L 20 AS 2378/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 131 AS 9811/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 AS 2378/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 10/17 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
BSG: Beschwerde
Die Berufung wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Klage- und Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine vorläufige Leistungsbewilligung und begehrt vom Beklagten die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II) nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2015. Der 1965 geborene Kläger steht jedenfalls seit 2009 im Leistungsbezug des Beklagten. Er bewohnt eine Mietwohnung mit einer Wohnfläche von 66,24 m², für die er im Streitzeitraum eine Bruttokaltmiete von 324,40 EUR zu entrichten hatte. Warmwasseraufbereitung und Beheizung der Wohnung erfolgen durch eine Gasetagenheizung. An die GASAG leistete der Kläger im Streitzeitraum monatliche Abschlagszahlungen von 37,00 EUR. Jedenfalls seit 2013 berücksichtigt der Beklagte einen Mehrbedarf des Klägers wegen kostenaufwändiger Ernährung i. H. v. 10% des Regelsatzes. Dem liegen zwei amtsärztliche Stellungnahmen aus dem Jahr 2011 zu Grunde, wonach bei dem Kläger wegen seiner Körpergröße (210 cm) und seines Gewichts (105 kg) ein erhöhter Energiebedarf von 3.000 kcal bestehe. Am 20. November 2014 stellte der Kläger den Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen für den Streitzeitraum. Gleichzeitig beantragte der Kläger,

• den anerkannten Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung auf einen Betrag i. H. v. 20% des Regelsatzes zu erhöhen, • ihm wegen seiner Körpergröße und seines Gewichts für Kleidung, Wäsche und Schuhe (Schuhgröße 52) in extremer Übergröße einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II i. H. v. 100% der im Regelsatz vorgesehenen Summe für Kleidung/Schuhe als Mehrbedarf zu gewähren, • ihm für die Kosten des Berliner Sozialtickets einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II i. H. v. 36,00 EUR zu bewilligen und • ihm für den Betriebsstrom seiner Gastherme 9,11 EUR monatlich anstelle des vom Beklagten bisher gewährten Betrages von 1,75 EUR monatlich zu zahlen.

Mit Bescheid vom 28. November 2014 lehnte der Beklagte unter Bezugnahme auf die 2011 gefertigten amtsärztlichen Stellungnahmen die Gewährung "höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts" wegen eines Mehrbedarfs für Ernährung ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 12. Dezember 2014, begründet mit dem Vorliegen eines im Lichte von Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu gewährenden "unabweisbaren, regelmäßig anfallenden, angemessenen, laufenden, atypischen und nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs", wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2015 (W 9184/14) aus den Gründen des angefochtenen Bescheids zurück. Hieraufhin erhob der Kläger am 11. Mai 2015 bei Sozialgericht Berlin Klage, die unter dem Aktenzeichen S 131 AS 9695/15 geführt wird.

Die Anträge auf Gewährung eines Mehrbedarfs für das Sozialticket, Kleidung, Wäsche und Schuhe lehnte der Beklagte gleichfalls mit einem Bescheid vom 28. November 2014 ab, wobei er zur Begründung ausführte, die beantragten Leistungen seien von der Regelleistung umfasst. Hiergegen legte der Kläger am 12. Dezember 2012 zwei Widersprüche ein. Beide Widersprüche (W 9147/14 - Kleidung und W 9185/14 - Sozialticket) wies der Beklagte mit einem weiteren Widerspruchsbescheid vom 30. April 2015 unter Wiederholung seiner Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid zurück. Die beiden hieraufhin vom Kläger am 12. Mai 2015 erhobenen Klagen werden nach erfolgter Verbindung der Verfahren beim Sozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen S 183 AS 9809/15 geführt.

