.06.2011 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, eine Begutachtung durch ihn sei möglich, wenn das Gericht ihn beauftragen würde. Ferner hat die Klägerin ausgeführt, dass Prof. Dr. B. den Gutachtensauftrag abgelehnt habe, beruhe nicht auf ihrem Verschulden, sondern darauf, dass dieser seine zeitlichen Kapazitäten falsch eingeschätzt habe. Somit sei die spätere Benennung eines bereiten Gutachters nicht auf grobe Nachlässigkeit oder Verschleppungsabsicht zurückzuführen. Den Verlegungsantrag der Klägerin vom 12.07.2011 hat die Senatsvorsitzende unter Hinweis darauf, dass ein Vertreter des Prozessbevollmächtigten entsandt werden könne, abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet.
Der Senat konnte in der Sache entscheiden. Denn der zuletzt gestellte Antrag auf Einholung eines Gutachtens bei PD Dr. F. ist verspätet i. S. des § 109 Abs. 2 SGG, da außerhalb der gesetzten Frist benannt, die ohnehin schon seit Januar 2010 dreimalig verlängert wurde. Insoweit geht es zu Lasten der Klägerin, der seit 13.05.2011 bekannt war, dass Prof. Dr. B. das Gutachten nicht wird erstatten können, dass sie die Frist bis zum Schluss ausgeschöpft hat und ihr Schreiben erst nach Fristablauf beim Gericht einging. Denn G.de vor diesem Verfahrensablauf hätte sie Sorge dafür tragen müssen, dass sie rechtzeitig einen neuen Gutachter benennt (vgl. hierzu auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Komm. zum SGG, 9. Aufl. 2008, § 109 Rz. 11).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung, insbesondere weder auf Heilbehandlung noch auf Grundrente.
Das Begehren der Klägerin richtet sich nach §§ 1, 10a und 10b Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit §§ 1, 10, 30 und 31 Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG).
Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG). Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVG).
Personen, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis zum 15.05.1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind, bedürftig sind und im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 10a Abs. 1 Satz 1 OEG). Versorgung nach Maßgabe des § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erhalten auch Personen, die in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 07.10.1949 bis zum 02.10.1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist (§ 10a Abs. 1 Satz 2 OEG). Mit dem Wirksamwerden des Beitritts trat das Grundgesetz (GG) in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie in dem Teil des Landes Berlin, in dem es bisher nicht galt, in Kraft (Art. 3 des Einingunsvertrages).
Heilbehandlung wird Beschädigten für Gesundheitsstörungen, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind, gewährt, um die Gesundheitsstörungen oder die durch sie bewirkte Beeinträchtigung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit zu beseitigen oder zu bessern, eine Zunahme des Leidens zu verhüten, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, körperliche Beschwerden zu beheben, die Folgen der Schädigung zu erleichtern oder um den Beschädigten entsprechend den in § 4 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) genannten Zielen eine möglichst umfassende Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 BVG). Heilbehandlung wird Schwerbeschädigten auch für Gesundheitsstörungen gewährt, die nicht als Folge einer Schädigung anerkannt sind (§ 10 Abs. 2 BVG).
Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) ab 30 (§ 31 Abs. 1 BVG). Schwerbeschädigung liegt vor, wenn ein GdS von mindestens 50 festgestellt ist (§ 31 Abs. 2 BVG). Der GdS ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG). Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu 5 Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten (§ 30 Abs. 1 Satz 3 BVG).
Der Senat orientiert sich bei der Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind, an der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) 2008 getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV).
Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1).
Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3).
Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2).
Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung hat.
Zum einen liegt bei der Klägerin weder eine posttraumatische Belastungsstörung vor noch ist das Tourette-Syndrom der Klägerin ursächlich auf die schädigenden Ereignisse zurückzuführen. Zum anderen bedingt die auf die schädigenden Ereignisse zurückzuführende psychoreaktive Störung keinen GdS von mindestens 50.
1. Bei der Klägerin liegt eine posttraumatische Belastungsstörung nicht vor.
Zur Beurteilung der Frage, ob bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung oder andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt, berücksichtigt der Senat die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - 10. Revision - (ICD 10) und das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen - Textrevision - (DSM-IV-TR).
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 43.1 beziehungsweise DSM-IV-TR 309.81.
Nach ICD-10 F 43.1 gelten folgende Grundsätze: Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, zum Beispiel zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über.
Nach DSM-IV-TR 309.81 gelten folgende Grundsätze: Das Hauptmerkmal der posttraumatischen Belastungsstörung ist die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumatische Ereignis beinhaltet unter anderem das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat (Kriterium A1). Die Reaktion der Person auf das Ereignis muss intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen umfassen (Kriterium A2). Charakteristische Symptome, die aus der Konfrontation mit der extrem traumatischen Situation resultieren, sind das anhaltende Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von wiederholten und aufdringlichen Erinnerungen an das Ereignis (Kriterium B1), von wiederkehrenden, quälenden Träumen, in denen das Erlebnis nachgespielt wird oder in anderer Form auftritt (Kriterium B2), von Erleben von oft als "flashbacks" bezeichneten dissoziativen Zuständen, während derer einzelne Bestandteile des Ereignisses wieder erlebt werden (Kriterium B3) oder, wenn die Person mit Ereignissen konfrontiert wird, die sie an Aspekte des traumatischen Ereignisses erinnern oder die diese symbolisieren, in Form von intensiver psychischer Belastung (Kriterium B4) oder physiologischer Reaktionen (Kriterium B5). Charakteristische Symptome sind auch die andauernde Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma assoziiert sind, und eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität in der Form, dass die Person im Allgemeinen versucht, Gedanken, Gefühle oder Gespräche über das traumatische Ereignis (Kriterium C1) und Aktivitäten, Situationen oder Personen, die die Erinnerung an das Ereignis wachrufen (Kriterium C2) absichtlich zu vermeiden, wobei die Vermeidung des Erinnerns die Unfähigkeit mit einschließen