L 5 R 4444/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 3258/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 4444/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19.12.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Begrenzung ihrer Hinterbliebenen- und Altersrente nach Maßgabe des § 22b Fremdrentengesetz (FRG).

Die 1934 in G. in der ehemaligen S. geborene Klägerin, Spätaussiedlerin i. S. d. § 4 Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVG), ist am 9.9.1999 nach D. zugezogen. Ihr 1933 in der ehemaligen S. geborener und dort laut Sterbeurkunde 1985 verstorbener Ehemann A. G. (Eheschließung 1956) hat das Herkunftsland nicht verlassen. Die Klägerin hatte einen 1951 geborenen und 1990 verstorbenen Sohn.

Seit 9.9.1999 bezieht die Klägerin Altersrente von der Rechtsvorgängerin der Beklagten (monatlicher Zahlbetrag 777,42 DM). Der Rentengewährung liegen (neben Kindererziehungs- bzw. Ersatzzeiten) nur nach dem FRG bewertete Zeiten (FRG-Zeiten) zugrunde; Beschäftigungs-/ Beitragszeiten in D. hat die Klägerin nicht zurückgelegt. Die für die FRG-Zeiten ermittelten (persönlichen) Entgeltpunkte betragen 20,8376.

Mit Bescheid vom 19.4.2000 gewährte die Beklagte (bzw. deren Rechtsvorgängerin, L. B.) der Klägerin auf deren am 6.10.1999 gestellten Antrag große Witwenrente ab 9.9.1999 (monatlicher Zahlbetrag 111,74 DM). Im beigefügten Versicherungsverlauf des Ehemanns der Klägerin sind (mit Ausnahme der Zeit vom 27.12.1947 bis 27.12.1949 - im Ausland festgehalten/keine Anrechnung - vgl. § 250 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI) - ebenfalls - nur FRG-Zeiten gespeichert. Insgesamt ergaben sich 21,5679 (persönliche) Entgeltpunkte; ohne Berücksichtigung von FRG-Zeiten ergaben sich keine Entgeltpunkte. Die Entgeltpunkte für anrechenbare Zeiten nach dem FRG betrugen 21,5679. Weiter heißt es in dem Rentenbescheid, Rentenleistungen aus FRG-Zeiten seien für einen Berechtigten auf höchstens 25 Entgeltpunkte (Ehegatten 40 Entgeltpunkte) begrenzt. Bei Hinzutritt einer weiteren auf FRG-Zeiten beruhenden Rente zu einer FRG-Rente könne sich der Rentenanspruch vermindern; dasselbe gelte bei jeder Änderung solcher Renten. Die Summe der Entgeltpunkte aus der Hinterbliebenenrente und der Altersrente der Klägerin betrage 42,4055 (21,5679 + 20,8376). Die Entgeltpunkte nach dem FRG seien auf insgesamt 25 zu begrenzen (§ 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG), wobei die der Altersrente zugrunde liegenden Entgeltpunkte vorrangig zu leisten seien. Für die Hinterbliebenenrente ergebe sich daher ein anteiliger Höchstwert von 4,1624 Entgeltpunkten.

Am 26.4.2004 beantragte die Klägerin die Neufeststellung der Hinterbliebenenrente (§ 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch, SGB X). Zur Begründung trug sie unter Hinweis (u.a.) auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.3.2004 (- B 13 RJ 44/03 R -, - B 13 RJ 52/03 R -, - B 13 RJ 53/03 R -, - B 13 RJ 56/03 R -) vor, die Kürzung ihrer FRG-Renten auf insgesamt 25,000 Entgeltpunkte sei rechtswidrig; auf das Zusammentreffen einer FRG-Altersrente mit einer FRG- Hinterbliebenenrente sei § 22b FRG nicht anwendbar.

