L 11 KR 742/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 4182/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 742/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21.01.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Zwangsvollstreckung wegen Beitragsforderungen der Antragsgegnerin.

Die 1965 geborene Antragstellerin war bis 20.05.2014 als Beschäftigte bei der Antragsgegnerin pflichtversichert nach § 5 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Mit Schreiben vom 12.08.2014 erinnerte die Antragsgegnerin an ausstehende Anfragen hinsichtlich der Fortführung der Versicherung als freiwillige Versicherung und kündigte an, den Höchstbeitrag festzusetzen, falls bis 26.08.2014 keine Unterlagen eingereicht würden. Nachdem die Antragstellerin nicht reagierte, setzte die Antragsgegnerin die Beiträge mit Bescheid vom 26.08.2014 auf monatlich insgesamt 686,48 EUR fest (Höchstbeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung). Mit Schreiben vom 18.09.2014 erinnerte die Antragsgegnerin an einen Beitragsrückstand iHv 2.341,15 EUR. Mit Mahnung vom 20.10.2014 verwies sie auf ein drohendes Ruhen der Leistungsansprüche und kündigte die Vollstreckung des Rückstands von inzwischen 3.057,93 EUR an. Mit Bescheid vom 07.11.2014 stellte die Antragsgegnerin das Ruhen der Leistungsansprüche ab 14.11.2014 fest.

Unter dem 29.01.2015 erließ die Antragsgegnerin einen maschinellen Beitragsbescheid zum Jahreswechsel und setzte die Beiträge ab 01.01.2015 fest. Mit Widerspruch vom 10.02.2015 wandte sich die Antragstellerin daraufhin gegen die Festsetzung von Höchstbeiträgen ab 21.05.2014, sie habe nur einen Minijob. Mit Bescheid vom 27.02.2015 setzte die Antragsgegnerin die Beiträge ab 01.03.2015 iHv 162,07 EUR (Mindestbeiträge) fest. Der Beitragsrückstand für die Zeit vom 21.05.2014 bis 28.02.2015 betrage 6.772,84 EUR. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2015 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch im Übrigen zurück. Nach § 188 Abs 4 SGB V setze sich die Versicherung mit dem Tag nach Ausscheiden aus dem Versicherungspflichtverhältnis als freiwillige Mitgliedschaft fort. Solange keine Nachweise vorgelegt würden, seien der Beitragsbemessung nach § 6 Abs 5 Satz 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BeitrVerfGrsSz) Einnahmen iHv 1/30 der monatlichen Bezugsgröße zugrunde zu legen. Änderungen seien erst zum ersten Tag des auf die Vorlage des Nachweises folgenden Monats zu berücksichtigen, wenn der Nachweis nach Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Beitragsfestsetzung der Krankenkasse vorgelegt werde (§ 6 Abs 5 Satz 2 BeitrVerfGrsSz). Dies sei aufgrund der Vorlage der Einkommensabfrage am 10.02.2015 ab 01.03.2015 erfolgt.

Nach weiteren Zahlungsaufforderungen erteilte die Antragsgegnerin unter dem 12.10.2015 einen "Leistungsbescheid", in dem sie die geschuldeten Beiträge nebst Vollstreckungsauslagen, Säumniszuschlägen und Mahngebühren auflistete und mit insgesamt 8.221,30 EUR bezifferte. Eine vollstreckbare Ausfertigung dieses Bescheids wurde erteilt. Die Antragsgegnerin beantragte beim Amtsgericht Calw die Zwangsvollstreckung. Mit Schreiben vom 08.12.2015 forderte die Gerichtsvollzieherin S. sodann die Antragstellerin auf, bis 22.12.2015 inklusive Kosten und Zinsen einen Betrag iHv 8.260,35 EUR zu zahlen.

Am 21.12.2015 hat die Antragstellerin sodann anwaltlich vertreten beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 12.10.2015 gestellt. Es sei beantragt worden, den Bescheid vom 12.10.2015 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufzuheben. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung, da trotz des geringen Einkommens der Antragstellerin der höchste Beitragssatz berechnet worden sei. Darüber hinaus stelle die Vollziehung für die Antragstellerin eine unbillige Härte dar, ihre wirtschaftliche Existenz sei gefährdet.

