L 1 R 278/12

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 43 R 436/10
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 278/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben sich auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI).

Der am ... 1970 geborene Kläger ist gelernter Stahlbauschlosser. In diesem Beruf arbeitete er von 1989 bis 1990. Anschließend wurde er arbeitslos, nahm an mehreren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen teil, und von 1998 bis 2000 war er in Erziehungszeit. Von 2000 bis 2004 übte er Nebenbeschäftigungen aus und absolvierte berufliche Weiterbildungen. Seit 2005 ist er wieder arbeitslos.

Am 19. April 2006 beantragte der Kläger die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente bei der Beklagten. Vom 06. Juni bis 26. September 2006 nahm er an einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation teil. In dem Entlassungsbericht hierzu vom 04. Oktober 2006 wird ausgeführt, dass der Kläger an Alkoholabhängigkeit, Nikotinabhängigkeit, alkoholtoxischen Leberschäden, alkoholischer Polyneuropathie und Hypercholesterinämie leide. In seinem Beruf als Stahlbauschlosser könne er unter drei Stunden täglich tätig werden. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung und überwiegend sitzend sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Aufgrund der alkoholbedingten sensiblen Polyneuropathie und der Konditionsminderung seien Arbeiten, die ein häufiges Heben und Tragen von Lasten sowie eine Stand- und Gangsicherheit erforderten, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht indiziert. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. I. gab in ihrem Befundbericht vom 12. Dezember 2008 an, dass der Kläger seit 2006 Abstinenz angebe. Er habe Parästhesien in beiden Beinen und eine Schwäche beim Laufen. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. führte in ihrem Befundbericht vom 10. November 2008 aus, dass sich der Kläger einmalig am 25. August 2008 vorgestellt habe. Sie habe eine alkoholbedingte Polyneuropathie diagnostiziert. Die Beklagte ließ daraufhin ein neurologisches Fachgutachten erstellen. Dr. D., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, gab in seinem Gutachten vom 05. Februar 2009 an, dass der Kläger an einem Syndrom der unruhigen Beine, einem leichten myeloneuropathischen Syndrom, einem Alkoholabhängigkeitssyndrom mit Abstinenz seit 2006 und an einer sozialen Phobie leide. Es hätten sich keine Einschränkungen der Motorik im Bereich der Beine oder Füße gezeigt. Die Leistungseinschränkungen würden sich derzeit überwiegend aus dem Syndrom der unruhigen Beine ergeben. Eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme sei angezeigt. Der Kläger sei in der Lage, sechs Stunden und mehr täglich leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung zu verrichten. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers daraufhin mit Bescheid vom 03. März 2009 ab. Hiergegen erhob dieser am 24. März 2009 Widerspruch. Der Kläger nahm vom 18. August bis zum 15. September 2009 an einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation teil. In dem Entlassungsbericht hierzu vom 15. September 2009 wird angegeben, dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten 6 Stunden und mehr täglich in wechselnder Körperhaltung und überwiegend im Sitzen verrichten könne. Bei weiterer Abstinenz sei langfristig auch eine Rückkehr in die Tätigkeit als Stahlbauschlosser möglich. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2009 zurück.