kann, sich an einen wichtigen Aspekt des traumatischen Ereignisses zu erinnern (Kriterium C3), oder in Form von verminderter Reaktionsbereitschaft auf die Umwelt, welche üblicherweise sehr bald nach dem traumatischen Erlebnis eintritt (Kriterium C4), eines Gefühls der Isolierung und Entfremdung von Anderen (Kriterium C5) oder einer deutlich reduzierten Fähigkeit, Gefühle zu empfinden (Kriterium C6) oder in der Form, dass betroffene Personen das Gefühl einer eingeschränkten Zukunft haben (Kriterium C7). Charakteristische Symptome sind auch anhaltende Symptome erhöhten Arousals in Form von Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten, die durch wiederholte Albträume, in denen das traumatische Erlebnis wieder erlebt wird, hervorgerufen werden können (Kriterium D1), Hypervigilanz (Kriterium D4) und übertriebener Schreckreaktion (Kriterium D5), wobei manche Personen über Reizbarkeit oder Wutausbrüche (Kriterium D2) oder Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder Aufgaben zu vollenden (Kriterium D3), berichten. Das vollständige Symptombild muss länger als einen Monat anhalten (Kriterium E) und die Störung muss in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen (Kriterium F). Traumatische Erfahrungen, die direkt erlebt wurden, umfassen insbesondere kriegerische Auseinandersetzungen, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Folterung, Kriegsgefangenschaft, Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, schwere Autounfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit. Hinsichtlich Beginn und Dauer der Symptome wird unterschieden zwischen der akuten posttraumatischen Belastungsstörung (wenn die Dauer der Symptome weniger als drei Monate beträgt), der chronischen posttraumatischen Belastungsstörung (wenn die Symptome drei Monate oder länger anDauern) und der posttraumatischen Belastungsstörung mit verzögertem Beginn (wenn mindestens sechs Monate zwischen dem traumatischen Ereignis und dem Beginn der Symptome vergangen sind). Die Symptome, wie beispielsweise verminderte affektive Schwingungsfähigkeit, dissoziative Symptome, somatische Beschwerden, Gefühle der Insuffizienz in Form von Hoffnungslosigkeit, sozialer Rückzug, ständiges Gefühl des Bedrohtseins oder beeinträchtigte Beziehung zu anderen oder Veränderung der Persönlichkeit im Vergleich zu früher beginnen normalerweise innerhalb der ersten drei Monate nach dem Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome aber auch um Monate oder sogar Jahre verzögern kann. Die Schwere, Dauer und Nähe der Person bei Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis sind die wichtigsten Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit bestimmen, mit der die Störung sich entwickelt. Es gibt Hinweise, dass soziale Unterstützung, Familienanamnese, Kindheitserfahrungen, Persönlichkeitsvariablen und vorbestehende psychische Störungen die Ausbildung einer posttraumatischen Belastungsstörung beeinflussen können. Die Störung kann sich auch bei Personen entwickeln, bei denen zuvor keine besondere Auffälligkeit vorhanden war, besonders dann, wenn es sich um eine besonders extreme Belastung handelt.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sowie der aktenkundigen medizinischen Unterlagen ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt. Bei den schädigenden Ereignissen handelte es sich zwar um Bedrohungen der körperlichen Unversehrtheit der Klägerin, so dass das Kriterium A1 erfüllt ist. Auch kann unterstellt werden, dass die Klägerin auf diese Erlebnisse mit intensiver Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen reagiert hat und damit auch das Kriterium A2 gegeben ist. Gegen das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung spricht aber nach Überzeugung des Senats der Umstand, dass sich im Rahmen der anlässlich der Begutachtungen durch Dr. B. und Prof. Dr. T. erfolgten Exploration jedenfalls die oben dargestellten B- und C-Kriterien nicht vollständig haben feststellen lassen. Die Klägerin hat nicht über anhaltendes Wiedererleben, Alpträume, "flashbacks", dissoziative Zustände oder intensive traumabedingte psychische Belastungen berichtet. Sie hat zwar gegenüber Prof. Dr. T. ausgeführt, sie habe Angstträume, in denen sie in ihrer Wohnung von fremden Männern verfolgt werde, und erinnere sich beim Sexualverkehr an ihren Vater. Dies genügt aber nicht, um vom Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgehen zu können. Dies hat auch Dr. Sch. in seinem Gutachten zutreffend dargelegt.
2. Es spricht auch nicht mehr dafür als dagegen und es ist mithin nicht hinreichend wahrscheinlich, dass das bei der Klägerin diagnostizierte Tourette-Syndrom ursächlich auf die von ihr erlittenen schädigenden Ereignisse zurückzuführen ist.
Das hat bereits das Sozialgericht ausführlich begründet dargelegt, weswegen der Senat insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs. 2 SGG absieht. Der Senat stützt sich insofern ebenfalls auf das Gutachten des Prof. Dr. T. Der Sachverständige hat für den Senat überzeugend ausgeführt, dass es sich bei dem Tourette-Syndrom um eine Erbkrankheit handelt, keine Hinweise in der aktuellen neurologischen Literatur vorliegen, dass das Tourette-Syndrom durch eine fortdauernde psychische Traumatisierung verursacht werden kann, und das Tourette-Syndrom daher nicht Folge sexueller Misshandlungen sein kann. Zwar wird vereinzelt vertreten, dass psychische Faktoren allgemein zu einer Verstärkung der motorischen Symptome des Tourette-Sndroms führen können. Eine solche Möglichkeit hat sich vorliegend aber angesichts der in sich schlüssigen Ausführungen des Prof. Dr. T. nicht zu einer Wahrscheinlichkeit verdichtet. Dasselbe ergibt sich aus dem Gutachten des Dr. Sch. Auch er geht im Hinblick auf das Tourette-Syndrom von einem autosomal-dominanten Erbgang aus und hat folgerichtig eine entscheidende Verursachung des Tourette-Syndroms durch psychische Faktoren verneint. Demgegenüber war der gutachtlichen Einschätzung der Dr. B., das Tourette-Syndrom der Klägerin sei psychogen verursacht, nicht zu folgen. Da mithin das Tourette-Syndrom nicht schädigungsbedingt ist, kann auch das nach den Angaben der Klägerin erlebte Anderssein ab etwa ihrem 10. Lebensjahr nicht als Schädigungsfolge eingeordnet werden, da dies gleichfalls auch eine psychopathologische Begleiterscheinung des Tourette-Syndroms sein kann.
3. Die durch die schädigenden Ereignisse wesentlich verursachte psychoreaktive Störung der Klägerin bedingt keinen GdS von mindestens 50.
Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 beträgt bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen bei leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdS 0 bis 20, stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (beispielsweise ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdS 30 bis 40 und schweren Störungen (beispielsweise schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdS 50 bis 70 sowie mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdS 80 bis 100.
