Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 3 KA 254/01
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Aufhebung der Beschlüsse vom 19.4.2001 und Verurteilung der Beklagten zur erneuten Entscheidung über die Widersprüche unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
Tatbestand:
Im Streit steht die Rechtmäßigkeit von Arzneikostenregressen für die Quartale IV/94, III/95 und IV/95.
Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis zweier zur vertragsärztlichen Versorgung in H. zugelassener Ärzte.
Auf Antrag der Beigeladenen zu 2) vom 18.9.1995 (Quartal IV/94), vom 25.6.1996 (Quartal III/95) und vom 16.9.1996 (Quartal IV/95) überprüfte der Prüfungsausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung H. die Verordnungsweise der Klägerin in den von der Beigeladenen aufgeführten Einzelfällen.
Nach Anhörung der Klägerin – auf die Schreiben der Klägerin vom 16.10.1995, 9.10.1996 und 2.11.1996 wird Bezug genommen - setzte der Prüfungsausschuss mit Beschluss vom 29.5.1996 wegen der Verordnung von Remedacen in einem Einzelfall für das Quartal IV/95 einen Regress in Höhe von DM 287, 11 sowie mit Beschlüssen vom 12.2.1997 wegen der Verordnung von Dihydrocodein (DHC) in vier Fällen für das Quartal III/95 einen Regress in Höhe von DM 3.481, 92 und (in zwei Fällen) für das Quartal IV/95 in Höhe von DM 252, 86 fest. Auf die Begründungen der Beschlüsse wird Bezug genommen.
Gegen diese Beschlüsse erhob die Klägerin jeweils Widerspruch, der mit Schriftsätzen vom 31.8.1996, 18.7.1997 und vom 18.7.1997 im wesentlichen damit begründet wurde, dass es sich in den beanstandeten Fällen um Entzugsbehandlungen gehandelt habe.
Der Beklagte wies die Widersprüche mit Beschlüssen vom 19.4.2001 im zurück. Zur Begründung führte der Beklagte – im wesentlichen gleichlautend – aus, nach Inkrafttreten der Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-Richtlinien) sei die Drogensubstitution nur noch gemäß diesen Richtlinien oder dem Hamburger Vertrag möglich gewesen; dort sei ausdrücklich nur die Substitution mit Methadon vorgesehen. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des BSG-Urteils vom 5.7.1995, weil dieses eine Substitution vor Inkrafttreten der NUB-Richtlinien betreffe. Unter Berücksichtigung einer angemessenen Übergangsfrist – also spätestens ab dem 1.1.1992 – sei eine Substitution mit Codeinpräparaten nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) zulässig gewesen, da die NUB-Richtlinien die Substitutionsbehandlung mit Methadon als Standard vorgäben. Etwas anderes gelte nur in den – realtiv seltenen - Fällen, in denen eine Methadonunverträglichkeit hinreichend glaubhaft gemacht werde. Dass die Verordnungen nicht der Substitution, sondern einem ambulanten Entzug gedient hätten, sei für die Entscheidung nicht von Belang, da nach Inkrafttreten der NUB-Richtlinien Codeinpräparate auch bei rückläufiger Dosierung im Sinne einer Entzugsbehandlung nicht zu Lasten der GKV hätten verordnet werden können. Eine Ausnahme sei auch im Hamburger Vertrag, der zeitlich begrenzt als Modellversuch durchgeführt worden sei, nicht vorgesehen. Ergänzend wird auf den weiteren Inhalt der angefochtenen Beschlüsse verwiesen.
Gegen diese am 6.7.2001 zur Post gegebenen Beschlüsse richtet sich die am 16.7.2001 von der Klägerin durch ihren Bevollmächtigten erhobene Klage (Az. S 3 KA 254/01), von der mit Beschluss vom 6.9.2001 die Verfahren S 3 KA 125/02 (Quartal III/95) und S 3 KA 311/01 (Quartal IV/95) abgetrennt worden sind. Die Klagen sind mit Schriftsatz vom 21.8.2001 – auf dessen Inhalt ergänzend verwiesen wird – und den mit Schriftsatz vom 22.8.2001 erfolgten Korrekturen wie folgt begründet worden: Der Beklagte habe zutreffend festgestellt, dass in den strittigen Fällen weder eine Genehmigung nach dem Hamburger Vertrag noch eine Meldung oder Genehmigung nach den NUB-Richtlinien vorgelegen habe. Entzugsbehandlungen würden weder durch die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) noch durch die Richtlinien zur Substitutionsbehandlung in ihren verschiedenen Fassungen geregelt. Der Unterschied zwischen einem Entzug und einer Substitutionsbehandlung sei entscheidend. Bei Heroinabhängigkeit könne man einen Entzug durchführen, der in der Vergangenheit ohne Medikamente durchgeführt worden und daher sehr quälend gewesen sei. Seit mehreren Jahren werde der Entzug vom Heroin mit Opiaten durchgeführt, die die quälenden Entzugssymptome linderten; dadurch dauere ein Entzug zwar länger, werde aber vom Patienten besser ertragen. Unter stationären Bedingungen könne man einen opiatgestützten Entzug meist in zwei Wochen durchführen; ambulant dauere er länger, da die Entzugssymptome wegen der Rückfallgefahr stärker gedämpft werden müssten. Für einen Entzug werde DHC also nur wenige Wochen und in feiner Dosierung verschrieben. Eine Substitutionsbehandlung dauere demgegenüber mehrere Jahre und werde mit einer Dosierung durchgeführt, die die Entzugssymptomatik sicher verhüte.
Im Fall H.K. sei am 11.11.1994 ein Rezept über 80 Kapseln Remedacen ausgestellt und die Anweisung erteilt worden, täglich maximal 30 Kapseln einzunehmen. Am 15.11.1994 habe H.K. ein weiteres Rezept über 200 Kapseln Remedacen mit der Maßgabe erhalten, täglich 2 Kapseln zu reduzieren. H.K. habe dann die Behandlung abgebrochen. Die Patientin F.E. sei vertretungsweise versorgt worden; dabei sei versehentlich ein Rezept zu Lasten der Krankenkasse statt der Sozialbehörde Rellingen ausgestellt worden. Der Patient V.G. habe einen ambulanten Entzug mit DHC versucht und – nachdem dieser gescheitert sei – einen stationären Entzug im Landeskrankenhaus Lüneburg begonnen. Die Klägerin habe ab dem 24.7.1995 1200 mg DHC verordnet. Die Tagesdosen seine täglich in der Apotheke abgegeben worden. Es sei eine Reduktion der Dosis alle 2 Tage um 120 mg verabredet worden, wozu V.G. nicht in der Lage gewesen sei. Die Klägerin habe deshalb bis zur Krankenhausaufnahme am 29.9.1995 (nicht: 29.5.) täglich 1200 mg DHC verordnet. V.G. habe den stationären Entzug zwei Tage nach der letzten Methadonabgabe abgebrochen. Dem Patienten T.H. habe die Klägerin insgesamt 40 Tabletten DHC 60 verordnet und mit dem Patienten abgesprochen, dass dieser – beginnend mit 5 Tabletten für die ersten 4 Tage – alle 2 Tage jeweis eine Tablette reduziere. Diesen Entzug habe T.H. am 2. Tag abgebrochen; weitere Versuche seien am 7.11.1995, 7.12.1995 und am 12.1.1996 unternommen worden. Der Patient T.S. sei von der Klägerin in den Quartalen III/95 und IV/95 mit insgesamt 60 Tabletten DHC versorgt worden; dabei sei auf dem Rezept am 22.9. 4 Tbl., dann alle 2 Tage 1 Tbl. weniger abzugeben vermerkt worden. Diese Angabe zeige eindeutig einen Entzug und keine Substitutionsbehandlung an. Der Patient A.L. sei über das Wochenende mit 30 Tabletten DHC 60 mit der Maßgabe versorgt worden, täglich maximal 10 Tabletten einzunehmen. Die Klägerin setze bei unbekannten Patienten DHC 60 ein, wenn sie den Effekt, wie sonst üblich, nicht täglich kontrollieren könne, andererseits zur Sicherstellung des Behandlungsantritts ein sofortiger Behandlungsbeginn erforderlich sei. Am 7.8.1995 habe die Klägerin mit der Methadonbehandlung begonnen. A.L. habe 100 mg Methadon benötigt; dies entspreche 25 Tabletten DHC 60. Deshalb sei bei der niedrigen zu Beginn verordneten Tagesdosis eine Abgabe an Dritte nicht wahrscheinlich gewesen.
Die Klägerin beantragt,
die Beschlüsse des Beklagten vom 19.4.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Widersprüche der Klägerin gegen die Beschlüsse des Prüfungsausschusses vom 29.5.1996 und vom 12.2.1997 zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Zur Begründung hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 31.8.2001 auf die Begründungen der angefochtenen Beschlüsse Bezug genommen.
