S 1 AL 195/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 1 AL 195/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 117/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 4/14 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 10. November 2009.

Der 1963 geborene Kläger ist japanischer Staatsangehöriger. Er meldete sich am 5. Oktober 2009 zum 10. November 2009 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld.

Er war zuvor nach Tätigkeiten für die C. Holdings Inc. in Japan sowie vom 1. Juni 1995 bis 31. Dezember 2008 als Augenoptiker und Filialleiter bei einer Tochtergesellschaft der C. International GmbH, zunächst in C-Stadt, ab November 2001 in D-Stadt und anschließend nach Versetzung zur Muttergesellschaft in E-Stadt ab 1. Januar 2009 bis 25. Oktober 2009 wieder in seiner Heimat beschäftigt.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 25. November 2009 ab, da die Anwartschaftszeit nicht erfüllt sei. Der Kläger sei innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem 10. November 2009 weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen.

Hiergegen legte der Kläger am 15. Dezember 2009 Widerspruch ein, der am 22. Februar 2010 begründet worden ist. Zunächst seien bis Dezember 2000 von der ehemaligen Arbeitgeberin Sozialversicherungsbeiträge an deutsche Träger abgeführt worden. Nach Inkrafttreten des deutsch-japanischen Sozialversicherungsabkommens vom 20. April 1998 zum 1. Februar 2000 seien entsandte Arbeitnehmer für einen Zeitraum von 60 Monaten weiterhin in ihrem Heimatland zu versichern. Im Zuge dessen habe die ehemalige Arbeitgeberin an deutsche Träger bereits ab 1. Januar 2000 keine Sozialversicherungsbeiträge mehr entrichtet. Erst ab 1. Februar 2008 seien wieder Beiträge zur deutschen Sozialversicherung gezahlt worden bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2008. Er sei regulärer Arbeitnehmer und nicht im Sinne des Abkommens entsandt gewesen. Unabhängig davon hätten nur vom 1. Februar 2000 bis 1. Februar 2005 Beiträge an japanische Träger abgeführt werden dürfen. Die unzulässige Nichtabführung von Beiträgen könne nicht zu seinen Lasten gehen.

Nach mehrfachen Rückfragen der Beklagten bei der Niederlassung der ehemaligen Arbeitgeberin in C-Stadt ging über diese eine Stellungnahme des japanischen Mutterkonzerns (Blatt 66 der Leistungsakte) ein, wonach der Kläger nur vorübergehend und aufgrund befristeter Verträge für jeweils drei Jahre, die jederzeit hätten beendet werden können, beschäftigt gewesen sei. Die Rückkehr nach Japan sei zum 1. Januar 2009 entschieden worden. Der Kläger habe das Arbeitsverhältnis zum 25. Oktober 2009 selbst aufgegeben.

Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. März 2010 zurück. Innerhalb der Rahmenfrist vom 10. November 2007 bis 9. November 2009 seien nicht mindestens zwölf Monate feststellbar, in denen der Kläger in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe oder versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Der Kläger unterliege bei einer Beschäftigung im Inland im Wege der Einstrahlung nicht den deutschen Vorschriften über das Recht der Arbeitsförderung, wenn es sich um eine Entsendung im Rahmen eines im Ausland bestehenden Rechtsverhältnisses handele. Nach Angaben seines Arbeitgebers sei der Kläger seit 1995 als entsandter Arbeitnehmer beschäftigt gewesen und von der japanischen Gesellschaft in die deutsche Niederlassung versetzt worden. Der Vertrag sei alle drei Jahre verlängert worden mit der Option, dass er jederzeit unter der Bedingung der Rückkehr habe beendet werden können. Es habe somit von vornherein festgestanden, dass das Arbeitsverhältnis nach einer im Voraus begrenzten Inlandstätigkeit im Entsendeland wieder habe aufleben sollen. Die Zeit der Entsendung sei nicht als versicherungspflichtige Zeit anzuerkennen.

Der am 12. April 2010 beim Sozialgericht Frankfurt am Main gestellte Antrag auf Leistungsgewährung durch Erlass einer einstweiligen Anordnung blieb erfolglos. Die gegen den ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts vom 28. Mai 2010 (S 1 AL 176/10 ER) eingelegte Beschwerde wies das Hessische Landessozialgericht mit Beschluss vom 11. November 2010 (L 7 AL 108/10 B ER) zurück.

