L 9 AS 4327/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 23 AS 5130/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 4327/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. November 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Verfahren S 23 AS 1628/16 vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG) durch Klagerücknahme beendet ist.

Der Kläger bezieht seit Jahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit seiner am 17.03.2016 beim SG eingegangenen Klage (S 23 AS 1628/16) begehrte der Kläger die Aushändigung eines vollständigen und rechtskräftigen Bewilligungsbescheides inklusive Berechnungsbogen, auf dem alle Zahlungsanweisungen ersichtlich sind, und eine schriftliche und rechtskräftige Bestätigung, dass alle Mietzahlungen ab November 2013 bedient wurden.

Im Rahmen eines Erörterungstermins am 21.07.2016 wurde das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten erörtert. Die Beklagtenvertreterin bestätigte, dass die Mieten seit 2013 durchgängig an die Vermieterin bezahlt worden seien. Der Kläger erklärte: "Ich nehme die Klage zurück". Diese Erklärung wurde ausweislich der Niederschrift vorgelesen und genehmigt.

Mit Schreiben vom 22.07.2016 erklärte der Kläger, ihm sei im Erörterungstermin der Zusammenhang zweier Bewilligungsbescheide erklärt worden. Er bitte um eine schriftliche Bestätigung (Protokoll). Dieses Begehren wiederholte er mit Schreiben vom 04.08.2016. Mit weiterem Schreiben vom 11.08.2016 führte er aus, die Klage bleibe bestehen, bis seine Forderungen erfüllt seien. Seine Klage werde nicht ernst genommen, sondern über Monate in die Länge gezogen. Das Gericht möge dafür sorgen, dass er zukünftig vollständige Bewilligungsbescheide plus Berechnungsbögen erhalte. Auch sei ihm eine rechtskräftige und unterschriebene Bestätigung auszuhändigen, dass ein Bewilligungsbescheid, der (zum Teil) aufgehoben worden sei, weiterhin rechtskräftig sei, wie es ihm die Richterin mündlich am 21.07.2016 erklärt habe.

Nach vorheriger Anhörung hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 08.11.2016 festgestellt, dass die Klage S 23 AS 1628/16 durch Klagerücknahme im Termin vom 21.07.2016 erledigt sei. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage sowohl als Fortführung der ursprünglichen Klage S 23 AS 1628/16 als auch als Wiederaufnahmeklage unzulässig sei. Die ursprünglich betriebene Klage sei im Erörterungstermin durch die Rücknahmeerklärung des Klägers, die vorgelesen und durch genehmigt worden sei, beendet worden. Eine Anfechtung der Rücknahme komme nicht in Betracht. Dem Kläger sei ausführlich erörtert worden, dass ein rechtskräftiger Bewilligungsbescheid solange gültig bleibe, bis er durch einen Änderungsbescheid abgeändert werde. Weiterhin habe die Beklagtenvertreterin bestätigt, dass die Miete seit 2013 vollständig an die Vermieterin gezahlt worden sei. Dass er nun im Nachhinein noch eine "rechtskräftige und unterschriebene Bestätigung" über die Rechtskraft von Bewilligungsbescheiden begehre, ändere nichts an der Wirksamkeit seiner Klagerücknahme und lasse auch keine Irrtümer bei der Abgabe der Prozesshandlung erkennen. Ein Widerruf der Rücknahmeerklärung komme nur dann in Betracht, soweit die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 179 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. §§ 578 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) bzw. § 180 SGG gegeben seien. Die Voraussetzungen für die Annahme einer Nichtigkeits- oder Restitutionsklage seien indes offensichtlich nicht erfüllt. Der Kläger habe diesbezüglich auch nichts vorgetragen, sodass auch ein Widerruf der Rücknahmeerklärung ausscheide.

Gegen dem ihm am 17.11.2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 23.11.2016 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.

Der Kläger beantragt bei sachdienlicher Auslegung,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. November 2016 aufzuheben und das Klageverfahren S 23 AS 1628/16 fortzuführen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die Ausführungen in dem angefochtenen Gerichtsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des SG S 23 AS 5130/16 und S 23 AS 1628/16 sowie auf die Senatsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Zulässiger Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die Frage, ob die Feststellung des SG, das vor dem SG unter dem Aktenzeichen S 23 AS 1628/16 geführte Klageverfahren sei durch Klagerücknahme beendet, den Kläger in seinen Rechten verletzt und ob dieses Verfahren fortzusetzen ist. Sein Begehren ist damit zumindest auch darauf gerichtet, die Fortsetzung des ursprünglichen Klageverfahrens und eine Entscheidung in der Sache zu erreichen.

