S 7 AS 449/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 449/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Rechtsbehelfserklärungen dürfen nicht so ausgelegt werden, dass dem Rechtsbehelfsführer der Zugang zur Gerichtsinstanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird. Wird aus dem Vorbringen eines Rechtsbehelfsführers deutlich, dass er mit Wissen und Wollen der anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gemeinsame Ansprüche verfolgt, ist das Begehren als Klage sämtlicher Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auszulegen. Das gilt auch nach Ablauf der vom BSG (Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R -) auf den Zeitraum bis 30.06.2007 festgelegten Übergangsfrist.
Das Bedarfsdeckungsprinzip gebietet eine bedarfsorientierte Betrachtung des Anspruchs auf eine Wohnungsausstattung.
Der Untergang bzw. Verlust von Sachen, die der Wohnungs- und Haushalts-ausstattung dienten, kann dem Grunde nach einen erneuten Anspruch auf Ausstattung auslösen, weil es den Hilfebedürftigen ermöglicht werden muss, menschenwürdig zu wohnen. Auf den Grund für den Verlust der Sa-chen, insbesondere vorwerfbares Verhalten der Hilfebedürftigen, kommt es nicht an. Dieser Gesichtspunkt ist erst im Rahmen eines eventuellen Ersatzanspruchs nach § 34 SGB II relevant.
Der Bescheid des Beklagten vom 03.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2016 wird abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern für die Erstausstattung der Wohnung einen weiteren Betrag in Höhe von 703,95 EUR zu zahlen. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Beklagten, weitere Leistungen für eine Wohnungserstausstattung zu erbringen.

Der ... geborene Kläger zu 2 und die geborene Klägerin zu 1 sind seit dem verheiratet.

Der Kläger zu 2 lebte zunächst mit seiner früheren Ehefrau und zwei Kindern in einer Wohnung in der in ... Die damalige Bedarfsgemeinschaft des Klägers bezog Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bis Dezember 2005. Im Jahr 2006 kam es zur Trennung des Klägers von der Ehefrau und den Kindern. Anfang 2007 erfolgte die Scheidung. Der Kläger bezog eine Einzimmerwohnung in der und erhielt vom Beklagten Leistungen nach dem SGB II vom 05.03.2011 bis 16.10.2011 und vom 01.02.2012 bis 30.11.2012. Seit 01.02.2012 bezog der Kläger Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Seit 01.08.2012 bezieht er Rente wegen voller Erwerbsminderung. Daneben übt er eine geringfügige Beschäftigung aus.

Zu einem aus den Akten nicht genau ableitbaren Zeitpunkt zog der Kläger zu 2 als Untermieter in ein Zimmer in einer Wohnung in der ... Hauptmieter war Herr R. Im April 2014 zog die Klägerin zu 1, die zunächst Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezog, in dieses Zimmer mit ein. Am wurde das gemeinsame Kind ..., die Klägerin zu 3, geboren. Elterngeld wurde bis 08.12.2015 bewilligt.

Der Beklagte bewilligte den Klägerinnen zu 1 und 3 trotz des Anspruchs nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vorläufig Leistungen vom 07.10.2014 bis 31.01.2015 (Bescheide vom 09.01.2014 und 16.01.2015). Mit Bescheid vom 09.12.2014 wurde außerdem ein Betrag von 728,00 EUR als Erstausstattung für das Kind, bei Geburt und Schwangerschaft bewilligt.

Die Wohnung in der ... wurde zwangsgeräumt, nachdem der Hauptmieter mit der Mietzahlung in Verzug war. Am 23.09.2015 zogen die Kläger in ihre jetzige 54 m2 große Wohnung in der ... ein. Noch vor dem Einzug beantragten sie beim Sozialamt eine Erstausstattung für diese Wohnung; nämlich für die Küche: einen Herd mit Backofen, einen Tisch und Stühle, eine Spüle sowie eine Lampe; für das Wohnzimmer: Gardinen und Gardinenstangen, eine Lampe, eine Couch sowie einen Tisch; für das Schlafzimmer: einen Kleiderschrank, Gardinen und Gardinenstangen; für den Flur eine Lampe und einen Garderobenständer und schließlich eine Waschmaschine. Das Sozialamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21.09.2015 ab. Der Kläger zu 2 habe ausreichendes Einkommen und könne seinen Bedarf decken. Die Klägerinnen zu 1 und 3 seien leistungsberechtigt nach dem SGB II und könnten einen Antrag auf Arbeitslosengeld II beim Jobcenter stellen.