Am 17. September 2009 stellte der Kläger einen erneuten Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10. November 2009 ab. Hiergegen erhob er am 30. November 2009 Widerspruch. Die Beklagte ließ ein internistisches Fachgutachten erstellen. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. W. führt in seinem Gutachten vom 28. März 2010 aus, dass beim Kläger weiterhin die Schmerzen in beiden Beinen im Vordergrund stehen würden. In der aktuellen Funktionsdiagnostik hätten sich keine relevanten Auffälligkeiten gezeigt. Die Spiroergometrie sei zwar bereits in der 5. Minute bei 56 Watt abgebrochen worden, allerdings ohne eindeutige, objektive Abbruchkriterien. In der Zusammenschau der Befunde zeigten sich aus internistischer Sicht aktuell keine relevanten Erkrankungen. Lediglich eine Hypercholesterinämie lasse sich paraklinisch nachweisen. Es liege internistisch weder eine Gefährdung noch eine aufgehobene Leistungsfähigkeit vor. Der Kläger sei in der Lage, körperlich mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr täglich in wechselnder Körperhaltung zu verrichten. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 08. Juni 2010 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 05. Juli 2010 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Er leide infolge seiner Alkoholkrankheit an Depression und Polyneuropathie. Es sei eine psychiatrische Begutachtung zu empfehlen. Das SG hat zunächst Befundberichte eingeholt. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. G. hat in seinem Befundbericht vom 25. Januar 2011 angegeben, dass beim Kläger eine deutliche Gangstörung bestehe. Der Kläger sei nicht in der Lage, körperlich leichte Arbeiten noch sechs Stunden täglich zu verrichten. Die Fachärztin für Neurologie Dr. B. hat in ihrem Befundbericht vom 10. Februar 2011 ausgeführt, dass sich seit August 2010 eine leichte Besserung der Schmerzen gezeigt habe. Der Kläger könne noch körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung verrichten. Es sei allerdings noch eine Optimierung der Schmerztherapie erforderlich. Die Hausärztin Dr. I., Fachärztin für Allgemeinmedizin, hat in ihrem Befundbericht vom 11. Februar 2011 dargelegt, dass der Gesundheitszustand des Klägers seit 2005 unverändert sei. Der Diplompsychologe H. hat in seinem Befundbericht vom 02. März 2011 angegeben, dass er beim Kläger eine rezidivierende depressive Störung, eine Persönlichkeitsstörung und ein Abhängigkeitssyndrom, gegenwärtig abstinent, diagnostiziert habe.

Das SG hat ein nervenfachärztliches Gutachten in Auftrag gegeben. Der Sachverständige Dr. V., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, hat in seinem Gutachten vom 26. Januar 2012 ausgeführt, dass der Kläger über Schmerzen in beiden Fußsohlen bzw. den Knien geklagt habe. Wegen dieser Schmerzen habe er Schlafstörungen. Darüber hinaus leide er unter gelegentlichen Muskelkrämpfen. Er leide an Alkoholabhängigkeit, seit 2006 abstinent, an einer alkoholtoxischen sensiblen Polyneuropathie der Füße und an einer rezidivierenden depressiven Störung, derzeit remittiert. Hieraus ergäben sich eine leichte ataktische Störung der Gehfähigkeit, belastungsabhängige schmerzhafte Missempfindungen im Bereich der Füße und nächtliche Schlafstörungen. Es hätten sich Anhaltspunkte für Aggravation gezeigt, die sich aber abgrenzen ließen von den leistungsmindernden Gesundheitsstörungen. Seelische Störungen bestünden beim Kläger nicht. Die überlagernde Aggravationsneigung im körperlichen Untersuchungsgang sei am ehesten Ausdruck eines Rentenwunsches und nicht Ausdruck einer seelischen Störung. Der Kläger könne noch körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Die Arbeiten seien wechselweise im Gehen, Stehen und Sitzen auszuüben, wobei der sitzende Anteil 70 % der täglichen Arbeitszeit nicht unterschreiten sollte. Nachtschichtarbeiten könne der Kläger nicht verrichten. Zu vermeiden seien Gerüst- und Leiterarbeiten sowie Arbeiten mit überwiegend einseitigen körperlichen Belastungen bzw. Zwangshaltungen wie Knien, Hocken, Bücken bzw. Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel. Arbeiten im Freien unter Witterungsschutz sowie unter Vermeidung von starken Temperaturschwankungen, Zugluft und Nässe seien möglich. Der Kläger habe keine kognitiven oder affektiven Einschränkungen gezeigt. Die Gehfähigkeit des Klägers sei eingeschränkt. Er könne aber noch einen Fußweg von viermal täglich mehr als 500 m vor und nach einer Arbeitsschicht zu und von einem öffentlichen Verkehrsmittel bzw. zum und vom Arbeitsplatz ohne unzumutbare Schmerzen und ohne erhebliche Beschwerden zurücklegen. Eine Begrenzung auf Fußwege unter 500 m sei nicht angezeigt. Ein Fußweg von etwas mehr als 500 m sei ohne unzumutbare Schmerzen deutlich unter 20 Minuten möglich.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 30. Mai 2012 abgewiesen. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Dies ergebe sich insbesondere aus den Feststellungen des Sachverständigen
Dr. V. Die Wegefähigkeit des Klägers sei ebenfalls nicht eingeschränkt.

