Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 6 P 166/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 P 18/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 5/14 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Auf die Rev. der Beklagten werden die Urteile des LSG und des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen !
Neues Az. BSG = B 3 P 3/16 C
Neues Az. BSG = B 3 P 3/16 C
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 17.01.2014 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die der Klägerin und den Beigeladenen zu 1 und 2 im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten. Die Revision wird zugelassen
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zahlung des Wohngruppenzuschlages nach § 38a des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI).
Die am 00.00.1927 geborene Klägerin erhält Leistungen bei häuslicher Pflege nach der Pflegestufe I. Sie leidet im Wesentlichen an den Folgen einer Altersgebrechlichkeit, schmerzhaften Bewegungseinschränkungen bei Arthritis und einem Diabetes mellitus.
Sie lebt zusammen mit ihrem Ehemann (Beigeladener zu 1) und ihrem behinderten Sohn (Beigeladener zu 2), sowie ihren zwei Söhnen, ihrem gesetzlichen Betreuer und dem Beigeladenen zu 2, sowie der Schwiegertochter und drei volljährigen Enkeln auf einem landwirtschaftlichen Hof in einem sog. Mehrgenerationenhaus. Die im Haus befindliche Küche wird von allen gemeinsam genutzt. Die Klägerin und die Beigeladenen zu 1 und 2 nutzen zudem eine, von der übrigen Wohnung des Betreuers und seiner Familie (Ehefrau und Söhne) getrennte, gemeinsame Wohnfläche, wobei die Klägerin und ihr Ehemann ein gemeinsames Schlafzimmer und ihr Sohn, der Beigeladene zu 2, ein eigenes Schlafzimmer nutzen. Bad, Wohn- und Essraum werden von den drei Pflegebedürftigen gemeinsam genutzt. Die gesamte Familie wohnt schon seit Jahren, auch bereits vor Antragstellung im Verwaltungsverfahren, als Großfamilie zusammen.
Die Klägerin wird im Wesentlichen durch einen ambulanten Pflegedienst sowie ihre Schwiegertochter gepflegt.
Auch ihr Ehemann, der Beigeladene zu 1, erhält von der Beklagten Kombinationsleistungen bei häuslicher Pflege nach Pflegestufe I. Der Beigeladene zu 2 erhält von der Beigeladenen zu 3 ebenfalls Kombinationsleistungen bei häuslicher Pflege nach Pflegestufe II. Ebenso wie die Klägerin und der Beigeladene zu 1 wird auch er von dem ambulanten Pflegedienst und seiner Schwägerin betreut.
Im Januar 2013 beantragten die Klägerin und der Beigeladene zu 1 bei der Beklagten sowie der Beigeladene zu 2 bei der Beigeladenen zu 3 zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen nach § 38a SGB XI. Hierzu gaben sie an, in ihrer auch schon vor dem Auftreten der Pflegebedürftigkeit bestehenden Wohngemeinschaft würden sie durch die Schwiegertochter und eine Pflegekraft der Ambulanten Pflegeprofis Ibbenbüren betreut. Diese übernähmen die organisatorischen, verwaltenden und pflegerischen Aufgaben.
Die Beigeladene zu 3 bewilligte dem Beigeladenen zu 2 mit Bescheid vom 19.3.2013 den beantragten pauschalen Wohngruppenzuschlag. Hingegen lehnte die Beklagte mit Bescheiden vom 24.04.2013 die Anträge der Klägerin und des Beigeladenen zu 1 ab, weil das Zusammenleben innerhalb eines Familienverbundes (z.B. Eltern mit Kindern) nicht den Zweck der gemeinschaftlichen pflegerischen Versorgung in einer gemeinsamen Wohnung verfolge. Nach der Intention des Gesetzes solle die gemeinschaftlich selbst organisierte pflegerische Versorgung innerhalb einer Wohngruppe der Anlass des Zusammenlebens sein. Dies sei beim Zusammenleben in einem Familienverbund nicht der auslösende Tatbestand. Die hiergegen eingelegten Widersprüche wies sie mit Bescheiden vom 16.09.2013 zurück.
Die Klägerin und der Beigeladene zu 1 haben am 21.10.2013 Klagen beim Sozialgericht Münster (SG) erhoben. Das Klageverfahren des Beigeladenen zu 1 - SG Münster, S 6 P 167/13 - ruht (Beschluss des SG vom 10.04.2014). Die Klägerin hat zur Begründung ausgeführt, sie lebe mit zwei weiteren pflegebedürftigen Personen in einer gemeinschaftlichen Wohnung. Der Anspruch müsse auch dann bestehen, wenn Verwandte mit zwei weiteren pflegebedürftigen Personen in gemeinschaftlicher Wohnung zusammenleben. Auch das Zusammenleben innerhalb eines Familienverbundes könne durchaus den Zweck einer gemeinschaftlichen pflegerischen Versorgung verfolgen.
Die Beklagte hat an ihr Rechtsauffassung festgehalten und im Übrigen auf ein gemeinsames Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes vom 17.4.2013 Bezug genommen.
Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 17.01.2014 antragsgemäß zur Zahlung des Wohngruppenzuschlages ab dem 01.01.2013 verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Ausschluss von familiär verbundenen Pflegebedürftigen von der Zahlung eines Wohngruppenzuschlages sei mit Art 6 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbar. Der Wortlaut des § 38a SGB XI schließe eine entsprechende Leistungsgewährung nicht aus. Im Rahmen der gesetzlichen Regelung umfasse bei verfassungskonformer Auslegung der weite Begriff der Wohngruppe durchaus auch das gemeinsame Leben familiär verbundener Pflegebedürftiger in einem Haushalt. Der Gesetzgeber habe bei Schaffung des § 38a SGB XI das Ziel verfolgt, durch eine unbürokratische, pauschale Übernahme von Kosten, die bei einer Versorgung mehrerer Pflegebedürftiger in einer Hausgemeinschaft entstehen, die häusliche Pflege zu stärken und Anreize zu geben, eine stationäre Versorgung zu vermeiden. Dieser Zweck werde auch bei einer familiär verbundenen Wohngruppe erreicht. Es liege zudem eine verfassungswidrige Diskriminierung der Familie vor, wenn allein wegen der familiären Verbundenheit die Zahlung der Leistung ausgeschlossen sein solle.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 03.02.2014 zugestellte Urteil am 07.02.2014 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie sich erneut im wesentlichen auf das Gemeinsame Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes und der Verbände der Pflegekassen auf Bundesebene vom 17.04.2013, Stand 08.07.2013 zu § 38a SGB XI bezieht, das Folgendes empfehle: "Das Zusammenleben innerhalb eines Familienverbundes (z. B. Eltern mit Kindern, Pflegschaftsverhältnisse) verfolgt nicht den Zweck der gemeinschaftlichen pflegerischen Versorgung in einer gemeinsamen Wohnung. Insbesondere auch deshalb, weil nach Intention des Gesetzes die selbstorganisierte Versorgung innerhalb einer Wohngruppe gefördert werden soll. Von daher kommt in diesen Fällen eine Zahlung des Wohngruppenzuschlages nicht in Betracht". Hierin liege keine verfassungswidrige Diskriminierung der Familie. Zwar sei es zutreffend, dass durch die Nichtgewährung des Zuschlages für einen Familienverbund dieser finanziell schlechter gestellt werde als ambulant betreute Wohngruppen, deren Personen nicht miteinander verwandt seien. Es sei dem Gesetzgeber indes nicht verwehrt, bei der Vorgabe, nach welchen Kriterien Leistungen zu gewähren seien, Abstufungen auch nach dem Familienstand oder dem Verwandtschaftsverhältnis vorzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 17.01.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und die Beigeladenen zu 1 und zu 2 beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 3 stellt keinen Antrag.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das Gemeinsame Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes könne die gesetzliche Regelung nicht einschränken.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der die Klägerin und den Beigeladenen zu 1 betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die den Beigeladenen zu 2 betreffenden Verwaltungsakten der Beigeladenen zu 3, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Das SG hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, der Klägerin zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen ab dem 01.01.2013 zu zahlen.
Rechtsgrundlage hierfür ist § 38a SGB XI. Nach dessen Abs 1 haben Pflegebedürftige Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 200 Euro monatlich, wenn
1. sie in ambulant betreuten Wohngruppen in einer gemeinsamen Wohnung mit häuslicher pflegerischer Versorgung leben,
2. sie Leistungen nach §§ 36, 37 oder 38 beziehen,
3. in der ambulant betreuten Wohngruppe eine Pflegekraft tätig ist, die organisatorische, verwaltende oder pflegerische Tätigkeiten verrichtet, und
4. es sich um ein gemeinschaftliches Wohnen von regelmäßig mindestens drei Pflegebedürftigen handelt mit dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung, dem die jeweils maßgeblichen heimrechtlichen Vorschriften oder ihre Anforderungen an Leistungserbringer nicht entgegenstehen.
Die Klägerin erfüllt sämtliche Voraussetzungen dieser mit Wirkung vom 30.10.2012 durch das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz (PNG) vom 23.10.2012 in das SGB XI aufgenommenen Vorschrift.
Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass die Klägerin und die Beigeladenen zu 1 und 2 pflegebedürftig iSd SGB XI sind und jeweils Kombinationsleistungen nach § 38 SGB XI beziehen. Es wird auch von dem ambulanten Pflegedienst und der Schwiegertochter/Schwägerin eine gemeinschaftlich organisierte pflegerische Versorgung erbracht (§ 38a Abs 1 Ziff 3 und 4 SGB XI).
