L 3 AS 976/14

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 32 AS 609/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 976/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Rechtsanwalt hat grundsätzlich alles ihm Zumutbare zu tun und zu veranlassen, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. Er hat hierbei hinreichende Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Fall seiner Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen vornimmt. Ist er durch die Schwere der Erkrankung an der Einschaltung eines Vertreters durch ihn selbst oder an einer entsprechenden Anordnung an sein Büropersonal gehindert, muss seine Kanzlei allgemein angewiesen sein, zwecks Erledigung fristgebundener Geschäfte um eine Vertretung durch einen Anwaltskollegen bemüht zu sein oder erforderlichenfalls einen Antrag nach § 53 Abs. 2 BRAO zu stellen (Anschluss an BGH, Beschluss vom 17. März 2005 – IX ZB 74/04 –).
I. Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren, das unter dem Aktenzeichen L 3 AS 198/12 geführt worden ist, durch fingierte Berufungsrücknahme beendet ist.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten stritten ursprünglich über die Rücknahme und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II). Nunmehr steht im Streit, ob die Berufung gemäß § 156 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches (SGG) als zurückgenommen gilt.

Der 1962 geborene Kläger bezog von der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der ARGE W (im nachfolgenden: ARGE) in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Mai 2008 fortlaufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im Januar 2008 erhielt diese Kenntnis, dass der Kläger im Jahr 2006 nicht angegebene Kapitaleinkünfte erzielt hatte. Es stellte sich heraus, dass der Kläger bei der Bausparkasse S -H während des Leistungsbezuges einen Bausparvertrag unterhalten hatte. Der aus dem Jahr 1995 stammende Bausparvertrag war sofort kündbar und wies am 31. Dezember 2004 ein Guthaben von 35.565,82 EUR und am 31. Mai 2007 ein solches von 38.308,24 EUR auf. Die Zuteilung des Bausparguthabens durch die Bausparkasse erfolgte am 31. Mai 2007. Hierbei wurde ein Betrag in Höhe von 35.437,50 EUR an die Mutter des Klägers ausgezahlt. Der verbleibende Restbetrag in Höhe von 2.870,74 EUR wurde auf einen neuen Bausparvertrag des Klägers übertragen. Der Kläger hatte sowohl bei der erstmaligen Antragstellung am 20. Oktober 2004 als auch in den Folgeanträgen bei den Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen die Existenz eines Bausparvertrages verneint.

Nach Anhörung des Klägers hob die ARGE mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 24. April 2008 die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Mai 2008 ganz auf und forderte die in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 29. Februar 2008 geleisteten Leistungen in Höhe von insgesamt 25.624,39 EUR zurück. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2009 zurückgewiesen.

Die am 6. Februar 2009 erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 13. Januar 2012 abgewiesen. Die Bescheide seien rechtmäßig und formell nicht zu beanstanden. Dem Kläger wäre es im gesamten Leistungszeitraum möglich gewesen, seinen Lebensunterhalt aus dem vorhandenen Vermögen zu bestreiten. Das Vermögen aus dem Bausparguthaben habe er bewusst verschwiegen.

Gegen das ihm am 18. Februar 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 16. März 2012 Berufung eingelegt, welche unter dem Aktenzeichen L 3 AS 198/12 geführt worden ist. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass der Rücknahme- und Erstattungsbescheid nicht hinreichend bestimmt sei. Im Übrigen sei es zur Schenkung des Geldes an seine Mutter gekommen, da diese während des Leistungsbezuges auch die Einzahlungen in den Bausparvertrag vorgenommen habe. Jedenfalls habe nach der erfolgten Schenkung ab dem 31. Mai 2007 Hilfebedürftigkeit bestanden.

