L 3 R 89/12 ZVW

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 12 R 1407/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 89/12 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11. April 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte den Zeitraum vom 1. September 1978 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit des Klägers zu dem Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (VO-A.), Zusatzversorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets – Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG)) und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte nach § 8 AAÜG feststellen muss.

Der am xxxxx 1953 geborene Kläger erwarb am xxxxx 1978 nach einem Studium der Fachrichtung "Ingenieurökonomie des Maschinenbaus" an der W. – Universität R. den Hochschulabschluss eines Diplom – Ingenieurökonoms. Am 1. September 1978 nahm er eine Tätigkeit bei dem volkseigenen Betrieb (V.) S3 R. auf, der Elektronikbauteile und Schaltanlagen für Schiffe produzierte. Der Kläger arbeitete dort zunächst als Materialplaner, ab 1. Oktober 1979 als Gruppenleiter Materialwirtschaft und ab 15. Januar 1981 als Abteilungsleiter Materialwirtschaft. Seine Tätigkeit bestand im Wesentlichen in der Organisation der Bevorratung und Lagerversorgung sowie der Leitung der Abteilung Materialwirtschaft und Technischer Einkauf. Der Kläger, der zu keiner Zeit eine Versorgungszusage eines Versorgungsträgers der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) erhalten hat, war noch über den 30. Juni 1990 hinaus bei dem V. S3 R. bzw. der durch Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft mit Wirkung zum 7. August 1990 geschaffenen Nachfolgefirma S3 R. GmbH bis Ende 1991 beschäftigt.

Den Antrag des Klägers auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG als Pflichtbeitragszeiten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Januar 2005 und Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 2005 mit der Begründung ab, dass für den Kläger weder eine positive Versorgungszusage vorliege, noch er am 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ausgeübt habe, die aus bundesrechtlicher Sicht dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre, da er zum Stichtag nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt gewesen sei. Der Beschäftigungsbetrieb (V. S3 R.) sei in der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR der Wirtschaftsgruppe 16619 (Reparatur- und Montagebetrieb der elektronischen Industrie) zugeordnet, weil ihm weder die industrielle Fertigung (Fabrikation, Herstellung oder Produktion) von Sachgütern das Gepräge gegeben habe noch sein Hauptzweck die Massenproduktion von Bauwerken gewesen sei.

Mit seiner rechtzeitig gegen diese Entscheidung erhobenen Klage hat der Kläger unter anderem geltend gemacht, Hauptgeschäftsfeld des V. S3 R. sei die stationäre Produktion in den Betrieben R., F. und G. gewesen. Hier seien Produkte entwickelt, projektiert und in der Regel in Serienfertigung produziert worden. Es habe sich um Schiffs-, Schalt- und Steuerungsanlagen gehandelt. Der V. S3 R. sei alleiniger Produzent der genannten Erzeugnisse für alle Werften der DDR gewesen.

Das Sozialgericht hat eine Auskunft der Rechtsnachfolgerin des V. S3 R., der Systemelektronik R. GmbH (S.) vom 28. Juli 2005 eingeholt, nach welcher die Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft mit der Eintragung in das Handelsregister am 7. August 1990 erfolgt ist und unter Berücksichtigung der Verteilung der Produktionsgrundarbeiter als auch der erzielten Umsatzanteile zum Zeitpunkt der Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft etwa 80 % der Tätigkeit auf den Produktionsbereich und circa 20 % auf Montage- und Reparaturleistungen entfallen sind.