Soweit das SG entschieden hat, dass die unter dem Aktenzeichen S 23 AS 1628/16 geführte Klage durch Klagerücknahme erledigt ist, ist dies nicht zu beanstanden.

Über die Wirksamkeit der Klagerücknahme war in Fortsetzung des Klageverfahrens zu entscheiden, in dem diese erklärt wurde (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 26.07.1989, 11 Rar 31/88, Juris). Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 SGG kann die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurückgenommen werden. Die Erklärung der Rücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache (§ 102 Abs. 1 Satz 1 SGG). Diese Rechtswirkung ist vorliegend, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, eingetreten. Der prozessfähige Kläger hat in dem Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 21.07.2016 die Klage wirksam zurückgenommen. Dies ergibt sich bereits aus der Niederschrift über diesen Termin, der insoweit Beweiskraft zukommt (vgl. § 122 SGG i.V.m. § 165 ZPO). Die maßgeblichen Protokollierungsvorschriften des § 122 SGG i. V. m. §§ 160 Abs. 3 Nr. 8, 162 Abs. 1 und 2 ZPO sind gewahrt worden. Die Vorsitzende hat die seitens des Klägers erklärte Klagerücknahme protokolliert und anschießend vermerkt, dass die Erklärung verlesen und genehmigt worden ist.

Für die Form der Rücknahme einer Klage gelten dieselben Regeln wie für deren Einlegung. Nach § 90 SGG kann die Klage schriftlich oder zu Niederschrift des Urkundsbeamten eingelegt werden. Der Einlegung zur Niederschrift des Urkundsbeamten steht der Erklärung zu Protokoll in der Verhandlung nach § 122 SGG i. V. m. § 160 Abs. 3 Nr. 8 ZPO gleich. Hierfür ist Schriftform nicht erforderlich, notwendig ist lediglich die Protokollierung entsprechend der oben genannten Vorschriften. Diese sind, wie bereits dargelegt, allesamt beachtet worden.

Die somit wirksam erklärte Rücknahme der Klage kann als Prozesserklärung weder frei widerrufen noch entsprechend der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums (§ 119 Bürgerliches Gesetzbuch) angefochten werden (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage, 2008, § 102 Rdnr. 7; BSG, Beschluss vom 24.04.2003, B 11 AL 33/03 B, Juris, m.w.N.). Zwar können auch Prozesshandlungen grundsätzlich im Verlauf des weiteren Verfahrens widerrufen, ergänzt, geändert oder berichtigt werden; dies gilt jedoch nur, solange der Rechtsstreit anhängig ist (Putzo in Thomas/Putzo, ZPO, 35. Auflage, Einleitung III Rdnr. 21). Unwiderruflich und nicht abänderungsfähig sind darüber hinaus solche Prozesshandlungen, durch die der Prozessgegner eine Rechtsstellung erlangt oder aufgrund derer er seine Rechtsstellung eingerichtet hat (Bayerisches LSG, Urteil vom 16.10.2001, L 15 V 37 /01, Juris). Dies ist bei der Klagerücknahme der Fall. Für die Anfechtung der Rücknahme in entsprechender Anwendung des § 123 BGB liegen keine Anhaltspunkte vor, abgesehen davon, dass auch insoweit die Anfechtung der Klagerücknahme ausgeschlossen ist (vgl. BSG, Beschluss vom 12.08.1961, 3 RK 12/59, Juris). Insbesondere trägt der Kläger nicht vor, er habe sich bei der Abgabe der Erklärungen in einem Irrtum befunden.

Das Verfahren wäre nur dann wieder aufzunehmen, wenn und soweit die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 179 SGG i. V. m. §§ 578 ff. ZPO oder § 180 SGG gegeben sind. Die Voraussetzungen dieser Bestimmungen sind aber - wie das SG ebenfalls zutreffend dargelegt hat - offensichtlich nicht erfüllt. Insoweit fehlt auch jeglicher nachvollziehbarer Vortrag des Klägers.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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