Mit Bescheid vom 28.4.2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Rentenbescheid vom 19.4.2000 sei rechtmäßig. Den genannten Entscheidungen des BSG werde über den Einzelfall hinaus nicht gefolgt, da die Begrenzungsregelung des § 22b Abs. 1 FRG auch Hinterbliebenenrenten erfasse; das gehe aus dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes hervor. Mit der Einführung des § 22b FRG (a. F.) zum 7.5.1996 habe der Gesetzgeber für alle Spätaussiedler, die ab dem 7.5.1996 in die B. D. zugezogen seien, das Eingliederungsprinzip durch das Bedürftigkeitsprinzip ersetzt. Die Renten dieser Spätaussiedler sollten sich nur noch an der Höhe der Eingliederungshilfe orientieren. Besondere Regelungen für Hinterbliebenenrenten hätten nicht geschaffen werden sollen.

Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.9.2004 zurück. Ergänzend führte sie aus, mittlerweile habe der Gesetzgeber die Anwendbarkeit der Begrenzungsregelung in § 22b FRG auf Hinterbliebenenrenten mit der Neufassung dieser Vorschrift durch Art. 8 Nr. 2 des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes (RVNG v. 21.7.2004, BGBl I S. 1791) rückwirkend zum 7.5.1996 klargestellt.

Am 24.9.2004 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (Verfahren S 15 RJ 4041/04). Die Begrenzungsregelung des § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. sei nicht anzuwenden, wenn ein Begünstigter neben einem Recht aus eigener Versicherung ein abgeleitetes Recht auf Hinterbliebenenrente habe. Die Neufassung des § 22b FRG durch das RVNG stehe ihrem Rentenbegehren nicht entgegen, da § 22b FRG a. F. gem. § 300 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nach wie vor einschlägig sei. Im Übrigen sei die rückwirkende Inkraftsetzung des § 22b FRG n. F. zum 7.5.1996 verfassungswidrig.

Mit Beschluss vom 6.12.2004 ordnete das Sozialgericht das Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf beim BSG anhängige Revisionsverfahren an. Nach Ergehen der Urteile des BSG vom 5.10.2005 (- B 5 RJ 57/03 R -, - B 5 RJ 39/04 R -) und vom 21.6.2005 (- B 8 KN 8/03 R -, - B 8 KN 4/04 R -) rief die Klägerin das Verfahren am 10.7.2006 wieder an; es wurde unter dem Aktenzeichen S 9 R 3258/06 fortgeführt. Sie hielt an ihrer Rechtsauffassung fest. § 22b FRG n. F. könne - wenn überhaupt - allenfalls ab Bekanntmachung des RVNG im Bundesgesetzblatt im Juli 2004 angewendet werden.

Mit Urteil vom 9.12.2006 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Beklagte habe die Abänderung des Bescheids vom 19.4.2000 zu Recht abgelehnt hat; dieser Bescheid sei rechtmäßig.

Gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sei ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergebe, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erweise, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden seien. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien nicht erfüllt. Offen bleiben könne, ob die Beklagte bei Erlass des Bescheids vom 19.4.2000 das Recht richtig angewandt habe (vgl. dazu BSG, Urt. v. 5.10.2005, - B 5 RJ 57/03 R -, juris, Rdnr. 10), da der Berechnung der Hinterbliebenenrente zu Recht 4,1624 Entgeltpunkte zugrunde gelegt worden seien. Das folge aus der Begrenzungsregelung des § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. Diese Vorschrift sei verfassungsmäßig und im Fall der Klägerin auch anzuwenden.