Mit dem hier verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 12. Dezember 2014, der bereits am 27. November 2014 gefertigt aber nicht abgesandt wurde, gewährte der Beklagte dem Kläger sodann für die Zeit vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2015 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung von 39,10 EUR vorläufig - Vorläufigkeitsvorbehalt wegen der Höhe der Gasabschläge und geltend gemachter Stromkosten für die Gastherme - monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i. H. v. 754,50 EUR. Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch vom 23. Dezember 2014 (W 258/15) begehrte der Kläger unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und im Einzelnen zitierte wissenschaftliche Stellungnahmen die Gewährung einer nach seiner Auffassung verfassungskonformen monatlichen Regelleistung von 594,93 EUR. Noch während des laufenden Widerspruchsverfahrens bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 26. Januar 2015 für den Streitzeitraum vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2015 endgültig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i. H. v. 802,15 monatlich unter zusätzlicher Berücksichtigung der zu entrichtenden Gasabschläge von 37,00 EUR und von 1,85 EUR monatlich für den Betriebsstrom der Gastherme. Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch vom 29. Januar 2015 (W 888/15) machte der Kläger höhere Kosten für Betriebsstrom der Gastherme i. H. v. 8,48 EUR monatlich geltend. Mit dem hier verfahrensgegenständlichen Widerspruchsbescheid vom 30. April 2015 (W 258/15) stellte der Beklagte sodann das Widerspruchsverfahren wegen des vorläufigen Bewilligungsbescheides vom 12. Dezember 2014 ein. Zur Begründung führte der Beklagte aus, der vorläufige Bewilligungsbescheid vom 12. Dezember 2014 habe sich gem. § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf andere Weise erledigt. Der endgültige Bewilligungsbescheid vom 26. Januar 2015 habe den vorläufigen Bescheid vom 12. Dezember 2012 ersetzt. Am 12. Mai 2015 hat der Kläger beim Sozialgericht Berlin die hier verfahrensgegenständliche Klage erhoben. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2015 (W 888/15) hat der Beklagte sodann den Widerspruch des Klägers vom 29. Januar 2015 gegen den endgültigen Bewilligungsbescheid für den Streitzeitraum vom 26. Januar 2015 zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Beklagte ausgeführt, die Kosten für den Betriebsstrom der Gastherme seien in Übereinstimmung mit obergerichtlicher Rechtsprechung i. H. v. 5% der Gaskosten festgesetzt worden. Auch hiergegen hat der Kläger am 11. Juni 2015 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 96 AS 11946/15 geführt wird. Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, die Höhe der Regelleistungen sei nicht transparent, verfassungswidrig, menschenverachtend, willkürlich und unzureichend. Der Gesetzgeber sei seiner Begründungspflicht nicht nachgekommen, wie sich aus den Gesetzesmaterialien und einer vom Bundesverfassungsgericht im Verfahren zur Regelsatzentscheidung vom 09. Februar 2010 eingeholten wissenschaftlichen Stellungnahme ergebe. Der Gesetzgeber missachte weiterhin die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Folge sei eine Ausgrenzung vom gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben durch Bedrohung des Mindestmaßes an physischer Existenz (Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Strom, Heizung, Hygiene, Gesundheit, etc.). Die steigenden Energiekosten würden fortwährend ignoriert. Verfassungsrechtlich geboten sei eine Regelsatzhöhe von 594,93 EUR zuzüglich der Preissteigerungsrate seit 2010. Wegen der weiteren Einzelheiten der umfangreichen Klagebegründung und der vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken wird auf die Klageschrift vom 11. Mai 2015 (Bl. 1-16 der Gerichtsakte) Bezug genommen. Das Sozialgericht hat dem Vorbringen des Klägers den Antrag entnommen, den Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2014 in der Form des Bescheides vom 26. Januar 2015 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm für den Bewilligungszeitraum Januar bis Juni 2015 die Regelleistung in Höhe von 594,93 EUR zuzüglich Preissteigerungsrate ab 2010 zu gewähren, hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, diesen Betrag darlehensweise zu gewähren. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat sich auf seine Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid bezogen. Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 07. September 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte sei zutreffend davon ausgegangen, dass nach Erledigung des mit dem Widerspruch angefochtenen Ausgangsbescheides (§ 39 Abs. 2 SGB X) eine Widerspruchsentscheidung in der Sache nicht mehr habe ergehen dürfen. Dies stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Aus § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergebe sich nichts anderes. Nach dieser Vorschrift werde, wenn während des Vorverfahrens der angegriffene Verwaltungsakt abgeändert werde, auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Vorverfahrens. Ob eine Änderung vorliege, richte sich nach dem Regelungsgehalt einerseits des ersten Bescheids und andererseits des Folgebescheids. Der neue Bescheid müsse zur Regelung desselben Rechtsverhältnisses ergangen sein, sich in den Wirkungen mit dem angefochtenen Verwaltungsakt überschneiden, sei es, dass der Betroffene besser oder schlechter gestellt werde oder dass eine andere gleichwertige Regelung getroffen sei. Anders als die entsprechende Regelung für das gerichtliche Verfahren (§ 96 SGG) umfasse § 86 SGG dabei nicht Fälle der Ersetzung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ersetze die endgültige Regelung die vorläufige (Bezugnahme auf BSG v. 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R). Sie ändere jedoch die vorläufige Bewilligung nicht, sondern treffe ihrem Wesen nach eine unterschiedliche Regelung. Die Frage, ob dem Kläger eine höhere Regelleistung zustehe, sei deshalb im Widerspruchs- und Klageverfahren gegen den endgültigen Bescheid vom 26. Januar 2015 zu klären. Der Hilfsantrag sei bereits deshalb unzulässig, weil es an einer entsprechenden Antragstellung des Klägers beim Beklagten fehle. Im Übrigen sei er auch unbegründet, weil der Gesetzgeber selbst die von ihm festgesetzte Regelsatzhöhe für verfassungsmäßig halte. Mit weiterem Gerichtsbescheid vom 07. September 2015 hat das Sozialgericht Berlin unter Nichtzulassung der Berufung auch die auf Gewährung eines höheren Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung gerichtete Klage (Az.: S 131 AS 9695/15) des Klägers gegen den Bescheid vom 28. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2015 (W 9184/14) abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig. Die Höhe des Mehrbedarfs sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kein eigenständiger Streitgegenstand, sondern Teil des in der Regel für sechs Monate zu bewilligenden Arbeitslosengeldes II. Hieraus folge nach Auffassung der Kammer, dass der Mehrbedarf im Rahmen des Rechtsbehelfs gegen den Bewilligungsbescheid geltend zu machen sei. Der Bescheid über die endgültige Leistungsbewilligung vom 26. Januar 2015 sei auch nicht nach § 86 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, da der endgültige Bescheid nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts den vorläufigen Bescheid ersetze. Anders als § 96 SGG erfasse die Regelung des § 86 SGG aber nur die Änderung und nicht die Ersetzung eines Bescheides. Die hieraufhin vom Kläger am 22. September 2015 beantragte mündliche Verhandlung hat das Sozialgericht noch nicht durchgeführt. Am 21. September 2015 hat der Kläger gegen den hier verfahrensgegenständlichen Gerichtsbescheid, der ihm am 12. September 2012 zugestellt worden ist, Berufung eingelegt. Der Kläger trägt vor, er sehe sich durch die öffentliche deutsche staatliche Gewalt in seinen elementaren Grundrechten gegenwärtig und unmittelbar verletzt. Wegen der Einzelheiten seines Vortrags wird insoweit auf die eingereichten Schriftsätze des Klägers, insbesondere seinen Schriftsatz vom 21. Juli 2016 (Bl. 146 bis 206 der Gerichtsakte) Bezug genommen. Im Übrigen ist er der Auffassung, das Sozialgericht sei rechtsfehlerhaft von der Erledigung des angefochtenen Bescheids vom 12. Dezember 2014 ausgegangen. Der Bescheid vom 