Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KR 431/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 843/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 38/15 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Auf Rev. der Bekl. wird Urteil des LSG aufgehoben !!!
Berufung wird zurückgewiesen, soweit es die Klage auf Zahlung von 338,50 Euro vorgerichtl. RA-Kosten nebst Zinsen abgewiesen hat. Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
Berufung wird zurückgewiesen, soweit es die Klage auf Zahlung von 338,50 Euro vorgerichtl. RA-Kosten nebst Zinsen abgewiesen hat. Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.11.2012 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.520,11 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 11.03.2010 sowie einen weiteren Betrag von 338,50 Euro zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 12.01.2012 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob gegenüber der Beklagten Ansprüche aufgrund des Gesetzes über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung (AAG) geltend gemacht werden können. Dabei ist primär streitig, ob diese Ansprüche durch Aufrechnung seitens der Beklagten erloschen sind.
Aufgrund eines Gläubigerantrags vom 21.10.2010 ist der Kläger durch Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Duisburg vom 11.03.2011 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der N T GmbH (nachfolgend Insolvenzschuldnerin) bestellt worden.
Die Insolvenzschuldnerin machte gegenüber der Beklagten die Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung in Höhe von insgesamt 3.520,11 Euro geltend. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 05.10.2010, 20.09.2010, 19.08.2010 und 26.07.2010 der Insolvenzschuldnerin mit, dass die geltend gemachten erstattungsfähigen Aufwendungen bestünden, jedoch auf dem Beitragskonto der Insolvenzschuldnerin noch Beitrags- und Nebenforderungen zwischen 12.211,29 Euro und 18.323,35 Euro offen seien. Weiter heißt es in den jeweiligen Schreiben: "Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir Ihre Aufwendungen daher mit den offenen Beiträgen, Säumniszuschlägen und Mahnkosten vollständig verrechnet haben."
Mit Schreiben vom 23.10.2011 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die Beklagte Beitragszahlungen in Höhe von insgesamt 15.449,- Euro erbracht worden seien, welche zurückgezahlt werden müssten. Er erklärte die Anfechtung dieser Zahlungen nach § 129 ff. Insolvenzordnung (InsO). Die Beklagte erstattete daraufhin einen Betrag in Höhe von 12.289,29 Euro und führte weiter aus, dass sie die darüber hinaus angefochtenen Aufrechnungen von Erstattungsansprüchen nach dem AAG nicht erstatten könne, da die Aufrechnungen zulässig seien; dem stehe auch § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht entgegen. Der Kläger vertrat mit Schreiben vom 09.02.2012 die Auffassung, dass die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO der Zulässigkeit der Aufrechnungen entgegenstehe.
Der Kläger hat am 12.07.2012 Klage erhoben, mit der er begehrt, die Beklagte zur Zahlung von 3.520,11 Euro zu verurteilen. Er hat die Auffassung vertreten, dass die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 InsO der von der Beklagten erklärten Aufrechnung entgegenstehe. Danach sei eine Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Beklagte als Insolvenzgläubigerin die Möglichkeit zur Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt habe. Das sei hier der Fall. Eine Rechtshandlung gemäß § 129 Abs. 1 InsO sei jedes von einem Willen getragene Handeln, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Insolvenzschuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern könne. Als Rechtshandlung könne an jedes Geschäft angeknüpft werden, das zum anfechtbaren Erwerb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führe. Zu den Rechtshandlungen zählten nicht nur Willenserklärungen als Bestandteil von Rechtsgeschäften aller Art und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen, sondern nach der Rechtsprechung des BGH auch Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimesse. Die Schuldnerstellung der Beklagten ergebe sich daraus, dass die Insolvenzschuldnerin Anträge auf Erstattung gestellt hatte und die Beklagte diese bewilligte. Dadurch sei sie zur Schuldnerin der Erstattungsansprüche geworden. Durch die dann im kritischen Zeitraum des § 131 InsO vorgenommenen Aufrechnung habe die Beklagte der Insolvenzmasse Forderungen entzogen und dadurch die Gläubiger benachteiligt.
