L 7 R 370/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 279/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 370/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den 31. Mai 2013 hinaus.

Der 1979 geborene Kläger, der s. Staatsangehöriger ist, zog nach eigener Angabe im Jahr 1992 in das Bundesgebiet zu und absolvierte in den Jahren 1996 bis 1999 eine Ausbildung zum Maurer. Zuletzt arbeitete er ab 2004 sozialversicherungspflichtig als Produktionshelfer bzw. Maschinenbediener. Ab dem 19. Februar 2008 war er arbeitsunfähig erkrankt, bezog in der Zeit vom 14. Mai 2008 bis 17. August 2009 Krankengeld und anschließend bis 30. April 2010 Arbeitslosengeld. Bei ihm besteht seit Mai 2008 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60.

Nachdem der Kläger am 19. Februar 2008 bei einem Kraftfahrzeugunfall verletzt worden war, nahm er in der Zeit vom 25. März bis 13. Mai 2008 auf Kosten der Beklagten (Bescheid vom 18. März 2008 auf den Reha-Antrag des Klägers vom 6. März 2008) an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Fachklinik F. - Abteilung Orthopädie - teil, aus der er mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich für leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten entlassen wurde (Entlassbericht des Orthopäden, Rheumatologen und Sportmediziners PD Dr. V. vom 29. Juli 2008).

Am 7. Mai 2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten sodann mit Formantrag Versichertenrente wegen Erwerbsminderung und begründete seinen Antrag mit seinem Kraftfahrzeugunfall. Nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen erhob die Beklagte zunächst das Gutachten des Neurologen, Psychiaters und Sozialmediziners Dr. U. vom 19. August 2009, der nach Untersuchung des Klägers bei ihm - auf Grundlage folgender Diagnosen: schwere Anpassungsstörung mit Angst- und depressiver Reaktion, massive Schlafstörungen, Zustand nach Polytrauma mit Humerus- und Olecranonfraktur links, C2-Fraktur, Frakturen des Lendenwirbelkörpers 1 bis 3, Fraktur der 9. Rippe rechts, Milz- und Leberriss sowie Lungenkontusion - zu einem derzeit aufgehobenen Leistungsvermögen gelangte. Demgegenüber erachtete der ebenfalls beauftragte Gutachter Orthopäde, Unfallchirurg und Sozialmediziner Dr. U. (Gutachten vom 5. September 2009) den Kläger nach persönlicher Untersuchung für in der Lage, sechs Stunden und mehr täglich leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten zu verrichten (genannte Diagnosen: schmerzhafte globale Minderbeweglichkeit der Halswirbelsäule in allen Ebenen bei operativer Therapie einer atypischen Hangman-Fraktur C2 am 21. Februar 2008, aktiv endgradige Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenks bei operativer Stabilisierung einer Humerusschaftfraktur links, Bewegungseinschränkung des linken Ellenbogens bei beginnender Ellenbogengelenksarthrose). Nachdem eine weitere medizinische Rehabilitationsmaßnahme nicht zu Stande gekommen war (Schreiben des Psychiaters, Psychotherapeuten und Physiologen PD Dr. M. (Chefarzt der Abteilung Psychosomatik der Rehabilitationsklinik B. B.) vom 23. März 2010), bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 19. April 2010 unter Umdeutung des Reha-Antrags vom 6. März 2008 in einen Rentenantrag für die Zeit vom 1. September 2008 befristet bis zum 30. April 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Sie ging dabei von einem Leistungsfall am 19. Februar 2008 (Unfalltag) aus.

Auf den klägerischen Weitergewährungsantrag vom 18. Januar 2011 (Anwaltsschreiben vom 17. Januar 2011) zog die Beklagte ärztliche Befundberichte bei und erhob sodann das Gutachten der Psychiaterin Dr. S. vom 18. Mai 2011, die beim Kläger nach persönlicher Untersuchung am 18. April 2011 zu einer schweren psychischen Störung mit posttraumatischer Belastungsstörung und andauernden Persönlichkeitsänderungen nach Extrembelastung mit Angst und Panikstörung bei Zustand nach Polytrauma gelangte. Sein Leistungsvermögen sei weiterhin aufgehoben. Mit Bescheid vom 27. Mai 2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger die Weitergewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30. April 2011 hinaus befristet bis zum 31. Mai 2013.