§ 22b Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. sei durch Art. 9 Nr. 2 i. V. m. Art. 15 Abs. 3 RVNG rückwirkend zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens am 7.5.1996 durch § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. ersetzt worden. Danach würden für anrechenbare Zeiten nach dem FRG für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zu Grunde gelegt. Der Anwendung des § 22b FRG n. F. stehe nicht entgegen, dass die Vorschrift erst nach Erlass des angefochtenen Bescheids verkündet worden sei, da es vorliegend auf die aktuell geltende Rechtslage ankomme (BSG, Urt. v. 21.6.2005, - B 8 KN 1/05 R -, juris, Rdnr. 15). Aus § 300 Abs. 2 SGB VI folge nichts anderes. Gem. § 300 Abs. 1 SGB VI seien die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden habe. Nach § 300 Abs. 2 SGB VI müssten aufgehobene Vorschriften des SGB VI und durch das SGB VI ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch angewendet werden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht werde. Erforderlich sei also, dass der Anspruch während der Geltung des alten Rechts entstanden und bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts (hier: bis zum 6.5.1996) bestanden habe. Das sei hier freilich nicht der Fall, da der Rentenanspruch der Klägerin erst mit der Übersiedelung in die B. D. am 9.9.1999 und damit erst nach dem 6.5.1996 habe entstehen können. Für die Anwendung des § 300 Abs. 2 SGB VI sei nicht die Verkündung des Änderungsgesetzes, sondern das Außerkrafttreten des alten Rechts maßgeblich (BSG, Urt. v. vom 21.6.2005, - B 8 KN 1/05 R -, juris, Rdnr. 17). Der Gesetzgeber sei von Verfassungs wegen nicht daran gehindert gewesen, den Anspruch auf Hinterbliebenenrente in die Begrenzungsregelung des § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. einzubeziehen; das BSG habe dies im Urteil vom 21.6.2005 (- B 8 KN 1/05 R -) entschieden und seine Rechtsauffassung eingehend auch im Hinblick auf die Rückwirkungsfrage dargelegt (vgl. auch BSG, Urt. v. 21.6.2005, - B 8 KN 8/03 R – und v. 5.10.2005, - B 5 RJ 57/03 R – sowie - B 5 RJ 39/04 R -). Der abweichenden Auffassung des 13. Senats des BSG (vgl. dessen Vorlagebeschlüsse nach Art. 100 Abs. 1 GG vom 29.8.2006, - B 13 RJ 47/04 R -, - B 13 RJ 8/05 R – und - B 13 RJ 7/06 R -) sei auf der Grundlage der Argumentation des 5. und 8. Senats des BSG nicht zu folgen.

Auf das ihr am 2.1.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3.1.2007 Berufung eingelegt (Verfahren L 5 R 55/07). Sie wiederholt und bekräftigt ihr bisheriges Vorbringen insbesondere zur Verfassungswidrigkeit des § 22b FRG n. F. bzw. dessen rückwirkendem Inkrafttreten. Ergänzend trägt sie vor, im Hinblick auf Art 3 Abs. 1 GG seien FRG-Zeiten von Spätaussiedlern den von Deutschen im Inland zurückgelegten Beschäftigungs- und Beitragszeiten gleichzustellen, da das gesamte Staatsvolk die Kriegslasten tragen müsse; da sie einen Wohnsitz kriegsbedingt nicht in D. habe begründen können, sei es ihr unmöglich gewesen, einen Beitrag zur deutschen Rentenversicherung zu leisten.

Mit Beschluss vom 12.2.2007 ist das Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf das beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auf die Vorlagebeschlüsse des 13. Senats des BSG vom 29.8.2006 (a. a. O.) anhängige Normenkontrollverfahren angeordnet worden. Der Senat hat der Klägerin mit Beschluss vom 22.2.2007 (L 5 R 99/07 PKH-A) Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten bewilligt.

Nach Ergehen des Beschlusses des BVerfG vom 21.7.2010 (- 1 BvL 117/06 -, - 1 BvL 12/06 -, 1 BvL - 13/06 -, 1 BvR 2530/05 -) hat die Beklagte das Verfahren wieder angerufen. Es wird unter dem Aktenzeichen L 5 R 4444/10 fortgeführt.