Nach dem Gutachten des Prof. Dr. T. leidet die Klägerin neben den Auswirkungen des nicht schädigungsbedingten Tourette-Syndroms an mit Angstträumen verbundenen Schlafstörungen, Erinnerungen an ihren Vater, insbesondere während des Sexualverkehrs, die sie in ihre Kindheit zurückverfallen lassen, und damit verbundenem Weinen, einer häufigen Zappeligkeit und Unkonzentriertheit, einer Niedergeschlagenheit beim Alleinsein, Ängsten bei Dunkelheit, Morgentiefs und ängstlich-depressiven Verstimmungen. Die in einer Lebenspartnerschaft in einem 160 Quadratmeter großen Haus lebende Klägerin, die im Rahmen früherer Ehen drei Töchter großgezogen hat, ist aber in der Lage, ihren kompletten Haushalt alleine zu führen und sogar Aufgaben im Bundesvorstand einer sich auf das Tourette-Syndrom beziehenden Gesellschaft wahrzunehmen. Aus all dem und insbesondere auch daraus, dass bei ihr eine schädigungsbedingte Zwangserkrankung nicht vorliegt, ergibt sich, dass die Klägerin jedenfalls nicht an einen GdS von 50 bedingenden schweren Störungen mit sozialen Anpassungsschwierigkeiten leidet.
Da mithin zum einen bei der Klägerin weder eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt noch das Tourette-Syndrom der Klägerin ursächlich auf die schädigenden Ereignisse zurückzuführen ist und zum anderen die auf die schädigenden Ereignisse zurückzuführende psychoreaktive Störung keinen GdS von mindestens 50 bedingt, war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin Beschädigtenversorgung wegen eines tätlichen Angriffs zusteht.
Die 1959 geborene Klägerin, bei der ein Grad der Behinderung von 40 seit 2004 anerkannt ist (Bescheid des Landratsamtes E. vom 30.06.2004) und die seit 01.01.2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht (Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 17.11.2005), zeigte am 22.12.2003 ihren Vater wegen sich in ihrem damaligen Wohnort A. im Bundesland Sachsen zugetragener sexueller Übergriffe in der Zeit von 1965 bis 1977 bei der Polizeidirektion E. an. Sie schilderte die Vorgänge in ihrem Schreiben vom 23.12.2003 und in ihrer Zeugen-Vernehmung vom 30.12.2003. Sie berichtete dabei über das Befummeln ihres nackten Körpers, insbesondere ihrer Genitalien, sowie über Oralverkehr. Ob es auch zum Geschlechtsverkehr gekommen sei, könne sie nicht mehr sagen. Durch den Missbrauch habe sie Tics im Mund- und Schulterbereich entwickelt. Ferner leide sie an Ängsten und schmerzhaften Erinnerungen. Am 09.03.2004 unternahm der Beschuldigte einen erfolglosen Selbstmordversuch und gab in einem Brief vom selben Tage zu, Körper und Geschlechtsteil der Klägerin mehrmals gestreichelt zu haben (Bl. 37 ff.). Mit Verfügung vom 29.04.2004 stellte die Staatsanwaltschaft G. das gegen den Beschuldigten eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Verfolgungsverjährung ein. Bereits am 23.01.2004 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf massive Tics im Mund- und Schulterbereich, Depressionen und eine posttraumatische Belastungsstörung Beschädigtenversorgung. Das Versorgungsamt Ch. holte bei der KKH R. das Vorerkrankungsverzeichnis der Klägerin ein. Die Klägerin legte ihre Ausweise für Arbeit und Sozialversicherung, in denen Angaben zu diversen in der DDR durchgeführten Krankenbehandlungsmaßnahmen enthalten sind, den ärztlichen Entlassungsbericht der Baar-Klinik D. vom 18.08.2003 (stationäre Maßnahme vom 30.06.2003 bis zum 01.08.2003; Diagnosen: Dysthymia, Nikotinabusus; die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung seien nicht erfüllt; Klägerin sei in Vollzeit als Industriekauffrau beschäftigt und voll leistungsfähig auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt) mit Stellungnahme zu ihren Einwendungen und die Bescheinigung der Dipl.-Psych. W. vom 15.12.2003 (durch Stress mitbedingte und die Situation am Arbeitsplatz verstärkte Störung) vor. Das Versorgungsamt holte den Befundbericht des Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. G. vom 20.08.2004 (Diagnosen: posttraumatische Belastungsstörung, durch eine Tic-Störung ausgelöste oder verstärkte rezidivierende depressive Störung) ein, zog die Krankenakte der Kreispoliklinik A. sowie weitere Krankenunterlagen bei und holte den Befundbericht der Dipl.-Psych. W. vom 29.08.2004 (Behandlung seit 26.02.2002; Diagnosen: rezidivierende depressive Episoden, emotional instabile Persönlichkeit aufgrund von Missbrauchserfahrungen, nervöse Tics; Behandlung eines posttraumatischen Belastungssyndroms) ein.
Sodann holte das Versorgungsamt das Gutachten der Neurologin, Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. B. vom 30.11.2004 ein. Die Gutachterin führte aus, der Klägerin sei trotz ihrer schwierigen Ausgangsbedingungen und der Beeinträchtigung der kindlichen Entwicklung eine partiell gute Lebensbewältigung gelungen. Sie habe sich beruflich integrieren können und sei auch in der Lage gewesen, eine Partnerschaft einzugehen, bei der sie ihrem Partner auch beruflich zur Hand gehe und alle anfallenden Schreibarbeiten erledige. Sie erscheine eher übermäßig aktiv und sei auch in einem gestörten familiären Milieu aufgewachsen. Im partnerschaftlichen Bereich zeige sich ein Verhaltensmuster, wonach die Klägerin offensichtlich nicht in der Lage sei, alleine zu sein, sondern sich nach Scheitern einer Partnerschaft umgehend wieder an einen neuen Partner binde. Diagnostisch liege bei der Klägerin ein komplexes psychiatrisches Störungsbild mit Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentwicklung, rezidivierender depressiver Störung und Tic-Störung vor. Die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung seien nicht erfüllt, auch wenn einzelne Symptome wie Intrusionen, erhöhtes Erregungsniveau und Erinnerungslücken vorlägen. Der sexuelle Missbrauch sei aufgrund des hohen Schweregrades und der langjährigen Entwicklung als annähernd gleichwertig gegenüber den anderen schädigenden Faktoren wie dem gestörten familiären Milieu mit ständigen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern, dem jähzornigen Verhalten des Vaters und der gestörten Beziehung zur Mutter anzusehen. Es sei davon auszugehen, dass die aktuelle Symptomatik sämtlich Folge der Traumatisierung im Kindes- und Jugendalter sei. Die weiteren belastenden Faktoren im Erwachsenenalter wie die schwierigen Partnerbeziehungen hätten keinen dauerhaften Einfluss auf die Entwicklung des Krankheitsbildes im Sinne einer richtunggebenden Verschlimmerung gehabt. Die Ausgestaltung der Tic-Störung und ihr Beginn im Kindesalter ließen mit Wahrscheinlichkeit einen ursächlichen Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch annehmen. Die Gutachterin empfahl, als Schädigungsfolge eine psychoreaktive Störung anzuerkennen. Die Diagnosekriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung seien hingegen nicht erfüllt, auch wenn Intrusionen, erhöhtes Erregungsniveau und Erinnerungslücken vorlägen. Nach Ausprägungsgrad der Symptomatik und deren psychosozialen Auswirkungen handle es sich um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im oberen Bereich, die mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vom Hundert (v. H.) zu bewerten sei. Eine schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Auswirkungen liege angesichts des noch guten sozialen Funktionsniveaus nicht vor. Eine psychotherapeutische Behandlung sei dringend erforderlich. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Sch. schloss sich in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05.01.2005 dieser gutachtlichen Einschätzung an
Mit Bescheid vom 13.01.2005 lehnte das Versorgungsamt die Gewährung von Beschädigtenversorgung ab. Für Taten, die in der DDR vor dem 03.10.1990 begangen worden seien, sei Voraussetzung für die Gewährung von Beschädigtenversorgung, dass der Geschädigte allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sei, bedürftig sei und seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe. Nach Auswertung des Gutachtens sei festzustellen, dass die Schädigungsfolge psychoreaktive Störung nur eine MdE um 40 v. H. und mithin keine Schwerbeschädigung bedinge.
