Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 1434/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 701/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18.01.2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Beitragsforderung der Beklagten und begehrt die Feststellung, dass er nicht bei der Beklagten freiwillig krankenversichert ist.
Der am 06.11.1974 geborene Kläger war ab dem 01.06.2006 bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Zuletzt war er im Zeitraum vom 01.12.2013 bis 27.08.2014 aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld gesetzlich pflichtversichert. Im anschließenden Zeitraum war er nicht beschäftigt und bezog auch keine Leistungen nach dem Zweiten, Dritten oder Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB II/SGB III/SGB XII).
Am 02.09.2014 bat der Kläger die Beklagte telefonisch, seine Krankenversicherung ruhen zu lassen. Die Beklagte erklärte, dies sei nicht möglich; es greife eine obligatorische Anschlussversicherung. Mit einem bei der Beklagten am 17.09.2014 eingegangenen Schreiben beantragte der Kläger erneut das Ruhen der Versicherung. Er verfüge derzeit über kein Einkommen, weder aus selbständiger noch unselbständiger Beschäftigung. Er befreie die Beklagte von der gesetzlichen Verpflichtung, ihn weiter zu versichern. Hilfsweise kündige er seine Mitgliedschaft. Mit Schreiben vom 19.09.2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass gemäß § 188 Abs 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (gesetzliche Krankenversicherung SGB V) eine obligatorische Anschlussversicherung als freiwillige Mitgliedschaft vorgesehen sei, um Lücken im Verlauf der Krankenversicherung zu unterbinden. Der Kläger werde daher als freiwilliges Mitglied weiterversichert, es sei denn er weise eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall, zB eine private Krankenversicherung, nach. Hierauf erwiderte der Kläger, § 188 Abs 4 SGB V sei nicht einschlägig. Er beabsichtige lediglich, die Mitgliedschaft bis zur Aufnahme einer neuen Erwerbstätigkeit ruhen zu lassen. Es sei unzulässig, ihm eine Zwangsmitgliedschaft aufzubürden.
Mit Bescheid vom 10.11.2014 (Blatt 20 Verwaltungsakte) teilte die Beklagte, auch im Namen der m. Pflegeversicherung, dem Kläger mit, dass er ab dem 28.08.2014 als freiwilliges Mitglied bei der Beklagten krankenversichert sei. Der monatliche Beitrag in der Krankenversicherung betrage 603,45 EUR, der monatliche Beitrag in der Pflegeversicherung 93,15 EUR. Da der Kläger keine Einkommensnachweise vorlege, teilte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 21.11.2014 mit, dass sich der monatliche Beitrag nach der gesetzlichen Beitragsbemessungsgrenze (Höchstbetrag) berechne.
Mit Schreiben vom 18.11.2014 (Blatt 29 Verwaltungsakte) gab der der Kläger an, er könne die Ausführungen der Beklagten im Schreiben vom 10.11.2014 nicht nachvollziehen.
Mit Änderungsbescheid vom 05.02.2015 (Bl 41 Verwaltungsakte) teilte die Beklagte, auch im Namen der m. Pflegeversicherung, dem Kläger mit, dass sie aufgrund der Ausführungen des Klägers im Schreiben vom 17.09.2014, wonach er über keine Einkünfte verfüge, den monatlichen Beitrag nach der gesetzlichen Mindestbemessungsgrundlage festsetze (Zeitraum 28.08. bis 31.12.2014: Krankenversicherung 137,33 EUR/Monat; Pflegeversicherung 24,57 EUR/Monat; Zeitraum ab 01.01.2015: Krankenversicherung 132,30 EUR/Monat, Zusatzbeitrag 8,51 EUR/Monat; Pflegeversicherung 24,57 EUR/Monat). Die Zahlung der rückständigen Beiträge mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 26.03.2015 (Blatt 45 Verwaltungsakte) an.
Mit Schreiben vom 14.04.2015 (Bl 47 Verwaltungsakte), betitelt mit "Leistungsbescheid/vollstreckbare Ausfertigung, rückständige Beiträge zur Kranken- Pflegeversicherung" teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass rückständige Beiträge in Höhe von 994,73 EUR bestünden und kündigte die Beklagte die Zwangsvollstreckung an. Dieses Schreiben ließ die Beklagte dem Kläger über den Gerichtsvollzieher beim Amtsgericht P. zustellen. Gleichzeitig erteilte sie dem Amtsgericht P. einen Vollstreckungsauftrag.
Am 30.04.2015 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und gleichzeitig beantragte, ihm einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren mit dem Ziel, die Zwangsvollstreckung "aus dem Leistungsbescheid vom 14.04.2015" vorläufig einzustellen. Mit Beschluss vom 15.05.2015 (S 14 KR 1433/15 ER) hat das SG den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Rechtsmittel hiergegen sind nicht eingelegt worden.