Die Beklagte hat demgegenüber auf die Zuordnung der Volkswirtschaftszweige der DDR als verbindliche Systematik für die Planung und statistische Abrechnung verwiesen. Dabei sei offensichtlich bei der Bestimmung des Hauptzwecks eines Betriebes vom fordistischen Produktionsmodell ausgegangen worden, weil sich sonst die Unterscheidung in Reparatur- und Montagebetriebe sowie sonstige Bereiche der Produktion nicht erklären lasse. Nach der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR sei der V. S3 R. der Wirtschaftsgruppe 16619 (Reparatur- und Montagebetrieb der elektronischen Industrie) zugeordnet gewesen und zähle deshalb nicht zu den von der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben erfassten Beschäftigungsstellen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. April 2008 vor dem Sozialgericht hat der Kläger die Broschüre "Architektur der DDR" mit Fotos des Produktionsgebäudes des V. S3 R. in R.- S1 einschließlich Grundrissen dieses Gebäudes sowie Fotos der Produktionsräume, Großgeräte im Erdgeschoss sowie des Produktionstraktes des 1. Obergeschosses eingereicht. Auf Befragen durch das Gericht hat er unter anderem angegeben, dass die Tätigkeit im V. S3 R. produktionsgebunden und auch in Serienfertigung stattgefunden habe; z. B. habe es Schiffsserien gegeben, die auf bestimmten Werften gefertigt worden seien, und für diese speziellen Schiffe seien die einzelnen elektronischen Bauteile in Serie in einem straffen Rhythmus gefertigt worden. Es habe sich dabei nicht um eine Auftragsfertigung gehandelt, bei der die einzelnen Teile auf das jeweilige Endprodukt zugeschnitten gewesen seien, sondern schon um eine Serienfertigung in Serienreihen. Allerdings sei, wie es auch heute üblich sei, nach dem Baukastensystem vorgegangen worden, so dass auf Änderungen habe reagiert und verschiedene Einheiten hätten bedient werden können.

Durch Urteil vom 11. April 2008 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2005 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Zeit der Beschäftigung des Klägers vom 1. September 1978 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) anzuerkennen und die entsprechenden Arbeitsverdienste festzustellen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ausgeführt, dass der Kläger sowohl die persönliche Voraussetzung aufgrund seiner Ausbildung zum Diplom – Ingenieurökonom als auch die sachliche Voraussetzung wegen der tatsächlich ausgeübten ausbildungsadäquaten Tätigkeit im Bereich der Materialwirtschaft und beim technischen Einkauf für eine Einbeziehung in das AAÜG erfülle. Schließlich sei auch die betriebliche Voraussetzung erfüllt, da der V. S3 R. ein volkseigener Produktionsbetrieb im Sinne des § 1 VO-A. i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB) hierzu gewesen sei. Aufgrund der über den Nachfolgebetrieb S. beigezogenen betrieblichen Unterlagen und Aufstellungen zur Zeit der Umwandlung 1990, der glaubhaften Angaben des Klägers und der von ihm vorgelegten Unterlagen bestehe kein Zweifel, dass es sich bei dem V. S3 R. um einen industriellen Produktionsbetrieb der DDR gehandelt habe. Unerheblich sei die statistische Zuordnung der DDR in die Wirtschaftsgruppe eines Reparatur- und Montagebetriebes der elektronischen Industrie, deren Gründe heute nicht mehr nachvollzogen werden könnten. Maßgeblich seien die im konkreten Einzelfall zu ermittelnden tatsächlichen Umstände. Nur wenn keine weiteren Unterlagen und Beweismittel vorhanden seien, könne für die Beurteilung auf die Zuordnung in eine Wirtschaftsgruppe zurückgegriffen werden, der lediglich Indizcharakter im Sinne einer Hilfstatsache zukomme.

Gegen das ihr am 29. Mai 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 3. Juni 2008 Berufung eingelegt, mit der sie unter Hinweis auf die notariell beglaubigte Umwandlungserklärung zwischen der Treuhandanstalt und dem V. S3 R. vom 8. Juni 1990, nach welcher der V. S3 R. in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt und gleichzeitig das Vermögen aus der bisherigen Fondsinhaberschaft des V. zum 1. Juni 1990 auf die neu gegründete GmbH übertragen wird, geltend gemacht hat, dass durch die Gründung der Kapitalgesellschaft die Betriebsmittel auf die Nachfolgegesellschaft übergegangen seien. Zwar habe von diesem Zeitpunkt an der V. noch als Rechtssubjekt bestanden, aber keine Produktionsaufgaben mehr erfüllt. Er sei vermögenslos gewesen und könne nur noch als "leere Hülle" betrachtet werden, da die Produktionsaufgaben und die wirtschaftliche Tätigkeit bereits von der Vorgesellschaft wahrgenommen worden seien. Für den V. S3 R. lägen am 30. Juni 1990 die betrieblichen Voraussetzungen im Sinne eines volkseigenen Produktionsbetriebes nicht vor, denn die wirtschaftliche Tätigkeit sei von der Kapitalgesellschaft verrichtet worden. Es könne deshalb dahinstehen, ob der Betrieb bis zum Fondsübergang überhaupt Produktionsaufgaben erfüllt habe. Allerdings würden sich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG für die Altersversorgung der technischen Intelligenz zwei Folgerungen für die Bedeutung des Wortes "volkseigener Produktionsbetrieb" im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB ergeben. Es müsse sich bei dem zu beurteilenden Betrieb um einen V. handeln, der organisatorisch dem industriellen Produktionssektor der Planwirtschaft der DDR zugeordnet war; ferner müsse der verfolgte Hauptzweck des V. auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion (fordistisches Produktionsmodell) von Sachgütern ausgerichtet gewesen sein. Nach diesen Maßstäben sei der V. S3 R. kein Produktions-, sondern ein Montagebetrieb gewesen, wie das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in seiner Entscheidung vom 21. Januar 2009 zutreffend festgestellt habe.