Es müsse auch kein Vorverfahren nach § 78 SGG durchgeführt werden, da die angefochtenen Aufrechnungserklärungen nicht als Verwaltungsakte zu qualifizieren seien. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Beschluss des Großen Senates des BSG vom 31.08.2011 (GS 2/10), in dem das BSG lediglich anerkannt habe, dass Leistungsträger die Aufrechnung per Verwaltungsakt vornehmen könnten, aber nicht müssten.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.520,11 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.03.2010 sowie einen weiteren Betrag in Höhe von 338,50 Euro zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.01.2012 unter dem Gesichtspunkt des verzugsbedingten Schadensersatz zu zahlen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat angefragt, ob die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens für erforderlich erachtet werde, denn die Geltendmachung der Erstattung der aufgerechneten Beträge durch den Kläger könne als Widerspruch zu werten sein.
Die Aufrechnungslage sei bereits nicht durch eine Rechtshandlung entstanden, da die sich gegenüberstehenden Ansprüche aufgrund gesetzlicher Vorschriften entstünden, der Erstattungsanspruch gemäß § 2 AAG, der Beitragszahlungsanspruch gemäß § 22 Abs. 1 SGB IV. Soweit der Kläger auf die Rechtsprechung des BGH Bezug nehme, ergebe sich daraus nichts anderes, denn der BGH habe im Falle der Umsatzsteuerschulden nur deshalb eine Rechtshandlung angenommen, da durch die gewerbliche, rechtsgeschäftliche Tätigkeit vorgelagerte Rechtshandlungen gegeben seien, welche i.S. einer weiten Auslegung des Begriffs als ausreichend erachtet würden. Erst durch diese vorgelagerten Rechtshandlungen entstehe die Steuerschuld überhaupt. Insoweit unterscheide sich die Sachlage grundlegend vom hier vorliegenden Sachverhalt.
Das Sozialgericht Duisburg hat durch Urteil vom 23.11.2012 ohne mündliche Verhandlung die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klage zwar mangels Widerspruchsverfahrens zum Entscheidungszeitpunkt unzulässig sei, da es sich bei der Aufrechnung um einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt handele. Das Gericht habe aber von einer Aussetzung des Verfahrens abgesehen, denn die Klage sei auch unbegründet. Unstreitig hätten Erstattungsansprüche in Höhe von insgesamt 3.520,11 Euro gegenüber der Beklagten bestanden. Ebenso unstreitig habe die Beklagte gegenüber der Insolvenzschuldnerin Forderungen aus Beitragsrückständen in fünfstelliger Höhe gehabt. Die Beklagte habe somit gemäß § 94 InsO die Aufrechnung erklären können. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, da die Beitragsschulden kraft Gesetzes entstanden seien, so dass es bereits an einer Rechtshandlung mangele. Dies gelte im Übrigen auch für die Gegenforderungen nach dem AAG, denn dieser Anspruch des Arbeitgebers entstehe nach § 2 Abs. 2 AAG allein durch die Entgeltfortzahlung.
Gegen das ihm am 29.11.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.12.2012 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.11.2012 abzuändern und nach dem Antrag aus dem Schriftsatz vom 20.12.2012 zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und vertieft nochmals ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.11.2012 ist erfolgreich, denn der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch in Höhe des streitigen Betrages aufgrund der Bestimmungen des AAG.
