Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AS 259/12 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Angelegenheiten nach dem SGB II
1. Die Sanktionsregelungen der §§ 31 ff. SGB II in der ab 01.04.2011 geltenden Fassung verstoßen nicht gegen das aus Art. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG hergeleitete menschenwürdige Existenzminimum. Das Grundgesetz gewährleistet keinen von Mitwirkungsobliegenheiten und Eigenaktivitäten unabhängigen Anspruch auf Sicherheit eines Leistungsniveaus.
2. Auch eine vollständige Sanktionierung über einen längeren Zeitraum führt nicht dazu, dass die §§ 31 ff SGB II (2011) in die Verfassungswidrigkeit "hineinwachsen". Der Gesetzgeber stellt mit differenzierten Regelungen z. B. über die Gewährung (ergänzender) Sachleistungen oder geldwerter Leistungen eine "letzte Grundversorgung" sicher.
1. Die Sanktionsregelungen der §§ 31 ff. SGB II in der ab 01.04.2011 geltenden Fassung verstoßen nicht gegen das aus Art. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG hergeleitete menschenwürdige Existenzminimum. Das Grundgesetz gewährleistet keinen von Mitwirkungsobliegenheiten und Eigenaktivitäten unabhängigen Anspruch auf Sicherheit eines Leistungsniveaus.
2. Auch eine vollständige Sanktionierung über einen längeren Zeitraum führt nicht dazu, dass die §§ 31 ff SGB II (2011) in die Verfassungswidrigkeit "hineinwachsen". Der Gesetzgeber stellt mit differenzierten Regelungen z. B. über die Gewährung (ergänzender) Sachleistungen oder geldwerter Leistungen eine "letzte Grundversorgung" sicher.
I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 23.04.2012 gegen den Sanktionsbescheid vom 18.04.2012 wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die vollständige Kürzung des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 01.05.2012 bis zum 31.07.2012.
Der Antragsteller steht seit dem Jahre 2005 beim Antragsgegner im SGB II-Bezug. Auf Grund verschiedenster Pflichtverletzungen ist der Antragsteller in der Vergangenheit mehrfach sanktioniert worden.
Mit Schreiben vom 28.02.2012 erließ der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller einen Eingliederungsverwaltungsakt für den Zeitraum 28.02.2012 bis 27.08.2012.
Unter Ziffer 2. wurde der Antragsteller verpflichtet in den nächsten sechs Monaten mindestens eine Bewerbungsbemühung pro Woche um sozialversicherungspflichtige und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und nachzuweisen. Die Nachweisliste müsse nach dem Eingliederungsverwaltungsakt bei jedem Termin bei dem Ansprechpartner des Antragsgegners vorgelegt bzw. unverzüglich nachgereicht werden. Der Eingliederungsverwaltungsakt war mit einer Rechtsfolgenbelehrung versehen.
Zu einer Einladung am 21.03.2012 ist der Antragsteller bei dem Antragsgegner zwar erschienen, hat aber kommentarlos das Zimmer des Sachbearbeiters verlassen und auch die Nachweisliste nicht vorgelegt.
Mit Schreiben vom 21.03.2012 wurde der Antragsteller zu dem Eintritt einer möglichen Sanktion angehört. Eine Äußerung erfolgte nicht, ebenso wurde keine Nachweisliste vorgelegt.
Mit Bescheid vom 18.04.2012 (Bl. 4021 Akte des Antragsgegners) wurde das Arbeitslosengeld II des Antragstellers für die Zeit vom 01.05.2012 bis 31.07.2012 vollständig gekürzt, nachdem die SGB II-Leistungen des Antragstellers mit vorausgegangenen Sanktionsbescheid vom 21.11.2011 um 60 % des maßgeblichen Regelbedarfes gekürzt wurden (Bl. 3520 ff. Akte des Antragsgegners).
Gegen den Sanktionsbescheid vom 18.04.2012 legte der Antragsteller mit Schreiben vom 23.04.2012 Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden wurde.