Mit gerichtlichen Schreiben vom 9. November 2012 und 6. November 2013 ist der Kläger zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert worden, die die Schenkung sowie seinen Auszahlungswunsch gegenüber der Bausparkasse belegen könnten. Mit weiterem Schreiben vom 3. Februar 2014 ist er aufgefordert worden, verschiedene Unterlagen in Bezug auf die streitgegenständlichen Bausparverträge vorzulegen. Hierbei handelt es sich um den Kontoauszug 2007 für das Bausparkonto Nr. 01418215K01, die Kontoauszüge 2007 und 2008 für die Bausparkonten Nrn. 01418215K02 und 01418215K03 sowie die Bausparverträge für die Bausparkonten Nrn. 01418215K02 und 01418215K03. Eine Vorlage der Unterlagen ist nicht erfolgt. Eine Stellungnahme ist nicht abgegeben worden.

Mit Schreiben des Vorsitzenden vom 23. April 2014 ist er Kläger schließlich darauf hingewiesen worden, dass angesichts der fehlenden Vorlage der angeforderten Unterlagen sich dem Gericht Zweifel an seinem Rechtsschutzinteresse aufdrängten. Der Kläger ist gemäß § 156 Abs. 2 SGG aufgefordert worden, innerhalb von drei Monaten nach Zustellung der Aufforderung die bereits im gerichtlichen Schreiben vom 3. Februar 2014 benannten Unterlagen und nochmals konkret benannten Kontoauszüge sowie Bausparverträge in Bezug auf die Bausparkonten Nrn. 01418215K01, 01418215K und 0201418215K03 vorzulegen. Zugleich ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass die Berufung als zurückgenommen gelte, wenn er das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibe. Das richterliche Schreiben vom 23. April 2014 ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs am 23. April 2014 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Nachdem hierauf weder eine Stellungnahme erfolgt ist noch Unterlagen vorgelegt worden sind, ist die Berufung durch das Gericht nach Ablauf der drei Monate als zurückgenommen behandelt worden.

Mit Schreiben vom 30. Juli 2014, eingegangen am gleichen Tag, hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für das Betreiben des Verfahrens beantragt und zugleich Unterlagen zu den Bausparverträgen vorgelegt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages führt der Prozessbevollmächtigte aus, dass er in der Zeit ab 14. Juli 2014 verhandlungsunfähig erkrankt und nicht in der Lage gewesen sei, sich um die Aktenbearbeitung zu kümmern. Er sei daher auch nicht in der Lage gewesen, die geforderten Unterlagen einzureichen. Hierzu hat er zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, datiert vom 14. Juli 2014 und 17. Juli 2014, vorgelegt, jeweils versehen mit dem handschriftlichen Zusatz, dass der Patient verhandlungsunfähig sei. Hierin ist die Arbeitsunfähigkeit zunächst für die Zeit vom 14. Juli 2014 bis zum 18. Juli 2014 sowie im Rahmen der Folgebescheinigung für die Zeit vom 14. Juli 2014 bis voraussichtlich zum 1. August 2014 attestiert worden. Zur weiteren Begründung seines Widereinsetzungsantrages hat der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 23. Juli 2015 mitgeteilt, dass er als alleiniger Sachbearbeiter arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Der in einem solchen Fall die Stellungnahmen bearbeitende zweite Mitarbeiter der Kanzlei habe sich diesem Zeitpunkt in seinem bereits langfristig geplanten Jahresurlaub befunden. Der für solche Notfälle dritte vorgesehene Rechtsanwalt sei trotz mehrmaliger Versuche telefonisch nicht zu erreichen gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Berufungsverfahren, das unter dem Aktenzeichen L 3 AS 198/12 geführt worden ist, fortzuführen.

Die im Termin nicht vertretene Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Instanzen sowie die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Beklagten verhandeln und entscheiden, weil er hierauf in der Ladung hingewiesen worden ist (vgl. § 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

II. Streitgegenständlich ist die Entscheidung darüber, ob das Berufungsverfahren gemäß § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen gilt.