Am 20. April 2010 hat der Kläger beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben und sich gegen die getroffene Entscheidung der Beklagten gewandt. Zu Beginn seiner Anstellung in Deutschland sei ihm von dem damaligen Geschäftsführer in C-Stadt mitgeteilt worden, dass nicht beabsichtigt sei, ihn nach Japan zurückzuschicken. Ein Teil seines Gehalts sei aus Japan, der andere von der C. GmbH angewiesen worden. Arbeitsanweisungen habe er während der Dauer seiner Beschäftigung nur von den Geschäftsführern der C. International GmbH und nicht aus Japan erhalten. Entgegen der Auffassung der Beklagten liege keine Einstrahlung vor, da der Schwerpunkt der Beschäftigung über zwölf Jahre bei der C. GmbH und nicht bei der japanischen Konzernmutter gelegen habe. Auch von einer Entsendung könne vorliegend keine Rede sein, weil hierfür ein vorübergehender Charakter der Tätigkeit erforderlich sei. Zwar möge die Befristung eines Arbeitsverhältnisses hierfür sprechen. Folge jedoch eine Befristung auf eine andere, sei dies ein Indiz dafür, dass sich die Beschäftigung in eine solche im Inland gewandelt habe. Dann aber habe er auch in der Zeit vom 1. Februar 2000 bis zum 31. Januar 2008 in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden und die Anwartschaftszeit erfüllt. Auch wenn man von einem ausländischen Beschäftigungsverhältnis ausgehe, sei er nach den am 1. Februar 2000 in Kraft getretenen Bestimmungen des deutsch-japanischen Sozialversicherungsabkommens nach Ablauf von 60 Monaten einer Beschäftigung in Deutschland versicherungspflichtig gewesen. Über den 1. Februar 2005 hinaus habe die Befreiung von der Versicherungspflicht im Inland lediglich auf gemeinsamen Antrag des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers verlängert werden können, was vorliegend nicht geschehen sei. Die bloße Bescheinigung der japanischen Verbindungsstelle, dass die dortigen Rentengesetze Anwendung fänden, sei nicht ausreichend.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 26. November 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. März 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ab 10. November 2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hält die getroffene Entscheidung für zutreffend und bezieht sich zur Begründung auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren. Auch nach dem Ergebnis der zwischenzeitlich erfolgten Betriebsprüfung bei der C. International GmbH am 5. August 2010 ergebe sich, dass bis 31. Januar 2008 keine beitragspflichtige Beschäftigung vorgelegen habe.

Das Gericht hat die Übersetzung der vom Kläger vorgelegten Verträge aus der japanischen in die deutsche Sprache veranlasst. Insoweit wird auf Blatt 65 ff. der Gerichtsakte verwiesen.

Hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der erledigten Verfahrensakte S 1 AL 176/10 ER Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig, denn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Arbeitslosengeld liegen ab 10. November 2009 nicht vor.

Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit haben gemäß § 118 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (Nr. 1), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (Nr. 3). Die Anwartschaftszeit hat nach § 123 Satz 1 SGB III erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld, § 124 Abs. 1 SGB III.

Innerhalb der sich danach zu bestimmenden Rahmenfrist vom 10. November 2007 bis 9. November 2009 sind tatsächlich vom 1. Februar bis 31. Dezember 2008, mithin weniger als zwölf Monate, Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet worden. Zwar kommt es hierauf nicht entscheidend an, weil maßgeblich ist, ob der Kläger in der Rahmenfrist in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Das ist aber nach Auffassung der Kammer zu verneinen.

Auszugehen ist davon, dass sich die Versicherungspflicht von Beschäftigten (in der Arbeitslosenversicherung gemäß §§ 24, 25 SGB III) nach dem Recht des Staates richtet, in dessen Hoheitsgebiet die Beschäftigung ausgeübt wird, § 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften (SGB IV). Abweichend hiervon gilt aber etwas anderes dann, wenn Personen im Rahmen eines außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in diesen Geltungsbereich nach Maßgabe von § 5 Abs. 1 SGB IV entsandt werden oder - wie hier - vorrangige Regelungen in einem Sozialversicherungsabkommen (§ 6 SGB IV) bestehen.