Am 12. April 2013 beantragte der Kläger erneut die Weitergewährung seiner Rente. Zur Begründung gab er an, dass sich seine psychische Situation verschlechtert habe. Da er seit längerem eine Therapie im Ausland mache, könne er dies ärztlich nicht nachweisen. Die Beklagte erhob daraufhin das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 7. Juni 2013, der den Kläger am 29. Mai 2013 persönlich explorierte. Dr. B. nannte in seinem Gutachten folgende Gesundheitsstörungen: Zustand nach Polytrauma im Jahr 2008 ohne Anhalt für eine eigenständig sozialmedizinisch relevante überdauernde neurologische Symptomatik, vielschichtige neurotische Entwicklung nach Polytrauma sowie vorbestehende Persönlichkeitsakzentuierungen. Eine sozialmedizinisch relevante organ-neurologische Störung sei nicht (mehr) vorhanden. Auch finde eine psychiatrisch-psychotherapeutische oder auch nur psychopharmakologische Behandlung beim Kläger nicht statt. Unter Beachtung gewisser qualitativer Leistungseinschränkungen könne der Kläger leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (wieder) vollschichtig verrichten. Die Beklagte lehnte den klägerischen Weitergewährungsantrag daraufhin mit Bescheid vom 26. Juni 2013 ab, da die medizinischen Voraussetzungen nicht mehr vorlägen. Der dagegen erhobene Widerspruch (Anwaltsschreiben vom 10. Juli 2013) hatte nach Einholung der sozialmedizinischen Stellungnahme des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. Schlicht vom 17. Oktober 2013 keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 2014).

Am 22. Januar 2014 hat der Kläger beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen ausgeführt hat, dass sich sein gesundheitlicher Zustand nicht gebessert habe und er nach wie vor an den Folgen seines Unfalls leide. Er verbringe eine Vielzahl an Zeit im Ausland, wo er auch behandelt werde. Das SG hat die vom Kläger benannten behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Orthopäde und Unfallchirurg Dr. H. hat angegeben (Auskunft vom 23. Juni 2014), den Kläger am 8. Mai 2014 und 21. Mai 2014 wegen tiefsitzender Rückenschmerzen und einer mäßigen Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule ohne Instabilitäten und ohne neurologische Ausfälle behandelt zu haben. Der Kläger sei in der Lage, körperlich leichte und nervlich wenig belastende Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Psychiater J. hat mitgeteilt (Auskunft vom 18. August 2014), den Kläger einmalig am 15. Juli 2014 wegen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung untersucht zu haben. Weitere Angaben könne er nicht machen. Internist Dr. v. d. H. hat bekundet (Auskunft vom 18. September 2014), den Kläger zuletzt wegen Wirbelsäulenbeschwerden behandelt zu haben. Es bestünden zunehmend auch depressive Beschwerden. Er halte den Kläger aus psychischen Gründen für derzeit arbeitsunfähig und nicht leistungsfähig. Nach Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 18. Dezember 2014 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger nach dem Ergebnis der Ermittlungen im Verwaltungs- und Klageverfahren zur Überzeugung des Gerichts noch leichte Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt unter Beachtung gewisser qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne. Das SG hat sich dabei hauptsächlich auf das Gutachten des Dr. B. vom 7. Juni 2013 gestützt, wonach ein auffallender neurologischer bzw. psychischer Befund bei gleichzeitig erhaltener Tagestrukturierung und fehlender regelmäßiger Behandlung nicht gegeben sei.

Gegen den dem klägerischen Prozessbevollmächtigten am 30. Dezember 2014 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 30. Januar 2015 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung des Klägers. Er macht im Wesentlichen geltend, dass er nicht mehr arbeiten könne. Seine Hausärzte würden weiterhin seine Erkrankungen und Arbeitsunfähigkeit attestieren. Außerdem habe das SG rechtliches Gehör verletzt, da eine mündliche Verhandlung nicht stattgefunden habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. Dezember 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 26. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Januar 2014 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung über den 31. Mai 2013 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG und ihre Bescheide für zutreffend.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Allgemeinmediziners, Anästhesiologen und Psychotherapeuten Dr. S. vom 5. Februar 2016. Dr. Sch. hat in seinem Gutachten vom 5. Februar 2016 diverse Diagnosen aufgezählt und sich auf den Standpunkt gestellt, dass der Kläger nur unter zwei Stunden täglich leistungsfähig sei. Er gehe davon aus, dass der Kläger gute Gründe dafür habe, in eine psychotherapeutische Maßnahme nicht einzuwilligen.

