L 6 U 142/11

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 23 U 70/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 U 142/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum möglichen Zusammenhang eines Harnblasenkarzinoms mit Einwirkungen i.S. der BK-Nr. 1104 BKV
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 20.06.2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Harnblasenerkrankung als Berufskrankheit (BK) der Nummer 1104 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BK-Nr. 1104 BKV).

Der am ...1949 geborene Kläger erkrankte im Jahr 2005 an einem Harnblasenkarzinom. Der erstmalige Verdacht dieser Erkrankung wurde im Rahmen einer medizinischen Rehabilitation in der Reha-Klinik H M geäußert. Nach Bestätigung der Diagnose erfolgte die operative Entfernung des Karzinoms an der Universitätsklinik und Poliklinik für Urologie der Universität H -W.

Der Kläger wies gegenüber der Beklagten darauf hin, dass er seit Mai 1970 in der Farbenindustrie beschäftigt sei. In bestimmten Produktionszweigen sei das Harnblasenkarzinom als Berufskrankheit anerkannt.

Gegenüber der Beklagten gab der Kläger am 23.08.2005 weitere Einzelheiten seines beruflichen Werdegangs an, unter anderem auch einen Umgang mit Industriefarben, Tarnfarben, Lackfarben auf Alkydharz- und Ölbasis sowie Mal- und Künstlerfarben.

Die Arbeitgeberin des Klägers teilte am 31.08.2005 eine Belastung des Klägers durch Stäube (auch Schwermetalle, Lösungsmittel und Konserviermittel) mit.

Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten nahm am 18.11.2005 Stellung. Der Kläger habe von Mai 1970 bis 1991 bei Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten direkt in der Produktion Umgang zu Stäuben von Schwermetallen gehabt. Ein Umgang mit aromatischen Aminen habe nicht festgestellt werden können. In der Farbenfabrik, in der der Kläger beschäftigt gewesen sei, seien keine Azofarbstoffe bzw. Anilinfarben hergestellt worden.

Mit Bescheid vom 01.12.2005 verneinte die Beklagte das Vorliegen einer BK-Nr. 1301 BKV (Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine), die Erkrankung des Klägers könne auch nicht wie eine BK gemäß § 9 Abs. 2 Siebtes Buch SGB (SGB VII) anerkannt werden.

Diesen Bescheid griff der Kläger mit seinem Widerspruch vom 27.12.2005 an. Zu prüfen seien auch die Berufskrankheiten der Nrn. 1101, 1103 und 1104.

Nach gewerbeärztlicher Stellungnahme durch Dr. H vom 03.01.2006 mit der Empfehlung der Ablehnung einer BK 1301 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.2006 zurück. Darin verneinte die Beklagte weiterhin das Vorliegen einer BK-Nr. 1301 sowie einer Erkrankung gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII. Ferner führte die Beklagte aus, dass nach dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand eine beim Menschen auf das Organ Harnblase krebserzeugende Wirkung weder für Blei und seine Verbindungen (BK-Nr. 1101) noch für Chrom und seine Verbindungen (BK-Nr. 1103) und auch nicht für Cadmium und seine Verbindungen (BK-Nr. 1104) hinreichend erwiesen sei. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der am Arbeitsplatz festgestellten Einwirkung von Geruchsstoffen und der Erkrankung sei nicht hinreichend wahrscheinlich.

Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Leipzig (SG), geführt unter dem Aktenzeichen S 23 U 52/06.

Für das SG erstattete Prof. Dr. S , Direktor der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin IV – Onkologie und Hämatologie – der Universität H -W , am 18.09.2007 ein Gutachten. Im Ergebnis dieses Gutachtens führte der Sachverständige aus, dass anhand des derzeitigen Wissensstandes die Exposition von Cadmium, Blei und Antimon und deren Verbindungen als prinzipiell kanzerogen angesehen würden, insbesondere für eine Exposition mit Cadmium und Blei und deren Verbindungen sei von einem erhöhten Risiko für die Erkrankung eines Urothelkarzinoms der Harnblase auszugehen.