Hiergegen erhob die Klägerin am 19.01.2005 Widerspruch. Sie führte zur Begründung aus, bei ihr lägen mit den massiven Tics im Mund- und Schulterbereich, den Depressionen, den Einschlafstörungen, der Schreckhaftigkeit, der verminderten körperlichen Leistungsfähigkeit, der zeitweisen Gefühllosigkeit sowie den Muskelverspannungen und -schmerzen Schädigungen in vielfältiger Form vor. Das Versorgungsamt holte den Befundbericht des Neurochirurgen Dr. Sch. vom 30.03.2005 (Halswirbelsäulenbeschwerden bei degenerativen Veränderungen) mit Arztbrief vom 17.03.2005 ein. Die Klägerin legte den Arztbrief der Dr. W.-G., Oberärztin an der Medizinischen Hochschule Hannover, vom 20.04.2005 (Diagnose: Tourette-Syndrom als organisch bedingte Erkrankung erblicher Ursache) vor. Das Versorgungsamt holte den Befundbericht des PD Dr. T.-v. E., Oberarzt am Universitätsklinikum F., vom 14.06.2005 (Diagnosen: Tourette-Syndrom, rezidivierende depressive Phasen) ein.
Ferner veranlasste das Versorgungsamt ein weiteres nervenärztliches Gutachten nach Aktenlage. Der Neurologe und (Kinder- und Jugend-)Psychiater Dr. Sch. führte am 10.11.2005 aus, bei dem Tourette-Syndrom sei vermutlich von einem autosomal-dominanten Erbgang auszugehen. Dass psychische Faktoren die Ausgestaltung auch dieser organisch begründeten Symptomatik beeinflussen könnten, sei bekannt. Eine entscheidende Verursachung des Tourette-Syndroms durch psychische Faktoren sei jedoch nicht belegt und werde auch nicht diskutiert. Nicht zu verwechseln damit seien die rein psychogen bedingten Tics, die allerdings nicht die für ein Tourette-Syndrom relevante Symptomkonstellation aufwiesen. Die psychoanalytische Interpretation durch Dr. B. beziehe sich auf eine rein psychogene Verursachung. Andererseits seien vorliegend psychogene Modifikationen der organisch bedingten Tic-Symptomatik zu berücksichtigen. Eine posttraumatische Belastungsstörung liege nicht vor. Denn das entscheidende Diagnose-Kriterium, dass die Betroffenen einem anhaltenden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt seien, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde, sei vorliegend nicht ausreichend zu begründen. Inwieweit das nach den Angaben der Klägerin erlebte Anderssein ab etwa ihrem 10. Lebensjahr eingeordnet werden könne, sei nicht eindeutig zu entscheiden. Gehe man von einem organisch bedingten Tourette-Syndrom aus, könnte dies gleichfalls auch eine psychopathologische Begleiterscheinung dieses organisch begründbaren Syndroms beziehungsweise ein Mischbild reaktiver und organisch bedingter Ursaschen sein. Der Gesamtkomplex psychischer Funktionsbeeinträchtigungen im Sinne der Kausalität zum geltend gemachten Missbrauch sei von Dr. B. etwas global als psychoreaktive Störung benannt worden und umfasse offensichtlich auch die von ihr psychoanalytisch interpretierten psychischen Tic-Störungen. Die primär organisch verursachte Tourette-Symptomatik könne aber hinsichtlich ihrer Auswirkungen nicht im Sinne einer schädigungsabhängigen MdE beurteilt werden. Die teilweise auftretende psychogene Modifikation sei in die schädigungsabhängige MdE mit einzubeziehen, wobei eine MdE um 40 v. H. allerdings nicht überschritten werde. Andererseits spielten auch schädigungsunabhängige aktuelle psychosoziale Belastungskonstellationen eine Rolle. Die geltend gemachten Veränderungen an der Halswirbelsäule seien geringfügig und wären am ehesten der organischen Tic-Symptomatik zuzuordnen.