Am 25.04.2012 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht Landshut einstweiligen Rechtsschutz.
Der Antragsteller beantragt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 23.04.2012 gegen den Sanktionsbescheid vom 18.04.2012 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er verteidigt den angegriffenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
1. Statthafter Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist im vorliegenden Fall der Antrag nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt, haben keine aufschiebende Wirkung gemäß § 39 Nr. 1 SGB II. Bei dem streitgegenständlichen Sanktionsbescheid handelt es sich um einen Bescheid, der die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt (vgl. § 31b SGB II; BT-Drs. 17/3404, S. 188). Aus diesem Grund ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG statthaft.
Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens (Klage und ggf. Berufung) verschont zu bleiben und das öffentliche Interesse an einer zeitnahen Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Ein wichtiges Kriterium dieser Abwägungsentscheidung sind die Erfolgsaussichten in dem Hauptsacheverfahren, d.h. die Prüfung der Rechtmäßigkeit des belastenden Verwaltungsaktes (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, § 86b RdNr. 12e).
Wenn der belastende Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist, ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung an, ist der belastende Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, wird der Eilantrag vom Gericht abgelehnt (Keller a.a.O. § 86b RdNr. 12f).
Wenn diese eindeutigen Konstellationen nicht vorliegen, gewinnt das private Aussetzungsinteresse in der Abwägungsentscheidung an Gewicht, die voraussichtlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache bleiben gleichwohl das wesentliche Kriterium. Ein besonderes Vollziehungsinteresse ist nicht zu fordern. Dies ergibt sich aus der vom Gesetzgeber in § 86a SGG vorgegebenen Grundstruktur:
Nach § 86a Abs. 1 SGG haben grundsätzlich alle Widersprüche und Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte, die in eine bestehende Rechtsposition eingreifen, aufschiebende Wirkung. Hiervon hat der Gesetzgeber nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 - 4 SGG Ausnahmen festgelegt und für besondere Regelungsbereiche den Vorrang des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung ausdrücklich bestimmt. In § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG wird dagegen der Behörde die Möglichkeit eingeräumt, die sofortige Vollziehung in besonderen Einzelfällen anzuordnen. § 39 SGB II ist ein Fall des gesetzlichen Sofortvollzugs nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG. Wegen dieser Vorgabe des Sofortvollzugs durch den Gesetzgeber muss eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit gewichtigen Argumenten begründet werden (vgl. Keller a.a.O., § 86b RdNr. 12c).
Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Beschluss vom 10.10.2003 (Az. 1 BvR 2025/03) ausgeführt, dass sich die Interessenabwägung in den Fällen einer gesetzlichen Sofortvollziehungsanordnung von der Interessenabwägung unterscheidet, die in Fällen einer behördlichen Vollziehungsanordnung stattfindet. Es bedarf besonderer Umstände, um von einer gesetzlichen Anordnung des Vollziehungsinteresses gerichtlich abzuweichen (BVerfG, a.a.O. RdNr. 21). Diese Entscheidung des BVerfG bezog sich nicht auf existenzsichernde Leistungen, sondern auf einen Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG durch Untersagung von Bankgeschäften. Trotzdem gilt auch bei existenzsichernden Leistungen: Wenn der Gesetzgeber mit §§ 31 SGB II ff. und § 39 SGB II Regelungen geschaffen hat, dass eine vollständige Streichung des Arbeitslosengeldes II für drei Monate möglich und sofort vollziehbar ist, dann ist diese gesetzgeberische Grundentscheidung auch bei der Abwägungsentscheidung des Gerichts zu berücksichtigen. Da bei einer erheblichen Entziehung existenzsichernder Leistungen - wie im streitgegenständlichen Verfahren - grundrechtliche Belange stärker betroffen sind als bei einem Eingriff in die Berufsfreiheit, geht das Gericht von folgendem Maßstab aus:
Geringe Erfolgsaussichten in der Hauptsache genügen bei einem vom Gesetzgeber angeordneten Sofortvollzug regelmäßig nicht für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Erforderlich sind vielmehr greifbare Hinweise für einen Erfolg in der Hauptsache, sprich die Rechtswidrigkeit des belastenden Verwaltungsaktes. Wenn diese greifbaren Hinweise nicht vorliegen, kann die gerichtliche Abwägung mit dem privaten Aussetzungsinteresse nur in Ausnahmefällen zu einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung führen. Ein derartiger Ausnahmefall kann vorliegen, wenn gravierende Folgen eintreten würden, die nicht schon regelmäßige Folge der gesetzlichen Anordnung des Sofortvollzugs sind.