Beratungsärztlich nahm für die Beklagte Dr. D am 07.12.2007 Stellung. Cadmiumverbindungen seien seit 1989 als "A2 – Kanzerogen" – im Tierversuch kanzerogen – benannt worden. 1993 sei Cadmium als Humankanzerogen auf der Basis hinreichender Hinweise für Lungenkrebs eingestuft worden. Im Jahre 2004 sei Cadmium und seine Verbindungen als gesichertes Humankonzerogen als "A1 – Kanzerogen" in die MAK-Wert-Liste aufgenommen worden. Als wesentliche hinreichende Anhaltspunkte sei dabei eine Überschussmorbidität an Lungenkrebs zugrunde gelegt worden. Diskutiert worden sei zudem eine Überschussmorbidität an Nierenkrebsen, zeitweise sei auch ein Anhalt gesehen worden für ein häufigeres Auftreten von Prostatakarzinomen, dieser Zusammenhang habe aber nicht gesichert werden können. Lungen- oder Nierenkrebs liege bei dem Kläger nicht vor, es werde auch kein Hinweis auf ein Prostatakarzinom gegeben. Ein Harnblasenkarzinom sei beim Kläger histologisch nachgewiesen worden. Eine Induktion von Harnblasenkarzinomen durch Cadmium sei aus der internationalen Literatur nicht mit einer Überschusserkrankungshäufigkeit belegt. In allen aufgeführten wesentlichen Studien habe eine Überschusserkrankungshäufigkeit an Harnblasenkarzinomen nicht nachgewiesen werden können. Hinsichtlich der im Gutachten von Prof. Dr. S zugrunde gelegten Literaturstelle (KELLEN et al.) sei zu berücksichtigen, dass bei den dort berücksichtigten Harnblasenkarzinomen in cadmiumbelasteten Regionen Personen mit erhöhter Cadmium-Ausscheidung im Urin häufiger den Befund eines Harnblasenkarzinoms zeigten. Beim Vergleich der beiden Gruppen habe sich allerdings herausgestellt, dass in der Gruppe der Harnblasenkarzinomträger wesentlich mehr Männer und Raucher gewesen seien. Das Zigarettenrauchen gelte als eine besondere Ursache für die Auslösung von Harnblasenkarzinomen, außerdem seien Raucher gegenüber Cadmium stärker exponiert als Nichtraucher. Da die exponierten Studien unterschiedlichster Autoren, bei denen von einer wesentlich höheren Cadmium-Exposition als durch eine Umweltbelastungen auszugehen sei, keine erhöhte Erkrankungshäufigkeit gegenüber Harnblasenkarzinomen aufwiesen, sei ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich. Zu beachten sie auch, dass in Karzinomgewebe eine höhere Cadmiumkonzentration beobachtet worden sei, dadurch könne in der obigen Studie durchaus auch die erhöhte Cadmiumausscheidung im Urin bei Harnblasenkarzinomen resultieren.

Die Arbeitgeberin des Klägers führte zur Exposition ergänzend aus, dass dieser auch Umgang mit Nitraten und Chrom – VI – Verbindungen gehabt habe.

Prof. Dr. S nahm gegenüber dem SG am 22.12.2008 ergänzend Stellung. Hinsichtlich der Exposition gegenüber Cadmium sei die Kritik von Dr. D an der von ihm zugrunde gelegten Studie nicht gerechtfertigt. Auch nach Berücksichtigung von potenziellen Co-Variablen sei ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer Cadmiumexposition und der Entstehung eines Harnblasenkarzinoms zu beobachten.

Dr. D nahm erneut beratungsärztlich Stellung am 22.02.2009 und hielt seine Kritik an der von Prof. Dr. S herangezogenen Studie aufrecht. Hinsichtlich einer Cadmiumexposition sei eine Beziehung zum Auftreten von Lungenkrebsen gesichert, eine sichere kanzerogene Wirkung auf die Harnblase sei nicht belegt.

Mit Urteil vom 08.06.2009 stellte das SG fest, dass die bei dem Kläger vorliegende Harnblasenerkrankung eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII darstelle und wies im Übrigen die Klage ab.