Das Gericht hat die aus dem Rubrum ersichtlichen Beiladungen vorgenommen. Die Beigeladene zu 2) beantragt, die Klagen abzuweisen. Die übrigen (nicht notwendig beizuladenden) Beigeladenen haben sich weder geäußert noch Anträge gestellt.
Die Klägerin hat weiter beantragt, die Sprungrevision zuzulassen. Hierzu hat der Beklagte zu Protokoll erklärt, dass er der Einlegung und Zulassung der Sprungrevision zuzustimme.
Mit Beschluss vom 26.2.2003 hat das Gericht die Verfahren S 3 KA 254/01, S 3 KA 125/02 und S 3 KA 311/01 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakten und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die verbundenen Klagen sind zulässig und begründet. Die angefochtenen Beschlüsse des Beklagten sind rechtswidrig.
Gemäß § 106 Abs. 1 SGB V überwachen die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung. Nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V (sowie §§ 70 Abs. 1 Satz 2 und 72 Abs. 2 SGB V) müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder die unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.
Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung sind nicht nur berechtigt, Arzneikostenregresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise, z.B. bei Überschreiten von Durchschnittswerten, festzusetzen (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V), sondern auch zur Festsetzung von Regressen wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln befugt (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52, S. 280, 281 sowie das weitere Urteil vom 14.3.2001, B 6 KA 18/00 R; BSG, Urteil vom 30.1.2002, B 6 KA 9/01 R). Rechtsgrundlage ist § 20 der Prüfungsvereinbarung (in der ab 1.1.1994 geltenden Fassung) i.V.m. § 106 Abs. 2 Satz 3 SGB V (in der Fassung des GSG, wortgleich jetzt § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V n.F.). Durch § 106 Abs. 2 Satz 3 SGB V (a.F.) werden die Krankenkassenverbände und Kassenärztlichen Vereinigungen ermächtigt, über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungen (Auffälligkeits- und Zufälligkeitsprüfungen) hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten zu vereinbaren; dies schließt die Sanktionierung unzulässiger bzw. rechtswidriger Verordnungen ein (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52, S. 280, 281 sowie das weitere Urteil vom 14.3.2001, B 6 KA 18/00 R; BSG, Urteil vom 30.1.2002, B 6 KA 9/01 R). Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Prüfungsvereinbarung prüft der Prüfungsausschuss auch, ob ein Arzt insbesondere durch Verordnung von Arzneimitteln im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot oder Verordnungsausschlussregelungen verstoßen hat. Soweit der Prüfungsausschuss dies feststellt, kann er einen Regress festsetzen (§ 20 Abs. 3 Satz 1 Prüfungsvereinbarung).
In formeller Hinsicht sind die Beschlüsse des Beklagten nicht zu beanstanden. Zwar hat die Klägerin im Verfahren S 3 KA 125/02 vorgetragen, dass im Fall F.E. versehentlich eine Verordnung zu Lasten der Beigeladenen zu 2) an Stelle der Sozialbehörde Rellingen erfolgt sei. Wenn tatsächlich eine Verordnung zu Lasten des falschen Kostenträgers erfolgt wäre, fehlte es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage für eine Zuständigkeit der Prüfgremien. Diesen wird eine Schadensfeststellungskompetenz nur innerhalb des Rechtszwecks der Gewährleistung einer wirtschaftlichen Versorgung zugewiesen (BSGE 69, 264, 265); bei einer Verordnung von Arzneimitteln zu Lasten einer unzuständigen Krankenkasse ist dies nicht der Fall (BSG a.a.O.). Allerdings besteht vorliegend die Besonderheit, dass zwar die Klägerin von einem anderen Kostenträger ausgeht, die Beigeladene zu 2) aber ihre Zuständigkeit nicht bestritten hat, so dass dem Grunde nach eine Leistungspflicht bestand. Hinsichtlich der Verordnung von Remedacen bzw. DHC bestand seinerzeit zwar Einverständnis zwischen der Hamburger Sozialbehörde und den Krankenkassen, dass die entsprechenden Verordnungskosten bis zu einer rechtlichen Klärung von der Behörde getragen wurden. Ob eine vergleichbare Vereinbarung auch mit der von der Klägerin bezeichneten Sozialbehörde Rellingen in Schleswig-Holstein bestand, ist nicht bekannt. Da somit allenfalls eine hilfsweise Zuständigkeit eines anderen Kostenträgers bestand und vorliegend zudem – abweichend von dem durch das BSG entschiedenen Fall – (auch) die Wirtschaftlichkeit der Verordnung im Streit steht, ist eine Zuständigkeit des Beklagten daher zu bejahen.
Materiell-rechtlich ist der Beklagte jedoch zu Unrecht der Auffassung, dass die Verordnung von DHC (bzw. Remedacen) in den strittigen Quartalen generell ausgeschlossen war, soweit nicht die Voraussetzungen der NUB-Richtlinien und des Hamburger Vertrages ( Vertrag über die Abgabe und Finanzierung von Methadon-L-Polamidon zu Substitutionszwecken ) erfüllt wurden (was hinsichtlich der beanstandeten Verordnungen unstrittig nicht der Fall war). Da der Beklagte aus dieser unzutreffenden rechtlichen Würdigung heraus von einer näheren Prüfung der Einzelfälle abgesehen und den ihm zustehenden Beurteilungspielraum nicht ausgeschöpft hat, waren die Bescheide aufzuheben und der Beklagte zur Neubescheidung zu verpflichten.
Entgegen der Auffassung des Beklagten waren die Methadon-Richtlinien in der 1994/95 geltenden Fassung auf einen ambulant durchgeführten Entzug nicht anzuwenden. Zum einen ergibt sich dies bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Richtlinien, die sich ausschließlich mit Fragen der Drogensubstitution, nicht aber mit denen eines medikamentengestützten Entzugs befassen. Entgegen der Auffassung des Beklagten bzw. der Beigeladenen zu 2) besteht sehr wohl ein Unterschied zwischen einer Drogensubstitution und einem ambulanten Entzug. Zwar handelt es sich auch bei der Substitution letztlich um eine Form des medikamentengestützten Entzugs; beide Maßnahmen dienen im Ergebnis dem Ziel der Drogenfreiheit. Auch die Substitution bezweckt eine schrittweise Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz (vgl. Anlage A Nr. 2 § 3 Nr. 1 BUB-Richtlinien n.F.). Eine Substitution gelangt jedoch gerade dann zum Einsatz, wenn das Ziel der Suchtmittelfreiheit nicht unmittelbar und auch nicht zeitnah erreichbar ist (vgl. a.a.O., Präambel ). Schon der Begriff zeitnah verdeutlicht, dass es neben der langfristig – oftmals über Jahre - angelegten Substitution und dem unmittelbaren Sofort-Entzug eine dritte Maßnahme gibt, nämlich den medikamentengestützten, sich (lediglich) über einige Wochen hinziehenden schrittweisen Entzug. Während bei einer Substitution die Drogenfreiheit ein Fernziel darstellt und zunächst die Besserung und Stabilisierung des Gesundheitszustandes im Vordergrund steht, ist sie bei einem medikamentengestützten Entzug das Nahziel.
Zum anderen stehen die Anforderungen an eine Substitutionsbehandlung, insbesondere etwa erforderliche Genehmigungen durch die Kassenärztliche Vereinigung (Ziffer 2.5 der Methadon-Richtlinien) bzw. Empfehlungen einer Beratungskommission (vgl. Ziffer 2.7 der Methadon-Richtlinien) den Erfordernissen eines kurzfristig durchgeführten medikamentengestützten Entzugs entgegen (zumal es seinerzeit die Möglichkeit einer sofort begonnenen Notfallsubstitution - § 5 Abs. 3 späterer Fassungen der Methadon-Richtlinien – noch nicht gab). Auch wenn ein medikamentengestützter Entzug im Regelfall im Rahmen einer stationären Behandlung durchgeführt wird, ist damit nicht ausgeschlossen, dass bei Vorliegen von gegen einen solchen Entzug sprechenden Umständen auch ausnahmsweise ein ambulanter Entzug das Mittel der Wahl ist, sofern dieser durch erfahrene Ärzte durchgeführt wird.
Die Rechtsauffassung des Beklagten ist aber auch dann unzutreffend, wenn man in einem medikamentengestützten ambulanten Entzug einen Unterfall der Drogensubstitution (als Substitution im weiteren Sinne ) sehen würde, da die seinerzeit maßgeblichen Regelungen eine Drogensubstitution mit anderen Mitteln als Methadon (bzw. L-Polamidon) nicht ausschlossen. Die Regelungen der am 1.10.1991 in Kraft getretenen Richtlinien zur Methadon-Substitutionsbehandlung bei i.v.-Heroinabhängigen ( Methadon-Richtlinien , BArbBl. Nr. 10/1991, S. 85, geändert durch Beschluss vom 16.2.1994, BAnz. Nr. 58, S. 3156) bezogen sich ausschließlich auf eine Substitution mit Methadon (bzw. L-Polamidon). Auch nach Inkrafttreten der Methadon-Richtlinien war daher in begründeten Ausnahmefällen gemäß § 13 Abs. 3 SGB V daneben eine Substitution mit anderen Substitutionsmittelmitteln, etwa Codein oder DHC zulässig (so ausdrücklich - für eine in den Quartalen III/94 und IV/94 durchgeführte Substitution mit DHC - Bayerisches LSG, Urteil vom 11.11.1998, Az. L 12 KA 102/97 unter Bezugnahme auf die Remedacen-Urteile des BSG vom 5.7.1995 und vom 18.10.1995).