Die Antragsgegnerin ist dem entgegen getreten und hat darauf hingewiesen, dass die Beitragsbescheide sämtlich bestandskräftig geworden seien. Die Vollstreckungsabteilung habe mit Schreiben vom 29.10.2015 die Gesamtforderung beziffert und die Antragsgegnerin habe den Gerichtsvollzieher mit der Beitreibung der Forderung beauftragt.

Mit Beschluss vom 21.01.2016 hat das SG den Antrag abgelehnt. Dieser sei unzulässig, da die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Hinblick auf einen Leistungsbescheid vom 12.10.2015 begehrt habe. Es sei weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die Antragstellerin überhaupt Widerspruch eingelegt habe, vielmehr habe sie auf einen Antrag nach § 44 SGB X verwiesen. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz lasse sich nicht als Widerspruch deuten, denn ein Antrag auf ein gerichtliches Eilverfahren sei etwas anderes als ein Antrag an die zuständige Behörde, einen Bescheid nochmals zu überprüfen. Als Fachanwältin für Sozialrecht sei die Bevollmächtigte der Antragstellerin auch in der Lage, zwischen einem Widerspruch und einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu unterscheiden.

Gegen den ihrer Bevollmächtigten am 26.01.2016 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 26.02.2016 Beschwerde eingelegt. Die Antragstellerin sei nicht in der Lage, den Betrag zu bezahlen. Der Bescheid sei offensichtlich rechtswidrig angesichts des geringen Einkommens. Der Antragstellerin sei weder Vollstreckungsaufschub gewährt noch eine Ratenzahlungsmöglichkeit eingeräumt worden. Das SG habe den Antrag abgelehnt, weil kein Widerspruch eingelegt worden sei. Tatsächlich sei lediglich ein Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X gestellt worden, weil die Widerspruchsfrist abgelaufen gewesen sei. Es sei zu prüfen, ob ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X einem Widerspruch gleichzustellen sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist statthaft und zulässig (§§ 172 Abs 1, 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG), in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt.

1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.10.2015 ist bereits unzulässig.

Das Gericht der Hauptsache kann nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86a Abs 2 Nr 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Sämtliche Beitragsbescheide (Bescheide vom 26.08.2014, 29.01.2015, 27.02.2015, Widerspruchsbescheid vom 16.04.2015) sind bestandskräftig. Der Leistungsbescheid vom 12.10.2015 enthält schon keine vollziehbare Regelung, deren Vollziehung oder Wirksamkeit aufgeschoben werden könnte. Der Hinweis in dem Bescheid über den derzeitigen Rückstand nebst Forderungsaufstellung dient erkennbar der Information und enthält keine erneute Beitragsfestsetzung. Es handelt sich insoweit um eine Wissenserklärung und keine verbindliche Regelung. Abgesehen davon liegt auch kein Widerspruch vor, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet werden könnte. Die Antragstellerin hat im Beschwerdeverfahren selbst klargestellt, dass sie einen Widerspruch wegen Verfristung nicht eingelegt, sondern einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt habe. Ein solcher Überprüfungsantrag dient dazu, bereits bestandskräftige Bescheide einer Überprüfung zuzuführen, hindert aber – anders als ein Widerspruch – den Eintritt der Bestandskraft nicht. Er kann daher einem Widerspruch insoweit auch nicht gleichgestellt werden.

2. Soweit die Antragstellerin der Sache nach eigentlich die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung begehrt, ist die Beschwerde nicht begründet. Dabei geht der Senat davon aus, dass dieser Antrag nicht erst im Beschwerdeverfahren gestellt wurde. Eine am Rechtsschutzziel orientierte Auslegung des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens ergibt, dass die Antragstellerin dies von Anfang an ebenfalls erreichen wollte.