Im sich anschließenden Berufungsverfahren (Aktenzeichen L 2 U 154/09) hob das Sächsische Landessozialgericht mit Urteil vom 25.03.2010 das Urteil des SG auf und wies die Klage ab.

Nach Beendigung des gerichtlichen Verfahrens erließ die Beklagte am 11.05.2010 einen weiteren Bescheid und lehnt darin eine BK-Nr. 1104 BKV (Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen) ab. Zwar habe der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit zumindest zeitweise Kontakt zu Cadmium-Pigmenten gehabt. Nach derzeitigem arbeitsmedizinischen Erkenntnisstand sei Cadmium oder seine Verbindungen nicht generell geeignet, eine Krebserkrankung der Harnblase mit Wahrscheinlichkeit zu verursachen.

Diesen Bescheid griff der Kläger mit seinem Widerspruch vom 11.05.2010 an. Nach dem Gutachten von Prof. Dr. S liege eine Krankheitsverursachung durch Cadmium vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen die Ablehnung der BK-Nr. 1104 BKV zurück. Sie könne sich der Auffassung von Prof. Dr. S nicht anschließen. Die von ihm herangezogene Studie sei nicht aussagekräftig, es seinen Personen einbezogen worden, die verschiedenen Stoffen ausgesetzt gewesen seien. Bei dem Vergleich der beiden Gruppen habe sich herausgestellt, dass wesentlich mehr Männer und Raucher in der Gruppe gewesen seien, bei denen eine Krebserkrankung der Harnblase vorgelegen habe. Das Zigarettenrauchen gelte als besondere Ursache für die Auslösung von Harnblasenkarzinomen. Eine grundsätzliche Aussage, dass der Kausalzusammenhang zwischen einer Einwirkung von Cadmium und einer Harnblasenkrebserkrankung zu bejahen sei, könne anhand dieser Studie nicht getroffen werden.

Hiergegen hat der Kläger am 18.04.2011 wiederum Klage zum SG erhoben und zur Begründung weiterhin auf das Gutachten von Prof. Dr. S verwiesen. Da er – der Kläger – bereits seit 1978 mit dem aktiven Rauchen aufgehört habe, sei das Argument des Nikotinabusus nicht relevant. Eine Verursachung des Harnblasenkarzinoms durch Nikotinabusus sei ausgeschlossen.

Mit Urteil vom 20.06.2011 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 11.05.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2011 aufgehoben und festgestellt, dass die bei dem Kläger vorliegende Harnblasenerkrankung einer BK nach Nr. 1104 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung darstellt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: " Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Nach Nr. 1104 der Anlage zur BKV gehört zu den Berufskrankheiten auch eine Erkrankung durch Cadmium oder seine Verbindungen. Wie bei jeder Berufskrankheit müssen für die Bejahung der tatbestandlichen Voraussetzungen zum einen in der Person des Versicherten die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen im Vollbeweis dargetan sein, d.h. es muss erwiesen sein, dass der Versicherte im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der Berufskrankheit ausgesetzt gewesen ist, die nach Ausmaß und Intensität geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Zum anderen muss die umschriebene Listenkrankheit, d.h. vorliegend auch eine Erkrankung durch Cadmium oder seine Verbindungen, nachgewiesen sein. Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen den versicherten schädigenden Einwirkungen und der Listenerkrankung gilt die auch sonst im Unfallversicherungsrecht geltende Lehre von der wesentlichen Bedingung (vgl. etwa BSG, Urteil vom 20. Januar 1987 – 2 RU 27/86, BSGE 61, 127, 129), wonach grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs ausreicht.