Die Methadon-Richtlinien a.F. können weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Zweck dahingehend ausgelegt werden, dass sie über eine Regelung der Methadon-Substitution hinaus zugleich auch eine Substitution mit anderen Mitteln ausschließen wollten. Eine ausdrückliche Aussage der Art, dass sie Geltung für alle Formen der Drogensubstitution beanspruchen, enthalten die Richtlinien ebensowenig wie eine ausdrückliche Beschränkung einer Drogen-Substitution auf Methadon.
Derartige Regelungen können den Richtlinien auch nicht im Wege der Auslegung entnommen werden. Die Präambel zu den Richtlinien (Nr. 2.1 der Anlage 2) enthält in ihren beiden ersten Sätzen lediglich allgemeine Ausführungen zur Drogensubstitution an sich: ´Drogensubstitution stellt für sich allein keine Krankenbehandlung dar und ist somit nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung. Die Drogensucht selbst stellt keine Indikation zur Drogensubstitution im Sinne einer Krankenbehandlung dar, denn therapeutisches Ziel bei der Behandlung einer Sucht bleibt die Drogenabstinenz. Der nachfolgende dritte Satz bezieht sich hingegen ausschließlich auf die Methadon-Substitution: Die Drogensubstitution mit Methadon kann bei bestimmten Indikationen lediglich dann als notwendiger Teil der Krankenbehandlung angesehen werden, wenn diese mittels der Drogensubstitution erst ermöglicht wird. Dies gilt unter den nachstehenden Voraussetzungen.
Die Vorgeschichte der Methadon-Richtlinien, insbesondere der Umstand, dass seinerzeit die Drogensubstitution in jeglicher Form heftig umstritten war, könnte zwar darauf hindeuten, dass der Normgeber damals ausschließlich eine Substitution mit Methadon zulassen wollte. Selbst wenn dem jedoch so wäre, ergäbe sich ein Ausschluss anderer Substitutionsmethoden nicht in der erforderlichen Klarheit aus diesen Richtlinien. Dies ist um so bedeutsamer, als die Entscheidungen des BSG vom 5.7.1995 (Az. 1 RK 6/95 = BSGE 76, 194 ff.), vom 18.10.1995 (Az. 6 RKa 3/93 = SozR 3-5550 § 17 Nr. 2, allerdings ohne eigene Entscheidung zur Frage der Zulässigkeit einer Verordnung), vom 17.1.1996 (Az. 3 RK 26/94 = SozR 3-2500 § 129 Nr. 1, S. 1 ff.) und vom 19.6.1996 (Az. 6 RKa 27/95) zur Remedacen-Substitution nach Inkrafttreten der Richtlinien ergangen sind. Zwar betrafen die Entscheidungen Zeiträume vor Inkrafttreten der Richtlinien, doch hat das BSG in diesen Entscheidungen allgemeingültige Grundsätze für den Einsatz von Drogenersatzstoffen zur Substitution aufgestellt. Diese hätten für den Normgeber Veranlassung sein müssen, die Methadon-Richtlinien im Sinne eines ausdrücklichen Ausschlusses namentlich der DHC-Substitution anzupassen, wenn er dies hätte bestimmen wollen.
In den genannten Entscheidungen hat das BSG bestätigt, dass zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Arzneimitteln unter bestimmten Voraussetzungen bei heroinsüchtigen Patienten auch die Drogensubstitution mit dem Arzneimittel Remedacen (entsprechend DHC) gehört, sie mithin nicht generell von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist (BSGE 76, 194, 196 ff.; BSG SozR 3-2500 § 129 Nr. 1, S. 1, 11; BSG 6 RKa 27/95 S. 5). Zwar hat es der 6. Senat des BSG in seinem Urteil vom 19.6.1996 ausdrücklich offen gelassen, ob dies auch für die Zeit nach Inkrafttreten der NUB-Richtlinien am 1.10.1991 gilt (a.a.O. S. 5), doch lassen sich der genannten Rechtsprechung des BSG Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass diese Rechtsprechung weiterhin Geltung besitzt.
So hat das BSG nicht zuletzt aus dem Inkrafttreten der Methadon-Richtlinien den Schluss gezogen, dass damit gleichzeitig feststehe, dass die bis dahin anerkannten Methoden der Behandlung von Drogensüchtigen (im Sinne einer Beschränkung auf den Drogenentzug) nicht mehr den Anforderungen entsprochen hätten, die § 2 SGB V an das Leistungssystem der GKV stelle (BSGE 76, 195, 200; BSG SozR 3-2500 § 129 Nr. 1, S. 1, 13). Es hat weiter betont, dass ungeachtet der Regelung des § 135 Abs. 1 SGB V der Anspruch der Versicherten im Einzelfall ausnahmsweise weiter reichen könne als die nach dieser Vorschrift anerkannten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BSGE 76, 194, 197). Der Umstand, dass – im Gegensatz zur Methadonsubstitution – keine Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vorgelegen habe, schliesse den Leistungsanspruch des Versicherten und damit die Verordnung nicht aus (BSGE 76, 194, 197). Und es hat schließlich ausgeführt, dass Remedacen statt Methadon möglicherweise dann als Substitutionsmittel in Betracht komme, wenn der Versicherte allein durch die Anwendung dieses Mittels in die Lage versetzt werde, sich, sei es durch eine Radikalkur, sei es durch eine allmähliche Verringerung der Ersatzdroge, von der Drogenabhängigkeit zu befreien (BSGE 76, 194, 201/202).
Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des BSG vom 20.3.1996 (Az. 6 RKa 62/94 = SozR 3-2500 § 92 Nr. 6, S. 24 ff.), in dem es die Rechtmäßigkeit der Methadon-Richtlinien bestätigt und entschieden hat, dass diese die Rechte und Pflichten der Vertragsärzte und die Leistungsansprüche der Versicherten mit bindender Wirkung regelten. Aussagen dazu, dass der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen mit den Methadon-Richtlinien zugleich die Drogensubstitution abschließend regeln wollte bzw. zulässiger Weise abschließend regeln konnte, können diesem Urteil nicht entnommen werden.
Bestätigt wird diese Sichtweise schließlich auch durch die Neufassung der an die Stelle der NUB-Richtlinien getretenen Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 SGB V (BUB-Richtlinien) vom 28.10.2002, namentlich der Nummer 2 ( Substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger ) der Anlage A ( Anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ). Nach § 1 Satz 2 dieser am 1.1.2003 (BAnz. Nr. 242 vom 31.12.2002, S. 26682 ff.) in Kraft getretenen Regelung gilt die Richtlinie (nunmehr) für alle Substitutionen, unabhängig davon, mit welchen nach der BtMVV zugelassenen Substitutionsmitteln sie durchgeführt werden. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die alte Richtlinien ausschließlich Geltung für die Methadon-Substitution beanspruchten.
Ein Einsatz von DHC an Stelle von Methadon ist auch nicht aus sachlichen Gründen ausgeschlossen; im Gegenteil ergeben sich in besonderen Fällen deutliche Vorteile. So ist unstrittig, dass ein nachfolgend erforderlich werdender Methadon-Entzug erheblich langwieriger und belastender ist als ein Codein-Entzug. Gerade im Falle eines nur auf wenige Wochen angelegten medikamentengestützten ambulanten Entzugs wäre daher in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die mit einem Einsatz von Methadon verbundenen Nachteile in Kauf genommen werden können.
Dass es sich bei der Substitution mit DHC um eine dem Grunde nach mögliche und anerkannte Substitutionsform handelt, bestätigt auch die ausdrückliche Erwähnung von Substitutionsbehandlungen mit Codein oder Dihydrocodein in § 9 Abs. 4 der neugefassten (s.o.) Richtlinien über die substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger. Bereits 1996 hatte zudem die Hamburger Ärztekammer in ihren Leitlinien für die Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger vom 20.5.1996 (HÄB 1996, S. 588, 590) ausgeführt, dass eine Behandlung mit DHC als Behandlungsmethode zweiter Wahl zu qualifizieren sei, aber im Einzelfall durchaus ihre Berechtigung habe. Dies gelte insbesondere bei sozial integrierten Patienten und bei solchen, denen wegen der Regularien der Methadonbehandlung ein Zugang zu dieser praktisch verwehrt bleibe (a.a.O.). Ebenso liegen Untersuchungen vor, die belegen, dass sich Codein positiver auf Stimmungslage und Beigebrauch der Abhängigen auswirkt als Methadon und das 20 bis 25% aller Patienten mit Codein wesentlich besser zurecht kommen (vgl. Schmid in Ärzte Zeitung vom 17.12.1999). Nicht außer Betracht gelassen werden kann schließlich der Umstand, dass eine Codeinsubstitution zwar wissenschaftlich heftig umstritten war, jedoch zumindest in der ersten Hälfte der 90er Jahre mit rund 20.000 Patienten die am weitesten verbreitete Behandlungsform für Opiatabhängige darstellte (Körner, MedR 1997, S. 210, 214). Für einen medikamentengestützten Entzug mit DHC kann nichts anderes gelten.