Im Rahmen des allgemeinen Leistungsantrags, den die Kläger am 01.10.2015 beim Beklagten stellten, legten die Kläger den Bescheid des Sozialamtes vom 21.09.2015 vor und machten deutlich, dass sie für die neue Wohnung Möbel benötigten. Es sei unklar, ab wann tatsächlich der Anspruch auf Arbeitslosengeld II bestehe. Der Antrag werde aber wegen der Möbel bereits jetzt gestellt.

Der Beklagte gewährte laufende Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.10.2015 (Bescheide vom 03.12.2015 und 12.02.2016). Mit dem angefochtenen Bescheid vom 03.12.2015 bewilligte er für eine Waschmaschine ohne Anschluss, einen Elektroherd mit Anschluss und eine Spüle mit Armatur einen Betrag von insgesamt 518,00 EUR (daneben wurde für eine Erstausstattung bei Geburt ein Betrag von 141,00 EUR bewilligt). Weitere Beihilfen wurden mit der Begründung abgelehnt, es handele sich nicht um Erstausstattung, sondern um Ersatz- bzw. Ergänzungsbeschaffung. Die Kläger erhoben Widerspruch und machten geltend, sie hätten zuvor lediglich ein Bett und einen Schrank gehabt. Sämtliche von ihnen erworbenen Gegenstände, die Wohnzimmereinrichtung, es seien hier eine Sitzgruppe sowie ein Wohnzimmertisch, eine Kommode und ein Esstisch mit Stühlen erworben worden, seien Erstausstattung. Des Weiteren müsste auch noch eine Küche, die noch nicht vorhanden sei, angeschafft werden.

Der Außendienst des Beklagten suchte die Wohnung der Kläger am 20.01.2016 auf. Im Bericht vom 22.01.2016 heißt es u.a., im Wohnzimmer befänden sich zwei Sofas, ein Couchtisch, ein Esstisch mit vier Stühlen, ein Fernseher, eine Vitrine, ein Kinderlaufstall, ein Kinderstuhl und eine Lampe. Im Schlafzimmer befänden sich ein Kleiderschrank, ein Doppelbett, ein Schreibtisch mit Stuhl, ein PC und ein Babybett. Die Matratze des Doppelbettes sei durchgelegen. Die Sprungfedern seien sichtbar. Die Küche sei mit einer Einbauküche inklusive Herd und Kühlschrank ausgestattet. Im zugehörigen Keller hätten sich ein Sessel, ein Waschbecken, eine Vitrine und ein Faltkleiderschrank befunden. Der Außendienstmitarbeiterin des Beklagten wurden im Zusammenhang mit dem Hausbesuch für den Erwerb eines Kleiderschrankes und eines Esstisches zwei Ratenkreditverträge vorgelegt.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.02.2016 als unbegründet zurück. Ein Nachweis über das Fehlen der Küche sei nicht erbracht worden. Angesichts der vom Außendienst vorgefundenen Wohnungseinrichtung sowie der weiteren im Keller vorhandenen Gegenstände sei ein Erstausstattungsbedarf nicht nachgewiesen bzw. glaubhaft. Dies deshalb, da der Kläger zu 2 seit erstmaliger Antragstellung nunmehr mindestens die sechste Wohnung bewohne. Die Kläger hätten gegenüber dem Sozialamt angegeben, dass sie in einer früheren Wohnung bereits Möbel und Hausrat besessen hätten.

Die Klägerin zu 1 hat am 22.02.2016 zum Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben. Sie hat zunächst die Übernahme von Kosten für Anschlussstücke für die Dunstabzugshaube, für den Couchtisch und vier Stühle in der Küche/Esszimmer geltend gemacht ebenso die Kosten für die Anschaffung von Lampen für das Bad, das Kinderzimmer und das Schlafzimmer sowie für einen Schuhschrank. Des Weiteren hat sie Kosten für die Anschaffung von Gardinen nebst Gardinenstangen für das Wohnzimmer, Kinderzimmer, Schlafzimmer und die Küche sowie von zwei Hochregalschränken für die Küche geltend gemacht. Anschaffungen für Stühle, Küchenmöbel und Anschlussstück für die Dunstabzugshabe hat sie durch Kaufverträge bzw. Kassenquittungen belegt. Hinsichtlich des Ausstattungszustandes der Küche hat sie mit Schriftsatz vom 08.04.2016 eine Fotodokumentation zur Akte gereicht.