Die Klage ist zulässig. Eines Widerspruchsverfahrens bedarf es entgegen der von der Beklagten geäußerten Ansicht nicht. Denn aus der Rechtsprechung des BSG (Beschluss des Großen Senates vom 31.08.2011 - GS 2/10 -), der sich zur Verrechnung als - wie das BSG es ausdrückt - besonderer Form der Aufrechnung verhält, hat der Sozialversicherungsträger zwar die Möglichkeit, die Aufrechnung in Form eines Verwaltungsaktes zu erklären; er ist jedoch grundsätzlich nicht gezwungen, die Form eines Verwaltungsaktes zu wählen. Das BSG betont ausdrücklich, dass der Versicherungsträger zwar die Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes hat, es hebt jedoch ebenso hervor, dass nicht von den Entscheidungen des BGH, des BVerwG und des BFH abgewichen wird, die bei der Aufrechnung von der Rechtsnatur als öffentlich-rechtliche Willenserklärung ausgehen.
Dem stehen die Regelungen in § 43 Abs. 4 SGB II und § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X nicht entgegen. Aus § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X ergibt sich lediglich, dass bei sog. Bagatellaufrechnungen die vorherige Anhörung nicht erforderlich ist. Dadurch hat der Gesetzgeber jedoch lediglich zum Ausdruck gebracht, dass in den Fällen, in denen tatsächlich die Handlungsart "Verwaltungsakt" gewählt wird, eine Anhörung nicht erforderlich ist. Der Norm ist jedoch nicht zu entnehmen, dass Aufrechnungen grundsätzlich nur durch Verwaltungsakt erfolgen dürfen.
In § 43 Abs. 4 SGB II wird ausdrücklich bestimmt, dass die Aufrechnung im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch Verwaltungsakt zu erfolgen hat. Aus dieser ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist jedoch nur zu schließen, dass allein in diesem Leistungsbereich die Handlungsform "Verwaltungsakt" zwingend vorgeschrieben ist. In den anderen Rechtsgebieten, für die der Gesetzgeber diese Sonderregelung nicht eingeführt hat (z.B. § 26 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII -), sind - entsprechend der Rechtsprechung des Großen Senates des BSG - beide Handlungsformen zulässig.
Die Beklagte hat auch nicht in ihren Schreiben vom 05.10.2010, 20.09.2010, 19.08.2010 und 26.07.2010 an die Insolvenzschuldnerin zum Ausdruck gebracht, dass sie hoheitlich in der Form eines Verwaltungsaktes eine Regelung treffen will. Den Schreiben ist vielmehr zu entnehmen, dass die Beklagte eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung abgegeben hat. Denn sie führt ausdrücklich aus: "Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir Ihre Aufwendungen daher mit den offenen Beiträgen, Säumniszuschlägen und Mahnkosten vollständig verrechnet haben." Damit hat die Beklagte deutlich gemacht, dass sie sich nicht der hoheitlichen Handlungsform eines Verwaltungsaktes bedienen will. Dafür spricht weiter, dass die Beklagte offensichtlich bis zum Zeitpunkt der Zustellung der Klageschrift gar nicht auf den Gedanken gekommen ist, dass es sich bei der von ihr gewählten Handlungsform nicht um eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung, sondern um einen Verwaltungsakt gehandelt haben kann.
Die Klage ist auch begründet. Die unstreitige Forderung des Klägers ist auch nicht durch die Aufrechnung seitens der Beklagten mit den ihr als Einzugsstelle zustehenden Beitragsansprüchen erloschen. Denn die von der Beklagten erklärte Aufrechnung ist gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, da die Beklagte als Insolvenzgläubigerin die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat.
Der Begriff der Rechtshandlung ist weit auszulegen. Rechtshandlung ist danach jedes von einem Willen getragene Handeln, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann. Ob die Wirkung selbst gewollt war, ist unerheblich. Es genügt, wenn diese kraft Gesetzes eintritt (Hirte/Ede in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 14. Aufl., § 129 Rdn. 86 m.w.N.). Eine Rechtshandlung ist auch dann anzunehmen, wenn Ansprüche "kraft Gesetzes" entstehen.