Die Klägerin legte den Bericht des Dipl.-Psych. B. von der Universität B. vom 14.11.2005 (Diagnosen: posttraumatische Belastungsstörung, Sozialphobie, depressive Episode) und die Leitlinien vom August 2005 zum Tourette-Syndrom, wonach auch posttraumatische Tics als sekundäre Erkrankung auftreten könnten, vor. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Sch. und Dr. K.-G. hielten in ihren versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 01.12.2005 und 26.01.2006 an der bisherigen versorgungsärztlichen Beurteilung fest. Das Versorgungsamt zog die Akten der Deutschen Rentenversicherung Bund und die Schwerbehinderten-Akten, insbesondere die darin enthaltenen Befundberichte der PD Dr. M.-V., Medizinische Hochschule H., vom 10.08.2005 (gering- bis mittelgradige Ausprägung der organisch bedingten Tic-Erkrankung, gleichzeitig bestehende verschiedene Verhaltensauffälligkeiten, relevante Alltagsbeeinträchtigung) sowie des PD Dr. T.-v. E. vom 11.08.2005 (Tourette-Syndrom) und das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 23.08.2005 (Diagnosen: schwere depressive Episode bei rezidivierender Störung, organische affektive Störung) bei. Dr. K.-G. führte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 12.04.2006 aus, die in der von der Klägerin vorgelegten Leitlinie zum Tourette-Syndrom erwähnten sehr seltenen traumatisch bedingten Tics seien Tics nach organischer Verletzung des Zentralnervensystems oder peripherer Nerven. Beim Tourette-Syndrom handle es sich aber G.de nicht um sekundäre Tics.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2006 wies das Landesversorgungsamt Sachsen den Widerspruch zurück. Das Tourette-Syndrom könne mit dem schädigenden Ereignis nicht in Zusammenhang gebracht werden. Eine MdE um 50 v. H. werde nicht erreicht, da das geltend gemachte Tourette-Syndrom nicht auf das schädigende Ereignis zurückzuführen sei.
Hiergegen erhob die Klägerin am 23.05.2006 Klage beim Sozialgericht Ch., verwiesen durch Beschluss vom 04.07.2006 an das örtlich zuständige Sozialgericht Freiburg. Sie trug vor, es sei absolut unwahrscheinlich, dass das Tourette-Syndrom nicht posttraumatischer Art, sondern erblich bedingt sei. In Anbetracht der ausgeprägten psychoreaktiven Störungen und posttraumatischen Belastungsstörung betrage die MdE mindestens 50 v. H.
Das Sozialgericht Freiburg holte das Gutachten des Prof. Dr. T., Ärztlicher Direktor der Schwarzwaldklinik Neurologie in Bad K., vom 21.03.2007 ein. Der Sachverständige führte aus, die Klägerin habe eine Gilles-de-la-Tourette-Selbsthilfegruppe gegründet und sei auch im Bundesvorstand. Sie beschäftigt sich ca. 3 Stunden täglich am PC und versorge ein 160 m2 großes Haus. Eine Tochter sei noch zu Hause, die übrigen Kinder, auch die Söhne ihres Lebensgefährten, seien oft am Wochenende da. Die berichteten vegetativen Störungen und die Zappeligkeit hätten sich in der Untersuchungssituation nicht beobachten lassen. Es gebe von der Biochemie, der Bildgebung und der Neurophysiologie sowie von genetischen Untersuchungen Hinweise, dass das Tourette-Syndrom vererbt werde. Insofern sei vorliegend das Tourette-Syndrom nicht Folge der sexuellen Misshandlungen. Zu den Gutachten der Dr. B. und des Dr. Sch. sei anzumerken, dass psychische Faktoren, unter anderem Stress, allgemein zu einer Verstärkung von motorischen Symptomen bei Bewegungsstörungen führen könnten. Diese Auslösung dürfe nicht mit einer ursächlichen Erzeugung der Symptome verwechselt werden. Es gebe keine Hinweise in der aktuellen neurologischen Literatur, dass das Tourette-Syndrom durch eine fortdauernde psychische Traumatisierung verursacht werden könne.
Die Klägerin legte diverse veröffentliche Aufsätze über das Tourette-Syndrom sowie die Folgen traumatischer Kindheitserfahrungen für die weitere Hirnentwicklung vor und führte aus, es gebe keine eindeutigen Beweise dafür, dass das Tourette-Syndrom ausschließlich genetischer Herkunft sei und nicht auch kindliche Traumata zur Entstehung oder Auslösung führen könnten. So seien traumatische Erlebnisse geeignet, den Ausbruch von Tourette-Syndromen zu beeinflussen. Außerdem sei das posttraumatische Belastungssyndrom nicht in die MdE-Bewertung einberechnet worden. Hierzu führte Dr. K.-G. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26.04.2007 aus, das Tourette-Syndrom sei nicht schädigungsbedingt. Die schädigungsbedingten psychoreaktiven Störungen bedingten eine MdE um 40 v. H. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte die Klägerin die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie für Tics vor.
Mit Urteil vom 05.06.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Das Tourette-Syndrom sei nicht schädigungsbedingt. Richtig sei zwar, dass eine medizinische Mindermeinung die Auffassung vertrete, auch Umweltfaktoren beeinflussten das Tourette-Syndrom. Die herrschende Meinung innerhalb der Medizin, der Prof. Dr. T., Dr. Sch., PD Dr. T.-v. E. und PD Dr. M.-V. folgten, gehe jedoch davon aus, dass es sich beim Tourette-Syndrom um eine genetisch-organische Erkrankung handle, so dass psychosoziale Entwicklungsbedingungen zumindest keine wesentliche Ursache für den Ausbruch der Krankheitszeichen seien. Im Gegenteil bestünden Zweifel, ob sämtliche vom Beklagten als Folgen des Missbrauchs anerkannten psychoreaktiven Störungen tatsächlich Schädigungsfolgen seien. Denn Prof. Dr. T. habe in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass das Tourette-Syndrom mit Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivität, Zwangsstörungen, Angst und Depression einhergehe. Es sei also so, dass diese genetisch bedingte organisch-neurologische Erkrankung psychisch erscheinende Auffälligkeiten mit sich bringe, an welchen die Klägerin leide und die bislang ohne weitere Diskussion den Folgen des Missbrauchs zugeschrieben worden seien. Ferner sei die MdE mit 40 v. H. nicht zu niedrig bemessen. So seien schwere Störungen, die eine höhere MdE bedingten, vorliegend nicht nachgewiesen und wären auch nicht sicher auf den Missbrauch zurückzuführen. Massive psychosoziale Anpassungsschwierigkeiten seien den aktenkundigen biographischen Daten nicht zu entnehmen. Ein posttraumatisches Belastungssyndrom, welches gegebenenfalls zu einer höheren MdE führen könnte, bestehe bei der Klägerin nicht. So sei der Einschätzung des Dipl.-Psych. B., der bei der Klägerin die anhaltenden Symptome des Wiedererlebens, der Vermeidung trauma-relevanter Reize und der Übererregbarkeit festgestellt und hieraus den Schluss gezogen habe, die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung lägen vor, nicht zu folgen. Denn Übererregbarkeit oder Hektik seien auch Symptome der Tourette-Erkrankung. Flashbacks seien gegenüber den anderen im Verfahren beteiligten Ärzten nicht beschrieben worden. Auch die Bewegungseinschränkungen an der Halswirbelsäule, welche geringfügiger Natur seien, seien Folge der unwillkürlichen Zuckungen im Rahmen des Tourette-Syndroms und könnten daher die MdE nicht erhöhen.
Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 27.07.2009 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat die Klägerin am 26.08.2009 Berufung eingelegt. Es sei so, dass sich gegenwärtig die Wissenschaft nicht darüber einig sei, ob erbliche Ursachen allein für das Tourette-Syndrom in Frage kämen oder ob nicht vielmehr traumatische Erfahrungen ein Tourette-Syndrom auslösen könnten. Zu berücksichtigen sei dabei, dass in ihrer Familie kein Tourette-Syndrom bekannt sei. Ferner sei das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung zu berücksichtigen. Gegenstand der Therapietermine bei Dr. G. sowie bei Dipl.-Psych. W. Flashbacks und Suizidabsichten gewesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 5. Juni 2009 und den Bescheid vom 13. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, Beschädigtenversorgung, insbesondere Heilbehandlung und Grundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 vom Hundert, zu gewähren, hilfsweise ein Gutachten bei PD Dr. F. nach § 109 Sozialgerichtsgesetz einzuholen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Z. vom 19.11.2009 vorgelegt, wonach es sich bei dem Tourette-Syndrom um eine genetisch bedingte organisch-neurologische Erkrankung handle, die sogar mit psychischen Störungen wie Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivität, Zwangsstörungen, Angst und Depression vergesellschaftet sein könne, so dass das Tourette-Syndrom nicht schädigungsbedingt sei.
Der Berichterstatter hat die Klägerin mit Schreiben vom 28.01.2010 unter Fristsetzung darauf hingewiesen, dass kein Anlass bestehe, auf Staatskosten ein weiteres ärztliches Gutachten einzuholen, und auf die Möglichkeit der Einholung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen.
Der Senat hat die Akten der Deutschen Rentenversicherung Bund und die Schwerbehinderten-Akten, insbesondere die Befundberichte der Neurologin und Psychiaterin Dr. K. vom 17.07.1998 (Tic-Symptomatik), das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. H.-K. vom 29.08.2005 (Tourette-Syndrom, chronisches Schmerzsyndrom, anhaltende leichte bis mittelgradige depressive Episode) mit Arztbrief des Dr. Jacob, Leiter der Poliklinik des Universitätsklinikums W., vom 26.04.2005 (Verdacht auf eine Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung vom kombinierten Typ), des PD Dr. T.-v. E. vom 14.09.2005 (Tourette-Syndrom, organisch affektive Störung, bekannter Linksschenkelblock bei normaler linksventrikulärer Funktion) sowie des Universitätsklinikums F. vom 19.05.2005, 07.12.2005, 22.03.2006, 25.08.2006 und 21.09.2006 (Tourette-Syndrom, normogonadotrope Ovarialfunktion, Nikotinabusus) und das Gutachten des Neurologen, Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. K. vom 16.05.2007 (Tourette-Syndrom, anhaltende depressive Störung) beigezogen.
Nach dreimaliger Fristverlängerung hinsichtlich der Stellung eines Antrages nach § 109 SGG hat die Klägerin zunächst Prof. Dr. B. sowie dann PD Dr. F. als Gutachter benannt und darum gebeten, die Einholung des Gutachtens nicht von einem Kostenvorschuss abhängig zu machen. Nach zwischenzeitlichem Ruhen des Verfahrens (Beschluss vom 05.10.2010), um der Klägerin die Gelegenheit zu geben, den Kostenvorschuss aufzubringen, hat die Klägerin das Verfahren wiederangerufen, Prof. Dr. B. als Gutachter benannt und den Kostenvorschuss nach zuvor erfolgter weiterer Fristverlängerung sodann eingezahlt. Nach erfolgter Beauftragung des Prof. Dr. B. hat dieser jedoch mitteilen lassen, dass er keine Gutachten erstelle. Zur Benennung eines anderen Gutachters hat der Senat eine Frist bis zum 15.06.2011 gesetzt. Mit dem am 16.06.2011 beim Senat eingegangenen Schriftsatz vom 10.06.2011 hat die Klägerin sodann PD Dr. F. als Gutachter benannt. Ferner hat sie ausgeführt, PD Dr. F. habe eine generelle Bereitschaft signalisiert, könne aber erst nach Eingang des Begutachtungsauftrages durch das Gericht endgültig entscheiden. Daraufhin hat die Senatsvorsitzende ausgeführt, der Gutachter sei außerhalb der Frist benannt worden und stelle darüber hinaus kein bereites Beweismittel dar, da keinesfalls sicher sei, dass er das Gutachten auch in angemessener Zeit erstatten werde. Daher werde der nach § 109 SGG gestellte Antrag wegen Verspätung abgelehnt. Hierzu hat die Klägerin ausgeführt, es sei für sie nicht absehbar gewesen, dass die Beförderung ihres Schreibens vom 10.06.2011 drei Werktage in Anspruch nehmen und erst am 16.06.2011 bei Gericht eingehen würde. Ferner stelle PD Dr. F. ein bereites Beweismittel dar, da er das gewünschte Gutachten in absehbarer Zeit erstellen könne. Sie hat die E-Mail des PD Dr. F. vom 17.06.2011 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, eine Begutachtung durch ihn sei möglich, wenn das Gericht ihn beauftragen würde. Ferner hat die Klägerin ausgeführt, dass Prof. Dr. B. den Gutachtensauftrag abgelehnt habe, beruhe nicht auf ihrem Verschulden, sondern darauf, dass dieser seine zeitlichen Kapazitäten falsch eingeschätzt habe. Somit sei die spätere Benennung eines bereiten Gutachters nicht auf grobe Nachlässigkeit oder Verschleppungsabsicht zurückzuführen. Den Verlegungsantrag der Klägerin vom 12.07.2011 hat die Senatsvorsitzende unter Hinweis darauf, dass ein Vertreter des Prozessbevollmächtigten entsandt werden könne, abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet.
Der Senat konnte in der Sache entscheiden. Denn der zuletzt gestellte Antrag auf Einholung eines Gutachtens bei PD Dr. F. ist verspätet i. S. des § 109 Abs. 2 SGG, da außerhalb der gesetzten Frist benannt, die ohnehin schon seit Januar 2010 dreimalig verlängert wurde. Insoweit geht es zu Lasten der Klägerin, der seit 13.05.2011 bekannt war, dass Prof. Dr. B. das Gutachten nicht wird erstatten können, dass sie die Frist bis zum Schluss ausgeschöpft hat und ihr Schreiben erst nach Fristablauf beim Gericht einging. Denn G.de vor diesem Verfahrensablauf hätte sie Sorge dafür tragen müssen, dass sie rechtzeitig einen neuen Gutachter benennt (vgl. hierzu auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Komm. zum SGG, 9. Aufl. 2008, § 109 Rz. 11).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung, insbesondere weder auf Heilbehandlung noch auf Grundrente.