Der Schriftsatz des Klägers vom 30. Juli 2012 war als Antrag auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens zu verstehen. Wenn im Streit steht, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Rücknahmefiktion vorliegen, ist das Berufungsverfahren zur Klärung deren Voraussetzungen fortzusetzen (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 21. März 2013 – L 1 KR 72/12 WA – juris Rdnr. 13; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG [11. Aufl., 2014], § 156 Rdnr. 4a und 6, m. w. N.). Dies gilt auch, wenn in diesem Zusammenhang das Gericht, wie hier, die Begründetheit eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der gesetzten Betreibensfrist zu überprüfen hat.

III. Das Gericht ist an einer Sachentscheidung gehindert, da die Berufung gemäß § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen gilt (1.). Dem Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Betreibensfrist war nicht stattzugeben (2.).

1. Nach § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt die Berufung als zurückgenommen, wenn der Berufungskläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Nach § 156 Abs. 2 Satz 2 SGG ist der Berufungskläger in der Aufforderung auf die Rechtsfolgen hinzuweisen, die sich aus Satz 1 und gegebenenfalls aus dem, hier nicht einschlägigen, § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 155 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergeben. Die Rechtmäßigkeit der Betreibensaufforderung ist hierbei Voraussetzung für die Wirksamkeit der Rücknahmefiktion.

a) Die Voraussetzungen für den Erlass einer Betreibensaufforderung lagen am 23. April 2014 vor. Insbesondere lagen sachlich begründete Anhaltspunkte vor, die den späteren Eintritt der Fiktion auch im Lichte der Rechtsschutzgarantie aus Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) als gerechtfertigt erscheinen lassen. Denn eine Rücknahmefiktion erfordert als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, dass nach dem prozessualen Verhalten des Klägers hinreichender Anlass bestand, von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1998 – 2 BvR 2662/95DVBl 1999, 166 = juris Rdnr. 17; BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 – 1 BvR 2254/11 – juris Rdnr. 26 ff.; BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 RBSGE 106, 254 ff. = SozR 4-1500 § 102 Nr. 1, SozR 4-1500 § 153 Nr. 9 = juris, jeweils Rdnr. 40; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Dezember 2014 – L 22 R 155/14 – juris Rdnr. 32; LSG Hamburg, Urteil vom 21. März 2013, a. a. O, juris Rdnr. 15).

Zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung bestanden begründete Anhaltspunkte, dass das Rechtsschutzinteresse des Klägers nicht mehr bestand. Der Kläger hatte während des gesamten Berufungsverfahrens die sanktionslosen prozessleitenden Verfügungen unbeachtet gelassen und hierauf nie reagiert. Bereits mit den beiden gerichtlichem Schreiben vom 9. November 2012 und 6. November 2013 war er auf fehlenden hinreichenden Sachvortrag hingewiesen und zur Vorlage von Unterlagen in Bezug auf die behauptete Schenkung an seine Mutter aufgefordert worden. Mit gerichtlichem Schreiben vom 3. Februar 2014 wurde er zur Vorlage diverser Unterlagen in Bezug auf seine Bausparverträge aufgefordert. Der Kläger hatte sich im Verfahren darauf berufen, dass auf Grund einer Schenkung das Guthaben aus dem Bausparvertrag an seine Mutter ausgezahlt worden sei, aber trotz gerichtlicher Aufforderungen dies nicht belegt. Zudem warf der Umstand, dass er trotz der Übertragung des überwiegenden Teils seines Bausparvermögens auf die Mutter im streitbefangenen Zeitraum neue Bausparverträge abgeschlossen hatte, weitere klärungsbedürftige Fragen auf. Daher wurden konkret benannte und im Besitz des Klägers befindliche Unterlagen angefordert, die aber ebenfalls nicht vorlegt wurden. Es bestand daher Anlass zur Annahme, der Kläger werde seiner Mitwirkungspflicht nach § 103 Abs. 1 Halbsatz 2 SGG weiterhin nicht nachkommen und bezwecke eine Verschleppung des Verfahrens (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 23. April 1985 – 9 C 48/84BVerwGE 71, 213 ff. = juris Rdnr. 23). Zu einem solchen prozessualen Verhalten konnte sich der Kläger veranlasst sehen. Denn in der Sache sah sich der Kläger einer Rückforderung von Leistungen in einem erheblichen Umfang ausgesetzt. Gründe, warum er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist, wurden nie vorgebracht. Gründe, die es ihm nicht ermöglicht hätten, die Unterlagen zeitnah vorzulegen, sind nicht ersichtlich. Es bestand auch für den Senat nach Aktenlage kein Anlass, von Amts wegen weiter zu ermitteln, so dass die geforderte Mitwirkung keine bloße Formalie war.