Der BGH (Urteil vom 22.10.2009 - IX ZR 147/06 -) hat angenommen, dass auch Handlungen des Schuldners, die zum Entstehen einer Umsatzsteuerschuld führen, eine anfechtbare Rechtshandlung, durch die das Schuldnervermögen belastet wird, darstellen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass gerade die Geschäfte des Schuldners - hier die umsatzsteuerpflichtigen Leistungen an Kunden - zum Entstehen der Steuerforderung führen und deshalb eine Rechtshandlung i.S.v. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu bejahen ist. Der BFH, der in seiner Entscheidung vom 16. November 2004 (BFHE 208, 296, 299 f.) noch angenommen hatte, dass die Umsatzsteuer nicht durch eine Rechtshandlung, sondern - wie jede Steuer - kraft Gesetzes durch Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen entstehe, hat in seiner Entscheidung vom 22.11.2010 (VII R 62/10) sich der Rechtsauffassung des BGH angeschlossen und ebenfalls das Entstehen einer Steuerschuld als Rechtshandlung angesehen, da die Steuerschuld aufgrund zielgerichteten Handelns (z.B. Verkauf) entsteht. Das BSG (Urteil vom 23.03.2011 - B 6 KA 14/10 R -) hat sich dieser Rechtsauffassung ebenfalls angeschlossen und ausgeführt, dass eine Kassenärztliche Vereinigung einen ihr gegen einen Vertragsarzt zustehenden Rückforderungsanspruch wegen Honorarberichtigungen aus zurückliegenden Quartalen nicht gegen laufende Honoraransprüche aufrechnen könne.
Nach dieser zwischenzeitlich gefestigten Rechtsprechung steht fest, dass beim Entstehen beider der Aufrechnung zugrundeliegenden Ansprüche (Erstattungsanspruch/Beitragsan- spruch) von einer Rechtshandlung i.S.v. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO auszugehen ist. Denn der Beitragsanspruch entsteht durch die Begründung und tatsächliche Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung; der Erstattungsanspruch wird dadurch begründet, dass einem arbeitsunfähigen Beschäftigten Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle gewährt wird. Mit dieser weiten Auslegung des Begriffs der Rechtshandlung i.S.v. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO wird im Ergebnis erreicht, dass die Gläubiger, zu deren Gunsten sich eine Aufrechnungssituation ergibt, gegenüber anderen Gläubigern des Insolvenzschuldners nicht hinsichtlich der Realisierung ihrer Forderung bevorzugt werden. Gleichzeitig wird erreicht, dass durch Aufrechnungen der Insolvenzmasse Kapital entzogen wird. Damit hat sich zwar die Position der Sozialversicherungsträger im Insolvenzverfahren gegenüber der früheren Regelung in der Konkursordnung verschlechtert, jedoch entspricht dies dem gesetzgeberischen Willen, wonach grundsätzlich alle Insolvenzgläubiger gleich behandelt werden und sog. bevorrechtigte Forderungen nicht mehr bestehen.
Bei anfechtbar herbeigeführter Aufrechnungslage tritt die Unwirksamkeit der Aufrechnung als Rechtsfolge automatisch ein. Der Insolvenzverwalter muss mithin keine Anfechtungsklage erheben, sondern kann sich unmittelbar auf die Wirksamkeit der Aufrechnung berufen mit der Folge, dass er die ursprünglich durch die Aufrechnung erloschenen Ansprüche des Gemeinschuldners für die Insolvenzmasse einklagen und den Aufrechnungseinwand mit der Gegeneinrede der Anfechtbarkeit abwehren kann (Sinz, a.a.O., § 96 Rdn. 46 m.w.N.).
Es hat eine Anfechtungsklage gemäß §§ 130 ff. InsO vorgelegen. Denn im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung war der Beklagten, bei der die Insolvenzschuldnerin erhebliche Beitragsrückstände hatte, bekannt, dass Zwangsvollstreckungsersuche gescheitert waren. Damit war ihr ebenfalls bekannt, dass die Insolvenzschuldnerin sich in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten befand. Sie war somit "bösgläubig" i.S.d. §§ 130 ff. InsO.