2. Nach diesem Maßstab lehnt das Gericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab. Der Sanktionsbescheid vom 18.04.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
a) Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der streitgegenständliche Sanktionsbescheid mit einfachem Bundesrecht (§§ 31 ff. SGB II) in Einklang steht. Insoweit verweist das Gericht auf die zutreffende Begründung des Bescheids vom 18.04.2012, § 142 Abs. 1 SGG i. V. m. § 136 Abs. 3 SGG.
Ergänzend ist diesbezüglich auf Folgendes hinzuweisen:
- Die Rechtsfolgenbelehrung des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 28.02.2012 ist konkret einzelfallbezogen, verständlich, richtig und vollständig im Sinne der Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 53/08 R -.
- Nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen ist der Kläger dem Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II zuzuordnen, da er unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein kann (vgl. Psychiatrisches Gutachten vom 25.05.2011 und Urteil BayLSG vom 11.08.2011 - L 6 R 643/08 -).
- Aus den dem Gericht übermittelten Sanktionsübersichten, ergibt sich auch, dass die "Einladungen" des Jobcenters nach ihrer Zahl und den Intervallen nicht als "Schikaneeinladungen" zu qualifizieren sind und deshalb rechtswidrig sind.
b) Nach Ansicht des Gerichts verstößt das derzeit geltende Sanktionsrecht nach den § 31 ff. SGB II (2011) auch nicht gegen das aus Art. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) hergeleitete menschenwürdige Existenzminimum (vgl. dazu BVerfG v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09). Auch das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenz-minimum gewährleistet keinen von Mitwirkungsobliegenheiten und Eigenaktivitäten unabhängigen Anspruch auf Sicherung eines Leistungsniveaus. In der rechtswissenschaftlichen Literatur überwiegt daher die Auffassung, dass Sanktionen grundsätzlich zulässig sind (vgl. Davilla, Die schärferen Sanktionen im SGB II für Hilfebedürftige unter 25 Jahren - ein Plädoyer für ihre Abschaffung, in: SGb 2010, 557,559; Burkiczak - BeckOK, SGB II, § 31a Rn. 12 f.; Berlit, Uwe, Änderungen im Sanktionsrecht des SGB II zum 01. April 2011, info als 2011 Heft 2, 53, 54 f.; Lauterbach, ZFSH/SGB 2011, 584, 585; Stellungnahme des DRB zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages vom 06.06.2011, Nr. 3; a. A. und für eine Verfassungswidrigkeit des Sanktionsrechts Neskovic/erdem SGb 2012, S. 134 ff.). Auch in der Rechtsprechung wurde die Verfassungsmäßigkeit des Sanktionsrechts bisher nicht wesentlich in Frage gestellt (vgl. auch BSG v. 09.11.2010 - B 4 AS 27/10 R; z. B. LSG Berlin-Brandenburg v. 08.10.2010 - L 29 AS 1420/10 B, juris Rn. 13; LSG Niedersachsen-Bremen v. 21.04.2010 - L 13 AS 100/10 B ER, juris Rn. 6 f.)