Zur Begründung der Klage hat der Kläger vorgetragen, ein Versicherungsverhältnis mit der Beklagten bestehe nicht, da dieses infolge der von ihm mit Schreiben vom 01.09.2014 ausgesprochenen Kündigung spätestens zum 31.12.2014 geendet habe. Eine zwangsweise Versicherung durch die Beklagte verstoße gegen seine Grundrechte. Er hat beantragt festzustellen, dass der "Leistungsbescheid vom 14.04.2015" nichtig ist sowie, dass zwischen ihm und der Beklagten kein Krankenversicherungsverhältnis bestehe.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat die Auffassung vertreten, die Klage sei mangels Durchführung eines Vorverfahrens unzulässig.
Der Kläger hat hierauf mitgeteilt, dass er keine Anfechtungsklage, sondern eine Feststellungsklage erhoben habe. Eines Vorverfahrens bedürfe es nicht. Der Bescheid vom 14.04.2015 sei nichtig, da er seine Grundrechte verletze. § 188 Abs 4 SGB V sei im Lichte der Grundrechte der Versicherten auszulegen und ermögliche keine Zwangsversicherung.
Mit Gerichtsbescheid vom 18.01.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Da der Kläger ausdrücklich keine Anfechtungsklage erhoben habe, sei die Feststellungsklage die statthafte Klageart. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage sei mangels Vorliegens eines nichtigen Verwaltungsakts unbegründet. Ein schwerwiegender oder offensichtlicher Fehler eines Verwaltungsakts sei nicht ersichtlich. Die Bescheide vom 10.11.2014, 21.11.2014 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 05.02.2015 seien bestandskräftig. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstelle, dass durch das Schreiben vom 18.11.2014 rechtzeitig Widerspruch erhoben worden sei, sei ein Vorverfahren nicht durchgeführt worden, welches für eine Anfechtungsklage Zulässigkeitsvoraussetzung sei. Im Übrigen verstoße die freiwillige Anschlussversicherung gemäß § 188 Abs 4 SGB V nicht gegen höherrangiges Recht. Nach dem Ende des Arbeitslosengeldbezugs des Klägers zum 27.08.2014 habe seine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung geendet und habe sich die Mitgliedschaft als freiwillige Mitgliedschaft fortgesetzt.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 25.01.2016 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat der Kläger am 24.02.2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sei in verschiedener Hinsicht rechtsfehlerhaft. Insbesondere habe er die zahlreichen Grundrechtsverletzungen, die sich aus dem Bescheid vom 14.04.2015 und dem von der Beklagten behaupteten Krankenversicherungsverhältnis ergeben würden, unbeachtet gelassen. Ihm werde letztlich eine Zwangsmitgliedschaft ohne Beendigungsmöglichkeit aufgezwungen. Für die behauptete Beitragspflicht gegenüber der Beklagten gebe es keine Rechtsgrundlage. Die vom SG und von der Beklagten vorgenommene Auslegung des § 188 Abs 4 SGB V verstoße gegen den Grundsatz der Privatautonomie und verletze ihn in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Abs 1 des Grundgesetzes.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18.01.2016 aufzuheben und festzustellen, dass der Leistungsbescheid der Beklagten vom 14.04.2015 nichtig ist und zwischen ihm und der Beklagten kein Krankenversicherungsverhältnis besteht.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf ihr bisheriges Vorbringen und die Ausführungen des SG Bezug.
In einem Erörterungstermin am 25.10.2016 hat der Berichterstatter die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Der Kläger hat im Erörterungstermin an seiner Auffassung festgehalten, dass vorliegend ein Vorverfahren nicht durchzuführen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Klagen des Klägers sind als Feststellungsklagen (§ 55 Abs 1 Nr 1 und 4 SGG) zu werten. Der anwaltlich vertretene Kläger hat auf Nachfrage schriftlich mitgeteilt, weder ein Vorverfahren durchführen noch Anfechtungsklage, sondern (nur) Feststellungsklage erheben zu wollen. Insofern hat er selbst den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnet und abgegrenzt (§ 92 Abs 1 Satz 1 iVm § 123 SGG).