Da die Beklagte mit der Erfüllungsverweigerung vom 12.01.2012 in Verzug kam, hat sie die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten wie auch die Zinsen als Verzugsschaden zu erstatten. Der Zinsanspruch aus der Hauptforderung besteht ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs. 2 SGG) zuzulassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob gegenüber der Beklagten Ansprüche aufgrund des Gesetzes über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung (AAG) geltend gemacht werden können. Dabei ist primär streitig, ob diese Ansprüche durch Aufrechnung seitens der Beklagten erloschen sind.
Aufgrund eines Gläubigerantrags vom 21.10.2010 ist der Kläger durch Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Duisburg vom 11.03.2011 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der N T GmbH (nachfolgend Insolvenzschuldnerin) bestellt worden.
Die Insolvenzschuldnerin machte gegenüber der Beklagten die Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung in Höhe von insgesamt 3.520,11 Euro geltend. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 05.10.2010, 20.09.2010, 19.08.2010 und 26.07.2010 der Insolvenzschuldnerin mit, dass die geltend gemachten erstattungsfähigen Aufwendungen bestünden, jedoch auf dem Beitragskonto der Insolvenzschuldnerin noch Beitrags- und Nebenforderungen zwischen 12.211,29 Euro und 18.323,35 Euro offen seien. Weiter heißt es in den jeweiligen Schreiben: "Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir Ihre Aufwendungen daher mit den offenen Beiträgen, Säumniszuschlägen und Mahnkosten vollständig verrechnet haben."
Mit Schreiben vom 23.10.2011 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die Beklagte Beitragszahlungen in Höhe von insgesamt 15.449,- Euro erbracht worden seien, welche zurückgezahlt werden müssten. Er erklärte die Anfechtung dieser Zahlungen nach § 129 ff. Insolvenzordnung (InsO). Die Beklagte erstattete daraufhin einen Betrag in Höhe von 12.289,29 Euro und führte weiter aus, dass sie die darüber hinaus angefochtenen Aufrechnungen von Erstattungsansprüchen nach dem AAG nicht erstatten könne, da die Aufrechnungen zulässig seien; dem stehe auch § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht entgegen. Der Kläger vertrat mit Schreiben vom 09.02.2012 die Auffassung, dass die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO der Zulässigkeit der Aufrechnungen entgegenstehe.
Der Kläger hat am 12.07.2012 Klage erhoben, mit der er begehrt, die Beklagte zur Zahlung von 3.520,11 Euro zu verurteilen. Er hat die Auffassung vertreten, dass die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 InsO der von der Beklagten erklärten Aufrechnung entgegenstehe. Danach sei eine Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Beklagte als Insolvenzgläubigerin die Möglichkeit zur Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt habe. Das sei hier der Fall. Eine Rechtshandlung gemäß § 129 Abs. 1 InsO sei jedes von einem Willen getragene Handeln, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Insolvenzschuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern könne. Als Rechtshandlung könne an jedes Geschäft angeknüpft werden, das zum anfechtbaren Erwerb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führe. Zu den Rechtshandlungen zählten nicht nur Willenserklärungen als Bestandteil von Rechtsgeschäften aller Art und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen, sondern nach der Rechtsprechung des BGH auch Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimesse. Die Schuldnerstellung der Beklagten ergebe sich daraus, dass die Insolvenzschuldnerin Anträge auf Erstattung gestellt hatte und die Beklagte diese bewilligte. Dadurch sei sie zur Schuldnerin der Erstattungsansprüche geworden. Durch die dann im kritischen Zeitraum des § 131 InsO vorgenommenen Aufrechnung habe die Beklagte der Insolvenzmasse Forderungen entzogen und dadurch die Gläubiger benachteiligt.
