L 4 AS 609/15

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 13 AS 2530/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 609/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. Juli 2015 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen für das Vorverfahren.

Die 1954 geborene alleinstehende Klägerin und Berufungsbeklagte (im Weiteren: Klägerin) bezog seit dem Jahr 2005 vom Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Seit 2006 bewohnte sie eine 35,14 m² große Einraumwohnung, für die ab September 2012 eine monatliche Gesamtmiete von 294,00 EUR (Kaltmiete: 182,00 EUR, Vorauszahlungen für Betriebskosten: 63,00 EUR und für Heizkosten: 49,00 EUR) zu zahlen war.

Erstmalig im Juni 2011 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Zusicherung zum Umzug in eine Zweiraumwohnung und gab gesundheitliche Gründe für eine räumliche Trennung von Wohn- und Schlafzimmer an. Von der daraufhin erteilten Zusicherung machte sie keinen Gebrauch. Im März 2012 beantragte sie erneut eine Zusicherung zum Umzug in eine 42,46 m² große Zweiraumwohnung aus gesundheitlichen Gründen. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 21. März 2012 ab.

Am 23. Mai 2013 stellte die Klägerin wiederum einen Antrag auf Erteilung einer Zusicherung zu den Aufwendungen der Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) für eine 45 m² große Zweiraumwohnung in der G. in B., für die eine monatliche Gesamtmiete von 340,00 EUR (Kaltmiete: 240,00 EUR, Vorauszahlungen für Betriebskosten: 50,00 EUR und für Heizkosten: 50,00 EUR) anfalle. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Juni 2013 ab und führte aus, der beabsichtigte Umzug sei nicht erforderlich.

Die Klägerin persönlich legte gegen diesen Bescheid am 27. Juni 2013 Widerspruch ein. Sie führte aus, aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme könne sie nicht länger in ihrer derzeitigen Wohnung bleiben. Die angebotene Wohnung sei sowohl nach der Wohnfläche als auch nach der Miethöhe angemessen. Am 8. Juli 2013 legte auch der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid ein und beantragte Akteneinsicht. Nach Einsichtnahme in die Verwaltungsakte begründete der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 5. August 2013 den Widerspruch und forderte den Beklagten auf, den Rechtsbehelf umgehend zu bescheiden, damit ggf. eine gerichtliche Klärung herbeigeführt werden könne.

Am 19. August 2013 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, sie werde zum 1. September 2013 in die Wohnung in der G. umziehen. Nach dem Umzug legte sie am 5. September 2013 den am 1. September 2013 unterzeichneten Mietvertrag für die Wohnung vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. September 2013 verwarf der Beklagte den Widerspruch als unzulässig. Der Klägerin fehle es am Rechtschutzbedürfnis. Da der Umzug bereits erfolgt sei, bedürfe sie keiner Zusicherung mehr. Ein alternativer, auf Feststellung der Rechtwidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes gerichteter Fortsetzungsfeststellungswiderspruch sei unstatthaft, da es am Feststellungsinteresse fehle. Die für das Widerspruchsverfahren entstanden Aufwendungen könnten nicht erstattet werden.

Am 28. Oktober 2013 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) gegen die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid erhoben. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, der Beklagte sei zur Übernahme ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Widerspruchsverfahren verpflichtet. Zwar sei im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchbescheids der Umzug bereits vollzogen gewesen. Der Beklagte hätte jedoch früher – noch vor dem Umzug – über den Widerspruch entscheiden müssen. Ihm sei die Eilbedürftigkeit bekannt gewesen, da Wohnungsangebote in der Regel zeitlich befristet seien. Unabhängig von der Dreimonatsfrist für Untätigkeitsklagen gemäß § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) müssten eilige Widerspruchsverfahren beschleunigt bearbeitet werden. Trotz der Bitte um eine umgehende Bescheidung habe der Beklagte zunächst den Umzug abgewartet, um den Widerspruch dann als unzulässig abzuweisen.