Nach einem Hinweis des Gerichts, dass der Sonderbedarf für eine Wohnungserstausstattung in der Regel nicht auf eine einzelne Person, sondern auf die gesamte Bedarfsgemeinschaft bezogen sei, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 25.04.2016 erklärt, dass die Klage auch im Namen des Ehemannes und der Tochter erhoben werde. Das Gericht hat daraufhin das Aktivrubrum entsprechend erweitert.

Die Kläger machen geltend, dass bereits Ende September 2015 mit dem Umzug in die neue Wohnung ein dringender Bedarf an den nicht vorhandenen Einrichtungsgegenständen bestanden habe. Wenn der Beklagte am 20.01.2016 den Außendienst geschickt habe, so zeige dies, wie wenig sich der Beklagte um die Belange der Kläger gekümmert hätte. Habe die Familie drei Monate lang in einer leeren Wohnung hausen sollen?

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2016 haben die Kläger ihr Begehren an die beim Beklagten für die Wohnungserstausstattung verwendeten Pauschalen angepasst und Bedarfe für die Spüle, einen Schuhschrank und Gardinen mit Gardinenstange für die Küche nicht weiter geltend gemacht.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Beklagten vom 03.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2016 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, für die Erstausstattung der Wohnung einen weiteren Betrag von 703,95 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die mit Antrag vom 30.10.2015 beantragte Kücheneinrichtung (Elektroherd und Spüle) sei mit dem angefochtenen Bescheid vollumfänglich bewilligt worden. Darüber hinaus sei kein Antrag gestellt worden. Unabhängig von dem Umstand, dass die mit der Klage geltend gemachten Bedarfe für einen Schuhschrank und für Gardinen nebst Gardinenstange für die Küche vom Antrag vom 30.10.2015 nicht umfasst gewesen seien, seien diese keine für eine geordnete Haushaltsführung grundlegend notwendige Einrichtungsgegenstände. Ebenfalls nicht beantragt gewesen seien Bedarfe für eine Badlampe, eine Wohnzimmerlampe und eine Kinderzimmerlampe, des Weiteren auch nicht Bedarfe für Gardine nebst Gardinenstange für das Kinderzimmer. Hinsichtlich der mit der Klage weiter verfolgten, abgelehnten Bedarfe für Gardinen und Gardinenstange für das Wohnzimmer und das Schlafzimmer, den Couchtisch und der Esszimmerstühle sei zunächst darauf hinzuweisen, dass - nachdem ein Kinderstuhl vorhanden sei - grundsicherungsrechtlich überhaupt lediglich ein Erstausstattungsbedarf für drei Stühle möglich sei. Angesichts der vom Außendienst vorgefundenen Wohnungseinrichtung sowie der weiteren im Keller vorhandenen Gegenstände sei im Übrigen jedoch ein Erstausstattungsbedarf an diesen Einrichtungsgegenständen weder nachgewiesen noch glaubhaft. Dies nicht zuletzt auch deshalb, da der zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kläger zu 2 seit erstmaliger Antragstellung nunmehr mindestens die sechste Wohnung bewohne. Insoweit handele es sich nicht um eine Erstausstattung im genannten Sinne, sondern vielmehr um eine Ersatzbeschaffung. In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte zudem geltend gemacht, die Klage sei unzulässig, denn die Klägerin zu 1, welche die Klage erhoben habe, verfüge nicht über eine Prozessführungsbefugnis. Die Erweiterung des Aktivrubrums sei unrichtig.

Das Gericht hat den Kläger zu 2 in einem Erörterungstermin vom 25.07.2016 zum Sachverhalt, insbesondere zum Verbleib seiner früheren Möbel, persönlich angehört. Wegen seiner Angaben wird auf die Niederschrift vom 25.07.2016 verwiesen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird verwiesen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung der Kammer gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Die Kläger können mit der Anfechtungs- und Leistungsklage den geltend gemachten Anspruch auf weitere Erstausstattung für ihre Wohnung verfolgen.