aa) Das Grundgesetz gebietet nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (BVerfG - vom 7. Juli 2010 - 1 BvR 2556/09). Das Grundrecht aus Artikel 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Absatz 1 GG greift nur dann ein, wenn und soweit andere Mittel zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht zur Verfügung stehen. Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, die Menschenwürde positiv zu schützen. Er muss dafür Sorge tragen, dass einem hilfebedürftigen Menschen die materiellen Voraussetzungen dafür zur Verfügung stehen, um seine Würde in solchen Notlagen, die nicht durch eigene Anstrengung und aus eigenen Kräften überwunden werden können, durch materielle Unterstützung zu sichern. Das Prinzip des Förderns und Forderns besagt, dass eine Person, die mit dem Geld der Steuerzahler in einer Notsituation unterstützt wird, mithelfen muss, ihre Situation zu verbessern. Eine erwerbsfähige Person, die hilfebedürftig ist, weil sie keine Arbeit findet, kann mit der Unterstützung der Gemeinschaft rechnen. Im Gegenzug muss sie alles unternehmen, um ihren Lebensunterhalt wieder selbst zu verdienen.
Die Mitwirkung des Leistungsberechtigten entspricht darüber hinaus einem allgemeinen Prinzip im Sozialleistungsrecht. Mitwirkungsverpflichtungen treffen den Leistungsberechtigten grundsätzlich - nicht nur im Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB II, SGB XII) - z. B. im Hinblick auf die Antragstellung, die wahrheitsgemäße Angabe von Tatsachen, die Erreichbarkeit, das persönliche Erscheinen bis hin zur Duldung von und zur Mitwirkung an Untersuchungen. Es entspricht daher dem Grundprinzip, wenn in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und in der Sozialhilfe (SGB XII) an der Mitwirkungsverpflichtung der Leistungsberechtigten festgehalten wird. Dies gilt insbesondere für erwerbsfähige Leistungsberechtigte in der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Mit den Regelungen des § 31 ff. SGB II existiert ein Mechanismus, um auf Pflichtverletzungen von Leistungsberechtigten nach dem SGB II zu reagieren. Pflichtverletzungen sind z. B. die Nichtaufnahme einer zumutbaren Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit, der Nichtantritt oder Abbruch einer Eingliederungsmaßnahme sowie das Nichterscheinen nach einer Meldeaufforderung der Grundsicherungsstelle. Eine Pflichtverletzung ohne Rechtfertigung aus wichtigem Grund führt zu einer Minderung bzw. kann im Wiederholungsfalle zu einem Wegfall des Arbeitslosengeldes II (Regelbedarf, Mehrbedarfe, Leistungen für Unterkunft und Heizung) führen.
bb) Die oben genannten Grundsätze gelten erst Recht, wenn sich der Leistungsberechtigte dauerhaft weigert seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachzukommen und er deshalb über einen langen Zeitraum vollständig bzw. teilweise sanktioniert wird. Würden in solchen Fallkonstellationen die Sanktionsvorschriften in die Verfassungswidrigkeit "hineinwachsen", würde das dem SGB II zu Grunde liegende System aus "Fördern und Fordern" ad absurdum geführt. Es kann nicht sein, dass einfache und einmalige Pflichtverletzungen sanktioniert werden und ein dauerhaftes Verweigern von Mitwirkungsobliegenheiten sanktionsfrei bleibt.
cc) Die Verfassungsmäßigkeit des geltenden Sanktionsrechts (§§ 31 ff. SGB II 2011) ergibt sich schließlich auch daraus, dass der Gesetzgeber selbst bei einem vollständigen Wegfall der Leistungen eine "letzte Grundversorgung" sicherstellt. Durch ein differenziertes Regelungssystem wahrt der Gesetzgeber das Existenzminimum des Betroffenen:
Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs kann der Träger nach § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Nach § 31a Abs. 3 Satz 2 SGB II hat der Träger Leistungen nach Satz 1 zu erbringen, wenn Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt leben. Nach § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II soll bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mindestens 60 Prozent des für den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs das Arbeitslosengeld II, soweit es für den Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Absatz 1 erbracht wird, an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden. Ferner kann der vollständige Wegfall der Leistungen in eine nur noch 60-prozentige Minderung abgemildert werden, wenn sich der der Leistungsberechtigte nach § 31a Abs. 1 Satz 5 SGB II nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen. Damit hat es der erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgeblich selbst in der Hand, durch seine Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit im Eingliederungsprozess seine finanzielle Situation zu verbessern und insbesondere Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Unabhängig davon ist die Übernahme von Mietschulden in der Grundsicherung für Arbeitsuchende in § 22 Absatz 8 SGB II geregelt.
