L 6 VG 121/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 VG 732/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 121/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. November 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Wege eines Überprüfungs- und Verschlimmerungsverfahrens streitig, ab wann und in welcher Höhe der Klägerin Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zu gewähren ist.

Die 1953 geborene Klägerin war bis Ende 1978 als medizinisch-technische Assistentin (MTA) beschäftigt. Im Jahr 1980 ging sie mit dem Deutschen Entwicklungsdienst nach Westafrika. Nach ihrer Rückkehr im Jahr 1982 war sie nach einem Erziehungsurlaub als ärztliche Schreibkraft bzw. MTA tätig (vgl. Lebenslauf, Bl. 120 Akte S 4 VG 495/01). Sie bezieht rückwirkend seit April 1996 eine Erwerbsunfähigkeitsrente (Rentenbescheid vom 20. Dezember 2001).

Die Klägerin beantragte am 14. April 1996 die Gewährung von Leistungen nach dem OEG in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Sie trug zur Begründung vor, sie leide an schweren Persönlichkeitsstörungen in Folge einer im Juni 1979 durch ihren ehemaligen Ehegatten und dessen Freund erfolgten Vergewaltigung. Nachdem es ihr zunächst gelungen sei, das Erlebte zu verdrängen, habe die am 31. Oktober 1991 erfolgte Operation einer Nasenbeinstückfraktur zu einer psychischen Veränderung geführt. Das Versorgungsamt München I lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. Juli 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayerischen Landesversorgungsamts vom 7. Januar 1997 mit der Begründung ab, der behauptete Vorgang sei nicht nachgewiesen. Auf die hiergegen erhobene Klage hob das Sozialgericht Karlsruhe (SG) mit Urteil vom 23. April 1999 (S 3 VG 344/97) nach Einholung der sachverständigen Zeugenauskünfte von Dr. R. vom 30. Dezember 1997 und Dipl.-Psych. N. vom 2. Januar 1998 sowie unter Zugrundelegung des Gutachtens des Dr. B., Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des St. Klinikums Karlsruhe, vom 6. November 1998 (posttraumatische Belastungsstörung; Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit zu 100 vom Hundert - v. H.; keine Auffälligkeiten an Stütz- und Bewegungsapparat, Lasègue beidseits negativ, Finger-Boden-Abstand 0 cm), der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Neurologin und Psychiaterin Dr. Sch. vom 1. Dezember 1998 (einen Grad der Behinderung [GdB] von 50 bedingende schädigungsunabhängige Persönlichkeitsstörung) und der Stellungnahme des Dr. B. vom 13. April 1999 (posttraumatische Belastungsstörung; eine Minderung der Erwerbsfähigkeit [MdE] um 100 v. H. bedingende schwere soziale Anpassungsstörungen) die Bescheide auf und verurteilte den Beklagten, der Klägerin Leistungen nach dem OEG "in gesetzlichem Umfang" ab 1. April 1996 zu gewähren. Das Urteil wurde rechtskräftig. Nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Dr. Sch. vom 1. Juli 1999 (maximal vertretbar sei eine MdE um 30 v. H.) bewilligte das Versorgungsamt mit Ausführungsbescheid vom 19. Juli 1999 unter Anerkennung eines Tatbestandes nach § 1 Abs. 1 OEG Leistungen nach dem OEG in gesetzlichem Umfang ab 1. April 1996. Unter Berücksichtigung der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Dr. Sch. vom 10. August 1999 (eine MdE um 30 v. H. bedingende posttraumatische Belastungsstörung; GdB von 50 unter zusätzlicher Berücksichtigung einer schädigungsunabhängigen Persönlichkeitsstörung) stellte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 23. August 1999 eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge einer Schädigung nach dem OEG ab 1. April 1996 fest und bewilligte Versorgungsrente nach einer MdE um 30 v. H. Den hiergegen am 8. September 1999 eingelegten Widerspruch wies das Landesversorgungsamt nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahmen der Dr. Sch. vom 5. Januar 2000, des Facharztes für Nervenheilkunde Dr. Sch. vom 12. Mai 2000, des Dr. P. vom 19. Mai 2000, der Dr. Sch. vom 4. September 2000 und des Neurologen und Psychiaters Dr. K. vom 20. November 2000 mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2001 zurück. Hiergegen erhob die Klägerin Klage beim SG (S 4 VG 495/01).

Ferner beantragte die Klägerin am 15. August 2001 die Überprüfung des Bescheides vom 19. Juli 1999 und Grundrente nach einer MdE um 100 v. H. ab 1. Juni 1979. Das Versorgungsamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18. Oktober 2001 ab. Es führte zur Begründung aus, der Bescheid vom 19. Juli 1999 sei rechtmäßig, so dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme dieses Bescheides nicht gegeben seien. Eine rechtzeitige Antragstellung habe nicht vorgelegen. Ein Verhinderungsgrund habe spätestens seit der Re-Traumatisierung im Jahr 1991 nicht mehr vorgelegen. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein.

Das SG wies nach Einholung des Gutachtens des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 8. Februar 2002 (chronische posttraumatische Belastungsstörung, keine hinreichenden Beweise für eine prämorbide Persönlichkeitsstörung; eine MdE um 70 v. H. bedingende mittel- bis fast schon schwergradige soziale Anpassungsschwierigkeiten) und Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. K. vom 12. März 2002 (posttraumatische Belastungsstörung; eine MdE um 50 v. H. bedingende mittelgradige Ausprägung der psychischen Störungen) und 19. Juni 2002 die über das Vergleichsangebot des Beklagten vom 15. April 2002 mit Bereitschaft, eine MdE um 50 v. H. seit 1. April 1996 festzustellen, hinausgehende gegen den Bescheid vom 23. August 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2001 gerichtete Klage mit Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2002 (S 4 VG 495/01) ab. Hiergegen legte die Klägerin beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 11 VG 4364/02) Berufung ein.

Mit Bescheid vom 11. November 2002 stellte das Versorgungsamt als Schädigungsfolge eine posttraumatische Belastungsstörung ab 1. April 1996 und eine MdE um 50 v. H. fest. Mit Bescheid vom 9. Dezember 2002 bewilligte das Versorgungsamt unter Aufhebung der bisherigen Entscheidung Versorgungsrente nach einer MdE um 50 v. H. seit 1. April 1996. Mit Bescheid vom 26. Mai 2003 erhöhte das Versorgungsamt wegen besonderer beruflicher Betroffenheit die MdE auf 60 v. H. ab 1. April 1996 und berechnete dementsprechend die Versorgungsbezüge neu.

Das LSG holte in dem gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 10. Oktober 2002 gerichteten Berufungsverfahren das Gutachten des Prof. Dr. F., Leiter der Sektion Forensische Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie T., vom 14. Dezember 2005 (das Ereignis 1979 könne auf einer Halluzination bei Verdacht auf eine schädigungsunabhängige schizophrene Psychose oder schizotype Persönlichkeitsstörung beruhen; keine sicheren Schädigungsfolgen) und dessen Stellungnahme vom 22. März 2006 sowie auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten der Prof. Dr. K., Leiterin der Sektion Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum F., vom 1. März 2007 (schädigungsbedingte mittelschwere bis schwere rezidivierende depressive Störung; differentialdiagnostisch sei eine chronische posttraumatische Belastungsstörung nicht auszuschließen; unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit sei die MdE mit 60 v. H. ausreichend hoch bewertet) ein, woraufhin die Klägerin ihre Berufung am 14. August 2007 zurücknahm (L 11 VG 4364/02).

Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2008 wies das Landesversorgungsamt sodann den gegen den Bescheid vom 18. Oktober 2001 gerichteten Widerspruch zurück. Es führte zur Begründung aus, der Antrag auf Rücknahme des Bescheides vom 19. Juli 1999 und die Gewährung von Versorgungsbezügen für einen Zeitraum vor der Antragstellung seien abzulehnen. Die Klägerin sei selbst unter Berücksichtigung ihres zeitweise schlechten Gesundheitszustandes auch vor April 1996 in der Lage gewesen, einen Antrag auf Leistungen nach dem OEG zu stellen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 28. Januar 2008 Klage beim SG (S 4 VG 404/08). Das SG holte von Amts wegen das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Prof. Dr. W. vom 16. Juli 2009 ein. Die Sachverständige führte aus, es bestehe eine schwere posttraumatische Belastungsstörung mit depressiven und ausgeprägten vegetativen Symptomen und wahrscheinlich eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung. Die posttraumatische Belastungsstörung sei mit ausreichender Wahrscheinlichkeit durch die erlittene Vergewaltigung verursacht worden. Die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Schädigungsfolgen seien als schwere Störungen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten zu betrachten. Auf Grund der Schädigungsfolgen bestehe "im Moment" ein Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 80. Der Klägerin sei es aus gesundheitlichen, insbesondere psychischen Gründen nicht möglich gewesen, vor April 1996 einen Antrag auf Leistungen nach dem OEG zu stellen.

Hierzu führte Dr. K. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19. November 2009 aus, auch nach der Anamnese im Gutachten der Prof. Dr. W. habe zunächst nur eine gering ausgeprägte psychische Symptomatik bestanden. Nach der Nasenoperation am 31. Oktober 1991 sei es zu einer psychischen Symptomatik gekommen. Es sei daher nicht erkennbar, dass eine Antragstellung nicht möglich gewesen sei. Der Versuch, das Trauma zu verdrängen, oder ein Nachdenken über den Entschluss zur Antragstellung begründe nicht, dass dies überhaupt nicht möglich gewesen sei. Nach den aktuellen Angaben im Gutachten der Prof. Dr. W. seien der Klägerin die eigene Versorgung sowie Aktivitäten wie Haushaltsführung, Gartenarbeiten und Autofahren weiterhin möglich. Es ergäben sich keine Hinweise auf eine wesentliche Verschlimmerung.

Mit Urteil vom 23. Februar 2010 hob das SG den Bescheid vom 18. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2008 auf und verurteilte den Beklagten, den Bescheid vom 19. Juli 1999 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 11. November 2002 abzuändern sowie der Klägerin Leistungen nach dem OEG auf der Grundlage eines rein medizinisch begründeten GdS von 80 in gesetzlichem Umfang ab 1. Juni 2009 zu gewähren. Im Übrigen wies es die Klage ab.

Mit Urteil vom 19. April 2012 änderte der Senat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG ab, wies die Klage in vollem Umfang ab und wies die Berufung der Klägerin zurück (L 6 VG 1162/10). Er führte in Bezug auf die Höhe des GdS zur Begründung aus, eine wesentliche schädigungsbedingte Verschlimmerung im Gesundheitszustand der Klägerin sei nicht nachgewiesen. Aus den Gutachten des Prof. Dr. F. und der Prof. Dr. K. ergebe sich in Auswertung der Krankheitsgeschichte, dass - wenn überhaupt Schädigungsfolgen vorlägen - diese unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit jedenfalls nicht höher als mit einem GdS von 60 zu bewerten seien. Letztlich habe sich dieser Bewertung auch Prof. Dr. W. angeschlossen, die den GdS nur "im Moment" höher bewertet habe. Aktuell sei die psychische Symptomatik nur gering ausgeprägt. Der Senat entnehme dies der Anamnese der Prof. Dr. W ... Danach könne sich die Klägerin noch allein versorgen, gehe zweimal pro Woche zur Gartenarbeit zum zwölf Kilometer entfernten Grundstück, auf dem sie sich den ganzen Tag aufhalte, und könne zu Ärzten sowie Therapeuten und einmal pro Monat nach Heidelberg fahren. Auch die Tagesstruktur sei weitgehend ebenso wie der soziale Kontakt zu Nachbarn und insbesondere zu ihrem Sohn erhalten. Dies alles belege, dass sie nicht nennenswert eingeschränkt sei. Jedenfalls erfordere ein höherer GdS als 80 schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten, die bereits nach den gutachterlichen Feststellungen bei der Klägerin in diesem Ausmaß nicht vorlägen.

Ihre gegen das Urteil beim Bundessozialgericht (BSG) angestrengte Nichtzulassungsbeschwerde (B 9 V 24/12 B) nahm die Klägerin im Juli 2012 zurück.

Während des Berufungsverfahrens hatte der Beklagte das SG-Urteil vom 23. Februar 2010 mit Bescheid vom 21. Mai 2010 dahingehend vorläufig ausgeführt, dass er der Klägerin ab 23. Februar 2010 vorläufig eine Versorgung nach einem GdS von 90 gewährte hätte. Diesen Bescheid hob der Beklagte wiederum nach dem Senatsurteil vom 19. April 2012 mit Bescheid vom 9. Mai 2012 wieder auf. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch (vgl. Schreiben vom 22. Mai 2012 und vom 15. Juni 2012). Ein Widerspruchsbescheid wurde hierauf bislang – soweit ersichtlich - nicht erlassen.

Mit Schreiben vom 17. Juli 2012 stellte die Klägerin beim Beklagten einen Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) "zu dem Urteil vom 19. April 2012", da ihr Rechtsanwalt es versäumt hätte, Anträge in der mündlichen Verhandlung zu wiederholen. Später führte sie ergänzend im Schreiben vom 29. Juli 2012 "zu § 44 / § 48 gehörend" an, dass sich in den letzten Jahren die Auswirkungen der körperlichen Schädigungsfolge verschlechtert hätten. Seelisch gehe es ihr durchgehend sehr schlecht. Die Klägerin legte u.a. ein Schreiben des Orthopäden Dr. K. vom 4. Juli 2012 vor, wonach sich der Gesundheitszustand ab 2012 grundsätzlich nicht verändert hätte. In den letzten Jahren sei es tendenziell eher zu einer zunehmenden Verschlechterung des Gesamtbildes nach der posttraumatischen Bewegungsstörung gekommen. In einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 4. Juli 2012 wird von einer fraktionierten Abrasio und Hysterroskopie in Vollnarkose im Februar 2012 bei der Klägerin berichtet. Dadurch sei zu einer erneuten Triggerung des traumatischen Ereignisses gekommen.

Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 5. September 2012, wonach Halswirbelsäulensyndrom und arthrotische Veränderungen schadensfallunabhängig seien, eine dauerhafte Verschlechterung der psychischen Situation wegen der angenommenen erneuten Triggerung eher nicht anzunehmen sei und der gynäkologische Eingriff in keinem denkbaren Zusammenhang mit der Tat oder den anerkannten Schädigungsfolgen stehe, lehnte es der Beklagte mit Bescheid vom 27. November 2012 ab, die Bescheide vom 18. Oktober 2001 und 11. November 2002 nach § 44 SGB X zurückzunehmen. Zudem lehnte er es ab, den Bescheid vom 9. Mai 2012 nach § 48 SGB X aufzuheben. Zur Begründung führte er an, dass es weder einen Anhaltspunkt gäbe, dass die Schädigungsfolgen im Zeitpunkt des Erlasses vom 11. November 2002 unrichtig bezeichnet worden seien, noch dass die Höhe des GdS unrichtig sei. Auch dem Antrag auf früheren Leistungsbeginn ab dem Juni 1979 statt April 1996 könne nicht entsprochen werden. Dem Antrag nach § 48 SGB X könne nicht entsprochen werden, da keine Leidensverschlimmerung vorliege. Eine dauerhafte Verschlechterung der psychischen Situation sei nicht nachgewiesen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 2. Dezember 2012 Widerspruch. Sie gab an, dass das Senatsurteil vom 19. April 2012 falsch sei. Ein nochmaliges gerichtliches Klageverfahren sei notwendig. Ihr Hauptantrag sei daher ein Antrag nach § 44 SGB X und die Rückreichung bis Juni 1979. Nach dessen Klärung solle sich für die Zukunft ein Antrag nach § 48 SGB X anschließen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück, da die Versorgung mit dem Antragsmonat April 1996 beginne. Außerdem sei eine Rückwirkung in dem von der Klägerin begehrten Umfang ausgeschlossen, da die Vier-Jahres-Frist des § 44 Abs. 4 SGB X abgelaufen sei. Eine wesentliche Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen sei den aktenkundigen Befunden nicht zu entnehmen.

Hiergegen hat die Klägerin am 27. Februar 2013 beim SG Klage erhoben. Es wurde eine Vielzahl von Unterlagen vorgelegt, u.a. ein Attest der Frauenärztin Dr. O. vom 14. September 2012, wonach bei der Klägerin eine feine Vernarbung im Scheiden-Damm-Bereich vorliege. Die Narben könnten nicht durch Geburtsverletzungen oder einen Scheidendammschnitt hervorgerufen worden sein, da die Klägerin nie eine vaginale Geburt gehabt hätte. Am Muttermund könnten Vergewaltigungsverletzungen von 1979 nicht gesehen werden. Die Klägerin könne von ihr nicht mit den Händen untersucht werden, was das psychische Trauma der Vergewaltigung unterstreiche. Die im Februar 2012 vorgenommene Operation (Hysterroskopie und Abrasio) wegen Blutungen der Gebärmutter hätte keinen Bezug zur damaligen Verletzung und Vergewaltigung. In einem Arztbrief des Nervenarztes Dr. H.-D. vom 24. Mai 2012 wurde angeführt, dass die Klägerin sich weder in psychiatrischer noch in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Eine vorgeschlagene niedrigfrequente ambulante Begleitung habe sie abgelehnt. In einem Attest vom 2. Oktober 2012 der Internisten Dres. W.-L. und L. wurde eine Gewichtsabnahme von 23,5 kg (handschriftlich in 28,5 geändert) im Zeitraum vom 23. Februar bis 25. September 2012 bescheinigt.

Während des Klageverfahrens lehnte das SG einen Antrag der Klägerin ab, den Beklagten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihr Beschädigtengrundrente nach einem höheren GdS als 60 zu gewähren (Beschluss vom 29. Mai 2013 - S 10 VG 1809/13 ER). Die Beschwerde beim Senat blieb ohne Erfolg (Beschluss vom 15. Oktober 2013 - L 6 VG 2754/13 ER-B), da es u.a. am hohen Grad der Erfolgswahrscheinlichkeit des Hauptsacherechtsbehelfs fehle. Die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen rechtfertigten nicht die Annahme eines GdS von mehr als 50 aufgrund von schädigungsbedingten Gesundheitsstörungen.

Mit Urteil vom 20. November 2013, der Klägerin zugestellt am 4. Dezember 2013, hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich vor allem auf das Senatsurteil vom 19. April 2012 (L 6 VG 1162/10) gestützt. Soweit die Klägerin einen GdS von 100 für die Vergangenheit ab dem 1. Juni 1979 begehre, sei die Klage wegen entgegenstehender Rechtskraft unzulässig. Zudem liege kein höherer GdS für die Vergangenheit vor. Auch wegen des Vierjahreszeitraumes des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X kein darüber hinausgehender Anspruch ersichtlich. Eine Verschlimmerung im Gesundheitszustand nach § 48 SGB X sei ebenfalls nicht eingetreten. Die das psychiatrische Fachgebiet betreffenden ärztlichen Unterlagen rechtfertigten nicht die Annahme, die Klägerin leide derzeit und dauerhaft schädigungsbedingt an einen höheren GdS als 50 bedingenden schweren Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten im mittleren oder oberen Grenzbereich oder gar schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Die Befundberichte von der Nervenärztinnen Dr. H.-D. und Dr. W. aus den Jahren 2012 und 2013 sowie vom St. Klinikum K. im Arztbrief vom 18. Oktober 2012 rechtfertigten im Längsschnitt betrachtet keinen höheren GdS als 50. Die auf orthopädischem Fachgebiet beschriebenen Gesundheitsstörungen stünden nicht im Zusammenhang mit dem Schädigungsereignis. Sie seien degenerativ. Auch die auf anderen Fachgebieten dokumentierten Gesundheitsstörungen seien nicht als schädigungsbedingt anzusehen. Dies gelte zunächst für das gynäkologische Fachgebiet. Es sei nicht ersichtlich, warum die Vernarbung am Scheideneingang zu einer Heraufsetzung des GdS führen und das ihr aufgefallene Wundsein am After schädigungsbedingt sein soll. Hieraus resultierende Funktionseinbußen seien nicht ausreichend dargelegt. In Bezug auf das zahnheilkundliche Fachgebiet hätte zwar der Zahnarzt Dr. P. in seinen Berichten vom 30. März 2011 verschiedene Zahnfrakturen beschrieben und sei davon ausgegangen, es liege ein durch Alpträume induzierter Bruxismus mit der Folge von an den Kiefern entstandenen Schlifffacetten vor. Mangels ausreichend überzeugender Anhaltspunkte sei jedoch nicht von einem solchen hinreichenden Kausalzusammenhang mit dem Schädigungsereignis auszugehen. Für eine Schädigungsbedingtheit des vom Internisten Dr. B. in seinem Arztbrief vom 28. März 2012 für wahrscheinlich erachteten Reizdarmsyndroms bestehe ebenso kein genügender Anhalt wie für die von der Internistin Dr. W.-L. in ihren Attesten vom 2. April 2012, 2. November 2012 und 8. November 2012 beschriebene Diabetes-Erkrankung sowie die vom Hautarzt Dr. O. in den Attesten vom 27. November 2011 und 20. Juni 2013 festgehaltenen Hauterkrankungen wie Exsikkationsekzem und schwere Seborrhiasis. Sofern weiter ein Prolaps der Analschleimhaut beschrieben worden sei, hätte sich daraus ebenfalls kein ausreichender Hinweis für einen Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis ergeben. Gleiches gelte für den Gewichtsverlust.