Anders als der Beklagte meint, mangelt es nicht an der Prozessführungsbefugnis. Vielmehr war aus dem gesamten Vorbringen der ursprünglich allein das Klageverfahren betreibenden Klägerin zu 1 deutlich zu erkennen, dass es ihr um die Gewährung von Bedarfen für die Erstausstattung der Wohnung der Familie, also der gesamten Bedarfsgemeinschaft ging. Dementsprechend musste auf die Klarstellung des Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 25.04.2016 auch eine Berichtigung des Aktivrubrums erfolgen. Da eine Differenzierung der streitgegenständlichen Kosten der Wohnungserstausstattung nach den jeweiligen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich ist, sind die Kläger auch diejenigen, die die für die gesamte Bedarfsgemeinschaft nutzbaren Erstausstattungsgegenstände als Anspruchsinhaber zu verfolgen haben.

Für die Frage, welchen Rechtsbehelf ein Rechtsbehelfsführer bzw. eine Rechtsbehelfsführerin eingelegt hat, kommt es gemäß § 106 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entsprechend § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zunächst auf den wirklichen Willen und auf das erkennbare Prozessziel an. Entscheidend ist, welchen Sinn die Erklärung aus der Sicht des Gerichts und des Prozessgegners hat. Dabei ist der Rechtsbehelfsführer nicht allein am Wortlaut festzuhalten (vgl. z.B. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 19/06 R - (juris)). In verfassungsorientierter Auslegung (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz) dürfen Rechtsbehelfserklärungen nicht so ausgelegt werden, dass dem Rechtsbehelfsführer der Zugang zur Gerichtsinstanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird. Das gilt auch dann, wenn eine Prozesspartei anwaltlich vertreten ist, zumal vorliegend durch den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 25.04.2016 eine Klarstellung erfolgte.

Unter Berücksichtigung des genannten Maßstabes waren die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, nämlich der Kläger zu 2 und die Klägerin zu 3 als weitere Kläger in das Verfahren einzubeziehen. Wesentlich maßgeblich für diese sich auch aus Auslegungsgrundsätzen (§ 123 SGG) ergebende Entscheidung des Gerichts ist, dass die Klägerin zu 1 von vornherein deutlich gemacht hat, dass es um eine Ausstattung der von allen Bedarfsgemeinschaftsmitgliedern benutzten Wohnung geht. Dies ergibt sich sowohl aus der Bezeichnung der einzelnen Gegenstände im Antrags- wie auch im Widerspruchsverfahren. Im Klageverfahren war von Anfang an deutlich, dass es um die Wohnungsausstattung insgesamt ging. Die mit der Klageschrift vorgelegten Rechnungen bezogen sich auch nicht auf die Klägerin zu 1, sondern auf den Kläger zu 2. Im Rahmen der Klagebegründung (Schriftsatz vom 08.04.2016) heißt es u.a., ob denn die "Familie" in einer leeren Wohnung hausen solle.

Unschädlich ist, dass das Bundessozialgericht seine Vorgaben zur Auslegung von Anträgen bei Ansprüchen von Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zunächst nur auf eine Übergangsfrist bis 30.06.2007 erstreckt hat (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7 B AS 8/06 R - (juris)), weil jedenfalls bei einer so eindeutigen Interessenlage bereits nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen die vorbenannte Erweiterung angezeigt ist (vgl. z.B. Hessisches Landessozialgericht (LSG), Urteil vom 19.06.2008 - L 7 AS 32/08 B ER - (juris); Leopold in: Schlegel/Völzke, juris PK - SGB II, 4. Auflage 2015, § 7 Rdnr. 321). Die vom Beklagten vertretene anders lautende Auffassung ist formalistisch und verkürzt in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise den Rechtsschutz von Rechtsschutzsuchenden. Ob der Entscheidung des Hessischen LSG vom 13.11.2015 (L 9 AS 44/15 (juris)), auf die sich der Beklagte in der mündlichen Verhandlung berufen hat, zu folgen ist, kann offen bleiben, weil im dortigen Fall offenkundig aus dem Vorbringen der Klägerseite nicht hinreichend ersichtlich wurde, dass der Kläger für die gesamte Bedarfsgemeinschaft handelte. Schließlich hat das Gericht im Hinblick auf die Vorschrift des § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG auch keine Bedenken von einer hinreichenden Bevollmächtigung auszugehen.