Vorliegend ist auch von einem ambulant betreuten gemeinschaftlichen Wohnen der Klägerin mit den Beigeladenen zu 2 und 3 iSd § 38a Abs 1 Ziff 1 SGB XI auszugehen. Sie leben in einem vom Haupthaus abgetrennten Wohnbereich, zu dem der Sanitärbereich und drei Aufenthaltsräume (zwei Schlafzimmer, Wohnraum) gehören und der über einen eigenen abschließbaren Zugang vom Freien verfügt (vgl hierzu Gemeinsames Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes und der Verbände der Pflegekassen auf Bundesebene zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des Pflege-VG - im Folgenden: Rundschreiben - , Stand 09.07.2014, zu § 38a SGB XI Punkt 2.1 (abgestellt im Internet unter: http://www.gkv-spitzenverband.de/pflegeversicherung/richtlinien). Diese Räume sind, ebenso wie die Küche im Haupthaus, jederzeit allen drei Pflegebedürftigen alleine und gemeinsam zugänglich und für sie nutzbar. Dass sich die für sie jederzeit zugängliche Küche im Haupthaus befindet und hier auch von der Familie des anderen Sohnes genutzt wird, steht der Annahme des gemeinsamen Wohnens der drei Pflegebedürftigen nicht entgegen. Gemeinschaftliches Wohnen in einer gemeinsamen Wohnung ist nicht auf Pflegebedürftige beschränkt. Die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in allen Bereichen unseres Lebens entspricht der gesellschaftlich angestrebten Förderung inklusiver Lebens- und Wohnformen. Soweit der Gesetzgeber in § 38a Abs 1 Ziff 4 SGB XI voraussetzt, dass es sich um ein gemeinschaftliches Wohnen mit dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten Versorgung handeln muss, wird von der Beklagten nicht in Abrede gestellt, dass dies gegeben ist. Dass daneben auch andere, den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen Rechnung tragende Gesichtspunkte, etwa besondere Beziehungen zu den Mitbewohnern, Freundschaften, gemeinsame Interessen, die Förderung des familiären Zusammenhalts, Pflege durch Mitbewohner maßgeblich für das gemeinsame Wohnen gewesen ist, steht der Zahlung des Wohngruppenzuschlags nicht entgegen. So sehen das auch die Spitzenverbände in ihrem aktuellen Rundschreiben, Stand 09.07.2014 unter Punkt 2.2. (aaO). Danach können sich über die mindestens drei Pflegebedürftigen hinaus der Wohngruppe auch Personen anschließen, die nicht pflegebedürftig im Sinne der §§ 14, 15 SGB XI sind.
Entgegen der Ansicht der Beklagten steht der Umstand, dass die drei Pflegebedürftigen wie schon vor Eintritt der Pflegebedürftigkeit weiterhin in einer Großfamilie in einem Familienverbund zusammenleben, dem Anspruch auf Zahlung des Wohngruppenzuschlags nicht entgegen. Anders als beispielsweise bei der Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI), bei der die Höhe der Leistung bei Pflege durch Verwandte eingeschränkt ist, enthält § 38a SGB XI entsprechende einschränkende Vorgaben gerade nicht. Auch in der Gesetzesbegündung (BT-Drs 17/9369 S 40 f) finden sich keine Hinweise auf eine einschränkende Auslegung. Insoweit geht der Hinweis der Beklagten, der Gesetzgeber könne Abstufungen auch nach Familienstand oder dem Verwandtschaftsverhältnis vornehmen, an der Sache vorbei. Hätte der Gesetzgeber einen entsprechenden Ausschluss gewollt, hätte er ihn ausdrücklich in die Vorschrift aufgenommen. So hat er an anderer Stelle durchaus leistungseinschränkende/oder ausschließende Vorgaben für Leistungsansprüche bei familiärer gegenüber professioneller Pflege gemacht, etwa bei der vorgenannten Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI. Hier ist, anders als bei der Wohngruppenpauschale, die Höhe der Leistung danach gestaffelt, ob die Ersatzpflege durch Angehörige oder andere Personen durchgeführt wird. Das Fehlen entsprechender Vorgaben für den Wohngruppenzuschlag verdeutlicht, dass Familien eben nicht vom Leistungsbezug ausgeschlossen werden sollen.
Soweit die Beklagte auf das bereits angeführte Rundschreiben zu § 38a Punkt 2.2, Stand 06.07.2013 (Fassung 06.07.2013 abgedruckt in B. Grüner, Praxiskommentar zum Pflege-Neuausrichtungsgesetz, § 38a S. 161,163) hinweist, nach der das Zusammenleben innerhalb eines Familienbundes (Eltern mit Kindern, Pflegschaftsverhältnisse) nach der Intention des Gesetzgeber nicht den Zweck der gemeinschaftlichen pflegerischen Versorgung verfolge, so teilt der Senat diese Beurteilung jedenfalls dann nicht, wenn erwachsene Pflegebedürftige in einer Großfamilie zusammen bleiben, weil sich hier die gemeinschaftliche Pflege in häuslicher Umgebung organisatorisch leichter durchführen lässt, als in fremder Umgebung, zudem den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen Rechnung getragen und möglicherweise sogar die stationäre Pflege vermieden wird.