Aus oben genannten Gründen ist der Sanktionsbescheid vom 18.04.2012 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
Das Jobcenter hat es jedoch in der Hand, durch eine Änderung seiner Verwaltungspraxis ("Einladungen", Übermittlung von Jobangeboten) bzw. durch die Zuweisung eines anderen Sachbearbeiters einen "Neuanfang" zu starten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
4. Aus den unter Ziffer 1. und 2.) aufgeführten Gründen war auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe abzulehnen.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss ist gemäß den §§ 172 Abs.1, 173 SGG Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft. Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die vollständige Kürzung des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 01.05.2012 bis zum 31.07.2012.
Der Antragsteller steht seit dem Jahre 2005 beim Antragsgegner im SGB II-Bezug. Auf Grund verschiedenster Pflichtverletzungen ist der Antragsteller in der Vergangenheit mehrfach sanktioniert worden.
Mit Schreiben vom 28.02.2012 erließ der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller einen Eingliederungsverwaltungsakt für den Zeitraum 28.02.2012 bis 27.08.2012.
Unter Ziffer 2. wurde der Antragsteller verpflichtet in den nächsten sechs Monaten mindestens eine Bewerbungsbemühung pro Woche um sozialversicherungspflichtige und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und nachzuweisen. Die Nachweisliste müsse nach dem Eingliederungsverwaltungsakt bei jedem Termin bei dem Ansprechpartner des Antragsgegners vorgelegt bzw. unverzüglich nachgereicht werden. Der Eingliederungsverwaltungsakt war mit einer Rechtsfolgenbelehrung versehen.
Zu einer Einladung am 21.03.2012 ist der Antragsteller bei dem Antragsgegner zwar erschienen, hat aber kommentarlos das Zimmer des Sachbearbeiters verlassen und auch die Nachweisliste nicht vorgelegt.
Mit Schreiben vom 21.03.2012 wurde der Antragsteller zu dem Eintritt einer möglichen Sanktion angehört. Eine Äußerung erfolgte nicht, ebenso wurde keine Nachweisliste vorgelegt.
Mit Bescheid vom 18.04.2012 (Bl. 4021 Akte des Antragsgegners) wurde das Arbeitslosengeld II des Antragstellers für die Zeit vom 01.05.2012 bis 31.07.2012 vollständig gekürzt, nachdem die SGB II-Leistungen des Antragstellers mit vorausgegangenen Sanktionsbescheid vom 21.11.2011 um 60 % des maßgeblichen Regelbedarfes gekürzt wurden (Bl. 3520 ff. Akte des Antragsgegners).
Gegen den Sanktionsbescheid vom 18.04.2012 legte der Antragsteller mit Schreiben vom 23.04.2012 Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden wurde.
Am 25.04.2012 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht Landshut einstweiligen Rechtsschutz.
Der Antragsteller beantragt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 23.04.2012 gegen den Sanktionsbescheid vom 18.04.2012 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er verteidigt den angegriffenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
1. Statthafter Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist im vorliegenden Fall der Antrag nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt, haben keine aufschiebende Wirkung gemäß § 39 Nr. 1 SGB II. Bei dem streitgegenständlichen Sanktionsbescheid handelt es sich um einen Bescheid, der die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt (vgl. § 31b SGB II; BT-Drs. 17/3404, S. 188). Aus diesem Grund ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG statthaft.
Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens (Klage und ggf. Berufung) verschont zu bleiben und das öffentliche Interesse an einer zeitnahen Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Ein wichtiges Kriterium dieser Abwägungsentscheidung sind die Erfolgsaussichten in dem Hauptsacheverfahren, d.h. die Prüfung der Rechtmäßigkeit des belastenden Verwaltungsaktes (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, § 86b RdNr. 12e).