Die Klage ist auch nicht etwa deswegen (teilweise) unzulässig, weil - wie der Beklagte meint - einzelne Bedarfe für Wohnungserstausstattungsgegenstände bisher nicht Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens bzw. einer Verwaltungsentscheidung waren. Vielmehr können die Kläger sämtliche mit der Klage verbundenen Bedarfe zulässig im Klageverfahren geltend machen. Richtig ist, dass die Wohnungserstausstattung Gegenstand eines besonderen Antragsverfahrens ist (§ 37 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Das Gericht teilt aber nicht die Auffassung des Beklagten, dass dabei jeder einzelne fehlende Gegenstand vom Hilfebedürftigen konkret bezeichnet werden muss. Bei Unklarheiten greift die Amtsermittlungspflicht (§ 20 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch) ein.

Der Beklagte trägt vor, dass die "mit Antrag vom 30.10.2015 beantragte Kücheneinrichtung" voll umfänglich bewilligt worden sei. Dies ist bereits vom Akteninhalt her nicht nachzuvollziehen. Ein Antrag vom 30.10.2015 findet sich nicht in den Verwaltungsakten. Offenkundig wurden am 08.10.2015 (auf dieses Datum nimmt auch der angefochtene Bescheid vom 03.12.2015 Bezug) der Bescheid des Sozialamtes der Stadt vom 21.09.2015 und die offensichtlich dazu gehörige Liste mit erwünschten Gegenständen vorgelegt, welche vom Sachbearbeiter ergänzt bzw. kommentiert wurden (grüne Schrift). Diese Unterlagen finden sich auf Bl. 324 und 325 der Verwaltungsakte. Bereits am 01.10.2015 hatten die Kläger jedoch deutlich gemacht, dass sie nicht wüssten, ob sie einen Anspruch auf laufende Leistungen hätten, den Antrag aber wegen Bedarfs an Möbeln bereits jetzt stellten. Eine Einschränkung auf bestimmte Einrichtungsgegenstände lässt sich diesem Vorbringen nicht entnehmen. Spätestens im Widerspruchsverfahren (vgl. Bl. 338 Verwaltungsakte) wurde dann deutlich, dass den Klägern keinerlei Einrichtungsgegenstände, abgesehen von einem Bett und einem Schrank, zur Verfügung standen. Genau dies war der Grund für weitere Amtsermittlung durch den Beklagten, der den Außendienst mit einem Hausbesuch beauftragte. Aus dem Außendienstbericht vom 22.01.2016 war für den Beklagten in Verbindung mit den Angaben der Kläger jedenfalls hinreichend zu entnehmen, dass die letztlich mit der Klage geltend gemachten Bedarfe zu den den Klägern fehlenden Gegenständen gehörten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte umfassend zum Bedarf der Kläger unterrichtet, so dass eine vollumfängliche Prüfung im Abhilfe- und Widerspruchsverfahren möglich war. Mit der Klageschrift wurde sodann deutlich, welche Gegenstände die Kläger nach der Antragstellung inzwischen selbst angeschafft hatten.

Die Klage ist - nachdem ein Bedarf für einen Schuhschrank, Gardinen für die Küche und für die Spüle nicht mehr weiter geltend gemacht wurde - begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 03.12.2015 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2016) ist rechtswidrig, soweit er den Anspruch auf weitere Bedarfe im Kostenumfang von 703,95 EUR ablehnt. Die Kläger haben Anspruch auf entsprechende Leistungen.

Gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II werden an Leistungsberechtigte nach dem SGB II Bedarfe für die Erstausstattung der Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten gesondert erbracht. Die Leistungen für solche Bedarfe können als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden (§ 24 Abs. 3 Satz 5 SGB II).