Die - insbesondere vom Vertrauensapotheker der Beigeladenen zu 2) in der mündlichen Verhandlung - gegen den Einsatz von DHC erhobenen Einwände zielen denn auch weniger auf eine Ungeeignetheit der Anwendung von DHC im medizinischen Sinne, sondern auf die fehlende Kontrollierbarkeit der Anwendung. Der Umstand, dass wegen der geringen Wirkungsdauer von DHC eine Einnahme mehrmals täglich erfolgen muss und daher – anders als bei einer Methadon-Substitution – keine Kontrolle der tatsächlichen Einnahme der verordneten Menge durch den Patienten möglich ist, rechtfertigt einen generellen Ausschluss ebenso wenig wie der Umstand, dass DHC-Tabletten auf dem Schwarzmarkt gehandelt werden.
Völlig außer Betracht zu bleiben hat der Umstand, dass für Drogenabhängige die Möglichkeit besteht, zeitnah bei unterschiedlichen Ärzten eine Verordnung von DHC zu erwirken. Unzureichende Kontrollmechanismen im Krankenversicherungsrecht berechtigen nicht zu einer Einschränkung der Leistungsansprüche von Versicherten. Wenn Patienten im Wege des sogenannten Chipkarten-Tourismus ermöglicht wird, verschiedene Ärzte aufzusuchen und von diesen identische Verordnungen zu erhalten, ist dem ggf. durch eine Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen zu begegnen. So sehen beispielsweise die neuen Substitutions-Richtlinien (s.o.) in ihrem § 5 ein Meldeverfahren zur Vermeidung von Mehrfachsubstitutionen vor.
Der Einsatz von DHC war schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Off-Label-Uses ausgeschlossen. In seinem Urteil vom 5.7.1995 hatte das BSG ausgeführt, dass es rechtlich keine Rolle spiele, dass Remedacen für die Anwendung bei akutem oder chronischen Reizhusten zugelassen worden sei und nicht als Substitutionsmittel bei Drogenabhängigkeit (BSGE 76, 194, 196). Demgegenüber hat derselbe Senat des BSG in seinem Urteil vom 19.3.2002 (B 1 KR 37/00 R) seine Remedacen-Entscheidung modifiziert und nunmehr (unter anderem) das Vorliegen einer schwerwiegenden Krankheit sowie das Bestehen von Konsens in einschlägigen Fachkreisen über einen voraussichtlichen Nutzen gefordert (siehe hierzu auch Goecke, NZS 2002, 620, 623 ff.).
Ob der Einsatz von DHC zur Drogensubstitution bzw. zum ambulanten Entzug diesen neuen Anforderungen entspricht, kann die Kammer jedoch offen lassen, da maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Klage bei reinen Anfechtungsklagen nicht der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, sondern die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes ist (vgl. Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, § 54 SGG RdNr. 32). Die Klägerin hat – trotz der zugleich beantragten Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung - eine (reine) Anfechtungsklage erhoben, da sich eine derartige Verpflichtung im Falle des Obsiegens bereits als notwendige Folge der Aufhebung des Bescheides und daraus, dass dadurch der Widerspruch der Klägerin unbeschieden ist, ergibt; die Neubescheidung ist nicht bestimmend für die Klageart in dem Sinne, dass die Klägerin eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhoben hätte (BSG, Urteil vom 24.11.1993 = BSG SozR 3-2200 § 368n Nr. 6, S. 11, 13).
Nur am Rande weist die Kammer daher darauf hin, dass selbst dann, wenn die Änderung der Rechtsprechung vorliegend zu berücksichtigen wäre, der Klägerin im übrigen zumindest hinsichtlich der in den Quartalen III/95 und IV/95 erfolgten Verordnungen ein Vertrauensschutz zuzubilligen wäre, da sie die entsprechenden Verordnungen nach Bekanntgabe der Remedacen-Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 getätigt hat.
Allerdings bedeuten die vorstehenden Ausführungen nicht, dass Ärzte, die in den strittigen Quartalen eine Drogensubstitution oder einen ambulanten Entzug mit DHC durchgeführt haben, mangels entsprechender Richtlinien keinerlei Beschränkungen unterlagen. Vielmehr hat das BSG bereits in seinen Urteilen zur Remedacen-Substitution betont, dass auch bei einer grundsätzlich zulässigen Substitution die sich aus der Verpflichtung zur wirtschaftlichen Verordnungsweise im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Anforderungen zu beachten sind (BSG 6 RKa 27/95 S. 5) und es bei einer Drogensubstitution zwingend geboten ist, dass der behandelnde Arzt die substituierten Patienten ständig betreut und kontrolliert, da nur auf diese Weise sichergestellt werden kann, dass die Patienten die zur Substitution verordneten Mittel tatsächlich einnehmen, die Drogenersatzmittel von den Patienten somit nicht missbraucht, insbesondere nicht an andere Personen weitergegeben werden können (BSGE 76, 194, 202; BSG SozR 3-2500 § 129 Nr. 1, S. 1, 14; BSG 6 RKa 3/93 S. 12; BSG 6 RKa 27/95 S. 6; siehe hierzu auch die Leitlinien für die Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger der Hamburger Ärztekammer, HÄB 1996, S. 588, 590). Eine begleitende Kontrolle ist weiter auch deshalb geboten, um auszuschließen, dass ein Beigebrauch anderer Drogen stattfindet (BSGE 76, 194, 202; BSG 6 RKa 3/93 a.a.O.; BSG 6 RKa 27/95 a.a.O.).
Entsprechendes gilt grundsätzlich auch bei einem ambulanten Entzug. Zwar unterscheidet sich dieser von der Substitution durch das zeitliche Moment, so dass langfristig angelegte Kontrollmaßnahmen ausscheiden. Dies ändert aber nichts daran, dass der den ambulanten Entzug durchführende Arzt nicht davon freigestellt ist, durch Verordnung möglichst geringer Einzelmengen einen Missbrauch zu verhindern und gleichzeitig sicherzustellen, dass der Patient zur Gewährleistung des Behandlungserfolgs zu Kontrollen in der Praxis erscheint.
Da der Rechtstreit angesichts des dem Beklagten zustehenden Beurteilungsspielraums (siehe BSG 6 RKa 3/93 S. 9), von dem dieser wegen der nach seiner Auffassung bestehenden grundsätzlichen Unzulässigkeit von DHC-Verordnungen noch keinen Gebrauch gemacht hat, ohnehin an diesen zur Neubescheidung zurückzuverweisen war, hat die Kammer davon abgesehen, weitere eigene Ermittlungen dazu anzustellen, ob die vorstehend dargestellten Anforderungen in den strittigen Einzelfällen erfüllt waren. Hierüber wird der Beklagte zu befinden haben. Die Kammer gibt jedoch folgende Hinweise:
Der Beklagte wird in jedem Einzelfall zu prüfen haben, welche Maßnahmen die Klägerin zur Sicherstellung der dargestellten Anforderungen ergriffen hat, insbesondere, wie die Abgabe der verordneten Menge erfolgte und in welchen Abständen Kontrolluntersuchungen durchgeführt wurden. Dass die Bestimmung der erforderlichen Eingangsdosis anhand der Angaben des Patienten erfolgt, ist nicht zu beanstanden, da nicht erkennbar ist, auf welchem anderen Wege eine die Entzugssymptomatik im ausreichenden Maße unterdrückende und damit den Entzugserfolg sichernde Dosierung ermittelt werden kann. Ebenso spricht auch der Umstand, dass ein Patient eine Entzugsbehandlung abgebrochen hat, nicht per se gegen die Sinnhaftigkeit eines ambulant durchgeführten Entzugs, da – wie der Fall V.G. belegt – auch stationär durchgeführte Entzugsmaßnahmen abgebrochen werden. Im Fall A.L. dürfte nach Auffassung der Kammer die Verordnung von DHC zur Überbrückung des Wochenendes aus den von der Klägerin vorgetragenen Gründen nicht zu beanstanden sein, während die Verordnung von 200 Tabletten DHC im Fall H.K. bedenklich erscheint.
Nach alledem war den Klagen stattzugeben.
Die Sprungrevision war zuzulassen, da ihre Voraussetzungen vorliegen (§ 161 Abs. 1, § 161 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG); insbesondere hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, da es um Rechtsfragen geht, die bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden worden sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG a.F.