Am 2. Januar 2014 hat die Klägerin beim SG Berufung eingelegt. Sie verlangt einen GdS von 100 ab dem Verbrechen im Juni 1979. Das Ereignis sei Ursache der schweren posttraumatischen Belastungsstörung mit andauernder Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung und der zusätzlichen Schädigungsfolgen wie Pseudoallergien, Durchfällen, Stuhl-/Harninkontinenz, Arthrosen sowie chronische Gewichtsschwankungen. Sie habe dabei keine wirklichen körperlichen Erkrankungen wie Ekzeme, sondern Pseudoekzeme, und keine Darmerkrankung, sondern chronischen Durchfall wegen posttraumatischen Stresses, und Harn-Inkontinenz wegen Erschreckens. Sie habe mit ihren seelischen Auswirkungen körperlich zu kämpfen (vgl. Schreiben vom 2. Mai 2016, Bl. 497 f. L 6 VG 121/14).

Die Klägerin hat wieder eine Vielzahl von Unterlagen vorgelegt, u.a. ein Attest von Dr. K. vom 19. November 2013, wonach seine früheren Atteste die degenerativen Veränderungen beschrieben hätten. Die Veränderungen würden an Intensität zunehmen. In einem Attest der Urologin Dr. Sch. vom 18. November 2013 wird anamnestisch aufgeführt, dass die Klägerin von einer Harn- und Stuhlinkontinenz seit der Vergewaltigung im Jahr 1979 berichtet habe. In einem Schreiben der Zahnärzte Prof. Dr. Sch. & Kollegen vom 10. April 2014 wird von durch eine posttraumatische Belastungsstörung und schweren Alpträumen induzierten starken Bruxismus entstandenen Schlifffacetten berichtet. Füllungen seien geglättet worden und ein Zahn mit einer neuen Füllung versorgt worden. In einem Attest vom Orthopäden Dr. K. vom 21. August 2014 wurde angegeben, dass die Beschwerden in den Beinen durch degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule erklärbar seien. Als mitauslösende Ursache sei das Ereignis aus dem Jahr 1979 durchaus möglich. In einem Kurzbrief der Urologin Dr. Sch. vom 3. Dezember 2015 wird berichtet, dass Nieren und Harnblase sonographisch ohne Befund seien. Der Verdacht einer Somatisierungsstörung bestehe unverändert fort.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG hat der Senat ein psychiatrisches Gutachten bei Prof. Dr. E. eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 1. April 2016 angegeben, dass die Klägerin noch Auto fahre, in ihren Garten fahre, zwei Freundinnen und sonst wenig Bekannte habe. Ihr Sohn helfe ihr bei der Essenszubereitung. Die Gelenkbeweglichkeit der Klägerin sei diskret vermindert gewesen, das Gangbild diskret verlangsamt bei ansonsten unauffälligem psychopathologischem Befund. Die Klägerin sei wach, bewusstseinsklar gewesen und ohne Vigilanzstörungen. Sie sei zu allen Qualitäten orientiert gewesen. Auffassungsgabe, Merkfähigkeit und Gedächtnis seien klinisch nicht beeinträchtigt gewesen, die affektive Schwingungsfähigkeit eingeschränkt mit einem ängstlich-deprimierten Affekt diskreter Ausprägung. Paroxysmale Angstzustände mit Wiedererleben von erlebten Szenen seien explorierbar gewesen, der Antrieb bezüglich sozialer Aktivitäten vermindert. Der formale Gedankengang sei geordnet gewesen, inhaltliche Denkstörungen und Suizidgedanken nicht explorierbar. An vegetativen Störungen seien Durchschlafstörungen mit Albträumen, Appetitstörungen und sexuelle Störungen feststellbar gewesen. Insgesamt könne bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung mit depressivem Begleitsymptomen und krankheitsbedingten Anpassungsstörungen auf das Ereignis im Jahr 1979 zurückgeführt werden. Zusätzlich bestehe eine rezidivierende depressive Störung, die nicht auf ein einzelnes Ereignis zurückgeführt werden könne, und als nicht unfallbedingt zu werten sei. Für eine schizophrene Psychose und schizotypische Persönlichkeitsstörung hätten sich aktuell keine Hinweise gefunden. Diese Diagnose sei trotzdem möglich, auch wenn sie aktuell sich nicht in manifesten Symptomen gezeigt hätte. Eine wesentliche Änderung der posttraumatischen Belastungsstörung seit 1979 lasse sich nicht erkennen. Eine retrospektive Betrachtung bezüglich des Schweregrades sei dabei fast nicht möglich, es könne nur festgestellt werden, dass sich keine Hinweise auf eine deutliche Änderungen ergeben hätten. Begründet werde in Übereinstimmung mit den Vorgutachten eine Gesundheitsstörung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten, die mit einem GdS-Wert von 80 einzuschätzen sei, was auch der bisherigen Beurteilung durch das Gericht entspreche. Die verbleibende Selbständigkeit und die verbleibenden Aktivitäten würden aber einen GdS von 100 nicht zulassen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. November 2013 sowie den Bescheid vom 27. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung der Bescheide vom 19. Juli 1999, 18. Oktober 2001, 11. November 2002 und 9. Mai 2012 ihr Grundrente ab 1. Juni 1979 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 vom Hundert zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten des Beklagten (3.000 Blatt Hauptakte und 944 Blatt Handakte) sowie der Gerichtsakten des SG S 3 V 344/97 (160 Blatt), S 4 VG 3076/99 ER (39 Blatt), S 4 VG 3359/99 (23 Blatt), S 4 VG 328/01 (29 Blatt), S 4 VG 495/01 (288 Blatt), S 4 VG 4110/04 (33 Blatt), S 4 VG 404/08 (432 Blatt), S 4 VG 308/09 (130 Blatt), S 4 VG 1590/09 (9 Blatt), S 4 VG 2852/09 (284 Blatt), S 10 VG 732/13 (877 Blatt), S 10 VG 735/13 (644 Blatt) und S 10 VG 1809/13 ER sowie des LSG Baden-Württemberg L 11 VG 2026/99 (17 Blatt), L 11 VG 4364/02 (419 Blatt), L 6 VG 1162/10 (195 Blatt), L 6 VG 1362/10 (91 Blatt), L 6 VG 2/11 (29 Blatt) und L 6 VG 52/12 (142 Blatt), L 6 VG 186/14 (472 Blatt) und die Prozessakte L 6 VG 121/14 (554 Blatt) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 SGG) ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 27. November 2013 und der Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2013 sind rechtmäßig. Denn der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, im Wege einer Überprüfungsentscheidung gemäß § 44 SGB X die bestandskräftigen Entscheidungen vom 18. Oktober 2001, 11. November 2002 und 9. Mai 2012 abzuändern und ihr über die bewilligte Versorgungsrente ab dem 1. April 1996 nach einer MdE von 60 v. H. (einschließlich einer Erhöhung wegen besonderer beruflicher Betroffenheit - vgl. Änderungsbescheid vom 26. Mai 2003) hinaus eine Rente nach einer MdE um 100 v. H., und zwar bereits ab 1. Juni 1979, zu gewähren. Weiterhin ist auch keine Verschlimmerung im Sinne von § 48 SGB X eingetreten, so dass auch keine höheren Leistungen aufgrund des Verschlimmerungsantrages im Schreiben vom 17. Juli 2012 zu gewähren sind.