Die Kläger waren im hier maßgeblichen Zeitraum leistungsberechtigt im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 SGB II, insbesondere waren sie hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II. Dies steht fest aufgrund der leistungsbewilligenden Bescheide des Beklagten vom 03.12.2015 und 12.02.2016 und ist im Übrigen auch nicht streitig.

§ 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II setzt voraus, das für essentielle Wohnraum und/oder haushaltsbezogene Gegenstände ein Bedarf besteht, der nicht bereits durch vorhandene Möbel, Einrichtungs- und/oder Haushaltsgegenstände gedeckt ist, wobei nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung zuständigen Senate des BSG zwischen dem typischen Fall der Erstbeschaffung und der nur unter bestimmten Voraussetzungen leistungsauslösenden Ersatzbeschaffung bei erneutem Bedarfsanfall zu unterscheiden ist (vgl. Blüggel in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013 § 24 Rdnr. 91 ff m.w.N.). Der Begriff der Erstausstattung ist dabei nicht zeit-, sondern bedarfsbezogen zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 19.09.2008 - B 14 AS 64/07 R - (juris)). Nach Sinn und Zweck der Vorschrift besteht ein Wohnraumbezug für Gegenstände, die für eine geordnete Haushaltsführung und ein an herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes menschenwürdiges Wohnen notwendig sind und ein solches ermöglichen (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 49/07 R - (juris)). Zur Erstausstattung gehören daher nur solche Gegenstände, die der Befriedigung grundlegender wohnraumbezogener Bedürfnisse wie Essen, Schlafen und dem Aufenthalt dienen (BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 75/10 R - (juris)).

Der Beklagte hält dem geltend gemachten Anspruch insbesondere entgegen, dass es sich nicht um eine Erst-, sondern um eine Ersatzbeschaffung handele und verweist darauf, dass der Kläger zu 2 bereits früher über Wohnungsausstattungsgegenstände verfügt habe. Dies ist auch grundsätzlich in Bezug auf die bis 2006 mit der Ex-Frau und den gemeinsamen Kindern bewohnte Wohnung der Fall. Es ist jedoch vom Kläger zu 2 nachvollziehbar und glaubhaft erklärt worden, dass diese Gegenstände untergegangen sind und letztlich bei Einzug in die neue Wohnung am 23.09.2015 mit den Klägerinnen zu 1 und 3 nur noch ein Bett und ein Schrank (neben den Kindermöbeln) zur Verfügung standen. Einen Kühlschrank und die Couchgarnitur bekamen die Kläger geschenkt.

Vorliegend ist die Ersatzbeschaffung nach Verlust der Möbel aus dem früheren Familienleben des Kläger zu 2 bedarfsauslösend im Sinne des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Nach dem legislativen Konzept ist nicht allein die Erstbeschaffung erfasst, sondern auch eine Ersatzbeschaffung kann den Anspruch gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III begründen (vgl. Blüggel, a.a.O., Rdnr. 92). Grundsätzlich ist zu fragen, ob die mit dem Verlust früher vorhandener Wohnungsausstattungsgegenstände verbundene Bedarfslage wertend wie eine Erstausstattung zu verstehen bzw. mit einer solchen gleichzusetzen ist. Vorwerfbares Verhalten im Zusammenhang mit dem Verlust der Wohnungsausstattung steht dem Anspruch nicht entgegen, weil der im SGB II zu deckende Bedarf grundsätzlich aktuell bestehen muss und auch aktuell vom Grundsicherungsträger zu decken ist (Bedarfsdeckungsprinzip) (vgl. Blüggel, a.a.O., Rdnr. 93).

Angesichts der nachvollziehbaren Angaben, die der Kläger zu 2 dazu gemacht hat, dass er nach dem Auszug aus der früheren Familienwohnung über insgesamt 9 Jahre in kleinen Einzimmerwohnungen, die zum Teil bereits möbliert waren, gewohnt hat und seine Möbel nicht behalten konnte, sind die Vermutungen des Beklagten, dass bis zum Einzug in die Wohnung in der ... am 23.09.2015 noch in Keller- oder Lagerräumen Möbel bzw. Haushaltsgegenstände vorhanden sein könnten, einfach abwegig. Ob der Kläger zu 2 sein Mobiliar neun Jahre vor der nun entstandenen Bedarfslage einfach aufgeben, verkaufen oder wegwerfen durfte und damit fahrlässig eine Bedarfslage herbeigeführt hat, ist nach dem Bedarfsdeckungsprinzip grundsätzlich unerheblich. Fahrlässiges Verhalten im Zusammenhang mit dem Verlust der Wohnungsausstattung steht dem Anspruch nicht entgegen (Blüggel, a.a.O.). Falls der Beklagte meint, der Kläger zu 2 habe vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt, stehen ihm Handlungsoptionen nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II zur Verfügung.