Gegen das am 14. Juni 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10. Juli 2012 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Er sei nicht mehr in der Lage, einer Erwerbstätigkeit mit einem zeitlichen Umfang von mindestens drei Stunden täglich nachzugehen. Der Sachverständige Dr. V. habe das Ausmaß seiner Schmerzen und Missempfindungen in den Extremitäten nicht zutreffend eingeschätzt. Er leide ganztägig unter Schmerzen, insbesondere beim Laufen, da bei Bewegung die Schmerzen zunähmen. Barfuß bzw. in nicht abgefederten Schuhen sei ihm das Laufen kaum noch möglich. Er hat hierzu den Therapiebericht seiner behandelnden Physiotherapeutin L. vom 12. Juli 2012 vorgelegt. Er habe hiernach starke Schmerzen bei kühlen Temperaturen gezeigt und kaum barfuß laufen können. Die Therapie habe sich deshalb schwierig gestaltet und sei mit Wärme zu ergänzen gewesen. Teilweise sei eine Berührung ohne Schmerzen nicht möglich gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg beim 30. Mai 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01. Oktober 2009 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. Mai 2012 zurückzuweisen.

Sie beruft sich im Wesentlichen auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.

Der Sachverständige Dr. V. hat in seiner vom Senat angeforderten ergänzenden Stellungnahme vom 19. Dezember 2012 ausgeführt, dass Missempfindungen und Schmerzen stets subjektiver Natur und untersuchungstechnisch nicht belegbar seien. Dies habe er in seinem Gutachten auch ausführlich dargelegt. Anhand der Aktenlage sei allerdings feststellbar gewesen, dass selbst als objektivierbar geltende Befunde im Zeitverlauf nicht konsistent gewesen seien, sondern wechselten (z. B. Muskeleigenreflexe, pathologische Reflexe, motorische Funktion). Eine solche Inkonsistenz von Befunden sei nicht etwa durch immer wieder wechselnde und grundsätzlich sich jeweils voneinander unterscheidende Gesundheitsstörungen zu erklären, sondern durch ein wechselndes Maß an Mitarbeit wie Entspannungsfähigkeit und bereitschaft, was dann z. B. auch Auswirkungen auf die Auslösbarkeit oder Nichtauslösbarkeit von Muskelreflexen haben könne. Auch elektrophysiologische Untersuchungen hätten im Verlauf kein einheitliches, sondern ein wechselhaftes Befundbild ergeben. Dementsprechend sei auch die auffällige Gangstörung im Barfußgang während der gutachterlichen Untersuchung zu bewerten. Eine derartig ausgeprägte Auffälligkeit des Gangablaufes im Barfußgang sei in dieser Form nur als psychogen und aggravierend zu bewerten und nicht vereinbar mit einem weitgehend unauffälligen Gangbild beim Tragen der Turnschuhe. Die von Dr. G. in seinem Befundbericht vom 25. Januar 2011 festgestellte deutliche Gangstörung mit bleibender Störung der Kennmuskeln der LWS sei nicht nachvollziehbar, da die von ihm bezeichneten Muskelgruppen im Oberschenkelbereich beidseits bei der gutachterlichen Untersuchung keinerlei Einschränkungen aufgewiesen hätten. Diese Art der Muskelfunktionsstörungen in Oberschenkeln sei zudem schwerlich mit dem typischen Bild einer Polyneuropathie vereinbar. Der Therapiebericht der behandelnden Physiotherapeutin helfe in diesem Zusammenhang auch nicht weiter, da er nur Beobachtungen und keine objektivierbaren Befunde enthalte. Insoweit halte er an seiner Leistungseinschätzung fest.