Anders als das SG meint ist die Klage, gerichtet auf eine MdE für die Vergangenheit ab dem 1. Juni 1979, allerdings nicht bereits wegen entgegenstehender Rechtskraft unzulässig. Vorliegend wurden von dem Beklagten die Bescheide vom 18. Oktober 2001 und vom 11. November 2002 überprüft. Dieser Überprüfungsbescheid vom 27. November 2012 wurde von der Klägerin angefochten und wurde weder bestands- noch rechtskräftig, sondern ist Gegenstand dieses Verfahrens. In einem anderen Gerichtsverfahren wurde über diesen Überprüfungsbescheid nicht rechtskräftig entschieden, so dass eine entgegenstehende Rechtskraft (§ 141 SGG) nicht besteht.

Soweit im vom SG zitierten Senatsurteil vom 19. April 2012 (L 6 VG 1162/10) eine entgegenstehende Rechtskraft und damit die insoweitige Unzulässigkeit der damaligen Klage in Bezug auf einen höheren Anspruch auf Opferentschädigung für die Zeit vom 1. April 1996 bis zum 31. Mai 2009 festgestellt wurde, trifft dies auf das vorliegenden Verfahren nicht zu, da im angegriffenen Überprüfungsbescheid vom 27. November 2012 nicht nur der Bescheid vom 18. Oktober 2001, der die Ablehnung der rückwirkenden Gewährung ab Juni 1979 zum Gegenstand hatte, sondern ausdrücklich auch der Bescheid vom 11. November 2002, der die Höhe der Renten-MdE ab 1. April 1996 zum Gegenstand hatte, überprüft wurden.

Im Bescheid vom 18. Oktober 2001 war Gegenstand, ob der Beklagte zu Recht die von der Klägerin am 15. August 2001 nach § 44 Abs. 1 SGB X beantragte Rücknahme des Bescheides vom 19. Juli 1999 abgelehnt hat. Darin hat der Beklagte nur geprüft hat, ob der Klägerin Opferentschädigung bereits ab Juni 1979 statt erst ab 1. April 1996 zusteht. Dies ergibt sich daraus, dass dieser Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2008 seinerseits gemäß § 96 SGG Gegenstand des gegen den Bescheid vom 23. August 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2001 gerichteten Gerichtsverfahrens geworden ist, soweit darin die Höhe der der Opferentschädigung zu Grunde gelegten MdE ab 1. April 1996 in Streit gestellt worden war (BSG, Beschluss vom 30. September 2009 - B 9 SB 19/09 B -, juris, Rz. 9).

Hingegen wurde in dem Bescheid vom 11. November 2002 (mit den Änderungsbescheiden vom 9. Dezember 2002 und Bescheid vom 26. Mai 2003) vom Beklagten die Höhe der Rente nach einer MdE von 60 v. H. ab 1. April 1996 bemessen. Somit sind also der Beginn und die Höhe der Rentenleistungen ab Juni 1979 vom Beklagten überprüft worden und zulässige Gegenstände der Klage.

Der Prüfungsmaßstab richtet sich dabei nach § 44 SGB X. Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zu-rückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des SGB längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X).

Ziel dieser Norm ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1998 - B 9 V 16/96 R -, SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, haben Betroffene einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob dieser – wie hier - durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG, Urteil vom 28. Januar 1981 - 9 RV 29/80 -, BSGE 51, 139 (141)). Auch wenn Betroffene schon einmal - wie hier - einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt haben, darf die Verwaltung ein erneutes Begehren nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen (Urteil des Senats vom 23. Juni 2016 – L 6 VG 5048/15 –, juris, Rz. 51).

Es ist zutreffend, dass der Beklagte Leistungen nicht vor dem 1. April 1996 gewährt hat. Auf die Vierjahres-Grenze des § 44 Abs. 4 SGB X ist hierbei allerdings nicht abzustellen. Der allgemeinen Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X geht zu Gunsten des Betroffenen die speziellere Vorschrift des § 60 Abs. 1 BVG vor, der eine auf die individuellen Verhältnisse des Betroffenen zugeschnittene Sonderregelung betrifft, welche eine rückwirkende Leistungsgewährung grundsätzlich auch über einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme hinaus ermöglicht (BSG, Urteil vom 2. Oktober 2008 - B 9 VH 1/07 R -, juris, Rz. 61; Merten in: Hauck/Noftz, SGB, 08/16, § 44 SGB X, Rz. 109).

Ob der Bescheid vom 19. Juli 1999, mit dem Opferentschädigung, insbesondere Grundrente, erst ab 1. April 1996 bewilligt worden ist, und sein Überprüfungsbescheid vom 18. Oktober 2001 im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig waren, beurteilt sich nach § 1 OEG in Verbindung mit § 60 BVG. Wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG). Die Beschädigtenversorgung beginnt mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens mit dem Antragsmonat (§ 60 Abs. 1 Satz 1 BVG). Die Versorgung ist auch für Zeiträume vor der Antragstellung zu leisten, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt wird (§ 60 Abs. 1 Satz 2 BVG). War der Beschädigte ohne sein Verschulden an der Antragstellung verhindert, so verlängert sich diese Frist um den Zeitraum der Verhinderung (§ 60 Abs. 1 Satz 3 BVG).