Das Gericht geht nach alledem von einer eindeutigen Bedarfslage für die Ausstattung der Wohnung aus, die wertungsmäßig mit einer "Erstausstattung" vergleichbar ist.

In der Sache haben die Kläger einen Anspruch in Höhe von 703,95 EUR. Da die Kläger sich mit den vom Beklagten angesetzten Pauschalen einverstanden erklärt haben, braucht das Gericht keinerlei Ausführungen zur Angemessenheit dieser Pauschalbeträge zu machen. Im Einzelnen besteht in Bezug auf das Klagebegehren Anspruch auf folgende Beträge: 4 Küchenschränke à 80,00 EUR 320,00 EUR Couchtisch 30,00 EUR 3 Lampen, (Bad, Kinderzimmer, Schlafzimmer) à 10,00 EUR 30,00 EUR 4 Stühle à 20,00 EUR 80,00 EUR Anschlussstück Dunstabzugshaube 18,95 EUR Gardinen (Wohnzimmer, Kinderzimmer, Schlafzimmer) à 40,00 EUR 120,00 EUR Gardinenstangen (Wohnzimmer, Kinderzimmer, Schlafzimmer) à 35,00 EUR 105,00 EUR Einen Schuhschrank und Gardinen bzw. Gardinenstange für die Küche machen die Kläger nicht mehr geltend. Insoweit handelt es sich auch nicht um für eine geordnete Haushaltsführung unabdingbare Gegenstände.

Das Gericht geht in Abweichung von der Verwaltungspraxis des Beklagten von der Notwendigkeit von vier Stühlen aus, obwohl die Klägerin zu 3 über einen Kinderstuhl verfügt. Jedenfalls bei einer Familie sind vier Stühle für eine Grundausstattung angemessen, damit auch einmal Gäste (und dabei nicht nur eine einzige Person) empfangen werden können.

Mit der von den Klägern vorgelegten Fotodokumentation ist nachgewiesen, dass die Einschätzung des Außendienstes des Beklagten vom 22.01.2016, eine Einbauküche sei vorhanden, nicht zutrifft. Es handelt sich lediglich um Einzelstücke, die für eine geordnete Haushaltsführung allein noch nicht ausreichen. Zwei weitere Küchenschränke stehen den Klägern neben den bereits gekauften noch zu.

Das Gericht hat den rein rechtlich teilweise auf einem Kostenerstattungsanspruch und teilweise auf einem Bedarfsdeckungsanspruch beruhenden Gesamtanspruch mit dem Betrag von 703,95 EUR zusammengefasst. Den Kostenerstattungsanspruch können die Kläger geltend machen, weil sie nach Teilablehnung ihres Begehrens mit dem angefochtenen Bescheid vom 03.12.2015 einen dringenden Bedarf auf Ausstattung ihrer Wohnung hatten, den sie teilweise selbst gedeckt haben.

Der Beklagte hat sein Auswahlermessen auf die Gewährung von Pauschalbeträgen reduziert. Dem hat die Klägerseite durch eine entsprechende Anpassung ihres Begehrens Rechnung getragen. Daher kommt es auf weitere Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs (für kostenaufwendigere Gegenstände als mit den Pauschalen abgedeckt) nicht an (zum Kostenerstattungsanspruch vgl. zum Beispiel Hessisches LSG, Urteil vom 13.11.2015, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Kläger trotz teilweisen Nachgebens (Akzeptanz der Pauschalen, Wegfall Schuhschrank und Gardinen für die Küche) in weit überwiegendem Umfang obsiegt haben.

Das Gericht musste eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung treffen, weil der Wert des Streitgegenstandes 750,00 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Gründe für die Zulassung der Berufung (§ 144 Abs. 2 Nrn. 1 bzw. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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