Der Ausschluss familiär verbundener Wohngruppen, die mit nicht behinderten Familienmitglieder zusammenleben entspricht entgegen der Ansicht der Beklagten nicht der Intention des Gesetzgebers. § 38 a SGB XI ist Teil der mit dem PNG neu eingeführten Regelungen zur Förderung der ambulant betreuten Wohngruppen und geht auf Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung nach § 18 Abs 3 SGB XI zurück (vgl hierzu Behrend in jurisPK-SGB XI, Rn 4 ff zu § 38a SGB XI). Die Förderung geschieht als Anschubfinanzierung nach § 45e SGB XI sowie durch laufende Leistungen nach § 38a SGB XI und ergänzend durch § 40 Abs 4 SGB XI. Seit Jahren werden für pflege- und betreuungsbedürftige Menschen neue Wohnformen im Bereich zwischen ambulanter und stationärer Versorgung erprobt (vgl hierzu etwa: Dalichau, Gerhard, Förderung neuer Wohnformen - ambulant betreute Wohngruppen nach den PNG, GuP 2013, S 50 ff). Diese Wohnformen entsprechen nach Auffassung des Gesetzgebers (BT-Drs 17/9369 S 20) den Bedürfnissen vieler Pflegebedürftiger; sie sollen auch dazu beitragen, die kostenintensivere stationäre Pflege zu vermeiden (vgl hierzu auch Griep, Heinrich, Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI in: Sozialrecht aktuell 2013, S. 186 ff mwN). Dem Senat verschließt sich, an welchem Punkt die Beklagte ihren Leistungsausschluss orientieren möchte. Dass die in einer Wohngruppe zusammenlebenden Pflegebedürftigen familiär verbunden sind, kann kein Kriterium sein. Gleichermaßen nicht, dass sie mit weiteren nicht pflegebedürftigen Familienmitgliedern zusammenwohnen. Das Bestehen familienrechtliche Unterstützungspflichten kann schließlich auch kein Anknüpfungspunkt sein, denn der pauschale Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI ergänzt nicht den privaten Pflegeaufwand, für den die ambulanten Sachleistungen nach §§ 36, 37, 38 SGB XI gewährt werden, sondern mit ihm soll in erster Linie den besonderen Aufwendungen der Organisation von Wohngruppen Rechnung getragen werden (vgl BT-Drs 17/9369, S 40). Entsprechende, im Übrigen auch nicht nachzuweisende, Aufwendungen bestehen unabhängig davon, wie sich die Wohngruppe zusammensetzt und wie sie strukturiert ist. Die Betreuung von zwei erheblich und einem schwer Pflegebedürftigen geht schließlich über die familiären unterhaltsrechtlichen Beistandspflichten hinaus. Der Wohngruppenzuschlag dient dem Ausgleich der besonderen organisatorischen Belastungen, denen eine solche Gemeinschaft ausgesetzt ist.
Der Klägerin steht der Wohngruppenzuschlag uneingeschränkt zu. Es finden sich keine Gesichtspunkte dafür, der mit zwei weiteren Pflegebedürftigen in einer Wohngruppe zusammenlebenden Klägerin bei der konkreten, familiär ausgerichteten Wohn- und Pflegesituation, den Anspruch zu versagen. Die Situation lässt sich auch nicht abgrenzen von Fallgestaltungen, in der die Wohngruppe nicht ausschließlich familiär zusammengesetzt ist und in der Wohnung auch Pflegepersonen mit familienrechtlichen Unterstützungspflichten wohnen oder die Wohngruppe und die pflegende Familie in einem Mehrfamilienhaus in getrennten Wohnungen leben oder in zwei Doppelhaushälften usw ... Zudem würden Familienverbünde ungerechtfertigt benachteiligt gegenüber beispielsweise Pflegebedürftigen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die das pflegebedürftige Kind oder einen pflegebedürftigen Elternteil eines der Partner aufnehmen. Der Gesetzgeber hat mit dem Wohngruppenzuschlag einen Leistungsanspruch schaffen wollen, der ohne große Formalitäten und bürokratischen Aufwand schnell und unkompliziert zu verwirklichen ist (vergleiche BT-Drs 17/9369 S 40 f). Dem widerspricht es, wenn die Leistungsträger zusätzliche Ausschlusstatbestände schaffen, die der Gesetzgeber nicht geregelt hat.
Augenscheinlich wird diese Rechtsauffassung zwischenzeitlich auch durch den GKV-Spitzenverband und die Verbände der Pflegekassen auf Bundesebene geteilt, denn die aktuelle Fassung des Rundschreibens "Stand 09.07.2014" (aaO) sieht diesen vermeintlichen, für den Senat nicht verbindlichen, Ausschlusstatbestand unter Punkt 2.2 nun nicht mehr vor.
Enthält § 38a SGB XI danach keinen Ausschlusstatbestand für die familiäre Pflege in einer familiär strukturierten Wohngruppe, kommt es auf die vom SG aufgeworfene Frage, ob bei verfassungskonformer Auslegung dieser Vorschrift ein derartiger Ausschlusstatbestand eine gegen Art 6 GG verstoßende verfassungsrechtliche Diskriminierung der Familie beinhaltet, nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und berücksichtigt bezüglich der Kosten der Beigeladenen zu 1 und 2, dass diese im Verfahren eigene Anträge gestellt haben und auch anwaltlich vertreten waren.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zahlung des Wohngruppenzuschlages nach § 38a des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI).