Der erkennende Senat hat in der mündlichen Verhandlung am 29. März 2011 den Kläger angehört. Dieser hat unter anderem angegeben, dass beim V. S3 R. praktisch sämtliche Schaltanlagen für den DDR-Schiffbau gefertigt worden seien. Es habe sich um unterschiedliche Produktlinien für die jeweiligen Schiffe gehandelt. Für eine Werft in S2, die Fischverarbeitungsschiffe hergestellt habe, sei im Abstand von jeweils zehn Tagen die entsprechende elektrische Ausrüstung zu liefern gewesen. Dabei hätten die gefertigten Serien eine Größe von etwa sechs gehabt; danach sei meistens etwas an den Schiffen geändert worden. Die größte im Betrieb jemals produzierte Stückzahl habe sich auf 8000 belaufen. Dabei habe es sich um ein Sonderprodukt für einen Betrieb in B. gehandelt, der Kassettenrekorder hergestellt habe, und zwar um eine gedruckte Leiterplatine.

Mit Urteil vom 29. März 2011 hat der Senat unter gleichzeitiger Zulassung der Revision das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die Vorschriften des AAÜG fänden auf den Kläger keine Anwendung, weil er Ansprüche aus einem Zusatz¬versorgungssystem nicht im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 AAÜG erworben habe. Ihm komme auch nicht die durch die Rechtsprechung des BSG vorgenommene erweiternde verfassungs¬konforme Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zugute. Zwar lägen die persönliche und die sachliche Voraussetzung für eine derartige – fiktive – Versorgungsanwartschaft vor. Nicht erfüllt sei hingegen die betriebliche Voraus-setzung, denn es habe sich bei dem V. S3 R. als am 30. Juni 1990 maßgeblichen Arbeitgeber nicht um einen volkseigenen Betrieb der Industrie im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB gehandelt. Er habe nicht zu dem Kreis von Betrieben gehört, die nach dem maßgeblichen staatlichen Sprachgebrauch der DDR in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz einbezogen gewesen seien. Denn der tat¬sächlich verfolgte Hauptzweck des Unternehmens sei nicht die industrielle und standar¬disierte Fertigung von Sachgütern gewesen. Hauptzweck des V. sei die Herstellung von Schaltanlagen und elektronischen Bauteilen gewesen. Die Schaltanlagen seien in der Regel in Kleinserien von bis zu maximal sechs Stück gefertigt worden, bevor dann aufgrund des geänderten Bedarfs Veränderungen des Produkts erforderlich geworden seien. Zudem belege der Umstand, dass für die Bestückung der Schaltschränke der Einsatz von Facharbeitern erforderlich gewesen sei, dass es sich nicht um eine standardisierte Fertigung im Sinne des fordistischen Produktionsmodells gehandelt habe. Die einmalige Produktion einer Großserie von 8000 Stück Leiterplatinen für Kassettenrekorder habe dem V. S3 R. nicht das Gepräge gegeben. Eine massenhafte, standardisierte Fertigung von Sachgütern im Sinne des fordistischen Produktionsmodells habe damit nicht vorgelegen.