Tatbestand:
Im Streit steht die Rechtmäßigkeit von Arzneikostenregressen für die Quartale IV/94, III/95 und IV/95.
Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis zweier zur vertragsärztlichen Versorgung in H. zugelassener Ärzte.
Auf Antrag der Beigeladenen zu 2) vom 18.9.1995 (Quartal IV/94), vom 25.6.1996 (Quartal III/95) und vom 16.9.1996 (Quartal IV/95) überprüfte der Prüfungsausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung H. die Verordnungsweise der Klägerin in den von der Beigeladenen aufgeführten Einzelfällen.
Nach Anhörung der Klägerin – auf die Schreiben der Klägerin vom 16.10.1995, 9.10.1996 und 2.11.1996 wird Bezug genommen - setzte der Prüfungsausschuss mit Beschluss vom 29.5.1996 wegen der Verordnung von Remedacen in einem Einzelfall für das Quartal IV/95 einen Regress in Höhe von DM 287, 11 sowie mit Beschlüssen vom 12.2.1997 wegen der Verordnung von Dihydrocodein (DHC) in vier Fällen für das Quartal III/95 einen Regress in Höhe von DM 3.481, 92 und (in zwei Fällen) für das Quartal IV/95 in Höhe von DM 252, 86 fest. Auf die Begründungen der Beschlüsse wird Bezug genommen.
Gegen diese Beschlüsse erhob die Klägerin jeweils Widerspruch, der mit Schriftsätzen vom 31.8.1996, 18.7.1997 und vom 18.7.1997 im wesentlichen damit begründet wurde, dass es sich in den beanstandeten Fällen um Entzugsbehandlungen gehandelt habe.
Der Beklagte wies die Widersprüche mit Beschlüssen vom 19.4.2001 im zurück. Zur Begründung führte der Beklagte – im wesentlichen gleichlautend – aus, nach Inkrafttreten der Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-Richtlinien) sei die Drogensubstitution nur noch gemäß diesen Richtlinien oder dem Hamburger Vertrag möglich gewesen; dort sei ausdrücklich nur die Substitution mit Methadon vorgesehen. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des BSG-Urteils vom 5.7.1995, weil dieses eine Substitution vor Inkrafttreten der NUB-Richtlinien betreffe. Unter Berücksichtigung einer angemessenen Übergangsfrist – also spätestens ab dem 1.1.1992 – sei eine Substitution mit Codeinpräparaten nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) zulässig gewesen, da die NUB-Richtlinien die Substitutionsbehandlung mit Methadon als Standard vorgäben. Etwas anderes gelte nur in den – realtiv seltenen - Fällen, in denen eine Methadonunverträglichkeit hinreichend glaubhaft gemacht werde. Dass die Verordnungen nicht der Substitution, sondern einem ambulanten Entzug gedient hätten, sei für die Entscheidung nicht von Belang, da nach Inkrafttreten der NUB-Richtlinien Codeinpräparate auch bei rückläufiger Dosierung im Sinne einer Entzugsbehandlung nicht zu Lasten der GKV hätten verordnet werden können. Eine Ausnahme sei auch im Hamburger Vertrag, der zeitlich begrenzt als Modellversuch durchgeführt worden sei, nicht vorgesehen. Ergänzend wird auf den weiteren Inhalt der angefochtenen Beschlüsse verwiesen.
Gegen diese am 6.7.2001 zur Post gegebenen Beschlüsse richtet sich die am 16.7.2001 von der Klägerin durch ihren Bevollmächtigten erhobene Klage (Az. S 3 KA 254/01), von der mit Beschluss vom 6.9.2001 die Verfahren S 3 KA 125/02 (Quartal III/95) und S 3 KA 311/01 (Quartal IV/95) abgetrennt worden sind. Die Klagen sind mit Schriftsatz vom 21.8.2001 – auf dessen Inhalt ergänzend verwiesen wird – und den mit Schriftsatz vom 22.8.2001 erfolgten Korrekturen wie folgt begründet worden: Der Beklagte habe zutreffend festgestellt, dass in den strittigen Fällen weder eine Genehmigung nach dem Hamburger Vertrag noch eine Meldung oder Genehmigung nach den NUB-Richtlinien vorgelegen habe. Entzugsbehandlungen würden weder durch die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) noch durch die Richtlinien zur Substitutionsbehandlung in ihren verschiedenen Fassungen geregelt. Der Unterschied zwischen einem Entzug und einer Substitutionsbehandlung sei entscheidend. Bei Heroinabhängigkeit könne man einen Entzug durchführen, der in der Vergangenheit ohne Medikamente durchgeführt worden und daher sehr quälend gewesen sei. Seit mehreren Jahren werde der Entzug vom Heroin mit Opiaten durchgeführt, die die quälenden Entzugssymptome linderten; dadurch dauere ein Entzug zwar länger, werde aber vom Patienten besser ertragen. Unter stationären Bedingungen könne man einen opiatgestützten Entzug meist in zwei Wochen durchführen; ambulant dauere er länger, da die Entzugssymptome wegen der Rückfallgefahr stärker gedämpft werden müssten. Für einen Entzug werde DHC also nur wenige Wochen und in feiner Dosierung verschrieben. Eine Substitutionsbehandlung dauere demgegenüber mehrere Jahre und werde mit einer Dosierung durchgeführt, die die Entzugssymptomatik sicher verhüte.
Im Fall H.K. sei am 11.11.1994 ein Rezept über 80 Kapseln Remedacen ausgestellt und die Anweisung erteilt worden, täglich maximal 30 Kapseln einzunehmen. Am 15.11.1994 habe H.K. ein weiteres Rezept über 200 Kapseln Remedacen mit der Maßgabe erhalten, täglich 2 Kapseln zu reduzieren. H.K. habe dann die Behandlung abgebrochen. Die Patientin F.E. sei vertretungsweise versorgt worden; dabei sei versehentlich ein Rezept zu Lasten der Krankenkasse statt der Sozialbehörde Rellingen ausgestellt worden. Der Patient V.G. habe einen ambulanten Entzug mit DHC versucht und – nachdem dieser gescheitert sei – einen stationären Entzug im Landeskrankenhaus Lüneburg begonnen. Die Klägerin habe ab dem 24.7.1995 1200 mg DHC verordnet. Die Tagesdosen seine täglich in der Apotheke abgegeben worden. Es sei eine Reduktion der Dosis alle 2 Tage um 120 mg verabredet worden, wozu V.G. nicht in der Lage gewesen sei. Die Klägerin habe deshalb bis zur Krankenhausaufnahme am 29.9.1995 (nicht: 29.5.) täglich 1200 mg DHC verordnet. V.G. habe den stationären Entzug zwei Tage nach der letzten Methadonabgabe abgebrochen. Dem Patienten T.H. habe die Klägerin insgesamt 40 Tabletten DHC 60 verordnet und mit dem Patienten abgesprochen, dass dieser – beginnend mit 5 Tabletten für die ersten 4 Tage – alle 2 Tage jeweis eine Tablette reduziere. Diesen Entzug habe T.H. am 2. Tag abgebrochen; weitere Versuche seien am 7.11.1995, 7.12.1995 und am 12.1.1996 unternommen worden. Der Patient T.S. sei von der Klägerin in den Quartalen III/95 und IV/95 mit insgesamt 60 Tabletten DHC versorgt worden; dabei sei auf dem Rezept am 22.9. 4 Tbl., dann alle 2 Tage 1 Tbl. weniger abzugeben vermerkt worden. Diese Angabe zeige eindeutig einen Entzug und keine Substitutionsbehandlung an. Der Patient A.L. sei über das Wochenende mit 30 Tabletten DHC 60 mit der Maßgabe versorgt worden, täglich maximal 10 Tabletten einzunehmen. Die Klägerin setze bei unbekannten Patienten DHC 60 ein, wenn sie den Effekt, wie sonst üblich, nicht täglich kontrollieren könne, andererseits zur Sicherstellung des Behandlungsantritts ein sofortiger Behandlungsbeginn erforderlich sei. Am 7.8.1995 habe die Klägerin mit der Methadonbehandlung begonnen. A.L. habe 100 mg Methadon benötigt; dies entspreche 25 Tabletten DHC 60. Deshalb sei bei der niedrigen zu Beginn verordneten Tagesdosis eine Abgabe an Dritte nicht wahrscheinlich gewesen.
Die Klägerin beantragt,
die Beschlüsse des Beklagten vom 19.4.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Widersprüche der Klägerin gegen die Beschlüsse des Prüfungsausschusses vom 29.5.1996 und vom 12.2.1997 zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Zur Begründung hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 31.8.2001 auf die Begründungen der angefochtenen Beschlüsse Bezug genommen.
Das Gericht hat die aus dem Rubrum ersichtlichen Beiladungen vorgenommen. Die Beigeladene zu 2) beantragt, die Klagen abzuweisen. Die übrigen (nicht notwendig beizuladenden) Beigeladenen haben sich weder geäußert noch Anträge gestellt.