Der Kläger war aufgrund eines in Japan bestehenden Arbeitsverhältnisses mit der C. Holdings Inc. an die Tochtergesellschaft C. International GmbH, C-Stadt, jeweils zeitlich befristet für drei Jahre, nach Deutschland entsandt. Neben der bereits im Verwaltungsverfahren eingeholten schriftlichen Stellungnahme der Arbeitgeberin aus Japan (Blatt 66 der Leistungsakte) ergibt sich dies ausdrücklich aus dem Inhalt der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorgelegten Vereinbarungen ("Entsendevertrag" bzw. "Memorandum"). Für die "grundlegenden Arbeitsbedingungen" (§ 3 Entsendevertrag vom 20. März 2001 bzw. jeweils Nr. 4 Memorandum) wie unter anderem Dauer der Entsendung, Gehalt, Beförderung blieb die in Japan ansässige Arbeitgeberin zuständig, während konkrete Arbeitsanweisungen naturgemäß von der Tochtergesellschaft in Deutschland erteilt werden sollten (Ziffer 4 Abs. 2 Memorandum). Der Kläger blieb Mitarbeiter der Muttergesellschaft in Japan und wurde zeitlich befristet mit Aufgaben der Tochtergesellschaft in Deutschland betraut mit der Maßgabe, dass die Dauer der Entsendung entweder verlängert oder verkürzt werden konnte (Nr. 2 Memorandum, § 2 Entsendevertrag). Die Tatsache, dass der Kläger langjährig in Deutschland gearbeitet hat, ändert nichts daran, dass unter Berücksichtigung der vorgelegten Vereinbarungen kein inländisches Arbeitsverhältnis bestanden hat. Somit ist von einem außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses auszugehen.

Nach Artikel 7, 10 Satz 1 des am 1. Februar 2000 in Kraft getretenen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan über soziale Sicherheit vom 20. April 1998 (BGBl. II 1999, S. 876 ff.), das auch für die Arbeitslosenversicherung gilt (vgl. Nr. 10 des Zusatzprotokolls, a.a.O., S. 889, 892), sind Arbeitnehmer, die von ihrem Arbeitgeber zur Ausübung einer Beschäftigung in einen anderen Vertragsstaat entsandt werden und dort eine Arbeit für diesen Arbeitgeber ausführen, bis zum Ende des 60. Kalendermonats nach Beginn der Entsendung in den anderen Vertragsstaat weiterhin nach den Rechtsvorschriften im Heimatland zu versichern. Überschreitet die Dauer der Entsendung den oben genannten Zeitraum, so kann auf gemeinsamen Antrag des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers die zuständige Behörde des anderen Vertragsstaats oder die von ihr bezeichnete Stelle diesen Arbeitnehmer von den Rechtsvorschriften dieses Vertragsstaats über die Versicherungspflicht weiterhin befreien, wenn für den Arbeitnehmer die Rechtsvorschriften des ersten Vertragsstaats über die Versicherungspflicht weiterhin gelten. Das Hessische Landessozialgericht, dessen Ausführungen sich die Kammer zu Eigen macht, hat in seinem Beschluss vom 11. November 2010 (L 7 AL 108/10 B ER) das Vorliegen dieser Voraussetzungen bejaht und ausgeführt, dass sich aus der von der Beklagten vorgelegten Bescheinigung aufgrund des deutsch-japanischen Sozialversicherungsabkommens DJ101 auch in der Zeit vom 1. Februar 2005 bis 31. Januar 2008 die Geltung japanischer Rechtsvorschriften bzw. eine Befreiung von deutschen Rechtsvorschriften, für das Arbeitsverhältnis des Klägers ergibt. Zwar hat der Kläger vorgetragen, dass es einen entsprechenden gemeinsamen Antrag nicht gebe. Hiervon ist aber in Übereinstimmung mit dem Hessischen Landessozialgericht auszugehen, da ansonsten die Bescheinigung D/J 101 über das Vorliegen einer Ausnahmevereinbarung nach Art. 10 des Abkommens nicht ausgestellt worden wäre. Dass Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht entrichtet werden, konnte der Kläger den getroffenen Vereinbarungen mit seiner ehemaligen Arbeitgeberin und den monatlichen Gehaltsabrechnungen entnehmen. Dann aber hätte es sich aufgedrängt, sich bereits 2005 hiergegen zu wenden, wenn Beiträge - auch zur Rentenversicherung - nach seiner Auffassung zu Unrecht nicht abgeführt werden.

Bestand somit keine Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung nach deutschen Vorschriften, sind in der gesetzlichen Rahmenfrist nicht mindestens zwölf Monate einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland nachgewiesen, so dass die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld ab 10. November 2009 nicht erfüllt sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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