Vorliegend war der Kläger unzweifelhaft Cadmium und seinen Verbindungen ausgesetzt. Nach der Überzeugung der Kammer war diese Einwirkung auch ursächlich für die Harnblasenerkrankung. Insoweit macht sich die erkennende Kammer nach eigener Prüfung die nachfolgend wiedergegebenen Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 08. Juni 2009 (S 23 U 52/06) zur "Wie-BK" zu Eigen, die sinngemäß auf die BK 1104 zu übertragen sind:

Die erkennende Kammer schließt sich insoweit den sie überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S in seinem Gutachten vom 18. September 2007 und der ergänzenden Stellungnahme vom 22. Dezember 2008 an. Ergänzend und zusammenfassend zu den oben ausführlich dargestellten Bewertungen des Sachverständigen ist hervorzuheben, dass der Kläger ausweislich der Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten im Rahmen der offenen Farbherstellung ohne Absaugung oder Entstaubung und ohne persönliche Schutzausrüstung über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren vor allem einer im Vergleich zur Normalbevölkerung erhöhten Cadmium-Exposition ausgesetzt war. Hierzu hat der Sachverständige unter Hervorhebung der Arbeit von Kellen (2007) ausgeführt, dass eine Fall-Kontroll-Studie bei 172 Patienten mit Harnblasenkarzinom einen Zusammenhang bestätigen konnte. Die daraus abzuleitenden Schlüsse einer Beteiligung von Cadmium an der Ätiologie von malignen Urotheltransformationen bei Harnblasenkarzinomen sind durch die vom Sachverständigen aufgeführten In-vitro-Versuche, die in den Arbeiten von Sens (2004) und Somji (2006) dokumentiert wurden, bestätigt worden. Gleichfalls hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme darauf hingewiesen, dass sich entsprechende Anhaltspunkte auch schon in den Arbeiten von Darewicz (1998) und Siemiatycki (1994) gefunden haben. Den hiergegen vom Beratungsarzt der Beklagten erhobenen Einwand einer nicht hinreichenden Berücksichtigung von Kovariablen vermochte der Sachverständige Prof. Dr. S in seiner ergänzenden Stellungnahme eindrucksvoll zu widerlegen. Hierzu hat er nochmals die methodische Herangehensweise der Studie von Kellen dargelegt und aufgezeigt, dass und inwieweit die Kovariablen entsprechend berücksichtigt wurden. Ergänzend ist nochmals darauf hinzuweisen, dass sich nach Pitard (2001) das Risiko nach dem Ende des aktiven Nikotinabusus vermindert und nach ca. 20 Jahren nahezu dem der nichtrauchenden Bevölkerung gleicht. Der Kläger hat entsprechend seinen Angaben gegenüber dem Sachverständigen bereits im Jahr 1978 das Rauchen aufgegeben, so dass die Risikoerhöhung durch den Nikotinabusus als gering einzuschätzen ist. In einer für die Kammer nachvollziehbaren Weise hat der Sachverständige Prof. Dr. S in seiner ergänzenden Stellungnahme auch auf den Einwand des Beratungsarztes der Beklagten reagiert, dass nach anderen Untersuchungen eine erhöhte Erkrankungshäufigkeit für Harnblasenkarzinome nach Cadmiumexpositionen nicht haben beobachtet werden können. Entscheidend ist insoweit auch nach Auffassung der Kammer die konkrete Fragestellung, die sich sowohl speziell auf die Cadmiumexposition wie auch auf das Auftreten eines Karzinoms in Gestalt eines Harnblasenkarzinoms beziehen muss. Soweit für die Kammer ersichtlich, ist die Arbeit von Kellen die einzige, der eine solche Fragestellung zu Grunde lag.

Die Kammer ist sich zwar durchaus darüber im Klaren, dass der Stand der medizinischen Wissenschaft nicht aus einzelnen Veröffentlichungen ableitbar ist. Sie sieht jedoch in der vom Sachverständigen ausgewerteten umfangreichen Literatur unter Einschluss von validen Fall-Kontroll-Studien hinreichende Anhaltspunkte für die von ihr getroffene Feststellung, dass die Erkrankung des Klägers wie eine Berufskrankheit von der Beklagten zu entschädigen ist. "

Gegen das der Beklagten am 23.06.2011 zugestellte Urteil hat sie am 30.06.2011 beim Sächsischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. In der juristisch-medizinischen Literatur zur BK-Nr. 1104 BKV fänden sich keine Hinweise darauf, dass Cadmium geeignet sei, ein Harnblasenkarzinom zu verursachen. Auch aus der aktuellen "Wissenschaftlichen Stellungnahme zur BK-Nr. 1104 BKV" des ärztlichen Sachverständigenbeirats sei ein solcher Zusammenhang nicht abzuleiten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 20.06.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 20.06.2011 zurückzuweisen.