b) Die Betreibensaufforderung erging formell ordnungsgemäß.

Der Kläger wurde im Schreiben vom 23. April 2014 klar und eindeutig zur Vorlage konkret benannter Unterlagen (Kontoauszüge der Jahre 2007 und 2008 sowie Bausparverträge für die beiden letztgenannten Konten) in Bezug auf die Bausparkonten Nrn. 01418215K01, 01418215K02 und 01418215K03 aufgefordert. Dabei wurde er, wie von § 156 Abs. 2 Satz 2 SGG gefordert, unmissverständlich auf die Folgen eines Nichtbetreibens hingewiesen. Ein Hinweis auf die sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 155 Abs. 2 VwGO ergebenden Rechtsfolgen war entbehrlich, da der Kläger zu der nach § 183 SGG kostenprivilegierten Personengruppe gehört.

Die Betreibensaufforderung weist auch die erforderliche Form auf. Insbesondere wurde sie vom zuständigen Richter mit vollem Namen unterzeichnet. Außerdem ist das der Verfügung entsprechende gerichtliche Schreiben durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters von der Geschäftsstelle des Senats beglaubigt und an den Prozessbevollmächtigten am 23. April 2014 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs gegen Empfangsbekenntnis gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG wirksam zugestellt worden (vgl. zu den Anforderungen an eine Betreibensaufforderung: BSG, Urteil vom 1. Juli 2010, a. a. O., Rdnr. 49; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Dezember 2014, a. a. O.).

Der Kläger hat das Berufungsverfahren binnen drei Monaten nach Zugang der Betreibensaufforderung nicht betrieben. Aufgrund der am 23. April 2014 erfolgten Zustellung begann die Frist von drei Monaten am 24. April 2014 (vgl. § 64 Abs. 1 SGG) und endete am 23. Juli 2014 (vgl. § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG). Das erst am 30. Juli 2014 eingegangene Schreiben des Klägerbevollmächtigten war verspätet und wahrte somit nicht die Frist.

2. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Betreibensfrist bleibt ohne Erfolg, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.

Nach § 67 Abs. 1 SGG ist Voraussetzung für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten steht dem Verschulden des Beteiligten gemäß § 73 Abs. 6 Satz 7 SGG i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO gleich. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes liegt ein Verschulden grundsätzlich vor, wenn die von einem gewissenhaften Prozessführenden im prozessualen Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen worden ist (vgl. z. B. BSG, Beschluss vom 6. Oktober 2011 – B 14 AS 63/11 B – SozR 4-1500 § 67 Nr. 9 = juris, jeweils Rdnr. 8, m. w. N.; vgl. auch Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG [11. Aufl., 2014], § 67 Rdnr. 3, m. w. N.).

Vorliegend muss sich der Kläger das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Betreibensfrist zurechnen lassen. Die von ihm vorgebrachten Gründe, die zur Versäumung der Frist geführt habe, entschuldigen ihn nicht.