Die Klägerin hat weiter beantragt, die Sprungrevision zuzulassen. Hierzu hat der Beklagte zu Protokoll erklärt, dass er der Einlegung und Zulassung der Sprungrevision zuzustimme.
Mit Beschluss vom 26.2.2003 hat das Gericht die Verfahren S 3 KA 254/01, S 3 KA 125/02 und S 3 KA 311/01 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakten und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die verbundenen Klagen sind zulässig und begründet. Die angefochtenen Beschlüsse des Beklagten sind rechtswidrig.
Gemäß § 106 Abs. 1 SGB V überwachen die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung. Nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V (sowie §§ 70 Abs. 1 Satz 2 und 72 Abs. 2 SGB V) müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder die unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.
Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung sind nicht nur berechtigt, Arzneikostenregresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise, z.B. bei Überschreiten von Durchschnittswerten, festzusetzen (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V), sondern auch zur Festsetzung von Regressen wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln befugt (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52, S. 280, 281 sowie das weitere Urteil vom 14.3.2001, B 6 KA 18/00 R; BSG, Urteil vom 30.1.2002, B 6 KA 9/01 R). Rechtsgrundlage ist § 20 der Prüfungsvereinbarung (in der ab 1.1.1994 geltenden Fassung) i.V.m. § 106 Abs. 2 Satz 3 SGB V (in der Fassung des GSG, wortgleich jetzt § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V n.F.). Durch § 106 Abs. 2 Satz 3 SGB V (a.F.) werden die Krankenkassenverbände und Kassenärztlichen Vereinigungen ermächtigt, über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungen (Auffälligkeits- und Zufälligkeitsprüfungen) hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten zu vereinbaren; dies schließt die Sanktionierung unzulässiger bzw. rechtswidriger Verordnungen ein (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52, S. 280, 281 sowie das weitere Urteil vom 14.3.2001, B 6 KA 18/00 R; BSG, Urteil vom 30.1.2002, B 6 KA 9/01 R). Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Prüfungsvereinbarung prüft der Prüfungsausschuss auch, ob ein Arzt insbesondere durch Verordnung von Arzneimitteln im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot oder Verordnungsausschlussregelungen verstoßen hat. Soweit der Prüfungsausschuss dies feststellt, kann er einen Regress festsetzen (§ 20 Abs. 3 Satz 1 Prüfungsvereinbarung).
In formeller Hinsicht sind die Beschlüsse des Beklagten nicht zu beanstanden. Zwar hat die Klägerin im Verfahren S 3 KA 125/02 vorgetragen, dass im Fall F.E. versehentlich eine Verordnung zu Lasten der Beigeladenen zu 2) an Stelle der Sozialbehörde Rellingen erfolgt sei. Wenn tatsächlich eine Verordnung zu Lasten des falschen Kostenträgers erfolgt wäre, fehlte es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage für eine Zuständigkeit der Prüfgremien. Diesen wird eine Schadensfeststellungskompetenz nur innerhalb des Rechtszwecks der Gewährleistung einer wirtschaftlichen Versorgung zugewiesen (BSGE 69, 264, 265); bei einer Verordnung von Arzneimitteln zu Lasten einer unzuständigen Krankenkasse ist dies nicht der Fall (BSG a.a.O.). Allerdings besteht vorliegend die Besonderheit, dass zwar die Klägerin von einem anderen Kostenträger ausgeht, die Beigeladene zu 2) aber ihre Zuständigkeit nicht bestritten hat, so dass dem Grunde nach eine Leistungspflicht bestand. Hinsichtlich der Verordnung von Remedacen bzw. DHC bestand seinerzeit zwar Einverständnis zwischen der Hamburger Sozialbehörde und den Krankenkassen, dass die entsprechenden Verordnungskosten bis zu einer rechtlichen Klärung von der Behörde getragen wurden. Ob eine vergleichbare Vereinbarung auch mit der von der Klägerin bezeichneten Sozialbehörde Rellingen in Schleswig-Holstein bestand, ist nicht bekannt. Da somit allenfalls eine hilfsweise Zuständigkeit eines anderen Kostenträgers bestand und vorliegend zudem – abweichend von dem durch das BSG entschiedenen Fall – (auch) die Wirtschaftlichkeit der Verordnung im Streit steht, ist eine Zuständigkeit des Beklagten daher zu bejahen.
Materiell-rechtlich ist der Beklagte jedoch zu Unrecht der Auffassung, dass die Verordnung von DHC (bzw. Remedacen) in den strittigen Quartalen generell ausgeschlossen war, soweit nicht die Voraussetzungen der NUB-Richtlinien und des Hamburger Vertrages ( Vertrag über die Abgabe und Finanzierung von Methadon-L-Polamidon zu Substitutionszwecken ) erfüllt wurden (was hinsichtlich der beanstandeten Verordnungen unstrittig nicht der Fall war). Da der Beklagte aus dieser unzutreffenden rechtlichen Würdigung heraus von einer näheren Prüfung der Einzelfälle abgesehen und den ihm zustehenden Beurteilungspielraum nicht ausgeschöpft hat, waren die Bescheide aufzuheben und der Beklagte zur Neubescheidung zu verpflichten.
Entgegen der Auffassung des Beklagten waren die Methadon-Richtlinien in der 1994/95 geltenden Fassung auf einen ambulant durchgeführten Entzug nicht anzuwenden. Zum einen ergibt sich dies bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Richtlinien, die sich ausschließlich mit Fragen der Drogensubstitution, nicht aber mit denen eines medikamentengestützten Entzugs befassen. Entgegen der Auffassung des Beklagten bzw. der Beigeladenen zu 2) besteht sehr wohl ein Unterschied zwischen einer Drogensubstitution und einem ambulanten Entzug. Zwar handelt es sich auch bei der Substitution letztlich um eine Form des medikamentengestützten Entzugs; beide Maßnahmen dienen im Ergebnis dem Ziel der Drogenfreiheit. Auch die Substitution bezweckt eine schrittweise Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz (vgl. Anlage A Nr. 2 § 3 Nr. 1 BUB-Richtlinien n.F.). Eine Substitution gelangt jedoch gerade dann zum Einsatz, wenn das Ziel der Suchtmittelfreiheit nicht unmittelbar und auch nicht zeitnah erreichbar ist (vgl. a.a.O., Präambel ). Schon der Begriff zeitnah verdeutlicht, dass es neben der langfristig – oftmals über Jahre - angelegten Substitution und dem unmittelbaren Sofort-Entzug eine dritte Maßnahme gibt, nämlich den medikamentengestützten, sich (lediglich) über einige Wochen hinziehenden schrittweisen Entzug. Während bei einer Substitution die Drogenfreiheit ein Fernziel darstellt und zunächst die Besserung und Stabilisierung des Gesundheitszustandes im Vordergrund steht, ist sie bei einem medikamentengestützten Entzug das Nahziel.
Zum anderen stehen die Anforderungen an eine Substitutionsbehandlung, insbesondere etwa erforderliche Genehmigungen durch die Kassenärztliche Vereinigung (Ziffer 2.5 der Methadon-Richtlinien) bzw. Empfehlungen einer Beratungskommission (vgl. Ziffer 2.7 der Methadon-Richtlinien) den Erfordernissen eines kurzfristig durchgeführten medikamentengestützten Entzugs entgegen (zumal es seinerzeit die Möglichkeit einer sofort begonnenen Notfallsubstitution - § 5 Abs. 3 späterer Fassungen der Methadon-Richtlinien – noch nicht gab). Auch wenn ein medikamentengestützter Entzug im Regelfall im Rahmen einer stationären Behandlung durchgeführt wird, ist damit nicht ausgeschlossen, dass bei Vorliegen von gegen einen solchen Entzug sprechenden Umständen auch ausnahmsweise ein ambulanter Entzug das Mittel der Wahl ist, sofern dieser durch erfahrene Ärzte durchgeführt wird.
Die Rechtsauffassung des Beklagten ist aber auch dann unzutreffend, wenn man in einem medikamentengestützten ambulanten Entzug einen Unterfall der Drogensubstitution (als Substitution im weiteren Sinne ) sehen würde, da die seinerzeit maßgeblichen Regelungen eine Drogensubstitution mit anderen Mitteln als Methadon (bzw. L-Polamidon) nicht ausschlossen. Die Regelungen der am 1.10.1991 in Kraft getretenen Richtlinien zur Methadon-Substitutionsbehandlung bei i.v.-Heroinabhängigen ( Methadon-Richtlinien , BArbBl. Nr. 10/1991, S. 85, geändert durch Beschluss vom 16.2.1994, BAnz. Nr. 58, S. 3156) bezogen sich ausschließlich auf eine Substitution mit Methadon (bzw. L-Polamidon). Auch nach Inkrafttreten der Methadon-Richtlinien war daher in begründeten Ausnahmefällen gemäß § 13 Abs. 3 SGB V daneben eine Substitution mit anderen Substitutionsmittelmitteln, etwa Codein oder DHC zulässig (so ausdrücklich - für eine in den Quartalen III/94 und IV/94 durchgeführte Substitution mit DHC - Bayerisches LSG, Urteil vom 11.11.1998, Az. L 12 KA 102/97 unter Bezugnahme auf die Remedacen-Urteile des BSG vom 5.7.1995 und vom 18.10.1995).