Auf die Revision des Klägers hat das BSG mit Urteil vom 9. Mai 2012 die Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Landessozialgericht Hamburg zurückverwiesen. Der versorgungsrechtliche Begriff der Massenproduktion im Sinne der A. sei auf die standardisierte Herstellung einer unbestimmten Vielzahl von Sachgütern gerichtet. Er sei damit in quantitativer Hinsicht allein durch die potentielle Unbegrenztheit der betrieblichen Produktion gekennzeichnet. Dagegen komme es nicht auf das konkrete Erreichen einer bestimmten Anzahl an Gütern an, die der Betrieb insgesamt produziere oder an einzelne Kunden abgebe. In ihrem wesentlichen qualitativen Aspekt unterscheide sich die Massenproduktion von der auftragsbezogenen Einzelfertigung mit Bezug zu individuellen Kundenwünschen als ihrem Gegenstück dadurch, dass der Hauptzweck des Betriebs auf eine industrielle Fertigung standardisierter Produkte in einem standardisierten und automatisierten Verfahren gerichtet sei. "Standardisiert und automatisiert" in diesem Sinne sei alles hergestellt, was mit einem vom Hersteller vorgegebenen Produkt nach Art, Aussehen und Bauweise identisch sei, aber auch dasjenige Sachgut, das aus mehreren ihrerseits standardisiert und automatisiert hergestellten Einzelteilen zusammengesetzt und Teil einer einseitig und abschließend allein vom Hersteller vorgegebenen Produktpalette sei. Daher könne auch der mehr oder weniger schematisch anfallende Zusammenbau von im Wege industrieller Massenproduktion massenhaft (selbst) hergestellten Bauteilen zum fertigen Produkt seinerseits Teil der industriellen Produktion einschließlich des Bauwesens sein. Träten dagegen individuelle Kundenwünsche, wie der zusätzliche Einbau von besonders gefertigten Teilen oder der Bau eines zwar aus standardisierten Einzelteilen bestehenden, so aber vom Hersteller nicht vorgesehenen und allein auf besondere Anforderungen des Kunden gefertigten Produkts in den Vordergrund, entfalle der Bezug zur industriellen Massenproduktion. In diesem Fall sei zu prüfen, ob der Betrieb, in dem gleichermaßen die industrielle Massenproduktion von Einzelteilen und der individualisierte Zusammenbau von Endprodukten anfallen, sein Gepräge durch den erstgenannten Bereich erhalte. Die vom Berufungsgericht getroffene Feststellung, der V. S3 R. habe "Schaltanlagen in der Regel in Kleinserien von bis zu maximal sechs Stück gefertigt, bevor dann aufgrund des geänderten Bedarfs Veränderungen des Produkts erforderlich wurden", lasse eine eindeutige Zuordnung nicht zu. Das angefochtene Urteil beachte die gebotene Unterscheidung zwischen Kleinserie als internes Merkmal der betrieblichen Produktions¬weise einerseits und als externe Beschreibung des Abnahmeverhaltens von Kunden nicht; dementsprechend bleibe auch offen, ob der "geänderte Bedarf" in diesem Sinne interner oder externer Natur gewesen sei. Die vom Landessozialgericht festgestellten Tatsachen trügen das rechtliche Ergebnis nur in Fällen, in denen die Produktionsweise des Betriebs in seiner Gesamtheit von vornherein darauf angelegt sei, auf extern definierte Anforderungen zu reagieren und allein den Wünschen des jeweiligen Auftraggebers entsprechend ein oder mehrere Einzelstücke herzustellen. Komme es dagegen zur Abgabe von "Kleinserien" deshalb, weil der jeweilige Auftraggeber aus dem betriebsorganisatorisch bzw. produktionstechnisch vorgegebenen numerus clausus an Sachgütern, die abstrakt marktorientiert in theoretisch unbestimmter Vielzahl zur Verfügung stünden, nur wenige oder im Extremfall ein einziges abnehme, gefährde nicht allein dieser Umstand die Eigenschaft als Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, die vom BSG geforderte Kennzeichnung eines Produktionsbetriebes "allein durch die potentielle Unbegrenztheit der betrieblichen Produktion" scheitere schon am Wirtschaftssystem der DDR, welches das Produktionsvolumen im Rahmen der Planwirtschaft bilanziert habe. Eine Produktion über die staatlichen Vorgaben hinaus sei damit nicht denkbar gewesen, eine potentielle Unbegrenztheit der Produktion somit nicht gegeben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11. April 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11. April 2008 zurückzuweisen.