26. Januar 2015 habe den angefochtenen vorläufigen Bescheid vom 12. Dezember 2014 nicht aufgehoben, widerrufen, zurückgenommen oder ersetzt. Der Bescheid vom 26. Januar 2015 sei daher nicht als endgültig zu werten. Dieser Bescheid habe die von ihm geltend gemachte Beschwer nicht endgültig beseitigt. Folge man der gegenteiligen Rechtsauffassung des Beklagten, habe dieser es in der Hand, durch fortgesetzt mutwillig immer gleichlautende Bescheide den Rechtsstreit beliebig in die Länge ziehen. Ausgehend von der unzutreffenden Rechtsauffassung des Beklagten und des Sozialgerichts, dass der Bescheid vom 12. Dezember 2014 durch den Bescheid vom 26. Januar 2015 ersetzt worden sei, habe aber § 86 SGG mit der Folge Anwendung finden müssen, dass der Bescheid vom 26. Januar 2015 Gegenstand des Widerspruchs- und Klageverfahrens geworden sei. Denn anders als das Sozialgericht angenommen habe, erfasse § 86 SGG auch solche Fallgestaltungen, in denen der angefochtene Bescheid durch einen während des Widerspruchsverfahrens ergangenen Bescheid ersetzt werde. Zur weiteren Begründung bezieht sich der Kläger auf einen teilweise wörtlich zitierten Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (v. 28.10.2013 - L 13 AS 437/13 B). Der Kläger beantragt unter Bezugnahme auf seine schriftsätzlich formulierten Anträge, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 07. September 2015, Az.: S 131 AS 9811/15, Richter Breun, sowie die Bescheide der Berufungsbeklagten vom 12. Dezember 2014 und 26. Januar 2015 i. V. m. dem Widerspruchsbescheid, SB F, datiert vom 30. April 2015 aufzuheben und die Berufungsbeklagte zu verurteilen, einen Regelsatzbedarf von mindestens 594,39 EUR, zuzüglich der jährlichen Verbraucherpreisindizes (Inflationsraten) ab 2010 (Quellen: Statistisches Bundesamt 2015, Statista 2015), rückwirkend ab dem 01. Januar 2015 gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nach der realitätsgerechten und transparenten, detaillierten Analyse im Sachverständigen-Gutachten von Rüdiger Böker, Mitglied des Deutschen Sozialgerichtstages, vom 22. November 2010 i. V. m. den in der Klage angeführten Klagepunkten vom 11. Mai 2015 zu bewilligen und zu zahlen, für Recht zu erkennen, der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 07. September 2015 - Az: S 131 AS 9811/15 - ist verfassungswidrig, somit nichtig und verletzt den Berufungskläger in seinem verfassungsmäßigen Recht, insbesondere in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 GG, der Gerichtsbescheid wird aufgehoben, der Bescheid des Jobcenter Berlin Mitte vom 12. Dezember 2014 für den Bewilligungszeitraum von 01. Januar 2015 bis 30. Juni 2015 i. V. m. Bescheid vom 26. Januar 2015 i. V. m. Widerspruchsbescheid vom 30. April 2015 ist verfassungswidrig, somit nichtig und verletzt den Berufungskläger in seinem verfassungsmäßigen Recht, insbesondere in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 GG, die Bescheide werden aufgehoben, hilfsweise, rückwirkend ab dem 01. Januar 2015 die monatliche Bewilligung des Differenzbetrages aus o. g. geforderter Regelleistungshöhe, 594,39 EUR zuzüglich der jährlich zu berücksichtigenden Preissteigerungsraten ab 2010, und bewilligter Regelleistung, 399,00 EUR, in Höhe von mindestens 195,39 EUR als zinsloses Darlehen, weiter hilfsweise, das Verfahren nach Art. 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. Der Beklagte beantragt schriftsätzlich, die Berufung zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten sowie der beigezogenen Gerichtsakten der beim Sozialgericht Berlin anhängigen Verfahren S 131 AS 9695/15, S 183 AS 9809/15 und S 96 AS 11946/15 Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Begehren des Klägers, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 07. September 2015 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2015, beide in der Fassung des Bescheides vom 26. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2015, zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf Grundlage einer Regelleistung in Höhe von 594,93 EUR zuzüglich Preissteigerungsrate ab 2010 zu gewähren. Dieses Begehren kann der Kläger dem Grunde nach zulässig mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, § 56 Sozialgerichtsgesetz - SGG) verfolgen. Die erstmals im Berufungsverfahren angeführten "Nichtigkeitsfeststellungsklagen" wären bereits unzulässig und darüber hinaus von vornherein ungeeignet, das erkennbar auf Gewährung höherer Leistungen gerichtete Begehren des Klägers durchzusetzen. Der Senat hat dieses "Begehren" des Klägers unter Berücksichtigung seiner wohlverstandenen Interessen daher als Begründungselement seines Anfechtungs- und Leistungsbegehrens ausgelegt (§ 123 SGG), welches er im Übrigen auch mit seinem auf darlehensweise Leistungsgewährung gerichteten Hilfsantrag verfolgt. Die Berufung ist danach zulässig, insbesondere nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft, denn der Wert der Beschwer beträgt jedenfalls 1.223,58 EUR (Differenz zwischen der monatlichen Regelleistung von 391,00 EUR und der begehrten monatlichen Regelleistung von 594,93 EUR für sechs Monate). Sie ist aber unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Klage mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid abgewiesen. Denn die Klage war bereits unzulässig. Die vom Kläger angefochtenen Bescheide vom 12. Dezember 2014 und vom 26. Januar 2015 sind gemäß § 86 SGG Gegenstand des wegen eines Mehrbedarfs für Kleidung, Wäsche und Schuhe geführten Widerspruchsverfahrens W 9147/14 (Klageverfahren S 183 AS 9809/15) geworden und konnten damit nicht zulässig zum Gegenstand eines weiteren Widerspruchsverfahrens gemacht werden (vgl. BSG v. 17.12.2015 – B 8 SO 14/14 R –juris, Rn. 12 f. zu § 96 SGG: "prozessuale Sperrwirkung"). Die gleichwohl vom Kläger erhobene Klage war, nachdem der Kläger auch gegen den im Widerspruchsverfahren W 9147/14 ergangenen Widerspruchsbescheid vom 30. April 2015 Klage erhoben hatte (Az: S 183 AS 9809/15), nach § 202 SGG i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) wegen des Prozesshindernisses der anderweitigen Rechtshängigkeit unzulässig. § 86 Hs 1 SGG trifft folgende Regelung: Wird während des Vorverfahrens der Verwaltungsakt abgeändert, so wird auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Vorverfahrens. Ein Bescheid wird hiernach jedenfalls von § 86 SGG erfasst, wenn er während des Vorverfahrens, also im Zeitraum zwischen der Einlegung des Widerspruchs und der Beendigung des Vorverfahrens durch den Widerspruchsbescheid, ergeht und den mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheid ändert. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts umfasst § 86 SGG aber auch den Fall der Ersetzung eines Verwaltungsaktes durch einen später ergangenen Verwaltungsakt (BSG v. 17.06.2008 – B 8 AY 12/07 – juris, Rn. 11; BSG v. 23.02.2005 – B 6 KA 45/03 R – juris, Rn. 17; Hintz in BeckOK SozR, § 86 SGG, Rn. 3; Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage, 2014, § 86, Rn. 3, jeweils m. w. N.). Zwar fehlt es in § 86 SGG im Gegensatz zur Parallelvorschrift des § 96 SGG an einer entsprechenden ausdrücklichen Regelung. Nach Sinn und Zweck des § 86 SGG ist aber von einheitlichen Tatbestandsvoraussetzungen beider Regelungen auszugehen, welche beide der Prozessökonomie dienen. Der gesamte Streitstoff soll möglichst in einem Widerspruchsverfahren vollständig erledigt werden (LSG Baden-Württemberg v. 28.10.2013 - L 13 AS 437/13 B - juris, Rn. 7). Ein angeblich gegenteiliger Wille des Gesetzgebers (so z. B. SG Berlin v. 16.05.2012 – S 205 AS 11726/09 – juris) ist nicht feststellbar und ergibt sich insbesondere nicht aus dem Wortlaut der Regelung. Denn das Ersetzen lässt sich als die radikalste Form des Änderns begreifen (statt vieler: LSG Baden-Württemberg, a. a. O., m. w. N.). Ob ein Verwaltungsakt einen anderen abändert oder ersetzt, ist nach dem Regelungsgehalt beider Verwaltungsakte zu bestimmen und setzt einen Vergleich der Verfügungssätze beider Verwaltungsakte voraus. Eine Änderung oder Ersetzung kann hierbei nur vorliegen, wenn beide Verwaltungsakte zumindest teilweise denselben Streitgegenstand haben (BSG v. 23.02.2005, a. a. O.; Becker in Roos/Wahrendorf, SGG, § 86, Rn. 12; Hintz, a. a. O.). Die Wirkungen der Verwaltungsakte müssen sich überschneiden, sei es, dass der Betroffene besser oder schlechter gestellt wird oder dass eine andere Regelung