Die Beklagte hat durch Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. D. zum Gutachten des Dr. Sch. Stellung genommen (sozialmedizinische Stellungnahme vom 29. März 2016). Das Gutachten entspreche bereits nicht dem allgemein anerkannten Standard zur ärztlichen Begutachtung, weil die bio-psycho-soziale Anamnese fehle und auch ein psychopathologischer und körperlicher Befund des Klägers nicht erhoben worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1. Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschlussgründe nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG liegen nicht vor (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Januar 2014 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den 31. Mai 2013 hinaus abgelehnt hat. Der Kläger verfolgt sein Begehren auf die Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG).

3. Das SG hat die Klage auf (Weiter-)Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung über den 31. Mai 2013 hinaus zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Verlängerung (vgl. § 102 Abs. 2 Satz 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI)) der ihm zuletzt mit Bescheid vom 27. Mai 2011 befristet bis zum 31. Mai 2013 bewilligten Rente. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Januar 2014 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigten (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R - (juris Rdnrn. 15 ff.), st. Rspr.). Teilweise erwerbsgemindert in diesem Sinne sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Zwar erfüllt der Kläger unter Berücksichtigung des vorangegangenen Rentenbezugs weiterhin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Indes steht nach dem Ergebnis der vom SG und vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung des im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens des Dr. B. vom 7. Juni 2013, das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, zur Überzeugung des Senats (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) fest, dass der Kläger zumindest seit Juni 2013 (wieder) in der Lage ist, noch mindestens sechs Stunden täglich an fünf Tagen pro Woche unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten.

Der Kläger leidet im Wesentlichen an Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet, namentlich an einer vielschichtigen neurotischen Entwicklung mit vorbestehenden Persönlichkeitsakzentuierungen bei Zustand nach Polytrauma im Jahr 2008 ohne Anhalt für eine eigenständig sozialmedizinisch relevante überdauernde neurologische Symptomatik. Dies stützt der Senat mit dem SG auf das schlüssige, nachvollziehbare und widerspruchsfreie Gutachten des Dr. B. vom 7. Juni 2013, das im Wege des Urkundenbeweises verwertbar ist. Der Senat vermochte sich nicht davon überzeugen, dass der Kläger (weiterhin) an einer höhergradigen seelischen Gesundheitsstörung leidet, die geeignet wäre, eine rentenrechtlich relevante quantitative Leistungsminderung zu begründen. Soweit Psychiater J. (Auskunft vom 18. August 2014) eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung genannt hat, ist dies bereits deshalb unergiebig, weil er den Kläger nur einmal gesehen und darüber hinaus keinerlei objektiv-klinischen Befund mitgeteilt hat. Nämliches gilt hinsichtlich der Bekundung des Dr. v. d. H. (Auskunft vom 18. September 2014), der Kläger leide "zunehmend an depressiven Beschwerden". Unabhängig davon, dass Dr. v. d. H. sich insoweit fachfremd äußert und diese Beschwerden auch nicht weiter spezifiziert hat, ist es für den Senat im Hinblick darauf, dass der Kläger wegen erheblicher psychischer Leiden seit April 2010 - rückwirkend zum 1. September 2008 - verrentet war, wenig plausibel, wenn Dr. v. d. H. bloß unspezifische "depressive Beschwerden" nennt und sich aus seiner Auskunft lediglich eine zweimalige Behandlung wegen "Depression" am 24. Januar 2014 bzw. "posttraumatischer Belastungssituation" am 12. Juli 2013 ergibt, unabhängig davon, dass eine engmaschige hausärztliche Betreuung des Klägers überdies in Ansehung der von Dr. v. d. H. mitgeteilten Behandlungsdaten (lediglich neun Behandlungen insgesamt seit Mai 2013) nicht ersichtlich ist. Bei Psychiater J. war der Kläger - wie bereits dargelegt - lediglich einmal, was gegen einen entsprechenden Leidensdruck spricht.