Unter Berücksichtigung dessen hat der Beklagte Beschädigtenversorgung zu Recht erst ab 1. April 1996 bewilligt. Da die Klägerin den Antrag nicht gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 BVG innerhalb eines Jahres nach dem Eintritt der Schädigung gestellt hat, kommt nach § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG ein Anspruch auf Versorgung für die Zeiträume vor der Antragstellung nur in Frage, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Antragstellung verhindert gewesen ist. Denn dann verlängert sich die Jahresfrist um den Zeitraum der Verhinderung (BSG, Urteil vom 15. August 2000 - 9 VG 1/99 R -, juris, Rz. 13). Der Senat stützt sich hierbei im Wesentlichen auf seine Erwägungen aus dem Urteil vom 19. April 2012 (L 6 VG 1162/10). Die Klägerin ist spätestens seit dem 30. Juni 1994, als sie das Vergewaltigungstrauma erstmals gegenüber Dipl.-Psych. N. zur Sprache gebracht hat, nicht mehr ohne eigenes Verschulden an einer Antragstellung verhindert gewesen ist. Seither steht die Gewalttat aus dem Jahr 1979 ganz im Mittelpunkt des inneren wie äußeren Erlebens der Klägerin. Eindrucksvoll schildert dies die Gutachterin Prof. Dr. W., wenn sie ausführt, dass die Klägerin im Gespräch immer wieder auf die Vergewaltigung zurückkomme, auch wenn sie nach anderen Themen gefragt worden sei. Sie sei kaum zu unterbrechen gewesen. Auch sonst ist für den Senat der Eindruck entstanden, als ob das Trauma der Klägerin ihr Leben zu einem großen Teil vereinnahmt. Dazu passen die vorliegenden viele tausend Seiten umfassenden Akten, die mit einer Vielzahl von Schriftsätzen der Klägerin gefüllt sind. Auch Prof. Dr. W. bescheinigt der Klägerin für die Zeit ab 30. Juni 1994 nur noch, dass sie ab diesem Zeitpunkt über eine Antragstellung und eine Anzeige des Täters habe nachdenken müssen und ihr der Entschluss dazu nicht leicht gefallen sei. Das Gesetz räumt den Betroffenen insoweit eine Jahresfrist im § 60 Abs. 1 Satz 2 BVG ein. Mithin verlängert sich die von Juni 1979 bis Mai 1980 belaufende Jahresfrist höchstens um die Zeit von Juni 1979 bis zum 30. Juni 1994 und mithin höchstens um 15 Jahre und 1 Monat bis zum 30. Juni 1995. Die Klägerin hätte also binnen Jahresfrist seit Eintritt des Bewusstwerdens über die Schädigungsfolgen und mithin bis zum 30. Juni 1995 Opferentschädigung beantragen müssen, um mit Erfolg rückwirkend Leistungen geltend machen zu können. Tatsächlich beantragt hat sie solche Leistungen aber erst am 19. April 1996 und damit gerechnet ab dem 30. Juni 1994 mehr als 19 Monate nachdem ihr spätestens die Schädigungsfolge der Tat im Jahr 1979 bewusst geworden ist. Damit kann die Klägerin frühestens mit dem Antragsmonat und mithin ab 1. April 1996 Opferentschädigung beanspruchen.

Weiterhin liegt auch dem Bescheid vom 11. November 2002 (mit den Änderungsbescheiden vom 9. Dezember 2002 und Bescheid vom 26. Mai 2003) keine unrichtige Sach- und Rechtsanwendung zugrunde. Der Klägerin steht ab 1. April 1996 keine höhere Rente als nach einer MdE bzw. einem GdS von 60 v. H. zu.

Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der GdS - bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13. Dezember 2007 (BGBl I S. 2904) am 21. Dezember 2007 als MdE bezeichnet - nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Nachdem für die Beurteilung der MdE und des GdS dieselben Grundsätze gelten, wird im Folgenden allein auf die Beurteilung des GdS Bezug genommen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. Urteil des Senats vom 18. Dezember 2014 - L 6 VS 413/13 -, juris, Rz. 42).

Bei der Beurteilung des GdS sind bis zum 31. Dezember 2008 die AHP und ab dem 1. Januar 2009 die Anlage 2 - Versorgungsmedizinische Grundsätze (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008, BGBl. I S. 2412, zu beachten. Nach VG, Teil B, Nr. 3.7 bzw. 26.3 AHP sind stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem GdS von 30 bis 40 zu bemessen. Schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten sind nach der VersMedV mit einem GdS von 50 bis 70 angemessen bewertet, schwere Störungen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdS von 80 bis 100.

Die Klägerin litt bzw. leidet im Zeitraum ab April 1996 unter schwereren psychischen Problemen. Ob diese psychische Erkrankung im Wesentlichen der vom Beklagten als Folge einer Schädigung nach dem OEG anerkannten posttraumatische Belastungsstörung (vgl. Bescheid vom 23. August 1999) unterfällt oder ob sie schädigungsunabhängig ist, und damit die Feststellung des Beklagten insoweit in die Leere läuft, kann dahinstehen, da sie nach Überzeugung des Senats allenfalls als schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdS von 50 zu bewerten ist.

Der Senat entnimmt das insbesondere den beiden Gutachten von Prof. Dr. F. und Prof. Dr. K ... Diese haben in Auswertung der Krankheitsgeschichte dargelegt, dass - wenn überhaupt Schädigungsfolgen vorliegen (dies verneinend: Prof. Dr. F.) - diese unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit jedenfalls nicht höher als mit einer MdE von 60 v. H. zu bewerten sind. Die Gutachten von Prof. Dr. W. und zuletzt von Prof. Dr. E. sind in Anbetracht der von den Sachverständigen selbst erhobenen Tagesaktivitäten für die Zeit ab April 1996 nicht schlüssig. Der Senat entnimmt das u.a. der Anamnese von Prof. Dr. W ... Danach kann sich die Klägerin noch allein versorgen, geht zweimal pro Woche zur Gartenarbeit zum 12 km entfernten Grundstück, wo sie sich den ganzen Tag aufhält, und kann zu Ärzten sowie Therapeuten und einmal pro Monat nach Heidelberg fahren. Auch die Tagesstruktur ist weitgehend ebenso wie der soziale Kontakt zu Nachbarn und insbesondere zu ihrem Sohn erhalten. Zu ihm pflegt sie eine liebevolle und kontinuierliche Beziehung. Auch Prof. Dr. E. bestätigt dies in seinem - knappen - Gutachten, wenn er von Teilnahme am Straßenverkehr als Autofahrerin, dem regelmäßigen Besuch des Gartengrundstücks, von zwei Freundinnen und der Hilfe ihres Sohnes berichtet. Prof. Dr. E. erkennt auch keine relevante Änderung zu den früheren Verhältnissen. Das alles belegt, dass die Klägerin nicht gravierend, jedenfalls nicht in dem von einem GdS von 80 geforderten Grad eingeschränkt ist. Denn das erfordert schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten, die bereits nach den gutachterlichen Feststellungen bei der Klägerin in diesem Ausmaß nicht vorliegen, so dass letztlich die Erwägung des Senats, die dieser insoweit im Urteil vom 19. April 2012 (L 6 VG 1162/10) angestellt hat, weiterhin Gültigkeit haben. Letztlich haben sich der Bewertung eines GdS von 50 auch die Sachverständigen Prof. Dr. W. und Prof. Dr. E. angeschlossen. Erstere, wenn sie den GdS nur "im Moment" höher bewertet haben will, jedoch übersieht, dass vorübergehende und damit sich nicht über sechs Monate erstreckende Gesundheitsstörungen nach § 30 Abs. 1 Satz 3 BVG nicht zu berücksichtigten sind. Letzterer, wenn er sich in Übereinstimmung mit den Vorgutachten und der gerichtlichen Anerkennung der Höhe des GdS sieht.

Des Weiteren ist auch zur Überzeugung des Senats eine wesentliche schädigungsbedingte Verschlimmerung nach § 48 SGB X im Gesundheitszustand der Klägerin für die Zeit ab dem Verschlimmerungsantrag im Schreiben vom 17. Juli 2012 nicht nachgewiesen.