Nach mündlicher Verhandlung hat das SG den Beklagten mit Urteil vom 21. Juli 2015 verurteilt, der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen für das Widerspruchsverfahren zu erstatten. Das SG hat im Urteil die Berufung zugelassen. Es hat zur Begründung ausgeführt, zwar habe der Widerspruch der Klägerin, gemessen an den Grundsätzen von § 63 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), keinen Erfolg gehabt. Denn im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch habe ihr nach Durchführung des Umzugs das erforderliche Rechtschutzbedürfnis gefehlt. Ihr Zusicherungsbegehren und der ablehnende Bescheid hätten sich durch den Umzug in die neue Wohnung erledigt. Im Fall der Erledigung des Widerspruchs auf sonstige Weise sei jedoch eine Kostenentscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes in entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG sowie § 161 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu treffen. Denn anderenfalls könne die Behörde durch bewusstes Hinauszögern der Entscheidung im Widerspruchsverfahren die Kostenerstattungspflicht umgehen. Zwar habe auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) für die insoweit vergleichbare Regelung in § 80 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) entschieden, dass eine analoge Anwendung der Kostenregelungen der §§ 145ff. VwGO, insbesondere von § 161 Abs. 2 VwGO, nicht zulässig sei, da der Gesetzgeber für das Widerspruchsverfahren bewusst von einer allgemeinen Kostenerstattungsregelung in Anlehnung an die Regelungen in den Prozessordnungen abgesehen habe. Es habe aber zu § 80 VwVfG auch entschieden, dass die Behörde ihre grundsätzliche Kostenerstattungspflicht nicht durch Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes bzw. durch Erlass des beantragten, aber zunächst abgelehnten Verwaltungsaktes umgehen dürfe. Dieses Umgehungsverbot sei auch auf Fallkonstellationen anwendbar, in denen die Behörde ohne erkennbaren Grund über einen offensichtlich eilbedürftigen Widerspruch nicht zeitnah entscheide. Die Dreimonatsfrist des § 88 Abs. 2 SGG könne bei eilbedürftigen Widerspruchsverfahren – wie solchen, in denen es um eine Zusicherung zum Umzug nach § 22 Abs. 4 SGB II gehe – nicht gelten. Regelmäßig hielten Vermieter Wohnungsangebote nicht monatelang für einen Interessenten frei. Bei Ausschöpfen der Dreimonatsfrist durch die Behörde trete regelmäßig Erledigung ein, weil entweder die begehrte Wohnung nicht mehr verfügbar sei oder der Leistungsberechtigte sich entschieden habe, ohne Zusicherung umzuziehen. Da der Beklagte zügiger hätte entscheiden müssen, könne offen bleiben, ob er den Widerspruchsbescheid bewusst verzögert habe. Der Widerspruch habe Aussicht auf Erfolg gehabt, denn der ...-jährigen Klägerin sei es aufgrund ihrer Erkrankung nicht länger zuzumuten gewesen, weiter in ihrer Einraumwohnung zu bleiben. Der Umzug in eine Zweiraumwohnung sei erforderlich gewesen.

Gegen das ihm am 11. August 2015 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 10. September 2015 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, als Rechtsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch komme allein § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Betracht. Ob ein Widerspruch erfolgreich sei, sei am tatsächlichen (äußeren) Verfahrensgang zu messen. Es bedürfe einer abhelfenden oder stattgebenden Verwaltungsentscheidung. Erledige sich ein Widerspruch auf eine andere Weise, sei er nicht erfolgreich im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Eine entsprechende Anwendung von § 161 Abs. 2 oder 3 VwGO komme nicht in Betracht, denn es bestehe keine im Wege der Analogie ausfüllungsbedürftige Gesetzeslücke. Im SGB X sei selbständig und abschließend geregelt, in welchem Umfang die Kosten des Vorverfahrens zu erstatten seien. Obwohl die Regelung des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X – wie auch die des § 80 VwVfG – vielfach als unbefriedigend angesehen werde, habe der Gesetzgeber die Regelung nicht geändert. Ermessenserwägungen seien nicht relevant.

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. Juli 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt schriftlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Ergänzend führt sie aus, der Beklagte könne sich nicht darauf berufen, innerhalb der Frist von § 88 Abs. 2 SGG den Widerspruch beschieden zu haben. Maßgeblich seien die Umstände des Einzelfalls. Gerade in Zusicherungsverfahren nach dem SGB II sei eine zeitnahe Entscheidung geboten. Im Übrigen sei zugunsten der Klägerin der Grundsatz von Treu und Glauben zu berücksichtigen. Die verzögerte Bearbeitung des Widerspruchsverfahrens dürfe nicht zu ihren Lasten gehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen sind Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß den §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten dazu ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 SGG). Der Senat ist an die Zulassung der Berufung durch das SG gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG).

Die Berufung des Beklagten ist begründet. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erstattung ihrer Aufwendungen für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid des Beklagten vom 6. Juni 2013. Die Kostenentscheidung des Beklagten in dem Widerspruchsbescheid vom 25. September 2013 ist rechtmäßig.