Auch auf Grundlage des Gutachtens des Dr. Sch. vom 5. Februar 2016 vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass der Kläger - jedenfalls im hier streitgegenständlichen Zeitraum seit Juni 2013 - namentlich an einem rezidivierenden depressiven Syndrom bzw. an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Unabhängig davon, dass Dr. Sch. kein Facharzt für Psychiatrie ist, lässt sich aus der bloßen Aufzählung von Diagnosen und den subjektiven Angaben des Klägers, auf denen das Gutachten ganz wesentlich beruht, kein entsprechender objektiv-klinischer Befund ableiten. Einen solchen hat Dr. Sch. auch gar nicht erhoben, sondern lediglich die Beweisfragen beantwortet. Dr. D. (sozialmedizinische Stellungnahme vom 29. März 2016), deren Stellungnahme als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen zu verwerten ist, hat überzeugend dargelegt, dass das Gutachten des Dr. Sch. vom 5. Februar 2016 nicht dem allgemeinen Standard zur ärztlichen Begutachtung entspricht, weil die Anamnese fehlt und ein psychopathologischer sowie körperlicher Befund nicht erhoben worden ist. Dem hat der Senat nichts hinzuzufügen.

Für die Frage, ob ein Versicherter wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeitstäglich in dem von § 43 SGB VI geforderten Umfang erwerbstätig zu sein, sind im Übrigen nicht Diagnosen entscheidend, sondern alleine Funktionsbeeinträchtigungen anhand objektiv-klinischer Befunde (Senatsurteil vom 17. März 2016 - L 7 R 1752/14 - (n.v.); LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. September 2012 - L 13 R 6087/09 - (juris Rdnr. 22)). Derartige sozialmedizinisch relevante, objektive Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere aufgrund psychischer Leiden, die geeignet wären, eine rentenrechtliche Leistungsminderung über den 31. Mai 2013 hinaus zu begründen, sind zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen.

Bei der Begutachtung durch Dr. B. am 29. Mai 2013 gab der Kläger u.a. an, viel im Ausland (K.) zu sein - ca. sechsmal im Jahr, auch für längere Zeit -, wo seine Verlobte (das Verlöbnis fand sechs Monate zuvor statt), mit der er eine gute Beziehung habe, und seine elf Monate alte Tochter lebten. Er finde eine große Familie schön und hätte gerne noch mehr Kinder. Er gehe dort (in seiner Heimat) "viel und oft" spazieren, treffe viele Bekannte und Verwandte, mit denen er und seine Familie auch Essengehen/Kaffeetrinken würden, und fühle sich dort auch wohl. Es gäbe bei seiner großen Familie oft Familientreffen oder man feiere Geburtstage zusammen. Das Wichtigste sei ihm seine Familie, deswegen spiele er "viel und oft" mit seiner Tochter. In Deutschland gehe er "fast täglich" mit Bruder, Vetter oder Schwager schwimmen und spiele mit seinen Verwandten regelmäßig Karten bzw. Mühle, weil dann "alle ihren Spaß hätten". Außerdem könne man im Sommer im (Innen-)Hof sitzen und Prospekte und Zeitschriften lesen. Im Fernsehen sehe er gerne "lustige Sachen". Rund eine Stunde am Tag verbringe er am Computer, um mit seiner Frau zu "skypen". Ab und zu gehe er auch Einkaufen, dies erledigten aber in der Regel seine Eltern, da die Aufgaben ja aufgeteilt seien. Abends trinke er zusammen mit der Familie Tee und jeder erzähle, was er tagsüber gemacht habe. Zudem besuche er regelmäßig die 500 Meter entfernte Moschee. Ferner gab der Kläger an, zweimal in der Woche zum Einkaufen zu fahren, er verfüge "natürlich" über ein eigenes Auto. Bei Schmerzen nehme er Dolormin extra, das helfe "eigentlich aber gut". Von einer Psychotherapie habe ihm keiner mehr was gesagt. Dies alles entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. B ... Da sich der Kläger zu keinem Zeitpunkt gegen die von Dr. B. wiedergegebenen Angaben gewandt hat, legt der Senat diese als zutreffend zugrunde. Bei der Untersuchung durch Dr. B. war der Kläger im Übrigen gepflegt, bewusstseinsklar, in allen Qualitäten orientiert und im Denken formal geordnet. Auffassung, Konzentration, Merkfähigkeit und Gedächtnis waren während der gesamten Exploration ungestört. Es bestanden keinerlei Hinweise auf eine hirnorganische Symptomatik oder eine Erschöpfung bzw. vorzeitige Ermüdung. Intellektuelle Defizite lagen ebenso wenig vor wie Wahrnehmungsstörungen, Ich-Störungen, paranoide Inhalte oder Hinweise auf eine Psychose aus dem endogenen Formenkreis. Während der gesamten Untersuchung zeigten sich keinerlei nach außen hin erkennbare Schmerzbeeinträchtigungen bei nicht stattfindender psychiatrischer, psychotherapeutischer oder psychopharmakologischer Behandlung. Auch ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine fortbestehende organ-neurologische Störung. Der Kläger, der affektverhalten, aber nicht nivelliert war, zeigte keine weiterreichende depressive Stimmungslage und berichtete sehr präzise ohne jegliches Vermeidungsverhalten. Auch dies alles entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. B ...