Die Klägerin trägt abschließend vor, ihr Fall unterscheide sich leicht von der Fallgestaltung, die den Entscheidungen des BVerfG vom 27.1.2010 (a. a. O.) zugrunde gelegen hätten, da dort die Hinterbliebenenrente auf Null gekürzt worden sei, während man ihr immerhin eine geringe Hinterbliebenenrente zuerkannt habe; deswegen müsse die Rente unabhängig von der Anwendung des § 22b FRG auch ausgezahlt werden. Die Hinterbliebenenrente sei vor dem rückwirkenden Inkraftsetzen des § 22b FRG bewilligt worden und deshalb ungekürzt zu zahlen. Bislang sei wohl nicht geprüft worden, ob alle der Berechnung der Altersrente zugrunde gelegte Entgeltpunkte so genannte FRG-Entgeltpunkte seien. Ersatzzeiten, Kindererziehungszeiten und andere rentenrechtliche Zeiten nach dem SGB VI müssten herausgerechnet werden. Ausschließlich FRG-Zeiten lägen auch bei solchen Personen nicht vor, die wegen der Kriegsereignisse aus ihrer Heimat verschleppt oder vertrieben worden seien. Sie sei Heimkehrerin i. S. d. § 250 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI und könne für die Zeit bis zur "Heimschaffung" Ersatzzeiten geltend machen. Die streitigen Zeiten seien aufgrund anderer Vorschriften (als des FRG) rentenrelevant und hätten eigentumsrechtlich geschützte Anwartschaften begründet.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19.12.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28.4.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.9.2004 zu verurteilen, den Rentenbescheid vom 19.4.2000 abzuändern und ihr höhere große Witwenrente unter Ansatz von 15,0000 Entgeltpunkten zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend trägt sie vor, der Bescheid über die Bewilligung von Hinterbliebenenrente vom 19.4.2000 enthalte einen Vorbehalt, wonach sich der Rentenanspruch bei Hinzutritt einer weiteren auf FRG-Zeiten beruhenden Rente mindern könne. Die Klägerin habe daher nicht auf die ungekürzte Fortzahlung der Witwenrente bei Bezug einer eigenen Altersrente (wegen FRG-Zeiten) vertrauen können. Für Rentenberechtigte, die mehrere FRG-Renten erhielten, gelte der Höchstwert von 25 Entgeltpunkten für die Summe der FRG-Anteile aller Renten, da jeder Berechtigte für die FRG-Zeiten seiner Renten zusammen höchstens 25 Entgeltpunkte bekommen könne. Entgegen der Ansicht der Klägerin habe man sowohl bei ihrer Versichertenrente (Altersrente) als auch bei der Hinterbliebenenrente die geltend gemachten Zeiten der Rückkehrverhinderung gem. § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI als beitragsfreie Zeiten anerkannt. Somit lägen beiden Renten FRG-Zeiten und beitragsfreie Zeiten zugrunde. Für die Prüfung, ob eine Begrenzung vorzunehmen sei, müsse der FRG-Anteil aller Renten festgestellt werden. Gem. § 22b Abs. 2 FRG sei zunächst die Summe aller Entgeltpunkte aus allen rentenrechtlichen Zeiten zu ermitteln. Davon würden die Entgeltpunkte abgezogen, die sich aus einer zweiten Berechnung ohne Ansatz der FRG-Zeiten ergäben. Die Differenz der Entgeltpunkte beider Berechnungen mache die auf FRG-Zeiten entfallenden Entgeltpunkte, den FRG-Anteil, aus. Sei eine zweite Berechnung nicht notwendig, entspreche die Summe aller Entgeltpunkte (zugleich auch) dem FRG-Anteil. Das sei hier der Fall. Eine zweite Berechnung sei entbehrlich, wenn - wie bei der Klägerin - nur FRG-Zeiten und daneben beitragsfreie Zeiten vorlägen. Die Ersatzzeiten seien daher nicht heraus zu rechnen. Das wäre nur erforderlich, wenn neben FRG-Zeiten etwa Beitragszeiten (nach dem SGB VI) zurückgelegt worden wären. Ersatzzeiten stellten zwar keine FRG-Zeiten dar, da sie bereits rentenrechtliche Zeiten nach dem SGB VI seien. Das sei hier aber ohne Belang. Als beitragsfreie Zeiten erhielten Ersatzzeiten gem. § 71 Abs. 1 SGB VI den Durchschnittswert an Entgeltpunkten, der sich aus der Gesamtleistung an Beiträgen im belegungsfähigen Zeitraum ergebe. Dabei erhielten sie den höheren Durchschnittswert aus der Grundbewertung aus allen Beiträgen oder der Vergleichsbewertung aus ausschließlich vollwertigen Beiträgen. Der verstorbene Ehemann der Klägerin habe jedoch nur FRG-Zeiten; mangels Beitragszeiten könnten die Ersatzzeiten nur mit dem Durchschnittswert 0 bewertet werden.