Wenn der belastende Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist, ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung an, ist der belastende Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, wird der Eilantrag vom Gericht abgelehnt (Keller a.a.O. § 86b RdNr. 12f).
Wenn diese eindeutigen Konstellationen nicht vorliegen, gewinnt das private Aussetzungsinteresse in der Abwägungsentscheidung an Gewicht, die voraussichtlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache bleiben gleichwohl das wesentliche Kriterium. Ein besonderes Vollziehungsinteresse ist nicht zu fordern. Dies ergibt sich aus der vom Gesetzgeber in § 86a SGG vorgegebenen Grundstruktur:
Nach § 86a Abs. 1 SGG haben grundsätzlich alle Widersprüche und Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte, die in eine bestehende Rechtsposition eingreifen, aufschiebende Wirkung. Hiervon hat der Gesetzgeber nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 - 4 SGG Ausnahmen festgelegt und für besondere Regelungsbereiche den Vorrang des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung ausdrücklich bestimmt. In § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG wird dagegen der Behörde die Möglichkeit eingeräumt, die sofortige Vollziehung in besonderen Einzelfällen anzuordnen. § 39 SGB II ist ein Fall des gesetzlichen Sofortvollzugs nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG. Wegen dieser Vorgabe des Sofortvollzugs durch den Gesetzgeber muss eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit gewichtigen Argumenten begründet werden (vgl. Keller a.a.O., § 86b RdNr. 12c).
Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Beschluss vom 10.10.2003 (Az. 1 BvR 2025/03) ausgeführt, dass sich die Interessenabwägung in den Fällen einer gesetzlichen Sofortvollziehungsanordnung von der Interessenabwägung unterscheidet, die in Fällen einer behördlichen Vollziehungsanordnung stattfindet. Es bedarf besonderer Umstände, um von einer gesetzlichen Anordnung des Vollziehungsinteresses gerichtlich abzuweichen (BVerfG, a.a.O. RdNr. 21). Diese Entscheidung des BVerfG bezog sich nicht auf existenzsichernde Leistungen, sondern auf einen Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG durch Untersagung von Bankgeschäften. Trotzdem gilt auch bei existenzsichernden Leistungen: Wenn der Gesetzgeber mit §§ 31 SGB II ff. und § 39 SGB II Regelungen geschaffen hat, dass eine vollständige Streichung des Arbeitslosengeldes II für drei Monate möglich und sofort vollziehbar ist, dann ist diese gesetzgeberische Grundentscheidung auch bei der Abwägungsentscheidung des Gerichts zu berücksichtigen. Da bei einer erheblichen Entziehung existenzsichernder Leistungen - wie im streitgegenständlichen Verfahren - grundrechtliche Belange stärker betroffen sind als bei einem Eingriff in die Berufsfreiheit, geht das Gericht von folgendem Maßstab aus:
Geringe Erfolgsaussichten in der Hauptsache genügen bei einem vom Gesetzgeber angeordneten Sofortvollzug regelmäßig nicht für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Erforderlich sind vielmehr greifbare Hinweise für einen Erfolg in der Hauptsache, sprich die Rechtswidrigkeit des belastenden Verwaltungsaktes. Wenn diese greifbaren Hinweise nicht vorliegen, kann die gerichtliche Abwägung mit dem privaten Aussetzungsinteresse nur in Ausnahmefällen zu einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung führen. Ein derartiger Ausnahmefall kann vorliegen, wenn gravierende Folgen eintreten würden, die nicht schon regelmäßige Folge der gesetzlichen Anordnung des Sofortvollzugs sind.
2. Nach diesem Maßstab lehnt das Gericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab. Der Sanktionsbescheid vom 18.04.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
a) Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der streitgegenständliche Sanktionsbescheid mit einfachem Bundesrecht (§§ 31 ff. SGB II) in Einklang steht. Insoweit verweist das Gericht auf die zutreffende Begründung des Bescheids vom 18.04.2012, § 142 Abs. 1 SGG i. V. m. § 136 Abs. 3 SGG.