Zur Begründung hat der Kläger die Argumente aus dem erstinstanzlichen Verfahren wiederholt.

Auf Antrag des Klägers hat am 28.02.2013 nach Untersuchung des Klägers am 31.10.2012 Prof. Dr. G , Arzt für Arbeitsmedizin, Umweltmedizin, Leiter der ZE klinische Arbeitsmedizin am L -I für Arbeitsforschung an der TU D , ein ärztliches Gutachten nach § 109 SGG erstattet. Prof. Dr. G führt in seinem Gutachten aus, dass die von Prof. Dr. S in seinem Gutachten herangezogene Studie von KELLEN et al. (2006) bislang durch keine weitere Publikation habe bestätigt werden können. Bei dem Kläger sei eine Tätigkeit als Elektriker zu berücksichtigen, bei der er Kabel mit sogenanntem "Kabelblut" verlegt habe. Kabelblut habe aus teerhaltigen Produkten bestanden, so dass eine Exposition gegen aromatische Amine bestanden habe. Auch habe bei der Befragung des Klägers eine Exposition gegen Sprengschwaden in den Jahren 1965 bis 1968 bestanden. Vor diesem Hintergrund seien die BK-Nrn. 1301 und 1304 in Betracht zu ziehen. Der Kläger sei zwar unter anderem gegenüber Cadmium exponiert gewesen. Es gäbe aber keine in der Literatur belegten Angaben zum Ausmaß und Zeitraum, die für eine Auslösung einer Harnblasenkrebserkrankung durch diesen Stoff erforderlich sind. Gleichzeitig hat Prof. Dr. G eine ergänzende Stellungnahme des TAD des Beklagten angeregt.

Die Beklagte hat die ergänzende Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition ihres TAD vom 04.09.2013 zur Akte gereicht. Im Ergebnis dieser Stellungnahme wurden für die Zeit von September 1962 bis Februar 1968 Expositionen im Sinne der BK-Nrn. 1301, 1101, 1103 und 1104 der Anlage 2 zur BKV verneint.

Prof. Dr. G hat am 23.04.2014 ergänzend zu seinem Gutachten Stellung genommen und zur Exposition gegen Cadmium ausgeführt, dass die aktuelle epidemiologische Literatur nicht die Auslösung von Harnblasenkarzinomen durch Cadmium stütze. Die Bewertung von Prof. Dr. S basiere auf experimentellen Untersuchungen und mechanistischen Überlegungen.

Dem Senat liegen die Gerichtsakte beider Instanzen sowie die Gerichtsakte des SG zum Aktenzeichen S 23 U 52/06 und die Verwaltungsakten der Beklagten vor. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die bei ihm festgestellte Erkrankung der Harnblase eine BK-Nr. 1104 BKV ist. Der von ihm angefochtene Bescheid der Beklagten vom 11.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2011 ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 07.09.2004, Az.: B 2 U 35/03 R und B 2 U 45/03 R) ist das klägerische, auf Anerkennung einer Erkrankung als BK gerichtete Begehren als Feststellungsklage i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - auszulegen. Ein berechtigtes Interesse des Klägers an dieser Feststellung besteht, weil es die Vorfrage für die Entscheidung der Beklagten über die zu gewährenden Leistungen darstellt. Eine Entscheidung hierüber war dem Senat verwehrt, weil die Beklagte über einzelne in Betracht kommende Leistungen noch keine Entscheidung getroffen hat (BSG, a.a.O.).

Entsprechend der grundsätzlichen Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die BK-Nr. 1104 BKV bezeichnet Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen.

Voraussetzung für die Annahme einer BK ist einerseits der Nachweis einer entsprechenden Exposition im Rahmen der versicherten Tätigkeit sowie auch der Nachweis einer Erkrankung, die der entsprechenden Berufskrankheit zuzuordnen ist. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden.