Die Klägerin hat noch geltend gemacht, an Hand ihres Altersrentenbescheids müsse geprüft werden, ob die Beklagte tatsächlich alle Ersatz- und Kindererziehungszeiten aus der Entgeltberechnung für die Altersrente nach den Vorschriften des FRG unberücksichtigt gelassen habe; soweit ersichtlich habe die Beklagte Beitragszeiten (Entgeltpunkte), die nicht auf dem FRG beruhten, nicht angenommen bzw. allein auf den verstorbenen Ehegatten Bezug genommen. Soweit Ersatzzeiten bis zu ihrer Heimschaffung in Ansatz zu bringen seien, komme es im Übrigen auf die Vorschriften des FRG nicht an, da sich ihr Altersrentenanspruch aus vorrangigen Normen ergebe. Das führe letztendlich zu weniger FRG-Entgeltpunkten für die Altersrente, so dass eine unbegrenzte bzw. höhere Witwenrente auszuzahlen sei. Insofern sei die Rechtsprechung des BVerfG zur Rückwirkung des § 22b Abs. 1 FRG unerheblich.

Die Beklagte hat dazu abschließend vorgetragen, ohne FRG würde es keinen Alters- und auch keinen Witwenrentenanspruch für die Klägerin geben. Eine Kürzung des Altersrentenanspruchs und somit eine Erhöhung des Witwenrentenanspruchs gehe insoweit ins Leere, als die Begrenzung der Entgeltpunkte für einen Berechtigten auf 25 gem. § 22b FRG zu erfolgen habe; daher sei die in Rede stehende Rechtsprechung des BVerfG durchaus maßgeblich.

Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung der Klägerin ist gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthaft und auch sonst zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin begehrt im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X, den Rentenbescheid vom 19.4.2000 abzuändern und ihr Hinterbliebenenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann ohne Anwendung der Begrenzungsregelung in § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG (n. F.) zu zahlen. Die Beklagte hat das zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nicht erfüllt.

Gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen für die Rücknahme des Rentenbescheids vom 19.4.2000 sind hinsichtlich der Rentenhöhe nicht erfüllt. Dabei kann offen bleiben, ob die Beklagte bei Erlass dieses Bescheids (spätestens bei seiner Bekanntgabe i. S. von § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X) das Recht richtig angewandt hat. Denn sie hat jedenfalls die Hinterbliebenenrente zu Recht nicht ausgezahlt.

Selbst wenn die Beklagte das bei Erlass des Bescheids vom 19.4.2000 geltende Recht fehlerhaft angewandt hätte, würde dies keinen Rücknahmeanspruch der Klägerin begründen. Denn maßgeblich ist insoweit das im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats geltende Recht, soweit es auch den Zeitpunkt des Bescheiderlasses umfasst. Hat sich das Recht während des anhängigen Rechtsstreits rückwirkend geändert, so ist das neue Recht im Berufungsverfahren (und auch in einem Revisionsverfahren) zu beachten. § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. ist zunächst mit Art. 9 Nr. 2 i. V. m. Art. 15 Abs. 3 RVNG rückwirkend zum 7.5.1996 durch eine Neufassung (§ 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F.) ersetzt worden, wonach für anrechenbare Zeiten nach dem FRG für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten (ab 1.1.2005: der allgemeinen Rentenversicherung) zugrunde gelegt werden. Bereits zuvor hatte Art. 12 Nr. 2 des Rentenreformgesetzes 1999 vom 16.12.1997 (BGBl. I S. 2998) ebenfalls mit (Rück-)Wirkung zum 7.5.1996 § 22b Abs. 1 Satz 3 FRG angefügt, wonach Entgeltpunkte aus der Rente mit einem höheren Rentenartfaktor vorrangig zu berücksichtigen sind (BSG, Urt. v. 20.7.2011, - B 13 R 39/10 R -).

