L 16 KR 196/11 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 40 KR 225/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 196/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 28.03.2011 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000,- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde, mit der sich die Antragstellerin gegen die Ablehnung ihres Antrags auf einstweilige Zulassung ihrer Vorschlagsliste zur Sozialversicherungswahl 2011 wendet, ist zulässig. Dies gilt auch in Ansehung der Tatsache, dass bei Anbringungung des Antrags bereits eine Vielzahl der für die Durchführung der Wahl bestimmten und zwingend einzuhaltenen Fristen (z.B. für die Bekanntmachung der Wahl gemäß § 31 der aufgrund von § 56 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - SGB IV - erlassenen Wahlordnung für die Sozialversicherung - SVWO - oder zur Verteilung der Wahlunterlagen (§ 34 Abs. 1 SVWO) und nunmehr auch die Frist zur Übersendung der Wahlunterlagen an die Wahlberechtigten (§ 34 Abs. 2 SVWO) abgelaufen sind, so dass eine den rechtlichen Vorgaben entsprechende Wahl unter Beteiligung der Antragstellerin an dem auf den 01.06.2011 festgelegten Wahltag (§ 10 SVWO) nicht mehr stattfinden kann. Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass die Antragstellerin allein auf die Durchführung einer Wahlanfechtung in einem unter Umständen mehrere Jahre bis zu einer rechtskräftigen Endentscheidung dauernden Hauptsacheverfahrens zu verweisen ist. Dies würde das verfassungsrechtlich verankerte Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes in nicht hinnehmbarer Weise beschränken. Liegt ein Wahlverstoß vor, der zu einer erfolgreichen Wahlanfechtung berechtigt, kann einstweiliger Rechtsschutz nicht allein deshalb versagt werden, weil aus Fristengründen eine Wahl am festgelegten Tag nicht mehr rechtmäßig durchführbar ist und deshalb auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben ist. Die Zielsetzung von § 57 Abs. 5 SGB IV, wegen Wahlverstößen - nachträglich - für ungültig zu erklärende Wahlen zu vermeiden, kann mithin beispielsweise auch eine vorläufige Einstellung von Wahlhandlungen durch das Gericht im einstweiligen Anordnungsverfahren rechtfertigen, wenn nur dadurch gesichert ist, dass ein Wahlverstoß nicht zu einer ungültigen Wahl führt. Anderenfalls würde sehenden Auges eine ungültige Wahl abgehalten, deren Ungültigkeit erst nachträglich in einem Wahlanfechungsverfahren festgestellt werden könnte. Dies wäre schon aus Kostengründen und angesichts eines zu befürchtenden Verlustes der Akzeptanz der Sozialwahlen nicht hinnehmbar. Nichts anderes gilt aber dann, wenn - wie hier - eine Wahlhandlung nicht vorgesehen ist, weil nur eine Vorschlagsliste zugelassen wurde, so dass am 107. Tag vor der Wahl vom Wahlausschuss das Wahlergebnis und die Feststellung, dass und weshalb eine Wahlhandlung unterbleibt, öffentlich bekannt zu geben ist (siehe § 28 Abs. 2 SVWO). Die auf der Vorschlagsliste benannten Bewerber gelten nämlich gemäß § 46 Abs. 2 SGB IV in Verbindung mit § 28 Abs. 3 SVWO mit Ablauf des Wahltags als gewählt und werden Mitglieder des Selbstverwaltungsorgans (§ 58 SGB IV). Dies gilt es bei einer infolge eines Wahlverstoßes ungültigen Wahl zu verhindern. Weder Wortlaut noch Zielsetzung von § 57 Abs. 5 SGB IV sprechen hingegen dafür, dass einstweilige Anordnungen nur dann ergehen können, wenn der Wahlverstoß durch die Entscheidung des Gerichts noch voll umfänglich geheilt und die Wahl zum festgesetzten Zeitpunkt gültig durchgeführt werden kann.