Es müsse auch kein Vorverfahren nach § 78 SGG durchgeführt werden, da die angefochtenen Aufrechnungserklärungen nicht als Verwaltungsakte zu qualifizieren seien. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Beschluss des Großen Senates des BSG vom 31.08.2011 (GS 2/10), in dem das BSG lediglich anerkannt habe, dass Leistungsträger die Aufrechnung per Verwaltungsakt vornehmen könnten, aber nicht müssten.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.520,11 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.03.2010 sowie einen weiteren Betrag in Höhe von 338,50 Euro zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.01.2012 unter dem Gesichtspunkt des verzugsbedingten Schadensersatz zu zahlen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat angefragt, ob die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens für erforderlich erachtet werde, denn die Geltendmachung der Erstattung der aufgerechneten Beträge durch den Kläger könne als Widerspruch zu werten sein.
Die Aufrechnungslage sei bereits nicht durch eine Rechtshandlung entstanden, da die sich gegenüberstehenden Ansprüche aufgrund gesetzlicher Vorschriften entstünden, der Erstattungsanspruch gemäß § 2 AAG, der Beitragszahlungsanspruch gemäß § 22 Abs. 1 SGB IV. Soweit der Kläger auf die Rechtsprechung des BGH Bezug nehme, ergebe sich daraus nichts anderes, denn der BGH habe im Falle der Umsatzsteuerschulden nur deshalb eine Rechtshandlung angenommen, da durch die gewerbliche, rechtsgeschäftliche Tätigkeit vorgelagerte Rechtshandlungen gegeben seien, welche i.S. einer weiten Auslegung des Begriffs als ausreichend erachtet würden. Erst durch diese vorgelagerten Rechtshandlungen entstehe die Steuerschuld überhaupt. Insoweit unterscheide sich die Sachlage grundlegend vom hier vorliegenden Sachverhalt.
Das Sozialgericht Duisburg hat durch Urteil vom 23.11.2012 ohne mündliche Verhandlung die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klage zwar mangels Widerspruchsverfahrens zum Entscheidungszeitpunkt unzulässig sei, da es sich bei der Aufrechnung um einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt handele. Das Gericht habe aber von einer Aussetzung des Verfahrens abgesehen, denn die Klage sei auch unbegründet. Unstreitig hätten Erstattungsansprüche in Höhe von insgesamt 3.520,11 Euro gegenüber der Beklagten bestanden. Ebenso unstreitig habe die Beklagte gegenüber der Insolvenzschuldnerin Forderungen aus Beitragsrückständen in fünfstelliger Höhe gehabt. Die Beklagte habe somit gemäß § 94 InsO die Aufrechnung erklären können. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, da die Beitragsschulden kraft Gesetzes entstanden seien, so dass es bereits an einer Rechtshandlung mangele. Dies gelte im Übrigen auch für die Gegenforderungen nach dem AAG, denn dieser Anspruch des Arbeitgebers entstehe nach § 2 Abs. 2 AAG allein durch die Entgeltfortzahlung.
Gegen das ihm am 29.11.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.12.2012 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.11.2012 abzuändern und nach dem Antrag aus dem Schriftsatz vom 20.12.2012 zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und vertieft nochmals ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.11.2012 ist erfolgreich, denn der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch in Höhe des streitigen Betrages aufgrund der Bestimmungen des AAG.
Die Klage ist zulässig. Eines Widerspruchsverfahrens bedarf es entgegen der von der Beklagten geäußerten Ansicht nicht. Denn aus der Rechtsprechung des BSG (Beschluss des Großen Senates vom 31.08.2011 - GS 2/10 -), der sich zur Verrechnung als - wie das BSG es ausdrückt - besonderer Form der Aufrechnung verhält, hat der Sozialversicherungsträger zwar die Möglichkeit, die Aufrechnung in Form eines Verwaltungsaktes zu erklären; er ist jedoch grundsätzlich nicht gezwungen, die Form eines Verwaltungsaktes zu wählen. Das BSG betont ausdrücklich, dass der Versicherungsträger zwar die Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes hat, es hebt jedoch ebenso hervor, dass nicht von den Entscheidungen des BGH, des BVerwG und des BFH abgewichen wird, die bei der Aufrechnung von der Rechtsnatur als öffentlich-rechtliche Willenserklärung ausgehen.