Die am 00.00.1927 geborene Klägerin erhält Leistungen bei häuslicher Pflege nach der Pflegestufe I. Sie leidet im Wesentlichen an den Folgen einer Altersgebrechlichkeit, schmerzhaften Bewegungseinschränkungen bei Arthritis und einem Diabetes mellitus.
Sie lebt zusammen mit ihrem Ehemann (Beigeladener zu 1) und ihrem behinderten Sohn (Beigeladener zu 2), sowie ihren zwei Söhnen, ihrem gesetzlichen Betreuer und dem Beigeladenen zu 2, sowie der Schwiegertochter und drei volljährigen Enkeln auf einem landwirtschaftlichen Hof in einem sog. Mehrgenerationenhaus. Die im Haus befindliche Küche wird von allen gemeinsam genutzt. Die Klägerin und die Beigeladenen zu 1 und 2 nutzen zudem eine, von der übrigen Wohnung des Betreuers und seiner Familie (Ehefrau und Söhne) getrennte, gemeinsame Wohnfläche, wobei die Klägerin und ihr Ehemann ein gemeinsames Schlafzimmer und ihr Sohn, der Beigeladene zu 2, ein eigenes Schlafzimmer nutzen. Bad, Wohn- und Essraum werden von den drei Pflegebedürftigen gemeinsam genutzt. Die gesamte Familie wohnt schon seit Jahren, auch bereits vor Antragstellung im Verwaltungsverfahren, als Großfamilie zusammen.
Die Klägerin wird im Wesentlichen durch einen ambulanten Pflegedienst sowie ihre Schwiegertochter gepflegt.
Auch ihr Ehemann, der Beigeladene zu 1, erhält von der Beklagten Kombinationsleistungen bei häuslicher Pflege nach Pflegestufe I. Der Beigeladene zu 2 erhält von der Beigeladenen zu 3 ebenfalls Kombinationsleistungen bei häuslicher Pflege nach Pflegestufe II. Ebenso wie die Klägerin und der Beigeladene zu 1 wird auch er von dem ambulanten Pflegedienst und seiner Schwägerin betreut.
Im Januar 2013 beantragten die Klägerin und der Beigeladene zu 1 bei der Beklagten sowie der Beigeladene zu 2 bei der Beigeladenen zu 3 zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen nach § 38a SGB XI. Hierzu gaben sie an, in ihrer auch schon vor dem Auftreten der Pflegebedürftigkeit bestehenden Wohngemeinschaft würden sie durch die Schwiegertochter und eine Pflegekraft der Ambulanten Pflegeprofis Ibbenbüren betreut. Diese übernähmen die organisatorischen, verwaltenden und pflegerischen Aufgaben.
Die Beigeladene zu 3 bewilligte dem Beigeladenen zu 2 mit Bescheid vom 19.3.2013 den beantragten pauschalen Wohngruppenzuschlag. Hingegen lehnte die Beklagte mit Bescheiden vom 24.04.2013 die Anträge der Klägerin und des Beigeladenen zu 1 ab, weil das Zusammenleben innerhalb eines Familienverbundes (z.B. Eltern mit Kindern) nicht den Zweck der gemeinschaftlichen pflegerischen Versorgung in einer gemeinsamen Wohnung verfolge. Nach der Intention des Gesetzes solle die gemeinschaftlich selbst organisierte pflegerische Versorgung innerhalb einer Wohngruppe der Anlass des Zusammenlebens sein. Dies sei beim Zusammenleben in einem Familienverbund nicht der auslösende Tatbestand. Die hiergegen eingelegten Widersprüche wies sie mit Bescheiden vom 16.09.2013 zurück.
Die Klägerin und der Beigeladene zu 1 haben am 21.10.2013 Klagen beim Sozialgericht Münster (SG) erhoben. Das Klageverfahren des Beigeladenen zu 1 - SG Münster, S 6 P 167/13 - ruht (Beschluss des SG vom 10.04.2014). Die Klägerin hat zur Begründung ausgeführt, sie lebe mit zwei weiteren pflegebedürftigen Personen in einer gemeinschaftlichen Wohnung. Der Anspruch müsse auch dann bestehen, wenn Verwandte mit zwei weiteren pflegebedürftigen Personen in gemeinschaftlicher Wohnung zusammenleben. Auch das Zusammenleben innerhalb eines Familienverbundes könne durchaus den Zweck einer gemeinschaftlichen pflegerischen Versorgung verfolgen.
Die Beklagte hat an ihr Rechtsauffassung festgehalten und im Übrigen auf ein gemeinsames Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes vom 17.4.2013 Bezug genommen.
Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 17.01.2014 antragsgemäß zur Zahlung des Wohngruppenzuschlages ab dem 01.01.2013 verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Ausschluss von familiär verbundenen Pflegebedürftigen von der Zahlung eines Wohngruppenzuschlages sei mit Art 6 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbar. Der Wortlaut des § 38a SGB XI schließe eine entsprechende Leistungsgewährung nicht aus. Im Rahmen der gesetzlichen Regelung umfasse bei verfassungskonformer Auslegung der weite Begriff der Wohngruppe durchaus auch das gemeinsame Leben familiär verbundener Pflegebedürftiger in einem Haushalt. Der Gesetzgeber habe bei Schaffung des § 38a SGB XI das Ziel verfolgt, durch eine unbürokratische, pauschale Übernahme von Kosten, die bei einer Versorgung mehrerer Pflegebedürftiger in einer Hausgemeinschaft entstehen, die häusliche Pflege zu stärken und Anreize zu geben, eine stationäre Versorgung zu vermeiden. Dieser Zweck werde auch bei einer familiär verbundenen Wohngruppe erreicht. Es liege zudem eine verfassungswidrige Diskriminierung der Familie vor, wenn allein wegen der familiären Verbundenheit die Zahlung der Leistung ausgeschlossen sein solle.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 03.02.2014 zugestellte Urteil am 07.02.2014 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie sich erneut im wesentlichen auf das Gemeinsame Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes und der Verbände der Pflegekassen auf Bundesebene vom 17.04.2013, Stand 08.07.2013 zu § 38a SGB XI bezieht, das Folgendes empfehle: "Das Zusammenleben innerhalb eines Familienverbundes (z. B. Eltern mit Kindern, Pflegschaftsverhältnisse) verfolgt nicht den Zweck der gemeinschaftlichen pflegerischen Versorgung in einer gemeinsamen Wohnung. Insbesondere auch deshalb, weil nach Intention des Gesetzes die selbstorganisierte Versorgung innerhalb einer Wohngruppe gefördert werden soll. Von daher kommt in diesen Fällen eine Zahlung des Wohngruppenzuschlages nicht in Betracht". Hierin liege keine verfassungswidrige Diskriminierung der Familie. Zwar sei es zutreffend, dass durch die Nichtgewährung des Zuschlages für einen Familienverbund dieser finanziell schlechter gestellt werde als ambulant betreute Wohngruppen, deren Personen nicht miteinander verwandt seien. Es sei dem Gesetzgeber indes nicht verwehrt, bei der Vorgabe, nach welchen Kriterien Leistungen zu gewähren seien, Abstufungen auch nach dem Familienstand oder dem Verwandtschaftsverhältnis vorzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 17.01.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und die Beigeladenen zu 1 und zu 2 beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 3 stellt keinen Antrag.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das Gemeinsame Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes könne die gesetzliche Regelung nicht einschränken.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der die Klägerin und den Beigeladenen zu 1 betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die den Beigeladenen zu 2 betreffenden Verwaltungsakten der Beigeladenen zu 3, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Das SG hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, der Klägerin zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen ab dem 01.01.2013 zu zahlen.
Rechtsgrundlage hierfür ist § 38a SGB XI. Nach dessen Abs 1 haben Pflegebedürftige Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 200 Euro monatlich, wenn
1. sie in ambulant betreuten Wohngruppen in einer gemeinsamen Wohnung mit häuslicher pflegerischer Versorgung leben,
2. sie Leistungen nach §§ 36, 37 oder 38 beziehen,
3. in der ambulant betreuten Wohngruppe eine Pflegekraft tätig ist, die organisatorische, verwaltende oder pflegerische Tätigkeiten verrichtet, und
4. es sich um ein gemeinschaftliches Wohnen von regelmäßig mindestens drei Pflegebedürftigen handelt mit dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung, dem die jeweils maßgeblichen heimrechtlichen Vorschriften oder ihre Anforderungen an Leistungserbringer nicht entgegenstehen.
Die Klägerin erfüllt sämtliche Voraussetzungen dieser mit Wirkung vom 30.10.2012 durch das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz (PNG) vom 23.10.2012 in das SGB XI aufgenommenen Vorschrift.
Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass die Klägerin und die Beigeladenen zu 1 und 2 pflegebedürftig iSd SGB XI sind und jeweils Kombinationsleistungen nach § 38 SGB XI beziehen. Es wird auch von dem ambulanten Pflegedienst und der Schwiegertochter/Schwägerin eine gemeinschaftlich organisierte pflegerische Versorgung erbracht (§ 38a Abs 1 Ziff 3 und 4 SGB XI).