Ergänzend ist diesbezüglich auf Folgendes hinzuweisen:
- Die Rechtsfolgenbelehrung des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 28.02.2012 ist konkret einzelfallbezogen, verständlich, richtig und vollständig im Sinne der Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 53/08 R -.
- Nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen ist der Kläger dem Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II zuzuordnen, da er unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein kann (vgl. Psychiatrisches Gutachten vom 25.05.2011 und Urteil BayLSG vom 11.08.2011 - L 6 R 643/08 -).
- Aus den dem Gericht übermittelten Sanktionsübersichten, ergibt sich auch, dass die "Einladungen" des Jobcenters nach ihrer Zahl und den Intervallen nicht als "Schikaneeinladungen" zu qualifizieren sind und deshalb rechtswidrig sind.
b) Nach Ansicht des Gerichts verstößt das derzeit geltende Sanktionsrecht nach den § 31 ff. SGB II (2011) auch nicht gegen das aus Art. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) hergeleitete menschenwürdige Existenzminimum (vgl. dazu BVerfG v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09). Auch das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenz-minimum gewährleistet keinen von Mitwirkungsobliegenheiten und Eigenaktivitäten unabhängigen Anspruch auf Sicherung eines Leistungsniveaus. In der rechtswissenschaftlichen Literatur überwiegt daher die Auffassung, dass Sanktionen grundsätzlich zulässig sind (vgl. Davilla, Die schärferen Sanktionen im SGB II für Hilfebedürftige unter 25 Jahren - ein Plädoyer für ihre Abschaffung, in: SGb 2010, 557,559; Burkiczak - BeckOK, SGB II, § 31a Rn. 12 f.; Berlit, Uwe, Änderungen im Sanktionsrecht des SGB II zum 01. April 2011, info als 2011 Heft 2, 53, 54 f.; Lauterbach, ZFSH/SGB 2011, 584, 585; Stellungnahme des DRB zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages vom 06.06.2011, Nr. 3; a. A. und für eine Verfassungswidrigkeit des Sanktionsrechts Neskovic/erdem SGb 2012, S. 134 ff.). Auch in der Rechtsprechung wurde die Verfassungsmäßigkeit des Sanktionsrechts bisher nicht wesentlich in Frage gestellt (vgl. auch BSG v. 09.11.2010 - B 4 AS 27/10 R; z. B. LSG Berlin-Brandenburg v. 08.10.2010 - L 29 AS 1420/10 B, juris Rn. 13; LSG Niedersachsen-Bremen v. 21.04.2010 - L 13 AS 100/10 B ER, juris Rn. 6 f.)
aa) Das Grundgesetz gebietet nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (BVerfG - vom 7. Juli 2010 - 1 BvR 2556/09). Das Grundrecht aus Artikel 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Absatz 1 GG greift nur dann ein, wenn und soweit andere Mittel zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht zur Verfügung stehen. Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, die Menschenwürde positiv zu schützen. Er muss dafür Sorge tragen, dass einem hilfebedürftigen Menschen die materiellen Voraussetzungen dafür zur Verfügung stehen, um seine Würde in solchen Notlagen, die nicht durch eigene Anstrengung und aus eigenen Kräften überwunden werden können, durch materielle Unterstützung zu sichern. Das Prinzip des Förderns und Forderns besagt, dass eine Person, die mit dem Geld der Steuerzahler in einer Notsituation unterstützt wird, mithelfen muss, ihre Situation zu verbessern. Eine erwerbsfähige Person, die hilfebedürftig ist, weil sie keine Arbeit findet, kann mit der Unterstützung der Gemeinschaft rechnen. Im Gegenzug muss sie alles unternehmen, um ihren Lebensunterhalt wieder selbst zu verdienen.