Die unmittelbar gegen die Entscheidung des Beklagten im Widerspruchsbescheid über die Kosten des Widerspruchsverfahrens gerichtete Klage ist zulässig gewesen. Eines gesonderten Vorverfahrens nach § 78 Abs. 1 SGG hinsichtlich der Kostengrundentscheidung bedurfte es nicht. Streitgegenstand im Berufungsverfahren ist ausschließlich die Entscheidung über die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsbescheid vom 25. September 2013 für das Vorverfahren gegen den Ausgangsbescheid vom 6. Juni 2013, mit dem der Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Zusicherung zur Kostenübernahme für die Wohnung in der Gartenstraße abgelehnt hatte. Gegen die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage.

Die Voraussetzungen für den begehrten Aufwendungsersatz nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nicht gegeben. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, wenn (bzw. soweit) der Widerspruch erfolgreich ist. Erfolg im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat ein Widerspruch nur dann, wenn die Behörde ihm stattgibt (vgl. BSG, Urteile vom 12. Juni 2013, Az.: B 14 AS 68/12 R, juris; und vom 19. Juni 2012, Az.: B 4 AS 142/11 R, juris). Maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit ein Widerspruch erfolgreich oder erfolglos war, ist ein Vergleich des mit dem Widerspruch Begehrten mit dem Inhalt der das Vorverfahren abschließenden Sachentscheidung (Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid).

Gegenstand des dem Bescheid vom 6. Juni 2013 betreffenden Vorverfahrens war die Erteilung einer Zusicherung zu den bei Bezug der Wohnung in der Gartenstraße anfallenden Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 4 SGB II. Nach Ablehnung des Antrags ist die begehrte Zusicherung der Klägerin weder während des Widerspruchsverfahrens noch mit dem Widerspruchsbescheid vom 25. September 2013 erteilt worden. Vielmehr hat der Beklagte den Widerspruch gegen den Ausgangsbescheid als unzulässig verworfen, da sich das Zusicherungsbegehren der Klägern durch ihren im Verlauf des Widerspruchsverfahrens vorgenommenen Umzugs auf andere Weise erledigt hatte. Mit dem tatsächlichen Umzug war die tatbestandliche Voraussetzung für die Erteilung einer Zusicherung gemäß § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II ("Vor Abschluss eines Vertrags über eine neue Unterkunft ") entfallen. Die Klägerin benötigte keine Zusicherung mehr; sie konnte nunmehr direkt die Übernahme der tatsächlichen KdU beim Beklagten geltend machen. Insoweit entfaltete der ablehnende Ausgangsbescheid für die Klägerin keine belastende Rechtswirkung mehr. Das Widerspruchsverfahren als solches hatte sich erledigt. Mangels Rechtsschutzbedürfnisses war der Widerspruch unzulässig geworden. Damit war er im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfolglos. Es bestand kein Anspruch auf Erstattung der Kosten des Vorverfahrens gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Die Klägerin kann ihr Begehren auch nicht erfolgreich auf § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X stützen. Danach zieht auch ein Widerspruch, der nur deswegen nicht erfolgreich war, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift des § 41 SGB X unbeachtlich ist, die Kostenfolge des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X nach sich. Ein Anwendungsfall des § 41 SGB X ist vorliegend nicht gegeben.

Diese Vorschrift kann – wie auch die Grundvorschrift in § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X – nicht analog angewendet werden. § 63 Abs. 1 SGB X stellt ein in sich geschlossenes Regelungsgefüge für die Kostenerstattung für sog. isolierte Widerspruchsverfahren dar. Es handelt sich um ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, bei dem im Grundsatz rein formal auf das erfolgreiche Ergebnis abgestellt wird (Satz 1), von dem das Gesetz nur eine Ausnahme bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 41 SGB X vorsieht (Satz 2). Eine über den Wortlaut der Regelungen in § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X hinausgehende erweiternde Auslegung ist schon aufgrund der Entstehungsgeschichte der Norm nicht möglich (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2010, Az.: B 13 R 15/10 R, juris RN 34; ihm folgend: BSG, Urteil vom 19. Juni 2012, Az.: B 4 AS 142/11 R, juris RN 14ff.; Becker in: Hauck/Noftz, SGB X, Losebl., § 63 RN 38 ff.; Feddern in: LPK-SGB X, § 63 RN 27 ff. (29)).

Die Regelung des § 63 SGB X entspricht im Grundsatz § 80 VwVfG. Für beide Vorschriften ist allgemein anerkannt, dass sie selbständig und abschließend regeln, in welchem Umfang die Kosten des Vorverfahrens zu erstatten sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 1982, Az.: 7 C 72/79, juris RN 14f.; BSG, Urteil vom 20. Oktober 2010, a.a.O. RN 33ff.). Bei Einführung von § 80 VwVfG hat der Gesetzgeber bewusst ein relativ schlichtes Regel-Ausnahme-Verhältnis von Satz 1 zu Satz 2 geschaffen. Die Ausnahmen sollten auf die im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Gründe beschränkt bleiben. Insoweit heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf ausdrücklich, dass auf besondere Bestimmungen über die Kostentragung bei falscher Rechtsmittelbelehrung oder falscher Sachbehandlung durch die Behörde verzichtet worden sei, um eine kasuistische Regelung zu vermeiden (zitiert nach: BSG, Urteil vom 20. Oktober 2010, a.a.O., RN 34). Dieser in den Materialen zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers bei der Abfassung von § 80 VwVfG steht auch einer erweiternden oder analogen Anwendung des ihm nachgebildeten § 63 Abs. 1 SGB X entgegen. Denn das Fehlen einer Regelung für Fälle der falschen Sachbehandlung der Behörde (die letztlich die Klägerin vorliegend geltend macht) entspricht der gesetzgeberischen Zielsetzung. Eine planwidrige Regelungslücke kann daher nicht festgestellt werden (vgl. auch BSG, Urteil vom 20. Oktober 2010, a.a.O., RN 35; BSG, Urteil vom 19. Juni 2012, a.a.O., RN 16f.).

Damit kann vorliegend dahinstehen, ob materiell-rechtlich die Voraussetzungen für die Erteilung einer Zusicherung vorlagen oder ob der Beklagte die Entscheidung über den Widerspruch pflichtwidrig verzögert und erst zu spät – nach Erledigung der Hauptsache durch den erfolgten Umzug – getroffen hat. Insoweit hat das BSG mehrfach betont, dass die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nach Abschluss des Verfahrens im anschließenden Kostenverfahren nicht mehr zu überprüfen ist. Hierfür wurde als Grund nicht nur die Verfahrensökonomie, sondern auch die unterschiedliche Ausgestaltung des § 63 SGB X als gebundene Entscheidung im Gegensatz zu der nach § 193 SGG vorgesehenen Ermessensentscheidung angeführt. Durch die alleinige Ausrichtung der Kostenentscheidung an den Erfolg des Widerspruchs sollten aufwendige Ermittlungen oder Ermessenserwägungen vermieden werden (vgl. auch: Beschluss des Senats vom 22. August 2013, Az.: L 4 P 1/13 NZB, juris RN 26).

Daher sind entgegen der Auffassung der Klägerin und des SG im angefochtenen Urteil Veranlassungsgesichtspunkte oder Billigkeitsgründe bei einer Kostenentscheidung nach § 63 Abs. 1 SGB X unbeachtlich. Anders als bei § 193 SGG kommt es für den Eintritt der Kostenbelastung der Verwaltung für ein Widerspruchsverfahren ausschließlich auf den Erfolg des Widerspruchs an. Hat die Verwaltung den letztlich erfolglosen, da unstatthaften, Widerspruch durch eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung "veranlasst" oder – wie hier – die Erfolglosigkeit im Sinne der im Verlauf des Vorverfahrens eingetretenen Unzulässigkeit des Widerspruchs durch eine verzögerte Bearbeitung "mitverursacht", ist dies nach der gesetzliche Regelungssystematik nicht von Belang.

Insoweit hilft auch der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht weiter; zumal dieser nicht auf die Rechtsfolge Schadensersatz in Geld, sondern auf Naturalrestitution, d.h. auf Vornahme einer Handlung zur Herstellung einer sozialrechtlichen Position gerichtet ist (vgl. BSG, Urteil vom 19. Juni 2012, a.a.O., RN 19; BSG, Urteil vom 10. Oktober 2010, a.a.O., RN 38 ff.).

Auch der nach der Kommentarliteratur (vgl. Becker, a.a.O., RN 41 ff.; Diering, LPK SGB X, 4. Aufl. 2016, RN 11) bei einem – wie hier – erfolglosen Widerspruch denkbare Anspruch auf Aufwendungsersatz nach § 65a Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) führt vorliegend nicht zum Erfolg, da dieser nur Kosten des Widerspruchsführers betrifft, die aufgrund eines "Verlangens" des Leistungsträgers entstanden sind. Dafür ist hier nichts ersichtlich.

Da die Kostenentscheidung des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 25. September 2013 rechtmäßig war, war das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung im Berufungsverfahren beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung für die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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