Danach gilt hier Folgendes: Die Entgeltpunkte aus der Altersrente der Klägerin sind vorrangig zu berücksichtigen. Denn der Rentenartfaktor der persönlichen Entgeltpunkte bei dieser Rentenart (§ 35 SGB VI) ist mit 1,0 höher (§ 67 Nr. 1 SGB VI) als der Rentenartfaktor bei der großen Witwenrente nach Ablauf des sog Sterbevierteljahres für persönliche Entgeltpunkte in der allgemeinen Rentenversicherung gem. § 67 Nr. 6 SGB VI in Höhe von 0,6 (ab 1.1.2002: 0,55). Da aber bei der Altersrente bereits 20,8376 Entgeltpunkte für anrechenbare Zeiten nach dem FRG zu berücksichtigen waren, verblieben für die Berechnung der Hinterbliebenenrente bis zur Höchstzahl von 25 Entgeltpunkten (§ 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F.) nur noch 4,1624 Entgeltpunkte. Übergangsregelungen waren zur Umsetzung der Neufassung des § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG nicht erforderlich (BSG, Urt. v. 20.7.2011, a. a. O.).

Die Klägerin kann sich nicht auf die Regelung des § 300 Abs. 2 SGB VI berufen, wonach u. a. durch Neuregelungen innerhalb des SGB VI ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden sind, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Monaten nach der Aufhebung geltend gemacht worden ist. Hieraus kann sie nicht herleiten, dass ihr Anspruch auf Witwenrente weiterhin nach § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. zu beurteilen sei, weil sie diesen bereits vor Verkündung des RVNG geltend gemacht habe. Dies gilt schon deshalb, weil "Aufhebung" i. S. von § 300 Abs. 2 SGB VI den - auch rückwirkenden - Zeitpunkt des Außerkrafttretens der alten und des Inkrafttretens der neuen Vorschrift meint, hier also, nach Art 15 Abs. 3 RVNG, den 7.5.1996. Die Klägerin hatte aber am 7.5.1996 (noch) keinen Anspruch auf Witwenrente. Ihr Witwenrentenanspruch ist dem Grunde nach erst mit ihrem Zuzug am 9.9.1999 entstanden. Nichts anderes ergibt sich aus Art 6 § 4 Abs. 4a des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG), der seit dem 1.1.2001 in Kraft ist und speziell für das FRG - im Wesentlichen wortgleich mit § 300 Abs. 3 SGB VI - das Folgende regelt: Ist eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen und sind dabei die persönlichen Entgeltpunkte neu zu ermitteln, sind die Vorschriften des FRG maßgebend, die bei erstmaliger Feststellung der Rente anzuwenden waren, soweit § 317 Abs. 2a SGB VI nichts anderes bestimmt. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm sind vorliegend offensichtlich nicht erfüllt, da vor Inkrafttreten des anzuwendenden Rechts am 7.5.1996 weder eine derartige Rente an die Klägerin geleistet wurde noch aus diesem Grund EP "neu" zu ermitteln waren (auch dazu BSG, Urt. v. 20.7.2011, a. a. O.).

Die rückwirkende Inkraftsetzung des § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. zum Stichtag 7.5.1996 durch Art 15 Abs. 3 RVNG ist verfassungsgemäß. Das hat das BVerfG mit Beschluss vom 21.7.2010 (BVerfGE 126, 369, 388 f.) auf Vorlagebeschlüsse des BSG - mit Gesetzeskraft (§ 13 Nr. 11 i. V. m. § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) - entschieden; daran ist der Senat gebunden (vgl. näher BSG, Urt. v. 20.7.2011, a. a. O.). Der Gesetzgeber musste keine Sonder- bzw. Übergangsregelung für Personen vorsehen, die (wie der bereits 1985 verstorbene Ehemann der Klägerin) vor dem genannten Stichtag (7.5.1996) nicht nach D. einreisen und die ihre FRG-Zeiten auch nicht durch Beitragszeiten nach dem SGB VI ergänzen konnten. Dem Gesetzgeber steht bei der Ausgestaltung der Leistungen nach dem Fremdrentenrecht ein weiter Gestaltungsspielraum zu, den er mit den hier maßgeblichen Regelungen gewahrt hat. Diese sind weder willkürlich noch unverhältnismäßig, zumal ein Eigentumsschutz nach Art. 14 GG nicht in Rede steht (BSG, Urt. v. 20.7.2011, a. a. O.; auch BVerfG, Beschl. v. 13.6.2006, - 1 BvL 9/00 -).