Darüber hinaus ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (so genannte haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Tätigkeit und der Erkrankung andererseits (so genannte haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Grundvoraussetzung dafür, dass eine Erkrankung als Folge einer beruflichen Einwirkung anerkannt werden kann, ist, dass die berufliche Einwirkung nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der vorliegende Gesundheitsschaden entfiele (Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne [conditio sine qua non]). Hierbei ist im Sinne einer objektiven Verursachung (Kausalität) ein nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand der einschlägigen Fachkunde (Erfahrung, Wissenschaft) geprüfter und festgestellte Wirkungszusammenhang zwischen Ursache und Wirkung heranzuziehen; ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang reicht hierfür nicht aus (BSG, Urteil vom 24.07.2012, Az. B 2 U 9/11 R). Der Ursachenzusammenhang zwischen beruflicher Einwirkung und Gesundheitsschaden muss nach ständiger Rechtsprechung des BSG im Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit nachweisbar sein (BSGE 45, 285); bei vernünftiger Abwägung aller Umstände des Einzelfalls muss den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommen, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 32, 203, 209).

Auf den Fall des Klägers bezogen ist zwar eine Exposition im Rahmen der versicherten Tätigkeit gegenüber Cadmium ausweislich der Stellungnahme des TAD vom 18.11.2005 gegeben. Die bei dem Kläger nachgewiesene Erkrankung Harnblasenkarzinom ist jedoch nicht im Sinn der conditio-sine-qua-non im Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit mit dieser Exposition in Zusammenhang zu bringen. Wie dargelegt ist für die Beurteilung dieses Zusammenhangs die herrschende medizinische Lehrmeinung heranzuziehen. Die herrschende medizinische Lehrmeinung wird nicht begründet durch einzelne Studien oder einzelne Auffassungen von Wissenschaftlern. Vielmehr muss sich eine solche Auffassung verbreitet durchgesetzt haben. Diesen vom BSG geforderten "geprüften und festgestellten Wirkungszusammenhang" konnte der Senat vorliegend nicht erkennen.

Der Senat greift zurück auf die Ausführungen von Prof. Dr. G und Dr. D. Beide stimmen dahingehend überein, dass die Studie von KELLEN et al. (2006) zwar einen Zusammenhang zwischen Cadmium und Harnblasenkarzinom in Betracht zieht, sich diese Studie jedoch nicht dahingehend verdichtet, dass sie als herrschende wissenschaftliche Lehrmeinung anzusehen ist. So führt Prof. Dr. G aus, dass die aktuelle epidemiologische Literatur die Auslösung von Harnblasenkarzinomen durch Cadmium nicht stütze (ergänzende Stellungnahme vom 23.04.2014). Im Gutachten vom 28.02.2013 führt Prof. Dr. G aus, dass sich in der aktuellen MAK-Begründung vom 2004 keine Arbeiten zu einem erhöhten Harnblasenkarzinom-Risiko bezogen auf Cadmium fänden. Die Arbeit von KELLEN et al. (2006) sei bislang die einzige Arbeit, die auf ein erhöhtes Harnblasenkarzinom-Erkrankungsrisiko bei Cadmiumexposition hinweise. Eine Arbeit von VERHOEVEN et al. (2011) beschreibe zwar auch ein erhöhtes Harnblasenkarzinom-Risiko, könne aber keinen Zusammenhang mit einer erhöhten Cadmium-Belastung herstellen. Somit sei die Beobachtung von KELLEN et al. bislang nicht durch weitere Publikationen bestätigt worden. Dies steht im Einklang mit den Bewertungen von Dr. D vom 07.12.2007 und vom 22.02.2009, wonach bezogen auf Cadmium und seine Verbindungen zwar eine Humankanzerogenität für Lungenkrebs angenommen wurde und auch eine Verursachung von Nierenkrebs und Prostatakrebs diskutiert wurde, solche Erkrankungen lägen bei dem Kläger jedoch nicht vor. Eine Induktion eines Harnblasenkarzinoms durch Cadmium sei aus der internationalen Literatur jedoch nicht mit einer Überschusserkrankungshäufigkeit belegt.