Das Begehren der Klägerin richtet sich nach §§ 1, 10a und 10b Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit §§ 1, 10, 30 und 31 Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG).
Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG). Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVG).
Personen, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis zum 15.05.1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind, bedürftig sind und im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 10a Abs. 1 Satz 1 OEG). Versorgung nach Maßgabe des § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erhalten auch Personen, die in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 07.10.1949 bis zum 02.10.1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist (§ 10a Abs. 1 Satz 2 OEG). Mit dem Wirksamwerden des Beitritts trat das Grundgesetz (GG) in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie in dem Teil des Landes Berlin, in dem es bisher nicht galt, in Kraft (Art. 3 des Einingunsvertrages).
Heilbehandlung wird Beschädigten für Gesundheitsstörungen, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind, gewährt, um die Gesundheitsstörungen oder die durch sie bewirkte Beeinträchtigung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit zu beseitigen oder zu bessern, eine Zunahme des Leidens zu verhüten, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, körperliche Beschwerden zu beheben, die Folgen der Schädigung zu erleichtern oder um den Beschädigten entsprechend den in § 4 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) genannten Zielen eine möglichst umfassende Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 BVG). Heilbehandlung wird Schwerbeschädigten auch für Gesundheitsstörungen gewährt, die nicht als Folge einer Schädigung anerkannt sind (§ 10 Abs. 2 BVG).
Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) ab 30 (§ 31 Abs. 1 BVG). Schwerbeschädigung liegt vor, wenn ein GdS von mindestens 50 festgestellt ist (§ 31 Abs. 2 BVG). Der GdS ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG). Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu 5 Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten (§ 30 Abs. 1 Satz 3 BVG).
Der Senat orientiert sich bei der Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind, an der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) 2008 getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV).
Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1).
Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3).
Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2).
Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung hat.
Zum einen liegt bei der Klägerin weder eine posttraumatische Belastungsstörung vor noch ist das Tourette-Syndrom der Klägerin ursächlich auf die schädigenden Ereignisse zurückzuführen. Zum anderen bedingt die auf die schädigenden Ereignisse zurückzuführende psychoreaktive Störung keinen GdS von mindestens 50.
1. Bei der Klägerin liegt eine posttraumatische Belastungsstörung nicht vor.
Zur Beurteilung der Frage, ob bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung oder andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt, berücksichtigt der Senat die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - 10. Revision - (ICD 10) und das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen - Textrevision - (DSM-IV-TR).
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 43.1 beziehungsweise DSM-IV-TR 309.81.
Nach ICD-10 F 43.1 gelten folgende Grundsätze: Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, zum Beispiel zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über.
Nach DSM-IV-TR 309.81 gelten folgende Grundsätze: Das Hauptmerkmal der posttraumatischen Belastungsstörung ist die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumatische Ereignis beinhaltet unter anderem das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat (Kriterium A1). Die Reaktion der Person auf das Ereignis muss intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen umfassen (Kriterium A2). Charakteristische Symptome, die aus der Konfrontation mit der extrem traumatischen Situation resultieren, sind das anhaltende Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von wiederholten und aufdringlichen Erinnerungen an das Ereignis (Kriterium B1), von wiederkehrenden, quälenden Träumen, in denen das Erlebnis nachgespielt wird oder in anderer Form auftritt (Kriterium B2), von Erleben von oft als "flashbacks" bezeichneten dissoziativen Zuständen, während derer einzelne Bestandteile des Ereignisses wieder erlebt werden (Kriterium B3) oder, wenn die Person mit Ereignissen konfrontiert wird, die sie an Aspekte des traumatischen Ereignisses erinnern oder die diese symbolisieren, in Form von intensiver psychischer Belastung (Kriterium B4) oder physiologischer Reaktionen (Kriterium B5). Charakteristische Symptome sind auch die andauernde Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma assoziiert sind, und eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität in der Form, dass die Person im Allgemeinen versucht, Gedanken, Gefühle oder Gespräche über das traumatische Ereignis (Kriterium C1) und Aktivitäten, Situationen oder Personen, die die Erinnerung an das Ereignis wachrufen (Kriterium C2) absichtlich zu vermeiden, wobei die Vermeidung des Erinnerns die Unfähigkeit mit einschließen kann, sich an einen wichtigen Aspekt des traumatischen Ereignisses zu erinnern (Kriterium C3), oder in Form von verminderter Reaktionsbereitschaft auf die Umwelt, welche üblicherweise sehr bald nach dem traumatischen Erlebnis eintritt (Kriterium C4), eines Gefühls der Isolierung und Entfremdung von Anderen (Kriterium C5) oder einer deutlich reduzierten Fähigkeit, Gefühle zu empfinden (Kriterium C6) oder in der Form, dass betroffene Personen das Gefühl einer eingeschränkten Zukunft haben (Kriterium C7). Charakteristische Symptome sind auch anhaltende Symptome erhöhten Arousals in Form von Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten, die durch wiederholte Albträume, in denen das traumatische Erlebnis wieder erlebt wird, hervorgerufen werden können (Kriterium D1), Hypervigilanz (Kriterium D4) und übertriebener Schreckreaktion (Kriterium D5), wobei manche Personen über Reizbarkeit oder Wutausbrüche (Kriterium D2) oder Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder Aufgaben zu vollenden (Kriterium D3), berichten. Das vollständige Symptombild muss länger als einen Monat anhalten (Kriterium E) und die Störung muss in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen (Kriterium F). Traumatische Erfahrungen, die direkt erlebt wurden, umfassen insbesondere kriegerische Auseinandersetzungen, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Folterung, Kriegsgefangenschaft, Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, schwere Autounfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit. Hinsichtlich