Der Senat hat darüber hinaus Befundberichte eingeholt. Die Fachärztin für Neurologie Dr. B. hat in ihrem Befundbericht vom 20. März 2013 ausgeführt, dass der Kläger unverändert über brennende Missempfindungen in den Füßen und Waden und das Einschlafen der Hände klage. Eine Befundänderung habe sich nicht gezeigt.

Dr. B., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie/Schmerztherapeut, hat in seinem Befundbericht vom 27. März 2013 angegeben, dass sich die festgestellte Schmerzintensität verbessert habe. Durch die Polyneuropathie in den Beinen sei die Gehfähigkeit des Klägers beeinträchtigt. Die Hausärztin des Klägers Dr. I. hat mitgeteilt, dass sich keine Änderung seit dem Befundbericht im Jahr 2011 ergeben habe. Der Kläger sei seither nur noch einmal bei ihr in Behandlung gewesen. Der Sachverständige Dr. V. ist noch einmal zur ergänzenden Stellungnahme aufgefordert worden. Er hat mit Schreiben vom 30. Mai 2013 mitgeteilt, dass die vorgelegten Befunde keine neuen Gesichtspunkte enthielten. Eine veränderte Leistungseinschätzung ergebe sich daraus nicht.

Die Beteiligten haben sich mit den Schriftsätzen vom 21. August 2013 und vom 04. September 2013 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.

Die nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, weil der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 10. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Juni 2010 rechtmäßig ist und den Kläger nicht i. S. der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI haben Versicherte, wenn die entsprechenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, dann einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind. Nach Satz 2 der genannten Vorschrift ist derjenige teilweise erwerbsgemindert, der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3, Zweiter Halbsatz SGB VI).

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger seit Oktober 2009 bis heute noch in der Lage war und ist, mindestens sechs Stunden täglich körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, überwiegend im Sitzen, zu verrichten. Gelegentliche einseitige körperliche Belastungen bzw. Zwangshaltungen wie Knien, Hocken, Bücken bzw. Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel sind ihm zumutbar. Gerüst- und Leiterarbeiten sind zu vermeiden. Arbeiten im Freien sind unter Witterungsschutz und unter Vermeidung von starken Temperaturschwankungen, Zugluft und Nässe auszuüben. Arbeiten in Wechselschicht, ohne Nachtschichtätigkeiten, mit häufigem, aber nicht ständigem Zeitdruck und Publikumsverkehr sind möglich. Insoweit folgt der Senat aufgrund eigener Urteilsbildung den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. V. in seinem Gutachten vom 26. Januar 2012 und den ergänzenden Stellungnahmen vom 19. Dezember 2012 und vom 30. Mai 2013. Hiernach liegen beim Kläger eine Alkoholabhängigkeit, seit 2006 abstinent, eine alkoholtoxische sensible Polyneuropathie der Füße und eine rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert, vor. Der Kläger habe fast zwei Jahrzehnte Alkoholmissbrauch betrieben, sei aber seit Mitte 2006 abstinent. Bisherige Befundberichte und Gutachten zeigten sich in ihrer Befunddarstellung nicht hinreichend konsistent. Zur Auslösbarkeit des Achillessehnenreflexes, des Ausmaßes der Gangstörungen und den gestellten Diagnosen fänden sich widersprüchliche Angaben. Der Kläger habe angegeben, dass seine Gesundheitsstörungen seit 2006 weitgehend gleichbleibend unverändert seien. Bei der körperlichen Untersuchung seien die Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar gewesen, auch die Achillessehnenreflexe. Pathologische Reflexe hätten sich nicht gezeigt. Besonders hervorstechend sei eine Berührungsempfindlichkeit im Bereich der Fußsohlen und dort betont im Bereich der Fußballen und Zehen beidseits gewesen. Beim Barfußgehen habe der Kläger einen angestrengten Fersengang mit Vermeidung des Berührens des Fußballens auf der Unterlage gezeigt. Das Gehen sei dann aber mit Straßenschuhen, bei denen es sich um Turnschuhe mit üblich abgepolstertem Fußbett gehandelt habe, deutlich besser und nur noch von gering vorsichtigem Auftreten begleitet gewesen. In der Zusammenschau der Vorgeschichte, der Befunde und der Beschwerdedarstellung sei auch unter Berücksichtigung einer Aggravationstendenz davon auszugehen, dass beim Kläger eine leichte sensible Polyneuropathie der Füße als Alkoholfolgekrankheit vorliege, die zumindest hinsichtlich der Bewegungsfähigkeit der Füße im neurologischen Untersuchungsgang aggraviert worden sei. Diese Störung schränke die Leistungsfähigkeit des Klägers zwar qualitativ, aber nicht quantitativ ein. Seelische Störungen, die die Fähigkeit, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, beeinträchtigten, lägen nicht vor. Das Beschwerdebild des Klägers hat sich auch nicht während des Berufungsverfahrens verschlechtert. Hierzu kann auf die eingeholten Befundberichte verwiesen werden und darüber hinaus auf die ergänzende Stellungnahme von Dr. V. vom 30. Mai 2013, der in Auswertung der eingeholten Befundberichte keine Änderung in der Leistungseinschätzung vorgenommen hat.