Unter Zugrundelegung dessen ist die Einschätzung des Dr. B., dass beim Kläger keine überdauernden Funktionsstörungen vorliegen, die eine quantitative Leistungseinschränkung begründen könnten, für den Senat schlüssig und nachvollziehbar, zumal der Kläger für seine angeblichen Behandlungen im Ausland keinerlei Belege vorgelegt und sich dazu auch nicht weiter überprüfbar erklärt hat. Abweichende Befunde auf nervenärztlichem Gebiet, die eine Verschlechterung des Gesundheitszustands seit der Exploration des Klägers durch Dr. B. am 29. Mai 2013 belegen könnten, liegen nicht vor. Das Gutachten des Dr. Sch. vom 5. Februar 2016 ist nicht geeignet, eine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Die Gründe, warum dem Gutachten nicht gefolgt werden kann, wurden bereits dargelegt.

Die beim Kläger darüber hinaus bestehenden orthopädischen Leiden, namentlich tiefsitzende Rückenschmerzen und eine mäßige Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule ohne Instabilitäten und ohne neurologische Ausfälle bei Zustand nach Polytrauma, sind ebenfalls nicht geeignet, eine quantitative Leistungsminderung zu begründen. Dies stützt der Senat auf die Auskunft des Dr. H. vom 23. Juni 2014, der den Kläger für vollschichtig leistungsfähig erachtet hat. Dem entgegenstehende objektiv-klinische Befunde sind weder im Verfahren vor dem SG noch im Berufungsverfahren zur Akte gelangt.

Nach alledem ist der Senat mit Dr. B. (Gutachten vom 7. Juni 2013), Dr. S. (sozialmedizinische Stellungnahme vom 17. Oktober 2013), Dr. H. (Auskunft vom 23. Juni 2014) und Dr. D. (sozialmedizinische Stellungnahme vom 29. März 2016) der Überzeugung, dass der Kläger seit Juni 2013 wieder in der Lage ist, jedenfalls leichte körperliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Heben und Tragen von Lasten über fünf Kilogramm, ohne besonderen Zeitdruck, ohne ständige nervöse Anspannung, ohne besondere Stressfaktoren wie Nacht- oder Wechselschicht, ohne überdurchschnittlich fordernde soziale Interaktionen und ohne Kontakt zu unmittelbar gefährdenden Maschinen sechs Stunden und mehr arbeitstäglich zu verrichten. Damit ist der Kläger nicht erwerbsgemindert, wobei es unerheblich ist, ob ein dem Leistungsvermögen entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden kann, weil nach § 43 Abs. 3 zweiter Halbsatz SGB VI die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Der Senat kann sich nicht davon überzeugen, dass beim Kläger eine schwere spezifische Leistungsbehinderung respektive eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (dazu nur Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R - (juris Rdnrn. 17 ff.) m.w.N.) - insbesondere eine Einschränkung der Wegefähigkeit - vorliegt, so dass ihm eine noch mögliche leichte Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht benannt werden muss. Die entgegenstehende Annahme des Dr. Sch. (Gutachten vom 5. Februar 2016) beruht alleine auf den Angaben des Klägers und ist in Würdigung der aktenkundigen Befunde nicht nachvollziehbar.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen haben sich dem Senat nicht aufgedrängt.

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nach alledem nicht zu beanstanden, so dass die Berufung des Klägers zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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