getroffen wird (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, 2014, § 86; Rn. 3; Becker, a. a. O., Rn. 12). Gemessen an diesen Voraussetzungen hat der hier streitbefangene vorläufige Bewilligungsbescheid vom 12. Dezember 2014 die Bescheide vom 28. November 2014 ersetzt und ist seinerseits durch den endgültigen Bewilligungsbescheid vom 26. Januar 2015 ersetzt worden. Regelungsgegenstand der Bescheide vom 28. November 2014 war die - wohl rechtswidrige (vgl. z. B. LSG Berlin-Brandenburg v. 10.11.2010 - L 34 AS 1905/10 B PKH, juris) - isolierte Ablehnung von Mehrbedarfen, welche der Kläger mit seinem am 20. November 2014 gestellten Weiterbewilligungsantrag für den streitbefangenen Bewilligungszeitraum vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2015 beantragt hatte. Die Ablehnung der Mehrbedarfe war aber auch Gegenstand des während des Vorverfahrens gegen die Bescheide vom 28. November 2014 ergangenen vorläufigen Bewilligungsbescheids vom 12. Dezember 2014 und des endgültigen Bewilligungsbescheides vom 26. Januar 2015. Denn ausgehend davon, dass Mehrbedarfe als integraler Bestandteil der Regelleistung nicht isoliert geltend gemacht werden können (BSG v. 24.02.2011 – B 14 AS 49/10 R – juris, Rn. 13; BSG v. 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R – juris, Rn. 15), enthält ein Bewilligungsbescheid über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - wie vorliegend die Bescheide vom 12. Dezember 2014 und vom 26. Januar 2015 - jedenfalls dadurch eine konkludente Entscheidung über die Mehrbedarfe des § 20 SGB II, dass er die Leistung der Höhe nach begrenzt (LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.01.2011 - L 19 AS 2136/10 B ER – juris, Rn. 9; Breitkreuz in BeckOK SozR, § 21 SGB II, Rn. 22). Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass der Beklagte mit den Bescheiden vom 28. November 2014 keine auf den streitbefangenen Bewilligungszeitraum begrenzte Entscheidung über die Mehrbedarfe treffen, sondern diese zukunftsgerichtet, über den streitbefangenen Bewilligungszeitraum hinaus, ablehnen wollte, würde dies nichts daran ändern, dass die hier streitbefangenen Bescheide vom 12. Dezember 2014 und vom 26. Januar 2015 die Bescheide über die Ablehnung von Mehrbedarfen vom 28. November 2014 jedenfalls teilweise für den hier streitbefangenen Bewilligungszeitraum vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2015 ersetzt haben und damit Gegenstand des wegen des Mehrbedarfs für Kleidung, Wäsche und Schuhe zum Aktenzeichen W 9147/14 geführten Widerspruchsverfahrens und damit später des zum Aktenzeichen S 183 AS 9809/15 vor dem Sozialgericht Berlin geführten Klageverfahrens, geworden sind. Bei gleichzeitiger Widerspruchseinlegung des Klägers gegen die Bescheide vom 28. November 2014 über die Ablehnung der Mehrbedarfe ist auf dieses Widerspruchsverfahren abzustellen, weil es das niedrigste Aktenzeichen trägt und bei gegebener Sachlage keine anderweitige Zuordnung möglich ist. Der vom Kläger gestellte Hilfsantrag, gerichtet auf darlehensweise Gewährung einer höheren Regelleistung, war aus den zutreffenden Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung, auf die der Senat insoweit gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt, bereits unzulässig, weshalb die Berufung auch insoweit unbegründet ist. Gründe dafür, das Verfahren, wie vom Kläger weiter hilfsweise beantragt, nach Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, sind nicht gegeben. Auf die vom Kläger aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen kommt es bei der gegebenen Prozesslage nicht an und der Senat hat im Übrigen auch keine Zweifel daran, dass die Regelsatzhöhe mit dem Grundgesetz im Einklang steht. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Beklagte durch eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung und die rechtswidrige Widerspruchsentscheidung Veranlassung zur Klageerhebung und Berufungseinlegung gegeben hat. Dies rechtfertigt es, ihn mit 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Klage- und Berufungsverfahren zu belasten. Gründe dafür, nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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