Ist der Kläger danach schon nicht teilweise erwerbsgemindert, so ist er erst recht nicht voll erwerbsgemindert. Denn dies erfordert gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, dass ein Versicherter wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Da der Kläger, wie dargelegt, noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, erfüllt er dieses Kriterium nicht.

Der Kläger ist auch nicht deshalb voll erwerbsgemindert, weil er wegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein könnte. Sein Restleistungsvermögen reicht vielmehr noch für leichte körperliche Verrichtungen wie z. B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählung in dem Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95 –, SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33 f.; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt in BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R – juris, Rdnr. 14 ff.).

Schließlich ist er auch nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert, einen Arbeitsplatz aufzusuchen (sog. Wegefähigkeit, vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011
B 13 R 79/11 R –, juris). Zur Einschätzung der Gehfähigkeit kann ebenfalls auf die Ausführungen von Dr. V. in seinem Gutachten vom 26. Januar 2012 verwiesen werden. Hiernach ist der Kläger in der Lage, täglich viermal einen Fußweg von mehr als 500 m vor und nach einer Arbeitsschicht zu und von einem öffentlichen Verkehrsmittel bzw. zum und vom Arbeitsplatz ohne unzumutbare Schmerzen und ohne erhebliche Beschwerden zurückzulegen. Dies ist ihm auch unter 20 Minuten pro Wegstrecke von 500 m ohne unzumutbare Schmerzen möglich. Insbesondere in der ergänzenden Stellungnahme vom 19. Dezember 2012 hat der Sachverständige überzeugend ausgeführt, dass die demonstrierte Gangbeeinträchtigung beim Barfußgehen nicht glaubhaft gewesen sei, da dies nicht vereinbar gewesen sei mit dem weitgehend unauffälligen Gangbild beim Tragen von Turnschuhen. Darüber hinaus sei der Achillessehnenreflex, der bereits bei leichten polyneuropathischen Störungen meistens abgeschwächt sei, bei der gutachterlichen Untersuchung normal auslösbar gewesen. Zusammen mit fehlenden Störungen der Bewegungs- und Kraftfunktion in den Einzelmuskelprüfungen und den widersprüchlichen elektrophysiologischen Befunden bei den Voruntersuchungen sei zugunsten des Klägers von dem Vorliegen einer leichtgradigen sensiblen Polyneuropathie auszugehen. Diese könne dann auch mit einer leichtgradigen und funktionell nicht wesentlich beeinträchtigenden Gangataxie einhergehen, obwohl es hierfür im körperlichen Untersuchungsbefund keine Hinweise gegeben habe.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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