Dem stehen die Regelungen in § 43 Abs. 4 SGB II und § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X nicht entgegen. Aus § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X ergibt sich lediglich, dass bei sog. Bagatellaufrechnungen die vorherige Anhörung nicht erforderlich ist. Dadurch hat der Gesetzgeber jedoch lediglich zum Ausdruck gebracht, dass in den Fällen, in denen tatsächlich die Handlungsart "Verwaltungsakt" gewählt wird, eine Anhörung nicht erforderlich ist. Der Norm ist jedoch nicht zu entnehmen, dass Aufrechnungen grundsätzlich nur durch Verwaltungsakt erfolgen dürfen.
In § 43 Abs. 4 SGB II wird ausdrücklich bestimmt, dass die Aufrechnung im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch Verwaltungsakt zu erfolgen hat. Aus dieser ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist jedoch nur zu schließen, dass allein in diesem Leistungsbereich die Handlungsform "Verwaltungsakt" zwingend vorgeschrieben ist. In den anderen Rechtsgebieten, für die der Gesetzgeber diese Sonderregelung nicht eingeführt hat (z.B. § 26 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII -), sind - entsprechend der Rechtsprechung des Großen Senates des BSG - beide Handlungsformen zulässig.
Die Beklagte hat auch nicht in ihren Schreiben vom 05.10.2010, 20.09.2010, 19.08.2010 und 26.07.2010 an die Insolvenzschuldnerin zum Ausdruck gebracht, dass sie hoheitlich in der Form eines Verwaltungsaktes eine Regelung treffen will. Den Schreiben ist vielmehr zu entnehmen, dass die Beklagte eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung abgegeben hat. Denn sie führt ausdrücklich aus: "Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir Ihre Aufwendungen daher mit den offenen Beiträgen, Säumniszuschlägen und Mahnkosten vollständig verrechnet haben." Damit hat die Beklagte deutlich gemacht, dass sie sich nicht der hoheitlichen Handlungsform eines Verwaltungsaktes bedienen will. Dafür spricht weiter, dass die Beklagte offensichtlich bis zum Zeitpunkt der Zustellung der Klageschrift gar nicht auf den Gedanken gekommen ist, dass es sich bei der von ihr gewählten Handlungsform nicht um eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung, sondern um einen Verwaltungsakt gehandelt haben kann.
Die Klage ist auch begründet. Die unstreitige Forderung des Klägers ist auch nicht durch die Aufrechnung seitens der Beklagten mit den ihr als Einzugsstelle zustehenden Beitragsansprüchen erloschen. Denn die von der Beklagten erklärte Aufrechnung ist gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, da die Beklagte als Insolvenzgläubigerin die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat.
Der Begriff der Rechtshandlung ist weit auszulegen. Rechtshandlung ist danach jedes von einem Willen getragene Handeln, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann. Ob die Wirkung selbst gewollt war, ist unerheblich. Es genügt, wenn diese kraft Gesetzes eintritt (Hirte/Ede in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 14. Aufl., § 129 Rdn. 86 m.w.N.). Eine Rechtshandlung ist auch dann anzunehmen, wenn Ansprüche "kraft Gesetzes" entstehen.