Ein Rechtsanwalt hat grundsätzlich alles ihm Zumutbare zu tun und zu veranlassen, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. Er hat hierbei hinreichende Vorkehrungen dafür treffen, dass im Fall seiner Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen vornimmt. Ist er durch die Schwere der Erkrankung an der Einschaltung eines Vertreters durch ihn selbst oder an einer entsprechenden Anordnung an sein Büropersonal gehindert, muss seine Kanzlei allgemein angewiesen sein, zwecks Erledigung fristgebundener Geschäfte um eine Vertretung durch einen Anwaltskollegen bemüht zu sein oder erforderlichenfalls einen Antrag nach § 53 Abs. 2 des Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zu stellen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2005 – IX ZB 74/04 – juris Rdnr. 5, m. w. N. zur gefestigten Rechtsprechung des BGH). Denn nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO muss ein Rechtsanwalt für seine Vertretung sorgen, wenn er länger als eine Woche daran gehindert ist, seinen Beruf auszuüben. Die Sicherstellung der Vertretung muss gerade auch dann gewährleistet sein, wenn ein Anwalt seine Kanzlei allein betreibt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. März 1990 – VI ZB 4/90 – juris Rdnr. 6).

Der Prozessbevollmächtigte hat zwar dargestellt, dass er grundsätzlich durch den in seiner Kanzlei mitarbeitenden Rechtsanwalt vertreten wird. Dieser konnte allerdings die Vertretung während des erkrankungsbedingten Ausfalls des Prozessbevollmächtigten nicht übernehmen, weil er seinerseits urlaubsbedingt abwesend war. In einem solchen Fall ist als weiterer Vertreter ein nicht in der Kanzlei tätiger Rechtsanwalt vorgesehen. Diese Regelung zur Absicherung eines Vertretungsfalles ist für den Regelfall ausreichend. Ob sie für den Fall ausreicht, dass auch der weitere Vertreter – wie vorliegend – verhindert ist (sei es auf Grund eigener Termine, auf Grund von Urlaub oder Krankheit oder aus anderen Gründen), kann dahingestellt bleiben. Denn es blieb auch nach den Erklärungen des Prozessbevollmächtigten offen, welche Vorkehrungen vorgesehen waren, um den weiteren Vertreter zu erreichen, wann die erforderlichen Maßnahmen von den Kanzleimitarbeitern des Prozessbevollmächtigten ergriffen wurden, und welche Vorkehrungen für den Fall vorgesehen waren, dass der weitere Vertreter telefonisch nicht erreichbar sein sollte.

So ist bereits nicht bekannt, wann die Kanzleimitarbeiter den Versuch unternahmen, den weiteren Vertreter telefonisch zu erreichen. Spätestens am 17. Juli 2014, als die ärztliche Folgebescheinigung ausgestellt wurde, war abzusehen, dass die Erkrankung über den Ablauf der Betreibensfrist am 23. Juli 2014 hinaus andauern würde. Wenn der Versuch, den weiteren Vertreter telefonisch zu kontaktieren, nicht erst kurz vor dem Ablauf der Betreibensfrist, sondern zeitnah nach der Ausstellung der Folgebescheinigung erfolgt sein sollte, hätte noch ausreichend Zeit bestanden, eine Kontaktaufnahme in anderer Weise zu versuchen.

Weshalb ein anderer Versuch einer Kontaktaufnahme als per Telefon nicht unternommen wurde, ist ebenfalls nicht bekannt. So hätte es nahe gelegen, den weiteren Vertreter per Telefax oder E-Mail über den Eintritt des Vertretungsfalles zu unterrichten. Schließlich hätte darüber hinaus im Fall von wiederholt fehlgeschlagenen Kontaktbemühungen auch noch die Möglichkeit bestanden, dass ein Kanzleimitarbeiter des Prozessbevollmächtigten die Kanzlei des weiteren vor Ort ansässigen Vertreters zur Kontaktaufnahme aufsucht, um diesen über den Eintritt des Vertretungsfalles zu unterrichten.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

V. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 160 Abs. 1 SGG) sind nicht gegeben.

Dr. Scheer Höhl Krewer
Rechtskraft
Aus
Saved