Er legt eine Stellungnahme des Geschäftsführers des Rechtsnachfolgers des V. Schiffselektrik R., Dr. M., vor, nach welcher die Seriengröße bei den signifikanten Fischereifahrzeugen in der Regel zwischen 100 und 200 Stück gelegen habe. Dabei habe es allerdings innerhalb dieser Serie Modifizierungen gegeben, die jedoch das Grundkonzept nicht beeinflusst hätten. Das Produktionskonzept sei deshalb auf eine Serienfertigung der zu liefernden Ausrüstung ausgelegt gewesen. So sei z.B. der Schiffstyp "Atlantik 333 " der Volkswerft S2 im Zeitraum zwischen 1980 und 1987 mit 134 Stück gebaut worden. Dieser sei durch den V. S3 im siebeneinhalb Tage-Rhythmus mit den kompletten elektronischen und elektrotechnischen Ausrüstungen beliefert worden. Sowohl betriebsorganisatorisch als auch produktionstechnisch seien die Voraussetzungen für diese Fertigung vorhanden gewesen.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 26. April 2016 den Kläger nochmals persönlich angehört und des Weiteren Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Dr. K. M ... Der Kläger selbst hat angegeben, seine Aufgabe im V. sei die eines Abteilungsleiters für Material und Einkauf gewesen. Der Betrieb habe Absatzverträge mit den Werften der DDR geschlossen und es sei seine – des Klägers – Aufgabe gewesen, die Materialversorgung hierfür sicherzustellen. Er habe bei den entsprechenden Zulieferern die Bauteile für die Ausführung dieser Verträge besorgt. Diese seien dann in einem Hochregallager eingelagert und sukzessive in die Fertigung gegeben worden. Im Einzelnen habe es sich um Bauteile wie Schalter, Schütze, Transformatoren und ähnliches gehandelt. Gefertigt worden seien Steuerpulte und Schaltschränke für die Produktion kleinerer Schiffsserien sowie von Einzelobjekten. Des Weiteren seien Einschübe gefertigt worden, die dann in Schalt- bzw. Steuerschränke integriert wurden. Ebenfalls seien die übrigen Bauteile – Relais, Schütze oder Lastschalter – in die verschiedenen Schränke eingebaut worden. Diese Einschübe seien typisiert gewesen, damit bei einem Ausfall sofort Ersatz habe gestellt werden können. Wenn er im Vortermin von einer Seriengröße von sechs gesprochen habe, könne er sich zwar noch an diese – zutreffend protokollierte Aussage – erinnern, jedoch nicht mehr sagen, was es damit auf sich gehabt habe. Mit dem Bemerken, dass danach meistens etwas an den Schiffen geändert worden sei, habe er ausdrücken wollen, dass der technische Fortschritt Anpassungen erfordert habe, dass also Bauteile durch moderne ersetzt worden seien. Auf Nachfrage des Gerichts hat der Kläger dann aber eingeräumt, dass der Veränderungswunsch in aller Regel von der Werft als Abnehmer ausgegangen sei. Wörtlich hat er ausgeführt, es sei ja normal, dass auch auf Kundenwünsche reagiert werde. Andererseits habe im Unternehmen ein großer Bereich Forschung und Entwicklung bestanden und man habe die Produkte auf dem neuesten Stand halten wollen. Die Änderung habe er jeweils an den Stücklisten ablesen können.