Die mithin zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht, welches für das Verfahren sachlich und örtlich (§ 57 b Sozialgerichtsgesetz - SGG -) zuständig war, hat den Antrag zu Recht abgelehnt. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung ist die Nichtzulassung der Vorschlagsliste der Antragstellerin durch den bei der Antragsgegnerin gebildeten Wahlausschuss und die Zurückweisung der dagegen gerichteten Beschwerde durch den Landeswahlausschuss (Beschwerdeausschuss), dessen Zuständigkeit sich aus § 90 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 SGB IV ergibt, jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig erfolgt. Dies wäre aber Voraussetzung für eine Entscheidung zu Gunsten der Antragstellerin, denn nach § 57 Abs. 5 SGB IV, mit dem der einstweilige Rechtsschutz im Wahlverfahren abschließend (siehe § 57 Abs. 1 SGB IV) spezialgesetzlich geregelt wird und der damit einen Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften (§ 86b SGG) ausschließt, muss ein offensichtlicher Wahlverstoß vorliegen, der ohne Zweifel zur Ungültigkeit der Wahl führt. Es werden damit abweichend vom allgemeinen Recht besonders strenge Anforderungen an ein Eingreifen des Gerichts in ein laufendes Wahlverfahren durch einstweilige Anordnung gestellt, weil dadurch die Wahl in der Regel endgültig und unumkehrbar beeinflusst wird (siehe Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar 9. Auflage; Hauck/Noftz, SGB IV, § 57 Rdnr. 12). Der Senat stimmt mit dem Sozialgericht, auf dessen Ausführungen insoweit ausdrücklich zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, überein, dass die Vorschlagsliste der Antragstellerin ungültig im Sinne von § 23 Abs. 2 Nr. 6 SVWO ist, weil die Zahl der Unterzeichner, die dem nach § 51 Abs. 6 Nrn. 5 und 6 SGB IV nicht wählbaren Personenkreis angehören, den in § 48 Abs. 3 Satz 2 SGB IV genannten Höchstanteil für diesen Personenkreis von 25 v.H. überschreitet. Der nach § 48 Abs. 3 Satz 2 SGB IV höchstzulässige Anteil von Personen im Sinne von § 51 Abs. 6 Nrn. 5 und 6 SGB IV an den Unterzeichnern richtet sich nicht nach den in § 48 Abs. 2 Satz 1 SGB IV genannten (Mindest-) Zahlen, sondern nach der tatsächlichen Zahl der Unterzeichner der Vorschlagsliste (so ausdrücklich auch Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/ Pflegeversicherung § 48 SGB IV Randnummer 10). Entgegen der Auffassung der Antragstellerin reicht es nicht aus, dass die Vorschlagsliste, die hier aufgrund der Größe der Antragsgegnerin gemäß § 48 Abs. 2 SGB IV 1000 Unterschriften bedarf, unstreitig von mehr als 750 Wählbaren und mehr als 250 nach § 51 Abs. 6 Nrn. 5 und 6 SGB IV nicht wählbaren Wahlberechtigten unterzeichnet wurde und die damit sowohl die erforderliche Gesamtzahl von Unterschriften aufweist als auch, darauf bezogen, eine ausreichende Zahl von wählbaren Unterzeichnern beinhaltet. Da die Vorschlagsliste mehr als 1000 Unterschriften aufweist, war zu ihrer Gültigkeit im Sinne von § 23 Abs. 2 Nr. 6 SVWO in Verbindung mit § 48 Abs. 3 Satz 2 SGB IV notwendig, dass der Gesamtzahl der Unterzeichner höchstens 25 v. H. der nach § 51 Abs. 6 Nrn. 5 und 6 SGB IV nicht wählbaren Personen angehören. Ausgehend von den von der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 10.05.2011 nochmals benannten Zahlen, an deren Richtigkeit kein Grund zu zweifeln bestand, hatten die Vorschlagsliste 1147 Personen unterzeichnet. Von den 1086 gültigen Unterschriften stammten 303 von bei der Antragsgegnerin beschäftigten oder für sie tätigen Personen, die gemäß § 51 Abs. 6 Nrn. 5 und 6 SGB IV nicht wählbar sind. Damit wird bezogen auf die Gesamtzahl der Unterzeichner die Höchstzahl der in § 48 Abs. 3 Satz 2 SGB IV genannten nicht wählbaren Personen überschritten unabhängig davon, ob auf sämtliche Unterzeichner oder nur auf die Zahl der von der Antragsgegnerin ermittelten gültiger Unterschriften abgestellt wird, so dass dahingestellt bleiben konnte, ob die von ihr angewendeten Gültigkeitskriterien zutreffend sind.