Die Mitwirkung des Leistungsberechtigten entspricht darüber hinaus einem allgemeinen Prinzip im Sozialleistungsrecht. Mitwirkungsverpflichtungen treffen den Leistungsberechtigten grundsätzlich - nicht nur im Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB II, SGB XII) - z. B. im Hinblick auf die Antragstellung, die wahrheitsgemäße Angabe von Tatsachen, die Erreichbarkeit, das persönliche Erscheinen bis hin zur Duldung von und zur Mitwirkung an Untersuchungen. Es entspricht daher dem Grundprinzip, wenn in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und in der Sozialhilfe (SGB XII) an der Mitwirkungsverpflichtung der Leistungsberechtigten festgehalten wird. Dies gilt insbesondere für erwerbsfähige Leistungsberechtigte in der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Mit den Regelungen des § 31 ff. SGB II existiert ein Mechanismus, um auf Pflichtverletzungen von Leistungsberechtigten nach dem SGB II zu reagieren. Pflichtverletzungen sind z. B. die Nichtaufnahme einer zumutbaren Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit, der Nichtantritt oder Abbruch einer Eingliederungsmaßnahme sowie das Nichterscheinen nach einer Meldeaufforderung der Grundsicherungsstelle. Eine Pflichtverletzung ohne Rechtfertigung aus wichtigem Grund führt zu einer Minderung bzw. kann im Wiederholungsfalle zu einem Wegfall des Arbeitslosengeldes II (Regelbedarf, Mehrbedarfe, Leistungen für Unterkunft und Heizung) führen.
bb) Die oben genannten Grundsätze gelten erst Recht, wenn sich der Leistungsberechtigte dauerhaft weigert seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachzukommen und er deshalb über einen langen Zeitraum vollständig bzw. teilweise sanktioniert wird. Würden in solchen Fallkonstellationen die Sanktionsvorschriften in die Verfassungswidrigkeit "hineinwachsen", würde das dem SGB II zu Grunde liegende System aus "Fördern und Fordern" ad absurdum geführt. Es kann nicht sein, dass einfache und einmalige Pflichtverletzungen sanktioniert werden und ein dauerhaftes Verweigern von Mitwirkungsobliegenheiten sanktionsfrei bleibt.
cc) Die Verfassungsmäßigkeit des geltenden Sanktionsrechts (§§ 31 ff. SGB II 2011) ergibt sich schließlich auch daraus, dass der Gesetzgeber selbst bei einem vollständigen Wegfall der Leistungen eine "letzte Grundversorgung" sicherstellt. Durch ein differenziertes Regelungssystem wahrt der Gesetzgeber das Existenzminimum des Betroffenen:
Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs kann der Träger nach § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Nach § 31a Abs. 3 Satz 2 SGB II hat der Träger Leistungen nach Satz 1 zu erbringen, wenn Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt leben. Nach § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II soll bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mindestens 60 Prozent des für den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs das Arbeitslosengeld II, soweit es für den Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Absatz 1 erbracht wird, an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden. Ferner kann der vollständige Wegfall der Leistungen in eine nur noch 60-prozentige Minderung abgemildert werden, wenn sich der der Leistungsberechtigte nach § 31a Abs. 1 Satz 5 SGB II nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen. Damit hat es der erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgeblich selbst in der Hand, durch seine Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit im Eingliederungsprozess seine finanzielle Situation zu verbessern und insbesondere Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Unabhängig davon ist die Übernahme von Mietschulden in der Grundsicherung für Arbeitsuchende in § 22 Absatz 8 SGB II geregelt.
Aus oben genannten Gründen ist der Sanktionsbescheid vom 18.04.2012 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
Das Jobcenter hat es jedoch in der Hand, durch eine Änderung seiner Verwaltungspraxis ("Einladungen", Übermittlung von Jobangeboten) bzw. durch die Zuweisung eines anderen Sachbearbeiters einen "Neuanfang" zu starten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
4. Aus den unter Ziffer 1. und 2.) aufgeführten Gründen war auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe abzulehnen.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss ist gemäß den §§ 172 Abs.1, 173 SGG Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft. Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Rechtskraft
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