Vorliegend ist auch von einem ambulant betreuten gemeinschaftlichen Wohnen der Klägerin mit den Beigeladenen zu 2 und 3 iSd § 38a Abs 1 Ziff 1 SGB XI auszugehen. Sie leben in einem vom Haupthaus abgetrennten Wohnbereich, zu dem der Sanitärbereich und drei Aufenthaltsräume (zwei Schlafzimmer, Wohnraum) gehören und der über einen eigenen abschließbaren Zugang vom Freien verfügt (vgl hierzu Gemeinsames Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes und der Verbände der Pflegekassen auf Bundesebene zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des Pflege-VG - im Folgenden: Rundschreiben - , Stand 09.07.2014, zu § 38a SGB XI Punkt 2.1 (abgestellt im Internet unter: http://www.gkv-spitzenverband.de/pflegeversicherung/richtlinien). Diese Räume sind, ebenso wie die Küche im Haupthaus, jederzeit allen drei Pflegebedürftigen alleine und gemeinsam zugänglich und für sie nutzbar. Dass sich die für sie jederzeit zugängliche Küche im Haupthaus befindet und hier auch von der Familie des anderen Sohnes genutzt wird, steht der Annahme des gemeinsamen Wohnens der drei Pflegebedürftigen nicht entgegen. Gemeinschaftliches Wohnen in einer gemeinsamen Wohnung ist nicht auf Pflegebedürftige beschränkt. Die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in allen Bereichen unseres Lebens entspricht der gesellschaftlich angestrebten Förderung inklusiver Lebens- und Wohnformen. Soweit der Gesetzgeber in § 38a Abs 1 Ziff 4 SGB XI voraussetzt, dass es sich um ein gemeinschaftliches Wohnen mit dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten Versorgung handeln muss, wird von der Beklagten nicht in Abrede gestellt, dass dies gegeben ist. Dass daneben auch andere, den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen Rechnung tragende Gesichtspunkte, etwa besondere Beziehungen zu den Mitbewohnern, Freundschaften, gemeinsame Interessen, die Förderung des familiären Zusammenhalts, Pflege durch Mitbewohner maßgeblich für das gemeinsame Wohnen gewesen ist, steht der Zahlung des Wohngruppenzuschlags nicht entgegen. So sehen das auch die Spitzenverbände in ihrem aktuellen Rundschreiben, Stand 09.07.2014 unter Punkt 2.2. (aaO). Danach können sich über die mindestens drei Pflegebedürftigen hinaus der Wohngruppe auch Personen anschließen, die nicht pflegebedürftig im Sinne der §§ 14, 15 SGB XI sind.
Entgegen der Ansicht der Beklagten steht der Umstand, dass die drei Pflegebedürftigen wie schon vor Eintritt der Pflegebedürftigkeit weiterhin in einer Großfamilie in einem Familienverbund zusammenleben, dem Anspruch auf Zahlung des Wohngruppenzuschlags nicht entgegen. Anders als beispielsweise bei der Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI), bei der die Höhe der Leistung bei Pflege durch Verwandte eingeschränkt ist, enthält § 38a SGB XI entsprechende einschränkende Vorgaben gerade nicht. Auch in der Gesetzesbegündung (BT-Drs 17/9369 S 40 f) finden sich keine Hinweise auf eine einschränkende Auslegung. Insoweit geht der Hinweis der Beklagten, der Gesetzgeber könne Abstufungen auch nach Familienstand oder dem Verwandtschaftsverhältnis vornehmen, an der Sache vorbei. Hätte der Gesetzgeber einen entsprechenden Ausschluss gewollt, hätte er ihn ausdrücklich in die Vorschrift aufgenommen. So hat er an anderer Stelle durchaus leistungseinschränkende/oder ausschließende Vorgaben für Leistungsansprüche bei familiärer gegenüber professioneller Pflege gemacht, etwa bei der vorgenannten Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI. Hier ist, anders als bei der Wohngruppenpauschale, die Höhe der Leistung danach gestaffelt, ob die Ersatzpflege durch Angehörige oder andere Personen durchgeführt wird. Das Fehlen entsprechender Vorgaben für den Wohngruppenzuschlag verdeutlicht, dass Familien eben nicht vom Leistungsbezug ausgeschlossen werden sollen.
Soweit die Beklagte auf das bereits angeführte Rundschreiben zu § 38a Punkt 2.2, Stand 06.07.2013 (Fassung 06.07.2013 abgedruckt in B. Grüner, Praxiskommentar zum Pflege-Neuausrichtungsgesetz, § 38a S. 161,163) hinweist, nach der das Zusammenleben innerhalb eines Familienbundes (Eltern mit Kindern, Pflegschaftsverhältnisse) nach der Intention des Gesetzgeber nicht den Zweck der gemeinschaftlichen pflegerischen Versorgung verfolge, so teilt der Senat diese Beurteilung jedenfalls dann nicht, wenn erwachsene Pflegebedürftige in einer Großfamilie zusammen bleiben, weil sich hier die gemeinschaftliche Pflege in häuslicher Umgebung organisatorisch leichter durchführen lässt, als in fremder Umgebung, zudem den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen Rechnung getragen und möglicherweise sogar die stationäre Pflege vermieden wird.