Die Antragsgegnerin ist eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts (vgl § 1 Abs 2 der Satzung der Antragsgegnerin). Zur Vollstreckung ihrer Beitragsforderung stehen ihr zwei Wege zur Verfügung (BSG 15.02.1989, 12 RK 3/88 in SozR 1300 § 44 Nr. 36): Sie kann entweder gemäß § 66 Abs 4 SGB X in entsprechender Anwendung der Zivilprozessordnung (ZPO) oder gemäß § 66 Abs 1 Satz 1 SGB X nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes (VwVG) vorgehen. Die Vollstreckung nimmt je nach Art des eingeschlagenen Weges einen unterschiedlichen Verfahrensgang. Bei der Vollstreckung nach der ZPO können zur Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen oder gegen bereits erfolgte Maßnahmen die Rechtsbehelfe ergriffen werden, die das Zwangsvollstreckungsrecht der ZPO vorsieht. Über sie ist nach den Verfahrensgrundsätzen des Zivilprozesses und in dessen Instanzenzug zu entscheiden (LSG Baden-Württemberg 20.05.2010, L 10 LW 5533/07, juris; BGH 25.10.2007, I ZB 19/07, MDR 2008, 712; AG Hannover 09.09.2010, 701 M 15918/10, juris; Beschluss des Senats vom 18.02.2016, L 11 KR 123/16 ER-B). Die Antragsgegnerin vollstreckt hier nach den Vorschriften der ZPO, sie hat bereits durch das Amtsgericht Calw die Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher eingeleitet. Damit ist eine Zuständigkeit der Sozialgerichte für den Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht gegeben.

Soweit die Rechtsprechung in Ausnahmefällen einen Anspruch nach § 86b Abs 2 Satz 1 SGG auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung für Sachverhalte offensichtlich rechtswidriger Beitragsbescheide anerkannt hat (vgl Thüringer LSG 10.06.2015, L 6 KR 430/15 B ER; LSG Berlin-Brandenburg 13.11.2013, L 9 KR 254/13 B ER), sind diese Voraussetzungen vorliegend nicht gegeben.

Für freiwillige Mitglieder wird die Beitragsbemessung seit 2009 nach § 240 Abs 1 Satz 1 SGB V einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt; sofern und solange Mitglieder Nachweise über die beitragspflichtigen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht vorlegen, gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze. Bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind (§ 240 Abs 2 Satz 1 SGB V). Für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbstständig tätig sind, gilt als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste, für freiwillige Mitglieder, die einen monatlichen Gründungszuschuss nach § 93 des Dritten Buches oder eine entsprechende Leistung nach § 16b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten, der sechzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße (§ 240 Abs 4 Satz 2 SGB V). Dabei können Veränderungen der Beitragsbemessung auf Grund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden, § 240 Abs 4 Satz 6 SGB V. Aus der gesetzlichen Regelung folgt, dass für die Beitragsbemessung bei nicht vorgelegten Nachweisen als Höchstbeitrag der dreißigste Teil der jeweils gültigen Beitragsbemessungsgrenze nach § 223 SGB V in Ansatz zu bringen ist (KassKomm/Peters, § 240 SGB V RdNr 28).

So liegt der Fall hier. Die Antragstellerin hat trotz zahlreicher Nachfragen keinerlei Nachweise vorgelegt, so dass die Antragsgegnerin für die Zeit ab 21.05.2014 nur Höchstbeiträge festsetzen konnte. Erst im Februar 2015 hat die Antragstellerin die entsprechenden Unterlagen vorgelegt, so dass die Antragsgegnerin zutreffend ab 01.03.2015 unter Berücksichtigung des Einkommens die Mindestbeiträge festgesetzt hat. Die Höhe der festgesetzten Säumniszuschläge ist ebenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig. Rechtsgrundlage hierfür ist § 24 SGB Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV).

Die Antragstellerin hat im Übrigen keine Umstände geltend gemacht hat, die eine unbillige Härte, die mit den guten Sitten nicht vereinbar wäre, begründen würde (Rechtsgedanke des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG bzw des § 756a ZPO). Allein die mit der Zahlung auf eine rechtmäßige Beitragsforderung für sie verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten sind (vgl Senatsbeschluss vom 04.09.2013, L 11 R 2315/13 ER-B). Aus demselben Grund begründet auch die Höhe einer Beitragsforderung allein keine unbillige Härte (zum Ganzen Beschluss des Senats vom 30.07.2015, L 11 KR 3149/15 ER, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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