Das BVerfG hat im Beschluss vom 21.7.2010 (a. a. O.) auf eine Verfassungsbeschwerde hin ebenfalls entschieden, dass die Regelung in § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. ihrerseits mit dem GG in Einklang steht (BVerfGE 126, 369, 391 ff.). Dem hat sich das BSG angeschlossen (Urt. v. 20.7.2011, a. a. O.). Auch der Senat hält § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. für verfassungsmäßig. Ob (was das BVerfG offengelassen hat) anderes gelten müsste, wenn ein Hinterbliebenenrentenanspruch sowohl auf Zeiten nach dem FRG als auch auf Beitragszeiten in einer deutschen Rentenversicherung beruhen würde, mag dahin stehen, da der verstorbene Ehemann der Klägerin in D. Beitragszeiten nicht erworben hat; er hat sein Herkunftsland nicht verlassen hat und ist dort verstorben.

Der Hinterbliebenenrentenanspruch der Klägerin beruht (dem Grunde nach) allein auf Zeiten nach dem FRG. Auch die Berücksichtigung von Ersatzzeiten (pauschale Vertreibungszeiten gem. § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI, vgl. KassKomm-Niesel, SGB VI § 250 Rdnr. 67) ändert daran nichts. Zwar ist es zutreffend, dass Ersatzzeiten (§ 250 SGB VI) als solche keine FRG-Zeiten sind. Eine rentenrechtliche Bewertung der Ersatzzeiten des verstorbenen Ehemannes der Klägerin ergibt sich aber allein aufgrund seiner FRG-Beitragszeiten. Denn die für die Hinterbliebenenrente ermittelten Gesamt-Entgeltpunkte von 21,5679 sind identisch mit den "Entgeltpunkten einer Rente mit anrechenbaren Zeiten nach dem FRG" i. S. des § 22b Abs. 2 FRG, weil sich ohne Berücksichtigung der anrechenbaren Zeiten nach dem FRG im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung der Ersatzzeiten als beitragsfreie Zeiten (§ 54 Abs. 4 i. V. m. § 71 Abs. 1 SGB VI) ein Gesamtleistungswert von Null und somit auch 0 Entgeltpunkte für die Ersatzzeiten ergibt mit der Folge, dass allein aus den Ersatzzeiten des verstorbenen Ehemanns der Klägerin kein Zahlungsanspruch resultieren kann.

Anderes folgt auch nicht aus von der Klägerin abschließend geltend gemachten Kindererziehungszeiten (vgl. § 56 SGB VI i. V. m. § 28b FRG). Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten (vgl. § 70 Abs. 2 SGB VI) ändern nichts daran, dass aus FRG-Zeiten mehrere Renten (hier) zusammen höchstens 25 Entgeltpunkte angesetzt werden können. Unbeschadet etwaiger Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten bleibt es daher dabei, dass die Hinterbliebenenrente der Klägerin wegen ihrer (vorrangigen) FRG-Entgeltpunkte der Altersrente 20,8376 nur aus 4,1624 Entgeltpunkten zu berechnen ist.

Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf die Zuerkennung einer (geringen) Hinterbliebenenrente durch den Rentenbescheid vom 19.4.2000 berufen. In diesem Bescheid ist nicht geregelt worden, dass der Klägerin ohne Rücksicht auf die Begrenzungsvorschrift des § 22b FRG (a.F.) Hinterbliebenenrente zusteht; vielmehr ist die Begrenzung der FRG-Rentengewährung aus höchstens 25 (bzw. für Ehegatten 40) Entgeltpunkten ausdrücklich klargestellt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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