Beginn und Dauer der Symptome wird unterschieden zwischen der akuten posttraumatischen Belastungsstörung (wenn die Dauer der Symptome weniger als drei Monate beträgt), der chronischen posttraumatischen Belastungsstörung (wenn die Symptome drei Monate oder länger anDauern) und der posttraumatischen Belastungsstörung mit verzögertem Beginn (wenn mindestens sechs Monate zwischen dem traumatischen Ereignis und dem Beginn der Symptome vergangen sind). Die Symptome, wie beispielsweise verminderte affektive Schwingungsfähigkeit, dissoziative Symptome, somatische Beschwerden, Gefühle der Insuffizienz in Form von Hoffnungslosigkeit, sozialer Rückzug, ständiges Gefühl des Bedrohtseins oder beeinträchtigte Beziehung zu anderen oder Veränderung der Persönlichkeit im Vergleich zu früher beginnen normalerweise innerhalb der ersten drei Monate nach dem Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome aber auch um Monate oder sogar Jahre verzögern kann. Die Schwere, Dauer und Nähe der Person bei Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis sind die wichtigsten Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit bestimmen, mit der die Störung sich entwickelt. Es gibt Hinweise, dass soziale Unterstützung, Familienanamnese, Kindheitserfahrungen, Persönlichkeitsvariablen und vorbestehende psychische Störungen die Ausbildung einer posttraumatischen Belastungsstörung beeinflussen können. Die Störung kann sich auch bei Personen entwickeln, bei denen zuvor keine besondere Auffälligkeit vorhanden war, besonders dann, wenn es sich um eine besonders extreme Belastung handelt.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sowie der aktenkundigen medizinischen Unterlagen ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt. Bei den schädigenden Ereignissen handelte es sich zwar um Bedrohungen der körperlichen Unversehrtheit der Klägerin, so dass das Kriterium A1 erfüllt ist. Auch kann unterstellt werden, dass die Klägerin auf diese Erlebnisse mit intensiver Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen reagiert hat und damit auch das Kriterium A2 gegeben ist. Gegen das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung spricht aber nach Überzeugung des Senats der Umstand, dass sich im Rahmen der anlässlich der Begutachtungen durch Dr. B. und Prof. Dr. T. erfolgten Exploration jedenfalls die oben dargestellten B- und C-Kriterien nicht vollständig haben feststellen lassen. Die Klägerin hat nicht über anhaltendes Wiedererleben, Alpträume, "flashbacks", dissoziative Zustände oder intensive traumabedingte psychische Belastungen berichtet. Sie hat zwar gegenüber Prof. Dr. T. ausgeführt, sie habe Angstträume, in denen sie in ihrer Wohnung von fremden Männern verfolgt werde, und erinnere sich beim Sexualverkehr an ihren Vater. Dies genügt aber nicht, um vom Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgehen zu können. Dies hat auch Dr. Sch. in seinem Gutachten zutreffend dargelegt.
2. Es spricht auch nicht mehr dafür als dagegen und es ist mithin nicht hinreichend wahrscheinlich, dass das bei der Klägerin diagnostizierte Tourette-Syndrom ursächlich auf die von ihr erlittenen schädigenden Ereignisse zurückzuführen ist.
Das hat bereits das Sozialgericht ausführlich begründet dargelegt, weswegen der Senat insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs. 2 SGG absieht. Der Senat stützt sich insofern ebenfalls auf das Gutachten des Prof. Dr. T. Der Sachverständige hat für den Senat überzeugend ausgeführt, dass es sich bei dem Tourette-Syndrom um eine Erbkrankheit handelt, keine Hinweise in der aktuellen neurologischen Literatur vorliegen, dass das Tourette-Syndrom durch eine fortdauernde psychische Traumatisierung verursacht werden kann, und das Tourette-Syndrom daher nicht Folge sexueller Misshandlungen sein kann. Zwar wird vereinzelt vertreten, dass psychische Faktoren allgemein zu einer Verstärkung der motorischen Symptome des Tourette-Sndroms führen können. Eine solche Möglichkeit hat sich vorliegend aber angesichts der in sich schlüssigen Ausführungen des Prof. Dr. T. nicht zu einer Wahrscheinlichkeit verdichtet. Dasselbe ergibt sich aus dem Gutachten des Dr. Sch. Auch er geht im Hinblick auf das Tourette-Syndrom von einem autosomal-dominanten Erbgang aus und hat folgerichtig eine entscheidende Verursachung des Tourette-Syndroms durch psychische Faktoren verneint. Demgegenüber war der gutachtlichen Einschätzung der Dr. B., das Tourette-Syndrom der Klägerin sei psychogen verursacht, nicht zu folgen. Da mithin das Tourette-Syndrom nicht schädigungsbedingt ist, kann auch das nach den Angaben der Klägerin erlebte Anderssein ab etwa ihrem 10. Lebensjahr nicht als Schädigungsfolge eingeordnet werden, da dies gleichfalls auch eine psychopathologische Begleiterscheinung des Tourette-Syndroms sein kann.
3. Die durch die schädigenden Ereignisse wesentlich verursachte psychoreaktive Störung der Klägerin bedingt keinen GdS von mindestens 50.
Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 beträgt bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen bei leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdS 0 bis 20, stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (beispielsweise ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdS 30 bis 40 und schweren Störungen (beispielsweise schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdS 50 bis 70 sowie mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdS 80 bis 100.
Nach dem Gutachten des Prof. Dr. T. leidet die Klägerin neben den Auswirkungen des nicht schädigungsbedingten Tourette-Syndroms an mit Angstträumen verbundenen Schlafstörungen, Erinnerungen an ihren Vater, insbesondere während des Sexualverkehrs, die sie in ihre Kindheit zurückverfallen lassen, und damit verbundenem Weinen, einer häufigen Zappeligkeit und Unkonzentriertheit, einer Niedergeschlagenheit beim Alleinsein, Ängsten bei Dunkelheit, Morgentiefs und ängstlich-depressiven Verstimmungen. Die in einer Lebenspartnerschaft in einem 160 Quadratmeter großen Haus lebende Klägerin, die im Rahmen früherer Ehen drei Töchter großgezogen hat, ist aber in der Lage, ihren kompletten Haushalt alleine zu führen und sogar Aufgaben im Bundesvorstand einer sich auf das Tourette-Syndrom beziehenden Gesellschaft wahrzunehmen. Aus all dem und insbesondere auch daraus, dass bei ihr eine schädigungsbedingte Zwangserkrankung nicht vorliegt, ergibt sich, dass die Klägerin jedenfalls nicht an einen GdS von 50 bedingenden schweren Störungen mit sozialen Anpassungsschwierigkeiten leidet.
Da mithin zum einen bei der Klägerin weder eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt noch das Tourette-Syndrom der Klägerin ursächlich auf die schädigenden Ereignisse zurückzuführen ist und zum anderen die auf die schädigenden Ereignisse zurückzuführende psychoreaktive Störung keinen GdS von mindestens 50 bedingt, war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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