Die Methadon-Richtlinien a.F. können weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Zweck dahingehend ausgelegt werden, dass sie über eine Regelung der Methadon-Substitution hinaus zugleich auch eine Substitution mit anderen Mitteln ausschließen wollten. Eine ausdrückliche Aussage der Art, dass sie Geltung für alle Formen der Drogensubstitution beanspruchen, enthalten die Richtlinien ebensowenig wie eine ausdrückliche Beschränkung einer Drogen-Substitution auf Methadon.
Derartige Regelungen können den Richtlinien auch nicht im Wege der Auslegung entnommen werden. Die Präambel zu den Richtlinien (Nr. 2.1 der Anlage 2) enthält in ihren beiden ersten Sätzen lediglich allgemeine Ausführungen zur Drogensubstitution an sich: ´Drogensubstitution stellt für sich allein keine Krankenbehandlung dar und ist somit nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung. Die Drogensucht selbst stellt keine Indikation zur Drogensubstitution im Sinne einer Krankenbehandlung dar, denn therapeutisches Ziel bei der Behandlung einer Sucht bleibt die Drogenabstinenz. Der nachfolgende dritte Satz bezieht sich hingegen ausschließlich auf die Methadon-Substitution: Die Drogensubstitution mit Methadon kann bei bestimmten Indikationen lediglich dann als notwendiger Teil der Krankenbehandlung angesehen werden, wenn diese mittels der Drogensubstitution erst ermöglicht wird. Dies gilt unter den nachstehenden Voraussetzungen.
Die Vorgeschichte der Methadon-Richtlinien, insbesondere der Umstand, dass seinerzeit die Drogensubstitution in jeglicher Form heftig umstritten war, könnte zwar darauf hindeuten, dass der Normgeber damals ausschließlich eine Substitution mit Methadon zulassen wollte. Selbst wenn dem jedoch so wäre, ergäbe sich ein Ausschluss anderer Substitutionsmethoden nicht in der erforderlichen Klarheit aus diesen Richtlinien. Dies ist um so bedeutsamer, als die Entscheidungen des BSG vom 5.7.1995 (Az. 1 RK 6/95 = BSGE 76, 194 ff.), vom 18.10.1995 (Az. 6 RKa 3/93 = SozR 3-5550 § 17 Nr. 2, allerdings ohne eigene Entscheidung zur Frage der Zulässigkeit einer Verordnung), vom 17.1.1996 (Az. 3 RK 26/94 = SozR 3-2500 § 129 Nr. 1, S. 1 ff.) und vom 19.6.1996 (Az. 6 RKa 27/95) zur Remedacen-Substitution nach Inkrafttreten der Richtlinien ergangen sind. Zwar betrafen die Entscheidungen Zeiträume vor Inkrafttreten der Richtlinien, doch hat das BSG in diesen Entscheidungen allgemeingültige Grundsätze für den Einsatz von Drogenersatzstoffen zur Substitution aufgestellt. Diese hätten für den Normgeber Veranlassung sein müssen, die Methadon-Richtlinien im Sinne eines ausdrücklichen Ausschlusses namentlich der DHC-Substitution anzupassen, wenn er dies hätte bestimmen wollen.
In den genannten Entscheidungen hat das BSG bestätigt, dass zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Arzneimitteln unter bestimmten Voraussetzungen bei heroinsüchtigen Patienten auch die Drogensubstitution mit dem Arzneimittel Remedacen (entsprechend DHC) gehört, sie mithin nicht generell von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist (BSGE 76, 194, 196 ff.; BSG SozR 3-2500 § 129 Nr. 1, S. 1, 11; BSG 6 RKa 27/95 S. 5). Zwar hat es der 6. Senat des BSG in seinem Urteil vom 19.6.1996 ausdrücklich offen gelassen, ob dies auch für die Zeit nach Inkrafttreten der NUB-Richtlinien am 1.10.1991 gilt (a.a.O. S. 5), doch lassen sich der genannten Rechtsprechung des BSG Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass diese Rechtsprechung weiterhin Geltung besitzt.
So hat das BSG nicht zuletzt aus dem Inkrafttreten der Methadon-Richtlinien den Schluss gezogen, dass damit gleichzeitig feststehe, dass die bis dahin anerkannten Methoden der Behandlung von Drogensüchtigen (im Sinne einer Beschränkung auf den Drogenentzug) nicht mehr den Anforderungen entsprochen hätten, die § 2 SGB V an das Leistungssystem der GKV stelle (BSGE 76, 195, 200; BSG SozR 3-2500 § 129 Nr. 1, S. 1, 13). Es hat weiter betont, dass ungeachtet der Regelung des § 135 Abs. 1 SGB V der Anspruch der Versicherten im Einzelfall ausnahmsweise weiter reichen könne als die nach dieser Vorschrift anerkannten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BSGE 76, 194, 197). Der Umstand, dass – im Gegensatz zur Methadonsubstitution – keine Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vorgelegen habe, schliesse den Leistungsanspruch des Versicherten und damit die Verordnung nicht aus (BSGE 76, 194, 197). Und es hat schließlich ausgeführt, dass Remedacen statt Methadon möglicherweise dann als Substitutionsmittel in Betracht komme, wenn der Versicherte allein durch die Anwendung dieses Mittels in die Lage versetzt werde, sich, sei es durch eine Radikalkur, sei es durch eine allmähliche Verringerung der Ersatzdroge, von der Drogenabhängigkeit zu befreien (BSGE 76, 194, 201/202).
Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des BSG vom 20.3.1996 (Az. 6 RKa 62/94 = SozR 3-2500 § 92 Nr. 6, S. 24 ff.), in dem es die Rechtmäßigkeit der Methadon-Richtlinien bestätigt und entschieden hat, dass diese die Rechte und Pflichten der Vertragsärzte und die Leistungsansprüche der Versicherten mit bindender Wirkung regelten. Aussagen dazu, dass der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen mit den Methadon-Richtlinien zugleich die Drogensubstitution abschließend regeln wollte bzw. zulässiger Weise abschließend regeln konnte, können diesem Urteil nicht entnommen werden.
Bestätigt wird diese Sichtweise schließlich auch durch die Neufassung der an die Stelle der NUB-Richtlinien getretenen Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 SGB V (BUB-Richtlinien) vom 28.10.2002, namentlich der Nummer 2 ( Substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger ) der Anlage A ( Anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ). Nach § 1 Satz 2 dieser am 1.1.2003 (BAnz. Nr. 242 vom 31.12.2002, S. 26682 ff.) in Kraft getretenen Regelung gilt die Richtlinie (nunmehr) für alle Substitutionen, unabhängig davon, mit welchen nach der BtMVV zugelassenen Substitutionsmitteln sie durchgeführt werden. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die alte Richtlinien ausschließlich Geltung für die Methadon-Substitution beanspruchten.
Ein Einsatz von DHC an Stelle von Methadon ist auch nicht aus sachlichen Gründen ausgeschlossen; im Gegenteil ergeben sich in besonderen Fällen deutliche Vorteile. So ist unstrittig, dass ein nachfolgend erforderlich werdender Methadon-Entzug erheblich langwieriger und belastender ist als ein Codein-Entzug. Gerade im Falle eines nur auf wenige Wochen angelegten medikamentengestützten ambulanten Entzugs wäre daher in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die mit einem Einsatz von Methadon verbundenen Nachteile in Kauf genommen werden können.
Dass es sich bei der Substitution mit DHC um eine dem Grunde nach mögliche und anerkannte Substitutionsform handelt, bestätigt auch die ausdrückliche Erwähnung von Substitutionsbehandlungen mit Codein oder Dihydrocodein in § 9 Abs. 4 der neugefassten (s.o.) Richtlinien über die substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger. Bereits 1996 hatte zudem die Hamburger Ärztekammer in ihren Leitlinien für die Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger vom 20.5.1996 (HÄB 1996, S. 588, 590) ausgeführt, dass eine Behandlung mit DHC als Behandlungsmethode zweiter Wahl zu qualifizieren sei, aber im Einzelfall durchaus ihre Berechtigung habe. Dies gelte insbesondere bei sozial integrierten Patienten und bei solchen, denen wegen der Regularien der Methadonbehandlung ein Zugang zu dieser praktisch verwehrt bleibe (a.a.O.). Ebenso liegen Untersuchungen vor, die belegen, dass sich Codein positiver auf Stimmungslage und Beigebrauch der Abhängigen auswirkt als Methadon und das 20 bis 25% aller Patienten mit Codein wesentlich besser zurecht kommen (vgl. Schmid in Ärzte Zeitung vom 17.12.1999). Nicht außer Betracht gelassen werden kann schließlich der Umstand, dass eine Codeinsubstitution zwar wissenschaftlich heftig umstritten war, jedoch zumindest in der ersten Hälfte der 90er Jahre mit rund 20.000 Patienten die am weitesten verbreitete Behandlungsform für Opiatabhängige darstellte (Körner, MedR 1997, S. 210, 214). Für einen medikamentengestützten Entzug mit DHC kann nichts anderes gelten.