Das SG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Nichtigkeitsfeststellungsklagen des abzuweisen sind. Soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass zwischen ihm und der Beklagten kein Krankenversicherungsverhältnis besteht, handelt es sich um eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG). Diese Feststellungsklage ist bereits unzulässig. Ihr steht der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungklage (auch) zur Anfechtungsklage entgegen. Dieser Grundsatz ist im SGG nicht ausdrücklich geregelt, aber allgemein anerkannt. Wäre eine Anfechtungsklage als richtige Klageart statthaft, kann nicht stattdessen eine Feststellungsklage erhoben werden. Es handelt sich um einen Spezialfall des fehlenden Feststellungsinteresses (ausführlich und mwN Ulmer in Hennig, SGG, § 55 Rn 4).
Das Schreiben der Beklagten vom 14.04.2015 ist ein sog Leistungsbescheid. Dabei handelt es sich um einen mit der vollstreckbaren Verwaltungsakt, der dadurch bekannt gegeben und damit wirksam wurde (§ 37 Abs 1 SGB X), dass dem Kläger die mit der Vollstreckungsklausel versehene Ausfertigung über den Gerichtsvollzieher zugestellt wurde. Geregelt wird in diesem Leistungsbescheid die aktuelle Höhe der rückständigen Beitragsforderung, die sich nach Verrechnung der bereits festgesetzten Beiträge zuzüglich der erstmals festgesetzten Säumniszuschläge und Mahngebühren mit den bislang geleisteten Zahlungen ergibt (vgl BGH 25.02.2016, V ZB 25/15, MDR 2016, 549). Nicht geregelt wird darin, wie hoch der monatliche Beitrag ist, den der Kläger zu zahlen hat. Diese Regelung traf die Beklagte bereits mit ihrem Bescheid vom 05.02.2015, mit dem sie die früheren Bescheid vom 10.11.2014 und 21.11.2014 mit einer für den Kläger günstigeren Regelung (niedrigere Beiträge) ersetzt hat. Da gegen den Leistungsbescheid vom 14.04.2015 (sowie den Bescheid vom 05.02.2015) als richtige Klageart eine Anfechtungsklage statthaft wäre, ist die gemäß § 55 Abs 1 Nr 1 erhobene Feststellungsklage unzulässig. Ob der Kläger gegen die Bescheide Widerspruch eingelegt hat, bedarf keiner Entscheidung. Der anwaltlich vertretene Kläger hat ausdrücklich erklärt, keine Anfechtungsklage erheben zu wollen. Für eine Auslegung des Klagebegehrens als Anfechtungsklage ist daher kein Raum.
Die gemäß § 55 Abs 1 Nr 4 SGG auf Feststellung der Nichtigkeit des Leistungsbescheides vom 14.04.2015 gerichtete Feststellungsklage (sog Nichtigkeitsklage) ist zulässig, aber unbegründet. Der Leistungsbescheid vom 14.04.2015 ist nicht nichtig.
Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist (§ 40 Abs 1 SGB X). Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 40 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nach § 40 Abs 2 SGB X nichtig, 1. der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt, 2. der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt, 3. den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann, 4. der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, 5. der gegen die guten Sitten verstößt.
Nichtigkeitsgründe bzw schwerwiegende und offensichtliche Fehler (§ 40 SGB X) sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat noch nicht einmal geltend gemacht, dass die Höhe der Rückstände und der Säumniszuschläge sowie der Mahngebühren im Leistungsbescheid vom 14.04.2015 von der Beklagten falsch berechnet wurden. Die Festsetzung der vom Kläger zu tragenden Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung wird im Leistungsbescheid – wie dargelegt – gar nicht geregelt und der Bescheid vom 05.02.2015 ist ausdrücklich nicht angefochten.
Im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers wird lediglich ergänzend auf Folgendes hingewiesen:
Für Mitglieder der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung – dies war der Kläger nach § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld bis zum 27.08.2014 - setzt sich nach § 188 Abs 4 SGB V die Versicherung mit dem Tag des Endes ihrer Versicherungspflicht als freiwillige Mitgliedschaft fort. Mit dem Ende des Arbeitslosengeldbezugs zum 27.08.2014 endete die Pflichtmitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten. Das freiwillig weiterversicherte Mitglied ist berechtigt, seinen Austritt aus der Krankenkasse zu erklären (§ 188 Abs 4 Satz 1 SGB V). Der Austritt wird jedoch nur wirksam, wenn das Mitglied eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nachweist (§ 188 Abs 4 Satz 2 SGB V). An einem solchen Nachweis fehlt es vorliegend, weshalb die Beklagte den Kläger zu Recht in die freiwillige Anschlussversicherung aufgenommen hat. Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sind grds für jeden Kalendertag der Mitgliedschaft zu zahlen (§ 223 Abs 1 Satz 1 SGB V), sie werden nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bemessen (§ 223 Abs 2 Satz 1 SGB V). Für freiwillige Mitglieder wird die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkasse geregelt (§ 240 Abs 1 Satz1 SGB V). Dabei gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße (§ 240 Abs 4 Satz 1 SGBV). Freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung haben ihre Beiträge selbst zu tragen und zu zahlen (§§ 250 Abs 2, 252 Abs 1 Satz 1 SGB V).
Die Vorschrift des § 188 Abs 4 SGB V ist verfassungsrechtlich unbedenklich. In welchem Umfang der Gesetzgeber Systeme der gesetzlichen Sozialversicherung bildet und ausgestaltet, unterliegt seinem Gestaltungsermessen. Versicherungszwang und Beitragspflichten und damit eine Einschränkung von Freiheitsrechten sind insofern unvermeidlich (jurisPK-SGB V/Schlegel, 3. Aufl 2016, § 1 Rn 70 ff mwN). Dieses findet seine rechtlichen Grenzen allein in der Verfassung und dort vor allem in den Grundrechten.
Die gesetzliche Krankenversicherung dient dem sozialen Schutz und der Absicherung vor den finanziellen Risiken von Erkrankungen. Sie basiert auf einem umfassenden sozialen Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, vor allem aber zwischen Versicherten mit niedrigem Einkommen und solchen mit höherem Einkommen sowie zwischen Alleinstehenden und Personen mit unterhaltsberechtigten Familienangehörigen (vgl. BVerfG 06.12.1988, 2 BvL 18/84, BVerfGE 79, 223 (236 f.), SozR 2200 § 180 Nr 46 mwN). Der Gesetzgeber kann den Kreis der Pflichtversicherten so abgrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist (BVerfG 03.04.2001, 1 BvR 1681/94, BVerfGE 103, 271, 288). Die Gründe für die Regelung des § 188 Abs 4 SGB V sind sachlich nachvollziehbar. Der Gesetzgeber hat zur Rechtfertigung und Begründung des § 188 Abs 4 SGB V ausgeführt (BT-Drs. 17/13947, 27):
"Wenn Personen kraft Gesetzes aus einer vorhergehenden Versicherungspflicht nach § 5 SGB V (z. B. als Arbeitnehmer) oder einer Familienversicherung nach § 10 SGB V ausgeschieden sind und sich nicht nahtlos erneut ein Tatbestand einer vorrangigen Versicherungspflicht angeschlossen hat, hatten die Krankenkassen bislang keine Möglichkeit, die nachrangige Versicherungspflicht nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V durchzuführen, wenn diese Personen zwar keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall hatten, sie sich aber auch auf Aufforderung der Krankenkassen, den weiteren Versicherungsschutz zu klären, nicht bei dieser gemeldet haben. Da die Mitgliedschaft der (nachrangig) nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V Versicherungspflichtigen bereits mit dem ersten Tag ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall beginnt, konnten auf diese Weise erhebliche Beitragsrückstände bis zu dem Zeitpunkt entstehen, an dem die Mitgliedschaft schließlich rückwirkend festgestellt wurde. [ ] Diese Regelung soll auf alle Personen, deren vorhergehende Versicherung bei einer Krankenkasse kraft Gesetzes endet, ohne dass sich unmittelbar ein weiterer, vorrangiger Versicherungspflichttatbestand anschließt, erweitert werden. Sie stärkt den Grundsatz des Vorrangs der freiwilligen Versicherung vor der nachrangigen Versicherungspflicht. Sie vermeidet zugleich, dass diese Personen durch eine verspätete Rückkehr zu ihrer letzten Krankenkasse hohe Beitragsschulden auf Grund der zwischenzeitlich eingetretenen nachrangigen Versicherungspflicht aufgebaut haben."
Speziell in Bezug auf den vom Kläger genannten Art 3 GG entspricht es der stRspr des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), dass dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts wegen der fortwährenden schnellen Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen ist, die nur einer eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Gerade bei der gesetzlichen Krankenversicherung, die auf einem umfassenden sozialen Ausgleich basiert, ist die Abgrenzung des Kreises der Pflichtversicherten dem Gesetzgeber überlassenen (BVerfG 10.06.2009, 1 BvR 706/08 ua, BVerfGE 123, 186 Rn 228 ff., NJW 2009, 2033 mwN). Das BVerfG kann insbesondere nicht prüfen, ob der Gesetzgeber im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat (BVerfG 03.06.2013, 1 BvR 131/13 ua, BVerfGK 20, 327 mwN). Da es sich zudem um eine freiwillige Versicherung handelt, kann der Austritt aus der Mitgliedschaft bis zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeit erklärt werden. Dass ein Austritt nur dann wirksam wird, wenn eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen wird, ist angesichts des Schutzzwecks der Norm verfassungsrechtlich unbedenklich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 SGG nicht erfüllt sind.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Beitragsforderung der Beklagten und begehrt die Feststellung, dass er nicht bei der Beklagten freiwillig krankenversichert ist.
Der am 06.11.1974 geborene Kläger war ab dem 01.06.2006 bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Zuletzt war er im Zeitraum vom 01.12.2013 bis 27.08.2014 aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld gesetzlich pflichtversichert. Im anschließenden Zeitraum war er nicht beschäftigt und bezog auch keine Leistungen nach dem Zweiten, Dritten oder Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB II/SGB III/SGB XII).
Am 02.09.2014 bat der Kläger die Beklagte telefonisch, seine Krankenversicherung ruhen zu lassen. Die Beklagte erklärte, dies sei nicht möglich; es greife eine obligatorische Anschlussversicherung. Mit einem bei der Beklagten am 17.09.2014 eingegangenen Schreiben beantragte der Kläger erneut das Ruhen der Versicherung. Er verfüge derzeit über kein Einkommen, weder aus selbständiger noch unselbständiger Beschäftigung. Er befreie die Beklagte von der gesetzlichen Verpflichtung, ihn weiter zu versichern. Hilfsweise kündige er seine Mitgliedschaft. Mit Schreiben vom 19.09.2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass gemäß § 188 Abs 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (gesetzliche Krankenversicherung SGB V) eine obligatorische Anschlussversicherung als freiwillige Mitgliedschaft vorgesehen sei, um Lücken im Verlauf der Krankenversicherung zu unterbinden. Der Kläger werde daher als freiwilliges Mitglied weiterversichert, es sei denn er weise eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall, zB eine private Krankenversicherung, nach. Hierauf erwiderte der Kläger, § 188 Abs 4 SGB V sei nicht einschlägig. Er beabsichtige lediglich, die Mitgliedschaft bis zur Aufnahme einer neuen Erwerbstätigkeit ruhen zu lassen. Es sei unzulässig, ihm eine Zwangsmitgliedschaft aufzubürden.
Mit Bescheid vom 10.11.2014 (Blatt 20 Verwaltungsakte) teilte die Beklagte, auch im Namen der m. Pflegeversicherung, dem Kläger mit, dass er ab dem 28.08.2014 als freiwilliges Mitglied bei der Beklagten krankenversichert sei. Der monatliche Beitrag in der Krankenversicherung betrage 603,45 EUR, der monatliche Beitrag in der Pflegeversicherung 93,15 EUR. Da der Kläger keine Einkommensnachweise vorlege, teilte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 21.11.2014 mit, dass sich der monatliche Beitrag nach der gesetzlichen Beitragsbemessungsgrenze (Höchstbetrag) berechne.
Mit Schreiben vom 18.11.2014 (Blatt 29 Verwaltungsakte) gab der der Kläger an, er könne die Ausführungen der Beklagten im Schreiben vom 10.11.2014 nicht nachvollziehen.
Mit Änderungsbescheid vom 05.02.2015 (Bl 41 Verwaltungsakte) teilte die Beklagte, auch im Namen der m. Pflegeversicherung, dem Kläger mit, dass sie aufgrund der Ausführungen des Klägers im Schreiben vom 17.09.2014, wonach er über keine Einkünfte verfüge, den monatlichen Beitrag nach der gesetzlichen Mindestbemessungsgrundlage festsetze (Zeitraum 28.08. bis 31.12.2014: Krankenversicherung 137,33 EUR/Monat; Pflegeversicherung 24,57 EUR/Monat; Zeitraum ab 01.01.2015: Krankenversicherung 132,30 EUR/Monat, Zusatzbeitrag 8,51 EUR/Monat; Pflegeversicherung 24,57 EUR/Monat). Die Zahlung der rückständigen Beiträge mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 26.03.2015 (Blatt 45 Verwaltungsakte) an.
Mit Schreiben vom 14.04.2015 (Bl 47 Verwaltungsakte), betitelt mit "Leistungsbescheid/vollstreckbare Ausfertigung, rückständige Beiträge zur Kranken- Pflegeversicherung" teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass rückständige Beiträge in Höhe von 994,73 EUR bestünden und kündigte die Beklagte die Zwangsvollstreckung an. Dieses Schreiben ließ die Beklagte dem Kläger über den Gerichtsvollzieher beim Amtsgericht P. zustellen. Gleichzeitig erteilte sie dem Amtsgericht P. einen Vollstreckungsauftrag.
Am 30.04.2015 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und gleichzeitig beantragte, ihm einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren mit dem Ziel, die Zwangsvollstreckung "aus dem Leistungsbescheid vom 14.04.2015" vorläufig einzustellen. Mit Beschluss vom 15.05.2015 (S 14 KR 1433/15 ER) hat das SG den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Rechtsmittel hiergegen sind nicht eingelegt worden.
Zur Begründung der Klage hat der Kläger vorgetragen, ein Versicherungsverhältnis mit der Beklagten bestehe nicht, da dieses infolge der von ihm mit Schreiben vom 01.09.2014 ausgesprochenen Kündigung spätestens zum 31.12.2014 geendet habe. Eine zwangsweise Versicherung durch die Beklagte verstoße gegen seine Grundrechte. Er hat beantragt festzustellen, dass der "Leistungsbescheid vom 14.04.2015" nichtig ist sowie, dass zwischen ihm und der Beklagten kein Krankenversicherungsverhältnis bestehe.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat die Auffassung vertreten, die Klage sei mangels Durchführung eines Vorverfahrens unzulässig.
Der Kläger hat hierauf mitgeteilt, dass er keine Anfechtungsklage, sondern eine Feststellungsklage erhoben habe. Eines Vorverfahrens bedürfe es nicht. Der Bescheid vom 14.04.2015 sei nichtig, da er seine Grundrechte verletze. § 188 Abs 4 SGB V sei im Lichte der Grundrechte der Versicherten auszulegen und ermögliche keine Zwangsversicherung.
Mit Gerichtsbescheid vom 18.01.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Da der Kläger ausdrücklich keine Anfechtungsklage erhoben habe, sei die Feststellungsklage die statthafte Klageart. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage sei mangels Vorliegens eines nichtigen Verwaltungsakts unbegründet. Ein schwerwiegender oder offensichtlicher Fehler eines Verwaltungsakts sei nicht ersichtlich. Die Bescheide vom 10.11.2014, 21.11.2014 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 05.02.2015 seien bestandskräftig. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstelle, dass durch das Schreiben vom 18.11.2014 rechtzeitig Widerspruch erhoben worden sei, sei ein Vorverfahren nicht durchgeführt worden, welches für eine Anfechtungsklage Zulässigkeitsvoraussetzung sei. Im Übrigen verstoße die freiwillige Anschlussversicherung gemäß § 188 Abs 4 SGB V nicht gegen höherrangiges Recht. Nach dem Ende des Arbeitslosengeldbezugs des Klägers zum 27.08.2014 habe seine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung geendet und habe sich die Mitgliedschaft als freiwillige Mitgliedschaft fortgesetzt.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 25.01.2016 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat der Kläger am 24.02.2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sei in verschiedener Hinsicht rechtsfehlerhaft. Insbesondere habe er die zahlreichen Grundrechtsverletzungen, die sich aus dem Bescheid vom 14.04.2015 und dem von der Beklagten behaupteten Krankenversicherungsverhältnis ergeben würden, unbeachtet gelassen. Ihm werde letztlich eine Zwangsmitgliedschaft ohne Beendigungsmöglichkeit aufgezwungen. Für die behauptete Beitragspflicht gegenüber der Beklagten gebe es keine Rechtsgrundlage. Die vom SG und von der Beklagten vorgenommene Auslegung des § 188 Abs 4 SGB V verstoße gegen den Grundsatz der Privatautonomie und verletze ihn in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Abs 1 des Grundgesetzes.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18.01.2016 aufzuheben und festzustellen, dass der Leistungsbescheid der Beklagten vom 14.04.2015 nichtig ist und zwischen ihm und der Beklagten kein Krankenversicherungsverhältnis besteht.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf ihr bisheriges Vorbringen und die Ausführungen des SG Bezug.
In einem Erörterungstermin am 25.10.2016 hat der Berichterstatter die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Der Kläger hat im Erörterungstermin an seiner Auffassung festgehalten, dass vorliegend ein Vorverfahren nicht durchzuführen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Klagen des Klägers sind als Feststellungsklagen (§ 55 Abs 1 Nr 1 und 4 SGG) zu werten. Der anwaltlich vertretene Kläger hat auf Nachfrage schriftlich mitgeteilt, weder ein Vorverfahren durchführen noch Anfechtungsklage, sondern (nur) Feststellungsklage erheben zu wollen. Insofern hat er selbst den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnet und abgegrenzt (§ 92 Abs 1 Satz 1 iVm § 123 SGG).
Das SG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Nichtigkeitsfeststellungsklagen des abzuweisen sind. Soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass zwischen ihm und der Beklagten kein Krankenversicherungsverhältnis besteht, handelt es sich um eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG). Diese Feststellungsklage ist bereits unzulässig. Ihr steht der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungklage (auch) zur Anfechtungsklage entgegen. Dieser Grundsatz ist im SGG nicht ausdrücklich geregelt, aber allgemein anerkannt. Wäre eine Anfechtungsklage als richtige Klageart statthaft, kann nicht stattdessen eine Feststellungsklage erhoben werden. Es handelt sich um einen Spezialfall des fehlenden Feststellungsinteresses (ausführlich und mwN Ulmer in Hennig, SGG, § 55 Rn 4).
Das Schreiben der Beklagten vom 14.04.2015 ist ein sog Leistungsbescheid. Dabei handelt es sich um einen mit der vollstreckbaren Verwaltungsakt, der dadurch bekannt gegeben und damit wirksam wurde (§ 37 Abs 1 SGB X), dass dem Kläger die mit der Vollstreckungsklausel versehene Ausfertigung über den Gerichtsvollzieher zugestellt wurde. Geregelt wird in diesem Leistungsbescheid die aktuelle Höhe der rückständigen Beitragsforderung, die sich nach Verrechnung der bereits festgesetzten Beiträge zuzüglich der erstmals festgesetzten Säumniszuschläge und Mahngebühren mit den bislang geleisteten Zahlungen ergibt (vgl BGH 25.02.2016, V ZB 25/15, MDR 2016, 549). Nicht geregelt wird darin, wie hoch der monatliche Beitrag ist, den der Kläger zu zahlen hat. Diese Regelung traf die Beklagte bereits mit ihrem Bescheid vom 05.02.2015, mit dem sie die früheren Bescheid vom 10.11.2014 und 21.11.2014 mit einer für den Kläger günstigeren Regelung (niedrigere Beiträge) ersetzt hat. Da gegen den Leistungsbescheid vom 14.04.2015 (sowie den Bescheid vom 05.02.2015) als richtige Klageart eine Anfechtungsklage statthaft wäre, ist die gemäß § 55 Abs 1 Nr 1 erhobene Feststellungsklage unzulässig. Ob der Kläger gegen die Bescheide Widerspruch eingelegt hat, bedarf keiner Entscheidung. Der anwaltlich vertretene Kläger hat ausdrücklich erklärt, keine Anfechtungsklage erheben zu wollen. Für eine Auslegung des Klagebegehrens als Anfechtungsklage ist daher kein Raum.
Die gemäß § 55 Abs 1 Nr 4 SGG auf Feststellung der Nichtigkeit des Leistungsbescheides vom 14.04.2015 gerichtete Feststellungsklage (sog Nichtigkeitsklage) ist zulässig, aber unbegründet. Der Leistungsbescheid vom 14.04.2015 ist nicht nichtig.
Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist (§ 40 Abs 1 SGB X). Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 40 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nach § 40 Abs 2 SGB X nichtig, 1. der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt, 2. der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt, 3. den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann, 4. der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, 5. der gegen die guten Sitten verstößt.
Nichtigkeitsgründe bzw schwerwiegende und offensichtliche Fehler (§ 40 SGB X) sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat noch nicht einmal geltend gemacht, dass die Höhe der Rückstände und der Säumniszuschläge sowie der Mahngebühren im Leistungsbescheid vom 14.04.2015 von der Beklagten falsch berechnet wurden. Die Festsetzung der vom Kläger zu tragenden Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung wird im Leistungsbescheid – wie dargelegt – gar nicht geregelt und der Bescheid vom 05.02.2015 ist ausdrücklich nicht angefochten.
Im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers wird lediglich ergänzend auf Folgendes hingewiesen:
Für Mitglieder der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung – dies war der Kläger nach § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld bis zum 27.08.2014 - setzt sich nach § 188 Abs 4 SGB V die Versicherung mit dem Tag des Endes ihrer Versicherungspflicht als freiwillige Mitgliedschaft fort. Mit dem Ende des Arbeitslosengeldbezugs zum 27.08.2014 endete die Pflichtmitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten. Das freiwillig weiterversicherte Mitglied ist berechtigt, seinen Austritt aus der Krankenkasse zu erklären (§ 188 Abs 4 Satz 1 SGB V). Der Austritt wird jedoch nur wirksam, wenn das Mitglied eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nachweist (§ 188 Abs 4 Satz 2 SGB V). An einem solchen Nachweis fehlt es vorliegend, weshalb die Beklagte den Kläger zu Recht in die freiwillige Anschlussversicherung aufgenommen hat. Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sind grds für jeden Kalendertag der Mitgliedschaft zu zahlen (§ 223 Abs 1 Satz 1 SGB V), sie werden nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bemessen (§ 223 Abs 2 Satz 1 SGB V). Für freiwillige Mitglieder wird die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkasse geregelt (§ 240 Abs 1 Satz1 SGB V). Dabei gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße (§ 240 Abs 4 Satz 1 SGBV). Freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung haben ihre Beiträge selbst zu tragen und zu zahlen (§§ 250 Abs 2, 252 Abs 1 Satz 1 SGB V).
Die Vorschrift des § 188 Abs 4 SGB V ist verfassungsrechtlich unbedenklich. In welchem Umfang der Gesetzgeber Systeme der gesetzlichen Sozialversicherung bildet und ausgestaltet, unterliegt seinem Gestaltungsermessen. Versicherungszwang und Beitragspflichten und damit eine Einschränkung von Freiheitsrechten sind insofern unvermeidlich (jurisPK-SGB V/Schlegel, 3. Aufl 2016, § 1 Rn 70 ff mwN). Dieses findet seine rechtlichen Grenzen allein in der Verfassung und dort vor allem in den Grundrechten.
Die gesetzliche Krankenversicherung dient dem sozialen Schutz und der Absicherung vor den finanziellen Risiken von Erkrankungen. Sie basiert auf einem umfassenden sozialen Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, vor allem aber zwischen Versicherten mit niedrigem Einkommen und solchen mit höherem Einkommen sowie zwischen Alleinstehenden und Personen mit unterhaltsberechtigten Familienangehörigen (vgl. BVerfG 06.12.1988, 2 BvL 18/84, BVerfGE 79, 223 (236 f.), SozR 2200 § 180 Nr 46 mwN). Der Gesetzgeber kann den Kreis der Pflichtversicherten so abgrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist (BVerfG 03.04.2001, 1 BvR 1681/94, BVerfGE 103, 271, 288). Die Gründe für die Regelung des § 188 Abs 4 SGB V sind sachlich nachvollziehbar. Der Gesetzgeber hat zur Rechtfertigung und Begründung des § 188 Abs 4 SGB V ausgeführt (BT-Drs. 17/13947, 27):
"Wenn Personen kraft Gesetzes aus einer vorhergehenden Versicherungspflicht nach § 5 SGB V (z. B. als Arbeitnehmer) oder einer Familienversicherung nach § 10 SGB V ausgeschieden sind und sich nicht nahtlos erneut ein Tatbestand einer vorrangigen Versicherungspflicht angeschlossen hat, hatten die Krankenkassen bislang keine Möglichkeit, die nachrangige Versicherungspflicht nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V durchzuführen, wenn diese Personen zwar keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall hatten, sie sich aber auch auf Aufforderung der Krankenkassen, den weiteren Versicherungsschutz zu klären, nicht bei dieser gemeldet haben. Da die Mitgliedschaft der (nachrangig) nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V Versicherungspflichtigen bereits mit dem ersten Tag ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall beginnt, konnten auf diese Weise erhebliche Beitragsrückstände bis zu dem Zeitpunkt entstehen, an dem die Mitgliedschaft schließlich rückwirkend festgestellt wurde. [ ] Diese Regelung soll auf alle Personen, deren vorhergehende Versicherung bei einer Krankenkasse kraft Gesetzes endet, ohne dass sich unmittelbar ein weiterer, vorrangiger Versicherungspflichttatbestand anschließt, erweitert werden. Sie stärkt den Grundsatz des Vorrangs der freiwilligen Versicherung vor der nachrangigen Versicherungspflicht. Sie vermeidet zugleich, dass diese Personen durch eine verspätete Rückkehr zu ihrer letzten Krankenkasse hohe Beitragsschulden auf Grund der zwischenzeitlich eingetretenen nachrangigen Versicherungspflicht aufgebaut haben."
Speziell in Bezug auf den vom Kläger genannten Art 3 GG entspricht es der stRspr des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), dass dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts wegen der fortwährenden schnellen Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen ist, die nur einer eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Gerade bei der gesetzlichen Krankenversicherung, die auf einem umfassenden sozialen Ausgleich basiert, ist die Abgrenzung des Kreises der Pflichtversicherten dem Gesetzgeber überlassenen (BVerfG 10.06.2009, 1 BvR 706/08 ua, BVerfGE 123, 186 Rn 228 ff., NJW 2009, 2033 mwN). Das BVerfG kann insbesondere nicht prüfen, ob der Gesetzgeber im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat (BVerfG 03.06.2013, 1 BvR 131/13 ua, BVerfGK 20, 327 mwN). Da es sich zudem um eine freiwillige Versicherung handelt, kann der Austritt aus der Mitgliedschaft bis zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeit erklärt werden. Dass ein Austritt nur dann wirksam wird, wenn eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen wird, ist angesichts des Schutzzwecks der Norm verfassungsrechtlich unbedenklich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 SGG nicht erfüllt sind.
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