Für die psychische Erkrankung, soweit sie denn überhaupt schädigungsabhängig ist, folgt dies für den Senat nachvollziehbar bereits aus dem Gutachten von Prof. Dr. E ... Er sieht zwar einen fluktuierenden, nicht immer gleich bleibenden Befund, jedoch ausdrücklich keine progrediente gradlinige Verschlimmerung. Eine solcher ergibt sich auch nicht aus den im Verschlimmerungsverfahren vorgelegten Unterlagen. So bietet u.a. der von der Neurologin und Psychiaterin Dr. H.-D. im Arztbrief vom 24. Mai 2012 erhobene Befund keinen Hinweis auf eine Gesundheitsverschlechterung, zumal keine Anhaltspunkte für produktiv-psychotische Symptome oder eine Eigen- oder Fremdgefährdung gesehen worden sind. Zwar hat die Neurologin und Psychiaterin Dr. W. in ihren Attesten vom 2. April 2012, 17. Oktober 2012, 24. Juli 2013 und 16. November 2015 schwere depressive und vegetative Symptome beschrieben, beziehungsweise Flash-back-Erlebnisse und anhaltende schwere Depressionen angegeben. Sie bieten aber keine ausreichende Befundlage für die Annahme einer wesentlichen und vor allem dauerhaften Gesundheitsverschlechterung. Dasselbe gilt für die vom St. Klinikum K. im Arztbrief vom 18. Oktober 2012 gemachten Angaben. Darin ist die Klägerin im Rahmen der dortigen Zweitvorstellung im Februar 2012 als wach, orientiert, im Kontakt offen, affektiv etwas niedergestimmt, auslenkbar, nicht weinerlich, im formalen Denken geordnet, ohne Wahn, ohne Halluzinationen, klar von Suizidalität distanziert und ohne Anhalt für eine Fremdgefährdung beschrieben worden. Diese Befunde rechtfertigen in Übereinstimmung mit dem aktuellen Gutachten von Prof. Dr. E., wonach Albträume, Wiedererleben und Folgen dieser Phänomene von der Klägerin als durchgehend ähnlich und demnach nicht verschlimmert beschrieben werden, im Längsschnitt betrachtet eben gerade keinen höheren GdS als 50, so dass die diesbezüglichen Ausführungen des Senats in seinem Urteil vom 19. April 2012 (L 6 VG 1162/10) weiterhin Bestand haben. Etwaige immer wieder phasisch daneben auftretende depressive Episoden sind dabei nach Prof. Dr. E. nicht zu berücksichtigen, da sich diese nicht auf das Ereignis aus dem Jahr 1979 zurückzuführen lassen.

Die auf orthopädischem Fachgebiet beschriebenen Gesundheitsstörungen sind nicht im Zusammenhang mit dem Schädigungsereignis zu sehen. So hat der Orthopäde Dr. K. in seinem Attest vom 3. April 2012 die von ihm dargelegten Veränderungen der Hüft-, Knie- und Fußgelenke als degenerativ gewertet und in seinem Attest vom 19. November 2013 nochmals bestätigt. Hierzu im Widerspruch steht seine Annahme in seinem zwischenzeitlichen Befundbericht vom 4. Juli 2012, wonach die von ihm beschriebene Bewegungseinschränkung wesentlich ursächlich auf das Schädigungsereignis zurückzuführen sei, und das Schreiben vom 12. November 2015, wonach die Beschwerden im HWS-Bereich als nachhaltige Folge der posttraumatischen Belastungsstörung zu sehen sei. Diese Einschätzungen hat er aber argumentativ nicht näher begründet und ihr ist nicht zu folgen. Dies folgt bereits daraus, dass die Klägerin sich nach dem angegebenen schädigenden Ereignis nicht in ärztliche, insbesondere nicht in unfallärztliche Behandlung begeben hat, also nicht davon auszugehen ist, dass gravierende Verletzung an der (Hals-) Wirbelsäule oder den Gelenken eingetreten sind. Dr. B. sieht in seinem Gutachten vom 6. November 1998, d.h. über 19 Jahre nach dem Vorfall, dementsprechend keine Auffälligkeiten an Stütz- und Bewegungsapparat (u.a. Lasègue beidseits negativ, Finger-Boden-Abstand 0 cm). Dr. B. berichtet in seinem ausführlichen Gutachten vom 8. Februar 2002 von keinen auffälligen Schonhaltungen oder Bewegungsbehinderungen. Das Gangbild ist flüssig und ohne Hinken. Bei den bestehenden Bandscheibenprotrusionen und Beweglichkeitseinschränkungen im Bereich der HWS verneint er nachvollziehbar eine traumatischen Genese, da die Erscheinungen ubiquitär und nicht wesentlich altersüberschreitend seien. Bewegungseinschränkungen in den Hüft-, Knie- und Fußgelenken beschreibt er nicht, so dass schlechterdings nicht angenommen werden kann, dass die nun dort bestehenden Einschränkungen schädigungsbedingt und nicht degenerativ seien sollen. Nichts anderes gilt für die von den St. V.-Kliniken K. im Entlassbrief vom 18. November 2012 beschriebenen Bewegungsschmerzen im Bereich der Wirbelsäule und Hüften mit verlangsamtem Gangbild, das von Dr. K. in seinen Berichten vom 19. Oktober 2012, 21. November 2012 und 25. Januar 2013 beschriebene Anpralltrauma im Bereich des rechten Außenknöchels mit Kapselschwellung und Brennen in beiden Füßen sowie die vom Orthopäden Dr. Z. in seinem Arztbrief vom 20. Juni 2012 und vom Radiologen Dr. K. in seinem Arztbrief vom 6. Dezember 2012 diagnostizierten Gesundheitsstörungen in der Lendenwirbelsäule. Die vermehrten aktuellen Beschwerden im HWS- und LWS-Bereich und ein Hämatom im Bereich des rechten Oberarmes führt Dr. K. schließlich auf häusliche Stürze zurück (vgl. Schreiben vom 20. Februar 2014 und 3. April 2014), die Quetschverletzung des linken Zeigefingers auf ein Einklemmen in der Autotüre (Bericht St. Klinikum K. vom 29. Dezember 2014). Eine Schädigungsbedingtheit ist insoweit nicht ersichtlich. Aus dem zuletzt vorgelegten radiologischen Bericht über das am 20. Oktober 2016 angefertigte Kernspintomogramm der LWS von Dipl. med. Kats ergibt sich nichts anders, insbesondere werden im Wesentlichen degenerative Wirbelsäulenprobleme beschrieben und therapeutische Optionen für das pseudoradikuläre Beschwerdebild aufgezeigt, aber keine Aussage zur Schädigungsbedingtheit getroffen.