Die - insbesondere vom Vertrauensapotheker der Beigeladenen zu 2) in der mündlichen Verhandlung - gegen den Einsatz von DHC erhobenen Einwände zielen denn auch weniger auf eine Ungeeignetheit der Anwendung von DHC im medizinischen Sinne, sondern auf die fehlende Kontrollierbarkeit der Anwendung. Der Umstand, dass wegen der geringen Wirkungsdauer von DHC eine Einnahme mehrmals täglich erfolgen muss und daher – anders als bei einer Methadon-Substitution – keine Kontrolle der tatsächlichen Einnahme der verordneten Menge durch den Patienten möglich ist, rechtfertigt einen generellen Ausschluss ebenso wenig wie der Umstand, dass DHC-Tabletten auf dem Schwarzmarkt gehandelt werden.
Völlig außer Betracht zu bleiben hat der Umstand, dass für Drogenabhängige die Möglichkeit besteht, zeitnah bei unterschiedlichen Ärzten eine Verordnung von DHC zu erwirken. Unzureichende Kontrollmechanismen im Krankenversicherungsrecht berechtigen nicht zu einer Einschränkung der Leistungsansprüche von Versicherten. Wenn Patienten im Wege des sogenannten Chipkarten-Tourismus ermöglicht wird, verschiedene Ärzte aufzusuchen und von diesen identische Verordnungen zu erhalten, ist dem ggf. durch eine Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen zu begegnen. So sehen beispielsweise die neuen Substitutions-Richtlinien (s.o.) in ihrem § 5 ein Meldeverfahren zur Vermeidung von Mehrfachsubstitutionen vor.
Der Einsatz von DHC war schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Off-Label-Uses ausgeschlossen. In seinem Urteil vom 5.7.1995 hatte das BSG ausgeführt, dass es rechtlich keine Rolle spiele, dass Remedacen für die Anwendung bei akutem oder chronischen Reizhusten zugelassen worden sei und nicht als Substitutionsmittel bei Drogenabhängigkeit (BSGE 76, 194, 196). Demgegenüber hat derselbe Senat des BSG in seinem Urteil vom 19.3.2002 (B 1 KR 37/00 R) seine Remedacen-Entscheidung modifiziert und nunmehr (unter anderem) das Vorliegen einer schwerwiegenden Krankheit sowie das Bestehen von Konsens in einschlägigen Fachkreisen über einen voraussichtlichen Nutzen gefordert (siehe hierzu auch Goecke, NZS 2002, 620, 623 ff.).
Ob der Einsatz von DHC zur Drogensubstitution bzw. zum ambulanten Entzug diesen neuen Anforderungen entspricht, kann die Kammer jedoch offen lassen, da maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Klage bei reinen Anfechtungsklagen nicht der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, sondern die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes ist (vgl. Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, § 54 SGG RdNr. 32). Die Klägerin hat – trotz der zugleich beantragten Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung - eine (reine) Anfechtungsklage erhoben, da sich eine derartige Verpflichtung im Falle des Obsiegens bereits als notwendige Folge der Aufhebung des Bescheides und daraus, dass dadurch der Widerspruch der Klägerin unbeschieden ist, ergibt; die Neubescheidung ist nicht bestimmend für die Klageart in dem Sinne, dass die Klägerin eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhoben hätte (BSG, Urteil vom 24.11.1993 = BSG SozR 3-2200 § 368n Nr. 6, S. 11, 13).
Nur am Rande weist die Kammer daher darauf hin, dass selbst dann, wenn die Änderung der Rechtsprechung vorliegend zu berücksichtigen wäre, der Klägerin im übrigen zumindest hinsichtlich der in den Quartalen III/95 und IV/95 erfolgten Verordnungen ein Vertrauensschutz zuzubilligen wäre, da sie die entsprechenden Verordnungen nach Bekanntgabe der Remedacen-Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 getätigt hat.
Allerdings bedeuten die vorstehenden Ausführungen nicht, dass Ärzte, die in den strittigen Quartalen eine Drogensubstitution oder einen ambulanten Entzug mit DHC durchgeführt haben, mangels entsprechender Richtlinien keinerlei Beschränkungen unterlagen. Vielmehr hat das BSG bereits in seinen Urteilen zur Remedacen-Substitution betont, dass auch bei einer grundsätzlich zulässigen Substitution die sich aus der Verpflichtung zur wirtschaftlichen Verordnungsweise im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Anforderungen zu beachten sind (BSG 6 RKa 27/95 S. 5) und es bei einer Drogensubstitution zwingend geboten ist, dass der behandelnde Arzt die substituierten Patienten ständig betreut und kontrolliert, da nur auf diese Weise sichergestellt werden kann, dass die Patienten die zur Substitution verordneten Mittel tatsächlich einnehmen, die Drogenersatzmittel von den Patienten somit nicht missbraucht, insbesondere nicht an andere Personen weitergegeben werden können (BSGE 76, 194, 202; BSG SozR 3-2500 § 129 Nr. 1, S. 1, 14; BSG 6 RKa 3/93 S. 12; BSG 6 RKa 27/95 S. 6; siehe hierzu auch die Leitlinien für die Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger der Hamburger Ärztekammer, HÄB 1996, S. 588, 590). Eine begleitende Kontrolle ist weiter auch deshalb geboten, um auszuschließen, dass ein Beigebrauch anderer Drogen stattfindet (BSGE 76, 194, 202; BSG 6 RKa 3/93 a.a.O.; BSG 6 RKa 27/95 a.a.O.).
Entsprechendes gilt grundsätzlich auch bei einem ambulanten Entzug. Zwar unterscheidet sich dieser von der Substitution durch das zeitliche Moment, so dass langfristig angelegte Kontrollmaßnahmen ausscheiden. Dies ändert aber nichts daran, dass der den ambulanten Entzug durchführende Arzt nicht davon freigestellt ist, durch Verordnung möglichst geringer Einzelmengen einen Missbrauch zu verhindern und gleichzeitig sicherzustellen, dass der Patient zur Gewährleistung des Behandlungserfolgs zu Kontrollen in der Praxis erscheint.
Da der Rechtstreit angesichts des dem Beklagten zustehenden Beurteilungsspielraums (siehe BSG 6 RKa 3/93 S. 9), von dem dieser wegen der nach seiner Auffassung bestehenden grundsätzlichen Unzulässigkeit von DHC-Verordnungen noch keinen Gebrauch gemacht hat, ohnehin an diesen zur Neubescheidung zurückzuverweisen war, hat die Kammer davon abgesehen, weitere eigene Ermittlungen dazu anzustellen, ob die vorstehend dargestellten Anforderungen in den strittigen Einzelfällen erfüllt waren. Hierüber wird der Beklagte zu befinden haben. Die Kammer gibt jedoch folgende Hinweise:
Der Beklagte wird in jedem Einzelfall zu prüfen haben, welche Maßnahmen die Klägerin zur Sicherstellung der dargestellten Anforderungen ergriffen hat, insbesondere, wie die Abgabe der verordneten Menge erfolgte und in welchen Abständen Kontrolluntersuchungen durchgeführt wurden. Dass die Bestimmung der erforderlichen Eingangsdosis anhand der Angaben des Patienten erfolgt, ist nicht zu beanstanden, da nicht erkennbar ist, auf welchem anderen Wege eine die Entzugssymptomatik im ausreichenden Maße unterdrückende und damit den Entzugserfolg sichernde Dosierung ermittelt werden kann. Ebenso spricht auch der Umstand, dass ein Patient eine Entzugsbehandlung abgebrochen hat, nicht per se gegen die Sinnhaftigkeit eines ambulant durchgeführten Entzugs, da – wie der Fall V.G. belegt – auch stationär durchgeführte Entzugsmaßnahmen abgebrochen werden. Im Fall A.L. dürfte nach Auffassung der Kammer die Verordnung von DHC zur Überbrückung des Wochenendes aus den von der Klägerin vorgetragenen Gründen nicht zu beanstanden sein, während die Verordnung von 200 Tabletten DHC im Fall H.K. bedenklich erscheint.
Nach alledem war den Klagen stattzugeben.
Die Sprungrevision war zuzulassen, da ihre Voraussetzungen vorliegen (§ 161 Abs. 1, § 161 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG); insbesondere hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, da es um Rechtsfragen geht, die bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden worden sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG a.F.
Rechtskraft
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