Der BGH (Urteil vom 22.10.2009 - IX ZR 147/06 -) hat angenommen, dass auch Handlungen des Schuldners, die zum Entstehen einer Umsatzsteuerschuld führen, eine anfechtbare Rechtshandlung, durch die das Schuldnervermögen belastet wird, darstellen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass gerade die Geschäfte des Schuldners - hier die umsatzsteuerpflichtigen Leistungen an Kunden - zum Entstehen der Steuerforderung führen und deshalb eine Rechtshandlung i.S.v. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu bejahen ist. Der BFH, der in seiner Entscheidung vom 16. November 2004 (BFHE 208, 296, 299 f.) noch angenommen hatte, dass die Umsatzsteuer nicht durch eine Rechtshandlung, sondern - wie jede Steuer - kraft Gesetzes durch Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen entstehe, hat in seiner Entscheidung vom 22.11.2010 (VII R 62/10) sich der Rechtsauffassung des BGH angeschlossen und ebenfalls das Entstehen einer Steuerschuld als Rechtshandlung angesehen, da die Steuerschuld aufgrund zielgerichteten Handelns (z.B. Verkauf) entsteht. Das BSG (Urteil vom 23.03.2011 - B 6 KA 14/10 R -) hat sich dieser Rechtsauffassung ebenfalls angeschlossen und ausgeführt, dass eine Kassenärztliche Vereinigung einen ihr gegen einen Vertragsarzt zustehenden Rückforderungsanspruch wegen Honorarberichtigungen aus zurückliegenden Quartalen nicht gegen laufende Honoraransprüche aufrechnen könne.
Nach dieser zwischenzeitlich gefestigten Rechtsprechung steht fest, dass beim Entstehen beider der Aufrechnung zugrundeliegenden Ansprüche (Erstattungsanspruch/Beitragsan- spruch) von einer Rechtshandlung i.S.v. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO auszugehen ist. Denn der Beitragsanspruch entsteht durch die Begründung und tatsächliche Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung; der Erstattungsanspruch wird dadurch begründet, dass einem arbeitsunfähigen Beschäftigten Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle gewährt wird. Mit dieser weiten Auslegung des Begriffs der Rechtshandlung i.S.v. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO wird im Ergebnis erreicht, dass die Gläubiger, zu deren Gunsten sich eine Aufrechnungssituation ergibt, gegenüber anderen Gläubigern des Insolvenzschuldners nicht hinsichtlich der Realisierung ihrer Forderung bevorzugt werden. Gleichzeitig wird erreicht, dass durch Aufrechnungen der Insolvenzmasse Kapital entzogen wird. Damit hat sich zwar die Position der Sozialversicherungsträger im Insolvenzverfahren gegenüber der früheren Regelung in der Konkursordnung verschlechtert, jedoch entspricht dies dem gesetzgeberischen Willen, wonach grundsätzlich alle Insolvenzgläubiger gleich behandelt werden und sog. bevorrechtigte Forderungen nicht mehr bestehen.
Bei anfechtbar herbeigeführter Aufrechnungslage tritt die Unwirksamkeit der Aufrechnung als Rechtsfolge automatisch ein. Der Insolvenzverwalter muss mithin keine Anfechtungsklage erheben, sondern kann sich unmittelbar auf die Wirksamkeit der Aufrechnung berufen mit der Folge, dass er die ursprünglich durch die Aufrechnung erloschenen Ansprüche des Gemeinschuldners für die Insolvenzmasse einklagen und den Aufrechnungseinwand mit der Gegeneinrede der Anfechtbarkeit abwehren kann (Sinz, a.a.O., § 96 Rdn. 46 m.w.N.).
Es hat eine Anfechtungsklage gemäß §§ 130 ff. InsO vorgelegen. Denn im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung war der Beklagten, bei der die Insolvenzschuldnerin erhebliche Beitragsrückstände hatte, bekannt, dass Zwangsvollstreckungsersuche gescheitert waren. Damit war ihr ebenfalls bekannt, dass die Insolvenzschuldnerin sich in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten befand. Sie war somit "bösgläubig" i.S.d. §§ 130 ff. InsO.
Da die Beklagte mit der Erfüllungsverweigerung vom 12.01.2012 in Verzug kam, hat sie die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten wie auch die Zinsen als Verzugsschaden zu erstatten. Der Zinsanspruch aus der Hauptforderung besteht ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs. 2 SGG) zuzulassen.
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