Für das gefundene Ergebnis sprechen sowohl Wortlaut und Begründung des Gesetzes als auch Gesetzeszweck. In § 48 Abs. 3 Satz 2 SGB IV wird hinsichtlich des erforderlichen Quorums ausdrücklich auf die Gesamtzahl der Unterzeichner abgestellt. Zweifel, ob damit alle Unterzeichner der Liste gemeint sind, könnten sich allenfalls daraus ergeben, dass § 48 Abs. 2 Satz 1 SGB IV ausdrücklich nicht eine Mindestzahl von Unterschriften benennt, sondern je nach Größe des Versicherungsträgers eine genau bestimmte Anzahl von Unterzeichnern fordert. Da allerdings nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Gesetzgeber die Einreichung von mehr als den geforderten Unterschriften (was sich schon wegen des Risikos einzelner ungültiger Unterzeichnungen anbieten dürfte) vermeiden wollte oder sogar eine Vorschlagsliste in diesem Fall als mangelhaft oder ungültig ansehen wollte, benennt § 48 Abs. 2 Satz 1 SGB IV die erforderliche Mindestzahl von Unterzeichnern, so dass Gesamtzahl im Sinne von Abs. 3 nur die Zahl aller Unterzeichner gemäß Abs. 2 sein kann.

Dafür spricht auch die Gesetzesbegründung (siehe Bundestags-Drucksache 10/1162 Seite 6 zu Artikel 1, Nr. 3 Buchstabe b). Danach hat die Begrenzung des Anteils der Bediensteten an den Unterzeichnern einer Vorschlagsliste den Zweck, einer zu starken Einflussnahme der bei den Versicherungsträgern Beschäftigten auf die Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane vorzubeugen. Da die Unterzeichnung einer Vorschlagsliste bereits wahlähnlichen Charakter hat (so Bundessozialgericht, Urteil vom 16.12.2003, B 1 KR 26/02 R zur Rdnr. 33 der Wiedergabe bei Juris) kann eine solche unerwünschte Einflussnahme durch Beschäftigte wirksam nur dann vermeiden werden, wenn ihr Anteil an den Gesamtunterzeichnern begrenzt wird. Denn auch dann, wenn die jeweilige Mindestzahl von nicht dem Personenkreis nach § 51 Abs. 6 Nrn. 5 und 6 SGB IV angehörigen Unterzeichnungsberechtigten erreicht wird, könnte durch eine überproportionale Unterstützung der Liste durch beim Versicherungsträger Beschäftigte deren Einfluss auf die Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane ein unerwünschtes Maß erreichen.

Allein der Umstand, dass es der Listenführer in der Hand hat, durch Zurückhaltung von Unterschriften von beim Versicherungsträger beschäftigten Personen deren Anteil an der Gesamtzahl der Unterzeichner auf nicht mehr als 25 v.H. zu begrenzen und damit - sofern die Mindestzahl an Unterzeichnern erreicht wird - die Gültigkeit einer Vorschlagsliste beeinflussen kann, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Derartige Manipulationen sind nicht auszuschließen und damit letztlich hinzunehmen. Dies gilt auch für Absprachen von Bediensteten, ihnen genehme Vorschlagslisten erst bei der Wahl und nicht schon vor Listeneinreichung zu unterstützen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG.

Weder Antragstellerin noch Antragsgegnerin gehören zu den in § 183 SGG benannten Personen. Wird um die Zulassung von Vorschlagslisten zur Wahl gestritten, sind nicht die Liste selber oder die Listenvertreter, sondern der Listenträger, d. h. hier die Antragstellerin, Inhaber von Rechten und Pflichten (BSG a.a.O.). Eine Kostenprivilegierung scheidet damit aus.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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