Auch die auf anderen Fachgebieten dokumentierten Gesundheitsstörungen sind nach Ansicht des Senats weiterhin nicht als schädigungsbedingt anzusehen. Dies gilt zunächst für das gynäkologische Fachgebiet. Der Neurologe und Psychiater Dr. W. hat sich in seinem für den Medizinischen Dienst der Krankversicherung Baden-Württemberg erstellten Gutachten vom 4. Juli 2012 lediglich zu der Frage geäußert, ob es sich bei der bei der Klägerin im Rahmen eines gynäkologischen Eingriffs im Februar 2012 erfolgten Maskennarkose um einen Behandlungsfehler gehandelt hat. Der gynäkologische Eingriff (Hysterroskopie und Abrasio) wegen Blutungen der Gebärmutter hat nach der Frauenärztin Dr. O. keinen Bezug zur damaligen Vergewaltigung (Attest vom 14. September 2012). Keine neuen Erkenntnisse ergeben sich aus der von Dr. O. ferner beschriebenen feinen Vernarbung am Scheideneingang (Atteste vom 14. September 2012 und 17. Januar 2013). Es ist nicht ersichtlich, warum eine solche Narbe zu einer Heraufsetzung des GdS führen und das ihr zusätzlich aufgefallene Wundsein am After schädigungsbedingt sein soll. Hieraus resultierende Funktionseinbußen sind nicht dargelegt.

Soweit die Klägerin eine Harn- und Stuhlinkontinenz als Folge der Vergewaltigung anführt (vgl. hierzu insbesondere das Parallelverfahren L 6 VG 186/14 wegen erhöhten Wäscheverschleißes), so darf im Wesentlichen auf die dortigen Ausführungen des Senats im Urteil vom 17. November 2016 verwiesen werden. Die Angaben der Klägerin, die einmal davon ausgeht, dass Stuhl- und Harninkontinenz mit Durchfällen bereits seit 1979 bestehen (vgl. Attest der Urologin Dr. Sch. vom 18. November 2013), während sie an anderer Stelle erst ab 2005 von chronischen Durchfällen seit der Begutachtung durch Dr. F. (Gutachten Prof. Dr. K. vom 1. März 2007) und erst deutlich später von einer Harninkontinenz spricht, sind in sich so widersprüchlich und auch nicht mit den objektiven Befunden in Einklang zu bringen, dass der Senat sich nicht von einer Schädigungsbedingtheit überzeugen konnte. Die Urologin Dr. Sch. geht beispielsweise ausschließlich aufgrund der Angaben der Klägerin von einer seit dem Jahr 1979 in gleicher Qualität bestehenden Harn- und Stuhlinkontinenz aus und nimmt daher – naheliegend - einen Zusammenhang zum behaupteten Verbrechen in diesem Jahr an (vgl. Arztbrief vom 31. März 2014). Allerdings wird eine derartige durchgehende und gleichbleibend schwerere Inkontinenz durch die früheren Arztunterlagen nicht bestätigt. Im Gegenteil wird im Bericht des Rehabilitationskrankenhauses K.-L. vom 25. Februar 1992 von einer normalen Blasenfunktion und anhaltender Appetitlosigkeit mit starkem Gewichtsverlust, nicht aber von Inkontinenz gesprochen. In den Gutachten von Dr. Brandi vom 2. Oktober 1997 und Dr. B. vom 6. November 1998 werden Miktio und Stuhlgang ausdrücklich als beschwerdefrei bzw. ohne Befund attestiert, im Bericht der Klinik Sch. vom 20. Januar 2003 sind Wasserlassen und Stuhlgang unauffällig und nur unter Stress Magenschmerzen und flüssige Stühle dokumentiert. Im Gutachten von Prof. Dr. F. vom 14. Dezember 2005 werden - bei adipösem Ernährungszustand der Klägerin - keinerlei Hinweise auf Stuhl- oder Urininkontinenz beschrieben. Dies gilt im Übrigen auch für das Tragen von Einlagen und Windeln, die damals ebenfalls nicht bestätigt wurden. Letztlich kommen für die Inkontinenz und die Durchfälle als Ursache nicht organische, sondern allenfalls vegetative Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung in Betracht, von denen auch die gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. W. ausgegangen ist und inzwischen augenscheinlich auch die Klägerin überzeugt ist, wenn sie selbst eine Darmerkrankung verneint und statt dessen chronischen Durchfall wegen posttraumatischen Stresses und eine Harn-Inkontinenz wegen Erschreckens spricht (vgl. Schreiben vom 2. Mai 2016, Bl. 497 f.). Dies hat jedoch zur Folge, dass man sich - wie Prof. Dr. E. in seinem weiteren Gutachten vom 1. April 2016 aus dem Parallelverfahren L 6 VG 186/14 - ausschließlich auf die Angaben der Klägerin verlassen muss, dies hier jedoch wegen der Widersprüchlichkeit nicht kann.

In Bezug auf das zahnheilkundliche Fachgebiet hat zwar der Zahnarzt Dr. P. in seinen Berichten vom 30. März 2011 und 29. April 2011 verschiedene Zahnfrakturen beschrieben und ist davon ausgegangen, es liege ein durch Alpträume induzierter Bruxismus mit der Folge von an den Kiefern entstandenen Schlifffacetten vor. Auch hier ist nicht ersichtlich, selbst wenn der Bruxismus als Schädigungsfolge zu sehen wäre - eine substantiierte Begründung hat Dr. P. für seine Einschätzung jedenfalls nicht geliefert -, inwieweit er den GdS erhöhen sollte. Die Schlifffacetten wurden vom Zahnarzt nämlich geglättet und die Zahnfüllungen erneuert (vgl. Bericht vom 10. April 2014, 23. April 2015 und 18. November 2015), so dass insoweit überdauernde Einschränkungen nicht verbleiben. Soweit die Kieferverspannungen und das Zähneknirschen zu den psychischen Folgen der angegeben Tat zu rechnen sind, wird ihnen mit einem GdS von 50 bereits ausreichend Rechnung getragen und erhöht ihn nicht.

Für eine Schädigungsbedingtheit der von der Internistin Dr. W.-L. in ihren Attesten u.a. vom 2. April 2012, 2. und 11. November 2012 beschriebene Diabetes-Erkrankung (vgl. hierzu auch Arztbrief des Hormonzentrum K. vom 8. Juni 2015) sowie die vom Hautarzt Dr. O. in den Attesten vom 27. November 2012 und 20. Juni 2013 festgehaltenen Hauterkrankungen wie Exsikkationsekzem und schwere Seborrhiasis bestehen für eine Schädigungsbedingtheit keine hinreichenden Anhaltspunkte. Nichts Neues ergibt sich ferner aus den Attesten der Dr. W.-L. vom 19. Juli 2012, 27. September 2012, 2. Oktober 2012, 17. Januar 2013 und 6. Juni 2013 ergeben. Darin wird lediglich die dringende Indikation für eine Traumabehandlung gesehen und angenommen, die Klägerin könne wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Fachlich begründet hat sie diese Annahme, zumal fachfremd gestellt, aber nicht. Sofern sie einen Prolaps der Analschleimhaut beschrieben hat, ergeben sich daraus ebenfalls keine ausreichenden Hinweise für einen Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis. Dasselbe gilt für den von ihr nun mit 28,5 Kilogramm in dem Zeitraum von Februar bis September 2012 beziehungsweise mit 12 Kilogramm im Jahr 2013 dokumentierten Gewichtsverlust.

Die Berufung der Klägerin erweist sich damit insgesamt als unbegründet und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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