Der Ausschluss familiär verbundener Wohngruppen, die mit nicht behinderten Familienmitglieder zusammenleben entspricht entgegen der Ansicht der Beklagten nicht der Intention des Gesetzgebers. § 38 a SGB XI ist Teil der mit dem PNG neu eingeführten Regelungen zur Förderung der ambulant betreuten Wohngruppen und geht auf Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung nach § 18 Abs 3 SGB XI zurück (vgl hierzu Behrend in jurisPK-SGB XI, Rn 4 ff zu § 38a SGB XI). Die Förderung geschieht als Anschubfinanzierung nach § 45e SGB XI sowie durch laufende Leistungen nach § 38a SGB XI und ergänzend durch § 40 Abs 4 SGB XI. Seit Jahren werden für pflege- und betreuungsbedürftige Menschen neue Wohnformen im Bereich zwischen ambulanter und stationärer Versorgung erprobt (vgl hierzu etwa: Dalichau, Gerhard, Förderung neuer Wohnformen - ambulant betreute Wohngruppen nach den PNG, GuP 2013, S 50 ff). Diese Wohnformen entsprechen nach Auffassung des Gesetzgebers (BT-Drs 17/9369 S 20) den Bedürfnissen vieler Pflegebedürftiger; sie sollen auch dazu beitragen, die kostenintensivere stationäre Pflege zu vermeiden (vgl hierzu auch Griep, Heinrich, Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI in: Sozialrecht aktuell 2013, S. 186 ff mwN). Dem Senat verschließt sich, an welchem Punkt die Beklagte ihren Leistungsausschluss orientieren möchte. Dass die in einer Wohngruppe zusammenlebenden Pflegebedürftigen familiär verbunden sind, kann kein Kriterium sein. Gleichermaßen nicht, dass sie mit weiteren nicht pflegebedürftigen Familienmitgliedern zusammenwohnen. Das Bestehen familienrechtliche Unterstützungspflichten kann schließlich auch kein Anknüpfungspunkt sein, denn der pauschale Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI ergänzt nicht den privaten Pflegeaufwand, für den die ambulanten Sachleistungen nach §§ 36, 37, 38 SGB XI gewährt werden, sondern mit ihm soll in erster Linie den besonderen Aufwendungen der Organisation von Wohngruppen Rechnung getragen werden (vgl BT-Drs 17/9369, S 40). Entsprechende, im Übrigen auch nicht nachzuweisende, Aufwendungen bestehen unabhängig davon, wie sich die Wohngruppe zusammensetzt und wie sie strukturiert ist. Die Betreuung von zwei erheblich und einem schwer Pflegebedürftigen geht schließlich über die familiären unterhaltsrechtlichen Beistandspflichten hinaus. Der Wohngruppenzuschlag dient dem Ausgleich der besonderen organisatorischen Belastungen, denen eine solche Gemeinschaft ausgesetzt ist.
Der Klägerin steht der Wohngruppenzuschlag uneingeschränkt zu. Es finden sich keine Gesichtspunkte dafür, der mit zwei weiteren Pflegebedürftigen in einer Wohngruppe zusammenlebenden Klägerin bei der konkreten, familiär ausgerichteten Wohn- und Pflegesituation, den Anspruch zu versagen. Die Situation lässt sich auch nicht abgrenzen von Fallgestaltungen, in der die Wohngruppe nicht ausschließlich familiär zusammengesetzt ist und in der Wohnung auch Pflegepersonen mit familienrechtlichen Unterstützungspflichten wohnen oder die Wohngruppe und die pflegende Familie in einem Mehrfamilienhaus in getrennten Wohnungen leben oder in zwei Doppelhaushälften usw ... Zudem würden Familienverbünde ungerechtfertigt benachteiligt gegenüber beispielsweise Pflegebedürftigen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die das pflegebedürftige Kind oder einen pflegebedürftigen Elternteil eines der Partner aufnehmen. Der Gesetzgeber hat mit dem Wohngruppenzuschlag einen Leistungsanspruch schaffen wollen, der ohne große Formalitäten und bürokratischen Aufwand schnell und unkompliziert zu verwirklichen ist (vergleiche BT-Drs 17/9369 S 40 f). Dem widerspricht es, wenn die Leistungsträger zusätzliche Ausschlusstatbestände schaffen, die der Gesetzgeber nicht geregelt hat.
Augenscheinlich wird diese Rechtsauffassung zwischenzeitlich auch durch den GKV-Spitzenverband und die Verbände der Pflegekassen auf Bundesebene geteilt, denn die aktuelle Fassung des Rundschreibens "Stand 09.07.2014" (aaO) sieht diesen vermeintlichen, für den Senat nicht verbindlichen, Ausschlusstatbestand unter Punkt 2.2 nun nicht mehr vor.
Enthält § 38a SGB XI danach keinen Ausschlusstatbestand für die familiäre Pflege in einer familiär strukturierten Wohngruppe, kommt es auf die vom SG aufgeworfene Frage, ob bei verfassungskonformer Auslegung dieser Vorschrift ein derartiger Ausschlusstatbestand eine gegen Art 6 GG verstoßende verfassungsrechtliche Diskriminierung der Familie beinhaltet, nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und berücksichtigt bezüglich der Kosten der Beigeladenen zu 1 und 2, dass diese im Verfahren eigene Anträge gestellt haben und auch anwaltlich vertreten waren.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
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