Der Zeuge M. hat in der mündlichen Verhandlung bekundet, er sei seit 1985 Direktor für Erzeugnisentwicklung gewesen. Diesem Direktorat hätten Arbeitsvorbereitung, Projek¬tierung, Konstruktion und Forschung und Entwicklung unterstanden. Es seien sowohl Au¬to¬¬ma-tisierungs¬systeme als auch Schaltanlagen gebaut worden. Bei den Automatisierungs-systemen habe es sich im Einzelnen um die Brückentableaus, Steuerschränke mit den dazugehörigen Einschüben sowie Stellantriebe gehandelt. Bei den Schaltanlagen seien Hauptschalttafeln, Notschalttafeln, Ruderschalttafeln usw. zu nennen, welche selbst entwickelt, zur Serienreife gebracht und dann entsprechend der geforderten Funktion produziert worden seien. Die Volkswerft in S2 habe vornehmlich die großen Serien von Schiffen gefertigt. Hierzu seien Zwischenstaatliche Vereinbarungen getroffen worden, die dann auf den Gesamtzeitraum hätten runtergebrochen werden müssen. Dabei hätten die Gesamtzeiträume teilweise mehr als 10 Jahre bis später nur noch 7 Jahre betragen. Innerhalb dieser Serien von Schiffen habe es Modifikationen gegeben, teilweise sei entsprechend dem Kundenwunsch gefertigt worden. So seien etwa von einigen Abnehmern bestimmte Fischverarbeitungsmaschinen (Importmaschinen) verlangt worden, was auch Änderungen an den Schaltanlagen erfordert habe. Es habe einen Grundtyp gegeben, der vertraglich vereinbart worden sei. Jedoch habe es innerhalb der Serie sogenannte Schnittschiffe gegeben, die es dem Kunden ermöglicht hätten, bestimmte Änderungen einzuführen. Diese Gelegenheit des Schnittschiffes sei auch genutzt worden, um Änderungen einzuarbeiten, die der Betrieb selbst für erforderlich gehalten habe. So habe etwa die Supertrawler-Serie aus insgesamt 172 Schiffen bestanden, wobei die Baunummern 401-417 nach identischen Unterlagen gefertigt worden seien, Baunummern 418-433 seien dann modifizierte Versionen gewesen. Diese Vorgehensweise sei für den Serienschiffsbau typisch, denn es könne den Kunden ja über die Zeit nicht zugemutet werden, ein einmal konzipiertes Schiff in identischer Bauweise abzunehmen. Eine komplette konzeptionelle Änderung sei dann aber erst jeweils mit einer neuen Serie eingeführt worden. Eine Änderung bei den Schiffen bedinge immer auch eine Änderung der Ausrüstung, jedenfalls dann, wenn sie ausrüstungsrelevant sei. Im Schiffbau habe immer das Schiff das Primat. Ausgangspunkt im Schiffsbau seien die Schiffe, d.h. die Werftenpläne. Allerdings hätten die Werften bzgl. der Änderungen nicht völlig freie Hand, wie sich aus den Äußerungen zu den Schnittschiffen ergebe. Habe allerdings der Kunde gesagt, er wolle ein Schiff nicht abnehmen ohne eine bestimmte Änderung, dann sei dies selbstverständlich umgesetzt und die Ausrüstung entsprechend angepasst worden. Insbesondere die sowjetischen Inspektoren hätten eine ziemlich große Macht gehabt. Man habe dann versucht Änderungswünsche damit zu umgehen, dass man versucht habe, sie auf sicherheitsrelevante Bereiche zu beschränken bzw. in das nächste Schnittschiff zu verschieben. Aber es seien in der Tat auch dazwischen Wünsche geäußert worden, denen man – leider – habe nachkommen müssen. Man habe den Versorgungsauftrag für die Werften zu erfüllen gehabt. Dafür habe man auf eigene bereits vorhandene Entwicklungen zurückgreifen können bzw. Neuentwicklungen vornehmen müssen. Im Pflichtenheft seien die Anforderungen niedergelegt gewesen, die dann der Hersteller zu erfüllen gehabt habe. Heute gehe man natürlich an den Markt und biete Produkte an, davon sei zu Zeiten von C. keine Rede gewesen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 26. April 2016 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die angefochten Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Zeit der Beschäftigung des Klägers vom 1. September 1978 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) anzuerkennen und die entsprechenden Arbeitsverdienste festzustellen. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts finden die Vorschriften des AAÜG auf ihn keine Anwendung, weil er Ansprüche aus einem Zusatzversorgungssystem nicht im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG erworben hat.

Der Senat verweist hierzu im Wesentlichen auf die Begründung in seinem Urteil vom 29. März 2011. Die im Termin zur mündlichen Verhandlung durchgeführte Beweisaufnahme stützt und bestätigt das in dieser Entscheidung gefundene Ergebnis.

Nach der für den Senat in diesem Rechtsstreit nach § 170 Abs. 5 SGG bindenden Rechtsauffassung des BSG kommt es für die Frage, ob bei dem V. S3 R. eine Massenproduktion im Sinne der A. vorlag, entscheidend darauf an, ob die Produktionsweise des Betriebes in seiner Gesamtheit von vornherein darauf angelegt war, auf extern definierte Anforderungen zu reagieren und allein den Wünschen des jeweiligen Auftraggebers entsprechend ein oder mehrere Einzelstücke herzustellen oder ob es zur Abgabe von "Kleinserien" nur deshalb gekommen ist, weil der jeweilige Auftraggeber aus dem betriebsorganisatorisch bzw. produktionstechnisch vorgegebenen numerus clausus an Sachgütern, die abstrakt marktorientiert in theoretisch unbestimmter Vielzahl zur Verfügung stünden, nur wenige oder im Extremfall ein einziges abgenommen hat. Im ersten Fall liegt keine Massenproduktion vor, im zweiten gefährdet allein der Umstand der Abnahme nur weniger Güter die Eigenschaft als Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens nicht.

Auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Termin vom 26. April 2016 konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass eine industrielle, theoretisch unbegrenzte Fertigung standardisierter Produkte in einem standardisierten und automatisierten Verfahren bei dem V. S3 im streitbefangenen Zeitraum stattgefunden hat. Vielmehr war die Produktionsweise darauf ausgerichtet, erforderlichenfalls auf extern definierte Anforderungen zu reagieren. Wenn nämlich der Zeuge M. erklärt, im Schiffbau habe immer "das Schiff das Primat" und es habe dementsprechend einen "Grundtyp" gegeben, welcher mit den Werften vereinbart worden sei, im Übrigen seien aber mit Blick auf Kundenwünsche Änderungen vorgenommen worden, die dann auch Änderungen der vom V. S3 R. zugelieferten Produkte erzwungen hätten, so belegen schon diese Angaben gerade keine vom Hersteller der elektrischen Ausrüstung vorgegebene potentielle Unbegrenztheit der betrieblichen Produktion. Insoweit hat der Zeuge für den Senat eindrucksvoll geschildert, dass im Schiffbau der DDR, namentlich auch im Serienschiffbau, immer auch auf Einzelanforderung der Abnehmer zu jedem denkbaren Stand der Fertigung noch Änderungen vorgenommen werden mussten, und zwar auch außerhalb der sogenannten "Schnittschiffe"". Dies belegt, dass die Produktionsweise der elektrischen Ausrüstung nicht auf eine theoretisch unbegrenzte Massenproduktion, sondern vielmehr darauf angelegt war, auf extern definierte Wünsche jeweils im Einzelfall zu reagieren. Entgegen der Auffassung des Klägers spricht auch und gerade die "Einziehung" von Schnittschiffen in die Produktionslinien nicht für, sondern gegen eine Massenproduktion. Diese diente nämlich insbesondere gerade dazu, derartige externe Kundenwünsche möglichst maßvoll aufzufangen oder abzufedern und – soweit irgend realisierbar, aber letztlich doch immer dem Kundenwillen folgend – geforderte Änderungen möglichst in ein solches Schnittschiff und die darauffolgenden Produkte legen zu können. Die Schnittschiffe dienten danach lediglich der Annäherung des Grundproduktes an die Wünsche des Kunden, der aber dennoch seine jeweiligen individuellen Ansprüche jederzeit weiter geltend machen konnte und dies auch ungehindert tat, ohne an eine abschließend vorgegebene Produktpalette gebunden zu sein oder auch nur darauf verwiesen zu sein, das nächste Schnittschiff "abzuwarten".

Im Vordergrund der Produktion der elektrischen Ausrüstung für Schiffe stand damit nicht das ausschließlich allein vom Hersteller – dem V. S3 R. – vorgegebene Sachgut, sondern vielmehr der individuelle Kundenwunsch der jeweiligen Werft für das spezifische Schiff. Dieses konnte innerhalb des Produktionsprozesses zu jedem Zeitpunkt nach den Bedürfnissen der Abnehmer geändert werden, was wiederum Änderungen an den zugelieferten elektrischen Anlagen erforderte. Dass dies auch tatsächlich geschah, hat der Zeuge durch den Hinweis auf Sonderwünsche nach "Importmaschinen" sowie die "Macht der sowjetischen Inspektoren" ebenfalls bekundet. Auch der Kläger hat dies an seinem Arbeitsplatz an den jeweils geänderten Stücklisten ablesen können. Vor dem Hintergrund der durchgeführten Beweisaufnahme erklärt sich auch, dass der Kläger selbst spontan von Serien zu lediglich sechs Einheiten gesprochen hat. Offenkundig war nach seiner Wahrnehmung nur bei sechs Schiffen die elektrische Ausrüstung wirklich identisch. Im Übrigen aber wurde die Technik angepasst, entweder weil es der technische Fortschritt gebot oder weil der Kunde es verlangte.

Auch unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des BSG lag danach eine massenhafte, standardisierte Fertigung von Sachgütern im Sinne des fordistischen Produktionsmodells beim V. S3 nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved