L 5 KA 3163/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KA 4251/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KA 3163/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufungen des Klägers gegen die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 17.06.2014 werden zurückgewiesen.

Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 118.372,44 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Auszahlung eines höheren, unbudgetierten vertragsärztlichen Honorars für die Quartale I/2009 bis II/2010, hilfsweise die Neubescheidung seiner Honoraransprüche. Der Kläger ist als Facharzt für Innere Medizin - Schwerpunkt Rheumatologie - mit Sitz in O. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit Schreiben vom 19.12.2008 wies die Beklagte dem Kläger ein Regelleistungsvolumen (RLV) für das Quartal I/2009 zu. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 07.01.2009 Widerspruch. Mit Bescheid vom 07.10.2009 setzte die Beklagte das Honorar des Klägers für das Quartal I/2009 auf 64.078,09 EUR fest. Hiergegen erhob der Kläger am 09.11.2009 Wi¬derspruch. Den Widerspruch des Klägers gegen die RLV-Zuweisung wies die Beklagte mit Bescheid vom 21.06.2011 zurück. Hiergegen erhob der Kläger am 22.07.2011 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG, S 11 KA 4251/11 -). Den Widerspruch des Klägers gegen den Honorarbescheid wies die Beklagte mit Bescheid vom 09.08.2011 zurück. Hiergegen erhob der Kläger am 12.09.2011 Klage zum SG (- S 11 KA 5310/11). Mit Beschluss vom 12.11.2013 verband das SG die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 11 KA 4251/11. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2011 wies die Beklagte Widersprüche des Klägers gegen die Zuweisungen des RLV für die Quartale II/2009 - II/2010 sowie gegen die Honorarbescheide vom 14.12.2009 (Quartal II/2009), vom 15.01.2010 (Quartal III/2009), vom 16.04.2010 (Quartal IV/2009), vom 15.07.2010 (Quartal I/2010) und vom 15.10.2010 (Quartal II/2010) zurück. Hiergegen erhob der Kläger am 12.09.2011 ebenfalls Klage zum SG (- S 11 KA 5311/11 -). Zur Begründung der Klagen trug der Kläger u.a. vor, nach der im streitbefangenen Zeitraum geltenden Fassung des § 87b Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V; Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.03.2007 (a.F.)) seien die Werte für die RLV morbiditätsgewichtet und differenziert nach Arztgruppen festzulegen gewesen. § 87b Abs. 3 Satz 6 SGB V habe bestimmt, dass die Morbidität mit Hilfe der Morbiditätskriterien Alter und Geschlecht zu bestimmen sei. Diese Vorgaben habe der (erweiterte) Bewertungsausschuss (EBewA) in Teil F seines Beschlusses vom 27./28.08.2008 nicht berücksichtigt und das Kriterium des Geschlechts als irrelevant betrachtet. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der EBewA zwingende gesetzgeberische Vorgaben missachte und hierbei außer Betracht lasse, dass die längere Lebenserwartung von Frauen zu einer längeren und intensiveren ärztlichen Betreuung führe. Soweit das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 11.12.2013 (- B 6 KA 4/13 R -, in juris) davon ausgehe, dass keine signifikante Abweichung zwischen den Geschlechtern bestehe, könne dem nicht gefolgt werden. Der Gesetzgeber sehe in § 87 Absatz 2f SGB V a.F. ferner zwingend vor, dass der EBewA bis 31.08. eines Jahres Indikatoren zur Messung der regionalen Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur vorgebe. Dies habe der Bewertungsausschuss in Teil C des Beschlusses nicht umgesetzt. Die fehlerhafte Umsetzung der gesetzgeberischen Vorgaben durch den EBewA perpetuiere sich auch in der im Zuständigkeitsbereich der Beklagten geltenden Honorarverteilungsvereinbarung (HVV), die das Kriterium des Geschlechts gleichfalls nicht berücksichtige.

Die Beklagte trat den Klagen entgegen. Zur Nichtberücksichtigung des Morbiditätskriteriums "Geschlecht" habe das BSG entschieden, dass der EBewA seinem gesetzlichen Auftrag nachgekommen sei; der Gesetzgeber könne nicht vorgeben, dass die Realität anderes sei, als sie sich tatsächlich darstelle. Mit Urteilen vom 17.06.2014 wies das SG die Klagen ab. Hierzu führte es aus, die angefochtenen Bescheide seien nicht zu beanstanden sei. Soweit der Kläger dies wegen der Nichtberücksichtigung des Morbiditätsgesichtspunkts "Geschlecht" in Frage stelle, könne dem, so das SG, nicht gefolgt werden, da der EBewA aufgrund einer genauen Analyse des Datenmaterials festgestellt habe, dass sich das Kriterium Geschlecht nicht zur Abbildung der Morbidität eigne, da das abgerechnete Leistungsvolumen durch dieses Kriterium nicht signifikant beeinflusst werde. Dies habe das BSG in seiner Entscheidung vom 11.12.2013 (a.a.O.) bestätigt. Gegen die am 30.06.2014 zugestellten Urteile hat der Kläger am 29.07.2014 jeweils Berufung (- L 5 KA 3163/14 - und - L 5 KA 3164/14 -) eingelegt, die der Senat mit Beschluss vom 12.08.2014 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Zur Begründung der Berufungen hat der Kläger auf seine erstinstanzlichen Ausführungen verwiesen, die vom SG nicht richtig bewertet worden seien. Der Kläger beantragt (zweckdienlich gefasst), die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 17.06.2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides betr. die Zuweisung des Regelleistungsvolumens für das Quartal I/2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2011, der Bescheide betr. die Zuweisung des Regelleistungsvolumens für die Quartale II/2009 bis II/2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2011, des Honorarbescheides für das Quartal I/2009 vom 07.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2011 sowie der Honorarbescheide vom 14.12.2009, vom 15.01.2010, vom 16.04.2010, vom 15.07.2010 und vom 15.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2011 zu verurteilen, die von ihm in den Quartalen I/2009 - II /2010 abgerechneten vertragsärztlichen Leistungen unbudgetiert zur Auszahlung zu bringen, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, über seine Widersprüche erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Die Beklagte beantragt, die Berufungen zurückzuweisen. Zur Begründung ihres Antrages verweist die Beklagte auf ihren Vortrag in erster Instanz sowie die aus ihrer Sicht zutreffenden Ausführungen des SG in den angefochtenen Urteilen. Mit gerichtlichem Schreiben vom 27.04.2016 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg verspricht. Ferner wurde mitgeteilt, dass der Senat erwäge, über die Berufungen im Beschlusswege nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden. Den Beteiligten ist Gelegenheit eingeräumt worden, sich hierzu zu äußern. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die bei der Beklagten geführte Leistungsakten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind, verwiesen.

II. Die Berufungen des Klägers sind jeweils gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft, die geltend gemachten höheren Honoraransprüche übersteigen den nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG erforderlichen Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,- EUR. Da die Berufungen auch form- und fristgerecht eingelegt wurden (vgl. § 151 SGG), sind sie zulässig. Der Senat entscheidet gemäß § 153 Abs. 4 SGG nach Anhörung der Beteiligten über die Berufungen durch Beschluss, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Gründe für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurden von den Beteiligten nicht mitgeteilt und sind dem Senat auch anderweitig nicht ersichtlich. Die Berufungen führen für den Kläger inhaltlich nicht zum Erfolg. Das SG hat die Klagen in nicht zu beanstandender Weise abgewiesen. Die Bescheide betr. die Zuweisung des RLV für die Quartale I/2009 - II/2010 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 21.06.2011 und 10.08.2011, die Honorarbescheide für das Quartal I/2009 vom 07.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2011 sowie der Honorarbescheide für die Quartale II/2009 - II/2010 vom 14.12.2009, vom 15.01.2010, vom 16.04.2010, vom 15.07.2010 und vom 15.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2011 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger kann für die Quartale I/2009 - II/2010 ein höheres vertragsärztliches Honorar nicht beanspruchen. Die Beklagte ist auch nicht zu verurteilen, über die Honoraransprüche des Klägers neu zu bescheiden. Der Senat verweist zur Begründung seiner Entscheidung auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des SG in dessen Urteil vom 17.06.2014 (- S 11 KA 4251/11 -) und sieht von einer Begründung seiner Entscheidung nach § 153 Abs. 2 SGG ab. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Kläger mit seinen - ersichtlich im Vordergrund stehenden - Einwendungen gegen die hier maßgeblichen EBewA-Beschlüsse, insb. betr. die Nichtberücksichtigung des Morbiditätskriteriums "Geschlecht" und der regionalen Besonderheiten sowie die Perpetuierung dieser Fehler in den nachrangigen Regelungen des HVV nicht durchdringt. Zwar sollte der EBewA nach § 87b Abs. 3 Satz 6 SGB V a.F. bei der Ermittlung der morbiditätsorientierten Gesamtvergütungen auch das Kriterium "Geschlecht" berücksichtigen. Der EBewA hat jedoch in seinem Beschluss vom 27./28.8.2008 in Teil F Nr. 3.2.2 festgestellt, dass durch dieses Kriterium eine signifikante Beeinflussung des abgerechneten Leistungsvolumens - bezogen auf die Gesamtheit der vertragsärztlichen Leistungen - nicht aufgezeigt werde. Dies stellt, anders als der Kläger vorbringt, keine Verletzung gesetzlicher Vorgaben dar. Das BSG hat hierzu in seinem Urteil vom 11.12.2013 (a.a.O.) ausgeführt, dass es in § 87b Abs. 3 Satz 6 SGB V a.F. nicht pauschal darum gehe, ob die Krankenkassen insgesamt statistisch für eine weibliche Versicherte mehr Geld aufwenden als für einen männlichen, sondern darum, ob sich in der vertragsärztlichen Versorgung bezogen auf alle Arztgruppen und alle Altersstufen von Versicherten bei Frauen eine höhere Morbidität messen lasse als bei Männern. Das bedürfe statistischer Ermittlungen. Wenn die dem EBewA vorliegenden Abrechnungsdaten insoweit keine signifikanten Abweichungen ergeben, die auf eine geschlechtsspezifisch messbar abweichende Morbidität hindeuteten, sei der EBewA seinem Auftrag nachgekommen. Der Gesetzgeber könne nicht vorgeben, dass die Realität anders sei, als sie sich tatsächlich darstelle. Er könne allenfalls normativ bestimmen, dass die Morbidität weiblicher Versicherter um einen bestimmten Faktor höher zu gewichten sei, als bei männlichen. Dies sei in § 87b Abs. 3 Satz 6 SGB V a.F. jedoch nicht geschehen. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung auch im vorliegenden Verfahren an (vgl. schon Urteil des erkennenden Senats vom 16.03.2016 - L 5 KA 359/14 -; sowie Beschlüsse des erkennenden Senats vom 24.05.2016 - L 5 KA 2374/14 -, vom 25.10.2016 - L 5 KA 894/15 - und vom 10.01.2017 - L 5 KA 2440/14 - jew. n.v.). Auch soweit klägerseits geltend gemacht wird, der EBewA habe den zwingenden gesetzlichen Auftrag zur Vorgabe von Indikatoren zur Messung der regionalen Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur, nicht umgesetzt, greift dies vorliegend nicht durch. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 21.03.2012 (- B 6 KA 21/11 R - in juris) hierzu ausgeführt, dass die fehlende Vorgabe von Indikatoren durch den EBewA die Vertragspartner auf regionaler Ebene nicht gehindert habe, nach eigener Entscheidung Zuschläge oder Abschläge von den Orientierungswerten zu vereinbaren. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an. Auch im vorliegenden Verfahren sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass für die Partner der Gesamtverträge Anlass bestand, aus Gründen regionaler Besonderheiten innerhalb des Bezirks der Beklagten für einzelne Städte oder Kreise Zuschläge zu den Orientierungswerten zu vereinbaren. Für die Stadt O., in der der Kläger seinen Sitz hat, liegt diese Annahme besonders fern, weil nicht ansatzweise erkennbar ist, weshalb dort im Vergleich zu größeren Städten in Baden-Württemberg wie bspw. St., K. oder M. eine signifikant abweichende, höhere Kostenstruktur hinsichtlich der für seine Praxis relevanten Faktoren gegeben sein könnte.

Die Berufungen des Klägers gegen die klageabweisenden Urteile des SG vom 17.06.2014 sind zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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