Soweit Dr. D ergänzend zur Studie von KELLEN et al. ausführt, dass bei dieser Studie die Gruppe der Harnblasenkarzinomträger überwiegend Männer und Raucher gewesen seien und Zigarettenrauchen als eine besondere Ursache für die Auslösung von Harnblasenkarzinomen gelte, ist daraus nicht der Schluss zu ziehen, dass aufgrund des langjährigen Nichtrauchens des Klägers eine Verursachung des Harnblasenkarzinoms durch Cadmium angenommen werden müsse. Vielmehr handelt es sich bei den Darlegungen von Dr. D um grundsätzliche Auswertungen der Studie. Wenn demnach die Harnblasenkarzinomträger zu 83,1 % Raucher waren und gleichzeitig auch gegenüber Cadmium exponiert waren, könnte daher auch ein Großteil der Harnblasenkarzinome auf Zigarettenrauchen zurückgeführt werden. Ein Rückschluss dergestalt, dass bei einem langjährigen Nichtraucher nur die Verursachung durch die Cadmium-Exposition in Betracht komme, ist daraus jedoch nicht zu ziehen. Prof. Dr. G führt in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23.04.2014 ferner aus, dass durch die aktuelle epidemiologische Literatur die Auslösung von Harnblasenkarzinomen durch Cadmium nicht gestützt werde, ein solcher Zusammenhang werde durch Prof. Dr. S nur aufgrund experimenteller Untersuchungen und mechanistischer Überlegungen gestützt. Unfallrechtlich ist dies gleichzusetzten damit, dass zwar die Verursachung eines Harnblasenkarzinoms durch eine Exposition gegenüber Cadmium nicht ausgeschlossen werden kann, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne der Rechtsprechung des BSG ergibt sich jedoch nicht. Die Ausführungen von Prof. Dr. G stehen im Einklang mit der unfallrechtlichen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 1227 f.) und auch mit der aktuellen Wissenschaftlichen Stellungnahme zu der BK-Nr. 1104 BKV des ärztlichen Sachverständigenbeirats (Bek. des BMAS vom 20.01.2014 – IV a 4-45222-1104- GMBl. 6/2014, S. 110 ff.). Danach sind anerkannte Zielorgane der toxischen Wirkung von Cadmium und seiner anorganischen Verbindungen, d. h. i.S. der BK-Nr. 1104 BKV die Atemwege, die Lunge, die Nieren und die Knochen. Hingegen habe sich eine Verursachung u.a. von Harnblasenkrebs epidemiologisch und tierexperimentell bisher nicht hinreichend verdichtet. Damit ist für den Senat derzeit keine herrschende wissenschaftliche Lehrmeinung existent, die einen Zusammenhang zwischen einer Exposition i.S. der BK-Nr. 1104 BKV und einem Harnblasenkarzinom dem Grunde nach bejaht. Wenn eine Studie, die einen solchen Zusammenhang in Betracht zieht, weder durch weitere Studien bestätigt werden konnte, noch bislang in der weitergehenden wissenschaftlichen Literatur die Ergebnisse dieser Studie als herrschende wissenschaftliche Lehrmeinung anerkannt werden, ist eine Verursachung nicht im Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit zu rechtfertigen.

Da die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer Cadmiumexposition und einer Erkrankung an einem Harnblasenkarzinom im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung für die Anerkennung einer BK nicht ausreichend ist, erübrigen sich auch Erwägungen hinsichtlich einer Verursachung im Zusammenspiel mit anderen Expositionen. Auch eine solche multikausale Verursachung würde zunächst voraussetzen, dass eine kausale Verknüpfung im Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit unter Heranziehung der herrschenden medizinischen Lehrmeinung angenommen werden kann, was auf die vorliegende Konstellation gerade nicht zutrifft.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 3, 4 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.

Petschel Schuler Guericke
Rechtskraft
Aus
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